Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 7. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
wir bei dem besten Willen nicht daran glauben. Gewiß und übergewiß Die Dinge in Berlin. Berlin, 2 Febr. Der Februar 1849 hat sein vollkommenes Die Parlamentscorrespondenz theilt über die Berliner Colo- Thiers über öffentliche Unterstützung. i Paris, 31 Jan. Alle Journale sind voll von Hrn. Thiers' Be- [Spaltenumbruch]
wir bei dem beſten Willen nicht daran glauben. Gewiß und übergewiß Die Dinge in Berlin. ∸ Berlin, 2 Febr. Der Februar 1849 hat ſein vollkommenes Die Parlamentscorreſpondenz theilt über die Berliner Colo- Thiers über öffentliche Unterſtützung. ȋ Paris, 31 Jan. Alle Journale ſind voll von Hrn. Thiers’ Be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="605"/><cb/> wir bei dem beſten Willen nicht daran glauben. Gewiß und übergewiß<lb/> iſt dagegen daß die Lage der deutſchen Verfaſſungsangelegenheit mit<lb/> jedem Schritte den dieſelbe vorwärts, rückwärts oder ſeitwärts macht,<lb/> verwickelter und hoffnungsloſer wird. Wer mag es den Naturen welche<lb/> zu ſtark ſind zum Verzweifeln, wer mag es ihnen verargen wenn ſie ge-<lb/> rade der Hoffnungsloſigkeit eine neue Hoffnung abzugewinnen ſuchen!<lb/> Unſern Haß verdient nur der Egoismus welcher die Berechtigung des Ein-<lb/> heiteſtrebens der Nation läugnet, unſere Verachtung nur die Feigheit<lb/> welche nach der erſten Niederlage die Waffen ſlreckt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Dinge in Berlin.</hi> </head><lb/> <dateline>∸ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 2 Febr.</dateline> <p>Der Februar 1849 hat ſein vollkommenes<lb/> Widerſpiel am 31 Jan. 1850 gefunden. Die Berliner Wahlen nach<lb/> Erfurt find das andere Extrem der Berliner Wahlen in die Kammern zur<lb/> Reviſion der Verfaſſung vom 5 Dec. Damals Demokraten bis zur<lb/> äußerſten radicalen Färbung, jetzt miniſterielle Royaliſten bis zu der<lb/> äußerſten Schattirung, welche das Syſtem des Miniſteriums zuläßt. Da-<lb/> mals wählte Berlin keine Berliner, jetzt verwirft es jeden der kein Berli-<lb/> ner war. Nur beide Wahlen einig im Feldgeſchrei: keine Zwiſchen-<lb/> partei! keine Gemäßigten! keine Liberalen, Conſtitutionellen, Deutſchen,<lb/> Frankfurter, Gothaer! Damals ſtellten wir uns auf den Kopf. Stehen<lb/> wir jetzt auf den Füßen? Ich beſorge, wir ſind noch immer in derſelben<lb/> Stellung geblieben. Die Berliner Wahlen möchte ich gelten laſſen. Das<lb/> Miniſterium, die innere Verfaſſungsfrage hinter ſich, will mit ganzer<lb/> Kraft, mit entſcheidendem Wort in Erfurt auftreten. Nur ſo glaubt es<lb/> die ſchwierige Aufgabe dort löſen zu können, es wünſcht ſich identificirt<lb/> mit Preußens Hauptſtadt. Sie hat ſeinen Wünſchen durch ihre Wahl<lb/> entſprochen. Manteuffel iſt wirklich aus der freien, bewußten Wahl des<lb/> Berliner Bürgerthums hervorgegangen, Graf Brandenburg ward octroyirt<lb/> um ihm zur Seite zu ſtehen. Iſt die Sache nicht ſchlimm, ſo iſt es der<lb/> Mann noch weniger. Den Degen an der ritterlichen Seite, wird er nur<lb/> verfechten was ſein College will; ſelbſt ſehnſüchtig dem Augenblick ent-<lb/> gegenharrend