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Allgemeine Zeitung, Nr. 84, 24. März 1848.

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Nr. 84.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 24 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Italienische Reisefragmente.
XVII.

Der letzte Kanonenschuß verhallte gestern
lange nach Ave Maria, ohne, wie herkömmlich, damit den Carneval zu
beendigen. Dieser war schon eine Stunde früher zu Ende, es brauchte
keiner Mahnung die Moccolilichter auszulöschen, es hatten keine ge-
brannt. Ein Carneval in Rom ist im Jahr 1848 ohne eine Moccoli-
nacht ausgeläutet worden! Weßhalb eigentlich keine Lichter angezündet
werden sollten, darüber ist man heute, am Aschermittwoch, noch so in
Ungewißheit als man gestern bei Einbruch der Dämmerung in bangem
Zweifel war ob sie nicht doch aufflackern würden. Ein Verbot war
weder vom Senat noch der Polizeibehörde erfolgt -- eine Behörde die
zur Zeit eigentlich keine ist, am wenigsten so etwas dem Publicum unter-
sagen dürfte -- nur Zettel hatte man in die Häuser geschickt, auch fan-
den sie sich an den Straßenecken angeschlagen, mit der dringenden Auf-
forderung an Einheimische und Fremde dießmal das Lichterbrennen ein-
zustellen. Von wem waren diese Zettel ausgegangen? Es stand kein
Name darunter, wie es in der Regel bei den durch die heimliche Presse
ins Volk gestreuten Blättern der Fall ist, aber die Sprache verrieth Bil-
dung, Ernst und eine wirklich gute Absicht, was nicht allemal der Fall
ist. Als officieller Grund waren die Leiden der Lombarden angedeutet
-- die Genueser wollten ja derentwegen nicht einmal ihre Constitution
mit Tanz und Blumen festeggiare! -- Der wirkliche Grund der dar-
unter verborgen ruhe, sey die Furcht! Was fürchtete man? Wer fürch-
tete? Unordnung; vor der die Regierung wie die ansässigen Bürger,
namentlich die Ladenhalter des Corso, einen gleichen Schreck haben
sollten. Die Luft war ja mit Brennstoff gefüllt, das erste entzündete
Moccolilicht konnte die Atmosphäre in Flammen setzen und Neronische
Flammensäulen über dem modernen Rom aufwirbeln. Die Regierung
hatte die größere Furcht, sie schob die guten Bürger und Ladenhalter des
Corso vor, und diese den italienischen Patriotismus, man mußte schreien:
schämt euch zu lachen, denn ihr müßt weinen! und so kam es daß Rom
im Jahr 1848 zwar einen Carneval, aber keine Moccolinacht hatte.
Doch dafür auch keine Revolution! Die Fremden also mögen es be-
dauern, aber sie dürfen nicht klagen, am wenigsten wir Deutschen daß
uns dieß Vergnügen entging, denn -- es hat uns das Leben gerettet.

Scherz bei Seite, die Sache sah etwas ernsthafter aus. Mit einem-
mal war es durch die Stadt verbreitet: man bereitet eine Bartholo-
mäusnacht, die Deutschen hier sollen der römischen Rache, in Vergel-
tung für die Leiden welche die Lombarden unter deutschem Scepter
erdulden, auf einen Stoß erliegen. Wenn nicht alle, so doch viele, die-
jenigen welche einer feindlichen Gesinnung gegen Italien bezichtigt sind;
man fertigt Listen mit ihren Namen und Wohnungen an, man sam-
melt Unterschriften sich bei der Sache wie etwa auf Actien zu betheiligen.
Bis soweit war es spaßhaft, man konnte lächeln. Unsere Landsleute
stießen bei Tisch an auf ein letztes Mittagsmahl! Aber mit der Pariser
Revolution war eine andere dumpfe Stimmung gekommen, wie eine
Gewitterschwüle in der Luft der eine Explosion folgen muß. Die Ge-
rüchte zückten wie Meteore, falsche oder wahre, alle mit der Absicht die
Gemüther zu erhitzen: in Neapel war der König gestürzt und geflohen,
in Mailand das Kriegsgesetz proclamirt, Karl Albert konnte die Schmach
Italiens, die Leiden seiner Brüder nicht ruhig ansehen, er hatte den
Degen gezogen und war nach der Lombardei marschirt, die Oesterreicher
bis auf den letzten Mann hinauszujagen.

