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Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.

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Nr. 81.
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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 21 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Der Fürstentag und Deutschlands Zukunft.

Die vorgestrigen Vorgänge in
Berlin und die gestrigen Bekanntmachungen die Ihnen beim Empfang
dieser Zeilen längst zugekommen seyn werden, haben in Berlin selbst,
in Magdeburg, Halle und Leipzig das ungeheuerste Aufsehen erregt --
und doch niemanden befriedigt, so wenig wie die frühere Cabinetsordre,
in welcher mit einem höchst charakteristischen Sophismus, statt von voller
Preßfreiheit, immer nur von einer vielleicht zu gewährenden Censur-
freiheit
die Rede war. Also mit einer möglichen Ausnahme von einem
längst verhaßten Ausnahmegesetz glaubt man die Völker noch ködern zu
können, und steht nicht ein daß ein so schwaches Zugeständniß jetzt zu
spät kommt? Indeß selbst Presse und Censur treten in den Hinter-
grund bei den jüngsten Eröffnungen. Der Vereinigte Landtag ist auf
den 27 April einberufen worden. Dieß ist wieder zu spät, viel zu
spät
; denn die bayerischen Kammern treten heute zusammen, die badi-
schen und hessischen sind bereits in Berathung, Württemberg, Nassau,
die kleineren Staaten werden nicht säumen. Die Zeit schreitet schnell;
was soll denn, großer Gott! eine Zusammenkunft des preußischen Land-
tages post festum, wenn alles vorbei seyn, wenn das Schicksal Deutsch-
lands längst entschieden seyn wird? Auch hört man daß unsere Abge-
ordneten die Absicht haben sich baldigst ungerufen in Berlin einzufinden,
in der sichern Voraussicht daß die Regierung vielleicht in wenigen Tagen
zu der Erkenntniß kommen wird daß sie nicht länger zögern darf, daß
sie den Landtag noch vor Ablauf dieses Monats um sich versammeln
muß, um sich statt der alten und abgestandenen Bureaukraten durch ge-
sunde und volksmäßige Elemente zu verstärken; sonst ist es zu spät, und
sie verliert die Rheinlande, verliert vielleicht selbst Westfalen und Sach-
sen. Und hierbei haben wir bloß die Dringlichkeit vor Augen die in den
innern Verhältnissen Deutschlands liegt. Aber hat man denn in Berlin
die Gefahr bereits vergessen die von Frankreich droht? Läßt man sich
täuschen durch den ephemeren Schein von Ruhe und Ordnung in Paris?
Ledru-Rollin, Louis Blanc und Consorten haben noch kaum vierzehn
Tage regiert, und Dank ihren phantastischen Versprechungen: die Ar-
beiter und Blousenmänner mit gebratenen Tauben zu ernähren, scheinen
sie bereits am Rand ihrer Geldmittel angelangt zu seyn; sie betteln um
Vorausbezahlung der Abgaben, und versetzen oder verkeilen unterdessen
ihren letzten Nothpfennig, die Krondiamanten und das Kronsilber.
Wenn das so fortgeht, so wird ihnen in weiteren vierzehn Tagen bis
drei Wochen nichts übrig bleiben als ihre unersättlichen Schaaren auf
Belgien und an den Rhein zu werfen, um sich dort Brod zu suchen.
Was soll dann der Vereinigte Landtag post festum? fragen wir
nochmals.

Indeß der königliche Gedanke in den gestrigen Erlassen ist klar,
und das ist es eben was die Gemüther am meisten beunruhigt. In
den jetzigen Zeiten gilt es die Wahrheit zu sagen, selbst
mit persönlicher Gefahr
; und dieß will ich versuchen, wenn Sie
mir Raum dazu gönnen. Man hofft in Berlin Zeit zu gewinnen
und alle Zugeständnisse zu umgehen
; deßhalb beruft man die
Stände so spät, und setzt mittlerweile einen Fürstentag nach Dresden an.
Kann es eine unpolitischere Idee, eine unpraktischere Maßregel geben?
