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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.

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[Spaltenumbruch] sich noch je zuweilen die Brille auf der Nase von einem Auge zum andern,
um genau zuzusehen ob, was geschehen ist, wirklich geschehen ist. Während
der Revolution selber erschienen kaum zweihundert eigentliche National-
gardisten zwischen der Armee und dem Volk; aber falsche National-
gardisten erschienen in Menge, Leute aus dem Volk denen die Häupter
des socialistischen Republicanismus aufgekaufte Uniformen der National-
garden angethan hatten. Die Bürgerschaft also hatte sich gar nicht er-
klärt. Nach der Revolution eilte alles zu den Waffen, ließ sich alles in
Masse in die Nationalgarde einschreiben, sie ward voll und übervoll.
Neben den gestürzten Anhängern der orleanistischen Partei erschienen
die Legitimisten, aber besonders drängten Odilon-Barrot und Thiers,
die gestürzte Opposition, um die Nationalgarde so viel wie möglich zu
vermehren aus dem ganzen geschlossenen Bürgerstande, in Reih und
Glieder. Diese Lage der Dinge wollen die Clubs durch Hülfe der
Handwerkerclasse sprengen, die Compagnien der bestehenden National-
garde vollkommen desorganisiren, fremde und Volkselemente in Masse
in dieselbe einführen. Der Minister des Innern, welcher seinen Com-
missarien in den Departements die bekannten unbegränzten Gewalten
gegeben, hat ebenfalls unternommen die gänzliche Revision und Um-
änderung der Nationalgarde durch das Volk ins Mittel zu bringen.
Das ist die jetzige Krise in Paris, wo der Handwerkerstand und die
Bürgerclasse momentan in verwirrenden Verhältnissen sich verstrickt
finden. Diese Lage ist schwierig, ihre Entwickelung noch nicht am Ende.



Italienische Reisefragmente.
XV.

Mitten in das Toben des Carnevals stürzte
die Nachricht von der Revolution in Frankreich. Im ersten Augenblick
war man geneigt sie für einen ungeschickten Satyrspaß zu halten. Ein
Franzose, dem ich sie mittheilte, ward blaß und zitterte; als ich ihm das
Extrablatt der Genueser Zeitung vorhielt durch welches die Marseiller
telegraphischen Nachrichten hier zuerst bekannt wurden, röthete sich
plötzlich wieder sein Gesicht, er lachte: "Mein Herr, das ist italienisch!"
In diesem Geruch stehen hier die italienischen Zeitungsnachrichten. Die
Wahrheit brach nur zu bald durch. Alles ist Wahrheit?! rief und fragte
man sich zu; das ganze volle Maß des Unbegreiflichen? Ich schreibe
Ihnen nicht aus Rom über die französische Revolution in Paris; aber
der Reflex einer Flamme die ein Weltbrand werden könnte, ist auch in
andern Nationen zu beobachten in gewissen kritischen Momenten von Werth.
Wir blicken bang auf jeden Courier, alles drängt sich nach den Gesandt-
schaften, in den Kaffeehäusern demonstrirende, divinirende Gruppen,
auf den Straßen Kopf an Kopf mit den Extrablättern der Zeitungen,
welche, eine von der andern, die Bruchstücke der großen Tragödie ab-
schreiben. Ist dieser Prinz wirklich todt? -- Lebt jener noch? -- Und --
der Carneval geht ununterbrochen seinen Gang! Während noch viel-
leicht -- Gott verhüte es -- in den Gassen von Paris das Blut fließt,
das Musketenfeuer knallt, wirft man sich mit Blumensträußen und
Confetti, und die Masken tanzen und springen. Während Palermo
noch bombardirt wurde und die Parteien in Messina sich beschossen,
forderten sie in Neapel Bälle, Hoffeste! Es ging so fein und zart dort
her, wie hier schalkhaft, lustig, toll. Es ist Menschenart. Nicht die Ita-
liener allein; warum kamen denn so viele Fremde nach Rom, als des
Carnevals wegen! Soll eine Pariser Revolution sie um ihren Reise-
zweck betrügen? Doch, glücklicherweise, es gibt verschiedene Menschen-
arten. Die Franzosen, auf welche ich traf, beißen die Lippen, rollen
die Stirn, sie kneifen die Finger. Ihre Republicaner scheinen hier nicht
vertreten. Seit der Erklärung zur Republik hatte Graf Rosst, so ver-
lautete es, sein Hotel schließen lassen. Die Franzosen verlangen von
ihren Gesandten im Auslande mehr als die Deutschen von den ihrigen.
