Allgemeine Zeitung, Nr. 84, 24. März 1848.[Spaltenumbruch]
Minister entlassen, von denen er nur provisorisch den Grafen Stollberg, *) Berlin, 20 März. Der Jubel über den Abzug der Truppen, von denen Abends. Der Friede war nicht weiter gestört worden. Alle Truppen hatten sich aus der Stadt zurückgezogen, der König und der ganze Hof hatten sich nach Potsdam begeben. Vorher hatte der König noch eine allgemeine politische Amnestie erlassen; die befreiten Polen waren mit einer deutschen Fahne durch die Stadt gezogen vor das Schloß, um dem König zu danken. *** Breslau, 18 März. In der vorgestrigen Nacht ist noch Oesterreich. Wien, 20 März. 1 Uhr Nachmittags. Der ge- [Spaltenumbruch]
Miniſter entlaſſen, von denen er nur proviſoriſch den Grafen Stollberg, *) Berlin, 20 März. Der Jubel über den Abzug der Truppen, von denen Abends. Der Friede war nicht weiter geſtört worden. Alle Truppen hatten ſich aus der Stadt zurückgezogen, der König und der ganze Hof hatten ſich nach Potsdam begeben. Vorher hatte der König noch eine allgemeine politiſche Amneſtie erlaſſen; die befreiten Polen waren mit einer deutſchen Fahne durch die Stadt gezogen vor das Schloß, um dem König zu danken. *** Breslau, 18 März. In der vorgeſtrigen Nacht iſt noch Oeſterreich. ✡ Wien, 20 März. 1 Uhr Nachmittags. Der ge- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0005" n="1333"/><cb/> Miniſter entlaſſen, von denen er nur proviſoriſch den Grafen Stollberg,<lb/> den Kriegsminiſter v. Rohr, Savigny und Uhden beibehalte. Der Abg.<lb/> Graf Schwerin ſoll Miniſter des Cultus an Eichhorns Stelle, v. Auers-<lb/> wald Miniſter des Innern, Graf Arnim Miniſter des Auswärtigen und<lb/> der Verfaſſungsangelegenheiten werden. Der König ließ alle bei dem Auf-<lb/> ruhr Gefangene frei, fügte aber nicht ohne Ironie hinzu, indem er zum<lb/> Volke ſprach: nehmt ſie, ſeht ſie euch aber an ob es auch die eurigen ſind.<lb/> Die Zahl der Todten iſt noch nicht bekannt. Man ſpricht von 64 todten<lb/> und verwundeten Officieren. Ein Wagen voll Todter wurde geſtern<lb/> feierlich beim Schloß vorübergefahren um den König zu kränken. Eine<lb/> ähnliche Kundgebung war daß man überlaut im Schloß den — Schützen-<lb/> könig leben ließ, einen Bürger von anſehnlicher Geſtalt, der als Schützen-<lb/> könig mit goldener Kette um den Hals die Bürgerwacht im Schloß lei-<lb/> tete. Die am Mittag des 19 noch ſehr gereizte Stimmung hat ſich bald<lb/> darauf in eine verſöhnliche, ja theilweiſe in laute Heiterkeit und Luſt<lb/> verwandelt. Die ganze Stadt war illuminirt. Es iſt kein Exceß weiter<lb/> vorgefallen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>*) <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 20 März.