Also in Pilnitz hofft man den Geist der Zeit wieder zu bannen? Dieß-
mal ist die Tagsatzung der Bundesgesandten weiser gewesen als ihre
Häupter: sie verlangt dringend Männer des Vertrauens der Völ-
ker
; Friedrich Wilhelm gedenkt mit dem Großherzog von Weimar, mit
dem Kurfürsten von Hessen, mit den Herzogen von Bernburg und Dessau,
mit Heinrich Reuß, der seit dreißig Jahren auf demselben Princip zu
reiten sich rühmt, das Vaterland zu erretten. Dieß ist wie das Mini-
sterium Mole am 23 Februar: ein todtgebornes Kind. Was könnte
ein deutscher Fürstentag, wenn er wirklich zusammenkäme, bezwecken
wollen? Etwa durch neue Karlsbader Beschlüsse die alte Ordnung
aufrechtzuerhalten, die eben das ganze Volk vom Rhein und von den
Alpen bis Danzig und Königsberg, der Bundestag selbst voran, aus
Einem Mund als eine verderbliche Unordnung bezeichnet! Jeder Fürst
bleibe zu Hause, lasse den Bundestag und das deutsche Parla-
ment
walten und füge sich in die unabweislichen Forderungen der Zeit;
auf solchem Wege werden sie mehr retten als durch einen Congreß in
Dresden, der nicht umhin kann von Anfang an Mißtrauen und Arg-
[Spaltenumbruch] wohn zu erwecken, da das deutsche Volk die Früchte anderer Congresse
noch frisch in der Erinnerung trägt. Selbst der Name eines Congresses
ist verhaßt. Oder ist -- denn die Billigkeit verlangt auch dieß voraus-
zusetzen -- der Geist der Zeit wirklich in die Fürsten gedrungen, ver-
stehen sie seine Forderungen und sind sie gewilligt ihnen nachzugeben?
Jhr Blatt ist seit einem halben Jahrhundert das verbreitetste in Deutsch-
land; es geziemt ihm auf einem solchen Wendepunkte der Weltgeschichte
sich zum Organ dieser Forderungen zu machen. Deutschland will
keine Republik
, es will die constitutionelle Monarchie, aber
eine wirkliche einheitliche Monarchie:

"Nicht taugt Vielherrschaft! Drum sey nur Einer der Herrscher,
Einer der König!"*)

Deutschland war ursprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem
Punkte gesammelte Macht und Hoheit einer Nation, der Brennpunkt
der nationalen Thätigkeit und Würde ist das was die Römer bei sich die
majestas populi Romani nannten. Nationale Einheit und Souverä-
netät: das ist der Inbegriff der Majestät eines Volkes. Als Rom in
eine Monarchie überging, ruhte die majestas auf seinen Kaisern. Auch
im deutschen Reiche war der Kaiser der Träger der deutschen Majestät.
Aber was ist aus der majestas nominis Germanici geworden? Seit
früher Zeit begannen die großen Reichsbarone, der Fürstenadel, wäh-
rend sie in Frankreich und England vor der einheitlichen Majestät nach
und nach sich beugten und auf den Bänken der Pairie oder des Ober-
hauses Platz nahmen, in Deutschland von der einheitlichen Souveränetät
der Nation, die der Kaiser darstellte, ein Stück nach dem andern abzu-
reißen, indem sie die Erblichkeit ihrer Lehen und ihrer Reichsämter
usurpirten; und endlich nahmen sie gar (1806) das Geschenk der vollen
Souveränetät aus fremder, aus Feindeshand. So ist die deutsche Ma-
jestät zertrümmert worden; ihre Trümmer ruhen jetzt auf dreiunddreißig
Fürsten und vier Bürgermeistern. Deutschland -- man täusche sich nicht
darüber -- ist nicht mehr ein monarchisches Land, wie man es wohl zu
nennen pflegt; es ist eine oligarchische Republik von siebenunddreißig
Machthabern, welche, falls die Geschichte die Wahrheit reden darf, ihre
Macht durch Usurpation erworben haben, wenn der Anfang dieser Usur-
pation auch von sehr altem Datum ist und sich in die Formen des Rech-
tes birgt. Die Zahl der Familien zu deren Gunsten sich die Dinge in
Deutschland so gestaltet haben, beträgt nicht viel über ein Duzend:
Habsburg, Hohenzollern, Wittelsbach, Oldenburg, Wettin, die Welfen,
Nassau, Hessen, Württemberg und ein halbes Duzend kleinere. Alles
dieß sine ira et studio; es gilt hier nicht Haß auszustreuen, sondern
sich über eine unnatürliche und deßhalb unhaltbare Sachlage zu ver-
ständigen.

Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Nassau,
wie Hannover groß und mächtig genug um in den Conflicten der euro-
päischen Interessen eine wahre Souveränetät zu tragen und zu behaup-
ten, um ihren Bürgern das erhebende Gefühl einer kräftigen und ge-
sicherten Nationalität zu gewähren? Kann man in baarem Ernste von
einer majestas populi Hanoverani, von einer kurfürstlich hessischen
Nationalcocarde sprechen wollen? Nein, wahrlich nicht! Beides nicht
einmal bei Preußen. Beweis dafür: selbst Preußen, das größte deut-
sche Territorium, hat gesucht sich durch den Zollverein zu ergänzen, um
sich der dunkel empfundenen Aufgabe eines nationalen Staates zu
nähern. Dieß ist die Sachlage in Deutschland, sie läßt sich nicht ab-
läugnen. Darum wünscht und verlangt das deutsche Volk seine zersplit-
terte Majestät wieder vereinigt und in ihrem alten Glanze hergestellt zu
sehen; es fordert die Aufhör der Patrimonialstaaten, um wieder eine
nationale Einheit zu bilden; es will die gegenwärtige Fürstenrepublik,
die man nicht übel mit dem alten Mamelukenstaat in Aegypten ver-
glichen hat, in ein Einiges souveränes König- (Kaiser-) thum zurück-
verwandeln: weil es nur unter dieser Form die ihm von der Geschichte
gestellte Aufgabe, das mächtigste Culturvolk Europa's zu seyn, zu er-
füllen vermag. Was steht diesem entgegen? Nicht die Personen der
Fürsten, wohl aber ihre vermeinten dynastischen Interessen. Allein man
ist es gewohnt in schweren Gefahren des Vaterlandes Hunderte und
Tausende von Bürgern aller Stände sich selbst und ihre Existenz zum

*)
Nr. 81.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 21 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Der Fürſtentag und Deutſchlands Zukunft.

Die vorgeſtrigen Vorgänge in
Berlin und die geſtrigen Bekanntmachungen die Ihnen beim Empfang
dieſer Zeilen längſt zugekommen ſeyn werden, haben in Berlin ſelbſt,
in Magdeburg, Halle und Leipzig das ungeheuerſte Aufſehen erregt —
und doch niemanden befriedigt, ſo wenig wie die frühere Cabinetsordre,
in welcher mit einem höchſt charakteriſtiſchen Sophismus, ſtatt von voller
Preßfreiheit, immer nur von einer vielleicht zu gewährenden Cenſur-
freiheit
die Rede war. Alſo mit einer möglichen Ausnahme von einem
längſt verhaßten Ausnahmegeſetz glaubt man die Völker noch ködern zu
können, und ſteht nicht ein daß ein ſo ſchwaches Zugeſtändniß jetzt zu
ſpät kommt? Indeß ſelbſt Preſſe und Cenſur treten in den Hinter-
grund bei den jüngſten Eröffnungen. Der Vereinigte Landtag iſt auf
den 27 April einberufen worden. Dieß iſt wieder zu ſpät, viel zu
ſpät
; denn die bayeriſchen Kammern treten heute zuſammen, die badi-
ſchen und heſſiſchen ſind bereits in Berathung, Württemberg, Naſſau,
die kleineren Staaten werden nicht ſäumen. Die Zeit ſchreitet ſchnell;
was ſoll denn, großer Gott! eine Zuſammenkunft des preußiſchen Land-
tages post festum, wenn alles vorbei ſeyn, wenn das Schickſal Deutſch-
lands längſt entſchieden ſeyn wird? Auch hört man daß unſere Abge-
ordneten die Abſicht haben ſich baldigſt ungerufen in Berlin einzufinden,
in der ſichern Vorausſicht daß die Regierung vielleicht in wenigen Tagen
zu der Erkenntniß kommen wird daß ſie nicht länger zögern darf, daß
ſie den Landtag noch vor Ablauf dieſes Monats um ſich verſammeln
muß, um ſich ſtatt der alten und abgeſtandenen Bureaukraten durch ge-
ſunde und volksmäßige Elemente zu verſtärken; ſonſt iſt es zu ſpät, und
ſie verliert die Rheinlande, verliert vielleicht ſelbſt Weſtfalen und Sach-
ſen. Und hierbei haben wir bloß die Dringlichkeit vor Augen die in den
innern Verhältniſſen Deutſchlands liegt. Aber hat man denn in Berlin
die Gefahr bereits vergeſſen die von Frankreich droht? Läßt man ſich
täuſchen durch den ephemeren Schein von Ruhe und Ordnung in Paris?
