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Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848.

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[Spaltenumbruch] als die zu seinem Unterhalt erforderlichen Stoffe. Es ist hier nicht der
Ort diesen Satz auszuführen; wir müssen uns vielmehr damit begnügen
an denselben die Folgerung zu knüpfen daß es allerdings die Sache der
bürgerlichen Einrichtungen ist dafür zu sorgen daß jede Kraft eine zweck-
mäßige Verwendung, jede Thätigkeit einen angemessenen Lohn finde.
Daß eine solche Forderung leichter gestellt als befriedigt ist, wissen wir
ebenso gut wie diejenigen welche etwa geneigt seyn möchten uns diesen
Einwand zu machen. Wir bescheiden uns gern daß wir nur das Ziel
sehen und nicht den Weg der zu demselben führt. Gleichwohl glauben
wir mit Gewißheit sagen zu können daß die von Hrn. Vollgraff bezeich-
nete Bahn nach einer falschen Richtung führt. Der Verfasser betrachtet
das was er übertriebene Concurrenz nennt, und was wir gewerbliche
Anarchie nennen würden, als eine Folge der Theilbarkeit der Bauern-
güter, der Ablösungen, der Gemeindetheilungen, der Aufhebung des
Zunftwesens, der Ausdehnung der Fabrikthätigkeit und des Maschinen-
wesens etc., und er sieht kein anderes Mittel der Abhülfe als die Wieder-
einführung jener Einrichtungen und die Beseitigung dieser Neuerungen.
Wir sind weder ein unbedingter Verehrer des Neuen, noch ein blinder
Verächter des Alten, und wir glauben allerdings daß namentlich bei
der Umgestaltung der bäuerlichen Verhältnisse Mißgriffe begangen sind
welche das jetzige und mehr als ein kommendes Geschlecht empfindlich zu
büßen haben wird. Aber das auf diesem Gebiet Geschehne rückgängig
machen wollen scheint uns der unbrauchbarste aller Einfälle zu seyn.
Jn das Gebiet des wahrhaft Abenteuerlichen verrirt sich der Verfasser
bei seinen Vorschlägen zur Abwehr der Nachtheile welche seiner Mei-
nung nach aus dem Maschinen- und Eisenbahnwesen entspringen. Er
will vor allen Dingen daß den bestehenden Eisenbahnen nur der Perso-
nen-Verkehr und die Postversendung überlassen werde, damit der Fracht-
verkehr wieder den Fuhrleuten u. s. w. anheimfalle, welche jetzt zu Grunde
gehen, vorbehaltlich der Erwägung ob der Betrieb der Eisenbahnen
welche dem Staat angehören oder anheimfallen, nicht überhaupt einzu-
stellen sey; künftige Eisenbahnbauten sollen nur unter den Bedingun-
gen gestattet werden daß (wir führen die Worte des Verfassers an):
"1) sie nicht auf Actien, sondern auf Kosten eines einzigen großen Capi-
talisten unternommen werden; 2) daß auf das Expropriationsrecht ver-
zichtet wird; 3) daß er sie mit fremden Eisenbahnschienen und frem-
den
Arbeitern erbaut, und diese 4. mit fremdem Getreide ernährt." Der
Verfasser, wie man sieht, gehört einer ganz neuen nationalökonomischen
Schule an, deren Meister und einzigen Jünger er vermuthlich in seiner
eigenen Person vereinigt. Nach denselben Grundsätzen will er dann
auch das Fabrikwesen auf solche Gegenstände beschränken die nicht hand-
werksmäßig erzeugt werden können. Mit andern Worten, er glaubt
dem Gewerbswesen dadurch aufhelfen zu können daß er die Arbeit er-
schwert und das Erzeugniß verkleinert.