Für die Kritik ist die Luft in Italien allüberall nicht günstig, am
wenigsten während der Carnevalerhitzung. Wenn aber italienische Ge-
müther bis auf einen gewissen Grad erhitzt sind, was kann man von
ihnen erwarten, wenn sie auch im Zustand der Ruhe die gutmüthigsten
Menschen von der Welt sind? Das durften die Deutschen sich fragen,
ohne darum furchtsam zu seyn. Bei einiger Ueberlegung sagte man sich
zwar: keine Volksbewegung geht ohne geheime Führer und Leiter aus,
diese haben sich noch immer als klug, geschickt und mäßig bewiesen; es
wäre aber der allerdümmste Streich von der Welt wenn sie das Volk
auf harmlose Fremde, auf ihre Gäste, auf die Besucher des Carnevals,
auf Touristen und Kunstfreunde losließen. Dieß brächte nicht allein der
Stadt Rom unverwindlichen materiellen, sondern auch ihrer Sache einen
unauslöschlichen moralischen Schaden. Darauf die Entgegnung: es ist
[Spaltenumbruch] auch gar nicht auf die Fremden, als endliches Ziel, abgesehen, sondern
auf eine Bewegung; den Deutschen nennt man um das Volk zu entflam-
men, aber einen Act gegen die Regierung, einen Umsturz derselben,
vielleicht meint man sogar die Republik. Das Wort klang ja so wunder-
bar lockend von der Seine herüber. Dazu kamen anonyme Briefe an
hier ansässige Familien, halb Deutsche halb Italiener, sie möchten ihre
deutschen Freunde warnen. Ein römischer Wirth deutete in ganzem
Ernst einem meiner Bekannten, der bei ihm wohnt, an, er möge doch
in diesen Tagen auf seiner Hut seyn. Als dieser ihm scherzhaft entgeg-
nete: er sey ein Preuße, kam der Mann nach einigen Stunden wieder,
um ihn im Namen anderer Bürger zu fragen: in welchem Verhältniß
denn eigentlich Preußen zu Oesterreich stehe? Ob es marschiren lassen
müsse wenn Oesterreich befehle, oder ob es im Fall des Krieges für
Italien gegen Oesterreich sich erklären werde? Ich weiß nicht was mein
Freund geantwortet, aber nach einiger Zeit kehrte der Mann mit der
beruhigenden Nachricht zurück: es sey allerdings von einigen Wenigen
etwas schlimmes im Werk gewesen, diese aber würden nicht die Ober-
hand behaupten, und die Civica schon die Ordnung erhalten. Wenn in-
deß mehrere Wirthe (auch meiner) ihre Gäste ermahnten sich doch vom
Corso vor dem Kanonenschuß, also vor dem letzten Rennen, zu entfer-
nen, wenn ein deutscher Consul sogar seinen Landsleuten anempfahl auf
der Straße nicht laut deutsch zu sprechen, so erschien eine gewisse Be-
sorgniß gerechtfertigt. Daß Hunderte eilends ihre Pässe forderten so
schnell wie möglich Rom zu verlassen, will ich nicht allein auf Rechnung
der Furcht schreiben; die Krists in Frankreich ruft uns alle vielleicht ins
Vaterland zurück. Und nicht Deutsche allein, Engländer, Russen,
Franzosen, Belgier flohen aus der ewigen Roma, und der Deutschen
gefährlichen Gesellschaft! Warum halten die Deutschen nicht zusammen?
fragte ein anderer. Ihrer sind so viel in Rom, daß sie, wie ihre Lands-
leute in Cincinnati, allein ein Corps bilden könnten, um der römischen
Rächerschaar Widerstand zu leisten. Das war gewiß patriotisch gedacht,
ich hoffe aber nicht daß es ernst gemeint war.

