Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849.[Spaltenumbruch]
alten Arndt[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]an, der muthig und heiter wie ein Jüngling um sich schaute, Außerordentliche Sitzung der ersten Kammer,4 April Nach- mittags 4 Uhr. Nach Eingang der folgenden telegraphischen Depesche: "Der Ministerpräsident an den Präsidenten der ersten Kammer in Berlin. Potsdam, 4 April 1 Uhr Mittags.(Gez.) Graf Brandenburg" glieder der ersten Kammer plötzlich zu einer außerordentlichen Sitzung um 4 Uhr zusammenberufen, welche dann auch um diese Zeit durch den Vice- präsidenten v. Wittgenstein eröffnet wurde. Derselbe benachrichtigte die Kammer von der eingegangenen Depesche, worauf der anwesende Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Arnim, mittheilte daß die Regie- rung Sr. Maj. an ihre sämmtlichen bei den deutschen Regierungen beglau- bigten Gesandten folgende Circularnote erlassen habe: "Berlin, 3 April 1849. Welche Eröffnungen Se. Maj. der König der Deputation der deut- *) So die Deutsche Resorm und die Berliner Nachr.; nach der
Kammerzeitung und andern Blättern hieße es: "wobei es wünschens- werth erscheint daß die neue Gestaltung den noch bestehenden Bundes- verhältnissen angepaßt werde" Ein authentischer Abdruck der Note fehlt noch, indeß scheint der Abdruck der Deutschen Reform der richtigere zu seyn. [Spaltenumbruch]
alten Arndt[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]an, der muthig und heiter wie ein Jüngling um ſich ſchaute, Außerordentliche Sitzung der erſten Kammer,4 April Nach- mittags 4 Uhr. Nach Eingang der folgenden telegraphiſchen Depeſche: „Der Miniſterpräſident an den Präſidenten der erſten Kammer in Berlin. Potsdam, 4 April 1 Uhr Mittags.(Gez.) Graf Brandenburg“ glieder der erſten Kammer plötzlich zu einer außerordentlichen Sitzung um 4 Uhr zuſammenberufen, welche dann auch um dieſe Zeit durch den Vice- präſidenten v. Wittgenſtein eröffnet wurde. Derſelbe benachrichtigte die Kammer von der eingegangenen Depeſche, worauf der anweſende Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Arnim, mittheilte daß die Regie- rung Sr. Maj. an ihre ſämmtlichen bei den deutſchen Regierungen beglau- bigten Geſandten folgende Circularnote erlaſſen habe: „Berlin, 3 April 1849. Welche Eröffnungen Se. Maj. der König der Deputation der deut- *) So die Deutſche Reſorm und die Berliner Nachr.; nach der
Kammerzeitung und andern Blättern hieße es: „wobei es wünſchens- werth erſcheint daß die neue Geſtaltung den noch beſtehenden Bundes- verhältniſſen angepaßt werde“ Ein authentiſcher Abdruck der Note fehlt noch, indeß ſcheint der Abdruck der Deutſchen Reform der richtigere zu ſeyn. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1500"/><cb/> alten Arndt<gap reason="lost" unit="chars" quantity="1"/>an, der muthig und heiter wie ein Jüngling um ſich ſchaute,<lb/> bis auf unſere bis ehegeſtern ſo ſcheue, apathiſche Bevölkerung. Das<lb/> Schwarz und Weiß ſchien von der Straße verſchwunden, zwar nicht in<lb/> Demonſtrationen von Fahnen und Kokarden (die bei uns in Verruf ge-<lb/> kommen), ſondern in Blick, Miene und Rede. Die Umwandlung iſt über-<lb/> rafchend ſchnell und maſſenhaft erfolge, ſelbſt in unſrer Bureaukratie.<lb/> Ein Bureaukrat, deſſen ehemalige Geſinnungen ich kannte — und ſie waren<lb/> ſehr weit vom Kaiſerthum entfernt, erklärte mir mit Heftigkeit: es iſt gar<lb/> keine Frage, er kann nicht anders, er muß. Meine Zweifel die ich hier<lb/> ſtärker zu äußern wagte, wies er heftig zurück. Von einem altpreußiſchen<lb/> höhern Beamten erwartete ich es am wenigſten daß er alle die Bedenken<lb/> welche ſelbſt die Deutſche Reform am erſten Tage nach Bekanntwerdung der<lb/> Wahl hervorgezogen, widerlegen werde. Aber er that es gefliſſentlich: „in<lb/> das ſuspenſive Veto muß man ſich fügen, es iſt nur der ſchlimme Schein;<lb/> in Wirklichkeit (wie es wirklich iſt) hat es keine Bedeutung. Gegen das<lb/> allgemeine Wahlrecht iſt überhaupt in dieſem Augenblick nicht anzukäm-<lb/> pfen, warum ſollte man deßhalb einer Krone entſagen! 