</dateline> <p>Der Jubel über den Abzug der Truppen, von denen<lb/> die auswärtigen nach ihren Garniſonen zurückgekehrt, und die einheimiſchen<lb/> auf ihre Caſernen beſchränkt ſind, war geſtern ſo allgemein, daß noch am<lb/> Nachmittag ſämmtliche Barricaden, deren an hundert in den verſchiede-<lb/> nen Stadttheilen errichtet waren, verſchwanden. Abends war die Stadt<lb/> erleuchtet, aber nicht wie am vorhergehenden Tage damit die furchtbaren<lb/> Kämpfe auf der Straße Licht haben, ſondern um die Vereinigung mit<lb/> dem freien und conſtitutionellen Deutſchland zu feiern, die man ſich von<lb/> der Aenderung des preußiſchen Regierungsſyſtems und von der Ab-<lb/> ſetzung der bisherigen Miniſter verſpricht. Man hofft daß die rheiniſchen<lb/> Deputirten, welchen Anträge gemacht worden in das Miniſterium einzu-<lb/> treten, dieſelben annehmen werden, wenn auch vielleicht unter gewiſſen<lb/> Bedingungen. Daß auch der Miniſter v. Bodelſchwingh ausgeſchieden,<lb/> der, den erſten vorgeſtern verbreiteten Nachrichten zufolge, noch am Ru-<lb/> der bleiben ſollte, hat um ſo mehr Freude erregt als man wußte daß der<lb/> dieſem Miniſter vom vorigen Landtag her verbliebene Nimbus, als bilde<lb/> er eine Ausnahme unter ſeinen Collegen, ein gänzlich unverdientet war.<lb/> Er mochte wohl mehr parlamentariſche Geſchicklichkeit haben als dieſe,<lb/> aber auch an bureaukratiſcher Willkür war er ihnen weit überlegen.<lb/> Sein Nachfolger wird darum auch nichts dringenderes zu thun haben<lb/> als die Männer ſich fern zu halten welche die Günſtlinge des Hrn. v. Bo-<lb/> delſchwingh waren. Heute ſtrömt und drängt das Volk durch alle<lb/> Straßen; es freut ſich gleichzeitig ſeines Sieges wie ſeiner Mäßigung.<lb/> Die Liebe zum König gibt ſich vielfältig zu erkennen, doch vor dem Pa-<lb/> laſt des Prinzen von Preußen haben Demonſtrationen ſtattgefunden die<lb/> einen Augenblick ſeine Zerſtörung fürchten ließen. Die bewaffneten<lb/> Bürger redeten indeſſen dem Volk zu, indem ſie ihm ſagten daß der Kö-<lb/> nig ſo großes Vertrauen ſeinen Bürgern zeige welchen allein er ſich an-<lb/> vertraut, das Volk nun auch dieſes Vertrauen des Königs ehren müſſe.<lb/> Inzwiſchen wurde auf der Zinne des Palaſtes unter dem Jubel der Ver-<lb/> ſammelten die ſchwarz-roth-goldene Fahne aufgezogen, während an den<lb/> Mauern desſelben mit großen Buchſtaben die Worte „Eigenthum des<lb/> ganzen Volkes“ zu leſen find. Der Prinz hat mit ſeiner Familie geſtern<lb/> Berlin verlaſſen und befindet ſich wahrſcheinlich jetzt auf ſeiner Villa in<lb/> Potsdam. Die polniſchen Angeklagten und Verurtheilten welche der<lb/> König begnadigt hat, wurden heute aus dem Gefängniß entlaſſen und<lb/> fuhren im Triumph durch die Straßen. Am Schloß ſtellten ſie ſich auf<lb/> und brachten dem König ein Lebehoch, worauf das Volk „Es lebe Polen!“<lb/> rief. Unſere neue Bürgergarde organiſirt ſich zuſehends. Einſtweilen<lb/> hat ſie alle von den Truppen verlaſſenen Wachtpoſten bezogen. Im Schloß<lb/> hat die Schützengilde die Auszeichnung unmittelbar um des Königs Per-<lb/> ſon zu ſeyn. Gleichwohl herrſcht noch große Unruhe über das was die<lb/> nächſten Tage bringen können, und an der Preſſe wird es jetzt ſeyn ihre<lb/> ehrenhafte Aufgabe zu erfüllen und zur Ordnung ſowie zur Einigkeit<lb/> beizutragen.