Fürst Teano, der neue Polizeiminister, lachte laut auf als man
ihm einen dieser Warnbriefe an deutsche Familien mittheilte. Um Mit-
tag gestern erschien darauf, ich weiß nicht ob von ihm ausgehend, jener
Anschlag in einigen Kaffeehäusern und an den Ecken, den Ihr Cor-
respondent Ihnen mitgetheilt haben wird, gewiß eines der merkwürdig-
sten Actenstücke des modernen Roms und das je in einer Zeit der Auf-
regung erlassen wird. Die Sprache ist meisterhaft, vielleicht nur daran
zu tadeln daß sie mehr auf die Bildung der fremden Leser als des Volks
berechnet ist; ihr Sinn: daß die Römer nimmer so ihres Ruhmes und
Namens uneingedenk seyn könnten, ihr grades Schwert mit dem
meuchelmörderischen Dolche zu vertauschen; daß das Gastrecht die hei-
ligste Pflicht für die ewige Stadt und ihre Bewohner, und -- hört! --
daß unter ihren Gästen ihr die Deutschen von je ab die ehrenwerthe-
sten und geliebtesten gewesen, weil sie mit der höchsten und heiligsten
Ehrfurcht und Liebe zu Roms Erinnerungen und Kunstschätzen pilger-
ten; daß diese Gäste, die nur von höheren, geistigen Interessen gelockt
nach Rom kämen, wer sie auch seyen, welchem Stamme, welchem Glaubens-
bekenntniß sie angehörten, wie vor Alters, so immerdar geschützt von
der allgemeinen Achtung hier weilen könnten, sey es im Frieden, sey es
im Kriege; daß auch die welche die Volksstimme jetzt als Feinde nenne,
die Austriaci, desselben Schutzes genießen, und die Zeit kommen werde
wo der Römer den Oesterreicher als Bruder ans Herz drücken werde!
Wer konnte noch fürchten?

Und im selben Augenblick schien diese Fratellanza schon angekom-
men. Am selben Mittag gestern flog ein Extrablatt von Hand zu Hand.
Aus Florenz berichtete man vom 4 März unter andern erstaunenswer-
then Dingen, die schon geschehen und noch geschehen würden: in Wien
ist die Republik erklärt, der Kaiser hat auf Anrathen seiner hohen Ge-
mahlin abgedankt! Wir natürlich halten dieß für den Culminations-
punkt einer tollen Faschingslustigkeit, und bis diesen Augenblick habe
ich keinen Anlaß etwas anderes zu glauben. Aber wird man es bei uns
glauben daß es hier Leute gibt die wirklich daran glauben! Zwar sah
ich einen Mann aus dem Volk ärgerlich das Blatt zerreißen: "Es ist
doch zu arg, was man uns aufzubinden wagt!" Zwei Männer die nicht
zum Volk gehörten, hörte ich dagegen sich sehr ernsthaft unterhalten,
und der eine sprach mit schlauer Miene: "Also hat die Kaiserin doch

Nr. 84.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 24 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Italieniſche Reiſefragmente.
XVII.

Der letzte Kanonenſchuß verhallte geſtern
lange nach Ave Maria, ohne, wie herkömmlich, damit den Carneval zu
beendigen. Dieſer war ſchon eine Stunde früher zu Ende, es brauchte
keiner Mahnung die Moccolilichter auszulöſchen, es hatten keine ge-
brannt. Ein Carneval in Rom iſt im Jahr 1848 ohne eine Moccoli-
nacht ausgeläutet worden! Weßhalb eigentlich keine Lichter angezündet
werden ſollten, darüber iſt man heute, am Aſchermittwoch, noch ſo in
Ungewißheit als man geſtern bei Einbruch der Dämmerung in bangem
Zweifel war ob ſie nicht doch aufflackern würden. Ein Verbot war
weder vom Senat noch der Polizeibehörde erfolgt — eine Behörde die
zur Zeit eigentlich keine iſt, am wenigſten ſo etwas dem Publicum unter-
ſagen dürfte — nur Zettel hatte man in die Häuſer geſchickt, auch fan-
den ſie ſich an den Straßenecken angeſchlagen, mit der dringenden Auf-
forderung an Einheimiſche und Fremde dießmal das Lichterbrennen ein-
zuſtellen. Von wem waren dieſe Zettel ausgegangen? Es ſtand kein
Name darunter, wie es in der Regel bei den durch die heimliche Preſſe
ins Volk geſtreuten Blättern der Fall iſt, aber die Sprache verrieth Bil-
dung, Ernſt und eine wirklich gute Abſicht, was nicht allemal der Fall
iſt. Als officieller Grund waren die Leiden der Lombarden angedeutet
— die Genueſer wollten ja derentwegen nicht einmal ihre Conſtitution
mit Tanz und Blumen festeggiare! — Der wirkliche Grund der dar-
unter verborgen ruhe, ſey die Furcht! Was fürchtete man? Wer fürch-
tete? Unordnung; vor der die Regierung wie die anſäſſigen Bürger,
namentlich die Ladenhalter des Corſo, einen gleichen Schreck haben
ſollten. Die Luft war ja mit Brennſtoff gefüllt, das erſte entzündete
Moccolilicht konnte die Atmoſphäre in Flammen ſetzen und Neroniſche
Flammenſäulen über dem modernen Rom aufwirbeln. Die Regierung
hatte die größere Furcht, ſie ſchob die guten Bürger und Ladenhalter des
Corſo vor, und dieſe den italieniſchen Patriotismus, man mußte ſchreien:
ſchämt euch zu lachen, denn ihr müßt weinen! und ſo kam es daß Rom
im Jahr 1848 zwar einen Carneval, aber keine Moccolinacht hatte.
