hinkt das Gleichniß freilich, denn sie entbehren auch noth- wendig den Glauben an eine über ihnen waltende väterliche Liebe, welcher sie im Leben und im Tode getrost vertrauen können. Wer aber von dem Tode das Ende seines Daseins erwartet, sein eigenes Leben nur als eine vorübergehende Erscheinung im Reiche der ewig wechselnden Natur betrach- tet, für den gibt es schon aus diesem Grunde keinen reinen, innigen Lebensgenuß. Wenn Alles was unserem Leben Werth verleiht, uns nur für die kurze Spanne unserer Lebenszeit bewilligt ist und nach Ablauf derselben die Vernichtung un- serer wartet, ist da nicht jeder tiefere Lebensgenuß für uns vergiftet? Muß nicht bei jeder Freude, welcher wir uns hingeben wollen, der Gedanke uns stören, daß das Leben uns nur für so kurze Zeit geliehen ist und daß mit seinem Ende nicht blos diese Freude, sondern überhaupt jedes Glück, jede Empfindung für uns aufhören werde? Jst für ein Herz, welches der Vernichtung geweiht ist, nicht jede Freude ein schneidender Hohn? Wer mag mit Jnteresse Nah- rung suchen für seinen Geist, wenn schon der nächste Augen- blick das Gefäß zertrümmern kann, in welches er sammelt? Wer mag Bündnisse des Herzens mit voller Hingebung schließen, wahre Liebe, wahre Freundschaft hegen, wenn ihm der Glaube an die Fortdauer der Persönlichkeiten eine Thor- heit ist, wenn Freundschaft, Liebe und wir selbst mit dem letzten Athemzuge erloschen sind? Und liegt nicht in dieser trostlosen Verlassenheit eine gerechte Strafe für unseren Uebermuth? Erst erklärt sich der menschliche Hochmuth für souverän, für die höchste Macht im Himmel und auf Erden, und dann fühlt er sich so bettelarm und hilflos, daß er mit der Gier der Verzweiflung nach Allem greifen muß, was
hinkt das Gleichniß freilich, denn ſie entbehren auch noth- wendig den Glauben an eine über ihnen waltende väterliche Liebe, welcher ſie im Leben und im Tode getroſt vertrauen können. Wer aber von dem Tode das Ende ſeines Daſeins erwartet, ſein eigenes Leben nur als eine vorübergehende Erſcheinung im Reiche der ewig wechſelnden Natur betrach- tet, für den gibt es ſchon aus dieſem Grunde keinen reinen, innigen Lebensgenuß. Wenn Alles was unſerem Leben Werth verleiht, uns nur für die kurze Spanne unſerer Lebenszeit bewilligt iſt und nach Ablauf derſelben die Vernichtung un- ſerer wartet, iſt da nicht jeder tiefere Lebensgenuß für uns vergiftet? Muß nicht bei jeder Freude, welcher wir uns hingeben wollen, der Gedanke uns ſtören, daß das Leben uns nur für ſo kurze Zeit geliehen iſt und daß mit ſeinem Ende nicht blos dieſe Freude, ſondern überhaupt jedes Glück, jede Empfindung für uns aufhören werde? Jſt für ein Herz, welches der Vernichtung geweiht iſt, nicht jede Freude ein ſchneidender Hohn? Wer mag mit Jntereſſe Nah- rung ſuchen für ſeinen Geiſt, wenn ſchon der nächſte Augen- blick das Gefäß zertrümmern kann, in welches er ſammelt? Wer mag Bündniſſe des Herzens mit voller Hingebung ſchließen, wahre Liebe, wahre Freundſchaft hegen, wenn ihm der Glaube an die Fortdauer der Perſönlichkeiten eine Thor- heit iſt, wenn Freundſchaft, Liebe und wir ſelbſt mit dem letzten Athemzuge erloſchen ſind? Und liegt nicht in dieſer troſtloſen Verlaſſenheit eine gerechte Strafe für unſeren Uebermuth? Erſt erklärt ſich der menſchliche Hochmuth für ſouverän, für die höchſte Macht im Himmel und auf Erden, und dann fühlt er ſich ſo bettelarm und hilflos, daß er mit der Gier der Verzweiflung nach Allem greifen muß, was
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hinkt das Gleichniß freilich, denn ſie entbehren auch noth-
wendig den Glauben an eine über ihnen waltende väterliche
Liebe, welcher ſie im Leben und im Tode getroſt vertrauen
können. Wer aber von dem Tode das Ende ſeines Daſeins
erwartet, ſein eigenes Leben nur als eine vorübergehende
Erſcheinung im Reiche der ewig wechſelnden Natur betrach-
tet, für den gibt es ſchon aus dieſem Grunde keinen reinen,
innigen Lebensgenuß. Wenn Alles was unſerem Leben Werth
verleiht, uns nur für die kurze Spanne unſerer Lebenszeit
bewilligt iſt und nach Ablauf derſelben die Vernichtung un-
ſerer wartet, iſt da nicht jeder tiefere Lebensgenuß für uns
vergiftet? Muß nicht bei jeder Freude, welcher wir uns
hingeben wollen, der Gedanke uns ſtören, daß das Leben
uns nur für ſo kurze Zeit geliehen iſt und daß mit ſeinem
Ende nicht blos dieſe Freude, ſondern überhaupt jedes
Glück, jede Empfindung für uns aufhören werde? Jſt für
ein Herz, welches der Vernichtung geweiht iſt, nicht jede
Freude ein ſchneidender Hohn? Wer mag mit Jntereſſe Nah-
rung ſuchen für ſeinen Geiſt, wenn ſchon der nächſte Augen-
blick das Gefäß zertrümmern kann, in welches er ſammelt?
Wer mag Bündniſſe des Herzens mit voller Hingebung
ſchließen, wahre Liebe, wahre Freundſchaft hegen, wenn ihm
der Glaube an die Fortdauer der Perſönlichkeiten eine Thor-
heit iſt, wenn Freundſchaft, Liebe und wir ſelbſt mit dem
letzten Athemzuge erloſchen ſind? Und liegt nicht in dieſer
troſtloſen Verlaſſenheit eine gerechte Strafe für unſeren
Uebermuth? Erſt erklärt ſich der menſchliche Hochmuth für
ſouverän, für die höchſte Macht im Himmel und auf Erden,
und dann fühlt er ſich ſo bettelarm und hilflos, daß er mit
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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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