wo er erlöst wird von der ſchweren politiſchen Aufgabe, zu<lb/> der ihn nicht Luſt, nicht Ehrgeiz, nur die loyale Treue gegen ſeinen Kö-<lb/> nig rief. Hr. v. Bodelſchwingh iſt eine gute Wahl, er repräſentirt den<lb/> Bundesſtaat; Graf Bülow verdankt dem kunſtreich aufgeſtachelten Oppo-<lb/> ſitionsgeiſt gegen die Frankfurter ſeine Ernennung, aber er iſt für die<lb/> deutſche Einigung. Für dieſe alſo, im preußiſchen Sinn, wäre durch die<lb/> Berliner Wahl geſorgt: miniſterielle Royaliſten, ſoweit das Syſtem des<lb/> conſtitutionellen Miniſteriums es zuläßt. Aber die Wahlen aus den Pro-<lb/> vinzen, ſoweit ſie bis heut bekannt ſind, laſſen wieder zweifeln ob das Mi-<lb/> niſterium Manteuffel hinter ſich die Stütze haben wird auf die es rech-<lb/> nete, ob die Preußen eine ſo geſchloſſene Phalanx bilden werden um mit<lb/> ihnen das Eine und Nothwendige durchzuſetzen. Die Geſpenſterfurcht vor<lb/> dem Extrem hat auch hier wieder zum andern Extrem geführt. Wie es<lb/> möglich war daß man Schlöffel, Vogte, Zitze auch in Erſurt aufſtehen und<lb/> die Einigung verwirren ſehen konnte, iſt kaum begreiflich; aber man hat<lb/> ſich wirklich davor gefürchtet, und dagegen alle Kräſte anſtrengend ſieht<lb/> man Stahl und eine ganze Schaar ſeiner Genoſſen erwählt. Da wird<lb/> Viemark-Schönhauſen für die deutſche Einheit auſtreten, und der Land-<lb/> rath v. Manteuffel, des Miniſters Bruder, der in Heftigkeit und Re-<lb/> actionsgelüſten noch über Gerlach hinausgeht. Faſt überall, ſoweit ſie<lb/> bis jetzt bekannt, haben die rechteſten Rechtsmänner über ihre conſtitution-<lb/> nellen Rivalen geſiegt, und ſchon muß man es als ein Glück betrachten<lb/> daß neben Radowitz, Bodelſchwingh und dem Miniſter v. Manteuffel we-<lb/> nigſtens Camphauſen, Graſ Schwerin, v. d. Heydt, Beckerath und Dun-<lb/> cker eine andere Schattirung ins Volkshaus bringen. Hr. v. Patow,<lb/> Graf Dyhrn, Graf Keller ſind durchgefallen, Simſon hat wenig Ausſicht<lb/> in Königsberg. Wird eine ſolche Reactionékammer eine Reunionskam-<lb/> mer werden können? fragt man beſorgt. Kann aus den Treubündlern und<lb/> Preußenvereinen ein Parlament für Deutſchland hervorgehen? Werden<lb/> die paar ächten deutſchen und freiſinnigen Männer in Erfurt die Rolle der<lb/> ſieben Liberalen ſpielen, welche in der <hi rendition="#aq">chambre introuvable</hi> der Reſtau-<lb/> ration die Volksrechte allein durch ihre perſönliche Autorität aufrecht er-<lb/> hielten? In Erfurt wird allein die Nothwendigkeit ſprechen; der Radi-<lb/> calismus und die Reaction werden ihre Ohnmacht inne werden. Man<lb/> behauptet die Fraction Bismark-Schönhauſen und Kleiſt Retzow habe<lb/> ſchon jetzt ihre Oproſition gegen den Bundesſtaat fahren laſſen (im Ge-<lb/> genſatz von Gerlach), auch Stahl hat das Wort zurückgenommen welches<lb/> man von ihm in der Wahlverſammlung zu Neuſtadt gehört haben will,<lb/> ihm ſey eigentlich Erfurt ſehr gleichgültig; es werden dort überhaupt die<lb/> Worte wenig wiegen, darum, darf man vermuthen, ſparſam vorgebracht<lb/> werden. Die That allein wird in die Wagſchale geworfen. Wer wagt zu<lb/> ſagen wohin ſie ausſchlägt. Das preußiſche Miniſterium