Doch dafür auch keine Revolution! Die Fremden alſo mögen es be-
dauern, aber ſie dürfen nicht klagen, am wenigſten wir Deutſchen daß
uns dieß Vergnügen entging, denn — es hat uns das Leben gerettet.

Scherz bei Seite, die Sache ſah etwas ernſthafter aus. Mit einem-
mal war es durch die Stadt verbreitet: man bereitet eine Bartholo-
mäusnacht, die Deutſchen hier ſollen der römiſchen Rache, in Vergel-
tung für die Leiden welche die Lombarden unter deutſchem Scepter
erdulden, auf einen Stoß erliegen. Wenn nicht alle, ſo doch viele, die-
jenigen welche einer feindlichen Geſinnung gegen Italien bezichtigt ſind;
man fertigt Liſten mit ihren Namen und Wohnungen an, man ſam-
melt Unterſchriften ſich bei der Sache wie etwa auf Actien zu betheiligen.
Bis ſoweit war es ſpaßhaft, man konnte lächeln. Unſere Landsleute
ſtießen bei Tiſch an auf ein letztes Mittagsmahl! Aber mit der Pariſer
Revolution war eine andere dumpfe Stimmung gekommen, wie eine
Gewitterſchwüle in der Luft der eine Exploſion folgen muß. Die Ge-
rüchte zückten wie Meteore, falſche oder wahre, alle mit der Abſicht die
Gemüther zu erhitzen: in Neapel war der König geſtürzt und geflohen,
in Mailand das Kriegsgeſetz proclamirt, Karl Albert konnte die Schmach
Italiens, die Leiden ſeiner Brüder nicht ruhig anſehen, er hatte den
Degen gezogen und war nach der Lombardei marſchirt, die Oeſterreicher
bis auf den letzten Mann hinauszujagen.

Für die Kritik iſt die Luft in Italien allüberall nicht günſtig, am
wenigſten während der Carnevalerhitzung. Wenn aber italieniſche Ge-
müther bis auf einen gewiſſen Grad erhitzt ſind, was kann man von
ihnen erwarten, wenn ſie auch im Zuſtand der Ruhe die gutmüthigſten
Menſchen von der Welt ſind? Das durften die Deutſchen ſich fragen,
ohne darum furchtſam zu ſeyn. Bei einiger Ueberlegung ſagte man ſich
zwar: keine Volksbewegung geht ohne geheime Führer und Leiter aus,
dieſe haben ſich noch immer als klug, geſchickt und mäßig bewieſen; es
wäre aber der allerdümmſte Streich von der Welt wenn ſie das Volk
auf harmloſe Fremde, auf ihre Gäſte, auf die Beſucher des Carnevals,
auf Touriſten und Kunſtfreunde losließen. Dieß brächte nicht allein der
Stadt Rom unverwindlichen materiellen, ſondern auch ihrer Sache einen
unauslöſchlichen moraliſchen Schaden. Darauf die Entgegnung: es iſt
[Spaltenumbruch] auch gar nicht auf die Fremden, als endliches Ziel, abgeſehen, ſondern
auf eine Bewegung; den Deutſchen nennt man um das Volk zu entflam-
men, aber einen Act gegen die Regierung, einen Umſturz derſelben,
vielleicht meint man ſogar die Republik. Das Wort klang ja ſo wunder-
bar lockend von der Seine herüber. Dazu kamen anonyme Briefe an
hier anſäſſige Familien, halb Deutſche halb Italiener, ſie möchten ihre
deutſchen Freunde warnen. Ein römiſcher Wirth deutete in ganzem
Ernſt einem meiner Bekannten, der bei ihm wohnt, an, er möge doch
in dieſen Tagen auf ſeiner Hut ſeyn. Als dieſer ihm ſcherzhaft entgeg-
nete: er ſey ein Preuße, kam der Mann nach einigen Stunden wieder,