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Graf Brandenburg hatte noch geſtern Abend<lb/> ſpät die Präſtdenten Simſon und Beſeler zu ſich geladen und ihnen den<lb/> Inhalt der heutigen Antwort mitgetheilt, und — ſie waren zufrieden von<lb/> ihm gegangen. — Und heute 12½ Uhr im Ritterſaale des königlichen Schloſ-<lb/> ſes empfängt der König die deutſchen Kaiſerboten, und ſpricht die Worte<lb/> welche Sie ebenſo ſchnell als dieſe Zeilen durch den Staatsanzeiger, den<lb/> ich noch nicht erhielt, empfangen werden. Ich las zuerſt den Eindruck der<lb/> Worte in den ernſten, das Publicum ſagte — langen Phyſiognomien der<lb/> Deputirten, wie ſie aus dem Schloſſe kamen. Es waren ganz andere Ge-<lb/> ſichter als die hineingingen. Dann verbreitete ſich allmählich das geſpro-<lb/> chene Wort in vielfachen Nachſchriften. Das Mißgeſchick des <hi rendition="#g">Wortes,</hi><lb/> daß es ſo vielfach gedeutet werden kann! 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Das Schickſal dieſes Adreſſeantrags iſt<lb/> heute noch nicht entſchieden, aber wenn er, wie nicht zu zweifeln, von den<lb/> Hauptparteien der Kammer unterſtützt durchgeht, ſo iſt das Ende davon<lb/> nicht abzuſehen. Was kann hier ein Miniſterwechſel helfen, und kann das<lb/> populärſte Miniſterium den König nöthigen eine andere Antwort zu geben<lb/> und ihn? zwingen die Kaiſerkrone ohne Frage und Bedenken anzunehmen?<lb/> Iſt dieß innerhalb der conſtitutionellen Machtvollkommenheit? Und wenn,<lb/> iſt es dann noch möglich, iſt nicht wieder ein Wurf verſäumt und die Reue<lb/> zu ſpät? Aber das find nur Anſichten des aufgeregten Augenblickes. Es<lb/> iſt ſehr möglich, es iſt ſogar wahrſcheinlich daß man ſchon jetzt am Hofe<lb/> die Wirkungen der Rede bereut, noch möglicher daß man gar nicht an die-<lb/> ſelben|gedacht, daß man im beſten guten Glauben geſprochen hat alle zu<lb/> befriedigen, und nichts anderes zu ſagen als was alle glaubten daß man<lb/> ſagen würde. 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In Betracht daß der Erz-<lb/> herzog Reichsverweſer den Entſchluß gefaßt hat ſeine Stelle niederzule-<lb/> gen, und in Betracht der großen Gefahren welche für Deutſchland aus der<lb/> Verwirklichung dieſes Entſchluſſes erwachſen können, find Se. Majeſtät<lb/> der König bereit, auf den Antrag der deutſchen Regierungen und unter<lb/> Zuſtimmung der deutſchen Nationalverſammlung die proviſoriſche Lei-<lb/> tung der deutſchen Angelegenheiten zu übernehmen. Se. Majeſtät find,<lb/> dem ergangenen Rufe Folge leiſtend und eingedenk der Anſprüche welche<lb/> ihm Preußens Stellung in Deutſchland gewährt, entſchloſſen an die Spitze<lb/> eines deutſchen Bundesſtaates zu treten, der aus denjenigen Staaten ſich bildet<lb/> welche demſelben aus freiem Willen ſich anſchließen möchten. Die Formen<lb/> dieſes Bundesſtaates werden weſentlich davon abhängen, wie viel und<lb/> welche Staaten ſich demſelben anſchließen. Mit Rückſicht aber auf<lb/> die politiſchen Zuſtände von ganz Deutſchland und auf die Lage in<lb/> welcher die deutſche Nationalverſammlung ſich gegenwärtig befindet,<lb/> darf der zu faſſende Beſchluß nicht aufgehalten werden. 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alten Arndt_an, der muthig und heiter wie ein Jüngling um ſich ſchaute,
bis auf unſere bis ehegeſtern ſo ſcheue, apathiſche Bevölkerung. Das
Schwarz und Weiß ſchien von der Straße verſchwunden, zwar nicht in
Demonſtrationen von Fahnen und Kokarden (die bei uns in Verruf ge-
kommen), ſondern in Blick, Miene und Rede. Die Umwandlung iſt über-
rafchend ſchnell und maſſenhaft erfolge, ſelbſt in unſrer Bureaukratie.