aber hat eine That<lb/><cb/> hinter ſich die ihm Kraft gibt — die beſchworene Verfaſſung. Die geſtrige<lb/> königliche Botſchaft ſchnitt alle Zweifel darüber ab, die heutigen Mor-<lb/> genzeitungen bringen bereits die publicirte Verfaſſung. Jene Zweifel<lb/> waren nicht gering. Daß die Partei von rechts noch bis zuletzt die äußer-<lb/> ſten Anſtrengungen gemacht das Gewiſſen des Königs zu erſchüttern, iſt<lb/> ausgemacht, das Gerücht ſprach noch geſtern von dringenden Vorſtellungen,<lb/> die von noch beſreundeten oder nicht mehr befreundeten Höfen in Potsdam ge-<lb/> macht werden ſowohl die Beeidung zu hintertreiben, als neue, letzte Hinder-<lb/> niſſe dem Erfurter Reichstage in den Weg zu legen. Die Miniſter haben<lb/> geſiegt, die preußiſche Verfaſſung ſteht feſt, bis zur Beſchwörung am Mitt-<lb/> woch ſind nur vier Tage. Sonderbar klang allerdings noch die Botſchaft<lb/> in ihrem proteſtirenden und reſervirenden Eingange, und der juriſtiſche<lb/> Scharfſinn mag darin eine neue Rechtsverletzung entdecken, den Proteſt<lb/> einer Perſon gegen eine Satzung die von ihr ausging, die es alſo doch<lb/> nicht als ein ihr widerfahrnes Unrecht darſtellen kann, wenn ihre Contra-<lb/> henten, ſpätere Propoſitionen verwerfend, auf dieſe urſprüngliche Satzung<lb/> zurückgingen. Indeſſen iſt auch dieſe Reſervation, bezüglich der Fidei-<lb/> commiſſe, näher betrachtet nichts als ein Symptom der königlichen Ge-<lb/> wiſſenhaftigkeit. Es iſt niemanden zweifelhaft daß wenn die Pairie in<lb/> Kraft bleibt, für die erblichen Pairs ein erblicher Grundbeſitz irgend in einer<lb/> Art und Weiſe feſtgeſtellt werden muß. Der Miniſter hatte es ſelbſt un-<lb/> verhohlen ausgeſprochen daß man, um dieß zu erreichen, irgendwie der<lb/> Verfaſſung werde Gewalt anthun müſſen. Wundert man ſich da wenn der<lb/> König in ſeiner Botſchaft im voraus daran erinnert daß ein dahin ſchla-<lb/> gender Geſetzentwurf eingebracht werden ſolle? Er wollte das von der<lb/> Seele weg haben, was andern Charakteren keine Schwierigkeit gemacht<lb/> hätte unter irgendeiner Form wieder einzuſchieben. Seltſam iſt aber<lb/> nur der Ausdruck. Die Verfaſſung als eine Thatſache, ein Monument<lb/> der erſchütternden Vergangenheit und als ein Wegweiſer in die directe Zu-<lb/> kunft hat eine eigenthümliche Wirkung auf das Gemüth eines jeden der<lb/> ſie jetzt liest, ganz eine andere, als da ſie noch Entwurf war, da ſie in<lb/> ihren einzelnen Stücken in der Debatte hin und her gezaust mard. Das<lb/> Preußen, nach dieſer Verfaſſung, wenn ſie eine Wahrheit geworden, iſt<lb/> ein anderes als das Preußen vor dem März. Und wie viel Satzungen darin<lb/> auch noch nicht zur Wahrheit geworden, weil ſie beſondern Geſetzen vor-<lb/> behalten ſind, ſo iſt doch ein Fundament gegeben, das ohne furchtbare Re-<lb/> volutionen nicht wieder umgeſtürzt werden kann, Satzungen ſind als Wahr-<lb/> heit ausgeſprochen auf die man immer wieder zurückkommen wird, wenn<lb/> es auch einer Partei zeitweilig gelingen ſollte ſie umzuwenden. Und<lb/> wenn es wahr daß es dieſem Miniſterium nur nach ſchweren, wiederhol-<lb/> ten Kämpfen gelungen dieſe Errungenſchaft ſo zu feſtigen, mag