Ledru-Rollin, Louis Blanc und Conſorten haben noch kaum vierzehn
Tage regiert, und Dank ihren phantaſtiſchen Verſprechungen: die Ar-
beiter und Blouſenmänner mit gebratenen Tauben zu ernähren, ſcheinen
ſie bereits am Rand ihrer Geldmittel angelangt zu ſeyn; ſie betteln um
Vorausbezahlung der Abgaben, und verſetzen oder verkeilen unterdeſſen
ihren letzten Nothpfennig, die Krondiamanten und das Kronſilber.
Wenn das ſo fortgeht, ſo wird ihnen in weiteren vierzehn Tagen bis
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Belgien und an den Rhein zu werfen, um ſich dort Brod zu ſuchen.
Was ſoll dann der Vereinigte Landtag post festum? fragen wir
nochmals.

Indeß der königliche Gedanke in den geſtrigen Erlaſſen iſt klar,
und das iſt es eben was die Gemüther am meiſten beunruhigt. In
den jetzigen Zeiten gilt es die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt
mit perſönlicher Gefahr
; und dieß will ich verſuchen, wenn Sie
mir Raum dazu gönnen. Man hofft in Berlin Zeit zu gewinnen
und alle Zugeſtändniſſe zu umgehen
; deßhalb beruft man die
Stände ſo ſpät, und ſetzt mittlerweile einen Fürſtentag nach Dresden an.
Kann es eine unpolitiſchere Idee, eine unpraktiſchere Maßregel geben?
Alſo in Pilnitz hofft man den Geiſt der Zeit wieder zu bannen? Dieß-
mal iſt die Tagſatzung der Bundesgeſandten weiſer geweſen als ihre
Häupter: ſie verlangt dringend Männer des Vertrauens der Völ-
ker
; Friedrich Wilhelm gedenkt mit dem Großherzog von Weimar, mit
dem Kurfürſten von Heſſen, mit den Herzogen von Bernburg und Deſſau,
mit Heinrich Reuß, der ſeit dreißig Jahren auf demſelben Princip zu
reiten ſich rühmt, das Vaterland zu erretten. Dieß iſt wie das Mini-
ſterium Molé am 23 Februar: ein todtgebornes Kind. Was könnte
ein deutſcher Fürſtentag, wenn er wirklich zuſammenkäme, bezwecken
wollen? Etwa durch neue Karlsbader Beſchlüſſe die alte Ordnung
aufrechtzuerhalten, die eben das ganze Volk vom Rhein und von den
Alpen bis Danzig und Königsberg, der Bundestag ſelbſt voran, aus
Einem Mund als eine verderbliche Unordnung bezeichnet! Jeder Fürſt
bleibe zu Hauſe, laſſe den Bundestag und das deutſche Parla-
ment
walten und füge ſich in die unabweislichen Forderungen der Zeit;
auf ſolchem Wege werden ſie mehr retten als durch einen Congreß in
Dresden, der nicht umhin kann von Anfang an Mißtrauen und Arg-
[Spaltenumbruch] wohn zu erwecken, da das deutſche Volk die Früchte anderer Congreſſe
noch friſch in der Erinnerung trägt. Selbſt der Name eines Congreſſes
iſt verhaßt. Oder iſt — denn die Billigkeit verlangt auch dieß voraus-
zuſetzen — der Geiſt der Zeit wirklich in die Fürſten gedrungen, ver-
ſtehen ſie ſeine Forderungen und ſind ſie gewilligt ihnen nachzugeben?