Ein Bureaukrat, deſſen ehemalige Geſinnungen ich kannte — und ſie waren
ſehr weit vom Kaiſerthum entfernt, erklärte mir mit Heftigkeit: es iſt gar
keine Frage, er kann nicht anders, er muß. Meine Zweifel die ich hier
ſtärker zu äußern wagte, wies er heftig zurück. Von einem altpreußiſchen
höhern Beamten erwartete ich es am wenigſten daß er alle die Bedenken
welche ſelbſt die Deutſche Reform am erſten Tage nach Bekanntwerdung der
Wahl hervorgezogen, widerlegen werde. Aber er that es gefliſſentlich: „in
das ſuspenſive Veto muß man ſich fügen, es iſt nur der ſchlimme Schein;
in Wirklichkeit (wie es wirklich iſt) hat es keine Bedeutung. Gegen das
allgemeine Wahlrecht iſt überhaupt in dieſem Augenblick nicht anzukäm-
pfen, warum ſollte man deßhalb einer Krone entſagen! Endlich was geht
es uns, was den König und künftigen Kaiſer an daß man keinen Reichs-
rath, aus den Particularſtaaten zuſammengeſetzt, will? Alſo darum kein
Grund zur Verwerfung!“ — Das war viel geſagt von einem preußiſchen
Bureaukraten. Wer noch zweifeln konnte daß die ſtockpreußiſche Partei
von der Schaubühne abgetreten, wenigſtens tief in die Couliſſen zurückge-
drängt war, der mochte es in den Adreſſen leſen die von allen Seiten, na-
mentlich aus den ächtpreußiſchen Winkeln, einlieſen. So bis heute Mor-
gen der ein feſtlicher Morgen war, zur Freude wie geſchaffen, warm, voll
zoldnen Sonnenſcheins. Graf Brandenburg hatte noch geſtern Abend
ſpät die Präſtdenten Simſon und Beſeler zu ſich geladen und ihnen den
Inhalt der heutigen Antwort mitgetheilt, und — ſie waren zufrieden von
ihm gegangen. — Und heute 12½ Uhr im Ritterſaale des königlichen Schloſ-
ſes empfängt der König die deutſchen Kaiſerboten, und ſpricht die Worte
welche Sie ebenſo ſchnell als dieſe Zeilen durch den Staatsanzeiger, den
ich noch nicht erhielt, empfangen werden. Ich las zuerſt den Eindruck der
Worte in den ernſten, das Publicum ſagte — langen Phyſiognomien der
Deputirten, wie ſie aus dem Schloſſe kamen. Es waren ganz andere Ge-
ſichter als die hineingingen. Dann verbreitete ſich allmählich das geſpro-
chene Wort in vielfachen Nachſchriften. Das Mißgeſchick des Wortes,
daß es ſo vielfach gedeutet werden kann! Iſt nun das Wort des Königs,
wie er es im Ritterſaale ſprach, dasſelbe welches Graf Brandenburg vor
den Deputirten geſprochen, welches er geſtern Abend an Simſon mit-
theilte, klang es nur im Munde eines Königs anders, hat er es anders
betont, hat es ſich in ſeinem ſchaffenden Gemüthe über Nacht in ein ande-
res verwandelt? Alles das iſt möglich, aber gewiß nur daß der Eindruck
ein Niederſchlag auf jene Freude war. Ich will nicht glauben daß einige
der Deputirten im erſten Unmuth an eine ſofortige Abreiſe dachten. Als
Miniſter Manteuffel gegen 3 Uhr Nachmittags in der zweiten Kammer die
Antwort des Königs verlas, entſtand ein peinliches, tiefes Schweigen, dann
trat Vincke mit ſeiner Mißtrauensadreſſe vor, die deutlicher nicht gut das
ausſprechen konnte was im ganzen beſſern Theile der preußiſchen, der
deutſchen Nation empfunden wird. Das Schickſal dieſes Adreſſeantrags iſt
heute noch nicht entſchieden, aber wenn er, wie nicht zu zweifeln, von den
Hauptparteien der Kammer unterſtützt durchgeht, ſo iſt das Ende davon
nicht abzuſehen. Was kann hier ein Miniſterwechſel helfen, und kann das
populärſte Miniſterium den König nöthigen eine andere Antwort zu geben
und ihn? zwingen die Kaiſerkrone ohne Frage und Bedenken anzunehmen?
