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Allgemeine Zeitung, Nr. 347, 15. Dezember 1890.

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München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347.
[Spaltenumbruch]

auch kaum eine lange Debatte veranlassen, namentlich je
nach den Erklärungen, welche die Regierung abgibt. Jeden-
falls ist die rechtzeitige Erledigung des Budgets nach dem
ganzen Stande der Dinge nun sicher.

Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche
Rücktritt des Finanzministers Giolitti auf einen Theil
der italienischen Deputirten ausgeübt hatte, ist durch Er-
klärungen Giolitti's, daß er nicht in die Opposition zu
gehen gedenke, sowie durch die Darlegungen der Regierung
in der Versammlung der ministeriellen Kammermajorität
beseitigt worden; zur Festigung der parlamentarischen
Parteiverhältnisse wird auch der Beschluß der Gruppe
Rudini erheblich beitragen, von der Bildung einer eigenen
Fraction der Rechten abzusehen und in dem allgemeinen
Majoritätsverbande zu verbleiben, um die Actionsfähigkeit
desselben nicht zu beeinträchtigen. Hoffentlich bestätigt sich
ein in Rom colportirtes Gerücht von erusten Differenzen
zwischen Hrn. Crispi und dem Kriegsminister Bertole-Viale
wegen der Abstriche am Kriegsbudget nicht, wenngleich
gerade mit Rücksicht auf den Ursprung dieser Mißhellig-
keiten eine Erschütterung des Cabinets durch den Rücktritt
des Kriegsministers nicht zu befürchten wäre. Ersparungen
-- das ist heute das allgemeine Losungswort in Italien,
und das Ministerium könnte der öffentlichen Meinung
gegenüber in dieser Hinsicht augenblicklich kaum zu viel
thun; andrerseits muß aber festgehalten werden, daß auch
dem neuen Ersparungssystem gewisse Grenzen gesteckt sind
und daß es immerhin bedenklich wäre, gerade an dem
Kriegsbudget zu radicale Abstriche vorzunehmen, welche
das Vertrauen in die volle Schlagsertigkeit Italiens in einer
vielleicht jählings hereinbrechenden Stunde ernstester
Entscheidungen vermindern müßten. Das est modus in
rebus
gilt, wie man es auch beklagen mag, wohl noch
für lange hinaus als eisernes Nothwendigkeitsgesetz ganz
besonders für die Einschränkung der Ausgaben zu mili-
tärischen Zwecken, und auch Italien kann sich diesem Ge-
bote ohne Gefährdung wichtiger Daseiusinteressen nicht
entziehen. Uebrigens dürfte sich auf dem Gebiete der
Verwaltung, auf welchem nach Giolitti's Aussage eine
"unsinnige Verschwendung" herrschen soll, ein hinreichend
großes Feld zur Bewerkstelligung ausgiebiger Ersparungen
bieten.



Deutsches Reich.

