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Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. September 1914.

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5. September 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] militärisch versperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anschluß
an Deutschland ihm eine bessere Zukunft sichert als diese Ver-
schwörerrolle, in der es sich seit 40 Jahren gefällt. Offen ge-
standen, glaube ich an eine solche gänzliche Sinnesänderung
der Franzosen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß,
wenn man beim Friedensschluß von 1871 nicht den großen
Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über-
lassen, ihre Kriegslust überhaupt erheblich gedämpft worden
wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in diesem Kriege zeit-
weise zufielen, haben sie eben unter Benutzung von Belfort
errungen und dadurch unsere Offensive im Süden erschwert.

Jedenfalls schließt sich von Tag zu Tag der eiserne Ring
fester um die geschlagenen Truppen, die von Westen und Nor-
den auf Paris zurückweichen, daran können auch die hohlen
Proklamationen der Herren in Paris nichts ändern. Ob es
ihnen noch gelingt, über Paris hinaus nach Süden auszu-
weichen, oder ob sie sich bei Paris zusammenballen zu einem
letzten verzweifelten Widerstand, muß sich bald herausstellen.
In ersterem Falle würde sich eine strategische Lage ergeben,
ähnlich derjenigen im Winter 1870, nur daß der Fall von
Paris eine Frage von Wochen sein würde, wie damals von
Monaten. In letzterem Falle könnte ein zweites Sedan er-
stehen, das dann wohl gleichbedeutend wäre mit dem Ende
des Krieges gegen Frankreich. Was England angeht, so
können wir ihm bei seiner insularen Lage nicht recht ans
Leben -- vielleicht im Luftkrieg --, das müßte in Aegypten
und Indien geschehen. Es liegt aber im Wesen der englischen
Politik, daß sie unbedenklich ihre Bundesgenossen im Stiche
ließe, wenn es bei drohenden Gefahren in Afrika und Asien
geboten erscheint, am Ende auch unter dem Druck der öffent-
lichen Meinung mit Deutschland Frieden zu schließen, den wir
dann zu diktieren hätten. Natürlich müßten die Herren Grey
und Genossen vorher verschwinden.

Die Kriegslage im Osten ist nach den letzten großartigen
deutschen Erfolgen sowie denjenigen unseres Verbündeten im
westlichen Galizien eine sehr günstige, und ein konzentrischer
Vormarsch der Hauptkräfte in der Richtung auf Warschau
kann strategische Lagen herbeiführen, gleichbedeutend mit Ge-
fährdung der russischen Rückzugslinien. Gelingt das, so wäre
der Haupthelfer in jedem Kriege mit Rußland, die Weite des
Raumes, mattgesetzt. Jedoch selbst für den Fall, daß es den
russischen Armeen gelingt, schließlich die Verteidigungslinie
Kowno--Grodno--Brest-Litowsk zu erreichen, die auch ihre
Operationsbasis war, so könnten wir ruhig abwarten, bis die
vollbrachte Abrechnung im Westen auch Rußland zum Frie-
den zwingen müßte.

Es ist eine ungeheure Auseinandersetzung, die der Been-
digung des Krieges folgen muß, unter allen Umständen wür-
dig des ungeheuren Einsatzes, den das deutsche Volk willig
auf sich genommen hat. Je eher und wuchtiger solches unseren
Feinden vor Augen tritt, desto eher werden sie auch geneigt
sein, einem für sie aussichtslosen Kriege -- das darf man jetzt
schon ohne Ruhmredigkeit sagen -- ein Ende gemacht zu
sehen.



England und Japan --
zwei würdige Kampfgenossen!

Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutschland, be-
geistert von den Kriegstaten der Samurais und von der Pflichten-
strenge ihres Ehrenkodex, des Buschido, Vergleiche gezogen zwischen
diesem mongolischen Schwertadel und dem altdeutschen Rittertum,
seiner Vasallentreue, Sittengröße und idealistischen Weltanschauung.
Wie wenig solche Parallelen gerechtfertigt sind, beweist ein Blick in
Japans mittelalterliche Blütezeit, die Tokugawaepoche. In dem
Maß, wie damals der Reichtum des Landes zunahm und dem Adel
und Wehrstand müheloser Gewinn immer reichlicher zufloß, ergab
diese herrschende Gesellschaftsschicht sich mehr und mehr dem Müßig-
gang, verschwenderischem Luxus und entnervenden Wohlleben. An
Stelle der Waffenübungen trat das Spiel, an Stelle edler Frauen-
verehrung und Pflege der Dichtkunst Maitressenwirtschaft, Bänkel-
sängerei und weibisches Troubadourwesen. Der auf den Bauern
lastende überhohe Steuerdruck wurde noch weiterhin verstärkt;
schließlich konnten aber natürlich noch so hohe Abgaben die durch
[Spaltenumbruch] maßlose Vergeudung sich leerenden Taschen der hohen Herren nicht
voll erhalten, die daher zum Geldwechsler und Wucherer ihre Zu-
flucht nahmen. Sie verpfändeten diesen ihre Reiseeinkünfte, ließen
sich, um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, in alle mög-
liche waghalsige Handelsgeschäfte ein, wurden von den klügeren Kauf-
leuten natürlich gründlich um die Ohren gehauen und verschuldeten
dermaßen, daß der Bakufu, die Schogunatsregierung, von Zeit zu
Zeit zu dem letzten Gewaltmittel zu greifen sich gezwungen sah und
sämtliche Adelswechsel für ungültig erklärte. So ergab sich eine selt-
same Verbündung von Aristokratie und Plutokratie, deren habgieri-
ges Gewaltregiment der Heimin, das arme Volk, bis auf den letzten
Tropfen einer mit dem Wermut barbarischer Schonungslosigkeit ge-
füllten Schale auskosten mußte.

Daß die Dinge jetzt noch nicht viel besser liegen, zeigte sich deut-
lich bei dem japanischen Panama von 1908, das nur zu grellen Lichts
offenbarte, wie das zügellose spekulative Draufgängertum, die Gier
nach schnellem Gewinn um jeden Preis, die waghalsige, glücksspiele-
rische Art des Gründungswesens, die sittenverderblichen Geschäfts-
gemeinschaften von Geld- und Geburtsadel, Beamten- und Kauf-
mannschaft, alle diese Uebel im Dasein des feudalen Japan, sich in
den riesenhaften, noch gefährlicheren Formen ausgewachsen hatten,
wie sie der moderne Großkapitalismus und Großindustrialismus er-
möglicht. Und den sozialwirtschaftlichen Lebensformen "Dai-Ni-
hons" entsprechen die politischen. Die ganze ältere und jüngere Ge-
schichte des Mikadoreichs bis auf den heutigen Tag im Verkehr mit
anderen Mächten und Nachbarvölkern weist eine einzige Kette von
Vertragsbrüchen, Treulosigkeit, Hinterlist, Verschlagenheit auf. Die
Art, wie Korea tückisch umgarnt und schließlich dem "Reich der zehn-
tausend Inseln" einverleibt wurde, ist das charakteristische Beispiel
dieses moralinfreien Systems aus jüngster Zeit; die brutale Art, wie
dies unterjochte Land seitdem regiert worden ist, erscheint zugleich als
der beste Beweis, daß alle Kultur, mit der das japanische Volk sich
zu brüsten liebt und auf Grund deren es zum Führer des gesamten
Mongolentums berufen zu sein glaubt, im wesentlichen von Europa
entlehnter Firnis ist, der äußerlichen Glanz verleiht, aber die innere
seelische und geistige Verfassung der Nation kaum berührt, geschweige
denn umgebildet hat.