Iſt dieß innerhalb der conſtitutionellen Machtvollkommenheit? Und wenn,
iſt es dann noch möglich, iſt nicht wieder ein Wurf verſäumt und die Reue
zu ſpät? Aber das find nur Anſichten des aufgeregten Augenblickes. Es
iſt ſehr möglich, es iſt ſogar wahrſcheinlich daß man ſchon jetzt am Hofe
die Wirkungen der Rede bereut, noch möglicher daß man gar nicht an die-
ſelben|gedacht, daß man im beſten guten Glauben geſprochen hat alle zu
befriedigen, und nichts anderes zu ſagen als was alle glaubten daß man
ſagen würde. Es iſt möglich daß man anzunehmen glaubte, wo das ent-
täuſchte Publicum ein Ablehnen herauslas. Sollte doch die Zuſtimmung
von zwanzig Regierungen ſchon eingegangen ſeyn, und man ſtünde in Er-
wartung daß die ſehr bedeutende von andern im Eingehen wäre. Auch
möglich, ja wahrſcheinlich daß der König jener angedeuteten Einwendun-
gen gegen die Abſchwächung der Kaiſermacht ſich im Einverſtändniß mit
verſchiedenen Regierungen bereits begeben hat, und jene Worte nur als
einen Proteſt für die geheiligten Kronenrechte gebraucht hat. Das aber
iſt unwiderlegbar? ausgemacht und gewiß daß uns die Zeit umſonſt ge-
mahnt hat den Augenblick zu begreifen und ihre Sprache zu reden, daß wir
im beſten Glauben und in Unſchuld wieder in Vorſtellungen verſinken von
denen ſie uns fortriß, und daß wenn der König der Könige, den Frie-
drich Wilhelm hier wieder anrief, uns auch dießmal aus dem Sirudel
herausreißt, das Königthum darum nicht feſter daraus hervorgeht, weil
es |aus Großmuth, Beſcheidenheit, Scheu |oder Bangigkeit zauderte nach
einer Kaiſerkrone zu greifen.
Außerordentliche Sitzung der erſten Kammer,4 April Nach-
mittags 4 Uhr.
Nach Eingang der folgenden telegraphiſchen Depeſche:
„Der Miniſterpräſident an den Präſidenten der erſten Kammer in Berlin.
Die hier anweſenden Miniſter werden mit dem um 2 Uhr von hier abge-
henden Zug nach Berlin zurückkehren. Nach ihrer Rückkehr werden ſie
ſich direct zu erſten Kammer begeben, um in Beziehung auf die deutſchen
Angelegenbeiten der Kammer weitere Eröffnungen zu machen.
Potsdam,
4 April 1 Uhr Mittags.(Gez.) Graf Brandenburg“ wurden die Mit-
glieder der erſten Kammer plötzlich zu einer außerordentlichen Sitzung um
4 Uhr zuſammenberufen, welche dann auch um dieſe Zeit durch den Vice-
präſidenten v. Wittgenſtein eröffnet wurde. Derſelbe benachrichtigte die
Kammer von der eingegangenen Depeſche, worauf der anweſende Miniſter
der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Arnim, mittheilte daß die Regie-
rung Sr. Maj. an ihre ſämmtlichen bei den deutſchen Regierungen beglau-
bigten Geſandten folgende Circularnote erlaſſen habe: „Berlin, 3 April
1849. Welche Eröffnungen Se. Maj. der König der Deputation der deut-
ſchen Nationalverſammlung heut gemacht haben, die hierber gekommen
war um auf Grund der gefaßten Beſchlüſſe Allerhöchſtdemſelben die Kaiſer-
krone Deutſchlands anzutragen, wollen Ew. — aus der Anlage entnehmen.