man<lb/> ſein kühneres Auftreten jetzt und den Muth begreifen mit dem es in Erfurt<lb/> vor die Schranken eines Theiles von Deutſchland treten will. Daß die<lb/> Vereidung bis auf den 6 Febr. verſchoben, will man damit erklären daß<lb/> der weiße Saal ſo lange Zeit koſte um durchwärmt zu werden. Eine an-<lb/> dere Erklärung: man will die Ankunft des Prinzen von Preußen abwar-<lb/> ten; ſein Schwur iſt keine geringe Bürgſchaft für die Feſtigkeit des Wer-<lb/> tes das man beendet.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Die <hi rendition="#g">Parlamentscorreſpondenz</hi> theilt über die Berliner Colo-<lb/> niſationsgeſellſchaft für Centralamerika mit, dieſelbe habe die Hieherkunft<lb/> des Señor Don Felipe Molina, Geſandten des Freiſtaats von Coſta-Rica,<lb/> dazu benutzt um fich den Ankauf von 100,000 Acres des vorzüglichſten,<lb/> von ihr ſelbſt zu wählenden Landes auf den geſunden Hochebenen dieſes<lb/> Staates zu ſichern, welche die reichen Gebiete des San-Juan-Stromes<lb/> und des Nicaragua-See’s, alſo die künftige Welthandelsſtraße, im Süden<lb/> begränzen. Abgeſehen von den politiſchen und andern Rechten und Vor-<lb/> theilen welche ſie ſich ſelbſt und ihren Coloniſten hiebei geſichert hat, wird<lb/> die Geſellſchaft, ſtatt der in der urſprünglichen Berechnung angenommenen<lb/> 46,000 Acres, jetzt für denſelben Kaufpreis ein Areal von 100,000 Acres<lb/> erwerben und außerdem unter gleichen Bedingungen noch 300,000 Acres<lb/> reſervirt erhalten. Nach der Vertheilung der im Statut feſtgeſtellten<lb/> Landprämien für ſämmtliche Actionnäre, Beamte und Arbeiter, ſowie<lb/> nach dem Verkauf der von der Geſellſchaft zu dieſem Zweck errichteten<lb/> 400 Etabliſſements, wofür ſich Käufer bereits in großer Zahl gemeldet<lb/> haben, bleibt den Actionnären ein freies Eigenthum von 64,000 Acres<lb/> oder etwa 100,000 Morgen Land, über deren vortheilhafteſte Verwendung<lb/> in einer auf den 16 Februar anberaumten Generalverſammlung berathen<lb/> werden ſoll.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Thiers über öffentliche Unterſtützung.</hi> </head><lb/> <dateline>ȋ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 31 Jan.</dateline> <p>Alle Journale ſind voll von Hrn. Thiers’ Be-<lb/> richt über die öffentliche Unterſtützung, ein Opus welches einen ganzen<lb/> Band groß Octav ausfüllt und nicht weniger als vierundzwanzig Spalten<lb/> des „Moniteur“ einnimmt. Es iſt ein Meiſterſtück lichtvoller Darſtellung,<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [605/0013]
wir bei dem beſten Willen nicht daran glauben. Gewiß und übergewiß
iſt dagegen daß die Lage der deutſchen Verfaſſungsangelegenheit mit
jedem Schritte den dieſelbe vorwärts, rückwärts oder ſeitwärts macht,
verwickelter und hoffnungsloſer wird. Wer mag es den Naturen welche
zu ſtark ſind zum Verzweifeln, wer mag es ihnen verargen wenn ſie ge-
rade der Hoffnungsloſigkeit eine neue Hoffnung abzugewinnen ſuchen!
Unſern Haß verdient nur der Egoismus welcher die Berechtigung des Ein-
heiteſtrebens der Nation läugnet, unſere Verachtung nur die Feigheit
welche nach der erſten Niederlage die Waffen ſlreckt.
Die Dinge in Berlin.