</p><lb/> <trailer>* Wir erhalten eben noch Briefe aus <hi rendition="#b">Berlin</hi> vom 20 März<lb/> Abends. Der Friede war nicht weiter geſtört worden. 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Maj. geſandten Deputa-<lb/> tion, dem Apotheker Lockſtädt, ein Hoch gebracht, und dieſer wollte eben<lb/> ſeinen Dank ausſprechen als plötzlich eine Abtheilung Cuiraſſiere auf<lb/> ein Trompetenſignal heranſprengte und auf die Verſammelten, meiſt<lb/> Bürger, einhieb. Von denſelben wurden 11 verwundet. Dieſer Vor-<lb/> fall regte am geſtrigen Morgen die ganze Stadt auf. Um 11 Uhr begab<lb/> ſich eine Bürgerdeputation zu dem commandirenden General Graf<lb/> Brandenburg und verlangte von demſelben 1) Waffen für die Bürger,<lb/> 2) Enthaltung jeder fernern Einmiſchung des Militärs und 3) Unter-<lb/> ſuchung gegen den Schuldigen. Se. Excellenz antwortete: Waffen könne<lb/> er nicht geben; ferner werde das Militär in den Caſernen bleiben und<lb/> nur auf Verlangen einſchreiten, endlich in Bezug auf den geſtrigen be-<lb/> dauernswerthen Vorfall ſey die Unterſuchung ſchon eingeleitet. Der<lb/> letztere Theil der Antwort erregte einen ungeheuren Jubel der Tauſende<lb/> welche auf den Straßen und vor dem Rathhauſe ſtanden, die Verweige-<lb/> rung der Waffen aber ebenſo großes Mißfallen und man ſprach nicht<lb/> undeutlich die Abſicht aus ſich die Waffen aus den Landwehrdepots ſelbſt<lb/> zu holen. Der Nachmittag gewährte ein Bild des lebendigſten Treibens<lb/> auf Straßen und in den Häuſern; ganz Breslau glich einer belagerten<lb/> Stadt. In den betreffenden Bezirken verſammelte ſich die Bürgerſchaft<lb/> um über die Organiſtrung der Bewaffnung zu berathen; es wurde be-<lb/> ſchloſſen: jeder ſolle ſich bewaffnen ſo gut er könne und Abends zwiſchen<lb/> 6 bis 7 Uhr auf den beſtimmten Sammelplätzen ſich einfinden. Aehn-<lb/> liche Verſammlungen fanden von Seiten der Schutzverwandten und der<lb/> Studirenden ſtatt. Nun wurden die Waffenläden faſt geſtürmt, auch<lb/> nicht eine Spur von Waffe blieb in denſelben; in den Behauſungen<lb/> wurde alles hervorgeſucht was einer Waffe glich, Flinte, Säbel, Pike,<lb/> Lanze; auf offener Straße ſtanden Scheerenſchleifer von Studenten um-<lb/> geben die ſich ihre Rappiere und Hieber ſchärfen ließen. Um 7 Uhr<lb/> war die geſammte Bürgerſchaft, viele der Schutzverwandten und die<lb/> Studentenſchaft bewaffnet auf den Beinen, beſetzte die wichtigſten Punkte<lb/> oder zog in ſtarken Colonnen durch alle Straßen der Stadt. Zur Aus-<lb/> zeichnung trug man eine weiße Binde um den Arm, die meiſten hatten<lb/> noch ein ſchwarz-roth-goldenes Band oder dergleichen Cocarde hinzuge-<lb/> fügt. Um halb 9 Uhr verlangte ein ungeheurer Volkshaufe der vor dem<lb/> Rathhauſe ſtand, die Freilaſſung der wegen ſchwerer Majeſtätsbeleidi-<lb/> gung verhafteten Gebrüder Bürger Hoffmann. Man rückte in Maſſe<lb/> vor das Inquiſitoriat, und würde dasſelbe