Dieſe Rede bedarf weiter keiner Deutung. Während auf der einen Seite
die Bedeutung der in Frankfurt getroffenen Wahl anerkannt, und in Folge
derſelben an die Spitze Deutſchlands zu treten erklärt wird, hat Se. Maj.
auf der andern Seite feſtgehalten daran daß die Verfaſſung Deutſchlands
nur im Wege der Vereinbarung feſtgeſtellt werde, und daß die getroffene
Wahl nur durch das freie Einverſtändniß der Regierungen zur vollen
Rechtsgültigkeit gelangen kann. Um dieſem Einverſtändniß in keiner
Weiſe vorzugreifen, um ſelbſt den Schein eines indirecten Zwanges zu ver-
meiden, iſt auch nicht, wie es von mehreren Seiten erwartet wurde, unter
Vorbehalt oder unter Vorausſetzung des nachfolgenden Einverſtändniſſes
der Einzelſtaaten die Annahme der Wahl ausgeſprochen worden. Je
größere Gewiſſenhaftigkeit und Zurückhaltung in dieſer Beziebung be-
wieſen worden, um ſo mehr iſt aber auch die Regierung Sr. Maj. des
Königs der Verpflichtung ſich bewußt, ſo viel an ihr iſt, die Geſchicke
Deutſchlands auf der Bahn ihrer Entwickelung zu fördern und der erſehn-
ten Vollendung entgegen zuführen. Sie hält ſich daher jetzt für ebenſo
verbunden als berechtigt in dieſer Angelegenheit ein offenes Wort an
die übrigen deutſchen Regierungen zu richten. In Betracht daß der Erz-
herzog Reichsverweſer den Entſchluß gefaßt hat ſeine Stelle niederzule-
gen, und in Betracht der großen Gefahren welche für Deutſchland aus der
Verwirklichung dieſes Entſchluſſes erwachſen können, find Se. Majeſtät
der König bereit, auf den Antrag der deutſchen Regierungen und unter
Zuſtimmung der deutſchen Nationalverſammlung die proviſoriſche Lei-
tung der deutſchen Angelegenheiten zu übernehmen. Se. Majeſtät find,
dem ergangenen Rufe Folge leiſtend und eingedenk der Anſprüche welche
ihm Preußens Stellung in Deutſchland gewährt, entſchloſſen an die Spitze
eines deutſchen Bundesſtaates zu treten, der aus denjenigen Staaten ſich bildet
welche demſelben aus freiem Willen ſich anſchließen möchten. Die Formen
dieſes Bundesſtaates werden weſentlich davon abhängen, wie viel und
welche Staaten ſich demſelben anſchließen. Mit Rückſicht aber auf
die politiſchen Zuſtände von ganz Deutſchland und auf die Lage in
welcher die deutſche Nationalverſammlung ſich gegenwärtig befindet,
darf der zu faſſende Beſchluß nicht aufgehalten werden. Ew. —
wollen demnach an diejenigen deutſchen Regierungen, bei welchen Sie
beglaubigt find, die dringende Aufforderung richten ohne allen Verzug beſon-
dere Bevollmächtigte in Frankfurt zu beſtellen welche bindende Erklärungen
abzugeben im Stande find: 1) über den Beitritt zum Bundesſtaate
und die Bedingungen unter denen er erfolgt; 2) über die Stellung
welche die ſolchergeſtalt zu einem Bundesſtaate zu vereinigenden Re-
gierungen demnächſt zu der deutſchen Nationalverſammlung und den
von ihr bereits gefaßten Beſchlüſſen einzunehmen haben mit der Maß-
gabe daß das Werk der Vereinbarung unverzüglich in Angriff genom-
men werde; 3) über das Verhältniß zu denjenigen deutſchen Staaten welche
dieſem Bundesſtaate beizutreten Anſtand nehmen, wobei es wünſchenswerth
und anzuſtreben iſt, die noch beſtehenden Bundesverhältniſſe der neuen Staats-
form anzupaſſen. *) Die Regierung Sr. Maj. wird binnen längſtens 8
Tagen einen Bevollmächtigten in Frankfurt mit der erfgorderlichen Inſtruc-
tion und Autoriſation verſehen haben, und darf ſich der Hoffnung hingeben
*) So die Deutſche Reſorm und die Berliner Nachr.; nach der
Kammerzeitung und andern Blättern hieße es: „wobei es wünſchens-
werth erſcheint daß die neue Geſtaltung den noch beſtehenden Bundes-
verhältniſſen angepaßt werde“ Ein authentiſcher Abdruck der Note fehlt
noch, indeß ſcheint der Abdruck der Deutſchen Reform der richtigere zu ſeyn.
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(2022-09-09T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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