Jhr Blatt iſt ſeit einem halben Jahrhundert das verbreitetſte in Deutſch-
land; es geziemt ihm auf einem ſolchen Wendepunkte der Weltgeſchichte
ſich zum Organ dieſer Forderungen zu machen. Deutſchland will
keine Republik
, es will die conſtitutionelle Monarchie, aber
eine wirkliche einheitliche Monarchie:

„Nicht taugt Vielherrſchaft! Drum ſey nur Einer der Herrſcher,
Einer der König!“*)

Deutſchland war urſprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem
Punkte geſammelte Macht und Hoheit einer Nation, der Brennpunkt
der nationalen Thätigkeit und Würde iſt das was die Römer bei ſich die
majestas populi Romani nannten. Nationale Einheit und Souverä-
netät: das iſt der Inbegriff der Majeſtät eines Volkes. Als Rom in
eine Monarchie überging, ruhte die majestas auf ſeinen Kaiſern. Auch
im deutſchen Reiche war der Kaiſer der Träger der deutſchen Majeſtät.
Aber was iſt aus der majestas nominis Germanici geworden? Seit
früher Zeit begannen die großen Reichsbarone, der Fürſtenadel, wäh-
rend ſie in Frankreich und England vor der einheitlichen Majeſtät nach
und nach ſich beugten und auf den Bänken der Pairie oder des Ober-
hauſes Platz nahmen, in Deutſchland von der einheitlichen Souveränetät
der Nation, die der Kaiſer darſtellte, ein Stück nach dem andern abzu-
reißen, indem ſie die Erblichkeit ihrer Lehen und ihrer Reichsämter
uſurpirten; und endlich nahmen ſie gar (1806) das Geſchenk der vollen
Souveränetät aus fremder, aus Feindeshand. So iſt die deutſche Ma-
jeſtät zertrümmert worden; ihre Trümmer ruhen jetzt auf dreiunddreißig
Fürſten und vier Bürgermeiſtern. Deutſchland — man täuſche ſich nicht
darüber — iſt nicht mehr ein monarchiſches Land, wie man es wohl zu
nennen pflegt; es iſt eine oligarchiſche Republik von ſiebenunddreißig
Machthabern, welche, falls die Geſchichte die Wahrheit reden darf, ihre
Macht durch Uſurpation erworben haben, wenn der Anfang dieſer Uſur-
pation auch von ſehr altem Datum iſt und ſich in die Formen des Rech-
tes birgt. Die Zahl der Familien zu deren Gunſten ſich die Dinge in
Deutſchland ſo geſtaltet haben, beträgt nicht viel über ein Duzend:
Habsburg, Hohenzollern, Wittelsbach, Oldenburg, Wettin, die Welfen,
Naſſau, Heſſen, Württemberg und ein halbes Duzend kleinere. Alles
dieß sine ira et studio; es gilt hier nicht Haß auszuſtreuen, ſondern
ſich über eine unnatürliche und deßhalb unhaltbare Sachlage zu ver-
ſtändigen.

Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Naſſau,
wie Hannover groß und mächtig genug um in den Conflicten der euro-
päiſchen Intereſſen eine wahre Souveränetät zu tragen und zu behaup-
ten, um ihren Bürgern das erhebende Gefühl einer kräftigen und ge-
ſicherten Nationalität zu gewähren? Kann man in baarem Ernſte von
einer majestas populi Hanoverani, von einer kurfürſtlich heſſiſchen
Nationalcocarde ſprechen wollen? Nein, wahrlich nicht! Beides nicht
einmal bei Preußen. Beweis dafür: ſelbſt Preußen, das größte deut-
ſche Territorium, hat geſucht ſich durch den Zollverein zu ergänzen, um
ſich der dunkel empfundenen Aufgabe eines nationalen Staates zu
nähern. Dieß iſt die Sachlage in Deutſchland, ſie läßt ſich nicht ab-
läugnen. Darum wünſcht und verlangt das deutſche Volk ſeine zerſplit-
terte Majeſtät wieder vereinigt und in ihrem alten Glanze hergeſtellt zu
ſehen; es fordert die Aufhör der Patrimonialſtaaten, um wieder eine
nationale Einheit zu bilden; es will die gegenwärtige Fürſtenrepublik,
die man nicht übel mit dem alten Mamelukenſtaat in Aegypten ver-
glichen hat, in ein Einiges ſouveränes König- (Kaiſer-) thum zurück-
verwandeln: weil es nur unter dieſer Form die ihm von der Geſchichte
geſtellte Aufgabe, das mächtigſte Culturvolk Europa’s zu ſeyn, zu er-
füllen vermag. Was ſteht dieſem entgegen? Nicht die Perſonen der
Fürſten, wohl aber ihre vermeinten dynaſtiſchen Intereſſen. Allein man
iſt es gewohnt in ſchweren Gefahren des Vaterlandes Hunderte und
Tauſende von Bürgern aller Stände ſich ſelbſt und ihre Exiſtenz zum

*)
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[0009] Nr. 81. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 21 März 1848. Der Fürſtentag und Deutſchlands Zukunft. * Von der Elbe, 16 März. Die vorgeſtrigen Vorgänge in Berlin und die geſtrigen Bekanntmachungen die Ihnen beim Empfang dieſer Zeilen längſt zugekommen ſeyn werden, haben in Berlin ſelbſt, in Magdeburg, Halle und Leipzig das ungeheuerſte Aufſehen erregt — und doch niemanden befriedigt, ſo wenig wie die frühere Cabinetsordre, in welcher mit einem höchſt charakteriſtiſchen Sophismus, ſtatt von voller Preßfreiheit, immer nur von einer vielleicht zu gewährenden Cenſur- freiheit die Rede war. Alſo mit einer möglichen Ausnahme von einem längſt verhaßten Ausnahmegeſetz glaubt man die Völker noch ködern zu können, und ſteht nicht ein daß ein ſo ſchwaches Zugeſtändniß jetzt zu ſpät kommt? Indeß ſelbſt Preſſe und Cenſur treten in den Hinter- grund bei den jüngſten Eröffnungen. Der Vereinigte Landtag iſt auf den 27 April einberufen worden. Dieß iſt wieder zu ſpät, viel zu ſpät; denn die bayeriſchen Kammern treten heute zuſammen, die badi- ſchen und heſſiſchen ſind bereits in Berathung, Württemberg, Naſſau, die kleineren Staaten werden nicht ſäumen. Die Zeit ſchreitet ſchnell; was ſoll denn, großer Gott! eine Zuſammenkunft des preußiſchen Land- tages post festum, wenn alles vorbei ſeyn, wenn das Schickſal Deutſch- lands längſt entſchieden ſeyn wird? Auch hört man daß unſere Abge- ordneten die Abſicht haben ſich baldigſt ungerufen in Berlin einzufinden, in der ſichern Vorausſicht daß die Regierung vielleicht in wenigen Tagen zu der Erkenntniß kommen wird daß ſie nicht länger zögern darf, daß ſie den Landtag noch vor Ablauf dieſes Monats um ſich verſammeln muß, um ſich ſtatt der alten und abgeſtandenen Bureaukraten durch ge- ſunde und volksmäßige Elemente zu verſtärken; ſonſt iſt es zu ſpät, und ſie verliert die Rheinlande, verliert vielleicht ſelbſt Weſtfalen