Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 1914.
Die geplante Marinekonvention soll die Beziehungen zwischen Nach dem Vorbild der franco-russischen Marinekonvention soll Das russische Marine-Abkommen mit England soll gleich dem Im Gebiete des Bosporus und der Dardanellen sollen zeit- Die russischen Interessen in der Ostsee verlangen, daß England Was die Lage im Mittelmeer anbetrifft, so ist es für Rußland IX. X. Anlage. Dieselbe Unselbständigkeit und Unehrlichkeit der von Sir Unsere gefallenen Helden. Wenn der Telegraph neue Siege des deutschen Heeres meldet, Wenn es irgend ein Ereignis gibt, welches das Leben der Völker O, wie ist uns Deutschen gerade in dieser letzten Zeit unser Ja, die Kriege sind nicht bloß Mächte der Zerstörung; sie sind
Die geplante Marinekonvention ſoll die Beziehungen zwiſchen Nach dem Vorbild der franco-ruſſiſchen Marinekonvention ſoll Das ruſſiſche Marine-Abkommen mit England ſoll gleich dem Im Gebiete des Bosporus und der Dardanellen ſollen zeit- Die ruſſiſchen Intereſſen in der Oſtſee verlangen, daß England Was die Lage im Mittelmeer anbetrifft, ſo iſt es für Rußland IX. X. Anlage. Dieſelbe Unſelbſtändigkeit und Unehrlichkeit der von Sir Unſere gefallenen Helden. Wenn der Telegraph neue Siege des deutſchen Heeres meldet, Wenn es irgend ein Ereignis gibt, welches das Leben der Völker O, wie iſt uns Deutſchen gerade in dieſer letzten Zeit unſer Ja, die Kriege ſind nicht bloß Mächte der Zerſtörung; ſie ſind <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <cit> <quote><pb facs="#f0011" n="627"/><fw place="top" type="header">24. Oktober 1914. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> wirken ihrer maritimen Streitkräfte für den Fall kriegeriſcher<lb/> Operationen Rußlands und Englands unter Teilnahme Frankreichs,<lb/> gelangte die Konferenz zu folgenden Schlüſſen:</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Die geplante Marinekonvention ſoll die Beziehungen zwiſchen<lb/> den ruſſiſchen und den engliſchen Streitkräften zur See in allen<lb/> Einzelheiten regeln, deshalb iſt eine Verſtändigung über Signale<lb/> und Spezialchiffres, Radiotelegramme und der Modus des Ver-<lb/> kehrs zwiſchen den ruſſiſchen und engliſchen Marineſtäben herbeizu-<lb/> führen. Die beiden Marineſtäbe ſollen ſich außerdem regelmäßig<lb/> gegenſeitig Mitteilung machen über die Flotten dritter Mächte und<lb/> über ihre eigenen Flotten; beſonders über techniſche Daten ſowie<lb/> über neu eingeführte Maſchinen und Erfindungen.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Nach dem Vorbild der franco-ruſſiſchen Marinekonvention ſoll<lb/> auch zwiſchen dem ruſſiſchen und dem engliſchen Marineſtab ein<lb/> regelmäßiger Meinungsaustauſch zur Prüfung von Fragen, welche<lb/> die Marineminiſterien beider Staaten intereſſieren, herbeigeführt<lb/> werden.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Das ruſſiſche Marine-Abkommen mit England ſoll gleich dem<lb/> franco-ruſſiſchen Marine-Abkommen vorher vereinbarte aber ge-<lb/> trennte Aktionen der ruſſiſchen und der engliſchen Kriegsmarine<lb/> ins Auge faſſen. Im Hinblick auf die ſtrategiſchen Ziele iſt zu<lb/> unterſcheiden einerſeits zwiſchen den maritimen Operationen im Ge-<lb/> biete des Schwarzen Meeres und der Nordſee, andrerſeits zwiſchen<lb/> dem vorausſichtlichen Seekampfe im Mittelmeer. In beiden Ge-<lb/> bieten muß Rußland beſtrebt ſein, von England Kompenſationen<lb/> dafür zu erhalten, daß es einen Teil der deutſchen Flotte auf die<lb/> ruſſiſche abzieht.