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Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.

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31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Das russische Anerbieten hat allgemein den Eindruck eines
jener Geschenke gemacht, denen man gern aus dem Wege gegangen
wäre. Die öffentliche Meinung hat das Geschenk schon wegen der
Art, wie es angeboten wurde, klar abgelehnt.

*

Aber auch in Persien hat Rußland kein Glück und die gegen-
seitige Verstimmung droht dort zu einem Konflikt auszuarten:

Persien hatte in einer Note an die Petersburger Regierung
die Forderung gestellt, Rußland möge seine Truppen aus der
persischen Provinz Aserbeidschan zurückziehen, um Persien das
neutrale Verhalten im Weltkriege zu erleichtern. Darauf scheint
eine ablehnende Antwort erfolgt zu sein.

Das persische Blatt "Haver" erfährt aus Teheran: Der russi-
sche Gesandte gab bei der Ueberreichung der russischen Antwortnote
eine Erklärung ab, in der er mitteilte, daß Rußland seine Truppen
aus Aserbeidschan nicht zurückziehen könne, und daß, wenn der
gegenwärtige Krieg sich weiter verwickle und Persien Neutralität
bewahre, Rußland seine Truppen später zurückziehen und die
Unabhängigkeit Persiens gewährleisten werde.

Die russische Antwortnote wurde im persischen Ministerrat
übel aufgenommen. Der Ministerrat bereitet eine neue energische
Note vor. Die ganze persische Nation billigt die Haltung des
Kabinetts.

*

Mit Bedauern wird man allerseits in Deutschland und Oester-
reich die unter dem 25. d. M. aus dem Großen Hauptquartier er-
gangene Mitteilung aufgenommen haben, daß General v. Moltke
an Leber- und Gallebeschwerden erkrankt ist. Die Krankheit gibt
keinen Anlaß zu Besorgnissen. General v. Moltke befindet sich in
guter ärztlicher Pflege im Großen Hauptquartier. In seinem
Zustande ist bereits eine wesentliche Besserung eingetreten. Seine
Geschäfte sind dem Kriegsminister General v. Falkenhayn
übertragen. Hoffentlich wird unser genialer Leiter der Kriegs-
operationen bald seiner so ersprießlichen Tätigkeit wiedergegeben.

Die letzten Nachrichten.
Vom westlichen Kriegsschauplatz.

29. Oktober.

Mitteilung der obersten Heeresleitung. Unser Angriff südlich
Nieport gewinnt langsam Boden. Bei Ypres steht der Kampf
unverändert. Westlich Lille machten unsere Truppen gute Fort-
schritte. Mehrere befestigte Stellungen des Femdes wurden ge-
nommen, 16 englische Offiziere und über 300 Mann zu Gefangenen
gemacht und 4 Geschütze erbeutet. Englische und französische Gegen-
stöße wurden überall abgewiesen.

Eine vor der Kathedrale von Reims aufgefahrene franzö-
sische Batterie mit Artilleriebeobachter auf dem Turm der Kathe-
drale mußte unter Feuer genommen werden. Im Argonnen-
walde
wurde der Feind aus mehreren Schützengräben geworfen
und einige Maschinengewehre erbeutet.

Südwestlich Verdun wurde ein heftiger französischer Angriff
zurückgeschlagen. Im Gegenangriff stießen unsere Truppen bis an
die feindliche Hauptstellung durch, die sie in Besitz nahmen. Die
Franzosen erlitten starke Verluste.

Auch westlich der Mosel wurden alle Unternehmungen des
Feindes, die an sich bedeutungslos waren, zurückgewiesen.

Nach einer Meldung der Frankfurter Zeitung berichtet die
Zeitung "Aftonblad" in Göteborg aus Paris:

Am Mittwoch erschien über Paris ein Zeppelin. Es
wurden sechs Bomben abgeworfen, von denen drei großen
Schaden anrichteten. Acht Personen wurden getötet, eine beträcht-
liche Anzahl wurde verletzt. Französische Flieger versuchten, das
Lufschiff anzugreifen, es entkam jedoch in den Wolken.