und Sach- ſen. Und hierbei haben wir bloß die Dringlichkeit vor Augen die in den innern Verhältniſſen Deutſchlands liegt. Aber hat man denn in Berlin die Gefahr bereits vergeſſen die von Frankreich droht? Läßt man ſich täuſchen durch den ephemeren Schein von Ruhe und Ordnung in Paris? Ledru-Rollin, Louis Blanc und Conſorten haben noch kaum vierzehn Tage regiert, und Dank ihren phantaſtiſchen Verſprechungen: die Ar- beiter und Blouſenmänner mit gebratenen Tauben zu ernähren, ſcheinen ſie bereits am Rand ihrer Geldmittel angelangt zu ſeyn; ſie betteln um Vorausbezahlung der Abgaben, und verſetzen oder verkeilen unterdeſſen ihren letzten Nothpfennig, die Krondiamanten und das Kronſilber. Wenn das ſo fortgeht, ſo wird ihnen in weiteren vierzehn Tagen bis drei Wochen nichts übrig bleiben als ihre unerſättlichen Schaaren auf Belgien und an den Rhein zu werfen, um ſich dort Brod zu ſuchen. Was ſoll dann der Vereinigte Landtag post festum? fragen wir nochmals. Indeß der königliche Gedanke in den geſtrigen Erlaſſen iſt klar, und das iſt es eben was die Gemüther am meiſten beunruhigt. In den jetzigen Zeiten gilt es die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt mit perſönlicher Gefahr; und dieß will ich verſuchen, wenn Sie mir Raum dazu gönnen. Man hofft in Berlin Zeit zu gewinnen und alle Zugeſtändniſſe zu umgehen; deßhalb beruft man die Stände ſo ſpät, und ſetzt mittlerweile einen Fürſtentag nach Dresden an. Kann es eine unpolitiſchere Idee, eine unpraktiſchere Maßregel geben? Alſo in Pilnitz hofft man den Geiſt der Zeit wieder zu bannen? Dieß- mal iſt die Tagſatzung der Bundesgeſandten weiſer geweſen als ihre Häupter: ſie verlangt dringend Männer des Vertrauens der Völ- ker; Friedrich Wilhelm gedenkt mit dem Großherzog von Weimar, mit dem Kurfürſten von Heſſen, mit den Herzogen von Bernburg und Deſſau, mit Heinrich Reuß, der ſeit dreißig Jahren auf demſelben Princip zu reiten ſich rühmt, das Vaterland zu erretten. Dieß iſt wie das Mini- ſterium Molé am 23 Februar: ein todtgebornes Kind. Was könnte ein deutſcher Fürſtentag, wenn er wirklich zuſammenkäme, bezwecken wollen? Etwa durch neue Karlsbader Beſchlüſſe die alte Ordnung aufrechtzuerhalten, die eben das ganze Volk vom Rhein und von den Alpen bis Danzig und Königsberg, der Bundestag ſelbſt voran, aus Einem Mund als eine verderbliche Unordnung bezeichnet! Jeder Fürſt bleibe zu Hauſe, laſſe den Bundestag und das deutſche Parla- ment walten und füge ſich in die unabweislichen Forderungen der Zeit; auf ſolchem Wege werden ſie mehr retten als durch einen Congreß in Dresden, der nicht umhin kann von Anfang an Mißtrauen und Arg- wohn zu erwecken, da das deutſche Volk die Früchte anderer Congreſſe noch friſch in der Erinnerung trägt. Selbſt der Name eines Congreſſes iſt verhaßt. Oder iſt — denn die Billigkeit verlangt auch dieß voraus- zuſetzen — der Geiſt der Zeit wirklich in die Fürſten gedrungen, ver- ſtehen ſie ſeine Forderungen und ſind ſie gewilligt ihnen nachzugeben? Jhr Blatt iſt ſeit einem halben Jahrhundert das verbreitetſte in Deutſch- land; es geziemt ihm auf einem ſolchen Wendepunkte der Weltgeſchichte ſich zum Organ dieſer Forderungen zu machen. Deutſchland will keine Republik, es will die conſtitutionelle Monarchie, aber eine wirkliche einheitliche Monarchie: „Nicht taugt Vielherrſchaft! Drum ſey nur Einer der Herrſcher, Einer der König!