In einem litterarischen Cabinet bildete sich sofort ein Club Franzosen,
die von ihrem Gesandten Nachricht über alles Eingehende verlangen.
Sie beschicken das Hotel, sie stellen Wachen auf, die, selbständig sich
ablösend, den andern die eingehende Kunde hinterbringen müssen. Re-
publicanische Neigungen, wie gesagt, sind unter den hiesigen Franzosen
nicht zu finden; doch erschrickt unser deutscher Sinn über die eisige,
berechnende Kälte mit denen sie die herzzerreißende Tragödie betrachten.
Was ist ihnen Hekuba? Das trifft hier umgekehrt zu. Sie überhäufen
Lamartine, Arago, Lamennais, Ledru-Rollin u. a. mit allen Schmach-
worten der Entrüstung; sie sind Anhänger des Monarchismus, aber
was ist ihnen Ludwig Philipp, die Königin, die Prinzen? -- Figuren
[Spaltenumbruch] die einen Raum füllen; sind sie zerschlagen, stellt andere hin! Von
persönlicher Theilnahme, von Mitgefühl für ein so herbes Geschick,
einen so unerwarteten tragischen Umschlag keine Spur. "Ob ein König
ein guter Mensch, ein guter Gatte, ein guter Familienvater, davon
hat das Volk nichts. Wenn er ein guter König ihm ist, mag er in
seinem Haus und Herzen so schlecht seyn wie er will, das Volk kümmert
es nicht." -- Aber die Königin ist -- "gut, wie es Ihnen beliebt, sehr
fromm daneben; was geht es uns an. Weil sie so fromm ist, wird sie
sich für die verlorne Krone mit der Religion trösten." Dieß nicht eines
Stimme, die von zehn, zwanzig. Was sind ihnen Lamartine, Arago?
u. s. w. Doch Männer, vielleicht von vorgefaßten, einseitigen, falschen
Meinungen, aber von Ueberzeugung? "Nichts da; alle Männer die
nichts haben, und durch den Umsturz etwas zu gewinnen hoffen." --
"Vielleicht schleicht in der allgemeinen Hülfslostgkeit und Verwirrung
Heinrich V denn doch noch unvermerkt auf den Thron", so ungefähr
läßt sich die krächzende Stimme eines verkommenden Legitimisten ver-
nehmen. Denken Sie darum nicht an Liebe, Phantaste, Begeisterung,
es war nur die eine Weise auf welche die Spieluhr gestellt ist. In allen
Zeiten -- in Sturm und Zephyrwehen kann sie nur diese eine spielen.
Wenn alles human-sittliche Lebenselement eine Nation flieht, wenn sie
in den Menschen nur noch Ziffern steht, ist da überhaupt noch Fun-
dament für das Königthum? frage ich mich unwillkürlich, während mir
doch eine Republik in Frankreich noch als Unmöglichkeit erscheint.

Diesen Franzosen der Gegenwart gegenüber, diesen abstracten
Rechenmenschen, wie unendlich liebenswürdig erscheinen die Italiener
mit allen ihren Kindereien, ihren Spielereien, die bis zur Tollheit
gehen! Wie sie hassen, können sie auch lieben. "Es ist ein Schlag, ruft
einer, der zur Todeswunde für das auferstehende Italien werden kann."
Die verständigen Italiener hofften nie etwas von Frankreich; sie haben
seine Worte und Versprechungen unter allen Regierungsformen schätzen
gelernt. Sie wissen was eine französische Hülfe kostet -- die Eigen-
thümlichkeit. Wenn die andern bei dem neuen Worte Republik auf-
jauchzen, was ist's als eben ein neuer schöner Klang für das Ohr, der
den Sinn berauscht. Was man ihm schön vorsingt und spricht, ruft er
nach. Ich traf auf eine Gesellschaft Belgier. Auch Belgien soll schon
Republik seyn. Finstere Gesichter sahen sich an. Sie dankten für das
Glück einer Freiheit nach der ihr Land nicht trachte, lautete ihre
Antwort.

Die Deutschen in Rom gehören sehr verschiedenen Parteien an.