Vom östlichen Kriegsschauplatz.

Mitteilung der obersten Heeresleitung. Auf dem nordöstlichen
Kriegsschauplatz im Osten befinden sich unsere Truppen im fort-
schreitenden Angriff. Während der letzten 3 Wochen wurden hier
13,500 Russen zu Gefangenen gemacht, 30 Geschütze und 39 Maschi-
nengewehre erbeutet. Auf dem südwestlichen Kriegsschauplatz
im Osten haben sich die Verhältnisse seit gestern nicht geändert.

Nach Blättermeldungen haben die Bulgaren auf ein
russisches Kanonenboot geschossen, das der serbischen
Armee auf der Donau Vorräte zuführen wollte.

*

[Spaltenumbruch]

Auch die Türkei scheint gegen Rußland losgehen zu wollen.
England macht sich in der islamitischen Welt immer beliebter:

Nachrichten aus Aegypten zufolge verboten die Eng-
länder
unter dem Vorwand der Unsicherheit der Verkehrs-
straßen die Pilgerfahrt nach den heiligen Stätten
des Islam.
Die Engländer scheinen vermeiden zu wollen, daß
die Mohammedaner Aegyptens mit der übrigen mohammedanischen
Welt in Berührung kommen.

Dieser Eingriff in religiöse Angelegenheiten verschärft die
Erbitterung gegen England. Die Blätter bestretten die Gültigkeit
der zustimmenden Begutachtung, die der Obermufti unter englischem
Druck gab.

Der Prozeß Princip

ist nun zu Ende gegangen und hat mit der Verurtetlung zahl-
reicher Verschworener zum Tode durch den Strang und zu lang-
längjähriger Kerkerstrafe geführt. Die Angeklagten Ilic, Veljko,
Cubrilowic, Nedo, Kerowic, Jowanowic und Milowic wurden zum
Tode durch den Strang verurteilt. Mitar Kerowic wurde zu lebens-
länglichem, schweren Kerker, Princip, Cabrinowitsch und Grabez zu
je 20 Jahren, Vaso Cubrilowic zu 16 Jahren, Popowic zu 13
Jahren, Sranjoevic und Gjukic zu zehn Jahren, Stjepanowic zu
sieben Jahren, Zagorac und Perin zu je drei Jahren schweren Ker-
kers verurteilt. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen.

Daß der Täter selbst, Princip, nicht zu jenen gehört, die zum
Tode verurteilt worden sind, wird man eigentlich bedauern müssen,
hängt aber vermutlich mit seiner damaligen Minderjährigkeit zu-
sammen. Der Prozeß hat zur Genüge Beweise dafür beigebracht,
daß die wirklichen intellektuellen Urheber des Attentats auf das
österreichische Thronfolgerpaar in Serbien selbst sitzen und bis
zum serbischen Kronprinzen hinaufreichen. Das ist nun
das "arme Serbien", für das Rußland, England und Frankreich
gegen uns eintreten zu müssen glauben. Fürwahr fast ebenso
grauenhaft wie das Attentat selbst ist die Crkenntnis, wie sehr
heutzutage jedes ethische Moment aus dem Leben der Völker aus-
geschaltet erscheint. Die christlichen Missionäre beider Konfessionen
mögen nach dem Kriege ruhig ihre Tätigkeit einstellen: die Sache
des Christentums konnte nicht empfindlicher diskreditiert werden,
als indem man den Islam und selbst farbige Völkerschaften sich zu
Zeugen dafür holte, wie Weiße und Christen sich gegenseitig zer-
fleischen.



Kleine Züge vom Koloß auf tönernen Füßen.