So haben sich das "Reich der aufgehenden Sonne" und das
Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, als zwei würdige
Kampfgenossen zusammengefunden, die der Räuberart ihrer Politik
nach tatsächlich zusammengehören. England, die Kulturleuchte,
schickt, unbekümmert um alle Ehre einer Vormacht der weißen
Rasse und der damit gegebenen Pflichtgesetze der europäischen
Gesittungssolidarität, seiner Desperadopolitik die Krone aufsetzend,
Japan aus, um unser blühendes ostasiatisches Emporium, das
glänzende Zeugnis deutscher kulturwirtschaftlicher Leistungsfähig-
keit, "hinzurichten". Besser hätte es vor aller Welt nicht offen-
baren können, was der wahre Grund seiner Ententeverschwörung
gegen Deutschland ist: der gelbe Neid auf unser kraftvolles
Emporstreben als Weltmacht. Japan aber ..? Die Angabe, daß
der britische Bündnisvertrag es zu solchen Schergendiensten zwinge,
ist die erste Lüge, mit der es dies auf Trug und Hintergehung aller,
nicht an letzter Stelle auch des englischen Freundes selbst angelegte
Spiel angemessen einleitet. Welchen Nutzen es sich davon erhofft
und wie es nach seinen weitschweifenden Hoffnungen weiter ent-
wickelt werden soll, liegt klar genug zu Tag.

Tsingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beste
Hafen an der ganzen nord- und mittelchinesischen Küste dank deutscher
technischer Arbeit geworden ist, sondern auch wegen seines Hinter-
lands, das in reicher Fülle die Kohlen- und Erzvorräte birgt, an
denen es selbst so arm ist. Vor allem aber: im Besitz des deutschen
Emporiums umklammerte es mit Hülfe seiner Stellungen in Dalni
und in der Südmandschurei Nordchina so vollkommen, daß ohne
Uebertreibung gesagt werden kann, es zwänge das Haupt des Riesen-
reichs der Mitte in einen erdrückenden Schraubstock. Schon daraus
erhellt mit vollkommener Deutlichkeit die Wahrheit, die hinter der
phrasenhaften und lügnerischen amtlichen Erklärung steckt, die eng-
lische und die japanische Regierung seien über die notwendigen Maß-
regeln zum Schutz ihrer Interessen im fernen Osten sowie auch be-
treffs der Unverletzlichkeit des chinesischen Reiches übereingekommen.
Der Angriff auf Kiautschou bedeutet vielmehr nur den ersten Schritt
zur Aufteilung des chinesischen Reichs, wie sie von England und
Japan, indem sie beim Beginn der Revolutionskrise den radikalen
Süden gegen den konservativen Norden unterstützten, in Gesinnungs-
brüderlichkeit vorbereitet wurde.

5. September 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] militäriſch verſperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anſchluß
an Deutſchland ihm eine beſſere Zukunft ſichert als dieſe Ver-
ſchwörerrolle, in der es ſich ſeit 40 Jahren gefällt. Offen ge-
ſtanden, glaube ich an eine ſolche gänzliche Sinnesänderung
der Franzoſen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß,
wenn man beim Friedensſchluß von 1871 nicht den großen
Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über-
laſſen, ihre Kriegsluſt überhaupt erheblich gedämpft worden
wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in dieſem Kriege zeit-
weiſe zufielen, haben ſie eben unter Benutzung von Belfort
errungen und dadurch unſere Offenſive im Süden erſchwert.

Jedenfalls ſchließt ſich von Tag zu Tag der eiſerne Ring
feſter um die geſchlagenen Truppen, die von Weſten und Nor-
den auf Paris zurückweichen, daran können auch die hohlen
Proklamationen der Herren in Paris nichts ändern. Ob es
ihnen noch gelingt, über Paris hinaus nach Süden auszu-
weichen, oder ob ſie ſich bei Paris zuſammenballen zu einem
letzten verzweifelten Widerſtand, muß ſich bald herausſtellen.
In erſterem Falle würde ſich eine ſtrategiſche Lage ergeben,
ähnlich derjenigen im Winter 1870, nur daß der Fall von
Paris eine Frage von Wochen ſein würde, wie damals von
Monaten. In letzterem Falle könnte ein zweites Sedan er-
ſtehen, das dann wohl gleichbedeutend wäre mit dem Ende
des Krieges gegen Frankreich. Was England angeht, ſo
können wir ihm bei ſeiner inſularen Lage nicht recht ans
Leben — vielleicht im Luftkrieg —, das müßte in Aegypten
und Indien geſchehen. Es liegt aber im Weſen der engliſchen
Politik, daß ſie unbedenklich ihre Bundesgenoſſen im Stiche
ließe, wenn es bei drohenden Gefahren in Afrika und Aſien
geboten erſcheint, am Ende auch unter dem Druck der öffent-
lichen Meinung mit Deutſchland Frieden zu ſchließen, den wir
dann zu diktieren hätten. Natürlich müßten die Herren Grey
und Genoſſen vorher verſchwinden.