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Im Gebiete des Bosporus und der Dardanellen ſollen zeit-<lb/> weilige Unternehmungen in den Meerengen als ſtrategiſche Opera-<lb/> tionen Rußlands im Kriegsfalle ins Auge gefaßt werden.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Die ruſſiſchen Intereſſen in der Oſtſee verlangen, daß England<lb/> einen möglichſt großen Teil der deutſchen Flotte in der Nordſee<lb/> feſthält. Dadurch würde die erdrückende Uebermacht der deutſchen<lb/> Flotte über die ruſſiſche aufgehoben und vielleicht eine ruſſiſche<lb/> Landung in Pommern möglich werden. Hierbei könnte die engliſche<lb/> Regierung einen weſentlichen Dienſt leiſten, wenn ſie vor Beginn<lb/> der Kriegsoperationen eine ſo große Zahl von Handelsſchiffen in<lb/> die baltiſchen Häfen ſchickte, daß der Mangel an ruſſiſchen Trans-<lb/> portſchiffen ausgeglichen wird.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Was die Lage im Mittelmeer anbetrifft, ſo iſt es für Rußland<lb/> höchſt wichtig, daß dort ein ſicheres Uebergewicht der Streitkräfte<lb/> der Entente über die auſtro-italieniſche Flotte hergeſtellt wird. Denn<lb/> falls die öſterreichiſch-italieniſchen Streitkräfte dieſes Meer beherr-<lb/> ſchen, würden Angriffe der öſterreichiſchen Flotte im Schwarzen<lb/> Meere möglich ſein, was für Rußland ein gefährlicher Schlag wäre.<lb/> Es muß angenommen werden, daß die auſtro-italieniſchen Streit-<lb/> kräfte den franzöſiſchen überlegen ſind. England müßte daher<lb/> durch Belaſſung der notwendigen Zahl von Schiffen im Mittel-<lb/> meere das Uebergewicht der Streitkräfte der Ententemächte minde-<lb/> ſtens ſo lange ſichern, als die Entwicklung der ruſſiſchen Marine<lb/> noch nicht ſo weit fortgeſchritten iſt, um die Löſung dieſer Aufgabe<lb/> ſelbſt zu übernehmen. Ruſſiſche Schiffe müßten mit Zuſtimmung<lb/> Englands als Baſis im öſtlichen Mttelmeer die engliſchen Häfen<lb/> benützen dürfen, ebenſo wie die franzöſiſche Marinekonvention der<lb/> ruſſiſchen Flotte geſtattet, ſich im weſtlichen Mittelmeere auf die<lb/> franzöſiſchen Häfen zu baſieren.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#aq">IX.</hi><lb/> .... Juli 1914.<lb/> Gelegentlich meiner heutigen Unterhaltung mit Herrn Sſaſonow<lb/> wandte ſich das Geſpräch auch dem Beſuche des Herrn Poincar<hi rendition="#aq">é</hi><lb/> zu. Der Miniſter hob den friedfertigen Ton der gewechſelten Trink-<lb/> ſprüche hervor. Ich konnte nicht umhin, Herrn Sſaſonow darauf<lb/> aufmerkſam zu machen, daß nicht die bei derartigen Beſuchen aus-<lb/> getauſchten Toaſte, ſondern die daran geknüpften Preſſekommentare<lb/> den Stoff zur Beunruhigung geliefert hätten. Derartige Kom-<lb/> mentare ſeien auch diesmal nicht ausgeblieben, wobei ſogar die<lb/> Nachricht von dem angeblichen Abſchluſſe einer ruſſiſch-engliſchen<lb/> Marinekonvention verbreitet worden ſei. Herr Sſaſonow griff<lb/> dieſen Satz auf und meinte unwillig, eine ſolche Marinekonvention<lb/> exiſtiere nur „in der Idee des Berliner Tageblatts und im Mond“.