Lehrreiche Einblicke in das russische Beamten- und Volksleben
läßt uns ein Buch des Fürsten S. D. Urussow tun, das die Er-
lebnisse und Erfahrungen des Verfassers während der Zeit schildert,
die er als Gouverneur in Kischinew, der Hauptstadt Bessarabiens
verbrachte ("Memoiren eines russischen Gouverneurs, Kischinew
1903--1904," in deutscher Uebersetzung erschienen bei der Deutschen
Verlags-Anstalt in Stuttgart) und dem wir nachstehende charakteri-
stischen Züge entnehmen:

Man kennt das französische Wort aus dem 18. Jahrhundert,
die russische Staatsform sei der Absolutismus, gemildert durch
Meuchelmord; dieser Ausspruch ließe sich dahin variieren, daß man
die russische Verwaltung als einen durch Schlamperei gemilderten
Bureaukratismus bezeichnet. Zur Schlamperei gehört auch ein
völlig plan- und zielloses Draufloswirtschaften mit staatlichen Gel-
dern; davon erlebte Urussow, nachdem er seinen Posten in Bessara-
bien angetreten, unter anderm folgendes schöne Beispiel: M. N. Kru-
penskij wollte das Andenken an seine Tätigkeit als Adelsmarschall
durch Errichtung eines adligen Pensionats in Kischinew verewigen.
Er sparte weder Mühe noch Zeit, fuhr nach Petersburg, erlangte
an allerhöcher Stelle eine Audienz und wußte sich von der Krone
die Mittel zur Errichtung des Gebäudes zu verschaffen, dessen Kosten-
anschlag sich auf 300,000 Rubel belief. Der bessarabische Adel be-
schloß die Ausgaben für den Unterhalt des Instituts auf sich zu neh-
men, in der festen Ueberzeugung, daß es sich um ein vorteilhaftes
und für seine Standesinteressen wichtiges Unternehmen handelte.
Das prächtige, helle, geräumige Schloß mit luxuriösen Wohnungen
und eigener elektrischer Station war fast fertig, als es endlich gelang,
die Geldanweisung der Krone herauszubekommen. Krupenskij stand
überall in der Schuld der Unternehmer und Lieferanten, die er zu-
nächst mit Wechseln befriedigte. Das Asyl wurde herrlich zu mäßi-

31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Das ruſſiſche Anerbieten hat allgemein den Eindruck eines
jener Geſchenke gemacht, denen man gern aus dem Wege gegangen
wäre. Die öffentliche Meinung hat das Geſchenk ſchon wegen der
Art, wie es angeboten wurde, klar abgelehnt.

*

Aber auch in Perſien hat Rußland kein Glück und die gegen-
ſeitige Verſtimmung droht dort zu einem Konflikt auszuarten:

Perſien hatte in einer Note an die Petersburger Regierung
die Forderung geſtellt, Rußland möge ſeine Truppen aus der
perſiſchen Provinz Aſerbeidſchan zurückziehen, um Perſien das
neutrale Verhalten im Weltkriege zu erleichtern. Darauf ſcheint
eine ablehnende Antwort erfolgt zu ſein.

Das perſiſche Blatt „Haver“ erfährt aus Teheran: Der ruſſi-
ſche Geſandte gab bei der Ueberreichung der ruſſiſchen Antwortnote
eine Erklärung ab, in der er mitteilte, daß Rußland ſeine Truppen
aus Aſerbeidſchan nicht zurückziehen könne, und daß, wenn der
gegenwärtige Krieg ſich weiter verwickle und Perſien Neutralität
bewahre, Rußland ſeine Truppen ſpäter zurückziehen und die
Unabhängigkeit Perſiens gewährleiſten werde.

Die ruſſiſche Antwortnote wurde im perſiſchen Miniſterrat
übel aufgenommen. Der Miniſterrat bereitet eine neue energiſche
Note vor. Die ganze perſiſche Nation billigt die Haltung des
Kabinetts.