Die Kriegslage im Oſten iſt nach den letzten großartigen
deutſchen Erfolgen ſowie denjenigen unſeres Verbündeten im
weſtlichen Galizien eine ſehr günſtige, und ein konzentriſcher
Vormarſch der Hauptkräfte in der Richtung auf Warſchau
kann ſtrategiſche Lagen herbeiführen, gleichbedeutend mit Ge-
fährdung der ruſſiſchen Rückzugslinien. Gelingt das, ſo wäre
der Haupthelfer in jedem Kriege mit Rußland, die Weite des
Raumes, mattgeſetzt. Jedoch ſelbſt für den Fall, daß es den
ruſſiſchen Armeen gelingt, ſchließlich die Verteidigungslinie
Kowno—Grodno—Breſt-Litowsk zu erreichen, die auch ihre
Operationsbaſis war, ſo könnten wir ruhig abwarten, bis die
vollbrachte Abrechnung im Weſten auch Rußland zum Frie-
den zwingen müßte.

Es iſt eine ungeheure Auseinanderſetzung, die der Been-
digung des Krieges folgen muß, unter allen Umſtänden wür-
dig des ungeheuren Einſatzes, den das deutſche Volk willig
auf ſich genommen hat. Je eher und wuchtiger ſolches unſeren
Feinden vor Augen tritt, deſto eher werden ſie auch geneigt
ſein, einem für ſie ausſichtsloſen Kriege — das darf man jetzt
ſchon ohne Ruhmredigkeit ſagen — ein Ende gemacht zu
ſehen.



England und Japan —
zwei würdige Kampfgenoſſen!

Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutſchland, be-
geiſtert von den Kriegstaten der Samurais und von der Pflichten-
ſtrenge ihres Ehrenkodex, des Buſchido, Vergleiche gezogen zwiſchen
dieſem mongoliſchen Schwertadel und dem altdeutſchen Rittertum,
ſeiner Vaſallentreue, Sittengröße und idealiſtiſchen Weltanſchauung.
Wie wenig ſolche Parallelen gerechtfertigt ſind, beweiſt ein Blick in
Japans mittelalterliche Blütezeit, die Tokugawaepoche. In dem
Maß, wie damals der Reichtum des Landes zunahm und dem Adel
und Wehrſtand müheloſer Gewinn immer reichlicher zufloß, ergab
dieſe herrſchende Geſellſchaftsſchicht ſich mehr und mehr dem Müßig-
gang, verſchwenderiſchem Luxus und entnervenden Wohlleben. An
Stelle der Waffenübungen trat das Spiel, an Stelle edler Frauen-
verehrung und Pflege der Dichtkunſt Maitreſſenwirtſchaft, Bänkel-
ſängerei und weibiſches Troubadourweſen. Der auf den Bauern
laſtende überhohe Steuerdruck wurde noch weiterhin verſtärkt;
ſchließlich konnten aber natürlich noch ſo hohe Abgaben die durch
[Spaltenumbruch] maßloſe Vergeudung ſich leerenden Taſchen der hohen Herren nicht
voll erhalten, die daher zum Geldwechſler und Wucherer ihre Zu-
flucht nahmen. Sie verpfändeten dieſen ihre Reiſeeinkünfte, ließen
ſich, um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, in alle mög-
liche waghalſige Handelsgeſchäfte ein, wurden von den klügeren Kauf-
leuten natürlich gründlich um die Ohren gehauen und verſchuldeten
dermaßen, daß der Bakufu, die Schogunatsregierung, von Zeit zu
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ſämtliche Adelswechſel für ungültig erklärte. So ergab ſich eine ſelt-
ſame Verbündung von Ariſtokratie und Plutokratie, deren habgieri-
ges Gewaltregiment der Heimin, das arme Volk, bis auf den letzten
Tropfen einer mit dem Wermut barbariſcher Schonungsloſigkeit ge-
füllten Schale auskoſten mußte.