Was den Ackerbau betrifft, so nimmt der Verfasser den schon von
andern Seiten her gemachten Vorschlag auf die Untheilbarkeit der Bau-
erngüter wieder herzustellen. Wir halten diesen Vorschlag, aus Grün-
den deren Ausführung überflüssig seyn würde, für unausführbar. Da-
gegen bekennen wir uns ganz offen zu der Ansicht daß es ein Mißgriff
seyn würde die Untheilbarkeit des bäuerlichen Besitzes, da wo sie noch in
Kraft besteht, durch gesetzlichen Zwang aufheben zu wollen, wenigstens
bis dahin daß die Volkswirthschaft ein Mittel ausfindig gemacht haben
wird den unheilvollen Folgen der endlosen Zersplitterung des Bodens
vorzubeugen oder abzuhelfen. Ein kräftiger Bauernstand ist dem Staate
so nothwendig daß seine Erhaltung selbst durch Ausnahmsgesetze nicht
zu theuer erkauft wird, und ein Gesetz welches die Erbberechtigung dem
gebieterischen Staatsbedürfniß unterordnet, erhält sicherlich keinen Wi-
derspruch gegen gesunde Rechtsgrundsätze. Frankreich zählt gegenwärtig
etwa sechsthalb Millionen Grundeigenthümer, aber mehr als die Hälfte
dieser sechsthalb Millionen hat nur ein Einkommen von weniger als
50 Franken, und kaum 200,000 von ihnen bringen es auf ein Ein-
nahme von 2000 Franken die den Werth eines mittleren Bauerngutes
darstellt. Jn mehreren deutschen Staaten sehen wir ähnliche Erschei-
nungen. Nun ist es freilich für uns nicht zweifelhaft daß die Natur-
kraft der Zeit früher oder später eine neue Abhülfe für die verderblichen
Folgen eines solchen Zustandes der Dinge bringen wird, mit dieser
Ueberzeugung ist aber der Wunsch sehr vereinbar daß da wo die alten
schützenden Einrichtungen sich noch nicht überlebt haben, durch kein
gewaltsames Einschreiten der Lauf der Dinge übereilt werde, um so
weniger als es ja immerhin möglich wäre daß jenen Gegenden durch
spätere Erfahrungen die schlimme Durchgangsperiode erspart würde in
[Spaltenumbruch] welcher andere Länder in diesem Augenblick begriffen sind. Man lasse
die Sitte walten, man thue der Selbstgesetzgebung des Volkes aus der
jene Einrichtungen hervorgegangen keine Gewalt an. Geräth das Bedürf-
niß der Gegenwart wirklich und von innen heraus in Widerspruch mit
Ueberlieferungen der Vorzeit, so wird es sich schon von denselben zu
befreien wissen, ohne daß ein gebieterisches Gesetz vorgreift. Jn dem-
selben Sinne in welchem der Staat das größte Jnteresse hat die über-
mäßige Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes zu verhindern, in dem-
selben Sinne darf man es nothwendig und dreimal nothwendig nennen
daß der übermäßigen Anhäufung des Grundeigenthums in derselben
Hand entgegengearbeitet wird. Wenn wir gleichwohl sehen daß die
Gesetzgebung fast überall diese Anhäufung befördert, wenn wir sehen
wie sogar die Stistung von Adelsmajoraten noch immer Vorschub findet,
wie die Staatsgewalt oft einen reichen Grundherrn höher anschlägt als
hundert oder gar tausend wohlhabende Bauern, wenn wir Zeuge solcher
unbegreiflichen Verirrungen seyn müssen, so wandelt uns manchmal
der bittere Zweifel an, ob die politische und die ökonomische Zukunft
Deutschlands nicht von denen am meisten preisgegeben werde deren
dringendste Aufgabe es ist dieselbe zu schützen und zu wahren.



Großherzogthum Hessen.

Sowie vor einer Woche dem
von München zurückkehrenden Regierungsnachfolger, in der Ahnung
daß er berufen werden würde das Staatsruder zu ergreifen, das
er nun mit entschlossener Hand führt, ein sehr herzlicher Empfang be-
reitet worden war, so wurde auf die Nachricht daß die Erbgroßherzogin
gleichfalls auf der Rückreise von München und ihr Gemahl ihr entgegen-
gereist sey um sie hieher zu geleiten, dem fürstlichen Paar eine Ovation
zugedacht. Bei der Ankunft desselben im Bahnhofe gestern Abend, fand
es die Turner, die nun wieder eine Gemeinde bilden dürfen, die Schüler
der höheren Gewerb- und Realschule und die Bürgergarde aufgestellt, um-
geben von Tausenden die das Stationsgebäude umwogten. Duller hielt eine
herzliche Anrede an das fürstliche Paar; das Auge der Fürstin erglänzte
in Thränen. Der Wagen der das Paar ins Residenzschloß trug, war
ein Triumphwagen. Das Vertrauen und die Liebe des Volkes ist ein
Gut das eben unschätzbar, ein Zauberstab ist. Noch umtosen uns Wo-
gen; die Masse welche durch das untergegangene System, durch keine
Entwicklung des Staatslebens herangebildet worden war, gibt sich hier
und dort Excessen, Mißhandlungen, Erpressungen von Zugeständnissen
u. s. w. hin -- die Standesherren die früher es versäumt hatten billige
Wünsche zu befriedigen, sehen sich von ihren Hintersassen vielfach be-
drängt; indessen wird der Rechtsfrieden bald hergestellt seyn und das
Werk der Reform ungestört aufgerichtet werden. Schon erhebt es sich
auf starken Grundlagen. Bereits ist der Graf von Lehrbach, ein Mili-
tär der sich durch eine zwanzigjährige parlamentarische Laufbahn zum
Publicisten herangebildet hat, an die süddeutschen Höfe gesendet worden
um das Werk der "Nationalvertretung zur Vervollständigung der Or-
ganisation und zur Erstarkung Deutschlands" fördern zu helfen. Allge-
meiner Gegenstand der Unterhaltung ist die Rede des Prinzen Emil,
des Trägers des bestegten Regiments in der ersten Kammer, worin er
erklärte er werde dem herrschenden System dienen, obgleich er es nicht
für das richtige halte. (Die Nachricht von seiner Abreise war also
irrig.)



