Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.[Spaltenumbruch]
nochmals zu danken: Manche Stadttheile beleuchteten als der Zug Wien, 15 März. Abends 11 Uhr. Der heutige Tag, wel- Die Dankadresse lautet: "Hoch lebe unser constitutioneller Kai- *+ Wien, 16 März. Gestern, kaum eine Viertelstunde nach [Spaltenumbruch]
nochmals zu danken: Manche Stadttheile beleuchteten als der Zug ✡ Wien, 15 März. Abends 11 Uhr. Der heutige Tag, wel- Die Dankadreſſe lautet: „Hoch lebe unſer conſtitutioneller Kai- *† Wien, 16 März. Geſtern, kaum eine Viertelſtunde nach <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0005" n="1269"/><cb/> nochmals zu danken: Manche Stadttheile beleuchteten als der Zug<lb/> durch ſie kam. Heute früh war die Verkündigung der Conſtitution<lb/> gedruckt an allen Ecken und in den Zeitungen zu leſen, ebenſo daß<lb/> Metternich abgedankt habe. Der Jubel iſt unermeßlich, noch nie bot<lb/> Prag ein ſo bewegtes feſtliches Anſehen. Von jedem Antlitz ſtrahlt<lb/> die reinſte Seelenfreude. Ueberall ſteht man weißrothe Kokarden, an<lb/> den Armen der Ausſchüſſe der ſtudirenden Jugend, deren Entzücken<lb/> unnennbar iſt, überdieß weiße Kreuze. Vom geſtrigen Tage an hat<lb/> unſer großes Reich die neue ruhmvolle glänzende Bahn des Fortſchrittes<lb/> angetreten, von geſtern datirt ein öffentliches Leben. Das Theater<lb/> feiert die Conſtitution durch eine feſtliche Beleuchtung; Abends wird eine<lb/> glänzende Illumination erwartet. Noch muß ich erwähnen daß geſtern<lb/> das geſammte Gubernium, heute die ganze ſtudirende Jugend die Bür-<lb/> gerpetition unterſchrieben hat. Karl Egon Ebert fordert alle Schrift-<lb/> ſteller und Buchhändler zu einer Verſammlung auf, die darüber berath-<lb/> ſchlagen ſoll wie man mit Nachdruck den etwaigen Mißbräuchen der<lb/> Preſſe begegnen könne, damit wir uns der neuen Freiheit würdig zeigen.<lb/> Gerade jetzt erfahre ich daß unſerm berühmten Slawiſten P. J. Scha-<lb/> farik von Wien aus die Profeſſur der ſlawiſchen Sprachen und Littera-<lb/> turen angetragen wurde.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>✡ <hi rendition="#b">Wien</hi>, 15 März. Abends 11 Uhr.</dateline><lb/> <p>Der heutige Tag, wel-<lb/> cher ſo ſchön begonnen, iſt glorreich zu Ende gegangen, und wird mit<lb/> goldenen Buchſtaben in den Annalen der Geſchichte nicht Oeſterreichs<lb/> allein, ſondern der Menſchheit verzeichnet werden. Die Ereigniſſe über-<lb/> ſtürzen ſich mit einer ans Wunderbare gränzenden Geſchwindigkeit, und<lb/> man kann es nicht mehr läugnen daß auch die Geſchichte der Zeit, von den<lb/> Kräften früher ſchlummernder Intelligenz beflügelt, wie auf eiſernem Ge-<lb/> leiſe betäubend ſchnell ihrer Entwicklung entgegeneilt. Die Eindrücke<lb/> der Reſultate ſind ſo mächtig, daß jeder in den Momenten der Ruhe ſich<lb/> fragt ob es Traum ſey oder Wahrheit, was er in den Stunden der Ver-<lb/> gangenheit erlebt, geſehen und gehört hat. So höre denn Europa,<lb/> hört es ihr Völker Deutſchlands und ihr Nationen des Kaiſerreichs, von<lb/> der Karpathen Fuß bis zum Adria und den beſchneiten Gipfeln der Alpen,<lb/> von Böhmens Gebirgen bis durch Ungarns