Daß die Dinge jetzt noch nicht viel beſſer liegen, zeigte ſich deut-
lich bei dem japaniſchen Panama von 1908, das nur zu grellen Lichts
offenbarte, wie das zügelloſe ſpekulative Draufgängertum, die Gier
nach ſchnellem Gewinn um jeden Preis, die waghalſige, glücksſpiele-
riſche Art des Gründungsweſens, die ſittenverderblichen Geſchäfts-
gemeinſchaften von Geld- und Geburtsadel, Beamten- und Kauf-
mannſchaft, alle dieſe Uebel im Daſein des feudalen Japan, ſich in
den rieſenhaften, noch gefährlicheren Formen ausgewachſen hatten,
wie ſie der moderne Großkapitalismus und Großinduſtrialismus er-
möglicht. Und den ſozialwirtſchaftlichen Lebensformen „Dai-Ni-
hons“ entſprechen die politiſchen. Die ganze ältere und jüngere Ge-
ſchichte des Mikadoreichs bis auf den heutigen Tag im Verkehr mit
anderen Mächten und Nachbarvölkern weiſt eine einzige Kette von
Vertragsbrüchen, Treuloſigkeit, Hinterliſt, Verſchlagenheit auf. Die
Art, wie Korea tückiſch umgarnt und ſchließlich dem „Reich der zehn-
tauſend Inſeln“ einverleibt wurde, iſt das charakteriſtiſche Beiſpiel
dieſes moralinfreien Syſtems aus jüngſter Zeit; die brutale Art, wie
dies unterjochte Land ſeitdem regiert worden iſt, erſcheint zugleich als
der beſte Beweis, daß alle Kultur, mit der das japaniſche Volk ſich
zu brüſten liebt und auf Grund deren es zum Führer des geſamten
Mongolentums berufen zu ſein glaubt, im weſentlichen von Europa
entlehnter Firnis iſt, der äußerlichen Glanz verleiht, aber die innere
ſeeliſche und geiſtige Verfaſſung der Nation kaum berührt, geſchweige
denn umgebildet hat.

So haben ſich das „Reich der aufgehenden Sonne“ und das
Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, als zwei würdige
Kampfgenoſſen zuſammengefunden, die der Räuberart ihrer Politik
nach tatſächlich zuſammengehören. England, die Kulturleuchte,
ſchickt, unbekümmert um alle Ehre einer Vormacht der weißen
Raſſe und der damit gegebenen Pflichtgeſetze der europäiſchen
Geſittungsſolidarität, ſeiner Deſperadopolitik die Krone aufſetzend,
Japan aus, um unſer blühendes oſtaſiatiſches Emporium, das
glänzende Zeugnis deutſcher kulturwirtſchaftlicher Leiſtungsfähig-
keit, „hinzurichten“. Beſſer hätte es vor aller Welt nicht offen-
baren können, was der wahre Grund ſeiner Ententeverſchwörung
gegen Deutſchland iſt: der gelbe Neid auf unſer kraftvolles
Emporſtreben als Weltmacht. Japan aber ..? Die Angabe, daß
der britiſche Bündnisvertrag es zu ſolchen Schergendienſten zwinge,
iſt die erſte Lüge, mit der es dies auf Trug und Hintergehung aller,
nicht an letzter Stelle auch des engliſchen Freundes ſelbſt angelegte
Spiel angemeſſen einleitet. Welchen Nutzen es ſich davon erhofft
und wie es nach ſeinen weitſchweifenden Hoffnungen weiter ent-
wickelt werden ſoll, liegt klar genug zu Tag.

Tſingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beſte
Hafen an der ganzen nord- und mittelchineſiſchen Küſte dank deutſcher
techniſcher Arbeit geworden iſt, ſondern auch wegen ſeines Hinter-
lands, das in reicher Fülle die Kohlen- und Erzvorräte birgt, an
denen es ſelbſt ſo arm iſt. Vor allem aber: im Beſitz des deutſchen
Emporiums umklammerte es mit Hülfe ſeiner Stellungen in Dalni
und in der Südmandſchurei Nordchina ſo vollkommen, daß ohne
Uebertreibung geſagt werden kann, es zwänge das Haupt des Rieſen-
reichs der Mitte in einen erdrückenden Schraubſtock. Schon daraus
erhellt mit vollkommener Deutlichkeit die Wahrheit, die hinter der
phraſenhaften und lügneriſchen amtlichen Erklärung ſteckt, die eng-
liſche und die japaniſche Regierung ſeien über die notwendigen Maß-
regeln zum Schutz ihrer Intereſſen im fernen Oſten ſowie auch be-
treffs der Unverletzlichkeit des chineſiſchen Reiches übereingekommen.
Der Angriff auf Kiautſchou bedeutet vielmehr nur den erſten Schritt
zur Aufteilung des chineſiſchen Reichs, wie ſie von England und
Japan, indem ſie beim Beginn der Revolutionskriſe den radikalen
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[543/0005] 5. September 1914. Allgemeine Zeitung militäriſch verſperrt wird, daß ehrlicher, friedlicher Anſchluß an Deutſchland ihm eine beſſere Zukunft ſichert als dieſe Ver- ſchwörerrolle, in der es ſich ſeit 40 Jahren gefällt. Offen ge- ſtanden, glaube ich an eine ſolche gänzliche Sinnesänderung der Franzoſen vorläufig nicht, aber daran glaube ich, daß, wenn man beim Friedensſchluß von 1871 nicht den großen Fehler gemacht hätte, ihnen das Ausfalltor Belfort zu über- laſſen, ihre Kriegsluſt überhaupt erheblich gedämpft worden wäre. Die einzigen Erfolge, die ihnen in dieſem Kriege zeit- weiſe zufielen, haben ſie eben unter Benutzung von Belfort errungen und dadurch unſere Offenſive im Süden erſchwert. Jedenfalls ſchließt ſich von Tag zu Tag der eiſerne Ring feſter um die geſchlagenen Truppen, die von Weſten und Nor- den auf Paris zurückweichen, daran können auch die hohlen Proklamationen der Herren in Paris nichts ändern. Ob es ihnen noch gelingt, über Paris hinaus nach Süden auszu- weichen, oder ob ſie ſich bei Paris zuſammenballen zu einem letzten verzweifelten Widerſtand, muß ſich bald herausſtellen. In erſterem Falle würde ſich eine ſtrategiſche Lage ergeben, ähnlich derjenigen im Winter 1870, nur daß der Fall von Paris eine Frage von Wochen ſein würde, wie damals von Monaten. In letzterem Falle könnte ein zweites Sedan er- ſtehen, das dann wohl gleichbedeutend wäre mit dem Ende des Krieges gegen Frankreich. Was England angeht, ſo können wir ihm bei ſeiner inſularen Lage nicht recht ans Leben — vielleicht im Luftkrieg —, das müßte in Aegypten und Indien geſchehen. Es liegt aber im Weſen der engliſchen Politik, daß ſie unbedenklich ihre Bundesgenoſſen im Stiche ließe, wenn es bei drohenden Gefahren in Afrika und Aſien geboten erſcheint, am Ende auch unter dem Druck der öffent- lichen Meinung mit Deutſchland Frieden zu ſchließen, den wir dann zu diktieren hätten. Natürlich müßten die Herren Grey und Genoſſen vorher verſchwinden. Die Kriegslage im Oſten iſt nach den letzten großartigen deutſchen Erfolgen ſowie denjenigen unſeres Verbündeten im weſtlichen Galizien eine ſehr günſtige, und ein konzentriſcher Vormarſch der Hauptkräfte in der Richtung auf Warſchau kann ſtrategiſche Lagen herbeiführen, gleichbedeutend mit Ge- fährdung der ruſſiſchen