Unter allen doch nur eine Stimme: "Getraut Frankreich sich wirklich
als Republik im europäischen Völkerleben zu bestehen, dann kein Grund
sich in seine innern Angelegenheiten zu mischen, solange es seinen Arm
nicht nach den unsern ausstreckt. Kann es als Republik aber nur mit
seinem Gelüste nach dem Rheinufer bestehen, dann darf und wird unser
Vaterland nur eine Meinung haben, es wird, jeder, welcher Partei es
sey, wie ein Mann aufstehen. Dann aber ist das Losungswort nicht
mehr das linke Rheinufer, sondern wie ein Donnerruf muß das Losungs-
wort erschallen: das Elsaß! Das Elsaß nicht dem alten, sondern dem
neuen Deutschland wieder gewonnen! Denn aus einem solchen Conflict
muß, wird, kann nur ein neues Deutschland auferstehen." Und in einem
Carneval die Aussicht auf einem solchen Völkerkrieg; trotzige Mienen,
gehobene Brust, geschüttelte Hände unter Deutschen in Rom gegen
mögliche französische Anmaßungen! Wenigstens ist das erquickender als
die finstere Verzweiflung auf den Gesichtern der Franzosen. Wenn wir
froh aussehen, tritt wohl einer an uns und spricht: "Sie können lachen!
Wissen Sie nicht daß die Republik in Frankreich, wenn sie sich halten
will, den Rhein fordern muß!" Fordern und gewähren sind zwei
Dinge; wir brauchen das doch nicht zu antworten.

Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung
größer. Gestern Abend ein Corteggio durch die Stadt, mit Fackeln,
Fahnen: Viva l'Independenza d'Italia, Pio IX, la Francia -- la
Repubblica Francese!
aber dazwischen zwei merkwürdige Worte, die
noch nicht vernommen sind: Evviva Carlo Alberto di Milano! und
Evvivano i Liberali di tutti i paesi! Der Zug kam von der Akademie
der Franzosen, die spanische Treppe herab. Man hatte ihn seitens der
Franzosen nicht empfangen. Er verlor sich in der Stadt ohne, wie es
scheint, großen Anklang in der Bevölkerung gefunden zu haben. Auch
heute Mittag wiederholte sich der Zug, dießmal ohne Fackeln, aber mit
Musik; er war größer, die Zuzügler des Carnevals schlossen sich an.
Auch er blieb etwas Gemachtes. Aber man mußte diese freundlichen,
behaglichen Gesichter sehen, und sie im Gedanken mit denen der Pariser

[Spaltenumbruch] ſich noch je zuweilen die Brille auf der Naſe von einem Auge zum andern,
um genau zuzuſehen ob, was geſchehen iſt, wirklich geſchehen iſt. Während
der Revolution ſelber erſchienen kaum zweihundert eigentliche National-
gardiſten zwiſchen der Armee und dem Volk; aber falſche National-
gardiſten erſchienen in Menge, Leute aus dem Volk denen die Häupter
des ſocialiſtiſchen Republicanismus aufgekaufte Uniformen der National-
garden angethan hatten. Die Bürgerſchaft alſo hatte ſich gar nicht er-
klärt. Nach der Revolution eilte alles zu den Waffen, ließ ſich alles in
Maſſe in die Nationalgarde einſchreiben, ſie ward voll und übervoll.
Neben den geſtürzten Anhängern der orleaniſtiſchen Partei erſchienen
die Legitimiſten, aber beſonders drängten Odilon-Barrot und Thiers,
die geſtürzte Oppoſition, um die Nationalgarde ſo viel wie möglich zu
vermehren aus dem ganzen geſchloſſenen Bürgerſtande, in Reih und
Glieder. Dieſe Lage der Dinge wollen die Clubs durch Hülfe der
Handwerkerclaſſe ſprengen, die Compagnien der beſtehenden National-
garde vollkommen desorganiſiren, fremde und Volkselemente in Maſſe
in dieſelbe einführen. Der Miniſter des Innern, welcher ſeinen Com-
miſſarien in den Departements die bekannten unbegränzten Gewalten
gegeben, hat ebenfalls unternommen die gänzliche Reviſion und Um-
änderung der Nationalgarde durch das Volk ins Mittel zu bringen.
Das iſt die jetzige Kriſe in Paris, wo der Handwerkerſtand und die
Bürgerclaſſe momentan in verwirrenden Verhältniſſen ſich verſtrickt
finden. Dieſe Lage iſt ſchwierig, ihre Entwickelung noch nicht am Ende.



