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Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Hände wenn die Züge, mit Fackeln und Geschrei, vorüberbrausten.
Und doch soll der Orden gereizt haben; nicht durch eine, durch eine
ganze Reihe von Predigten, von denen jene am letzten Sonntag gehal-
tene, nur das Siegel darauf, oder will man, dem Faß den Boden aus-
drückte. Man constatirte das Factum, man hielt es dem Papst, dem
Volk hin, um etwas handfestes, augenfälliges ihnen zu zeigen. Aber
schwerlich hätte dieser letzte Aufschrei ohnmächtiger Wuth die Verfolgung
jetzt locken können, Todesseufzen und Verwünschungen gönnt man jedem
Sterbenden; diese scheint mehr in geheimem Zusammenhang mit dem
letzten Widerstande der Cardinäle gegen das Verfassungswerk zu stehen.
Was ich oder andere Ihnen letzthin als Fabel berichtet, sey volle, furcht-
bar unglaubliche Wahrheit, wird jetzt versichert; nicht protestirt allein
hätten mehrere Cardinäle gegen die Verfassungsgebung, sondern wirk-
lich wären sie den heiligen Vater mit dem Antrag angegangen: da sie
das Wesen nicht länger mit ansehen könnten ihnen zu erlauben sich nach
Venedig unter österreichischen Schutz zurückzuziehen. Und Pius habe
wirklich die Hand auf ihre Schulter gelegt: das sey Euch unbenommen,
aber dieß (den Purpur) laßt Ihr in Rom zurück. Glaubwürdige Män-
ner glauben es. Der römische Zorn war erwacht, mehr als ich glaubte.
Konnte Pius nicht strenger seyn, höre ich rufen, gegen die welche seinen
Zorn hervorgerufen! Leo X war es seiner Zeit gegen seine rebelliren-
den Cardinäle.

Ehe die Constitution gegeben, blieb noch immer die Möglichkeit
daß die welche ihre ganze Macht dadurch verlieren, ihr Alles einsetzten
sie zu hintertreiben. Was in diesem Fall natürlicher, als daß sie den
mächtigen Orden in Bewegung setzten, der auch sein Alles zu verlieren
hatte, sein Alles einzusetzen! Unvernünftig kommt uns, vom ruhigen
Standpunkte der Weltanschauung aus zusehend, der Calcul vor; aber
wenn immer nur Vernünftiges geschehen, wäre die Weltgeschichte eine
andere. Wenn ich von bejahrten, gewiegten, angesessenen und reichen
Männern eine solche Besorgniß ausgesprochen hörte, was Wunder daß
die Hitzköpfe sie theilten. Sogar die Bankklemme ward schon den Jesui-
ten zur Last gelegt; Unbehagen, Schrecken zu erregen, oder um sich mit
Reisegeldern zu versorgen, hätten sie plötzlich alles baare Geld heraus-
gezogen.

Zwischen Pius heutigem Angstruf und dem was gestern zu Tage
lag, müssen indeß noch Dinge im Dunkeln liegen, welche die Dringlich-
keit seiner Sprache erklären, Drohungen die im Publicum nicht bekannt
geworden, Drohungen die vielleicht nur er hören sollte. Wir kennen die
Machinationen, die, den edelsten Mann zu erschrecken, durch so lange
in Bewegung gesetzt wurden. So viel ist gewiß daß vergangene Nacht
eine ungewöhnliche Zahl Patrouillen der Civica durch die Straßen,
namentlich um die Quartiere der Jesuiten patrouillirten. Zwar pre-
[Spaltenumbruch] digte heute noch ein Jesuit in der Kirche del Gesu, aber das große Col-
legium Romanum steht leer, und 500 Schüler haben Vacanzen, weil sie
keinen Lehrer haben. Wir können sie nicht aufnehmen, sagte eine junge
Speranza zu mir, selbst Schüler des andern Gymnasiums, allenfalls
100, mehr nicht, wir sind selbst 500, für die übrigen muß die Stadt
zusehen wie sie sorgt. So scheint sich in der Stille, im Mittelpunkt des
katholischen Christenthums, der gewaltige Orden wieder von selbst auf-
zulösen, vor dem die katholische und akatholische Welt, zum zweitenmal,
ein Vierteljahrhundert durch in Gespensterfurcht schwebte. Ein gewaltige-
rer Geist als Ganganelli's stürzte sie, ohne Beweis, Urtheilsspruch,
ohne Proceß, aber auf eine furchtbare Anklage, auf die eine Vertbei-
digung fehlte. Einige wollen der Papst habe beabsichtigt, oder beab-
sichtige noch, eine Reformation des Ordens, alle politischen Bestand-
theile und Tendenzen davon trennend. Kann das Pius, können die
Väter das wollen, zugeben, sind es dann noch Jesuiten? Pius hat an
andere Dinge zu denken als an Constituirung eines neuen Mönchs-
ordens.

Am 15. Und es ist geschehen; heute die neue Verfassung procla-
mirt. Von dem Zuge der Civica, von der Bevölkerung Roms welche
Nachmittags abermals den Monte Cavallo dicht gedrängt füllte, von
dem Segen des Papstes vom Balcon herab, von dem einen Jubellaut
der die Luft erfüllte, werden Ihnen Andere berichten. Im ewigen Rom
scheint in diesem Augenblick nur ein Gefühl zu herrschen, das der Be-
friedigung. Sie haben es erreicht, was vor drei Monaten noch eine
Chimäre dünkte, eine Verfassung, auf den freisinnigsten Grundlagen
fußend, eine gegen die ich noch kein Wort des Tadels hörte. Die Stadt
brennt, nicht in unruhigem Fackellicht, in bengalischen Meteorflammen;
es ist ein ruhiger heller Lichtglanz über ihre Hügel und ihre Thäler
ausgegossen. Musikbanden spielen auf der Piazza Borghese und an
andern Plätzen, aber überall Harmonie, stille Freude, durch kein wildes
Geschrei unterbrochen. Ich ging mit Vergnügen durch diese frohen
Gesichter. Sie haben auf friedlichem Weg errungen das Gut, wo für
andere Völker noch immer ein langer, trüber Kampf in Aussicht steht.
Nur an einer Ecke des Corso eine Stockung. Sie schielten nach dem
Jesuitencollegium. Es ging das Gemurmel, man wolle -- durch eine
Katzenmusik die Väter begrüßen. Fechten noch gegen wei hende Schat-
ten! Es wird unterblieben seyn: Silencio e disprezzo! hörte ich Stim-
men von Männern die durch die Massen sich drängten. Stört nicht den
Freudentag! Vielleicht war es auch nur eine Drohung des Erwarteten.
Kein Römer hat es gewollt, die Civica würde es heute nimmer zugelas-
sen haben, versicherten Mehrere. Pius war zu Thränen bewegt, seine
Stimme zitterte als er den Segen sprach. Er soll aber nur froh be-
wegt seyn.

[irrelevantes Material]


[Spaltenumbruch] Hände wenn die Züge, mit Fackeln und Geſchrei, vorüberbrausten.
Und doch ſoll der Orden gereizt haben; nicht durch eine, durch eine
ganze Reihe von Predigten, von denen jene am letzten Sonntag gehal-
tene, nur das Siegel darauf, oder will man, dem Faß den Boden aus-
drückte. Man conſtatirte das Factum, man hielt es dem Papſt, dem
Volk hin, um etwas handfeſtes, augenfälliges ihnen zu zeigen. Aber
ſchwerlich hätte dieſer letzte Aufſchrei ohnmächtiger Wuth die Verfolgung
jetzt locken können, Todesſeufzen und Verwünſchungen gönnt man jedem
Sterbenden; dieſe ſcheint mehr in geheimem Zuſammenhang mit dem
letzten Widerſtande der Cardinäle gegen das Verfaſſungswerk zu ſtehen.
Was ich oder andere Ihnen letzthin als Fabel berichtet, ſey volle, furcht-
bar unglaubliche Wahrheit, wird jetzt verſichert; nicht proteſtirt allein
hätten mehrere Cardinäle gegen die Verfaſſungsgebung, ſondern wirk-
lich wären ſie den heiligen Vater mit dem Antrag angegangen: da ſie
das Weſen nicht länger mit anſehen könnten ihnen zu erlauben ſich nach
Venedig unter öſterreichiſchen Schutz zurückzuziehen. Und Pius habe
wirklich die Hand auf ihre Schulter gelegt: das ſey Euch unbenommen,
aber dieß (den Purpur) laßt Ihr in Rom zurück. Glaubwürdige Män-
ner glauben es. Der römiſche Zorn war erwacht, mehr als ich glaubte.
Konnte Pius nicht ſtrenger ſeyn, höre ich rufen, gegen die welche ſeinen
Zorn hervorgerufen! Leo X war es ſeiner Zeit gegen ſeine rebelliren-
den Cardinäle.

Ehe die Conſtitution gegeben, blieb noch immer die Möglichkeit
daß die welche ihre ganze Macht dadurch verlieren, ihr Alles einſetzten
ſie zu hintertreiben. Was in dieſem Fall natürlicher, als daß ſie den
mächtigen Orden in Bewegung ſetzten, der auch ſein Alles zu verlieren
hatte, ſein Alles einzuſetzen! Unvernünftig kommt uns, vom ruhigen
Standpunkte der Weltanſchauung aus zuſehend, der Calcul vor; aber
wenn immer nur Vernünftiges geſchehen, wäre die Weltgeſchichte eine
andere. Wenn ich von bejahrten, gewiegten, angeſeſſenen und reichen
Männern eine ſolche Beſorgniß ausgeſprochen hörte, was Wunder daß
die Hitzköpfe ſie theilten. Sogar die Bankklemme ward ſchon den Jeſui-
ten zur Laſt gelegt; Unbehagen, Schrecken zu erregen, oder um ſich mit
Reiſegeldern zu verſorgen, hätten ſie plötzlich alles baare Geld heraus-
gezogen.

Zwiſchen Pius heutigem Angſtruf und dem was geſtern zu Tage
lag, müſſen indeß noch Dinge im Dunkeln liegen, welche die Dringlich-
keit ſeiner Sprache erklären, Drohungen die im Publicum nicht bekannt
geworden, Drohungen die vielleicht nur er hören ſollte. Wir kennen die
Machinationen, die, den edelſten Mann zu erſchrecken, durch ſo lange
in Bewegung geſetzt wurden. So viel iſt gewiß daß vergangene Nacht
eine ungewöhnliche Zahl Patrouillen der Civica durch die Straßen,
namentlich um die Quartiere der Jeſuiten patrouillirten. Zwar pre-
[Spaltenumbruch] digte heute noch ein Jeſuit in der Kirche del Geſù, aber das große Col-
legium Romanum ſteht leer, und 500 Schüler haben Vacanzen, weil ſie
keinen Lehrer haben. Wir können ſie nicht aufnehmen, ſagte eine junge
Speranza zu mir, ſelbſt Schüler des andern Gymnaſiums, allenfalls
100, mehr nicht, wir ſind ſelbſt 500, für die übrigen muß die Stadt
zuſehen wie ſie ſorgt. So ſcheint ſich in der Stille, im Mittelpunkt des
katholiſchen Chriſtenthums, der gewaltige Orden wieder von ſelbſt auf-
zulöſen, vor dem die katholiſche und akatholiſche Welt, zum zweitenmal,
ein Vierteljahrhundert durch in Geſpenſterfurcht ſchwebte. Ein gewaltige-
rer Geiſt als Ganganelli’s ſtürzte ſie, ohne Beweis, Urtheilsſpruch,
ohne Proceß, aber auf eine furchtbare Anklage, auf die eine Vertbei-
digung fehlte. Einige wollen der Papſt habe beabſichtigt, oder beab-
ſichtige noch, eine Reformation des Ordens, alle politiſchen Beſtand-
theile und Tendenzen davon trennend. Kann das Pius, können die
Väter das wollen, zugeben, ſind es dann noch Jeſuiten? Pius hat an
andere Dinge zu denken als an Conſtituirung eines neuen Mönchs-
ordens.

Am 15. Und es iſt geſchehen; heute die neue Verfaſſung procla-
mirt. Von dem Zuge der Civica, von der Bevölkerung Roms welche
Nachmittags abermals den Monte Cavallo dicht gedrängt füllte, von
dem Segen des Papſtes vom Balcon herab, von dem einen Jubellaut
der die Luft erfüllte, werden Ihnen Andere berichten. Im ewigen Rom
ſcheint in dieſem Augenblick nur ein Gefühl zu herrſchen, das der Be-
friedigung. Sie haben es erreicht, was vor drei Monaten noch eine
Chimäre dünkte, eine Verfaſſung, auf den freiſinnigſten Grundlagen
fußend, eine gegen die ich noch kein Wort des Tadels hörte. Die Stadt
brennt, nicht in unruhigem Fackellicht, in bengaliſchen Meteorflammen;
es iſt ein ruhiger heller Lichtglanz über ihre Hügel und ihre Thäler
ausgegoſſen. Muſikbanden ſpielen auf der Piazza Borgheſe und an
andern Plätzen, aber überall Harmonie, ſtille Freude, durch kein wildes
Geſchrei unterbrochen. Ich ging mit Vergnügen durch dieſe frohen
Geſichter. Sie haben auf friedlichem Weg errungen das Gut, wo für
andere Völker noch immer ein langer, trüber Kampf in Ausſicht ſteht.
Nur an einer Ecke des Corſo eine Stockung. Sie ſchielten nach dem
Jeſuitencollegium. Es ging das Gemurmel, man wolle — durch eine
Katzenmuſik die Väter begrüßen. Fechten noch gegen wei hende Schat-
ten! Es wird unterblieben ſeyn: Silencio e disprezzo! hörte ich Stim-
men von Männern die durch die Maſſen ſich drängten. Stört nicht den
Freudentag! Vielleicht war es auch nur eine Drohung des Erwarteten.
Kein Römer hat es gewollt, die Civica würde es heute nimmer zugelaſ-
ſen haben, verſicherten Mehrere. Pius war zu Thränen bewegt, ſeine
Stimme zitterte als er den Segen ſprach. Er ſoll aber nur froh be-
wegt ſeyn.

[irrelevantes Material]


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[1390/0014] Hände wenn die Züge, mit Fackeln und Geſchrei, vorüberbrausten. Und doch ſoll der Orden gereizt haben; nicht durch eine, durch eine ganze Reihe von Predigten, von denen jene am letzten Sonntag gehal- tene, nur das Siegel darauf, oder will man, dem Faß den Boden aus- drückte. Man conſtatirte das Factum, man hielt es dem Papſt, dem Volk hin, um etwas handfeſtes, augenfälliges ihnen zu zeigen. Aber ſchwerlich hätte dieſer letzte Aufſchrei ohnmächtiger Wuth die Verfolgung jetzt locken können, Todesſeufzen und Verwünſchungen gönnt man jedem Sterbenden; dieſe ſcheint mehr in geheimem Zuſammenhang mit dem letzten Widerſtande der Cardinäle gegen das Verfaſſungswerk zu ſtehen. 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Sie haben es erreicht, was vor drei Monaten noch eine Chimäre dünkte, eine Verfaſſung, auf den freiſinnigſten Grundlagen fußend, eine gegen die ich noch kein Wort des Tadels hörte. Die Stadt brennt, nicht in unruhigem Fackellicht, in bengaliſchen Meteorflammen; es iſt ein ruhiger heller Lichtglanz über ihre Hügel und ihre Thäler ausgegoſſen. Muſikbanden ſpielen auf der Piazza Borgheſe und an andern Plätzen, aber überall Harmonie, ſtille Freude, durch kein wildes Geſchrei unterbrochen. Ich ging mit Vergnügen durch dieſe frohen Geſichter. Sie haben auf friedlichem Weg errungen das Gut, wo für andere Völker noch immer ein langer, trüber Kampf in Ausſicht ſteht. Nur an einer Ecke des Corſo eine Stockung. Sie ſchielten nach dem Jeſuitencollegium. Es ging das Gemurmel, man wolle — durch eine Katzenmuſik die Väter begrüßen. Fechten noch gegen wei hende Schat- ten! Es wird unterblieben ſeyn: Silencio e disprezzo! hörte ich Stim- men von Männern die durch die Maſſen ſich drängten. 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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848, S. 1390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine87_1848/14>, abgerufen am 25.11.2024.