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#aq">X.</hi><lb/> .... Juli 1914.<lb/> Euer pp. beehre ich mich beifolgend Abſchrift eines Schreibens<lb/> zu überſenden, das der Adjutant eines zurzeit hier weilenden ruſſi-<lb/> ſchen Großfürſten unter dem 25. d. M. von Petersburg aus an den<lb/> Großfürſten gerichtet hat und über deſſen weſentlichen Inhalt ich<lb/> bereits telegraphiſch berichten durfte. Das Schreiben, von dem ich<lb/> auf vertraulichem Wege Kenntnis erhielt, erweiſt meines gehorſamen<lb/> Dafürhaltens, daß man ſchon ſeit dem 24. d. M. in Rußland zum<lb/> Kriege entſchloſſen iſt.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Anlage.<lb/> 12./25. Juli, Petersburg.<lb/> „In Petersburg waren große Unordnungen unter den Ar-<lb/> beitern, ſie fielen ſonderbar mit der Anweſenheit der Franzoſen bei<lb/> uns und mit dem öſterreichiſchen Ultimatum an Serbien zuſammen.<lb/> Geſtern hörte ich von dem franzöſiſchen Militäragenten General<lb/> de la Guiche, er habe gehört, daß Oeſterreich an den Arbeiter-<lb/> unruhen nicht unſchuldig ſei. Jetzt kommt aber alles raſch zu<lb/> normalen Verhältniſſen. Und es ſcheint, daß, von den Franzoſen<lb/> ermutigt, unſere Regierung aufgehört hat, vor den Deutſchen zu<lb/><cb/> zittern. Es war längſt Zeit! Es iſt beſſer, ſich einmal klar aus-<lb/> zuſprechen, als ſich ewig hinter den „profeſſionellen Lügen“ der<lb/> Diplomaten zu verbergen. Das Ultimatum Oeſterreichs iſt von<lb/> unerhörter Frechheit, wie alle hieſigen Zeitungen einmütig ſagen.<lb/> Ebenſo habe ich die Abendzeitungen geleſen — geſtern war Sitzung<lb/> des Miniſterrats; der Kriegsminiſter hat ſehr energiſch geſprochen<lb/> und beſtätigt, daß Rußland zum Kriege bereit ſei, und die übrigen<lb/> Miniſter haben ſich voll angeſchloſſen; es wurde in entſprechendem<lb/> Geiſte ein Bericht an den Kaiſer fertiggeſtellt, und dieſer Bericht<lb/> wurde an demſelben Abend beſtätigt. Heute wurde im Ruſſiſchen<lb/> Invaliden eine vorläufige Mitteilung der Regierung veröffentlicht,<lb/> daß „die Regierung ſehr durch die eingetretenen Ereigniſſe und die<lb/> Abſendung des öſterreichiſchen Ultimatums an Serbien beſorgt ſei.<lb/> Die Regierung verfolgt aufmerkſam die Entwicklung der ſerbiſch-<lb/> öſterreichiſchen Zuſammenſtöße, bei denen Rußland nicht gleich-<lb/> gültig bleiben kann“. Dieſe Mitteilung iſt von allen Zeitungen<lb/> mit ſehr günſtigen Kommentaren nachgedruckt worden. Wir alle<lb/> ſind überzeugt, daß dieſesmal keine Rasputins Rußland verhindern<lb/> werden, ſeine Pflicht zu erfüllen. Deutſchland, das Oeſterreich vor-<lb/> ſchickt, iſt feſt entſchloſſen, ſich mit uns zu meſſen, bevor wir unſere<lb/> Flotte ausbauen, und die Balkanſtaaten haben ſich noch nicht vom<lb/> Kriege erholt. Auch wir müſſen der Gefahr ins Geſicht ſehen und<lb/> nicht unſern Kopf verſtecken, wie während des Balkankrieges, als<lb/> Kokowtzow nur an die Börſe dachte. Damals aber wäre der Krieg<lb/> leichter geweſen, da der Balkanbund voll bewaffnet war. Aber<lb/> bei uns trieb man die Straßendemonſtrationen, die gegen das<lb/> elende Oeſterreich gerichtet waren, durch die Polizei auseinander!