Italieniſche Reiſefragmente.
XV.

Mitten in das Toben des Carnevals ſtürzte
die Nachricht von der Revolution in Frankreich. Im erſten Augenblick
war man geneigt ſie für einen ungeſchickten Satyrſpaß zu halten. Ein
Franzoſe, dem ich ſie mittheilte, ward blaß und zitterte; als ich ihm das
Extrablatt der Genueſer Zeitung vorhielt durch welches die Marſeiller
telegraphiſchen Nachrichten hier zuerſt bekannt wurden, röthete ſich
plötzlich wieder ſein Geſicht, er lachte: „Mein Herr, das iſt italieniſch!“
In dieſem Geruch ſtehen hier die italieniſchen Zeitungsnachrichten. Die
Wahrheit brach nur zu bald durch. Alles iſt Wahrheit?! rief und fragte
man ſich zu; das ganze volle Maß des Unbegreiflichen? Ich ſchreibe
Ihnen nicht aus Rom über die franzöſiſche Revolution in Paris; aber
der Reflex einer Flamme die ein Weltbrand werden könnte, iſt auch in
andern Nationen zu beobachten in gewiſſen kritiſchen Momenten von Werth.
Wir blicken bang auf jeden Courier, alles drängt ſich nach den Geſandt-
ſchaften, in den Kaffeehäuſern demonſtrirende, divinirende Gruppen,
auf den Straßen Kopf an Kopf mit den Extrablättern der Zeitungen,
welche, eine von der andern, die Bruchſtücke der großen Tragödie ab-
ſchreiben. Iſt dieſer Prinz wirklich todt? — Lebt jener noch? — Und —
der Carneval geht ununterbrochen ſeinen Gang! Während noch viel-
leicht — Gott verhüte es — in den Gaſſen von Paris das Blut fließt,
das Musketenfeuer knallt, wirft man ſich mit Blumenſträußen und
Confetti, und die Masken tanzen und ſpringen. Während Palermo
noch bombardirt wurde und die Parteien in Meſſina ſich beſchoſſen,
forderten ſie in Neapel Bälle, Hoffeſte! Es ging ſo fein und zart dort
her, wie hier ſchalkhaft, luſtig, toll. Es iſt Menſchenart. Nicht die Ita-
liener allein; warum kamen denn ſo viele Fremde nach Rom, als des
Carnevals wegen! Soll eine Pariſer Revolution ſie um ihren Reiſe-
zweck betrügen? Doch, glücklicherweiſe, es gibt verſchiedene Menſchen-
arten. Die Franzoſen, auf welche ich traf, beißen die Lippen, rollen
die Stirn, ſie kneifen die Finger. Ihre Republicaner ſcheinen hier nicht
vertreten. Seit der Erklärung zur Republik hatte Graf Roſſt, ſo ver-
lautete es, ſein Hôtel ſchließen laſſen. Die Franzoſen verlangen von
ihren Geſandten im Auslande mehr als die Deutſchen von den ihrigen.
In einem litterariſchen Cabinet bildete ſich ſofort ein Club Franzoſen,
die von ihrem Geſandten Nachricht über alles Eingehende verlangen.
Sie beſchicken das Hôtel, ſie ſtellen Wachen auf, die, ſelbſtändig ſich
ablöſend, den andern die eingehende Kunde hinterbringen müſſen. Re-
publicaniſche Neigungen, wie geſagt, ſind unter den hieſigen Franzoſen
nicht zu finden; doch erſchrickt unſer deutſcher Sinn über die eiſige,
berechnende Kälte mit denen ſie die herzzerreißende Tragödie betrachten.
Was iſt ihnen Hekuba? Das trifft hier umgekehrt zu. Sie überhäufen
Lamartine, Arago, Lamennais, Ledru-Rollin u. a. mit allen Schmach-
worten der Entrüſtung; ſie ſind Anhänger des Monarchismus, aber
was iſt ihnen Ludwig Philipp, die Königin, die Prinzen? — Figuren
[Spaltenumbruch] die einen Raum füllen; ſind ſie zerſchlagen, ſtellt andere hin! Von
perſönlicher Theilnahme, von Mitgefühl für ein ſo herbes Geſchick,
einen ſo unerwarteten tragiſchen Umſchlag keine Spur. „Ob ein König
ein guter Menſch, ein guter Gatte, ein guter Familienvater, davon
hat das Volk nichts. Wenn er ein guter König ihm iſt, mag er in
ſeinem Haus und Herzen ſo ſchlecht ſeyn wie er will, das Volk kümmert
es nicht.“ — Aber die Königin iſt — „gut, wie es Ihnen beliebt, ſehr
fromm daneben; was geht es uns an. Weil ſie ſo fromm iſt, wird ſie
ſich für die verlorne Krone mit der Religion tröſten.“ Dieß nicht eines
Stimme, die von zehn, zwanzig. Was ſind ihnen Lamartine, Arago?
