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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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lichen Einflusses gar nicht zur rechten Entwickelung gelangen
kann: Sie würde von dem Grundsatz ausgehen, daß jeder
Beamte in dem ihm angewiesenen Kreise möglichst lange
bleiben solle. Denn der Einfluß einer sittlichen Persönlichkeit
wächst von Jahr zu Jahr in steigender Progression. Sind
diese Beamten die rechten Leute nicht, so werden sie durch's
Versetzen nicht besser. Wohl aber kann sogar ein Mann von
schwächerem Charakter, wenn er voraus weiß, daß er eine
lange Reihe von Jahren in dem gleichen Wirkungskreise
bleiben werde, in dieser Aussicht einen Sporn finden, um
Gutes zu wirken, weil er die Früchte wird um sich her reifen
sehen, die er gesäet hat, während er bei einem System,
welches die Beamten, um sie zu gewandten Geschäftsleuten
zu machen, umhertreibt wie die Figuren eines Schachbretts,
stets den Trost hat, daß eine sichere Beurtheilung seiner
Wirksamkeit nach dem Erfolge kaum möglich sein wird. Wir
aber machen es in beiden Beziehungen anders. Je schwieriger
die Verhältnisse werden, um so mehr vervielfältigen wir die
Jnstruktionen und Vorschriften, an welche die ausübenden
Beamten gebunden sind. Und wenn wir eines schönen Mor-
gens die Entdeckung machen, daß in Folge unserer super-
klugen Einrichtungen eine tiefe Kluft die Regierenden von
den Regierten trennt, und daß das Räderwerk der Staats-
maschine aus diesem Grunde nicht mehr einzugreifen vermag,
so geben wir bald den Gesetzen und Verordnungen die Schuld
und suchen durch bessere Gesetze oder durch Jnstrüktionen,
welche die Abhängigkeit der Beamten noch mehr steigern, dem
Uebelstände abzuhelfen, bald geben wir den Personen die
Schuld und versetzen dieselben weit weg an eine andere Stelle,
wo sie den Leuten und diese ihnen ganz unbekannt sind, und

lichen Einfluſſes gar nicht zur rechten Entwickelung gelangen
kann: Sie würde von dem Grundſatz ausgehen, daß jeder
Beamte in dem ihm angewieſenen Kreiſe möglichſt lange
bleiben ſolle. Denn der Einfluß einer ſittlichen Perſönlichkeit
wächst von Jahr zu Jahr in ſteigender Progreſſion. Sind
dieſe Beamten die rechten Leute nicht, ſo werden ſie durch’s
Verſetzen nicht beſſer. Wohl aber kann ſogar ein Mann von
ſchwächerem Charakter, wenn er voraus weiß, daß er eine
lange Reihe von Jahren in dem gleichen Wirkungskreiſe
bleiben werde, in dieſer Ausſicht einen Sporn finden, um
Gutes zu wirken, weil er die Früchte wird um ſich her reifen
ſehen, die er geſäet hat, während er bei einem Syſtem,
welches die Beamten, um ſie zu gewandten Geſchäftsleuten
zu machen, umhertreibt wie die Figuren eines Schachbretts,
ſtets den Troſt hat, daß eine ſichere Beurtheilung ſeiner
Wirkſamkeit nach dem Erfolge kaum möglich ſein wird. Wir
aber machen es in beiden Beziehungen anders. Je ſchwieriger
die Verhältniſſe werden, um ſo mehr vervielfältigen wir die
Jnſtruktionen und Vorſchriften, an welche die ausübenden
Beamten gebunden ſind. Und wenn wir eines ſchönen Mor-
gens die Entdeckung machen, daß in Folge unſerer ſuper-
klugen Einrichtungen eine tiefe Kluft die Regierenden von
den Regierten trennt, und daß das Räderwerk der Staats-
maſchine aus dieſem Grunde nicht mehr einzugreifen vermag,
ſo geben wir bald den Geſetzen und Verordnungen die Schuld
und ſuchen durch beſſere Geſetze oder durch Jnſtrüktionen,
welche die Abhängigkeit der Beamten noch mehr ſteigern, dem
Uebelſtände abzuhelfen, bald geben wir den Perſonen die
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[112/0118] lichen Einfluſſes gar nicht zur rechten Entwickelung gelangen kann: Sie würde von dem Grundſatz ausgehen, daß jeder Beamte in dem ihm angewieſenen Kreiſe möglichſt lange bleiben ſolle. Denn der Einfluß einer ſittlichen Perſönlichkeit wächst von Jahr zu Jahr in ſteigender Progreſſion. Sind dieſe Beamten die rechten Leute nicht, ſo werden ſie durch’s Verſetzen nicht beſſer. Wohl aber kann ſogar ein Mann von ſchwächerem Charakter, wenn er voraus weiß, daß er eine lange Reihe von Jahren in dem gleichen Wirkungskreiſe bleiben werde, in dieſer Ausſicht einen Sporn finden, um Gutes zu wirken, weil er die Früchte wird um ſich her reifen ſehen, die er geſäet hat, während er bei einem Syſtem, welches die Beamten, um ſie zu gewandten Geſchäftsleuten zu machen, umhertreibt wie die Figuren eines Schachbretts, ſtets den Troſt hat, daß eine ſichere Beurtheilung ſeiner Wirkſamkeit nach dem Erfolge kaum möglich ſein wird. Wir aber machen es in beiden Beziehungen anders. Je ſchwieriger die Verhältniſſe werden, um ſo mehr vervielfältigen wir die Jnſtruktionen und Vorſchriften, an welche die ausübenden Beamten gebunden ſind. Und wenn wir eines ſchönen Mor- gens die Entdeckung machen, daß in Folge unſerer ſuper- klugen Einrichtungen eine tiefe Kluft die Regierenden von den Regierten trennt, und daß das Räderwerk der Staats- maſchine aus dieſem Grunde nicht mehr einzugreifen vermag, ſo geben wir bald den Geſetzen und Verordnungen die Schuld und ſuchen durch beſſere Geſetze oder durch Jnſtrüktionen, welche die Abhängigkeit der Beamten noch mehr ſteigern, dem Uebelſtände abzuhelfen, bald geben wir den Perſonen die Schuld und verſetzen dieſelben weit weg an eine andere Stelle, wo ſie den Leuten und dieſe ihnen ganz unbekannt ſind, und

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/118>, abgerufen am 24.11.2024.