ſicherlich geſtürmt und die Frei-<lb/> laſſung aller Gefangenen bewirkt haben, hätte nicht eine Bürgerdeputa-<lb/> tion den Freilaſſungsbefehl von dem Criminaldirector erhalten. Die<lb/> Gebrüder Hoffmann wurden im Triumphe von dem Volke bis zum<lb/> Rathhauſe getragen. Die Ruhe der Stadt wurde nun, ausgenommen<lb/> einiges Geſchrei, nicht mehr geſtört; die Bewaffnung der Bürger hat das<lb/> ſchönſte Reſultat gewährt. <hi rendition="#g">Nachſchrift.</hi> Kurz vor Abgang der Poſt.<lb/> Es finden überall Verſammlungen ſtatt. Man will die Cenſoren zwin-<lb/> gen ſchon mit dem heutigen Tage die Cenſur aufhören zu laſſen. So<lb/> eben befinden ſich die drei Redacteure bei dem Oberpräſidenten.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Oeſterreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>✡ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 20 März. 1 Uhr Nachmittags.</dateline> <p>Der ge-<lb/> ſtrige Tag iſt in vollſter Ruhe zu Ende gegangen. Das Militär, welches<lb/> die Baſtei, Stadtgräben und Glacis beſetzt hatte und rund um Wien ein<lb/> großes Feldlager bildete, verläßt nach und nach ſeine Bivouaks, und<lb/> auch die Burg, deren innere Höfe vier Tage hindurch von Soldaten<lb/> vollgepfropft waren, iſt dem Publicum wieder geöffnet. Der Kaiſer<lb/> ſelbſt hat ſich auf ſeiner letzten Fahrt durch die Stadt von der unbe-<lb/> gränzten Anhänglichkeit und Treue des Volks überzeugt, und ſoll in<lb/> bittern Ausdrücken ſeinen gerechten Unwillen gegen diejenigen Männer<lb/> geäußert haben welche durch ſyſtematiſche Beſtrebungen das Vertrauen<lb/> zwiſchen Volk und Thron zu untergraben ſuchten. Bor allem hat dieſer<lb/> Unwille den Grafen Sedlnitzky getroffen, welcher Befehl erhielt Stadt<lb/> und Land zu verlaſſen. Ueber die Bildung des neuen <hi rendition="#g">verantwort-<lb/> chen</hi> Miniſteriums circuliren auch in den beſtunterrichten Kreiſen nur<lb/> Gerüchte; jedoch gehören alle Männer welche genannt werden zu der<lb/> entſchieden liberalen Partei; Pillersdorf — dieß ſteht feſt — iſt Mini-<lb/> ſter des Innern. Kolowrat wird als Präſident des Miniſteriums be-<lb/> zeichnet und ihm der Gouverneur in Galizien, Graf Stadion, beigegeben;<lb/> Kübeck bleibt für die Finanzen; Graf Coloredo-Wallſee wird als Mini-<lb/> ſter der auswärtigen Angelegenheiten genannt. Die Commiſſion der 24,<lb/> beſtehend, wie ich Ihnen meldete, aus zwölf Mitgliedern der nie-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1333/0005]
Miniſter entlaſſen, von denen er nur proviſoriſch den Grafen Stollberg,
den Kriegsminiſter v. Rohr, Savigny und Uhden beibehalte. Der Abg.
Graf Schwerin ſoll Miniſter des Cultus an Eichhorns Stelle, v. Auers-
wald Miniſter des Innern, Graf Arnim Miniſter des Auswärtigen und
der Verfaſſungsangelegenheiten werden. Der König ließ alle bei dem Auf-
ruhr Gefangene frei, fügte aber nicht ohne Ironie hinzu, indem er zum
Volke ſprach: nehmt ſie, ſeht ſie euch aber an ob es auch die eurigen ſind.