u. ſ. w. Doch Männer, vielleicht von vorgefaßten, einſeitigen, falſchen
Meinungen, aber von Ueberzeugung? „Nichts da; alle Männer die
nichts haben, und durch den Umſturz etwas zu gewinnen hoffen.“ —
„Vielleicht ſchleicht in der allgemeinen Hülfsloſtgkeit und Verwirrung
Heinrich V denn doch noch unvermerkt auf den Thron“, ſo ungefähr
läßt ſich die krächzende Stimme eines verkommenden Legitimiſten ver-
nehmen. Denken Sie darum nicht an Liebe, Phantaſte, Begeiſterung,
es war nur die eine Weiſe auf welche die Spieluhr geſtellt iſt. In allen
Zeiten — in Sturm und Zephyrwehen kann ſie nur dieſe eine ſpielen.
Wenn alles human-ſittliche Lebenselement eine Nation flieht, wenn ſie
in den Menſchen nur noch Ziffern ſteht, iſt da überhaupt noch Fun-
dament für das Königthum? frage ich mich unwillkürlich, während mir
doch eine Republik in Frankreich noch als Unmöglichkeit erſcheint.

Dieſen Franzoſen der Gegenwart gegenüber, dieſen abſtracten
Rechenmenſchen, wie unendlich liebenswürdig erſcheinen die Italiener
mit allen ihren Kindereien, ihren Spielereien, die bis zur Tollheit
gehen! Wie ſie haſſen, können ſie auch lieben. „Es iſt ein Schlag, ruft
einer, der zur Todeswunde für das auferſtehende Italien werden kann.“
Die verſtändigen Italiener hofften nie etwas von Frankreich; ſie haben
ſeine Worte und Verſprechungen unter allen Regierungsformen ſchätzen
gelernt. Sie wiſſen was eine franzöſiſche Hülfe koſtet — die Eigen-
thümlichkeit. Wenn die andern bei dem neuen Worte Republik auf-
jauchzen, was iſt’s als eben ein neuer ſchöner Klang für das Ohr, der
den Sinn berauſcht. Was man ihm ſchön vorſingt und ſpricht, ruft er
nach. Ich traf auf eine Geſellſchaft Belgier. Auch Belgien ſoll ſchon
Republik ſeyn. Finſtere Geſichter ſahen ſich an. Sie dankten für das
Glück einer Freiheit nach der ihr Land nicht trachte, lautete ihre
Antwort.

Die Deutſchen in Rom gehören ſehr verſchiedenen Parteien an.
Unter allen doch nur eine Stimme: „Getraut Frankreich ſich wirklich
als Republik im europäiſchen Völkerleben zu beſtehen, dann kein Grund
ſich in ſeine innern Angelegenheiten zu miſchen, ſolange es ſeinen Arm
nicht nach den unſern ausſtreckt. Kann es als Republik aber nur mit
ſeinem Gelüſte nach dem Rheinufer beſtehen, dann darf und wird unſer
Vaterland nur eine Meinung haben, es wird, jeder, welcher Partei es
ſey, wie ein Mann aufſtehen. Dann aber iſt das Loſungswort nicht
mehr das linke Rheinufer, ſondern wie ein Donnerruf muß das Loſungs-
wort erſchallen: das Elſaß! Das Elſaß nicht dem alten, ſondern dem
neuen Deutſchland wieder gewonnen! Denn aus einem ſolchen Conflict
muß, wird, kann nur ein neues Deutſchland auferſtehen.“ Und in einem
Carneval die Ausſicht auf einem ſolchen Völkerkrieg; trotzige Mienen,
gehobene Bruſt, geſchüttelte Hände unter Deutſchen in Rom gegen
mögliche franzöſiſche Anmaßungen! Wenigſtens iſt das erquickender als
die finſtere Verzweiflung auf den Geſichtern der Franzoſen. Wenn wir
froh ausſehen, tritt wohl einer an uns und ſpricht: „Sie können lachen!