Wenn man sich ein Bild über
die Stellung unsrer Parteien in Reichstag und Landtag zu
machen versucht, kommt man im wesentlichen doch zu dem
Nesultat, daß Alles noch ebenso unklar und unsicher liegt, wie
zur Zeit der Eröffnung unsrer beiden parlamentarischen Körper-
schaften. Es hat sich die Thatsache geltend gemacht, daß nach
dem Rücktritt des Fürsten Bismarck man den werdenden Zu-
ständen als einem Unbekannten gegenüberstand und gleichsam
tastend vorging. Keine der Parteien wollte das lockende Ziel
ihrer Regierungsfähigkeit voreilig aus dem Auge verlieren und
so konnte es geschehen, daß in verhältnißmäßig ruhigem Ton
Materien verhandelt wurden, bei welchen in früherer Zeit Alles
in Feuer und Flammen gerathen wäre. Daß dieses System
parlamentarischer und, fast könnte man sagen: diplomatischer
Taktik sich auf die Dauer nicht wird durchführen lassen, steht
jedem Einsichtigen fest; unsicher ist nur der Kampftermin. Wir
unsrerseits halten es für wahrscheinlich, daß, bei Gelegenheit
der Etatdebatten, die bisherige Haltung nicht mehr zu be-
haupten sein wird und daß auf den ruhigen Anfang
eine stürmische Fortsetzung folgen dürfte. Auch hier aber
ist das Ende nicht abzusehen. Für den Neichstag
läßt sich nur foviel mit Sicherheit sagen, daß sür
die Aufhebung der Lebensmittelzölle eine größere Majori-
tät sich finden wird und daß trotz aller Gegenwirkung
ein Beschluß für die Aufhebung des Jesuitengesetzes ebenfalls
mit Sicherheit erwartet werden kann. Im Reichstag ist heute
das Gestirn Windthorsts herrschend und das Jesuitengesetz der
Prüfstein der Parteien. Von der Stellung, welche die Parteien
zu diesem Gesetz einhalten, wird es abhängen, welche Zugeständ-
nisse sie von den 105 Stimmen des Centrums erhalten können,
und das wird in allen Fragen mitspielen. Die Situation wird
noch verwickelter, weil sich vorauesehen läßt, daß der Bundes-
rath gegen die Aufhebung des Jesuitengesetzes beschließen wird,
was gewiß Niemand genauer überschaut, als der vielgewandte
Führer des Centrums. Es handelt sich also in diesem Kampfe
im Grunde nicht um die Erreichung eines sofort eintretenden,
mit Händen greifbaren Erfolges, sondern um ein geistiges
Canossa des Reichstages, dessen Folgen dann freilich Windt-
horst zu gute kämen. Wohl aber könnte die Abstimmung des
Reichstags das Material zu einer höchst gefährlichen und auf-
regenden Agitation in den Bundesstaaten liefern, deren "Nein"
den Antrag Windthorst zu Fall brächte. (? D. R. Das In-
teresse der Bevölkerungen an der Rückberufung der Jesuiten
scheint da umsomehr überschätzt zu werden, als die Geistlichkeit
selbst damit nichts weniger als einverstanden ist.) Was aus den
Verhandlungen der Commissionen des Abgeordnetenhauses
an die Oeffentlichkeit tritt, ist ebenfalls nicht gerade dazu angethan,
optimistische Erwartungen wachzurufen. Das Volksschulgesetz
wird aller Wahrscheinlichkeit nach fallen, und es ist nicht aus-
geschlossen, daß in Folge der Modisicationen, welche die Vor-
lage in den, wie wir hören, sehr erregten Verhandlungen der
Commission erfahren hat, auch die Nationalliberalen dagegen
stimmen. Ebenso heftig wogt der Kampf über die Steuer-
reform, die gleichfalls in veränderter Gestalt aus der Commission
hervorgehen wird, und zwar nach der Richtung, daß die Be-
stimmungen über die Declarationspflicht abgeschwächt werden
und die Erbschaftssteuer ganz beseitigt wird. Aus Kreisen, die
den Verhandlungen in der Commission nicht fremd sind, ist
uns die Bemerkung entgegengetreten, daß, wenn man
die Klagen der einzelnen wirthschaftlichen Gruppen aus dem
Munde ihrer Advocaten in der Commission anhöre, man leicht
die Vorstellung gewinnen könnte, daß Deutschland sich in einem
Stadium tiessten materiellen Niederganges befinde. Handwerk,
Ackerbau, Kaufmannsstand, Industrie, Beamtenthum, den Ge-
lehrtenstand nicht zu vergessen -- alle würden sie erdrückt durch
die Last unerträglicher Steuern und dabei trinkt man in Deutsch-
land jahraus, jahrein für 3 Milliarden Mark Vier, Wein und
andere Spirituosen. Die Zahl klingt unglaublich, ist aber
richtig und sie dürfte durch ihre erstaunliche Höhe beweisen,
daß das deutsche Volk für die ernsten Vedürfnisse des Staates
doch noch Geld übrig haben sollte. Der Vergleich zwischen
der Steuerlast Deutschlands, Englands und Frankreichs,
19 M. bei uns zu 35 M. in England und 55 M. in Frank-
[Spaltenumbruch] reich, ist so beweisend, daß man in ernsten patriotischen Kreisen
von übermäßigem oder gar unerlräglichem Druck zu reden Ve-
denken tragen müßte. Die vom Finanzminister jetzt geplante
gerechtere Vertheilung der Steuerlast ist zweifellos eine Wohl-
that, wird aber als solche nur empfunden werden, wenn sie nicht
durch allzu freigebige Streichungen von Commission und Land-
tag zu einer Minderung der Machtmittel des Staates führt.
Denn auch vom Staate gilt das Wort: Geld ist Macht.

Die Errichtung eines gemeinsamen
Unfallkranken- und Reconvalescentenhauses für sämmt-
liche Berufsgenoffenschaften in Berlin ist bekanntlich bereits seit
längerer Zeit im Werke, nachdem auf einem früheren Berufs-
genossenschaftstage die Anlage solcher Häuser seitens der Genossen-
schaften angeregt worden war. Ueber die Herstellungskosten ist
vor kurzem, wie gemeldet, eine Verständigung mit dem Reichsver-
sicherungsamte dahin erreicht worden, daß dieselben durch eine An-
leihe mit starker Amortisation zu beschaffen wären. Gegenwärtig
handelt es sich nur darum, zunächst eine sichere Unterlage für den
Umfang zu gewinnen, den man der Anstalt zu geben hätte. In
der Sache hat nun am Freitag eine Vorbesprechung des geschäfts-
führenden Ausschusses des Genossenschaftsverbandes unter Vorsitz
des Commercienrathes Rösicke stattgefunden, wobei beschlossen
wurde, einen Fragebogen bierüber an die in Berlin sitzenden Sec-
tionen der Berufsgenossenschaften zu versenden. Nach dem Ein-
gehen der Antworten sollen dann weitere Vorlagen ausgearbeitet
und eine Versammlung sämmtlicher Vertreter zur Beschlußfassung
einberufen werden.