um ihn im Namen anderer Bürger zu fragen: in welchem Verhältniß
denn eigentlich Preußen zu Oeſterreich ſtehe? Ob es marſchiren laſſen
müſſe wenn Oeſterreich befehle, oder ob es im Fall des Krieges für
Italien gegen Oeſterreich ſich erklären werde? Ich weiß nicht was mein
Freund geantwortet, aber nach einiger Zeit kehrte der Mann mit der
beruhigenden Nachricht zurück: es ſey allerdings von einigen Wenigen
etwas ſchlimmes im Werk geweſen, dieſe aber würden nicht die Ober-
hand behaupten, und die Civica ſchon die Ordnung erhalten. Wenn in-
deß mehrere Wirthe (auch meiner) ihre Gäſte ermahnten ſich doch vom
Corſo vor dem Kanonenſchuß, alſo vor dem letzten Rennen, zu entfer-
nen, wenn ein deutſcher Conſul ſogar ſeinen Landsleuten anempfahl auf
der Straße nicht laut deutſch zu ſprechen, ſo erſchien eine gewiſſe Be-
ſorgniß gerechtfertigt. Daß Hunderte eilends ihre Päſſe forderten ſo
ſchnell wie möglich Rom zu verlaſſen, will ich nicht allein auf Rechnung
der Furcht ſchreiben; die Kriſts in Frankreich ruft uns alle vielleicht ins
Vaterland zurück. Und nicht Deutſche allein, Engländer, Ruſſen,
Franzoſen, Belgier flohen aus der ewigen Roma, und der Deutſchen
gefährlichen Geſellſchaft! Warum halten die Deutſchen nicht zuſammen?
fragte ein anderer. Ihrer ſind ſo viel in Rom, daß ſie, wie ihre Lands-
leute in Cincinnati, allein ein Corps bilden könnten, um der römiſchen
Rächerſchaar Widerſtand zu leiſten. Das war gewiß patriotiſch gedacht,
ich hoffe aber nicht daß es ernſt gemeint war.

Fürſt Teano, der neue Polizeiminiſter, lachte laut auf als man
ihm einen dieſer Warnbriefe an deutſche Familien mittheilte. Um Mit-
tag geſtern erſchien darauf, ich weiß nicht ob von ihm ausgehend, jener
Anſchlag in einigen Kaffeehäuſern und an den Ecken, den Ihr Cor-
reſpondent Ihnen mitgetheilt haben wird, gewiß eines der merkwürdig-
ſten Actenſtücke des modernen Roms und das je in einer Zeit der Auf-
regung erlaſſen wird. Die Sprache iſt meiſterhaft, vielleicht nur daran
zu tadeln daß ſie mehr auf die Bildung der fremden Leſer als des Volks
berechnet iſt; ihr Sinn: daß die Römer nimmer ſo ihres Ruhmes und
Namens uneingedenk ſeyn könnten, ihr grades Schwert mit dem
meuchelmörderiſchen Dolche zu vertauſchen; daß das Gaſtrecht die hei-
ligſte Pflicht für die ewige Stadt und ihre Bewohner, und — hört! —
daß unter ihren Gäſten ihr die Deutſchen von je ab die ehrenwerthe-
ſten und geliebteſten geweſen, weil ſie mit der höchſten und heiligſten
Ehrfurcht und Liebe zu Roms Erinnerungen und Kunſtſchätzen pilger-
ten; daß dieſe Gäſte, die nur von höheren, geiſtigen Intereſſen gelockt
nach Rom kämen, wer ſie auch ſeyen, welchem Stamme, welchem Glaubens-
bekenntniß ſie angehörten, wie vor Alters, ſo immerdar geſchützt von
der allgemeinen Achtung hier weilen könnten, ſey es im Frieden, ſey es
im Kriege; daß auch die welche die Volksſtimme jetzt als Feinde nenne,
die Auſtriaci, desſelben Schutzes genießen, und die Zeit kommen werde
wo der Römer den Oeſterreicher als Bruder ans Herz drücken werde!