Wiſſen Sie nicht daß die Republik in Frankreich, wenn ſie ſich halten
will, den Rhein fordern muß!“ Fordern und gewähren ſind zwei
Dinge; wir brauchen das doch nicht zu antworten.

Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung
größer. Geſtern Abend ein Corteggio durch die Stadt, mit Fackeln,
Fahnen: Viva l’Independenza d’Italia, Pio IX, la Francia — la
Repubblica Francese!
aber dazwiſchen zwei merkwürdige Worte, die
noch nicht vernommen ſind: Evviva Carlo Alberto di Milano! und
Evvivano i Liberali di tutti i paesi! Der Zug kam von der Akademie
der Franzoſen, die ſpaniſche Treppe herab. Man hatte ihn ſeitens der
Franzoſen nicht empfangen. Er verlor ſich in der Stadt ohne, wie es
ſcheint, großen Anklang in der Bevölkerung gefunden zu haben. Auch
heute Mittag wiederholte ſich der Zug, dießmal ohne Fackeln, aber mit
Muſik; er war größer, die Zuzügler des Carnevals ſchloſſen ſich an.
Auch er blieb etwas Gemachtes. Aber man mußte dieſe freundlichen,
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[1325/0013] ſich noch je zuweilen die Brille auf der Naſe von einem Auge zum andern, um genau zuzuſehen ob, was geſchehen iſt, wirklich geſchehen iſt. Während der Revolution ſelber erſchienen kaum zweihundert eigentliche National- gardiſten zwiſchen der Armee und dem Volk; aber falſche National- gardiſten erſchienen in Menge, Leute aus dem Volk denen die Häupter des ſocialiſtiſchen Republicanismus aufgekaufte Uniformen der National- garden angethan hatten. Die Bürgerſchaft alſo hatte ſich gar nicht er- klärt. Nach der Revolution eilte alles zu den Waffen, ließ ſich alles in Maſſe in die Nationalgarde einſchreiben, ſie ward voll und übervoll. Neben den geſtürzten Anhängern der orleaniſtiſchen Partei erſchienen die Legitimiſten, aber beſonders drängten Odilon-Barrot und Thiers, die geſtürzte Oppoſition, um die Nationalgarde ſo viel wie möglich zu vermehren aus dem ganzen geſchloſſenen Bürgerſtande, in Reih und Glieder. Dieſe Lage der Dinge wollen die Clubs durch Hülfe der Handwerkerclaſſe ſprengen, die Compagnien der beſtehenden National- garde vollkommen desorganiſiren, fremde und Volkselemente in Maſſe in dieſelbe einführen. Der Miniſter des Innern, welcher ſeinen Com- miſſarien in den Departements die bekannten unbegränzten Gewalten gegeben, hat ebenfalls unternommen die gänzliche Reviſion und Um- änderung der Nationalgarde durch das Volk ins Mittel zu bringen. Das iſt die jetzige Kriſe in Paris, wo der Handwerkerſtand und die Bürgerclaſſe momentan in verwirrenden Verhältniſſen ſich verſtrickt finden. Dieſe Lage iſt ſchwierig, ihre Entwickelung noch nicht am Ende. Italieniſche Reiſefragmente. XV. ∸ Rom, 5 März.Mitten in das Toben des Carnevals ſtürzte die Nachricht von der Revolution in Frankreich. Im erſten Augenblick war man geneigt ſie für einen ungeſchickten Satyrſpaß zu halten. Ein Franzoſe, dem ich ſie mittheilte, ward blaß und zitterte; als ich ihm das Extrablatt der Genueſer Zeitung vorhielt durch welches die Marſeiller telegraphiſchen Nachrichten hier zuerſt bekannt wurden, röthete ſich plötzlich wieder ſein Geſicht, er lachte: „Mein Herr, das iſt italieniſch!