Der Reichstag hat sich bis zum
13. Januar vertagt und wird alsdann seine Thätigkeit mit
der lang verschobenen Berathung über die Anträge auf Ab-
schaffung, beziehungsweise Ermäßigung der landwirthschaft-
lichen Zölle wieder aufnehmen. Die Commissionen werden
schon ein paar Tage früher ihre Arbeiten beginnen oder fort-
setzen. Das Plenum wird sich nach Neujahr zunächst haupt-
sächlich mit der zweiten Etatsberathung und dem Arbeiter-
schutzgesetz zu beschäftigen haben, über welches letztere der Com-
missionsbericht während der Vertagung erscheinen dürfte. Von
sonstigen größeren Vorlagen bleiben alsdann namentlich noch
diejenigen über Reform der Zuckersteuer, über Aenderung des
Krankenversicherungs- und des Patentgesetzes, über den Schutz
von Gebrauchsmustern zu erledigen. Es erscheint wohl mög-
lich, mit diesen Arbeiten vor Ostern, also etwa bis zum 20. März,
fertig zu werden, wie auch der Präsident in Aussicht stellte.
Die Aussichten des Zuckersteuergesetzes, welches der
Reichstag vorgestern in eine Commission verwiesen hat, sind
freilich noch ganz unsicher, da alle Parteien in dieser Frage ge-
spalten sind. Das Centrum hat in der vorgestrigen Verhand-
lung geschwiegen, die Conservativen haben sich nur mit großer Zu-
rückhaltung geäußert; es lassen sich sonach über die Stellung dieser
Parteien höchstens Vermuthungen aufftellen; jedenfalls herrschen
auch hier starke Meinungsverschiedenheiten. Im allgemeinen
glaubt man annehmen zu dürfen, daß es zu einer Verständi-
gung kommen werde, da der jetzige Zustand der wachsenden
Schädigung der Reichscasse kaum mehr erträglich ist. Auf
welcher Grundlage aber das Gesetz schließlich zu Stande kom-
men wird, ob die Uebergangserleichterungen für die Zucker-
industrie vermehrt und in ihrer Dauer verlängert werden, ob
die Erhöhung der Verbrauchsabgabe durchdringen wird, dar-
über läßt sich noch gar nichts absehen. Ueber alle Einzelheiten
des Gesetzentwurfs wird es jedenfalls noch zu langen und
schwierigen Verhandlungen kommen. Die Interessen einer In-
dustrie, die vermöge ihrer großen wirthschaftlichen Bedeutung
sorgfältige Schonung bedarf, stehen hier in einem schwer zu
versöhnenden Gegensatz zu den fiscalischen Rücksichten auf die
Neichscasse und zu den wirthschaftspolitischen Erwägungen, die
sich aus der Thatsache einer so bedeutenden Staatsunterstützung
eines einzelnen Gewerbszweigs ergeben. Es läßt sich aber
nicht länger vermeiden, in dieser Angelegenheit, die seit
langen Jahren die weitesten politischen und geschäftlichen Kreise
in Anspruch nimmt und beunruhigt, endlich einmal zu einem
entscheidenden Schritt zu gelangen, und darum wiegt die Ueber-
zeugung vor, ein einfaches Scheitern des Gesetzes sei nicht möglich.

Im Abgeordnetenhause haben gestern auch die Com-
missionen für die Landgemeindeordnung und das Volksschul-
gesetz ihre Arbeiten begonnen. In sämmtlichen mit der Bera-
thung der Reformgesetze betrauten Commissionen zeigt sich das
erfreuliche Bestreben, möglichst rasch und energisch auf das Ziel
loszugehen. Die Steuercommissionen sind in wenigen Sitzungen
unerwartet weit in ihren Berathungen fortgeschritten. Man
wird sonach erwarten dürfen, daß schon frühzeitig im neuen
Jahr das Haus sich wieder mit diesen Gesetzen wird befassen
können. Der Wiederbeginn der Plenatsitzungen wird für den
8. Januar erwartet. Die Anberaumung des Termines ist in
das Belieben des Präsidenten gestellt.

Im Herrenhause hat Graf v. Frankenberg den Antrag
eingebracht, die Bildung einer Behörde zu erwägen, welcher alle
Interessen der Wasserwirthschaft in Bezug auf die Landes-
cultur, auf Abwendung der Hochwassergefahren und bessere
Ausnutzung für Schifffahrt und Gewerbe unterstellt werden.

Die Schulreformconferenz wird voraussichtlich gegen
Mitte der neuen Woche ihre Berathungen schließen. Zunächst
hat die Schulreformbewegung die Bildung eines Gymnasial-
vereins
ins Leben gerufen, welcher "die Erhaltung unsrer
Gymnasialbildung im wesentlichen auf den bisherigen humani-
stischen Grundlagen" anstrebt. Der Verein, für welchen bereits
eine große Anzahl hervorragender und angesehener Männer
ihre Mitgliedschaft zugesagt haben, wird sich am Montag
(15. d. M.) in Berlin constituiren; er bezweckt selbstverständlich,
sich über ganz Deutschland auszubreiten. Zur Begründung des
Vereins laden ein die HH. Albrecht-Straßburg i. E., Dei-
ters
-Koblenz, Graf-Elberfeld, Jäger-Köln, Kropatscheck-
Berlin, Kübler-Berlin, Schiller-Gießen, Schrader-Halle,
Uhlig-Heidelberg -- bezeichnenderweise sämmtlich Mitglieder
der Conferenz.