Die Zahl der Todten iſt noch nicht bekannt. Man ſpricht von 64 todten
und verwundeten Officieren. Ein Wagen voll Todter wurde geſtern
feierlich beim Schloß vorübergefahren um den König zu kränken. Eine
ähnliche Kundgebung war daß man überlaut im Schloß den — Schützen-
könig leben ließ, einen Bürger von anſehnlicher Geſtalt, der als Schützen-
könig mit goldener Kette um den Hals die Bürgerwacht im Schloß lei-
tete. Die am Mittag des 19 noch ſehr gereizte Stimmung hat ſich bald
darauf in eine verſöhnliche, ja theilweiſe in laute Heiterkeit und Luſt
verwandelt. Die ganze Stadt war illuminirt. Es iſt kein Exceß weiter
vorgefallen.
*) Berlin, 20 März.Der Jubel über den Abzug der Truppen, von denen
die auswärtigen nach ihren Garniſonen zurückgekehrt, und die einheimiſchen
auf ihre Caſernen beſchränkt ſind, war geſtern ſo allgemein, daß noch am
Nachmittag ſämmtliche Barricaden, deren an hundert in den verſchiede-
nen Stadttheilen errichtet waren, verſchwanden. Abends war die Stadt
erleuchtet, aber nicht wie am vorhergehenden Tage damit die furchtbaren
Kämpfe auf der Straße Licht haben, ſondern um die Vereinigung mit
dem freien und conſtitutionellen Deutſchland zu feiern, die man ſich von
der Aenderung des preußiſchen Regierungsſyſtems und von der Ab-
ſetzung der bisherigen Miniſter verſpricht. Man hofft daß die rheiniſchen
Deputirten, welchen Anträge gemacht worden in das Miniſterium einzu-
treten, dieſelben annehmen werden, wenn auch vielleicht unter gewiſſen
Bedingungen. Daß auch der Miniſter v. Bodelſchwingh ausgeſchieden,
der, den erſten vorgeſtern verbreiteten Nachrichten zufolge, noch am Ru-
der bleiben ſollte, hat um ſo mehr Freude erregt als man wußte daß der
dieſem Miniſter vom vorigen Landtag her verbliebene Nimbus, als bilde
er eine Ausnahme unter ſeinen Collegen, ein gänzlich unverdientet war.
Er mochte wohl mehr parlamentariſche Geſchicklichkeit haben als dieſe,
aber auch an bureaukratiſcher Willkür war er ihnen weit überlegen.
Sein Nachfolger wird darum auch nichts dringenderes zu thun haben
als die Männer ſich fern zu halten welche die Günſtlinge des Hrn. v. Bo-
delſchwingh waren. Heute ſtrömt und drängt das Volk durch alle
Straßen; es freut ſich gleichzeitig ſeines Sieges wie ſeiner Mäßigung.
Die Liebe zum König gibt ſich vielfältig zu erkennen, doch vor dem Pa-
laſt des Prinzen von Preußen haben Demonſtrationen ſtattgefunden die
einen Augenblick ſeine Zerſtörung fürchten ließen. Die bewaffneten
Bürger redeten indeſſen dem Volk zu, indem ſie ihm ſagten daß der Kö-
nig ſo großes Vertrauen ſeinen Bürgern zeige welchen allein er ſich an-
vertraut, das Volk nun auch dieſes Vertrauen des Königs ehren müſſe.
