[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.machte, mit der größten Gier gelesen und fast verschlungen machte, mit der größten Gier geleſen und faſt verſchlungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051" n="45"/> machte, mit der größten Gier geleſen und faſt verſchlungen<lb/> wurden. Wer ſich die damaligen Zuſtände der gebildeten<lb/> Kreiſe vergegenwärtigt, wird geſtehen müſſen, daß der Ruf<lb/> nach Wohlſtand und Bildung, wie er bald nachher aus den<lb/> Reihen der Anarchie erſcholl, blos das Echo der Geſinnun-<lb/> gen zu ſein ſchien, welche Jahre lang von der Blüthe der<lb/> Gebildeten an unzähligen Orten ganz unbefangen zur Schau<lb/> getragen worden waren. Und hatte ſich nicht damals gerade<lb/> in dieſen Kreiſen der Geſellſchaft durch Ueberſättigung an<lb/> Wohlſtand und Bildung jene beſondere Gattung der Aller-<lb/> gebildetſten entwickelt, welche man die „<hi rendition="#g">Blaſirten</hi>“ nannte,<lb/> und welche, weit entfernt, durch ihr Auftreten Mitleid oder<lb/> allgemeine Mißbilligung zu erregen, im Gegentheil als eine<lb/> Art von Heroen der Bildung angeſtaunt wurden? Unter<lb/> einem <hi rendition="#g">Blaſirten</hi> verſteht man nämlich einen Menſchen,<lb/> welcher, nachdem ihm das Bewußtſein ſeiner <hi rendition="#g">ſittlichen</hi><lb/> Natur und mit dieſem Bewußtſein der unverſiegbare Quell<lb/> der inneren Zufriedenheit und der reinſten Freuden abhan-<lb/> den gekommen war, ſich gewöhnte, in einem Strudel von<lb/> Zerſtreuungen und Genüſſen aller Art einen Erſatz für die-<lb/> ſen Verluſt zu ſuchen, aber zuletzt die Entdeckung machte,<lb/> daß alle Vergnügungen, alle geiſtigen und ſinnlichen Be-<lb/> ſchäftigungen, alles Wohlleben und alle Abenteuer, in denen<lb/> er ſich herumtreibt, um ſein beſſeres Jch zu betäuben, ihm<lb/> keine Befriedigung zu gewähren vermögen, ſondern daß<lb/> nach jeder neuen Zerſtreuung, nach jeder neuen Betäubung<lb/> ein nur um ſo peinlicheres Erwachen zu dem Bewußtſein<lb/> ſeiner inneren Leere und einer troſtloſen Verlaſſenheit er-<lb/> folgt. Wenn ein ſolcher Menſch längere Zeit hindurch für<lb/> ſeine verwöhnten Sinne und für ſeine ermüdeten Nerven<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0051]
machte, mit der größten Gier geleſen und faſt verſchlungen
wurden. Wer ſich die damaligen Zuſtände der gebildeten
Kreiſe vergegenwärtigt, wird geſtehen müſſen, daß der Ruf
nach Wohlſtand und Bildung, wie er bald nachher aus den
Reihen der Anarchie erſcholl, blos das Echo der Geſinnun-
gen zu ſein ſchien, welche Jahre lang von der Blüthe der
Gebildeten an unzähligen Orten ganz unbefangen zur Schau
getragen worden waren. Und hatte ſich nicht damals gerade
in dieſen Kreiſen der Geſellſchaft durch Ueberſättigung an
Wohlſtand und Bildung jene beſondere Gattung der Aller-
gebildetſten entwickelt, welche man die „Blaſirten“ nannte,
und welche, weit entfernt, durch ihr Auftreten Mitleid oder
allgemeine Mißbilligung zu erregen, im Gegentheil als eine
Art von Heroen der Bildung angeſtaunt wurden? Unter
einem Blaſirten verſteht man nämlich einen Menſchen,
welcher, nachdem ihm das Bewußtſein ſeiner ſittlichen
Natur und mit dieſem Bewußtſein der unverſiegbare Quell
der inneren Zufriedenheit und der reinſten Freuden abhan-
den gekommen war, ſich gewöhnte, in einem Strudel von
Zerſtreuungen und Genüſſen aller Art einen Erſatz für die-
ſen Verluſt zu ſuchen, aber zuletzt die Entdeckung machte,
daß alle Vergnügungen, alle geiſtigen und ſinnlichen Be-
ſchäftigungen, alles Wohlleben und alle Abenteuer, in denen
er ſich herumtreibt, um ſein beſſeres Jch zu betäuben, ihm
keine Befriedigung zu gewähren vermögen, ſondern daß
nach jeder neuen Zerſtreuung, nach jeder neuen Betäubung
ein nur um ſo peinlicheres Erwachen zu dem Bewußtſein
ſeiner inneren Leere und einer troſtloſen Verlaſſenheit er-
folgt. Wenn ein ſolcher Menſch längere Zeit hindurch für
ſeine verwöhnten Sinne und für ſeine ermüdeten Nerven
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |