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Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Privatcredits, also seines Reichthums, seiner Größe und Macht ent-
gegengeht. Es klingt wie bitterer Spott wenn man in den Pariser
Blättern von Wiederkehr des Vertrauens, von Wiederaufnahme des
Handels und dergl. reden sieht. Einige wenige Thatsachen werden
genügen den Werth solcher Versicherungen zu zeigen. Die Bank-
noten, sonst so sehr gesucht, kommen seit sie gezwungenen Umlauf ha-
ben, in steigenden Mißeredit; sie werden zwar jetzt von allen öffent-
lichen Cassen angenommen; aber wer baar Geld für sie haben will,
muß für eine Note von 1000 Franken mit 850 sich begnügen, und
wer diese sich zu verschaffen weiß, erachtet sich höchst glücklich. Wer
Silberzeug und andere Gegenstände aus edlen Metallen besitzt, läßt sie
einschmelzen um Geld dafür zu erhalten und damit das Land zu ver-
lassen, oder er vergräbt sie in die Erde. Allgemein herrscht die Besorg-
niß für das Eigenthum, und wer es kann verläßt das Land. Alle
Straßen sind von Auswandernden übersäet. Am 18 war der Zu-
drang zu der Nordbahn, welche die Straßen nach Belgien und Eng-
land zusammenfaßt, so groß daß trotz der außerordentlich vergrößerten
Zahl der den Morgens abgehenden Zug bildenden Wagen noch wenig-
stens die Hälfte der Personen die Plätze haben wollten nach Brüssel
oder Boulogne nicht untergebracht werden konnten. Allgemein mißt
man Ledru-Rollin das Streben nach der Dictatur bei, und zwischen
ihm und Garnier Pages ist es nach einer in Paris allgemein geglaub-
ten Angabe schon einmal vor wenigen Tagen, als jener auf die Macht
pochend welche die zu seinen Gunsten gestimmten Massen ihm geben,
einen drohenden Ton gegen die mäßiger gesinnten Regierungsmitglie-
der annahm, zu einem Auftritte gekommen, in welchem Garnier
Pages geradezu seinen Gegner mit eigener Hand zu erschießen gedroht
haben soll, wenn dieser sich unterfange seine Drohungen in Thaten zu
übersetzen. Es ist nur zu sehr zu fürchten daß Ledru-Rollin die Ober-
hand behalten wird, und was das heißen würde, darüber täuscht sich
in Paris selbst niemand: es wäre die Herrschaft des grassesten Despo-
tismus, und die volle Wiederkehr der Schreckensregierung wie 1793.
Der Schrecken hat übrigens thatsächlich schon begonnen. Wenn es
zweihundert Gamins einfällt, muß ganz Paris freiwillig gezwungen
beleuchten, wie dieß am 17 wirklich geschah: wer wagte einer in solcher Form
verlangten Freudenbezeugung sich zu entziehen? Die Blüthe des Handels
ergibt sich aus dem Umstande daß die größern Bankierhäuser nicht mehr wis-
sen wie fortkommen; große Magazine die sonst für 25,000 Fr. und dar-
über täglich verkauften, jetzt des Tags 100 Fr. und weniger einnehmen.
In den Provinzstädten zu Amiens, Arras, Boulogne herrscht eine Art
Erstarrung, daneben aber die tieffte Erbitterung über den Gang der
Dinge. Von Anhänglichkeit an die republicanische Regierungsform
fast keine Spur. Man unterwirft sich vorläusig noch, man wartet ab,
aber ob man dieß immer und noch lange thun wird, ist sehr zweifelhaft.
Die Leute sprechen ganz laut und ungescheuter als in Paris ihre Mei-
nung aus daß dieß nicht so fortgehen dürfe, könne. Sollte endlich Frank-
reich sich gegen Paris ermannen, und das von diesem aufgedrungene Joch
abschütteln wollen? Verbürgen möchte ich dieß nicht, aber ich halte es
auch nicht für unmöglich. Auch hier übt diese furchtbare Krise, diese
Anarchie, dieses Chaos in Paris den traurigsten Einfluß auf den Han-
del und die Industrie: allgemeine Klagen darüber, wie mir meine Freunde
hier einstimmig sagen.



Neapel und Sicilien.

Wir eilen mit raschen Schritten der An-
archie in die Arme. Das Ministerium, mit Ausnahme von Serra-
capriola und Dentice, der am wenigsten beliebtesten, fordert abermals
seine Entlassung. Unter dem Militär herrscht die größte Verstimmung,
und auch die Nationalgarde beginnt unter sich uneinig zu werden. Man
fürchtet einen Losbruch der Gendarmerie, welche sich nicht länger miß-
handeln und auch nicht unter andere Truppencorps stecken lassen will.
Der König sieht kummervoll wie täglich mehr die königliche Gewalt ihm
aus den Händen gerungen wird, macht vergebliche Kraftanstrengungen
und trauert thörichterweise über die gegebenen Concessionen. Unnützer-
weise zögert man mit der Anerkennung der französischen Republik, und
ein französisches Kriegsschiff kam von Marseille aus Lord Minto in Pa-
lermo zuvor. Ueberall in Sicilien werden republicanische Wünsche laut.
Ein schwacher Kriegsminister sendet dagegen Munition, Kartätschen
und Kanonen von Neapel! Das heißt mit andern Worten: man thut
alles um auch hier die Republik zu fördern. -- Nachschrift Abends.
[Spaltenumbruch] Mehrere Sicilianer welche Unruhen erregen wollten wurden verhaftet.
Die Lazzaroni find noch immer der Meinung daß man ihre Kirchen, ihre
Heiligen nnd ihre Priester angreifen will. Sie schworen für die Santa
side
zu sterben. Aus dem Gefängniß Concordia (Schuldgefängniß) ver-
suchten die Verhasteten auszubrechen. Wir schweben in fortdauernder
Unruhe. Es bedarf dictatorischer Maßregeln -- aber es ist kein Dicta-
tor, kein König, kein Ministerium vorhanden, und die Bewohner der
Hauptstadt stellen sich als Parteien einander gegenüber. Der Handel,
die Fabriken liegen darnieder und lächerlicherweise füllen sich noch die
Spalten des Regierungsjournals mit einem niederländischen Handels-
tractat und Intendantenreden ans Volk.




Aus glaubwürdiger Quelle ver-
nehme ich so eben die Beilegung der sicilischen Frage nach folgenden Be-
stimmungen: Ferdinand II (König von Neapel und Sicilien) ist fortan
für Sicilien Ferdinando IV, für Neapel Ferdinando V. Reichsverweser
Siciliens ist ein k. Prinz oder ein Sicilier. Dieser k. Stellvertreter
muß vom Parlament anerkannt seyn. Ganz getrennte Verwaltung. In
diplomatischen Geschäften eine gleiche Zahl Vertreter mit Neapel und im
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(eines Siciliers und eines Neapolitaners) nach Rom um vom regieren-
den Papst die Entscheidung zu erlangen. (Welch eine Vermehrung
päpstlichen Einflusses, da vorauszusehen daß Sicilier und Neapolitaner
sich stets in den Haaren liegen werden!) Eigenes Parlament und vollkom-
mene Unabhängigkeit in innern Angelegenheiten. Eigenes Heer, eigene
Nationalgarde, Forts, Festungen etc. werden übergeben (und wahrschein-
lich geschleift). Befehlshaber der Armee vom Parlament zu ernennen.
Das Parlament ernennt die Individuen für alle Militärgrade. Eigene
Fahne (Tricolor mit dem sicilischen Adler im weißen Felde). Eigenes Münz-
recht. Der König gibt den dritten Theil seiner Marine und das dahingehö-
rige Kriegs- und Rüstzeug an die Sicilier heraus. Italische Union. Die
dahingehörigen Geschäfte und Vorschläge gehen das Parlament an. König
Ferdinand billigt alle bisherigen Acta, Facta und Ernennungen des
Generalcomitats (also auch die Beförderungen der sicilischen Officiere
Longo, Simoncini u. a. welche seine Armee verlassen!) u. s. w. u. s. w.
Ich behalte mir die nähere Bestätigung der einzelnen Friedenspunkte
vor, obschon ich nicht daran zweifle daß König Ferdinand unter obwal-
tenden Umständen, wo Calabrien (von Sicilien bearbeltet) aufs neue
anfängt zu gähren, alles unterschreiben wird.



Italienische Reisefragmente.
XVIII.

Pius' Angstruf für zwei Bajoc in den
Straßen ausgeschrieen! Römer, keinen Scandal, um des großen
Gottes willen, der die Verruchten noch immer strafte, deren Hände sich
an dem Heiligsten vergriffen, keinen Scandal! Jedes Glied der Kirche
gehört ihr an, es hat seine geheiligten Rechte; es gibt gesetzliche Wege
es zu bestrafen wenn es ungerecht handelte. Nur keine Gewaltthat,
keinen Scandal! Endlich der Aufruf an die Civica; sie werde die Unbill
nicht dulden! Wenn Ludwig Philipp einsam, verkleidet aus Paris ent-
flieht, am Meeresgestade nach einer Fischerbarke umirrend, ein anderer
Lear, so ist das ein tragischer Zug der neuesten Geschichte, aber ein
großartiger; wenn ein Pius der Neunte so aus seinem einsamen Quiri-
nal zum Volke klagend, hülflos, die Hände erhebt, ist es auch ein tragi-
scher, aber ein tief schmerzlicher, ein peinlich niederdrückender Zug.
Und ein Pius, dessen Stimme noch in unser Ohr dröhnt, auch schmerz-
lich, aber welches Metall in dem Schmerz als er sein: non posso, non
debbo, non voglio!
den 20,000 Römern zurief, und alle schwiegen
zerknirscht! Es ward eine andere Zeit. Die Erde ward in ihren Vesten
erschüttert; muthet man den Menschen zu, um Charakterstärke zu be-
weisen, daß sie auf dem Berg noch stehen sollen der selbst nicht mehr steht?
Der Sturm gegen die Jesuiten kam in diesem Augenblick unerwartet;
er ist los, er braust allerorten, das künstliche, verschlungene, winkel-
reiche Gebäude des Ordens konnte ihm nicht mehr widerstehen. Das
ist ausgemachte Sache, aber der Athem des Zorns schien sich einen
Augenblick zu verschnaufen, nachdem er so viel anderes umgestürzt.
Woher jetzt, gerade hier in Rom, im Augenblick der Constitutions-
gebung ein neuer Ansatz gegen das wankende Gebäude? Es hängte ja
nicht Teppiche und Fahnen aus, es erleuchtete nicht seine Fenster;
schweigend und dunkel zog es den Kopf in die Schultern und faltete die

[Spaltenumbruch] Privatcredits, alſo ſeines Reichthums, ſeiner Größe und Macht ent-
gegengeht. Es klingt wie bitterer Spott wenn man in den Pariſer
Blättern von Wiederkehr des Vertrauens, von Wiederaufnahme des
Handels und dergl. reden ſieht. Einige wenige Thatſachen werden
genügen den Werth ſolcher Verſicherungen zu zeigen. Die Bank-
noten, ſonſt ſo ſehr geſucht, kommen ſeit ſie gezwungenen Umlauf ha-
ben, in ſteigenden Mißeredit; ſie werden zwar jetzt von allen öffent-
lichen Caſſen angenommen; aber wer baar Geld für ſie haben will,
muß für eine Note von 1000 Franken mit 850 ſich begnügen, und
wer dieſe ſich zu verſchaffen weiß, erachtet ſich höchſt glücklich. Wer
Silberzeug und andere Gegenſtände aus edlen Metallen beſitzt, läßt ſie
einſchmelzen um Geld dafür zu erhalten und damit das Land zu ver-
laſſen, oder er vergräbt ſie in die Erde. Allgemein herrſcht die Beſorg-
niß für das Eigenthum, und wer es kann verläßt das Land. Alle
Straßen ſind von Auswandernden überſäet. Am 18 war der Zu-
drang zu der Nordbahn, welche die Straßen nach Belgien und Eng-
land zuſammenfaßt, ſo groß daß trotz der außerordentlich vergrößerten
Zahl der den Morgens abgehenden Zug bildenden Wagen noch wenig-
ſtens die Hälfte der Perſonen die Plätze haben wollten nach Brüſſel
oder Boulogne nicht untergebracht werden konnten. Allgemein mißt
man Ledru-Rollin das Streben nach der Dictatur bei, und zwiſchen
ihm und Garnier Pagès iſt es nach einer in Paris allgemein geglaub-
ten Angabe ſchon einmal vor wenigen Tagen, als jener auf die Macht
pochend welche die zu ſeinen Gunſten geſtimmten Maſſen ihm geben,
einen drohenden Ton gegen die mäßiger geſinnten Regierungsmitglie-
der annahm, zu einem Auftritte gekommen, in welchem Garnier
Pagès geradezu ſeinen Gegner mit eigener Hand zu erſchießen gedroht
haben ſoll, wenn dieſer ſich unterfange ſeine Drohungen in Thaten zu
überſetzen. Es iſt nur zu ſehr zu fürchten daß Ledru-Rollin die Ober-
hand behalten wird, und was das heißen würde, darüber täuſcht ſich
in Paris ſelbſt niemand: es wäre die Herrſchaft des graſſeſten Deſpo-
tismus, und die volle Wiederkehr der Schreckensregierung wie 1793.