Königreich Sachsen.

Die provisorische Aufhebung der Cen-
sur und die Einberufung des außerordentlichen Landtags für den 20 d.,
damit er ein Preßgesetz berathe, und die Meinung des Landes über die
noch aus der bisherigen Zusammensetzung des Ministeriums vorhande-
nen fünf Minister ausspreche, hat wohl einen guten aber durchaus noch
keinen befriedigenden Eindruck hervorgerufen. Noch fehlen nämlich alle
Gewährleistungen für Erfüllung ebenso allgemein und dringend begehr-
ter Zugeständnisse, als z. B. Sachsens Fürsprache zur Vertretung des
Volkes beim Bundestag, Reform des Wahlgesetzes, Einführung der öf-
fentlich-mündlichen Rechtspflege mit Geschwornengerichten, Volksbewaff-
nung, abgesehen von andern wohl eben so allgemein anerkannten, nur
vielleicht in minderer Allgemeinheit ausgesprochenen Wünschen. Die be-
reits beim vorigen außerordentlichen Landtag stark angeregte Frage we-
gen dessen Competenz im drängenden Augenblicke von neuem aufzuwer-
fen, wie es von manchen Seiten geschieht, erscheint müssig. Der zusam-
mentretende Landtag braucht sich ja nur darüber zu erklären. Die that-

[Spaltenumbruch] als die zu ſeinem Unterhalt erforderlichen Stoffe. Es iſt hier nicht der
Ort dieſen Satz auszuführen; wir müſſen uns vielmehr damit begnügen
an denſelben die Folgerung zu knüpfen daß es allerdings die Sache der
bürgerlichen Einrichtungen iſt dafür zu ſorgen daß jede Kraft eine zweck-
mäßige Verwendung, jede Thätigkeit einen angemeſſenen Lohn finde.
Daß eine ſolche Forderung leichter geſtellt als befriedigt iſt, wiſſen wir
ebenſo gut wie diejenigen welche etwa geneigt ſeyn möchten uns dieſen
Einwand zu machen. Wir beſcheiden uns gern daß wir nur das Ziel
ſehen und nicht den Weg der zu demſelben führt. Gleichwohl glauben
wir mit Gewißheit ſagen zu können daß die von Hrn. Vollgraff bezeich-
nete Bahn nach einer falſchen Richtung führt. Der Verfaſſer betrachtet
das was er übertriebene Concurrenz nennt, und was wir gewerbliche
Anarchie nennen würden, als eine Folge der Theilbarkeit der Bauern-
güter, der Ablöſungen, der Gemeindetheilungen, der Aufhebung des
Zunftweſens, der Ausdehnung der Fabrikthätigkeit und des Maſchinen-
weſens ꝛc., und er ſieht kein anderes Mittel der Abhülfe als die Wieder-
einführung jener Einrichtungen und die Beſeitigung dieſer Neuerungen.
Wir ſind weder ein unbedingter Verehrer des Neuen, noch ein blinder
Verächter des Alten, und wir glauben allerdings daß namentlich bei
der Umgeſtaltung der bäuerlichen Verhältniſſe Mißgriffe begangen ſind
welche das jetzige und mehr als ein kommendes Geſchlecht empfindlich zu
büßen haben wird. Aber das auf dieſem Gebiet Geſchehne rückgängig
machen wollen ſcheint uns der unbrauchbarſte aller Einfälle zu ſeyn.