Inzwiſchen wurde auf der Zinne des Palaſtes unter dem Jubel der Ver-
ſammelten die ſchwarz-roth-goldene Fahne aufgezogen, während an den
Mauern desſelben mit großen Buchſtaben die Worte „Eigenthum des
ganzen Volkes“ zu leſen find. Der Prinz hat mit ſeiner Familie geſtern
Berlin verlaſſen und befindet ſich wahrſcheinlich jetzt auf ſeiner Villa in
Potsdam. Die polniſchen Angeklagten und Verurtheilten welche der
König begnadigt hat, wurden heute aus dem Gefängniß entlaſſen und
fuhren im Triumph durch die Straßen. Am Schloß ſtellten ſie ſich auf
und brachten dem König ein Lebehoch, worauf das Volk „Es lebe Polen!“
rief. Unſere neue Bürgergarde organiſirt ſich zuſehends. Einſtweilen
hat ſie alle von den Truppen verlaſſenen Wachtpoſten bezogen. Im Schloß
hat die Schützengilde die Auszeichnung unmittelbar um des Königs Per-
ſon zu ſeyn. Gleichwohl herrſcht noch große Unruhe über das was die
nächſten Tage bringen können, und an der Preſſe wird es jetzt ſeyn ihre
ehrenhafte Aufgabe zu erfüllen und zur Ordnung ſowie zur Einigkeit
beizutragen.
* Wir erhalten eben noch Briefe aus Berlin vom 20 März
Abends. Der Friede war nicht weiter geſtört worden. Alle Truppen
hatten ſich aus der Stadt zurückgezogen, der König und der ganze Hof
hatten ſich nach Potsdam begeben. Vorher hatte der König noch eine
allgemeine politiſche Amneſtie erlaſſen; die befreiten Polen waren mit
einer deutſchen Fahne durch die Stadt gezogen vor das Schloß, um dem
König zu danken.
*** Breslau, 18 März.In der vorgeſtrigen Nacht iſt noch
Blut gefloſſen. Die verſchiedenen Haufen (ſ. mein geſtriges Schreiben)
hatten ſich noch ſpät vereinigt um mehreren beliebten Vertretern der
Stadt ein Hoch auszubringen. Dieß geſchah vor den Wohnungen der
Landtagsdeputirten Siebig und Tſchocke. Um halb 12 Uhr in der Nacht
hatte man auch dem Mitgliede der letzt an Se. Maj. geſandten Deputa-
tion, dem Apotheker Lockſtädt, ein Hoch gebracht, und dieſer wollte eben
ſeinen Dank ausſprechen als plötzlich eine Abtheilung Cuiraſſiere auf
ein Trompetenſignal heranſprengte und auf die Verſammelten, meiſt
Bürger, einhieb. Von denſelben wurden 11 verwundet. Dieſer Vor-
fall regte am geſtrigen Morgen die ganze Stadt auf. Um 11 Uhr begab
ſich eine Bürgerdeputation zu dem commandirenden General Graf
Brandenburg und verlangte von demſelben 1) Waffen für die Bürger,
2) Enthaltung jeder fernern Einmiſchung des Militärs und 3) Unter-
ſuchung gegen den Schuldigen. Se. Excellenz antwortete: Waffen könne
er nicht geben; ferner werde das Militär in den Caſernen bleiben und
nur auf Verlangen einſchreiten, endlich in Bezug auf den geſtrigen be-
dauernswerthen Vorfall ſey die Unterſuchung ſchon eingeleitet. Der
letztere Theil der Antwort erregte einen ungeheuren Jubel der Tauſende
welche auf den Straßen und vor dem Rathhauſe ſtanden, die Verweige-
rung der Waffen aber ebenſo großes Mißfallen und man ſprach nicht
undeutlich die Abſicht aus ſich die Waffen aus den Landwehrdepots ſelbſt
zu holen. Der Nachmittag gewährte ein Bild des lebendigſten Treibens
auf Straßen und in den Häuſern; ganz Breslau glich einer belagerten
Stadt. In den betreffenden Bezirken verſammelte ſich die Bürgerſchaft
um über die Organiſtrung der Bewaffnung zu berathen; es wurde be-