Der Schrecken hat übrigens thatſächlich ſchon begonnen. Wenn es
zweihundert Gamins einfällt, muß ganz Paris freiwillig gezwungen
beleuchten, wie dieß am 17 wirklich geſchah: wer wagte einer in ſolcher Form
verlangten Freudenbezeugung ſich zu entziehen? Die Blüthe des Handels
ergibt ſich aus dem Umſtande daß die größern Bankierhäuſer nicht mehr wiſ-
ſen wie fortkommen; große Magazine die ſonſt für 25,000 Fr. und dar-
über täglich verkauften, jetzt des Tags 100 Fr. und weniger einnehmen.
In den Provinzſtädten zu Amiens, Arras, Boulogne herrſcht eine Art
Erſtarrung, daneben aber die tieffte Erbitterung über den Gang der
Dinge. Von Anhänglichkeit an die republicaniſche Regierungsform
faſt keine Spur. Man unterwirft ſich vorläuſig noch, man wartet ab,
aber ob man dieß immer und noch lange thun wird, iſt ſehr zweifelhaft.
Die Leute ſprechen ganz laut und ungeſcheuter als in Paris ihre Mei-
nung aus daß dieß nicht ſo fortgehen dürfe, könne. Sollte endlich Frank-
reich ſich gegen Paris ermannen, und das von dieſem aufgedrungene Joch
abſchütteln wollen? Verbürgen möchte ich dieß nicht, aber ich halte es
auch nicht für unmöglich. Auch hier übt dieſe furchtbare Kriſe, dieſe
Anarchie, dieſes Chaos in Paris den traurigſten Einfluß auf den Han-
del und die Induſtrie: allgemeine Klagen darüber, wie mir meine Freunde
hier einſtimmig ſagen.



Neapel und Sicilien.

Wir eilen mit raſchen Schritten der An-
archie in die Arme. Das Miniſterium, mit Ausnahme von Serra-
capriola und Dentice, der am wenigſten beliebteſten, fordert abermals
ſeine Entlaſſung. Unter dem Militär herrſcht die größte Verſtimmung,
und auch die Nationalgarde beginnt unter ſich uneinig zu werden. Man
fürchtet einen Losbruch der Gendarmerie, welche ſich nicht länger miß-
handeln und auch nicht unter andere Truppencorps ſtecken laſſen will.
Der König ſieht kummervoll wie täglich mehr die königliche Gewalt ihm
aus den Händen gerungen wird, macht vergebliche Kraftanſtrengungen
und trauert thörichterweiſe über die gegebenen Conceſſionen. Unnützer-
weiſe zögert man mit der Anerkennung der franzöſiſchen Republik, und
ein franzöſiſches Kriegsſchiff kam von Marſeille aus Lord Minto in Pa-
lermo zuvor. Ueberall in Sicilien werden republicaniſche Wünſche laut.
Ein ſchwacher Kriegsminiſter ſendet dagegen Munition, Kartätſchen
und Kanonen von Neapel! Das heißt mit andern Worten: man thut
alles um auch hier die Republik zu fördern. — Nachſchrift Abends.
[Spaltenumbruch] Mehrere Sicilianer welche Unruhen erregen wollten wurden verhaftet.