Wie die "Köln. Ztg." hervorhebt, ist in die Berathungen der
Schulreformconferenz, seitdem der Minister selbst die Lei-
tung übernommen hat, ein rascherer Zug gekommen. An einem
wichtigen Punkt, dem Geschichtsunterricht in Untersecunda des
Gymnasiums, ist dem neuerdings betonten Grundsatz stärkerer
Berücksichtigung der neueren Geschichte
ein erstes Zuge-
ständniß durch Einführung einer ausführlichen Behandlung der
Geschichte der letzten hundert Jahre (1789 bis 1871) gemacht
worden, wodurch den mit Untersecunda abgehenden Schülern ein
starker vaterländischer Eindruck gleichsam mit auf den Weg gegeben
werden soll. Die alte Geschichte wurde auf die Obersecunda be-
schränkt: wie die "Köln. Ztg." hört, hätte selbst ein schroffer Ver-
treter des jetzigen Gymnasiallehrplans, Director Jäger aus Köln,
dem unter bestimmten Cautelen zugestimmt. Außerdem wird uns
berichtet, daß Provincialschulrath Krause aus Danzig mit tiesem
Ernst und großer Wirkung auf die üblen Folgen hingewiesen habe,
welche aus der fortwährenden Verschiebung der Negulirung der
äußeren Verhältnisse des Lehrerstandes zu erwarten
seien. Außerdem wurde noch über höchste Schülerziffer, Zahl der
[Spaltenumbruch] Pflichtstunden der Lehrer und Verwandtes gesprochen, wobei, wie
freilich zu erwarten war, Forderungen und Wünsche laut geworden
wären, die noch sehr weit von dem Erreichbaren, geschweige dem
Wirtlichen entfernt sind.

Der Evangelische Oberkirchenrath hat folgenden
Erlaß über Ehefragen veröffentlicht:

"Es sind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confessionell-
gemischte Ehen nach vorangegangener römisch-katholischer Trauung
von evangelischen Geistlichen ohne Beachtung der für evangelische
Trauungen vorgeschriebenen Formen eingesegnet worden sind. Vei
den zu solchem Zwecke veranstalteten Familienfeiern hat sich der
mitwirkende Geistliche auf Ansprache, Gebet und Segensspruch be-
schränkt und weder eine Beantwortung der Traufragen verlangt,
noch die agendarische Trauformel angewandt. Ein solches Verfahren
muß für unzulässig erachtet werden. Die Kirche fordert von ihren
Gliedern, daß sie eine Ehe nicht ohne kirchliche Mitwirkung
eingehen; die Form, in welcher diese Mitwirkung gefordert
und gewährt wird, ist nach der bestehenden kirchlichen Ord-
nung ausschließlich die Trauung. Die Anwendung einer an-
deren Form je nach Velieben des einzelnen Geistlichen verbietet
sich als eine Umgehung der bestimmten vorgeschriebenen litur-
gischen Ordnung und eine die Ehre der Kirche verletzende
Zweideutigkeit. Wer die Trauung verschmäht, verzichtet damit
überhaupt auf Mitwirkung der Kirche bei Eingehung seiner Ehe.
Diese kirchliche Mitwirkung ist grundfätzlich auch solchen Mitgliedern
zu gewähren, welche eine gemischte Ehe eingehen, sofern dem nicht
etwa im einzelnen Falle unzulässige Zusagen in Betreff der Kinder-
erziehung oder sonstige bestimmte Gründe entgegenstehen; insbeson-
dere gibt eine vorangegangene römisch-katholische Trauung an sich
noch keinen Grund, sie ihnen zu versagen, immer wird sie auch
ihnen nur in der dafür ein- für allemal feststehenden agendarischen
Form gewährt werden können, gegenwärtig also in Gemäßheit der
darüber in der Trauungsordnung enthaltenen Vorschriften. Legen
sie auf die Trauung keinen Werth oder glauben sie darauf mit
Rücksicht auf Zugeständnisse an die Anforderungen einer fremden
Religionsgemeinschaft verzichten zu müssen, so verlieren sie damit
jeden Anspruch auf irgendwelche Mitwirkung der Kirche bei Ein-
gehung ihrer Ehe, und eine Betheiligung evangelischer Geistlichen
daran in Form einer freien liturgischen Feier oder eines abge-
schwächten Trauungsactes würde weder mit der Ordnung, noch mit
der Würde der Kirche vereinbar sein. Die Geistlichen werden
demnach die in dieser Nichtung an sie gelangende Anträge abzu-
lehnen haben."