Wer konnte noch fürchten?

Und im ſelben Augenblick ſchien dieſe Fratellanza ſchon angekom-
men. Am ſelben Mittag geſtern flog ein Extrablatt von Hand zu Hand.
Aus Florenz berichtete man vom 4 März unter andern erſtaunenswer-
thén Dingen, die ſchon geſchehen und noch geſchehen würden: in Wien
iſt die Republik erklärt, der Kaiſer hat auf Anrathen ſeiner hohen Ge-
mahlin abgedankt! Wir natürlich halten dieß für den Culminations-
punkt einer tollen Faſchingsluſtigkeit, und bis dieſen Augenblick habe
ich keinen Anlaß etwas anderes zu glauben. Aber wird man es bei uns
glauben daß es hier Leute gibt die wirklich daran glauben! Zwar ſah
ich einen Mann aus dem Volk ärgerlich das Blatt zerreißen: „Es iſt
doch zu arg, was man uns aufzubinden wagt!“ Zwei Männer die nicht
zum Volk gehörten, hörte ich dagegen ſich ſehr ernſthaft unterhalten,
und der eine ſprach mit ſchlauer Miene: „Alſo hat die Kaiſerin doch

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[0009] Nr. 84. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 24 März 1848. Italieniſche Reiſefragmente. XVII. ∸ Rom, 8 März.Der letzte Kanonenſchuß verhallte geſtern lange nach Ave Maria, ohne, wie herkömmlich, damit den Carneval zu beendigen. Dieſer war ſchon eine Stunde früher zu Ende, es brauchte keiner Mahnung die Moccolilichter auszulöſchen, es hatten keine ge- brannt. Ein Carneval in Rom iſt im Jahr 1848 ohne eine Moccoli- nacht ausgeläutet worden! Weßhalb eigentlich keine Lichter angezündet werden ſollten, darüber iſt man heute, am Aſchermittwoch, noch ſo in Ungewißheit als man geſtern bei Einbruch der Dämmerung in bangem Zweifel war ob ſie nicht doch aufflackern würden. Ein Verbot war weder vom Senat noch der Polizeibehörde erfolgt — eine Behörde die zur Zeit eigentlich keine iſt, am wenigſten ſo etwas dem Publicum unter- ſagen dürfte — nur Zettel hatte man in die Häuſer geſchickt, auch fan- den ſie ſich an den Straßenecken angeſchlagen, mit der dringenden Auf- forderung an Einheimiſche und Fremde dießmal das Lichterbrennen ein- zuſtellen. Von wem waren dieſe Zettel ausgegangen? Es ſtand kein Name darunter, wie es in der Regel bei den durch die heimliche Preſſe ins Volk geſtreuten Blättern der Fall iſt, aber die Sprache verrieth Bil- dung, Ernſt und eine wirklich gute Abſicht, was nicht allemal der Fall iſt. Als officieller Grund waren die Leiden der Lombarden angedeutet — die Genueſer wollten ja derentwegen nicht einmal ihre Conſtitution mit Tanz und Blumen festeggiare! — Der wirkliche Grund der dar- unter verborgen ruhe, ſey die Furcht! Was fürchtete man? Wer fürch- tete? Unordnung; vor der die Regierung wie die anſäſſigen Bürger, namentlich die Ladenhalter des Corſo, einen gleichen Schreck haben ſollten. Die Luft war ja mit Brennſtoff gefüllt, das erſte entzündete Moccolilicht konnte die Atmoſphäre in Flammen ſetzen und Neroniſche Flammenſäulen über dem modernen Rom aufwirbeln. Die Regierung hatte die größere Furcht, ſie ſchob die guten Bürger und Ladenhalter des Corſo vor, und dieſe den italieniſchen Patriotismus, man mußte ſchreien: ſchämt euch zu lachen, denn ihr müßt weinen! und ſo kam es daß Rom im Jahr 1848 zwar einen Carneval, aber keine Moccolinacht hatte. Doch dafür auch keine Revolution! Die Fremden alſo mögen es be- dauern, aber ſie dürfen nicht klagen, am wenigſten wir Deutſchen daß uns dieß Vergnügen entging, denn — es hat uns das Leben gerettet. Scherz bei Seite, die Sache