Ebenen und Siebenbürgens<lb/> Thälern, hört es und ſtaunt und knieet nieder im Staube vor dem gro-<lb/> ßen Geiſte der Weltgeſchichte, deſſen Hauch über Europa’s civiliſirte<lb/> Länder befruchtend weht. Kaiſer Ferdinand, der Gute, hat heute am<lb/> 15 März im Jahre des Heils 1848 allen ſeinen Völkern eine Conſtitu-<lb/> tion gegeben — eine Conſtitution, baſirt auf der breiten Grundlage<lb/> der Vertretung des Beſitzes und der Intelligenz. Schon früh in der<lb/> Morgenſtunde war die Reſidenz in freudigſter Bewegung, harrend der<lb/> Dinge die da kommen ſollten. Zahlloſe Haufen Bewaffneter — Bür-<lb/> ger, neugebildete Nationalgarden, Handwerker und Studenten füllten<lb/> die Straßen. Gegen 40 bis 50,000 waren unter Waffen, und die freund-<lb/> liche Sonne ſchien einen frohen Tag des Glücks zu verkünden. Straßen-<lb/> anſchläge — von den Dichtern und Litteraten Wiens — bewieſen prak-<lb/> tiſch daß es keine Cenſur mehr gebe — Reden, überall gehalten, zeigten<lb/> daß die Sprache des Herzens, daß das freie Wort ſeiner Feſſel entbun-<lb/> den. Schon gegen 11 Uhr zogen die Deputationen von Ungarn —<lb/> Koſſuth und Batthyanyi und andere Männer des Fortſchritts an der<lb/> Spitze — von jubelnden Juraten-Schaaren gefolgt — im Triumph<lb/> durch die Leopoldſtadt in Wien ein. Da erſcheinen faſt zur ſelben Zeit<lb/> Reiter zu Pferd und verkünden begeiſternd die Proclamation der Con-<lb/> ſtitution. Von dem Balkon des juridiſch-politiſchen Leſevereins wur-<lb/> de ſie dem Volke und der Nationalgarde ſtundenlang verleſen, und der<lb/> Ruf „die Conſtitution“ erſcholl ſo furchtbar und dröhnend durch alle<lb/> Straßen der Stadt, daß ich mich an jenes hiſtoriſch-bekannte Geſchrei<lb/> des griechiſchen Volks bei Perikles’ Siegen in Olympia erinnerte, wo die<lb/> Vögel betäubt aus den Lüſten geſtürzt ſeyn ſollen. Ich habe aufgehört<lb/> die Sage als Fabel zu betrachten. (Ich muß einen Augenblick unter-<lb/> brechen, denn in den Straßen tönt der Ruf „Brand, zu den Waffen, zu<lb/> den Waffen.“ Es war ein Irrthum: an fünfhundert Ungarn, von Preß-<lb/> burg mit dem Dampfſchiff gekommen, zogen unter Fackelſchein und<lb/> Eljenruf in die Leopoldſtadt ein, und man hatte geglaubt es ſeyen<lb/> Bauernhaufen, welche die Vorſtädte anzündeten, wie man ſolches viel-<lb/> fach befürchtet. Dieß iſt nur eine kleine Epiſode des an ähnlichen Sce-<lb/> nen ſo reichen Tages.) Alle Colonnen der Bewaffneten, wie geſagt<lb/> 40 bis 50,000, bewegen ſich zur Burg, wo die Hauptmaſſe ſich auf dem<lb/> Joſephplatze aufſtellte. Hunderte von improviſirten Fahnen mit den<lb/> mannichfaltigſten Inſchriften: als Verbrüderung der Nationen — Con-<lb/> ſtitution — Freiheit, Recht und Wahrheit — Ordnung und Sicherheit<lb/><cb/> u. ſ. w. ziehen ihnen voran. Einige haben Muſik, andere Militär-,<lb/> wieder andere Kindertrommeln, und bei einigen ſteht man 10jährige<lb/> Knaben mit und ohne Tact, aber alle mit Begeiſterung dieſelben ſchla-<lb/> gen. Bei Dunkelwerden der Nacht iſt wiederum die ganze Stadt —<lb/> aber glänzender als je beleuchtet. Selbſt der Stephan, der uralte, iſt<lb/> illuminirt. Das Bild des Kaiſers, von Fackeln