ſchloſſen: jeder ſolle ſich bewaffnen ſo gut er könne und Abends zwiſchen
6 bis 7 Uhr auf den beſtimmten Sammelplätzen ſich einfinden. Aehn-
liche Verſammlungen fanden von Seiten der Schutzverwandten und der
Studirenden ſtatt. Nun wurden die Waffenläden faſt geſtürmt, auch
nicht eine Spur von Waffe blieb in denſelben; in den Behauſungen
wurde alles hervorgeſucht was einer Waffe glich, Flinte, Säbel, Pike,
Lanze; auf offener Straße ſtanden Scheerenſchleifer von Studenten um-
geben die ſich ihre Rappiere und Hieber ſchärfen ließen. Um 7 Uhr
war die geſammte Bürgerſchaft, viele der Schutzverwandten und die
Studentenſchaft bewaffnet auf den Beinen, beſetzte die wichtigſten Punkte
oder zog in ſtarken Colonnen durch alle Straßen der Stadt. Zur Aus-
zeichnung trug man eine weiße Binde um den Arm, die meiſten hatten
noch ein ſchwarz-roth-goldenes Band oder dergleichen Cocarde hinzuge-
fügt. Um halb 9 Uhr verlangte ein ungeheurer Volkshaufe der vor dem
Rathhauſe ſtand, die Freilaſſung der wegen ſchwerer Majeſtätsbeleidi-
gung verhafteten Gebrüder Bürger Hoffmann. Man rückte in Maſſe
vor das Inquiſitoriat, und würde dasſelbe ſicherlich geſtürmt und die Frei-
laſſung aller Gefangenen bewirkt haben, hätte nicht eine Bürgerdeputa-
tion den Freilaſſungsbefehl von dem Criminaldirector erhalten. Die
Gebrüder Hoffmann wurden im Triumphe von dem Volke bis zum
Rathhauſe getragen. Die Ruhe der Stadt wurde nun, ausgenommen
einiges Geſchrei, nicht mehr geſtört; die Bewaffnung der Bürger hat das
ſchönſte Reſultat gewährt. Nachſchrift. Kurz vor Abgang der Poſt.
Es finden überall Verſammlungen ſtatt. Man will die Cenſoren zwin-
gen ſchon mit dem heutigen Tage die Cenſur aufhören zu laſſen. So
eben befinden ſich die drei Redacteure bei dem Oberpräſidenten.
Oeſterreich.
✡ Wien, 20 März. 1 Uhr Nachmittags.Der ge-
ſtrige Tag iſt in vollſter Ruhe zu Ende gegangen. Das Militär, welches
die Baſtei, Stadtgräben und Glacis beſetzt hatte und rund um Wien ein
großes Feldlager bildete, verläßt nach und nach ſeine Bivouaks, und
auch die Burg, deren innere Höfe vier Tage hindurch von Soldaten
vollgepfropft waren, iſt dem Publicum wieder geöffnet. Der Kaiſer
ſelbſt hat ſich auf ſeiner letzten Fahrt durch die Stadt von der unbe-
gränzten Anhänglichkeit und Treue des Volks überzeugt, und ſoll in
bittern Ausdrücken ſeinen gerechten Unwillen gegen diejenigen Männer
geäußert haben welche durch ſyſtematiſche Beſtrebungen das Vertrauen
zwiſchen Volk und Thron zu untergraben ſuchten. Bor allem hat dieſer
Unwille den Grafen Sedlnitzky getroffen, welcher Befehl erhielt Stadt
und Land zu verlaſſen. Ueber die Bildung des neuen verantwort-
chen Miniſteriums circuliren auch in den beſtunterrichten Kreiſen nur
Gerüchte; jedoch gehören alle Männer welche genannt werden zu der
entſchieden liberalen Partei; Pillersdorf — dieß ſteht feſt — iſt Mini-
ſter des Innern. Kolowrat wird als Präſident des Miniſteriums be-
zeichnet und ihm der Gouverneur in Galizien, Graf Stadion, beigegeben;
Kübeck bleibt für die Finanzen; Graf Coloredo-Wallſee wird als Mini-
ſter der auswärtigen Angelegenheiten genannt. Die Commiſſion der 24,
beſtehend, wie ich Ihnen meldete, aus zwölf Mitgliedern der nie-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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