Rückzugslinien. Gelingt das, ſo wäre der Haupthelfer in jedem Kriege mit Rußland, die Weite des Raumes, mattgeſetzt. Jedoch ſelbſt für den Fall, daß es den ruſſiſchen Armeen gelingt, ſchließlich die Verteidigungslinie Kowno—Grodno—Breſt-Litowsk zu erreichen, die auch ihre Operationsbaſis war, ſo könnten wir ruhig abwarten, bis die vollbrachte Abrechnung im Weſten auch Rußland zum Frie- den zwingen müßte. Es iſt eine ungeheure Auseinanderſetzung, die der Been- digung des Krieges folgen muß, unter allen Umſtänden wür- dig des ungeheuren Einſatzes, den das deutſche Volk willig auf ſich genommen hat. Je eher und wuchtiger ſolches unſeren Feinden vor Augen tritt, deſto eher werden ſie auch geneigt ſein, einem für ſie ausſichtsloſen Kriege — das darf man jetzt ſchon ohne Ruhmredigkeit ſagen — ein Ende gemacht zu ſehen. England und Japan — zwei würdige Kampfgenoſſen! Man hat oft genug in Europa, und vorab in Deutſchland, be- geiſtert von den Kriegstaten der Samurais und von der Pflichten- ſtrenge ihres Ehrenkodex, des Buſchido, Vergleiche gezogen zwiſchen dieſem mongoliſchen Schwertadel und dem altdeutſchen Rittertum, ſeiner Vaſallentreue, Sittengröße und idealiſtiſchen Weltanſchauung. Wie wenig ſolche Parallelen gerechtfertigt ſind, beweiſt ein Blick in Japans mittelalterliche Blütezeit, die Tokugawaepoche. In dem Maß, wie damals der Reichtum des Landes zunahm und dem Adel und Wehrſtand müheloſer Gewinn immer reichlicher zufloß, ergab dieſe herrſchende Geſellſchaftsſchicht ſich mehr und mehr dem Müßig- gang, verſchwenderiſchem Luxus und entnervenden Wohlleben. An Stelle der Waffenübungen trat das Spiel, an Stelle edler Frauen- verehrung und Pflege der Dichtkunſt Maitreſſenwirtſchaft, Bänkel- ſängerei und weibiſches Troubadourweſen. Der auf den Bauern laſtende überhohe Steuerdruck wurde noch weiterhin verſtärkt; ſchließlich konnten aber natürlich noch ſo hohe Abgaben die durch maßloſe Vergeudung ſich leerenden Taſchen der hohen Herren nicht voll erhalten, die daher zum Geldwechſler und Wucherer ihre Zu- flucht nahmen. Sie verpfändeten dieſen ihre Reiſeeinkünfte, ließen ſich, um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, in alle mög- liche waghalſige Handelsgeſchäfte ein, wurden von den klügeren Kauf- leuten natürlich gründlich um die Ohren gehauen und verſchuldeten dermaßen, daß der Bakufu, die Schogunatsregierung, von Zeit zu Zeit zu dem letzten Gewaltmittel zu greifen ſich gezwungen ſah und ſämtliche Adelswechſel für ungültig erklärte. So ergab ſich eine ſelt- ſame Verbündung von Ariſtokratie und Plutokratie, deren habgieri- ges Gewaltregiment der Heimin, das arme Volk, bis auf den letzten Tropfen einer mit dem Wermut barbariſcher Schonungsloſigkeit ge- füllten Schale auskoſten mußte. Daß die Dinge jetzt noch nicht viel beſſer liegen, zeigte ſich deut- lich bei dem japaniſchen Panama von 1908, das nur zu grellen Lichts offenbarte, wie das zügelloſe ſpekulative Draufgängertum, die Gier nach ſchnellem Gewinn um jeden Preis, die waghalſige, glücksſpiele- riſche Art des Gründungsweſens, die ſittenverderblichen Geſchäfts- gemeinſchaften von Geld- und Geburtsadel, Beamten- und Kauf- mannſchaft, alle dieſe Uebel im Daſein des feudalen Japan, ſich in den rieſenhaften, noch gefährlicheren Formen ausgewachſen hatten, wie ſie der moderne Großkapitalismus und Großinduſtrialismus er- möglicht. Und den ſozialwirtſchaftlichen Lebensformen „Dai-Ni- hons“ entſprechen die politiſchen. Die ganze ältere und jüngere Ge- ſchichte