Die Lazzaroni find noch immer der Meinung daß man ihre Kirchen, ihre
Heiligen nnd ihre Prieſter angreifen will. Sie ſchworen für die Santa
ſide
zu ſterben. Aus dem Gefängniß Concordia (Schuldgefängniß) ver-
ſuchten die Verhaſteten auszubrechen. Wir ſchweben in fortdauernder
Unruhe. Es bedarf dictatoriſcher Maßregeln — aber es iſt kein Dicta-
tor, kein König, kein Miniſterium vorhanden, und die Bewohner der
Hauptſtadt ſtellen ſich als Parteien einander gegenüber. Der Handel,
die Fabriken liegen darnieder und lächerlicherweiſe füllen ſich noch die
Spalten des Regierungsjournals mit einem niederländiſchen Handels-
tractat und Intendantenreden ans Volk.




Aus glaubwürdiger Quelle ver-
nehme ich ſo eben die Beilegung der ſiciliſchen Frage nach folgenden Be-
ſtimmungen: Ferdinand II (König von Neapel und Sicilien) iſt fortan
für Sicilien Ferdinando IV, für Neapel Ferdinando V. Reichsverweſer
Siciliens iſt ein k. Prinz oder ein Sicilier. Dieſer k. Stellvertreter
muß vom Parlament anerkannt ſeyn. Ganz getrennte Verwaltung. In
diplomatiſchen Geſchäften eine gleiche Zahl Vertreter mit Neapel und im
Falle der Gleichheit der Stimmen Abſendung zweier Bevollmächtigten
(eines Siciliers und eines Neapolitaners) nach Rom um vom regieren-
den Papſt die Entſcheidung zu erlangen. (Welch eine Vermehrung
päpſtlichen Einfluſſes, da vorauszuſehen daß Sicilier und Neapolitaner
ſich ſtets in den Haaren liegen werden!) Eigenes Parlament und vollkom-
mene Unabhängigkeit in innern Angelegenheiten. Eigenes Heer, eigene
Nationalgarde, Forts, Feſtungen ꝛc. werden übergeben (und wahrſchein-
lich geſchleift). Befehlshaber der Armee vom Parlament zu ernennen.
Das Parlament ernennt die Individuen für alle Militärgrade. Eigene
Fahne (Tricolor mit dem ſiciliſchen Adler im weißen Felde). Eigenes Münz-
recht. Der König gibt den dritten Theil ſeiner Marine und das dahingehö-
rige Kriegs- und Rüſtzeug an die Sicilier heraus. Italiſche Union. Die
dahingehörigen Geſchäfte und Vorſchläge gehen das Parlament an. König
Ferdinand billigt alle bisherigen Acta, Facta und Ernennungen des
Generalcomitats (alſo auch die Beförderungen der ſiciliſchen Officiere
Longo, Simoncini u. a. welche ſeine Armee verlaſſen!) u. ſ. w. u. ſ. w.
Ich behalte mir die nähere Beſtätigung der einzelnen Friedenspunkte
vor, obſchon ich nicht daran zweifle daß König Ferdinand unter obwal-
tenden Umſtänden, wo Calabrien (von Sicilien bearbeltet) aufs neue
anfängt zu gähren, alles unterſchreiben wird.



Italieniſche Reiſefragmente.
XVIII.

Pius’ Angſtruf für zwei Bajoc in den
Straßen ausgeſchrieen! Römer, keinen Scandal, um des großen
Gottes willen, der die Verruchten noch immer ſtrafte, deren Hände ſich
an dem Heiligſten vergriffen, keinen Scandal! Jedes Glied der Kirche
gehört ihr an, es hat ſeine geheiligten Rechte; es gibt geſetzliche Wege
es zu beſtrafen wenn es ungerecht handelte. Nur keine Gewaltthat,
keinen Scandal! Endlich der Aufruf an die Civica; ſie werde die Unbill
nicht dulden! Wenn Ludwig Philipp einſam, verkleidet aus Paris ent-
flieht, am Meeresgeſtade nach einer Fiſcherbarke umirrend, ein anderer
Lear, ſo iſt das ein tragiſcher Zug der neueſten Geſchichte, aber ein
großartiger; wenn ein Pius der Neunte ſo aus ſeinem einſamen Quiri-
nal zum Volke klagend, hülflos, die Hände erhebt, iſt es auch ein tragi-
ſcher, aber ein tief ſchmerzlicher, ein peinlich niederdrückender Zug.