ſah etwas ernſthafter aus. Mit einem- mal war es durch die Stadt verbreitet: man bereitet eine Bartholo- mäusnacht, die Deutſchen hier ſollen der römiſchen Rache, in Vergel- tung für die Leiden welche die Lombarden unter deutſchem Scepter erdulden, auf einen Stoß erliegen. Wenn nicht alle, ſo doch viele, die- jenigen welche einer feindlichen Geſinnung gegen Italien bezichtigt ſind; man fertigt Liſten mit ihren Namen und Wohnungen an, man ſam- melt Unterſchriften ſich bei der Sache wie etwa auf Actien zu betheiligen. Bis ſoweit war es ſpaßhaft, man konnte lächeln. Unſere Landsleute ſtießen bei Tiſch an auf ein letztes Mittagsmahl! Aber mit der Pariſer Revolution war eine andere dumpfe Stimmung gekommen, wie eine Gewitterſchwüle in der Luft der eine Exploſion folgen muß. Die Ge- rüchte zückten wie Meteore, falſche oder wahre, alle mit der Abſicht die Gemüther zu erhitzen: in Neapel war der König geſtürzt und geflohen, in Mailand das Kriegsgeſetz proclamirt, Karl Albert konnte die Schmach Italiens, die Leiden ſeiner Brüder nicht ruhig anſehen, er hatte den Degen gezogen und war nach der Lombardei marſchirt, die Oeſterreicher bis auf den letzten Mann hinauszujagen. Für die Kritik iſt die Luft in Italien allüberall nicht günſtig, am wenigſten während der Carnevalerhitzung. Wenn aber italieniſche Ge- müther bis auf einen gewiſſen Grad erhitzt ſind, was kann man von ihnen erwarten, wenn ſie auch im Zuſtand der Ruhe die gutmüthigſten Menſchen von der Welt ſind? Das durften die Deutſchen ſich fragen, ohne darum furchtſam zu ſeyn. Bei einiger Ueberlegung ſagte man ſich zwar: keine Volksbewegung geht ohne geheime Führer und Leiter aus, dieſe haben ſich noch immer als klug, geſchickt und mäßig bewieſen; es wäre aber der allerdümmſte Streich von der Welt wenn ſie das Volk auf harmloſe Fremde, auf ihre Gäſte, auf die Beſucher des Carnevals, auf Touriſten und Kunſtfreunde losließen. Dieß brächte nicht allein der Stadt Rom unverwindlichen materiellen, ſondern auch ihrer Sache einen unauslöſchlichen moraliſchen Schaden. Darauf die Entgegnung: es iſt auch gar nicht auf die Fremden, als endliches Ziel, abgeſehen, ſondern auf eine Bewegung; den Deutſchen nennt man um das Volk zu entflam- men, aber einen Act gegen die Regierung, einen Umſturz derſelben, vielleicht meint man ſogar die Republik. Das Wort klang ja ſo wunder- bar lockend von der Seine herüber. Dazu kamen anonyme Briefe an hier anſäſſige Familien, halb Deutſche halb Italiener, ſie möchten ihre deutſchen Freunde warnen. Ein römiſcher Wirth deutete in ganzem Ernſt einem meiner Bekannten, der bei ihm wohnt, an, er möge doch in dieſen Tagen auf ſeiner Hut ſeyn. Als dieſer ihm ſcherzhaft entgeg- nete: er ſey ein Preuße, kam der Mann nach einigen Stunden wieder, um ihn im Namen anderer Bürger zu fragen: in welchem Verhältniß denn eigentlich Preußen zu Oeſterreich ſtehe? Ob es marſchiren laſſen müſſe wenn Oeſterreich befehle, oder ob es im Fall des Krieges für Italien gegen Oeſterreich ſich erklären werde? Ich weiß nicht was mein Freund geantwortet, aber nach einiger Zeit kehrte der Mann mit der beruhigenden Nachricht zurück: es ſey allerdings von einigen Wenigen etwas ſchlimmes im Werk geweſen, dieſe aber würden nicht die Ober- hand behaupten, und die Civica ſchon die Ordnung erhalten. Wenn in- deß mehrere Wirthe (auch meiner) ihre Gäſte ermahnten ſich doch vom Corſo vor dem Kanonenſchuß, alſo vor dem letzten