Jn das Gebiet des wahrhaft Abenteuerlichen verrirt ſich der Verfaſſer
bei ſeinen Vorſchlägen zur Abwehr der Nachtheile welche ſeiner Mei-
nung nach aus dem Maſchinen- und Eiſenbahnweſen entſpringen. Er
will vor allen Dingen daß den beſtehenden Eiſenbahnen nur der Perſo-
nen-Verkehr und die Poſtverſendung überlaſſen werde, damit der Fracht-
verkehr wieder den Fuhrleuten u. ſ. w. anheimfalle, welche jetzt zu Grunde
gehen, vorbehaltlich der Erwägung ob der Betrieb der Eiſenbahnen
welche dem Staat angehören oder anheimfallen, nicht überhaupt einzu-
ſtellen ſey; künftige Eiſenbahnbauten ſollen nur unter den Bedingun-
gen geſtattet werden daß (wir führen die Worte des Verfaſſers an):
„1) ſie nicht auf Actien, ſondern auf Koſten eines einzigen großen Capi-
taliſten unternommen werden; 2) daß auf das Expropriationsrecht ver-
zichtet wird; 3) daß er ſie mit fremden Eiſenbahnſchienen und frem-
den
Arbeitern erbaut, und dieſe 4. mit fremdem Getreide ernährt.“ Der
Verfaſſer, wie man ſieht, gehört einer ganz neuen nationalökonomiſchen
Schule an, deren Meiſter und einzigen Jünger er vermuthlich in ſeiner
eigenen Perſon vereinigt. Nach denſelben Grundſätzen will er dann
auch das Fabrikweſen auf ſolche Gegenſtände beſchränken die nicht hand-
werksmäßig erzeugt werden können. Mit andern Worten, er glaubt
dem Gewerbsweſen dadurch aufhelfen zu können daß er die Arbeit er-
ſchwert und das Erzeugniß verkleinert.

Was den Ackerbau betrifft, ſo nimmt der Verfaſſer den ſchon von
andern Seiten her gemachten Vorſchlag auf die Untheilbarkeit der Bau-
erngüter wieder herzuſtellen. Wir halten dieſen Vorſchlag, aus Grün-
den deren Ausführung überflüſſig ſeyn würde, für unausführbar. Da-
gegen bekennen wir uns ganz offen zu der Anſicht daß es ein Mißgriff
ſeyn würde die Untheilbarkeit des bäuerlichen Beſitzes, da wo ſie noch in
Kraft beſteht, durch geſetzlichen Zwang aufheben zu wollen, wenigſtens
bis dahin daß die Volkswirthſchaft ein Mittel ausfindig gemacht haben
wird den unheilvollen Folgen der endloſen Zerſplitterung des Bodens
vorzubeugen oder abzuhelfen. Ein kräftiger Bauernſtand iſt dem Staate
ſo nothwendig daß ſeine Erhaltung ſelbſt durch Ausnahmsgeſetze nicht
zu theuer erkauft wird, und ein Geſetz welches die Erbberechtigung dem
gebieteriſchen Staatsbedürfniß unterordnet, erhält ſicherlich keinen Wi-
derſpruch gegen geſunde Rechtsgrundſätze. Frankreich zählt gegenwärtig
etwa ſechſthalb Millionen Grundeigenthümer, aber mehr als die Hälfte
dieſer ſechsthalb Millionen hat nur ein Einkommen von weniger als
50 Franken, und kaum 200,000 von ihnen bringen es auf ein Ein-
nahme von 2000 Franken die den Werth eines mittleren Bauerngutes
darſtellt. Jn mehreren deutſchen Staaten ſehen wir ähnliche Erſchei-
nungen. Nun iſt es freilich für uns nicht zweifelhaft daß die Natur-
kraft der Zeit früher oder ſpäter eine neue Abhülfe für die verderblichen
Folgen eines ſolchen Zuſtandes der Dinge bringen wird, mit dieſer
Ueberzeugung iſt aber der Wunſch ſehr vereinbar daß da wo die alten
ſchützenden Einrichtungen ſich noch nicht überlebt haben, durch kein
gewaltſames Einſchreiten der Lauf der Dinge übereilt werde, um ſo
weniger als es ja immerhin möglich wäre daß jenen Gegenden durch
ſpätere Erfahrungen die ſchlimme Durchgangsperiode erſpart würde in
[Spaltenumbruch] welcher andere Länder in dieſem Augenblick begriffen ſind. Man laſſe