“ *) Deutſchland war urſprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem Punkte geſammelte Macht und Hoheit einer Nation, der Brennpunkt der nationalen Thätigkeit und Würde iſt das was die Römer bei ſich die majestas populi Romani nannten. Nationale Einheit und Souverä- netät: das iſt der Inbegriff der Majeſtät eines Volkes. Als Rom in eine Monarchie überging, ruhte die majestas auf ſeinen Kaiſern. Auch im deutſchen Reiche war der Kaiſer der Träger der deutſchen Majeſtät. Aber was iſt aus der majestas nominis Germanici geworden? Seit früher Zeit begannen die großen Reichsbarone, der Fürſtenadel, wäh- rend ſie in Frankreich und England vor der einheitlichen Majeſtät nach und nach ſich beugten und auf den Bänken der Pairie oder des Ober- hauſes Platz nahmen, in Deutſchland von der einheitlichen Souveränetät der Nation, die der Kaiſer darſtellte, ein Stück nach dem andern abzu- reißen, indem ſie die Erblichkeit ihrer Lehen und ihrer Reichsämter uſurpirten; und endlich nahmen ſie gar (1806) das Geſchenk der vollen Souveränetät aus fremder, aus Feindeshand. So iſt die deutſche Ma- jeſtät zertrümmert worden; ihre Trümmer ruhen jetzt auf dreiunddreißig Fürſten und vier Bürgermeiſtern. Deutſchland — man täuſche ſich nicht darüber — iſt nicht mehr ein monarchiſches Land, wie man es wohl zu nennen pflegt; es iſt eine oligarchiſche Republik von ſiebenunddreißig Machthabern, welche, falls die Geſchichte die Wahrheit reden darf, ihre Macht durch Uſurpation erworben haben, wenn der Anfang dieſer Uſur- pation auch von ſehr altem Datum iſt und ſich in die Formen des Rech- tes birgt. Die Zahl der Familien zu deren Gunſten ſich die Dinge in Deutſchland ſo geſtaltet haben, beträgt nicht viel über ein Duzend: Habsburg, Hohenzollern, Wittelsbach, Oldenburg, Wettin, die Welfen, Naſſau, Heſſen, Württemberg und ein halbes Duzend kleinere. Alles dieß sine ira et studio; es gilt hier nicht Haß auszuſtreuen, ſondern ſich über eine unnatürliche und deßhalb unhaltbare Sachlage zu ver- ſtändigen. Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Naſſau, wie Hannover groß und mächtig genug um in den Conflicten der euro- päiſchen Intereſſen eine wahre Souveränetät zu tragen und zu behaup- ten, um ihren Bürgern das erhebende Gefühl einer kräftigen und ge- ſicherten Nationalität zu gewähren? Kann man in baarem Ernſte von einer majestas populi Hanoverani, von einer kurfürſtlich heſſiſchen Nationalcocarde ſprechen wollen? Nein, wahrlich nicht! Beides nicht einmal bei Preußen. Beweis dafür: ſelbſt Preußen, das größte deut- ſche Territorium, hat geſucht ſich durch den Zollverein zu ergänzen, um ſich der dunkel empfundenen Aufgabe eines nationalen Staates zu nähern. Dieß iſt die Sachlage in Deutſchland, ſie läßt ſich nicht ab- läugnen. Darum wünſcht und verlangt das deutſche Volk ſeine zerſplit- terte Majeſtät wieder vereinigt und in ihrem alten Glanze hergeſtellt zu ſehen; es fordert die Aufhör der Patrimonialſtaaten, um wieder eine nationale Einheit zu bilden; es will die gegenwärtige Fürſtenrepublik, die man nicht übel mit dem alten Mamelukenſtaat in Aegypten ver- glichen hat, in ein Einiges ſouveränes König- (Kaiſer-) thum zurück- verwandeln: weil es nur unter dieſer Form die ihm von der Geſchichte geſtellte Aufgabe, das mächtigſte Culturvolk Europa’s zu ſeyn, zu er- füllen vermag. Was ſteht dieſem entgegen? Nicht die Perſonen der Fürſten, wohl aber ihre vermeinten dynaſtiſchen Intereſſen. Allein man iſt es gewohnt in ſchweren Gefahren des Vaterlandes Hunderte und Tauſende von Bürgern aller Stände ſich ſelbſt und ihre Exiſtenz zum *)

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine81_1848/9>, abgerufen am 23.11.2024.