∸ Berlin, 2 Febr. Der Februar 1849 hat ſein vollkommenes
Widerſpiel am 31 Jan. 1850 gefunden. Die Berliner Wahlen nach
Erfurt find das andere Extrem der Berliner Wahlen in die Kammern zur
Reviſion der Verfaſſung vom 5 Dec. Damals Demokraten bis zur
äußerſten radicalen Färbung, jetzt miniſterielle Royaliſten bis zu der
äußerſten Schattirung, welche das Syſtem des Miniſteriums zuläßt. Da-
mals wählte Berlin keine Berliner, jetzt verwirft es jeden der kein Berli-
ner war. Nur beide Wahlen einig im Feldgeſchrei: keine Zwiſchen-
partei! keine Gemäßigten! keine Liberalen, Conſtitutionellen, Deutſchen,
Frankfurter, Gothaer! Damals ſtellten wir uns auf den Kopf. Stehen
wir jetzt auf den Füßen? Ich beſorge, wir ſind noch immer in derſelben
Stellung geblieben. Die Berliner Wahlen möchte ich gelten laſſen. Das
Miniſterium, die innere Verfaſſungsfrage hinter ſich, will mit ganzer
Kraft, mit entſcheidendem Wort in Erfurt auftreten. Nur ſo glaubt es
die ſchwierige Aufgabe dort löſen zu können, es wünſcht ſich identificirt
mit Preußens Hauptſtadt. Sie hat ſeinen Wünſchen durch ihre Wahl
entſprochen. Manteuffel iſt wirklich aus der freien, bewußten Wahl des
Berliner Bürgerthums hervorgegangen, Graf Brandenburg ward octroyirt
um ihm zur Seite zu ſtehen. Iſt die Sache nicht ſchlimm, ſo iſt es der
Mann noch weniger. Den Degen an der ritterlichen Seite, wird er nur
verfechten was ſein College will; ſelbſt ſehnſüchtig dem Augenblick ent-
gegenharrend wo er erlöst wird von der ſchweren politiſchen Aufgabe, zu
der ihn nicht Luſt, nicht Ehrgeiz, nur die loyale Treue gegen ſeinen Kö-
nig rief. Hr. v. Bodelſchwingh iſt eine gute Wahl, er repräſentirt den
Bundesſtaat; Graf Bülow verdankt dem kunſtreich aufgeſtachelten Oppo-
ſitionsgeiſt gegen die Frankfurter ſeine Ernennung, aber er iſt für die
deutſche Einigung. Für dieſe alſo, im preußiſchen Sinn, wäre durch die
Berliner Wahl geſorgt: miniſterielle Royaliſten, ſoweit das Syſtem des
conſtitutionellen Miniſteriums es zuläßt. Aber die Wahlen aus den Pro-
vinzen, ſoweit ſie bis heut bekannt ſind, laſſen wieder zweifeln ob das Mi-
niſterium Manteuffel hinter ſich die Stütze haben wird auf die es rech-
nete, ob die Preußen eine ſo geſchloſſene Phalanx bilden werden um mit
ihnen das Eine und Nothwendige durchzuſetzen. Die Geſpenſterfurcht vor
dem Extrem hat auch hier wieder zum andern Extrem geführt. Wie es
möglich war daß man Schlöffel, Vogte, Zitze auch in Erſurt aufſtehen und
die Einigung verwirren ſehen konnte, iſt kaum begreiflich; aber man hat
ſich wirklich davor gefürchtet, und dagegen alle Kräſte anſtrengend ſieht
man Stahl und eine ganze Schaar ſeiner Genoſſen erwählt. Da wird
Viemark-Schönhauſen für die deutſche Einheit auſtreten, und der Land-
rath v. Manteuffel, des Miniſters Bruder, der in Heftigkeit und Re-
actionsgelüſten noch über Gerlach hinausgeht. Faſt überall, ſoweit ſie
bis jetzt bekannt, haben die rechteſten Rechtsmänner über ihre conſtitution-
nellen Rivalen geſiegt, und ſchon muß man es als ein Glück betrachten
daß neben Radowitz, Bodelſchwingh und dem Miniſter v. Manteuffel we-
nigſtens Camphauſen, Graſ Schwerin, v. d. Heydt, Beckerath und Dun-