Und ein Pius, deſſen Stimme noch in unſer Ohr dröhnt, auch ſchmerz-
lich, aber welches Metall in dem Schmerz als er ſein: non posso, non
debbo, non voglio!
den 20,000 Römern zurief, und alle ſchwiegen
zerknirſcht! Es ward eine andere Zeit. Die Erde ward in ihren Veſten
erſchüttert; muthet man den Menſchen zu, um Charakterſtärke zu be-
weiſen, daß ſie auf dem Berg noch ſtehen ſollen der ſelbſt nicht mehr ſteht?
Der Sturm gegen die Jeſuiten kam in dieſem Augenblick unerwartet;
er iſt los, er braust allerorten, das künſtliche, verſchlungene, winkel-
reiche Gebäude des Ordens konnte ihm nicht mehr widerſtehen. Das
iſt ausgemachte Sache, aber der Athem des Zorns ſchien ſich einen
Augenblick zu verſchnaufen, nachdem er ſo viel anderes umgeſtürzt.
Woher jetzt, gerade hier in Rom, im Augenblick der Conſtitutions-
gebung ein neuer Anſatz gegen das wankende Gebäude? Es hängte ja
nicht Teppiche und Fahnen aus, es erleuchtete nicht ſeine Fenſter;
ſchweigend und dunkel zog es den Kopf in die Schultern und faltete die

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[1389/0013] Privatcredits, alſo ſeines Reichthums, ſeiner Größe und Macht ent- gegengeht. Es klingt wie bitterer Spott wenn man in den Pariſer Blättern von Wiederkehr des Vertrauens, von Wiederaufnahme des Handels und dergl. reden ſieht. Einige wenige Thatſachen werden genügen den Werth ſolcher Verſicherungen zu zeigen. Die Bank- noten, ſonſt ſo ſehr geſucht, kommen ſeit ſie gezwungenen Umlauf ha- ben, in ſteigenden Mißeredit; ſie werden zwar jetzt von allen öffent- lichen Caſſen angenommen; aber wer baar Geld für ſie haben will, muß für eine Note von 1000 Franken mit 850 ſich begnügen, und wer dieſe ſich zu verſchaffen weiß, erachtet ſich höchſt glücklich. Wer Silberzeug und andere Gegenſtände aus edlen Metallen beſitzt, läßt ſie einſchmelzen um Geld dafür zu erhalten und damit das Land zu ver- laſſen, oder er vergräbt ſie in die Erde. Allgemein herrſcht die Beſorg- niß für das Eigenthum, und wer es kann verläßt das Land. Alle Straßen ſind von Auswandernden überſäet. Am 18 war der Zu- drang zu der Nordbahn, welche die Straßen nach Belgien und Eng- land zuſammenfaßt, ſo groß daß trotz der außerordentlich vergrößerten Zahl der den Morgens abgehenden Zug bildenden Wagen noch wenig- ſtens die Hälfte der Perſonen die Plätze haben wollten nach Brüſſel oder Boulogne nicht untergebracht werden konnten. Allgemein mißt man Ledru-Rollin das Streben nach der Dictatur bei, und zwiſchen ihm und Garnier Pagès iſt es nach einer in Paris allgemein geglaub- ten Angabe ſchon einmal vor wenigen Tagen, als jener auf die Macht pochend welche die zu ſeinen Gunſten geſtimmten Maſſen ihm geben, einen drohenden Ton gegen die mäßiger geſinnten Regierungsmitglie- der annahm, zu einem Auftritte gekommen, in welchem Garnier Pagès geradezu ſeinen Gegner mit eigener Hand zu erſchießen gedroht haben ſoll, wenn dieſer ſich unterfange ſeine Drohungen in Thaten zu überſetzen. Es iſt nur zu ſehr zu fürchten daß Ledru-Rollin die Ober- hand behalten wird, und was das heißen würde, darüber täuſcht ſich in Paris ſelbſt niemand: es wäre die Herrſchaft des graſſeſten Deſpo- tismus, und die volle Wiederkehr der Schreckensregierung wie 1793. Der Schrecken hat übrigens thatſächlich ſchon begonnen. Wenn es zweihundert Gamins einfällt, muß ganz Paris freiwillig gezwungen beleuchten, wie dieß am 17 wirklich geſchah: wer wagte einer in ſolcher Form verlangten Freudenbezeugung