Der Kaiser, welcher in der ver-
gangenen Nacht von seinem Jagdausflug nach Barby zurückgekehrt
war, empfing heute Mittag 12 Uhr den Erbgroßherzog von Luxemburg,
welcher die Thronbesteigung seines Vaters notisicirte. Erbgroß-
herzog Wilhelm war gestern Abends 11 Uhr hier eingetroffen und
am Bahnhof vom Prinzen Friedrich Leopold und der Generalität
empfangen worden. Eine Compagnie der Gardefüsiliere mit Fahne
und Musik bildete die Ehrenwache. Heute Rachmittag folgte der
Erbgroßherzog einer Einladung zur Tafel bei den kaiserlichen
Majestäten. Der Erbgroßherzog führte die Kaiserin zur Tafel, an
welcher alle Prinzen des königlichen Hauses, der Reichskanzler,
Graf Moltke, die Minister v. Voetticher, v. Maybach, v. Goßler,
die obersten Hofchargen und zahlreiche Generale theilnahmen.
Der "Post" zufolge gehörten zu den Tafelgästen Ihrer Majestäten auch
die schleswig-holsteinischen Herrschaften und Prinz Aribert von Anhalt.
Vor der Tasel hatte Se. Maj. der Kaiser noch dem Oberschloß-
hauptmann Grasen Perponcher Audienz ertheilt. -- Die Kopen-
hagener "National-Tidende" bringt in bestimmter Form die Nach-
richt, daß der Prinz Christian sich in nicht ferner Zeit nach
Berlin begeben werde, um seine Verlobung mit der Schwester
des Kaisers, Prinzessin Margarethe, zu feiern. Die Nach-
richt hat zwar noch keine Bestätigung von deutscher Seite gefunden,
da jedoch das genannte Blatt den dänischen Hofkreisen nahe steht
und als deren Organ gilt, so wird von der Meldung jedenfalls
Kenntniß zu nehmen sein. Prinz Christian ist der älteste Sohn
des dänischen Kronprinzen, also voraussichtlich der künftige König
von Dänemark. -- Dem heutigen Deiner beim Finanzminister
zu Ehren der Mitglieder der Einkommensteuer- und der Gewerbe-
steuercommission wohnten auch der Präsident des Abgeordneten-
hauses v. Köller, Abg. Dr. Windthorst und Oberpräsident
Dr. v. Bennigsen, der auf der Durchreise hier verweilte, bei. In
der Unterhaltung wurden parlamentarische Gegenstände nicht be-
rührt. Minister Miquel äußerte bei Beginn des Mahles, er hoffe,
die Herren hätten Progression und Degression zu Hause gelassen
und würden sich nur dem gemüthlichen Beisammensein hingeben. --
Heute Mittag hat im Anschluß an den Beschluß der Philologen-
Versammlung in Zürich von 1887 im Architektenhause nach einer
Ansprache des Rectors der Greifswalder Universität Professor
Dr. Reifferscheid die Gründung einer Gesellschaft für deutsche
Erziehungs- und Schulgeschichte stattgefunden.

Der König von Sachsen und Prinz Georg von Sachsen
werden am Montag Nachmittag aus Dresden hier eintreffen, um
später den Kaiser zur Jagd nach Königs-Wusterhausen zu begleiten.

Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der "Köln. Volksztg."
zufolge am Freitag eine längere Besprechung mit dem Abg.
Windthorst gehabt. -- Der japanische Gesandte am hiesigen
Hofe, Marquis Saionzi, ist nach Berlin zurückgekehrt und hat
die Geschäfte der Gesandtschaft wieder übernommen. -- Der Bischof
von Telepte, J. B. Anzer, apostol. Vicar von Süd-Schantung
in China, welcher in besonderer Mission kürzlich aus China hier
eintraf und sich dann nach Magdeburg begeben hatte, ist hier
wieder eingetroffen. -- Der türkische General v. Hobe Pascha
hat seine Abreise yerschieben müssen, da seine Gattin ernstlich er-
krankt ist. -- Prof. Dr. Schottmüller wird, wie die "Magdeb.
Ztg." hört, seit seiner Rückkehr aus Rom und seinem Rücktritt von
der Leitung der dortigen historischen Station als Hülfsarbeiter im
Unterrichtsministerium in der Abtheilung für das höhere Schul-
wesen beschäftigt.

Die Preise der Arbeiter-Fahrkarten sind auf allen
preußischen Staatseisenbahnen nunmehr allgemein auf 1 Pfennig
für den Kilometer
herabgesetzt worden. -- Der Expreßgut-
verkehr
wird auf den preußischen Staatsbahnen nunmehr auch
auf solche Stationen ausgedehnt, von und nach welchen directe
Fahrkarten nicht ausgegeben werden.