die Sitte walten, man thue der Selbſtgeſetzgebung des Volkes aus der
jene Einrichtungen hervorgegangen keine Gewalt an. Geräth das Bedürf-
niß der Gegenwart wirklich und von innen heraus in Widerſpruch mit
Ueberlieferungen der Vorzeit, ſo wird es ſich ſchon von denſelben zu
befreien wiſſen, ohne daß ein gebieteriſches Geſetz vorgreift. Jn dem-
ſelben Sinne in welchem der Staat das größte Jntereſſe hat die über-
mäßige Zerſplitterung des bäuerlichen Beſitzes zu verhindern, in dem-
ſelben Sinne darf man es nothwendig und dreimal nothwendig nennen
daß der übermäßigen Anhäufung des Grundeigenthums in derſelben
Hand entgegengearbeitet wird. Wenn wir gleichwohl ſehen daß die
Geſetzgebung faſt überall dieſe Anhäufung befördert, wenn wir ſehen
wie ſogar die Stiſtung von Adelsmajoraten noch immer Vorſchub findet,
wie die Staatsgewalt oft einen reichen Grundherrn höher anſchlägt als
hundert oder gar tauſend wohlhabende Bauern, wenn wir Zeuge ſolcher
unbegreiflichen Verirrungen ſeyn müſſen, ſo wandelt uns manchmal
der bittere Zweifel an, ob die politiſche und die ökonomiſche Zukunft
Deutſchlands nicht von denen am meiſten preisgegeben werde deren
dringendſte Aufgabe es iſt dieſelbe zu ſchützen und zu wahren.



Großherzogthum Heſſen.

Sowie vor einer Woche dem
von München zurückkehrenden Regierungsnachfolger, in der Ahnung
daß er berufen werden würde das Staatsruder zu ergreifen, das
er nun mit entſchloſſener Hand führt, ein ſehr herzlicher Empfang be-
reitet worden war, ſo wurde auf die Nachricht daß die Erbgroßherzogin
gleichfalls auf der Rückreiſe von München und ihr Gemahl ihr entgegen-
gereist ſey um ſie hieher zu geleiten, dem fürſtlichen Paar eine Ovation
zugedacht. Bei der Ankunft desſelben im Bahnhofe geſtern Abend, fand
es die Turner, die nun wieder eine Gemeinde bilden dürfen, die Schüler
der höheren Gewerb- und Realſchule und die Bürgergarde aufgeſtellt, um-
geben von Tauſenden die das Stationsgebäude umwogten. Duller hielt eine
herzliche Anrede an das fürſtliche Paar; das Auge der Fürſtin erglänzte
in Thränen. Der Wagen der das Paar ins Reſidenzſchloß trug, war
ein Triumphwagen. Das Vertrauen und die Liebe des Volkes iſt ein
Gut das eben unſchätzbar, ein Zauberſtab iſt. Noch umtoſen uns Wo-
gen; die Maſſe welche durch das untergegangene Syſtem, durch keine
Entwicklung des Staatslebens herangebildet worden war, gibt ſich hier
und dort Exceſſen, Mißhandlungen, Erpreſſungen von Zugeſtändniſſen
u. ſ. w. hin — die Standesherren die früher es verſäumt hatten billige
Wünſche zu befriedigen, ſehen ſich von ihren Hinterſaſſen vielfach be-
drängt; indeſſen wird der Rechtsfrieden bald hergeſtellt ſeyn und das
Werk der Reform ungeſtört aufgerichtet werden. Schon erhebt es ſich
auf ſtarken Grundlagen. Bereits iſt der Graf von Lehrbach, ein Mili-
tär der ſich durch eine zwanzigjährige parlamentariſche Laufbahn zum
Publiciſten herangebildet hat, an die ſüddeutſchen Höfe geſendet worden
um das Werk der „Nationalvertretung zur Vervollſtändigung der Or-
ganiſation und zur Erſtarkung Deutſchlands“ fördern zu helfen. Allge-
meiner Gegenſtand der Unterhaltung iſt die Rede des Prinzen Emil,
des Trägers des beſtegten Regiments in der erſten Kammer, worin er
erklärte er werde dem herrſchenden Syſtem dienen, obgleich er es nicht
für das richtige halte. (Die Nachricht von ſeiner Abreiſe war alſo
irrig.)



Königreich Sachſen.