“ In dieſem Geruch ſtehen hier die italieniſchen Zeitungsnachrichten. Die Wahrheit brach nur zu bald durch. Alles iſt Wahrheit?! rief und fragte man ſich zu; das ganze volle Maß des Unbegreiflichen? Ich ſchreibe Ihnen nicht aus Rom über die franzöſiſche Revolution in Paris; aber der Reflex einer Flamme die ein Weltbrand werden könnte, iſt auch in andern Nationen zu beobachten in gewiſſen kritiſchen Momenten von Werth. Wir blicken bang auf jeden Courier, alles drängt ſich nach den Geſandt- ſchaften, in den Kaffeehäuſern demonſtrirende, divinirende Gruppen, auf den Straßen Kopf an Kopf mit den Extrablättern der Zeitungen, welche, eine von der andern, die Bruchſtücke der großen Tragödie ab- ſchreiben. Iſt dieſer Prinz wirklich todt? — Lebt jener noch? — Und — der Carneval geht ununterbrochen ſeinen Gang! Während noch viel- leicht — Gott verhüte es — in den Gaſſen von Paris das Blut fließt, das Musketenfeuer knallt, wirft man ſich mit Blumenſträußen und Confetti, und die Masken tanzen und ſpringen. Während Palermo noch bombardirt wurde und die Parteien in Meſſina ſich beſchoſſen, forderten ſie in Neapel Bälle, Hoffeſte! Es ging ſo fein und zart dort her, wie hier ſchalkhaft, luſtig, toll. Es iſt Menſchenart. Nicht die Ita- liener allein; warum kamen denn ſo viele Fremde nach Rom, als des Carnevals wegen! Soll eine Pariſer Revolution ſie um ihren Reiſe- zweck betrügen? Doch, glücklicherweiſe, es gibt verſchiedene Menſchen- arten. Die Franzoſen, auf welche ich traf, beißen die Lippen, rollen die Stirn, ſie kneifen die Finger. Ihre Republicaner ſcheinen hier nicht vertreten. Seit der Erklärung zur Republik hatte Graf Roſſt, ſo ver- lautete es, ſein Hôtel ſchließen laſſen. Die Franzoſen verlangen von ihren Geſandten im Auslande mehr als die Deutſchen von den ihrigen. In einem litterariſchen Cabinet bildete ſich ſofort ein Club Franzoſen, die von ihrem Geſandten Nachricht über alles Eingehende verlangen. Sie beſchicken das Hôtel, ſie ſtellen Wachen auf, die, ſelbſtändig ſich ablöſend, den andern die eingehende Kunde hinterbringen müſſen. Re- publicaniſche Neigungen, wie geſagt, ſind unter den hieſigen Franzoſen nicht zu finden; doch erſchrickt unſer deutſcher Sinn über die eiſige, berechnende Kälte mit denen ſie die herzzerreißende Tragödie betrachten. Was iſt ihnen Hekuba? Das trifft hier umgekehrt zu. Sie überhäufen Lamartine, Arago, Lamennais, Ledru-Rollin u. a. mit allen Schmach- worten der Entrüſtung; ſie ſind Anhänger des Monarchismus, aber was iſt ihnen Ludwig Philipp, die Königin, die Prinzen? — Figuren die einen Raum füllen; ſind ſie zerſchlagen, ſtellt andere hin! Von perſönlicher Theilnahme, von Mitgefühl für ein ſo herbes Geſchick, einen ſo unerwarteten tragiſchen Umſchlag keine Spur. „Ob ein König ein guter Menſch, ein guter Gatte, ein guter Familienvater, davon hat das Volk nichts. Wenn er ein guter König ihm iſt, mag er in ſeinem Haus und Herzen ſo ſchlecht ſeyn wie er will, das Volk kümmert es nicht.“ — Aber die Königin iſt — „gut, wie es Ihnen beliebt, ſehr fromm daneben; was geht es uns an. Weil ſie ſo fromm iſt, wird ſie ſich für die verlorne Krone mit der Religion tröſten.“ Dieß nicht eines Stimme, die von zehn, zwanzig. Was ſind ihnen Lamartine, Arago? u. ſ. w. Doch Männer, vielleicht von vorgefaßten, einſeitigen, falſchen Meinungen, aber von Ueberzeugung? „Nichts da; alle Männer die nichts haben, und durch den Umſturz etwas zu gewinnen hoffen.