<lb/> Jetzt aber würde man ebenſolche Demonſtrationen freudig be-<lb/> grüßen. Ueberhaupt wollen wir hoffen, daß das Regiment der<lb/> Feiglinge (nach Art Kokowtzows) und gewiſſer Schreier und<lb/> Myſtiker vorüber iſt. Der Krieg iſt ein Gewitter. Mögen auch<lb/> Kataſtrophen kommen, es wäre immer beſſer, als in dieſer uner-<lb/> träglichen Schwüle zu beharren. Aus Erfahrung weiß ich be-<lb/> ſtimmt, daß für mich der ruhigſte Platz in der Front iſt, wo man<lb/> die Gefahr in ihrer natürlichen Größe ſieht, und das iſt gar nicht<lb/> ſo furchtbar; am ſchlimmſten iſt es in der Nachhut, in der die<lb/> Atmoſphäre der Feigheit herrſcht, unwahrſcheinliche Gerüchte um-<lb/> laufen und Paniken entſtehen. Im künftigen Kriege aber wird<lb/> das Innere Rußlands die Nachhut ſein.“</quote> </cit><lb/> <p>Dieſelbe Unſelbſtändigkeit und Unehrlichkeit der von Sir<lb/> Edward Grey geleiteten engliſchen Politik, die ſich aus den obigen<lb/> Aktenſtücken ergibt, wird an der Hand der amtlichen Veröffent-<lb/> lichungen über die Vorgeſchichte des Krieges im einzelnen über-<lb/> zeugend nachgewieſen in einer Schrift „Englands Mitſchuld am<lb/> Weltkriege“, die in dieſen Tagen im Verlage von Liebheit u. Thieſen,<lb/> Berlin, erſchienen iſt. 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Niemand kann<lb/> ſich der Gewalt dieſer Strömung entziehen; auch den Gleichgültigſten<lb/> und Rohſten ergreift etwas von dem heiligen Schauer, das den Men-<lb/> ſchen zu erfüllen pflegt, wenn er die gewaltige Hand des Schickſals<lb/> ahnt, wenn in den großen entſcheidenden Kriſen der Völkergeſchichte<lb/> die Macht, Tiefe und Weisheit der göttlichen Weltregierung uns<lb/> entgegentritt.</p><lb/> <p>Wenn es irgend ein Ereignis gibt, welches das Leben der Völker<lb/> im Innerſten aufrührt, ſo iſt es der <hi rendition="#g">Krieg.</hi> Alles erſcheint wie<lb/> verwandelt; die niederen Leidenſchaften ſchweigen, der Haß der Par-<lb/> teien verſtummt, ja, das menſchliche Leben ſelbſt ſcheint auf einmal<lb/> ſeinen Wert verloren zu haben. 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24. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
wirken ihrer maritimen Streitkräfte für den Fall kriegeriſcher
Operationen Rußlands und Englands unter Teilnahme Frankreichs,
gelangte die Konferenz zu folgenden Schlüſſen:
Die geplante Marinekonvention ſoll die Beziehungen zwiſchen
den ruſſiſchen und den engliſchen Streitkräften zur See in allen
Einzelheiten regeln, deshalb iſt eine Verſtändigung über Signale
und Spezialchiffres, Radiotelegramme und der Modus des Ver-
kehrs zwiſchen den ruſſiſchen und engliſchen Marineſtäben herbeizu-
führen. Die beiden Marineſtäbe ſollen ſich außerdem regelmäßig
gegenſeitig Mitteilung machen über die Flotten dritter Mächte und
über ihre eigenen Flotten; beſonders über techniſche Daten ſowie
über neu eingeführte Maſchinen und Erfindungen.
Nach dem Vorbild der franco-ruſſiſchen Marinekonvention ſoll
auch zwiſchen dem ruſſiſchen und dem engliſchen Marineſtab ein
regelmäßiger Meinungsaustauſch zur Prüfung von Fragen, welche
die Marineminiſterien beider Staaten intereſſieren, herbeigeführt
werden.