*

Mit Bedauern wird man allerſeits in Deutſchland und Oeſter-
reich die unter dem 25. d. M. aus dem Großen Hauptquartier er-
gangene Mitteilung aufgenommen haben, daß General v. Moltke
an Leber- und Gallebeſchwerden erkrankt iſt. Die Krankheit gibt
keinen Anlaß zu Beſorgniſſen. General v. Moltke befindet ſich in
guter ärztlicher Pflege im Großen Hauptquartier. In ſeinem
Zuſtande iſt bereits eine weſentliche Beſſerung eingetreten. Seine
Geſchäfte ſind dem Kriegsminiſter General v. Falkenhayn
übertragen. Hoffentlich wird unſer genialer Leiter der Kriegs-
operationen bald ſeiner ſo erſprießlichen Tätigkeit wiedergegeben.

Die letzten Nachrichten.
Vom weſtlichen Kriegsſchauplatz.

29. Oktober.

Mitteilung der oberſten Heeresleitung. Unſer Angriff ſüdlich
Nieport gewinnt langſam Boden. Bei Ypres ſteht der Kampf
unverändert. Weſtlich Lille machten unſere Truppen gute Fort-
ſchritte. Mehrere befeſtigte Stellungen des Femdes wurden ge-
nommen, 16 engliſche Offiziere und über 300 Mann zu Gefangenen
gemacht und 4 Geſchütze erbeutet. Engliſche und franzöſiſche Gegen-
ſtöße wurden überall abgewieſen.

Eine vor der Kathedrale von Reims aufgefahrene franzö-
ſiſche Batterie mit Artilleriebeobachter auf dem Turm der Kathe-
drale mußte unter Feuer genommen werden. Im Argonnen-
walde
wurde der Feind aus mehreren Schützengräben geworfen
und einige Maſchinengewehre erbeutet.

Südweſtlich Verdun wurde ein heftiger franzöſiſcher Angriff
zurückgeſchlagen. Im Gegenangriff ſtießen unſere Truppen bis an
die feindliche Hauptſtellung durch, die ſie in Beſitz nahmen. Die
Franzoſen erlitten ſtarke Verluſte.

Auch weſtlich der Moſel wurden alle Unternehmungen des
Feindes, die an ſich bedeutungslos waren, zurückgewieſen.

Nach einer Meldung der Frankfurter Zeitung berichtet die
Zeitung „Aftonblad“ in Göteborg aus Paris:

Am Mittwoch erſchien über Paris ein Zeppelin. Es
wurden ſechs Bomben abgeworfen, von denen drei großen
Schaden anrichteten. Acht Perſonen wurden getötet, eine beträcht-
liche Anzahl wurde verletzt. Franzöſiſche Flieger verſuchten, das
Lufſchiff anzugreifen, es entkam jedoch in den Wolken.

Vom öſtlichen Kriegsſchauplatz.

Mitteilung der oberſten Heeresleitung. Auf dem nordöſtlichen
Kriegsſchauplatz im Oſten befinden ſich unſere Truppen im fort-
ſchreitenden Angriff. Während der letzten 3 Wochen wurden hier
13,500 Ruſſen zu Gefangenen gemacht, 30 Geſchütze und 39 Maſchi-
nengewehre erbeutet. Auf dem ſüdweſtlichen Kriegsſchauplatz
im Oſten haben ſich die Verhältniſſe ſeit geſtern nicht geändert.

Nach Blättermeldungen haben die Bulgaren auf ein
ruſſiſches Kanonenboot geſchoſſen, das der ſerbiſchen
Armee auf der Donau Vorräte zuführen wollte.

*

[Spaltenumbruch]

Auch die Türkei ſcheint gegen Rußland losgehen zu wollen.
England macht ſich in der islamitiſchen Welt immer beliebter:

Nachrichten aus Aegypten zufolge verboten die Eng-
länder
unter dem Vorwand der Unſicherheit der Verkehrs-
ſtraßen die Pilgerfahrt nach den heiligen Stätten
des Islam.
Die Engländer ſcheinen vermeiden zu wollen, daß
die Mohammedaner Aegyptens mit der übrigen mohammedaniſchen
Welt in Berührung kommen.