und Muſik begleitet,<lb/> von einigen tauſend bewaffneten und berittenen Nationalgardiſten und<lb/> Studenten gefolgt, wird unter unbeſchreiblichem Jubel durch die Stra-<lb/> ßen getragen. Endlich erſcheint der Kaiſer ſelbſt auf dem Balkon am<lb/> Joſephplatze; das Volk brachte ihm ein nie enden wollendes Hurrah,<lb/> und er ſelbſt ließ dann die Nation und Conſtitution hoch leben. Bei<lb/> dieſer Gelegenheit überreichte ihm die Bürgerdeputation eine Dank-<lb/> adreſſe. (Wir laſſen ſie folgen.) So viel und ſo weit für heute. Was<lb/> doch die Berliner lange Geſichter machen werden! <hi rendition="#g">Darauf</hi> freut ſich<lb/> hier alle Welt.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Dankadreſſe</hi> lautet: <floatingText><body><div n="1"><p>„Hoch lebe unſer conſtitutioneller Kai-<lb/> ſer! Hoch, Hoch, Hoch! Zum Himmel dringe unſer Jubel, und der All-<lb/> mächtige welcher die Schickſale der Völker lenket, vernehme unſere in-<lb/> nigſten Gebete daß er lange erhalte unſeren gütigen Vater, daß er ſegne<lb/> die Regierung, getragen von der Liebe eines treuen Volkes, welches<lb/> Blut und Leben für ſeinen großherzigen Kaiſer, für ſeine Freiheit ge-<lb/> ben und allen Stürmen der Zeit trotzen wird. Majeſtät! Wir Oeſter-<lb/> reicher werden beweiſen daß wir der Freiheit würdig ſind, werden es be-<lb/> weiſen in dem feſten Verbande mit allen unſeren Brüdern welches Stam-<lb/> mes und welcher Sprache ſie ſind; wir werden es beweiſen Angeſichts von<lb/> Europa, welches nun an uns einen Fels erkennen wird, zeigen gegen jeden<lb/> Feind der, Intelligenz und Selbſtändigkeit. Ew. Majeſtät! wir ge-<lb/> treuen Bürger beugen unſer Knie vor unſerem im neuen Glanze thro-<lb/> nenden Kaiſer Ferdinand!“</p></div></body></floatingText></p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>*† <hi rendition="#b">Wien</hi>, 16 März.</dateline><lb/> <p>Geſtern, kaum eine Viertelſtunde nach<lb/> dem Poſtſchluß, erfolgte die Bekanntmachung von dem Entſchluſſe Sr.<lb/> Maj. des Kaiſers ſeinem Volk eine Conſtitution zu geben, und ſomit<lb/> die Löſung eines großen politiſchen Drama’s, das die Hauptſtadt der öſter-<lb/> reichiſchen Monarchie durch drei ganze Tage in einer unbeſchreiblichen<lb/> Aufregung und einer ſchrecklichen Ungewißheit des Ausgangs erhalten<lb/> hatte. Das kundgemachte Geſetz ſagt ausdrücklich, es ſey wegen Einbe-<lb/> rufung von Abgeordneten aller Provinzialſtände und der beiden Central-<lb/> Congregationnen das Nöthige bereits verfügt, die Einberufung werde<lb/> mit verſtärkter Vertretung des Bürgerſtandes, und unter Berückſichti-<lb/> gung der beſtehenden Provinzialverfaſſungen in der möglich kürzeſten<lb/> Friſt ſtattfinden, Zweck derſelben ſey die Erlaſſung der von Sr. Maj.