Rennen, zu entfer- nen, wenn ein deutſcher Conſul ſogar ſeinen Landsleuten anempfahl auf der Straße nicht laut deutſch zu ſprechen, ſo erſchien eine gewiſſe Be- ſorgniß gerechtfertigt. Daß Hunderte eilends ihre Päſſe forderten ſo ſchnell wie möglich Rom zu verlaſſen, will ich nicht allein auf Rechnung der Furcht ſchreiben; die Kriſts in Frankreich ruft uns alle vielleicht ins Vaterland zurück. Und nicht Deutſche allein, Engländer, Ruſſen, Franzoſen, Belgier flohen aus der ewigen Roma, und der Deutſchen gefährlichen Geſellſchaft! Warum halten die Deutſchen nicht zuſammen? fragte ein anderer. Ihrer ſind ſo viel in Rom, daß ſie, wie ihre Lands- leute in Cincinnati, allein ein Corps bilden könnten, um der römiſchen Rächerſchaar Widerſtand zu leiſten. Das war gewiß patriotiſch gedacht, ich hoffe aber nicht daß es ernſt gemeint war. Fürſt Teano, der neue Polizeiminiſter, lachte laut auf als man ihm einen dieſer Warnbriefe an deutſche Familien mittheilte. Um Mit- tag geſtern erſchien darauf, ich weiß nicht ob von ihm ausgehend, jener Anſchlag in einigen Kaffeehäuſern und an den Ecken, den Ihr Cor- reſpondent Ihnen mitgetheilt haben wird, gewiß eines der merkwürdig- ſten Actenſtücke des modernen Roms und das je in einer Zeit der Auf- regung erlaſſen wird. Die Sprache iſt meiſterhaft, vielleicht nur daran zu tadeln daß ſie mehr auf die Bildung der fremden Leſer als des Volks berechnet iſt; ihr Sinn: daß die Römer nimmer ſo ihres Ruhmes und Namens uneingedenk ſeyn könnten, ihr grades Schwert mit dem meuchelmörderiſchen Dolche zu vertauſchen; daß das Gaſtrecht die hei- ligſte Pflicht für die ewige Stadt und ihre Bewohner, und — hört! — daß unter ihren Gäſten ihr die Deutſchen von je ab die ehrenwerthe- ſten und geliebteſten geweſen, weil ſie mit der höchſten und heiligſten Ehrfurcht und Liebe zu Roms Erinnerungen und Kunſtſchätzen pilger- ten; daß dieſe Gäſte, die nur von höheren, geiſtigen Intereſſen gelockt nach Rom kämen, wer ſie auch ſeyen, welchem Stamme, welchem Glaubens- bekenntniß ſie angehörten, wie vor Alters, ſo immerdar geſchützt von der allgemeinen Achtung hier weilen könnten, ſey es im Frieden, ſey es im Kriege; daß auch die welche die Volksſtimme jetzt als Feinde nenne, die Auſtriaci, desſelben Schutzes genießen, und die Zeit kommen werde wo der Römer den Oeſterreicher als Bruder ans Herz drücken werde! Wer konnte noch fürchten? Und im ſelben Augenblick ſchien dieſe Fratellanza ſchon angekom- men. Am ſelben Mittag geſtern flog ein Extrablatt von Hand zu Hand. Aus Florenz berichtete man vom 4 März unter andern erſtaunenswer- thén Dingen, die ſchon geſchehen und noch geſchehen würden: in Wien iſt die Republik erklärt, der Kaiſer hat auf Anrathen ſeiner hohen Ge- mahlin abgedankt! Wir natürlich halten dieß für den Culminations- punkt einer tollen Faſchingsluſtigkeit, und bis dieſen Augenblick habe ich keinen Anlaß etwas anderes zu glauben. Aber wird man es bei uns glauben daß es hier Leute gibt die wirklich daran glauben! Zwar ſah ich einen Mann aus dem Volk ärgerlich das Blatt zerreißen: „Es iſt doch zu arg, was man uns aufzubinden wagt!“ Zwei Männer die nicht zum Volk gehörten, hörte ich dagegen ſich ſehr ernſthaft unterhalten, und der eine ſprach mit ſchlauer Miene: „Alſo hat die Kaiſerin doch

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 84, 24. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine84_1848/9>, abgerufen am 22.11.2024.