ſich zu entziehen? Die Blüthe des Handels ergibt ſich aus dem Umſtande daß die größern Bankierhäuſer nicht mehr wiſ- ſen wie fortkommen; große Magazine die ſonſt für 25,000 Fr. und dar- über täglich verkauften, jetzt des Tags 100 Fr. und weniger einnehmen. In den Provinzſtädten zu Amiens, Arras, Boulogne herrſcht eine Art Erſtarrung, daneben aber die tieffte Erbitterung über den Gang der Dinge. Von Anhänglichkeit an die republicaniſche Regierungsform faſt keine Spur. Man unterwirft ſich vorläuſig noch, man wartet ab, aber ob man dieß immer und noch lange thun wird, iſt ſehr zweifelhaft. Die Leute ſprechen ganz laut und ungeſcheuter als in Paris ihre Mei- nung aus daß dieß nicht ſo fortgehen dürfe, könne. Sollte endlich Frank- reich ſich gegen Paris ermannen, und das von dieſem aufgedrungene Joch abſchütteln wollen? Verbürgen möchte ich dieß nicht, aber ich halte es auch nicht für unmöglich. Auch hier übt dieſe furchtbare Kriſe, dieſe Anarchie, dieſes Chaos in Paris den traurigſten Einfluß auf den Han- del und die Induſtrie: allgemeine Klagen darüber, wie mir meine Freunde hier einſtimmig ſagen. Neapel und Sicilien. ∆ Neapel, 15 März. Wir eilen mit raſchen Schritten der An- archie in die Arme. Das Miniſterium, mit Ausnahme von Serra- capriola und Dentice, der am wenigſten beliebteſten, fordert abermals ſeine Entlaſſung. Unter dem Militär herrſcht die größte Verſtimmung, und auch die Nationalgarde beginnt unter ſich uneinig zu werden. Man fürchtet einen Losbruch der Gendarmerie, welche ſich nicht länger miß- handeln und auch nicht unter andere Truppencorps ſtecken laſſen will. Der König ſieht kummervoll wie täglich mehr die königliche Gewalt ihm aus den Händen gerungen wird, macht vergebliche Kraftanſtrengungen und trauert thörichterweiſe über die gegebenen Conceſſionen. Unnützer- weiſe zögert man mit der Anerkennung der franzöſiſchen Republik, und ein franzöſiſches Kriegsſchiff kam von Marſeille aus Lord Minto in Pa- lermo zuvor. Ueberall in Sicilien werden republicaniſche Wünſche laut. Ein ſchwacher Kriegsminiſter ſendet dagegen Munition, Kartätſchen und Kanonen von Neapel! Das heißt mit andern Worten: man thut alles um auch hier die Republik zu fördern. — Nachſchrift Abends. Mehrere Sicilianer welche Unruhen erregen wollten wurden verhaftet. Die Lazzaroni find noch immer der Meinung daß man ihre Kirchen, ihre Heiligen nnd ihre Prieſter angreifen will. Sie ſchworen für die Santa ſide zu ſterben. Aus dem Gefängniß Concordia (Schuldgefängniß) ver- ſuchten die Verhaſteten auszubrechen. Wir ſchweben in fortdauernder Unruhe. Es bedarf dictatoriſcher Maßregeln — aber es iſt kein Dicta- tor, kein König, kein Miniſterium vorhanden, und die Bewohner der Hauptſtadt ſtellen ſich als Parteien einander gegenüber. Der Handel, die Fabriken liegen darnieder und lächerlicherweiſe füllen ſich noch die Spalten des Regierungsjournals mit einem niederländiſchen Handels- tractat und Intendantenreden ans Volk. ∆ Neapel, 16 März Abends. Aus glaubwürdiger Quelle ver- nehme ich ſo eben die Beilegung der ſiciliſchen Frage nach folgenden Be- ſtimmungen: Ferdinand II (König von Neapel und Sicilien) iſt fortan für Sicilien Ferdinando IV, für Neapel Ferdinando V. Reichsverweſer Siciliens iſt ein k. Prinz oder ein Sicilier. Dieſer k. Stellvertreter muß vom Parlament anerkannt ſeyn. Ganz getrennte Verwaltung. In diplomatiſchen Geſchäften eine gleiche Zahl Vertreter mit Neapel und im Falle der Gleichheit