Der gestern eröffneten Landes-
synode
hat die Regierung drei Kirchengesetzentwürfe, Gehaltsver-
hältnisse der Geistlichen, erledigte Pfarrstellen und die Landeskirch-
casse betreffend, vorgelegt. Zur Durchführung dieser Gesetze begehrt
die Regierung aus der Landeskirchcasse einen Zuschuß von 10,000
Mark für die Alterszulagen, 2000 Mark zu den Kosten der Landes-
synode und sonstiger kirchlichen Bedürfnisse, sowie daß die Landeskirch-
casse die dem Hülfsfonds obliegenden Leistungen unter gewissen
Voraussetzungen übernimmt. Ferner verlangt die Regierung die
Ermächtigung, die im Kirchenetat von 1887 bis 1889 erübrigten
11,000 Mark zu Remunerationen an Geistliche verwenden zu dürfen.
In Betreff der Gehaltsverhältnisse der Geistlichen bestimmt
der Gesetzentwurf, daß der Mindestgehalt 1800 Mark betragen soll.
Wenn solcher nach 5 Jahren nicht 2000, nach 10 nicht 2200,
nach 15 nicht 2400, nach 20 nicht 2700 und nach 30 Jahren
nicht 3000 Mark beträgt, so ist der Fehlbetrag durch Alterszulagen

München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347.
[Spaltenumbruch]

auch kaum eine lange Debatte veranlaſſen, namentlich je
nach den Erklärungen, welche die Regierung abgibt. Jeden-
falls iſt die rechtzeitige Erledigung des Budgets nach dem
ganzen Stande der Dinge nun ſicher.

Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche
Rücktritt des Finanzminiſters Giolitti auf einen Theil
der italieniſchen Deputirten ausgeübt hatte, iſt durch Er-
klärungen Giolitti’s, daß er nicht in die Oppoſition zu
gehen gedenke, ſowie durch die Darlegungen der Regierung
in der Verſammlung der miniſteriellen Kammermajorität
beſeitigt worden; zur Feſtigung der parlamentariſchen
Parteiverhältniſſe wird auch der Beſchluß der Gruppe
Rudini erheblich beitragen, von der Bildung einer eigenen
Fraction der Rechten abzuſehen und in dem allgemeinen
Majoritätsverbande zu verbleiben, um die Actionsfähigkeit
desſelben nicht zu beeinträchtigen. Hoffentlich beſtätigt ſich
ein in Rom colportirtes Gerücht von eruſten Differenzen
zwiſchen Hrn. Criſpi und dem Kriegsminiſter Bertolé-Viale
wegen der Abſtriche am Kriegsbudget nicht, wenngleich
gerade mit Rückſicht auf den Urſprung dieſer Mißhellig-
keiten eine Erſchütterung des Cabinets durch den Rücktritt
des Kriegsminiſters nicht zu befürchten wäre. Erſparungen
— das iſt heute das allgemeine Loſungswort in Italien,
und das Miniſterium könnte der öffentlichen Meinung
gegenüber in dieſer Hinſicht augenblicklich kaum zu viel
thun; andrerſeits muß aber feſtgehalten werden, daß auch
dem neuen Erſparungsſyſtem gewiſſe Grenzen geſteckt ſind
und daß es immerhin bedenklich wäre, gerade an dem
Kriegsbudget zu radicale Abſtriche vorzunehmen, welche
das Vertrauen in die volle Schlagſertigkeit Italiens in einer
vielleicht jählings hereinbrechenden Stunde ernſteſter
Entſcheidungen vermindern müßten. Das est modus in
rebus
gilt, wie man es auch beklagen mag, wohl noch
für lange hinaus als eiſernes Nothwendigkeitsgeſetz ganz
beſonders für die Einſchränkung der Ausgaben zu mili-
täriſchen Zwecken, und auch Italien kann ſich dieſem Ge-
bote ohne Gefährdung wichtiger Daſeiusintereſſen nicht
entziehen. Uebrigens dürfte ſich auf dem Gebiete der
Verwaltung, auf welchem nach Giolitti’s Ausſage eine
„unſinnige Verſchwendung“ herrſchen ſoll, ein hinreichend
großes Feld zur Bewerkſtelligung ausgiebiger Erſparungen
bieten.



Deutſches Reich.