Dieſer Eingriff in religiöſe Angelegenheiten verſchärft die
Erbitterung gegen England. Die Blätter beſtretten die Gültigkeit
der zuſtimmenden Begutachtung, die der Obermufti unter engliſchem
Druck gab.

Der Prozeß Princip

iſt nun zu Ende gegangen und hat mit der Verurtetlung zahl-
reicher Verſchworener zum Tode durch den Strang und zu lang-
längjähriger Kerkerſtrafe geführt. Die Angeklagten Ilic, Veljko,
Cubrilowic, Nedo, Kerowic, Jowanowic und Milowic wurden zum
Tode durch den Strang verurteilt. Mitar Kerowic wurde zu lebens-
länglichem, ſchweren Kerker, Princip, Cabrinowitſch und Grabez zu
je 20 Jahren, Vaſo Cubrilowic zu 16 Jahren, Popowic zu 13
Jahren, Sranjoevic und Gjukic zu zehn Jahren, Stjepanowic zu
ſieben Jahren, Zagorac und Perin zu je drei Jahren ſchweren Ker-
kers verurteilt. Die übrigen Angeklagten wurden freigeſprochen.

Daß der Täter ſelbſt, Princip, nicht zu jenen gehört, die zum
Tode verurteilt worden ſind, wird man eigentlich bedauern müſſen,
hängt aber vermutlich mit ſeiner damaligen Minderjährigkeit zu-
ſammen. Der Prozeß hat zur Genüge Beweiſe dafür beigebracht,
daß die wirklichen intellektuellen Urheber des Attentats auf das
öſterreichiſche Thronfolgerpaar in Serbien ſelbſt ſitzen und bis
zum ſerbiſchen Kronprinzen hinaufreichen. Das iſt nun
das „arme Serbien“, für das Rußland, England und Frankreich
gegen uns eintreten zu müſſen glauben. Fürwahr faſt ebenſo
grauenhaft wie das Attentat ſelbſt iſt die Crkenntnis, wie ſehr
heutzutage jedes ethiſche Moment aus dem Leben der Völker aus-
geſchaltet erſcheint. Die chriſtlichen Miſſionäre beider Konfeſſionen
mögen nach dem Kriege ruhig ihre Tätigkeit einſtellen: die Sache
des Chriſtentums konnte nicht empfindlicher diskreditiert werden,
als indem man den Islam und ſelbſt farbige Völkerſchaften ſich zu
Zeugen dafür holte, wie Weiße und Chriſten ſich gegenſeitig zer-
fleiſchen.



Kleine Züge vom Koloß auf tönernen Füßen.

Lehrreiche Einblicke in das ruſſiſche Beamten- und Volksleben
läßt uns ein Buch des Fürſten S. D. Uruſſow tun, das die Er-
lebniſſe und Erfahrungen des Verfaſſers während der Zeit ſchildert,
die er als Gouverneur in Kiſchinew, der Hauptſtadt Beſſarabiens
verbrachte („Memoiren eines ruſſiſchen Gouverneurs, Kiſchinew
1903—1904,“ in deutſcher Ueberſetzung erſchienen bei der Deutſchen
Verlags-Anſtalt in Stuttgart) und dem wir nachſtehende charakteri-
ſtiſchen Züge entnehmen:

Man kennt das franzöſiſche Wort aus dem 18. Jahrhundert,
die ruſſiſche Staatsform ſei der Abſolutismus, gemildert durch
Meuchelmord; dieſer Ausſpruch ließe ſich dahin variieren, daß man
die ruſſiſche Verwaltung als einen durch Schlamperei gemilderten
Bureaukratismus bezeichnet. Zur Schlamperei gehört auch ein
völlig plan- und zielloſes Draufloswirtſchaften mit ſtaatlichen Gel-
dern; davon erlebte Uruſſow, nachdem er ſeinen Poſten in Beſſara-
bien angetreten, unter anderm folgendes ſchöne Beiſpiel: M. N. Kru-
penſkij wollte das Andenken an ſeine Tätigkeit als Adelsmarſchall
durch Errichtung eines adligen Penſionats in Kiſchinew verewigen.
Er ſparte weder Mühe noch Zeit, fuhr nach Petersburg, erlangte
an allerhöcher Stelle eine Audienz und wußte ſich von der Krone
die Mittel zur Errichtung des Gebäudes zu verſchaffen, deſſen Koſten-
anſchlag ſich auf 300,000 Rubel belief. Der beſſarabiſche Adel be-
ſchloß die Ausgaben für den Unterhalt des Inſtituts auf ſich zu neh-
men, in der feſten Ueberzeugung, daß es ſich um ein vorteilhaftes
und für ſeine Standesintereſſen wichtiges Unternehmen handelte.
Das prächtige, helle, geräumige Schloß mit luxuriöſen Wohnungen
und eigener elektriſcher Station war faſt fertig, als es endlich gelang,
die Geldanweiſung der Krone herauszubekommen. Krupenſkij ſtand
überall in der Schuld der Unternehmer und Lieferanten, die er zu-
nächſt mit Wechſeln befriedigte. Das Aſyl wurde herrlich zu mäßi-