Das ruſſiſche Marine-Abkommen mit England ſoll gleich dem
franco-ruſſiſchen Marine-Abkommen vorher vereinbarte aber ge-
trennte Aktionen der ruſſiſchen und der engliſchen Kriegsmarine
ins Auge faſſen. Im Hinblick auf die ſtrategiſchen Ziele iſt zu
unterſcheiden einerſeits zwiſchen den maritimen Operationen im Ge-
biete des Schwarzen Meeres und der Nordſee, andrerſeits zwiſchen
dem vorausſichtlichen Seekampfe im Mittelmeer. In beiden Ge-
bieten muß Rußland beſtrebt ſein, von England Kompenſationen
dafür zu erhalten, daß es einen Teil der deutſchen Flotte auf die
ruſſiſche abzieht.
Im Gebiete des Bosporus und der Dardanellen ſollen zeit-
weilige Unternehmungen in den Meerengen als ſtrategiſche Opera-
tionen Rußlands im Kriegsfalle ins Auge gefaßt werden.
Die ruſſiſchen Intereſſen in der Oſtſee verlangen, daß England
einen möglichſt großen Teil der deutſchen Flotte in der Nordſee
feſthält. Dadurch würde die erdrückende Uebermacht der deutſchen
Flotte über die ruſſiſche aufgehoben und vielleicht eine ruſſiſche
Landung in Pommern möglich werden. Hierbei könnte die engliſche
Regierung einen weſentlichen Dienſt leiſten, wenn ſie vor Beginn
der Kriegsoperationen eine ſo große Zahl von Handelsſchiffen in
die baltiſchen Häfen ſchickte, daß der Mangel an ruſſiſchen Trans-
portſchiffen ausgeglichen wird.
Was die Lage im Mittelmeer anbetrifft, ſo iſt es für Rußland
höchſt wichtig, daß dort ein ſicheres Uebergewicht der Streitkräfte
der Entente über die auſtro-italieniſche Flotte hergeſtellt wird. Denn
falls die öſterreichiſch-italieniſchen Streitkräfte dieſes Meer beherr-
ſchen, würden Angriffe der öſterreichiſchen Flotte im Schwarzen
Meere möglich ſein, was für Rußland ein gefährlicher Schlag wäre.
Es muß angenommen werden, daß die auſtro-italieniſchen Streit-
kräfte den franzöſiſchen überlegen ſind. England müßte daher
durch Belaſſung der notwendigen Zahl von Schiffen im Mittel-
meere das Uebergewicht der Streitkräfte der Ententemächte minde-
ſtens ſo lange ſichern, als die Entwicklung der ruſſiſchen Marine
noch nicht ſo weit fortgeſchritten iſt, um die Löſung dieſer Aufgabe
ſelbſt zu übernehmen. Ruſſiſche Schiffe müßten mit Zuſtimmung
Englands als Baſis im öſtlichen Mttelmeer die engliſchen Häfen
benützen dürfen, ebenſo wie die franzöſiſche Marinekonvention der
ruſſiſchen Flotte geſtattet, ſich im weſtlichen Mittelmeere auf die
franzöſiſchen Häfen zu baſieren.
IX.
.... Juli 1914.
Gelegentlich meiner heutigen Unterhaltung mit Herrn Sſaſonow
wandte ſich das Geſpräch auch dem Beſuche des Herrn Poincaré
zu. Der Miniſter hob den friedfertigen Ton der gewechſelten Trink-
ſprüche hervor. Ich konnte nicht umhin, Herrn Sſaſonow darauf
aufmerkſam zu machen, daß nicht die bei derartigen Beſuchen aus-
getauſchten Toaſte, ſondern die daran geknüpften Preſſekommentare
den Stoff zur Beunruhigung geliefert hätten. Derartige Kom-
mentare ſeien auch diesmal nicht ausgeblieben, wobei ſogar die
Nachricht von dem angeblichen Abſchluſſe einer ruſſiſch-engliſchen
Marinekonvention verbreitet worden ſei. Herr Sſaſonow griff
dieſen Satz auf und meinte unwillig, eine ſolche Marinekonvention
exiſtiere nur „in der Idee des Berliner Tageblatts und im Mond“.