<lb/> beſchloſſenen <hi rendition="#g">Conſtitution des Vaterlandes</hi>. Verſprechen und An-<lb/> nahme, das erſte von Seite des Monarchen, das andere von Seite der Be-<lb/> völkerung, erfolgte, wie es ſcheint, in einem von niemand bezweifelten<lb/> Sinne, in jenem nämlich einer Conſtitution in der ſtrengen Bedeutung<lb/> des Wortes: mit beſchließenden, nicht bloß berathenden allgemeinen<lb/> Ständen, da dieß das einzige Weſentliche iſt wodurch ſich das Geſetz vom<lb/> 15 März von dem über denſelben Gegenſtand kundgemachten Geſetze vom<lb/> 14 unterſcheidet. Eine unbeſchreibliche Begeiſterung ergriff unmittelbar<lb/> nach der Bekanntmachung die in den Straßen der Stadt dicht gedräng-<lb/> ten Menſchenmaſſen, welche wo möglich ſich noch ſteigerte durch die An-<lb/> kunft einer zahlreichen ungariſchen Deputation aus Preßburg die faſt<lb/> zur ſelben Zeit eintrat, und durch die brüderlichen Zurufe und Begrü-<lb/> ßungen, mit denen ſie empfangen wurde, den allgemeinen Jubel ver-<lb/> mehrte. Das Militär empfing die Nachricht der großen Veränderun-<lb/> gen, wie mir ſchien, mit ruhiger Befriedigung; mit Begeiſterung, ſo-<lb/> weit ſich deren Aeußerung mit militäriſcher Disciplin vertragen konnte,<lb/> ſcheint ſie nur von den italieniſchen Grenadieren aufgenommen worden<lb/> zu ſeyn, welche anfänglich durch freudiges Lächeln und wechſelſeitige<lb/> freundliche Zuflüſterung ihre Theilnahme bezeugten, dann aber (es war<lb/> dieß in den Umgebungen und auf den Wällen des Kärthnerthors) als<lb/> die Vivatrufe, die das Volk dem geliebten Kaiſer brachte, immer lauter<lb/> wurden, plötzlich aus voller Bruſt und in einer unverkennbaren Herzens-<lb/> ergießung in den Jubel und die begeiſterten Rufe der Menge einſtimm-<lb/> ten. Es waren dieß dieſelben Grenadiere nach deren Decharge auf die<lb/> dichten, nur wenige Schritte entfernten Volksmaſſen auf dem hohen<lb/> Markt glücklicherweiſe auch nicht eine einzige Perſon die geringſte Ver-<lb/> letzung erhielt. Sowie die Herolde die frohe Botſchaft nach den ver-<lb/> ſchiedenen Theilen der Stadt brachten, rückte allmählich die bewaffnete<lb/> Volksmacht, unter unaufhörlichem Vivatrufen und dem kräftigen Eljen<lb/> der anweſenden Ungarn, gefolgt von einer unermeßlichen Volksmenge,<lb/> immer näher zuſammen, und es bildete ſich ſo in kurzer Zeit ein wahrer<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1269/0005]
nochmals zu danken: Manche Stadttheile beleuchteten als der Zug
durch ſie kam. Heute früh war die Verkündigung der Conſtitution
gedruckt an allen Ecken und in den Zeitungen zu leſen, ebenſo daß
Metternich abgedankt habe. Der Jubel iſt unermeßlich, noch nie bot
Prag ein ſo bewegtes feſtliches Anſehen. Von jedem Antlitz ſtrahlt
die reinſte Seelenfreude. Ueberall ſteht man weißrothe Kokarden, an
den Armen der Ausſchüſſe der ſtudirenden Jugend, deren Entzücken
unnennbar iſt, überdieß weiße Kreuze. Vom geſtrigen Tage an hat
unſer großes Reich die neue ruhmvolle glänzende Bahn des Fortſchrittes
angetreten, von geſtern datirt ein öffentliches Leben. Das Theater
feiert die Conſtitution durch eine feſtliche Beleuchtung; Abends wird eine
glänzende Illumination erwartet. Noch muß ich erwähnen daß geſtern
das geſammte Gubernium, heute die ganze ſtudirende Jugend die Bür-
gerpetition unterſchrieben hat. Karl Egon Ebert fordert alle Schrift-
ſteller und Buchhändler zu einer Verſammlung auf, die darüber berath-
ſchlagen ſoll wie man mit Nachdruck den etwaigen Mißbräuchen der
Preſſe begegnen könne, damit wir uns der neuen Freiheit würdig zeigen.