Die proviſoriſche Aufhebung der Cen-
ſur und die Einberufung des außerordentlichen Landtags für den 20 d.,
damit er ein Preßgeſetz berathe, und die Meinung des Landes über die
noch aus der bisherigen Zuſammenſetzung des Miniſteriums vorhande-
nen fünf Miniſter ausſpreche, hat wohl einen guten aber durchaus noch
keinen befriedigenden Eindruck hervorgerufen. Noch fehlen nämlich alle
Gewährleiſtungen für Erfüllung ebenſo allgemein und dringend begehr-
ter Zugeſtändniſſe, als z. B. Sachſens Fürſprache zur Vertretung des
Volkes beim Bundestag, Reform des Wahlgeſetzes, Einführung der öf-
fentlich-mündlichen Rechtspflege mit Geſchwornengerichten, Volksbewaff-
nung, abgeſehen von andern wohl eben ſo allgemein anerkannten, nur
vielleicht in minderer Allgemeinheit ausgeſprochenen Wünſchen. Die be-
reits beim vorigen außerordentlichen Landtag ſtark angeregte Frage we-
gen deſſen Competenz im drängenden Augenblicke von neuem aufzuwer-
fen, wie es von manchen Seiten geſchieht, erſcheint müſſig. Der zuſam-
mentretende Landtag braucht ſich ja nur darüber zu erklären. Die that-

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[1195/0011] als die zu ſeinem Unterhalt erforderlichen Stoffe. Es iſt hier nicht der Ort dieſen Satz auszuführen; wir müſſen uns vielmehr damit begnügen an denſelben die Folgerung zu knüpfen daß es allerdings die Sache der bürgerlichen Einrichtungen iſt dafür zu ſorgen daß jede Kraft eine zweck- mäßige Verwendung, jede Thätigkeit einen angemeſſenen Lohn finde. Daß eine ſolche Forderung leichter geſtellt als befriedigt iſt, wiſſen wir ebenſo gut wie diejenigen welche etwa geneigt ſeyn möchten uns dieſen Einwand zu machen. Wir beſcheiden uns gern daß wir nur das Ziel ſehen und nicht den Weg der zu demſelben führt. Gleichwohl glauben wir mit Gewißheit ſagen zu können daß die von Hrn. Vollgraff bezeich- nete Bahn nach einer falſchen Richtung führt. Der Verfaſſer betrachtet das was er übertriebene Concurrenz nennt, und was wir gewerbliche Anarchie nennen würden, als eine Folge der Theilbarkeit der Bauern- güter, der Ablöſungen, der Gemeindetheilungen, der Aufhebung des Zunftweſens, der Ausdehnung der Fabrikthätigkeit und des Maſchinen- weſens ꝛc., und er ſieht kein anderes Mittel der Abhülfe als die Wieder- einführung jener Einrichtungen und die Beſeitigung dieſer Neuerungen. Wir ſind weder ein unbedingter Verehrer des Neuen, noch ein blinder Verächter des Alten, und wir glauben allerdings daß namentlich bei der Umgeſtaltung der bäuerlichen Verhältniſſe Mißgriffe begangen ſind welche das jetzige und mehr als ein kommendes Geſchlecht empfindlich zu büßen haben wird. Aber das auf dieſem Gebiet Geſchehne rückgängig machen wollen ſcheint uns der unbrauchbarſte aller Einfälle zu ſeyn. Jn das Gebiet des wahrhaft Abenteuerlichen verrirt ſich der Verfaſſer bei ſeinen Vorſchlägen zur Abwehr der Nachtheile welche ſeiner Mei- nung nach aus dem Maſchinen- und Eiſenbahnweſen entſpringen. Er will vor allen Dingen daß den beſtehenden Eiſenbahnen nur der Perſo- nen-Verkehr und die Poſtverſendung überlaſſen werde, damit der Fracht- verkehr wieder den Fuhrleuten u. ſ. w. anheimfalle, welche jetzt zu Grunde gehen, vorbehaltlich der Erwägung ob der Betrieb der Eiſenbahnen welche dem Staat angehören oder anheimfallen, nicht überhaupt einzu- ſtellen ſey; künftige Eiſenbahnbauten ſollen nur unter den Bedingun- gen geſtattet werden daß (wir führen die Worte des Verfaſſers an): „1) ſie nicht auf Actien, ſondern auf Koſten eines einzigen großen Capi- taliſten unternommen werden; 2) daß auf das Expropriationsrecht ver- zichtet wird; 3) daß er ſie mit fremden Eiſenbahnſchienen und frem- den Arbeitern erbaut, und dieſe 4. mit fremdem Getreide ernährt.