X.
.... Juli 1914.
Euer pp. beehre ich mich beifolgend Abſchrift eines Schreibens
zu überſenden, das der Adjutant eines zurzeit hier weilenden ruſſi-
ſchen Großfürſten unter dem 25. d. M. von Petersburg aus an den
Großfürſten gerichtet hat und über deſſen weſentlichen Inhalt ich
bereits telegraphiſch berichten durfte. Das Schreiben, von dem ich
auf vertraulichem Wege Kenntnis erhielt, erweiſt meines gehorſamen
Dafürhaltens, daß man ſchon ſeit dem 24. d. M. in Rußland zum
Kriege entſchloſſen iſt.
Anlage.
12./25. Juli, Petersburg.
„In Petersburg waren große Unordnungen unter den Ar-
beitern, ſie fielen ſonderbar mit der Anweſenheit der Franzoſen bei
uns und mit dem öſterreichiſchen Ultimatum an Serbien zuſammen.
Geſtern hörte ich von dem franzöſiſchen Militäragenten General
de la Guiche, er habe gehört, daß Oeſterreich an den Arbeiter-
unruhen nicht unſchuldig ſei. Jetzt kommt aber alles raſch zu
normalen Verhältniſſen. Und es ſcheint, daß, von den Franzoſen
ermutigt, unſere Regierung aufgehört hat, vor den Deutſchen zu
zittern. Es war längſt Zeit! Es iſt beſſer, ſich einmal klar aus-
zuſprechen, als ſich ewig hinter den „profeſſionellen Lügen“ der
Diplomaten zu verbergen. Das Ultimatum Oeſterreichs iſt von
unerhörter Frechheit, wie alle hieſigen Zeitungen einmütig ſagen.
Ebenſo habe ich die Abendzeitungen geleſen — geſtern war Sitzung
des Miniſterrats; der Kriegsminiſter hat ſehr energiſch geſprochen
und beſtätigt, daß Rußland zum Kriege bereit ſei, und die übrigen
Miniſter haben ſich voll angeſchloſſen; es wurde in entſprechendem
Geiſte ein Bericht an den Kaiſer fertiggeſtellt, und dieſer Bericht
wurde an demſelben Abend beſtätigt. Heute wurde im Ruſſiſchen
Invaliden eine vorläufige Mitteilung der Regierung veröffentlicht,
daß „die Regierung ſehr durch die eingetretenen Ereigniſſe und die
Abſendung des öſterreichiſchen Ultimatums an Serbien beſorgt ſei.
Die Regierung verfolgt aufmerkſam die Entwicklung der ſerbiſch-
öſterreichiſchen Zuſammenſtöße, bei denen Rußland nicht gleich-
gültig bleiben kann“. Dieſe Mitteilung iſt von allen Zeitungen
mit ſehr günſtigen Kommentaren nachgedruckt worden. Wir alle
ſind überzeugt, daß dieſesmal keine Rasputins Rußland verhindern
werden, ſeine Pflicht zu erfüllen. Deutſchland, das Oeſterreich vor-
ſchickt, iſt feſt entſchloſſen, ſich mit uns zu meſſen, bevor wir unſere
Flotte ausbauen, und die Balkanſtaaten haben ſich noch nicht vom
Kriege erholt. Auch wir müſſen der Gefahr ins Geſicht ſehen und
nicht unſern Kopf verſtecken, wie während des Balkankrieges, als
Kokowtzow nur an die Börſe dachte. Damals aber wäre der Krieg
leichter geweſen, da der Balkanbund voll bewaffnet war. Aber
bei uns trieb man die Straßendemonſtrationen, die gegen das
elende Oeſterreich gerichtet waren, durch die Polizei auseinander!