Gerade jetzt erfahre ich daß unſerm berühmten Slawiſten P. J. Scha-
farik von Wien aus die Profeſſur der ſlawiſchen Sprachen und Littera-
turen angetragen wurde.
✡ Wien, 15 März. Abends 11 Uhr.
Der heutige Tag, wel-
cher ſo ſchön begonnen, iſt glorreich zu Ende gegangen, und wird mit
goldenen Buchſtaben in den Annalen der Geſchichte nicht Oeſterreichs
allein, ſondern der Menſchheit verzeichnet werden. Die Ereigniſſe über-
ſtürzen ſich mit einer ans Wunderbare gränzenden Geſchwindigkeit, und
man kann es nicht mehr läugnen daß auch die Geſchichte der Zeit, von den
Kräften früher ſchlummernder Intelligenz beflügelt, wie auf eiſernem Ge-
leiſe betäubend ſchnell ihrer Entwicklung entgegeneilt. Die Eindrücke
der Reſultate ſind ſo mächtig, daß jeder in den Momenten der Ruhe ſich
fragt ob es Traum ſey oder Wahrheit, was er in den Stunden der Ver-
gangenheit erlebt, geſehen und gehört hat. So höre denn Europa,
hört es ihr Völker Deutſchlands und ihr Nationen des Kaiſerreichs, von
der Karpathen Fuß bis zum Adria und den beſchneiten Gipfeln der Alpen,
von Böhmens Gebirgen bis durch Ungarns Ebenen und Siebenbürgens
Thälern, hört es und ſtaunt und knieet nieder im Staube vor dem gro-
ßen Geiſte der Weltgeſchichte, deſſen Hauch über Europa’s civiliſirte
Länder befruchtend weht. Kaiſer Ferdinand, der Gute, hat heute am
15 März im Jahre des Heils 1848 allen ſeinen Völkern eine Conſtitu-
tion gegeben — eine Conſtitution, baſirt auf der breiten Grundlage
der Vertretung des Beſitzes und der Intelligenz. Schon früh in der
Morgenſtunde war die Reſidenz in freudigſter Bewegung, harrend der
Dinge die da kommen ſollten. Zahlloſe Haufen Bewaffneter — Bür-
ger, neugebildete Nationalgarden, Handwerker und Studenten füllten
die Straßen. Gegen 40 bis 50,000 waren unter Waffen, und die freund-
liche Sonne ſchien einen frohen Tag des Glücks zu verkünden. Straßen-
anſchläge — von den Dichtern und Litteraten Wiens — bewieſen prak-
tiſch daß es keine Cenſur mehr gebe — Reden, überall gehalten, zeigten
daß die Sprache des Herzens, daß das freie Wort ſeiner Feſſel entbun-
den. Schon gegen 11 Uhr zogen die Deputationen von Ungarn —
Koſſuth und Batthyanyi und andere Männer des Fortſchritts an der
Spitze — von jubelnden Juraten-Schaaren gefolgt — im Triumph
durch die Leopoldſtadt in Wien ein. Da erſcheinen faſt zur ſelben Zeit
Reiter zu Pferd und verkünden begeiſternd die Proclamation der Con-
ſtitution. Von dem Balkon des juridiſch-politiſchen Leſevereins wur-
de ſie dem Volke und der Nationalgarde ſtundenlang verleſen, und der
Ruf „die Conſtitution“ erſcholl ſo furchtbar und dröhnend durch alle
Straßen der Stadt, daß ich mich an jenes hiſtoriſch-bekannte Geſchrei
des griechiſchen Volks bei Perikles’ Siegen in Olympia erinnerte, wo die