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[637/0005] 31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung Das ruſſiſche Anerbieten hat allgemein den Eindruck eines jener Geſchenke gemacht, denen man gern aus dem Wege gegangen wäre. Die öffentliche Meinung hat das Geſchenk ſchon wegen der Art, wie es angeboten wurde, klar abgelehnt. * Aber auch in Perſien hat Rußland kein Glück und die gegen- ſeitige Verſtimmung droht dort zu einem Konflikt auszuarten: Perſien hatte in einer Note an die Petersburger Regierung die Forderung geſtellt, Rußland möge ſeine Truppen aus der perſiſchen Provinz Aſerbeidſchan zurückziehen, um Perſien das neutrale Verhalten im Weltkriege zu erleichtern. Darauf ſcheint eine ablehnende Antwort erfolgt zu ſein. Das perſiſche Blatt „Haver“ erfährt aus Teheran: Der ruſſi- ſche Geſandte gab bei der Ueberreichung der ruſſiſchen Antwortnote eine Erklärung ab, in der er mitteilte, daß Rußland ſeine Truppen aus Aſerbeidſchan nicht zurückziehen könne, und daß, wenn der gegenwärtige Krieg ſich weiter verwickle und Perſien Neutralität bewahre, Rußland ſeine Truppen ſpäter zurückziehen und die Unabhängigkeit Perſiens gewährleiſten werde. Die ruſſiſche Antwortnote wurde im perſiſchen Miniſterrat übel aufgenommen. Der Miniſterrat bereitet eine neue energiſche Note vor. Die ganze perſiſche Nation billigt die Haltung des Kabinetts. * Mit Bedauern wird man allerſeits in Deutſchland und Oeſter- reich die unter dem 25. d. M. aus dem Großen Hauptquartier er- gangene Mitteilung aufgenommen haben, daß General v. Moltke an Leber- und Gallebeſchwerden erkrankt iſt. Die Krankheit gibt keinen Anlaß zu Beſorgniſſen. General v. Moltke befindet ſich in guter ärztlicher Pflege im Großen Hauptquartier. In ſeinem Zuſtande iſt bereits eine weſentliche Beſſerung eingetreten. Seine Geſchäfte ſind dem Kriegsminiſter General v. Falkenhayn übertragen. Hoffentlich wird unſer genialer Leiter der Kriegs- operationen bald ſeiner ſo erſprießlichen Tätigkeit wiedergegeben. Die letzten Nachrichten. Vom weſtlichen Kriegsſchauplatz. 29. Oktober. Mitteilung der oberſten Heeresleitung. Unſer Angriff ſüdlich Nieport gewinnt langſam Boden. Bei Ypres ſteht der Kampf unverändert. Weſtlich Lille machten unſere Truppen gute Fort- ſchritte. Mehrere befeſtigte Stellungen des Femdes wurden ge- nommen, 16 engliſche Offiziere und über 300 Mann zu Gefangenen gemacht und 4 Geſchütze erbeutet. Engliſche und franzöſiſche Gegen- ſtöße wurden überall abgewieſen. Eine vor der Kathedrale von Reims aufgefahrene franzö- ſiſche Batterie mit Artilleriebeobachter auf dem Turm der Kathe- drale mußte unter Feuer genommen werden. Im Argonnen- walde wurde der Feind aus mehreren Schützengräben geworfen und einige Maſchinengewehre erbeutet. Südweſtlich Verdun wurde ein heftiger franzöſiſcher Angriff zurückgeſchlagen. Im Gegenangriff ſtießen unſere Truppen bis an die feindliche Hauptſtellung durch, die ſie in Beſitz nahmen. Die Franzoſen erlitten ſtarke Verluſte. Auch weſtlich der Moſel wurden alle Unternehmungen des Feindes, die an ſich bedeutungslos waren, zurückgewieſen. Nach einer Meldung der Frankfurter Zeitung berichtet die Zeitung „Aftonblad“ in Göteborg aus Paris: Am Mittwoch erſchien über Paris ein Zeppelin. Es wurden ſechs Bomben abgeworfen, von denen drei großen Schaden anrichteten. Acht Perſonen wurden getötet, eine beträcht- liche Anzahl wurde verletzt. Franzöſiſche Flieger verſuchten, das Lufſchiff anzugreifen, es entkam jedoch in den Wolken. Vom öſtlichen Kriegsſchauplatz. Mitteilung der oberſten Heeresleitung. Auf dem nordöſtlichen Kriegsſchauplatz im Oſten befinden ſich unſere Truppen im fort- ſchreitenden Angriff. Während der letzten 3 Wochen wurden hier 13,500 Ruſſen zu Gefangenen gemacht, 30 Geſchütze und 39 Maſchi- nengewehre erbeutet. Auf dem ſüdweſtlichen Kriegsſchauplatz im Oſten haben ſich die Verhältniſſe ſeit geſtern nicht geändert. Nach Blättermeldungen haben die Bulgaren auf ein ruſſiſches Kanonenboot geſchoſſen, das der ſerbiſchen Armee auf der Donau Vorräte zuführen wollte. * Auch die Türkei ſcheint gegen Rußland losgehen zu wollen. England macht ſich in der islamitiſchen Welt immer beliebter: Nachrichten aus Aegypten zufolge