cker eine andere Schattirung ins Volkshaus bringen. Hr. v. Patow,
Graf Dyhrn, Graf Keller ſind durchgefallen, Simſon hat wenig Ausſicht
in Königsberg. Wird eine ſolche Reactionékammer eine Reunionskam-
mer werden können? fragt man beſorgt. Kann aus den Treubündlern und
Preußenvereinen ein Parlament für Deutſchland hervorgehen? Werden
die paar ächten deutſchen und freiſinnigen Männer in Erfurt die Rolle der
ſieben Liberalen ſpielen, welche in der chambre introuvable der Reſtau-
ration die Volksrechte allein durch ihre perſönliche Autorität aufrecht er-
hielten? In Erfurt wird allein die Nothwendigkeit ſprechen; der Radi-
calismus und die Reaction werden ihre Ohnmacht inne werden. Man
behauptet die Fraction Bismark-Schönhauſen und Kleiſt Retzow habe
ſchon jetzt ihre Oproſition gegen den Bundesſtaat fahren laſſen (im Ge-
genſatz von Gerlach), auch Stahl hat das Wort zurückgenommen welches
man von ihm in der Wahlverſammlung zu Neuſtadt gehört haben will,
ihm ſey eigentlich Erfurt ſehr gleichgültig; es werden dort überhaupt die
Worte wenig wiegen, darum, darf man vermuthen, ſparſam vorgebracht
werden. Die That allein wird in die Wagſchale geworfen. Wer wagt zu
ſagen wohin ſie ausſchlägt. Das preußiſche Miniſterium aber hat eine That
hinter ſich die ihm Kraft gibt — die beſchworene Verfaſſung. Die geſtrige
königliche Botſchaft ſchnitt alle Zweifel darüber ab, die heutigen Mor-
genzeitungen bringen bereits die publicirte Verfaſſung. Jene Zweifel
waren nicht gering. Daß die Partei von rechts noch bis zuletzt die äußer-
ſten Anſtrengungen gemacht das Gewiſſen des Königs zu erſchüttern, iſt
ausgemacht, das Gerücht ſprach noch geſtern von dringenden Vorſtellungen,
die von noch beſreundeten oder nicht mehr befreundeten Höfen in Potsdam ge-
macht werden ſowohl die Beeidung zu hintertreiben, als neue, letzte Hinder-
niſſe dem Erfurter Reichstage in den Weg zu legen. Die Miniſter haben
geſiegt, die preußiſche Verfaſſung ſteht feſt, bis zur Beſchwörung am Mitt-
woch ſind nur vier Tage. Sonderbar klang allerdings noch die Botſchaft
in ihrem proteſtirenden und reſervirenden Eingange, und der juriſtiſche
Scharfſinn mag darin eine neue Rechtsverletzung entdecken, den Proteſt
einer Perſon gegen eine Satzung die von ihr ausging, die es alſo doch
nicht als ein ihr widerfahrnes Unrecht darſtellen kann, wenn ihre Contra-
henten, ſpätere Propoſitionen verwerfend, auf dieſe urſprüngliche Satzung
zurückgingen. Indeſſen iſt auch dieſe Reſervation, bezüglich der Fidei-
commiſſe, näher betrachtet nichts als ein Symptom der königlichen Ge-
wiſſenhaftigkeit. Es iſt niemanden zweifelhaft daß wenn die Pairie in
Kraft bleibt, für die erblichen Pairs ein erblicher Grundbeſitz irgend in einer
Art und Weiſe feſtgeſtellt werden muß. Der Miniſter hatte es ſelbſt un-
verhohlen ausgeſprochen daß man, um dieß zu erreichen, irgendwie der
Verfaſſung werde Gewalt anthun müſſen. Wundert man ſich da wenn der
König in ſeiner Botſchaft im voraus daran erinnert daß ein dahin ſchla-
gender Geſetzentwurf eingebracht werden ſolle? Er wollte das von der
Seele weg haben, was andern Charakteren keine Schwierigkeit gemacht
hätte unter irgendeiner Form wieder einzuſchieben. Seltſam iſt aber