Jetzt aber würde man ebenſolche Demonſtrationen freudig be-
grüßen. Ueberhaupt wollen wir hoffen, daß das Regiment der
Feiglinge (nach Art Kokowtzows) und gewiſſer Schreier und
Myſtiker vorüber iſt. Der Krieg iſt ein Gewitter. Mögen auch
Kataſtrophen kommen, es wäre immer beſſer, als in dieſer uner-
träglichen Schwüle zu beharren. Aus Erfahrung weiß ich be-
ſtimmt, daß für mich der ruhigſte Platz in der Front iſt, wo man
die Gefahr in ihrer natürlichen Größe ſieht, und das iſt gar nicht
ſo furchtbar; am ſchlimmſten iſt es in der Nachhut, in der die
Atmoſphäre der Feigheit herrſcht, unwahrſcheinliche Gerüchte um-
laufen und Paniken entſtehen. Im künftigen Kriege aber wird
das Innere Rußlands die Nachhut ſein.“
Dieſelbe Unſelbſtändigkeit und Unehrlichkeit der von Sir
Edward Grey geleiteten engliſchen Politik, die ſich aus den obigen
Aktenſtücken ergibt, wird an der Hand der amtlichen Veröffent-
lichungen über die Vorgeſchichte des Krieges im einzelnen über-
zeugend nachgewieſen in einer Schrift „Englands Mitſchuld am
Weltkriege“, die in dieſen Tagen im Verlage von Liebheit u. Thieſen,
Berlin, erſchienen iſt. Wir können ſie als eine gediegene Arbeit
warm empfehlen.
Unſere gefallenen Helden.
Wenn der Telegraph neue Siege des deutſchen Heeres meldet,
wenn er überraſchende Erfolge unſerer jungen Flotte verkündet,
dann iſt es jedesmal, als wenn ein Strom heiliger Begeiſterung
durch unſer Volk ginge; dann hat jeder das Gefühl, als ſei es wieder
Frühling im deutſchen Lande geworden, als habe eine neue herrliche
Epoche unſerer vaterländiſchen Geſchichte begonnen. Niemand kann
ſich der Gewalt dieſer Strömung entziehen; auch den Gleichgültigſten
und Rohſten ergreift etwas von dem heiligen Schauer, das den Men-
ſchen zu erfüllen pflegt, wenn er die gewaltige Hand des Schickſals
ahnt, wenn in den großen entſcheidenden Kriſen der Völkergeſchichte
die Macht, Tiefe und Weisheit der göttlichen Weltregierung uns
entgegentritt.
Wenn es irgend ein Ereignis gibt, welches das Leben der Völker
im Innerſten aufrührt, ſo iſt es der Krieg. Alles erſcheint wie
verwandelt; die niederen Leidenſchaften ſchweigen, der Haß der Par-
teien verſtummt, ja, das menſchliche Leben ſelbſt ſcheint auf einmal
ſeinen Wert verloren zu haben. Nur ein großer, gewaltiger Ge-
danke erfüllt die Herzen, begeiſtert die Jugend, führt unſere Krieger
zum Heldentod auf das Schlachtfeld: das iſt der Gedanke des Vater-
landes.
O, wie iſt uns Deutſchen gerade in dieſer letzten Zeit unſer
Vaterland ſo recht eigentlich erſt lieb und wert geworden! Dies
Deutſchland, das unſere Feinde vernichten wollten, wie iſt es doch
mit tauſend Faſern uns ans Herz gewachſen! Sogar den Sozial-
demokraten, der bisher für eine große internationale Weltrepublik
geſchwärmt hatte, auch ihn ergreift auf einmal der Gedanke des
Vaterlandes, und auch er iſt bereit, für dieſes Ideal begeiſtert in
den Tod zu gehen.
Ja, die Kriege ſind nicht bloß Mächte der Zerſtörung; ſie ſind
auch wunderbare Mächte des Aufbaues. Denn gerade die Kriege
lehren die Völker ihre innerſten Ideale kennen; ſie bringen alle edlen
Kräfte der Menſchenbruſt nach oben, die ein langer Friede nur allzu-
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(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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