Wenn man ſich ein Bild über
die Stellung unſrer Parteien in Reichstag und Landtag zu
machen verſucht, kommt man im weſentlichen doch zu dem
Neſultat, daß Alles noch ebenſo unklar und unſicher liegt, wie
zur Zeit der Eröffnung unſrer beiden parlamentariſchen Körper-
ſchaften. Es hat ſich die Thatſache geltend gemacht, daß nach
dem Rücktritt des Fürſten Bismarck man den werdenden Zu-
ſtänden als einem Unbekannten gegenüberſtand und gleichſam
taſtend vorging. Keine der Parteien wollte das lockende Ziel
ihrer Regierungsfähigkeit voreilig aus dem Auge verlieren und
ſo konnte es geſchehen, daß in verhältnißmäßig ruhigem Ton
Materien verhandelt wurden, bei welchen in früherer Zeit Alles
in Feuer und Flammen gerathen wäre. Daß dieſes Syſtem
parlamentariſcher und, faſt könnte man ſagen: diplomatiſcher
Taktik ſich auf die Dauer nicht wird durchführen laſſen, ſteht
jedem Einſichtigen feſt; unſicher iſt nur der Kampftermin. Wir
unſrerſeits halten es für wahrſcheinlich, daß, bei Gelegenheit
der Etatdebatten, die bisherige Haltung nicht mehr zu be-
haupten ſein wird und daß auf den ruhigen Anfang
eine ſtürmiſche Fortſetzung folgen dürfte. Auch hier aber
iſt das Ende nicht abzuſehen. Für den Neichstag
läßt ſich nur foviel mit Sicherheit ſagen, daß ſür
die Aufhebung der Lebensmittelzölle eine größere Majori-
tät ſich finden wird und daß trotz aller Gegenwirkung
ein Beſchluß für die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes ebenfalls
mit Sicherheit erwartet werden kann. Im Reichstag iſt heute
das Geſtirn Windthorſts herrſchend und das Jeſuitengeſetz der
Prüfſtein der Parteien. Von der Stellung, welche die Parteien
zu dieſem Geſetz einhalten, wird es abhängen, welche Zugeſtänd-
niſſe ſie von den 105 Stimmen des Centrums erhalten können,
und das wird in allen Fragen mitſpielen. Die Situation wird
noch verwickelter, weil ſich voraueſehen läßt, daß der Bundes-
rath gegen die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes beſchließen wird,
was gewiß Niemand genauer überſchaut, als der vielgewandte
Führer des Centrums. Es handelt ſich alſo in dieſem Kampfe
im Grunde nicht um die Erreichung eines ſofort eintretenden,
mit Händen greifbaren Erfolges, ſondern um ein geiſtiges
Canoſſa des Reichstages, deſſen Folgen dann freilich Windt-
horſt zu gute kämen. Wohl aber könnte die Abſtimmung des
Reichstags das Material zu einer höchſt gefährlichen und auf-
regenden Agitation in den Bundesſtaaten liefern, deren „Nein“
den Antrag Windthorſt zu Fall brächte. (? D. R. Das In-
tereſſe der Bevölkerungen an der Rückberufung der Jeſuiten
ſcheint da umſomehr überſchätzt zu werden, als die Geiſtlichkeit
ſelbſt damit nichts weniger als einverſtanden iſt.) Was aus den
Verhandlungen der Commiſſionen des Abgeordnetenhauſes
an die Oeffentlichkeit tritt, iſt ebenfalls nicht gerade dazu angethan,
optimiſtiſche Erwartungen wachzurufen. Das Volksſchulgeſetz
wird aller Wahrſcheinlichkeit nach fallen, und es iſt nicht aus-
geſchloſſen, daß in Folge der Modiſicationen, welche die Vor-
lage in den, wie wir hören, ſehr erregten Verhandlungen der
Commiſſion erfahren hat, auch die Nationalliberalen dagegen
ſtimmen. Ebenſo heftig wogt der Kampf über die Steuer-
reform, die gleichfalls in veränderter Geſtalt aus der Commiſſion
hervorgehen wird, und zwar nach der Richtung, daß die Be-
ſtimmungen über die Declarationspflicht abgeſchwächt werden
und die Erbſchaftsſteuer ganz beſeitigt wird. Aus Kreiſen, die
den Verhandlungen in der Commiſſion nicht fremd ſind, iſt
uns die Bemerkung entgegengetreten, daß, wenn man
die Klagen der einzelnen wirthſchaftlichen Gruppen aus dem
Munde ihrer Advocaten in der Commiſſion anhöre, man leicht
die Vorſtellung gewinnen könnte, daß Deutſchland ſich in einem
Stadium tieſſten materiellen Niederganges befinde. Handwerk,
Ackerbau, Kaufmannsſtand, Induſtrie, Beamtenthum, den Ge-
lehrtenſtand nicht zu vergeſſen — alle würden ſie erdrückt durch
die Laſt unerträglicher Steuern und dabei trinkt man in Deutſch-
land jahraus, jahrein für 3 Milliarden Mark Vier, Wein und
andere Spirituoſen. Die Zahl klingt unglaublich, iſt aber
richtig und ſie dürfte durch ihre erſtaunliche Höhe beweiſen,
daß das deutſche Volk für die ernſten Vedürfniſſe des Staates
doch noch Geld übrig haben ſollte. Der Vergleich zwiſchen
der Steuerlaſt Deutſchlands, Englands und Frankreichs,
19 M. bei uns zu 35 M. in England und 55 M. in Frank-
[Spaltenumbruch] reich, iſt ſo beweiſend, daß man in ernſten patriotiſchen Kreiſen
von übermäßigem oder gar unerlräglichem Druck zu reden Ve-
denken tragen müßte. Die vom Finanzminiſter jetzt geplante
gerechtere Vertheilung der Steuerlaſt iſt zweifellos eine Wohl-
that, wird aber als ſolche nur empfunden werden, wenn ſie nicht
durch allzu freigebige Streichungen von Commiſſion und Land-
tag zu einer Minderung der Machtmittel des Staates führt.
Denn auch vom Staate gilt das Wort: Geld iſt Macht.