Vögel betäubt aus den Lüſten geſtürzt ſeyn ſollen. Ich habe aufgehört
die Sage als Fabel zu betrachten. (Ich muß einen Augenblick unter-
brechen, denn in den Straßen tönt der Ruf „Brand, zu den Waffen, zu
den Waffen.“ Es war ein Irrthum: an fünfhundert Ungarn, von Preß-
burg mit dem Dampfſchiff gekommen, zogen unter Fackelſchein und
Eljenruf in die Leopoldſtadt ein, und man hatte geglaubt es ſeyen
Bauernhaufen, welche die Vorſtädte anzündeten, wie man ſolches viel-
fach befürchtet. Dieß iſt nur eine kleine Epiſode des an ähnlichen Sce-
nen ſo reichen Tages.) Alle Colonnen der Bewaffneten, wie geſagt
40 bis 50,000, bewegen ſich zur Burg, wo die Hauptmaſſe ſich auf dem
Joſephplatze aufſtellte. Hunderte von improviſirten Fahnen mit den
mannichfaltigſten Inſchriften: als Verbrüderung der Nationen — Con-
ſtitution — Freiheit, Recht und Wahrheit — Ordnung und Sicherheit
u. ſ. w. ziehen ihnen voran. Einige haben Muſik, andere Militär-,
wieder andere Kindertrommeln, und bei einigen ſteht man 10jährige
Knaben mit und ohne Tact, aber alle mit Begeiſterung dieſelben ſchla-
gen. Bei Dunkelwerden der Nacht iſt wiederum die ganze Stadt —
aber glänzender als je beleuchtet. Selbſt der Stephan, der uralte, iſt
illuminirt. Das Bild des Kaiſers, von Fackeln und Muſik begleitet,
von einigen tauſend bewaffneten und berittenen Nationalgardiſten und
Studenten gefolgt, wird unter unbeſchreiblichem Jubel durch die Stra-
ßen getragen. Endlich erſcheint der Kaiſer ſelbſt auf dem Balkon am
Joſephplatze; das Volk brachte ihm ein nie enden wollendes Hurrah,
und er ſelbſt ließ dann die Nation und Conſtitution hoch leben. Bei
dieſer Gelegenheit überreichte ihm die Bürgerdeputation eine Dank-
adreſſe. (Wir laſſen ſie folgen.) So viel und ſo weit für heute. Was
doch die Berliner lange Geſichter machen werden! Darauf freut ſich
hier alle Welt.
Die Dankadreſſe lautet: „Hoch lebe unſer conſtitutioneller Kai-
ſer! Hoch, Hoch, Hoch! Zum Himmel dringe unſer Jubel, und der All-
mächtige welcher die Schickſale der Völker lenket, vernehme unſere in-
nigſten Gebete daß er lange erhalte unſeren gütigen Vater, daß er ſegne
die Regierung, getragen von der Liebe eines treuen Volkes, welches
Blut und Leben für ſeinen großherzigen Kaiſer, für ſeine Freiheit ge-
ben und allen Stürmen der Zeit trotzen wird. Majeſtät! Wir Oeſter-
reicher werden beweiſen daß wir der Freiheit würdig ſind, werden es be-
weiſen in dem feſten Verbande mit allen unſeren Brüdern welches Stam-
mes und welcher Sprache ſie ſind; wir werden es beweiſen Angeſichts von
Europa, welches nun an uns einen Fels erkennen wird, zeigen gegen jeden
Feind der, Intelligenz und Selbſtändigkeit. Ew. Majeſtät! wir ge-
treuen Bürger beugen unſer Knie vor unſerem im neuen Glanze thro-
nenden Kaiſer Ferdinand!“
*† Wien, 16 März.