der Stimmen Abſendung zweier Bevollmächtigten (eines Siciliers und eines Neapolitaners) nach Rom um vom regieren- den Papſt die Entſcheidung zu erlangen. (Welch eine Vermehrung päpſtlichen Einfluſſes, da vorauszuſehen daß Sicilier und Neapolitaner ſich ſtets in den Haaren liegen werden!) Eigenes Parlament und vollkom- mene Unabhängigkeit in innern Angelegenheiten. Eigenes Heer, eigene Nationalgarde, Forts, Feſtungen ꝛc. werden übergeben (und wahrſchein- lich geſchleift). Befehlshaber der Armee vom Parlament zu ernennen. Das Parlament ernennt die Individuen für alle Militärgrade. Eigene Fahne (Tricolor mit dem ſiciliſchen Adler im weißen Felde). Eigenes Münz- recht. Der König gibt den dritten Theil ſeiner Marine und das dahingehö- rige Kriegs- und Rüſtzeug an die Sicilier heraus. Italiſche Union. Die dahingehörigen Geſchäfte und Vorſchläge gehen das Parlament an. König Ferdinand billigt alle bisherigen Acta, Facta und Ernennungen des Generalcomitats (alſo auch die Beförderungen der ſiciliſchen Officiere Longo, Simoncini u. a. welche ſeine Armee verlaſſen!) u. ſ. w. u. ſ. w. Ich behalte mir die nähere Beſtätigung der einzelnen Friedenspunkte vor, obſchon ich nicht daran zweifle daß König Ferdinand unter obwal- tenden Umſtänden, wo Calabrien (von Sicilien bearbeltet) aufs neue anfängt zu gähren, alles unterſchreiben wird. Italieniſche Reiſefragmente. XVIII. ∸ Rom, 14 März. Pius’ Angſtruf für zwei Bajoc in den Straßen ausgeſchrieen! Römer, keinen Scandal, um des großen Gottes willen, der die Verruchten noch immer ſtrafte, deren Hände ſich an dem Heiligſten vergriffen, keinen Scandal! Jedes Glied der Kirche gehört ihr an, es hat ſeine geheiligten Rechte; es gibt geſetzliche Wege es zu beſtrafen wenn es ungerecht handelte. Nur keine Gewaltthat, keinen Scandal! Endlich der Aufruf an die Civica; ſie werde die Unbill nicht dulden! Wenn Ludwig Philipp einſam, verkleidet aus Paris ent- flieht, am Meeresgeſtade nach einer Fiſcherbarke umirrend, ein anderer Lear, ſo iſt das ein tragiſcher Zug der neueſten Geſchichte, aber ein großartiger; wenn ein Pius der Neunte ſo aus ſeinem einſamen Quiri- nal zum Volke klagend, hülflos, die Hände erhebt, iſt es auch ein tragi- ſcher, aber ein tief ſchmerzlicher, ein peinlich niederdrückender Zug. Und ein Pius, deſſen Stimme noch in unſer Ohr dröhnt, auch ſchmerz- lich, aber welches Metall in dem Schmerz als er ſein: non posso, non debbo, non voglio! den 20,000 Römern zurief, und alle ſchwiegen zerknirſcht! Es ward eine andere Zeit. Die Erde ward in ihren Veſten erſchüttert; muthet man den Menſchen zu, um Charakterſtärke zu be- weiſen, daß ſie auf dem Berg noch ſtehen ſollen der ſelbſt nicht mehr ſteht? Der Sturm gegen die Jeſuiten kam in dieſem Augenblick unerwartet; er iſt los, er braust allerorten, das künſtliche, verſchlungene, winkel- reiche Gebäude des Ordens konnte ihm nicht mehr widerſtehen. Das iſt ausgemachte Sache, aber der Athem des Zorns ſchien ſich einen Augenblick zu verſchnaufen, nachdem er ſo viel anderes umgeſtürzt. Woher jetzt, gerade hier in Rom, im Augenblick der Conſtitutions- gebung ein neuer Anſatz gegen das wankende Gebäude? Es hängte ja nicht Teppiche und Fahnen aus, es erleuchtete nicht ſeine Fenſter; ſchweigend und dunkel zog es den Kopf in die Schultern und faltete die

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848, S. 1389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine87_1848/13>, abgerufen am 22.11.2024.