“ — „Vielleicht ſchleicht in der allgemeinen Hülfsloſtgkeit und Verwirrung Heinrich V denn doch noch unvermerkt auf den Thron“, ſo ungefähr läßt ſich die krächzende Stimme eines verkommenden Legitimiſten ver- nehmen. Denken Sie darum nicht an Liebe, Phantaſte, Begeiſterung, es war nur die eine Weiſe auf welche die Spieluhr geſtellt iſt. In allen Zeiten — in Sturm und Zephyrwehen kann ſie nur dieſe eine ſpielen. Wenn alles human-ſittliche Lebenselement eine Nation flieht, wenn ſie in den Menſchen nur noch Ziffern ſteht, iſt da überhaupt noch Fun- dament für das Königthum? frage ich mich unwillkürlich, während mir doch eine Republik in Frankreich noch als Unmöglichkeit erſcheint. Dieſen Franzoſen der Gegenwart gegenüber, dieſen abſtracten Rechenmenſchen, wie unendlich liebenswürdig erſcheinen die Italiener mit allen ihren Kindereien, ihren Spielereien, die bis zur Tollheit gehen! Wie ſie haſſen, können ſie auch lieben. „Es iſt ein Schlag, ruft einer, der zur Todeswunde für das auferſtehende Italien werden kann.“ Die verſtändigen Italiener hofften nie etwas von Frankreich; ſie haben ſeine Worte und Verſprechungen unter allen Regierungsformen ſchätzen gelernt. Sie wiſſen was eine franzöſiſche Hülfe koſtet — die Eigen- thümlichkeit. Wenn die andern bei dem neuen Worte Republik auf- jauchzen, was iſt’s als eben ein neuer ſchöner Klang für das Ohr, der den Sinn berauſcht. Was man ihm ſchön vorſingt und ſpricht, ruft er nach. Ich traf auf eine Geſellſchaft Belgier. Auch Belgien ſoll ſchon Republik ſeyn. Finſtere Geſichter ſahen ſich an. Sie dankten für das Glück einer Freiheit nach der ihr Land nicht trachte, lautete ihre Antwort. Die Deutſchen in Rom gehören ſehr verſchiedenen Parteien an. Unter allen doch nur eine Stimme: „Getraut Frankreich ſich wirklich als Republik im europäiſchen Völkerleben zu beſtehen, dann kein Grund ſich in ſeine innern Angelegenheiten zu miſchen, ſolange es ſeinen Arm nicht nach den unſern ausſtreckt. Kann es als Republik aber nur mit ſeinem Gelüſte nach dem Rheinufer beſtehen, dann darf und wird unſer Vaterland nur eine Meinung haben, es wird, jeder, welcher Partei es ſey, wie ein Mann aufſtehen. Dann aber iſt das Loſungswort nicht mehr das linke Rheinufer, ſondern wie ein Donnerruf muß das Loſungs- wort erſchallen: das Elſaß! Das Elſaß nicht dem alten, ſondern dem neuen Deutſchland wieder gewonnen! Denn aus einem ſolchen Conflict muß, wird, kann nur ein neues Deutſchland auferſtehen.“ Und in einem Carneval die Ausſicht auf einem ſolchen Völkerkrieg; trotzige Mienen, gehobene Bruſt, geſchüttelte Hände unter Deutſchen in Rom gegen mögliche franzöſiſche Anmaßungen! Wenigſtens iſt das erquickender als die finſtere Verzweiflung auf den Geſichtern der Franzoſen. Wenn wir froh ausſehen, tritt wohl einer an uns und ſpricht: „Sie können lachen! Wiſſen Sie nicht daß die Republik in Frankreich, wenn ſie ſich halten will, den Rhein fordern muß!“ Fordern und gewähren ſind zwei Dinge; wir brauchen das doch nicht zu antworten. 6 März.Die Nachrichten wurden bedenklicher, die Aufregung größer. Geſtern Abend ein Corteggio durch die Stadt, mit Fackeln, Fahnen: Viva l’Independenza d’Italia, Pio IX, la Francia — la Repubblica Francese! aber dazwiſchen zwei merkwürdige Worte, die noch nicht vernommen ſind: Evviva Carlo Alberto di Milano! und Evvivano i Liberali di tutti i paesi! Der Zug kam von der Akademie der Franzoſen, die ſpaniſche Treppe herab. Man hatte ihn ſeitens der Franzoſen nicht empfangen. Er verlor ſich in der Stadt ohne, wie es ſcheint, großen Anklang in der Bevölkerung gefunden zu haben. Auch heute Mittag wiederholte ſich der Zug, dießmal ohne Fackeln, aber mit Muſik; er war größer, die Zuzügler des Carnevals ſchloſſen ſich an. Auch er blieb etwas Gemachtes. Aber man mußte dieſe freundlichen, behaglichen Geſichter ſehen, und ſie im Gedanken mit denen der Pariſer

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848, S. 1325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1848/13>, abgerufen am 24.11.2024.