nur der Ausdruck. Die Verfaſſung als eine Thatſache, ein Monument
der erſchütternden Vergangenheit und als ein Wegweiſer in die directe Zu-
kunft hat eine eigenthümliche Wirkung auf das Gemüth eines jeden der
ſie jetzt liest, ganz eine andere, als da ſie noch Entwurf war, da ſie in
ihren einzelnen Stücken in der Debatte hin und her gezaust mard. Das
Preußen, nach dieſer Verfaſſung, wenn ſie eine Wahrheit geworden, iſt
ein anderes als das Preußen vor dem März. Und wie viel Satzungen darin
auch noch nicht zur Wahrheit geworden, weil ſie beſondern Geſetzen vor-
behalten ſind, ſo iſt doch ein Fundament gegeben, das ohne furchtbare Re-
volutionen nicht wieder umgeſtürzt werden kann, Satzungen ſind als Wahr-
heit ausgeſprochen auf die man immer wieder zurückkommen wird, wenn
es auch einer Partei zeitweilig gelingen ſollte ſie umzuwenden. Und
wenn es wahr daß es dieſem Miniſterium nur nach ſchweren, wiederhol-
ten Kämpfen gelungen dieſe Errungenſchaft ſo zu feſtigen, mag man
ſein kühneres Auftreten jetzt und den Muth begreifen mit dem es in Erfurt
vor die Schranken eines Theiles von Deutſchland treten will. Daß die
Vereidung bis auf den 6 Febr. verſchoben, will man damit erklären daß
der weiße Saal ſo lange Zeit koſte um durchwärmt zu werden. Eine an-
dere Erklärung: man will die Ankunft des Prinzen von Preußen abwar-
ten; ſein Schwur iſt keine geringe Bürgſchaft für die Feſtigkeit des Wer-
tes das man beendet.
Die Parlamentscorreſpondenz theilt über die Berliner Colo-
niſationsgeſellſchaft für Centralamerika mit, dieſelbe habe die Hieherkunft
des Señor Don Felipe Molina, Geſandten des Freiſtaats von Coſta-Rica,
dazu benutzt um fich den Ankauf von 100,000 Acres des vorzüglichſten,
von ihr ſelbſt zu wählenden Landes auf den geſunden Hochebenen dieſes
Staates zu ſichern, welche die reichen Gebiete des San-Juan-Stromes
und des Nicaragua-See’s, alſo die künftige Welthandelsſtraße, im Süden
begränzen. Abgeſehen von den politiſchen und andern Rechten und Vor-
theilen welche ſie ſich ſelbſt und ihren Coloniſten hiebei geſichert hat, wird
die Geſellſchaft, ſtatt der in der urſprünglichen Berechnung angenommenen
46,000 Acres, jetzt für denſelben Kaufpreis ein Areal von 100,000 Acres
erwerben und außerdem unter gleichen Bedingungen noch 300,000 Acres
reſervirt erhalten. Nach der Vertheilung der im Statut feſtgeſtellten
Landprämien für ſämmtliche Actionnäre, Beamte und Arbeiter, ſowie
nach dem Verkauf der von der Geſellſchaft zu dieſem Zweck errichteten
400 Etabliſſements, wofür ſich Käufer bereits in großer Zahl gemeldet
haben, bleibt den Actionnären ein freies Eigenthum von 64,000 Acres
oder etwa 100,000 Morgen Land, über deren vortheilhafteſte Verwendung
in einer auf den 16 Februar anberaumten Generalverſammlung berathen
werden ſoll.
Thiers über öffentliche Unterſtützung.
ȋ Paris, 31 Jan. Alle Journale ſind voll von Hrn. Thiers’ Be-
richt über die öffentliche Unterſtützung, ein Opus welches einen ganzen
Band groß Octav ausfüllt und nicht weniger als vierundzwanzig Spalten
des „Moniteur“ einnimmt. Es iſt ein Meiſterſtück lichtvoller Darſtellung,
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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