verboten die Eng- länder unter dem Vorwand der Unſicherheit der Verkehrs- ſtraßen die Pilgerfahrt nach den heiligen Stätten des Islam. Die Engländer ſcheinen vermeiden zu wollen, daß die Mohammedaner Aegyptens mit der übrigen mohammedaniſchen Welt in Berührung kommen. Dieſer Eingriff in religiöſe Angelegenheiten verſchärft die Erbitterung gegen England. Die Blätter beſtretten die Gültigkeit der zuſtimmenden Begutachtung, die der Obermufti unter engliſchem Druck gab. Der Prozeß Princip iſt nun zu Ende gegangen und hat mit der Verurtetlung zahl- reicher Verſchworener zum Tode durch den Strang und zu lang- längjähriger Kerkerſtrafe geführt. Die Angeklagten Ilic, Veljko, Cubrilowic, Nedo, Kerowic, Jowanowic und Milowic wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Mitar Kerowic wurde zu lebens- länglichem, ſchweren Kerker, Princip, Cabrinowitſch und Grabez zu je 20 Jahren, Vaſo Cubrilowic zu 16 Jahren, Popowic zu 13 Jahren, Sranjoevic und Gjukic zu zehn Jahren, Stjepanowic zu ſieben Jahren, Zagorac und Perin zu je drei Jahren ſchweren Ker- kers verurteilt. Die übrigen Angeklagten wurden freigeſprochen. Daß der Täter ſelbſt, Princip, nicht zu jenen gehört, die zum Tode verurteilt worden ſind, wird man eigentlich bedauern müſſen, hängt aber vermutlich mit ſeiner damaligen Minderjährigkeit zu- ſammen. Der Prozeß hat zur Genüge Beweiſe dafür beigebracht, daß die wirklichen intellektuellen Urheber des Attentats auf das öſterreichiſche Thronfolgerpaar in Serbien ſelbſt ſitzen und bis zum ſerbiſchen Kronprinzen hinaufreichen. Das iſt nun das „arme Serbien“, für das Rußland, England und Frankreich gegen uns eintreten zu müſſen glauben. Fürwahr faſt ebenſo grauenhaft wie das Attentat ſelbſt iſt die Crkenntnis, wie ſehr heutzutage jedes ethiſche Moment aus dem Leben der Völker aus- geſchaltet erſcheint. Die chriſtlichen Miſſionäre beider Konfeſſionen mögen nach dem Kriege ruhig ihre Tätigkeit einſtellen: die Sache des Chriſtentums konnte nicht empfindlicher diskreditiert werden, als indem man den Islam und ſelbſt farbige Völkerſchaften ſich zu Zeugen dafür holte, wie Weiße und Chriſten ſich gegenſeitig zer- fleiſchen. Kleine Züge vom Koloß auf tönernen Füßen. Lehrreiche Einblicke in das ruſſiſche Beamten- und Volksleben läßt uns ein Buch des Fürſten S. D. Uruſſow tun, das die Er- lebniſſe und Erfahrungen des Verfaſſers während der Zeit ſchildert, die er als Gouverneur in Kiſchinew, der Hauptſtadt Beſſarabiens verbrachte („Memoiren eines ruſſiſchen Gouverneurs, Kiſchinew 1903—1904,“ in deutſcher Ueberſetzung erſchienen bei der Deutſchen Verlags-Anſtalt in Stuttgart) und dem wir nachſtehende charakteri- ſtiſchen Züge entnehmen: Man kennt das franzöſiſche Wort aus dem 18. Jahrhundert, die ruſſiſche Staatsform ſei der Abſolutismus, gemildert durch Meuchelmord; dieſer Ausſpruch ließe ſich dahin variieren, daß man die ruſſiſche Verwaltung als einen durch Schlamperei gemilderten Bureaukratismus bezeichnet. Zur Schlamperei gehört auch ein völlig plan- und zielloſes Draufloswirtſchaften mit ſtaatlichen Gel- dern; davon erlebte Uruſſow, nachdem er ſeinen Poſten in Beſſara- bien angetreten, unter anderm folgendes ſchöne Beiſpiel: M. N. Kru- penſkij wollte das Andenken an ſeine Tätigkeit als Adelsmarſchall durch Errichtung eines adligen Penſionats in Kiſchinew verewigen. Er ſparte weder Mühe noch Zeit, fuhr nach Petersburg, erlangte an allerhöcher Stelle eine Audienz und wußte ſich von der Krone die Mittel zur Errichtung des Gebäudes zu verſchaffen, deſſen Koſten- anſchlag ſich auf 300,000 Rubel belief. Der beſſarabiſche Adel be- ſchloß die Ausgaben für den Unterhalt des Inſtituts auf ſich zu neh- men, in der feſten Ueberzeugung, daß es ſich um ein vorteilhaftes und für ſeine Standesintereſſen wichtiges Unternehmen handelte. Das prächtige, helle, geräumige Schloß mit luxuriöſen Wohnungen und eigener elektriſcher Station war faſt fertig, als es endlich gelang, die Geldanweiſung der Krone herauszubekommen. Krupenſkij ſtand überall in der Schuld der Unternehmer und Lieferanten, die er zu- nächſt mit Wechſeln befriedigte. Das Aſyl wurde herrlich zu mäßi-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine44_1914/5>, abgerufen am 10.06.2024.