“ Der Verfaſſer, wie man ſieht, gehört einer ganz neuen nationalökonomiſchen Schule an, deren Meiſter und einzigen Jünger er vermuthlich in ſeiner eigenen Perſon vereinigt. Nach denſelben Grundſätzen will er dann auch das Fabrikweſen auf ſolche Gegenſtände beſchränken die nicht hand- werksmäßig erzeugt werden können. Mit andern Worten, er glaubt dem Gewerbsweſen dadurch aufhelfen zu können daß er die Arbeit er- ſchwert und das Erzeugniß verkleinert. Was den Ackerbau betrifft, ſo nimmt der Verfaſſer den ſchon von andern Seiten her gemachten Vorſchlag auf die Untheilbarkeit der Bau- erngüter wieder herzuſtellen. Wir halten dieſen Vorſchlag, aus Grün- den deren Ausführung überflüſſig ſeyn würde, für unausführbar. Da- gegen bekennen wir uns ganz offen zu der Anſicht daß es ein Mißgriff ſeyn würde die Untheilbarkeit des bäuerlichen Beſitzes, da wo ſie noch in Kraft beſteht, durch geſetzlichen Zwang aufheben zu wollen, wenigſtens bis dahin daß die Volkswirthſchaft ein Mittel ausfindig gemacht haben wird den unheilvollen Folgen der endloſen Zerſplitterung des Bodens vorzubeugen oder abzuhelfen. Ein kräftiger Bauernſtand iſt dem Staate ſo nothwendig daß ſeine Erhaltung ſelbſt durch Ausnahmsgeſetze nicht zu theuer erkauft wird, und ein Geſetz welches die Erbberechtigung dem gebieteriſchen Staatsbedürfniß unterordnet, erhält ſicherlich keinen Wi- derſpruch gegen geſunde Rechtsgrundſätze. Frankreich zählt gegenwärtig etwa ſechſthalb Millionen Grundeigenthümer, aber mehr als die Hälfte dieſer ſechsthalb Millionen hat nur ein Einkommen von weniger als 50 Franken, und kaum 200,000 von ihnen bringen es auf ein Ein- nahme von 2000 Franken die den Werth eines mittleren Bauerngutes darſtellt. Jn mehreren deutſchen Staaten ſehen wir ähnliche Erſchei- nungen. Nun iſt es freilich für uns nicht zweifelhaft daß die Natur- kraft der Zeit früher oder ſpäter eine neue Abhülfe für die verderblichen Folgen eines ſolchen Zuſtandes der Dinge bringen wird, mit dieſer Ueberzeugung iſt aber der Wunſch ſehr vereinbar daß da wo die alten ſchützenden Einrichtungen ſich noch nicht überlebt haben, durch kein gewaltſames Einſchreiten der Lauf der Dinge übereilt werde, um ſo weniger als es ja immerhin möglich wäre daß jenen Gegenden durch ſpätere Erfahrungen die ſchlimme Durchgangsperiode erſpart würde in welcher andere Länder in dieſem Augenblick begriffen ſind. Man laſſe die Sitte walten, man thue der Selbſtgeſetzgebung des Volkes aus der jene Einrichtungen hervorgegangen keine Gewalt an. Geräth das Bedürf- niß der Gegenwart wirklich und von innen heraus in Widerſpruch mit Ueberlieferungen der Vorzeit, ſo wird es ſich ſchon von denſelben zu befreien wiſſen, ohne daß ein gebieteriſches Geſetz vorgreift. Jn dem- ſelben Sinne in welchem der Staat das größte Jntereſſe hat die über- mäßige Zerſplitterung des bäuerlichen Beſitzes zu verhindern, in dem- ſelben Sinne darf man es nothwendig und dreimal nothwendig nennen daß der übermäßigen Anhäufung des Grundeigenthums in derſelben Hand entgegengearbeitet wird. Wenn wir gleichwohl ſehen daß die Geſetzgebung faſt überall dieſe Anhäufung befördert, wenn wir ſehen wie ſogar die Stiſtung von Adelsmajoraten noch immer Vorſchub findet, wie die Staatsgewalt oft einen reichen Grundherrn höher anſchlägt als hundert oder gar tauſend wohlhabende Bauern, wenn wir Zeuge ſolcher unbegreiflichen Verirrungen ſeyn müſſen, ſo wandelt uns manchmal der bittere Zweifel an, ob die politiſche und die