Geſtern, kaum eine Viertelſtunde nach
dem Poſtſchluß, erfolgte die Bekanntmachung von dem Entſchluſſe Sr.
Maj. des Kaiſers ſeinem Volk eine Conſtitution zu geben, und ſomit
die Löſung eines großen politiſchen Drama’s, das die Hauptſtadt der öſter-
reichiſchen Monarchie durch drei ganze Tage in einer unbeſchreiblichen
Aufregung und einer ſchrecklichen Ungewißheit des Ausgangs erhalten
hatte. Das kundgemachte Geſetz ſagt ausdrücklich, es ſey wegen Einbe-
rufung von Abgeordneten aller Provinzialſtände und der beiden Central-
Congregationnen das Nöthige bereits verfügt, die Einberufung werde
mit verſtärkter Vertretung des Bürgerſtandes, und unter Berückſichti-
gung der beſtehenden Provinzialverfaſſungen in der möglich kürzeſten
Friſt ſtattfinden, Zweck derſelben ſey die Erlaſſung der von Sr. Maj.
beſchloſſenen Conſtitution des Vaterlandes. Verſprechen und An-
nahme, das erſte von Seite des Monarchen, das andere von Seite der Be-
völkerung, erfolgte, wie es ſcheint, in einem von niemand bezweifelten
Sinne, in jenem nämlich einer Conſtitution in der ſtrengen Bedeutung
des Wortes: mit beſchließenden, nicht bloß berathenden allgemeinen
Ständen, da dieß das einzige Weſentliche iſt wodurch ſich das Geſetz vom
15 März von dem über denſelben Gegenſtand kundgemachten Geſetze vom
14 unterſcheidet. Eine unbeſchreibliche Begeiſterung ergriff unmittelbar
nach der Bekanntmachung die in den Straßen der Stadt dicht gedräng-
ten Menſchenmaſſen, welche wo möglich ſich noch ſteigerte durch die An-
kunft einer zahlreichen ungariſchen Deputation aus Preßburg die faſt
zur ſelben Zeit eintrat, und durch die brüderlichen Zurufe und Begrü-
ßungen, mit denen ſie empfangen wurde, den allgemeinen Jubel ver-
mehrte. Das Militär empfing die Nachricht der großen Veränderun-
gen, wie mir ſchien, mit ruhiger Befriedigung; mit Begeiſterung, ſo-
weit ſich deren Aeußerung mit militäriſcher Disciplin vertragen konnte,
ſcheint ſie nur von den italieniſchen Grenadieren aufgenommen worden
zu ſeyn, welche anfänglich durch freudiges Lächeln und wechſelſeitige
freundliche Zuflüſterung ihre Theilnahme bezeugten, dann aber (es war
dieß in den Umgebungen und auf den Wällen des Kärthnerthors) als
die Vivatrufe, die das Volk dem geliebten Kaiſer brachte, immer lauter
wurden, plötzlich aus voller Bruſt und in einer unverkennbaren Herzens-
ergießung in den Jubel und die begeiſterten Rufe der Menge einſtimm-
ten. Es waren dieß dieſelben Grenadiere nach deren Decharge auf die
dichten, nur wenige Schritte entfernten Volksmaſſen auf dem hohen
Markt glücklicherweiſe auch nicht eine einzige Perſon die geringſte Ver-
letzung erhielt. Sowie die Herolde die frohe Botſchaft nach den ver-
ſchiedenen Theilen der Stadt brachten, rückte allmählich die bewaffnete
Volksmacht, unter unaufhörlichem Vivatrufen und dem kräftigen Eljen
der anweſenden Ungarn, gefolgt von einer unermeßlichen Volksmenge,
immer näher zuſammen, und es bildete ſich ſo in kurzer Zeit ein wahrer
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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