des Mikadoreichs bis auf den heutigen Tag im Verkehr mit anderen Mächten und Nachbarvölkern weiſt eine einzige Kette von Vertragsbrüchen, Treuloſigkeit, Hinterliſt, Verſchlagenheit auf. Die Art, wie Korea tückiſch umgarnt und ſchließlich dem „Reich der zehn- tauſend Inſeln“ einverleibt wurde, iſt das charakteriſtiſche Beiſpiel dieſes moralinfreien Syſtems aus jüngſter Zeit; die brutale Art, wie dies unterjochte Land ſeitdem regiert worden iſt, erſcheint zugleich als der beſte Beweis, daß alle Kultur, mit der das japaniſche Volk ſich zu brüſten liebt und auf Grund deren es zum Führer des geſamten Mongolentums berufen zu ſein glaubt, im weſentlichen von Europa entlehnter Firnis iſt, der äußerlichen Glanz verleiht, aber die innere ſeeliſche und geiſtige Verfaſſung der Nation kaum berührt, geſchweige denn umgebildet hat. So haben ſich das „Reich der aufgehenden Sonne“ und das Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, als zwei würdige Kampfgenoſſen zuſammengefunden, die der Räuberart ihrer Politik nach tatſächlich zuſammengehören. England, die Kulturleuchte, ſchickt, unbekümmert um alle Ehre einer Vormacht der weißen Raſſe und der damit gegebenen Pflichtgeſetze der europäiſchen Geſittungsſolidarität, ſeiner Deſperadopolitik die Krone aufſetzend, Japan aus, um unſer blühendes oſtaſiatiſches Emporium, das glänzende Zeugnis deutſcher kulturwirtſchaftlicher Leiſtungsfähig- keit, „hinzurichten“. Beſſer hätte es vor aller Welt nicht offen- baren können, was der wahre Grund ſeiner Ententeverſchwörung gegen Deutſchland iſt: der gelbe Neid auf unſer kraftvolles Emporſtreben als Weltmacht. Japan aber ..? Die Angabe, daß der britiſche Bündnisvertrag es zu ſolchen Schergendienſten zwinge, iſt die erſte Lüge, mit der es dies auf Trug und Hintergehung aller, nicht an letzter Stelle auch des engliſchen Freundes ſelbſt angelegte Spiel angemeſſen einleitet. Welchen Nutzen es ſich davon erhofft und wie es nach ſeinen weitſchweifenden Hoffnungen weiter ent- wickelt werden ſoll, liegt klar genug zu Tag. Tſingtau lockt die Japaner nicht nur, weil es der weitaus beſte Hafen an der ganzen nord- und mittelchineſiſchen Küſte dank deutſcher techniſcher Arbeit geworden iſt, ſondern auch wegen ſeines Hinter- lands, das in reicher Fülle die Kohlen- und Erzvorräte birgt, an denen es ſelbſt ſo arm iſt. Vor allem aber: im Beſitz des deutſchen Emporiums umklammerte es mit Hülfe ſeiner Stellungen in Dalni und in der Südmandſchurei Nordchina ſo vollkommen, daß ohne Uebertreibung geſagt werden kann, es zwänge das Haupt des Rieſen- reichs der Mitte in einen erdrückenden Schraubſtock. Schon daraus erhellt mit vollkommener Deutlichkeit die Wahrheit, die hinter der phraſenhaften und lügneriſchen amtlichen Erklärung ſteckt, die eng- liſche und die japaniſche Regierung ſeien über die notwendigen Maß- regeln zum Schutz ihrer Intereſſen im fernen Oſten ſowie auch be- treffs der Unverletzlichkeit des chineſiſchen Reiches übereingekommen. Der Angriff auf Kiautſchou bedeutet vielmehr nur den erſten Schritt zur Aufteilung des chineſiſchen Reichs, wie ſie von England und Japan, indem ſie beim Beginn der Revolutionskriſe den radikalen Süden gegen den konſervativen Norden unterſtützten, in Geſinnungs- brüderlichkeit vorbereitet wurde.

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Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. September 1914, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine36_1914/5>, abgerufen am 25.11.2024.