ökonomiſche Zukunft Deutſchlands nicht von denen am meiſten preisgegeben werde deren dringendſte Aufgabe es iſt dieſelbe zu ſchützen und zu wahren. Großherzogthum Heſſen. *** Darmſtadt, 11 März. Sowie vor einer Woche dem von München zurückkehrenden Regierungsnachfolger, in der Ahnung daß er berufen werden würde das Staatsruder zu ergreifen, das er nun mit entſchloſſener Hand führt, ein ſehr herzlicher Empfang be- reitet worden war, ſo wurde auf die Nachricht daß die Erbgroßherzogin gleichfalls auf der Rückreiſe von München und ihr Gemahl ihr entgegen- gereist ſey um ſie hieher zu geleiten, dem fürſtlichen Paar eine Ovation zugedacht. Bei der Ankunft desſelben im Bahnhofe geſtern Abend, fand es die Turner, die nun wieder eine Gemeinde bilden dürfen, die Schüler der höheren Gewerb- und Realſchule und die Bürgergarde aufgeſtellt, um- geben von Tauſenden die das Stationsgebäude umwogten. Duller hielt eine herzliche Anrede an das fürſtliche Paar; das Auge der Fürſtin erglänzte in Thränen. Der Wagen der das Paar ins Reſidenzſchloß trug, war ein Triumphwagen. Das Vertrauen und die Liebe des Volkes iſt ein Gut das eben unſchätzbar, ein Zauberſtab iſt. Noch umtoſen uns Wo- gen; die Maſſe welche durch das untergegangene Syſtem, durch keine Entwicklung des Staatslebens herangebildet worden war, gibt ſich hier und dort Exceſſen, Mißhandlungen, Erpreſſungen von Zugeſtändniſſen u. ſ. w. hin — die Standesherren die früher es verſäumt hatten billige Wünſche zu befriedigen, ſehen ſich von ihren Hinterſaſſen vielfach be- drängt; indeſſen wird der Rechtsfrieden bald hergeſtellt ſeyn und das Werk der Reform ungeſtört aufgerichtet werden. Schon erhebt es ſich auf ſtarken Grundlagen. Bereits iſt der Graf von Lehrbach, ein Mili- tär der ſich durch eine zwanzigjährige parlamentariſche Laufbahn zum Publiciſten herangebildet hat, an die ſüddeutſchen Höfe geſendet worden um das Werk der „Nationalvertretung zur Vervollſtändigung der Or- ganiſation und zur Erſtarkung Deutſchlands“ fördern zu helfen. Allge- meiner Gegenſtand der Unterhaltung iſt die Rede des Prinzen Emil, des Trägers des beſtegten Regiments in der erſten Kammer, worin er erklärte er werde dem herrſchenden Syſtem dienen, obgleich er es nicht für das richtige halte. (Die Nachricht von ſeiner Abreiſe war alſo irrig.) Königreich Sachſen. * Leipzig, 10 März. Die proviſoriſche Aufhebung der Cen- ſur und die Einberufung des außerordentlichen Landtags für den 20 d., damit er ein Preßgeſetz berathe, und die Meinung des Landes über die noch aus der bisherigen Zuſammenſetzung des Miniſteriums vorhande- nen fünf Miniſter ausſpreche, hat wohl einen guten aber durchaus noch keinen befriedigenden Eindruck hervorgerufen. Noch fehlen nämlich alle Gewährleiſtungen für Erfüllung ebenſo allgemein und dringend begehr- ter Zugeſtändniſſe, als z. B. Sachſens Fürſprache zur Vertretung des Volkes beim Bundestag, Reform des Wahlgeſetzes, Einführung der öf- fentlich-mündlichen Rechtspflege mit Geſchwornengerichten, Volksbewaff- nung, abgeſehen von andern wohl eben ſo allgemein anerkannten, nur vielleicht in minderer Allgemeinheit ausgeſprochenen Wünſchen. Die be- reits beim vorigen außerordentlichen Landtag ſtark angeregte Frage we- gen deſſen Competenz im drängenden Augenblicke von neuem aufzuwer- fen, wie es von manchen Seiten geſchieht, erſcheint müſſig. Der zuſam- mentretende Landtag braucht ſich ja nur darüber zu erklären. Die that-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 15. März 1848, S. 1195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine75_1848/11>, abgerufen am 23.11.2024.