Die Errichtung eines gemeinſamen
Unfallkranken- und Reconvaleſcentenhauſes für ſämmt-
liche Berufsgenoffenſchaften in Berlin iſt bekanntlich bereits ſeit
längerer Zeit im Werke, nachdem auf einem früheren Berufs-
genoſſenſchaftstage die Anlage ſolcher Häuſer ſeitens der Genoſſen-
ſchaften angeregt worden war. Ueber die Herſtellungskoſten iſt
vor kurzem, wie gemeldet, eine Verſtändigung mit dem Reichsver-
ſicherungsamte dahin erreicht worden, daß dieſelben durch eine An-
leihe mit ſtarker Amortiſation zu beſchaffen wären. Gegenwärtig
handelt es ſich nur darum, zunächſt eine ſichere Unterlage für den
Umfang zu gewinnen, den man der Anſtalt zu geben hätte. In
der Sache hat nun am Freitag eine Vorbeſprechung des geſchäfts-
führenden Ausſchuſſes des Genoſſenſchaftsverbandes unter Vorſitz
des Commercienrathes Röſicke ſtattgefunden, wobei beſchloſſen
wurde, einen Fragebogen bierüber an die in Berlin ſitzenden Sec-
tionen der Berufsgenoſſenſchaften zu verſenden. Nach dem Ein-
gehen der Antworten ſollen dann weitere Vorlagen ausgearbeitet
und eine Verſammlung ſämmtlicher Vertreter zur Beſchlußfaſſung
einberufen werden.

Der Reichstag hat ſich bis zum
13. Januar vertagt und wird alsdann ſeine Thätigkeit mit
der lang verſchobenen Berathung über die Anträge auf Ab-
ſchaffung, beziehungsweiſe Ermäßigung der landwirthſchaft-
lichen Zölle wieder aufnehmen. Die Commiſſionen werden
ſchon ein paar Tage früher ihre Arbeiten beginnen oder fort-
ſetzen. Das Plenum wird ſich nach Neujahr zunächſt haupt-
ſächlich mit der zweiten Etatsberathung und dem Arbeiter-
ſchutzgeſetz zu beſchäftigen haben, über welches letztere der Com-
miſſionsbericht während der Vertagung erſcheinen dürfte. Von
ſonſtigen größeren Vorlagen bleiben alsdann namentlich noch
diejenigen über Reform der Zuckerſteuer, über Aenderung des
Krankenverſicherungs- und des Patentgeſetzes, über den Schutz
von Gebrauchsmuſtern zu erledigen. Es erſcheint wohl mög-
lich, mit dieſen Arbeiten vor Oſtern, alſo etwa bis zum 20. März,
fertig zu werden, wie auch der Präſident in Ausſicht ſtellte.
Die Ausſichten des Zuckerſteuergeſetzes, welches der
Reichstag vorgeſtern in eine Commiſſion verwieſen hat, ſind
freilich noch ganz unſicher, da alle Parteien in dieſer Frage ge-
ſpalten ſind. Das Centrum hat in der vorgeſtrigen Verhand-
lung geſchwiegen, die Conſervativen haben ſich nur mit großer Zu-
rückhaltung geäußert; es laſſen ſich ſonach über die Stellung dieſer
Parteien höchſtens Vermuthungen aufftellen; jedenfalls herrſchen
auch hier ſtarke Meinungsverſchiedenheiten. Im allgemeinen
glaubt man annehmen zu dürfen, daß es zu einer Verſtändi-
gung kommen werde, da der jetzige Zuſtand der wachſenden
Schädigung der Reichscaſſe kaum mehr erträglich iſt. Auf
welcher Grundlage aber das Geſetz ſchließlich zu Stande kom-
men wird, ob die Uebergangserleichterungen für die Zucker-
induſtrie vermehrt und in ihrer Dauer verlängert werden, ob
die Erhöhung der Verbrauchsabgabe durchdringen wird, dar-
über läßt ſich noch gar nichts abſehen. Ueber alle Einzelheiten
des Geſetzentwurfs wird es jedenfalls noch zu langen und
ſchwierigen Verhandlungen kommen. Die Intereſſen einer In-
duſtrie, die vermöge ihrer großen wirthſchaftlichen Bedeutung
ſorgfältige Schonung bedarf, ſtehen hier in einem ſchwer zu
verſöhnenden Gegenſatz zu den fiscaliſchen Rückſichten auf die
Neichscaſſe und zu den wirthſchaftspolitiſchen Erwägungen, die
ſich aus der Thatſache einer ſo bedeutenden Staatsunterſtützung
eines einzelnen Gewerbszweigs ergeben. Es läßt ſich aber
nicht länger vermeiden, in dieſer Angelegenheit, die ſeit
langen Jahren die weiteſten politiſchen und geſchäftlichen Kreiſe
in Anſpruch nimmt und beunruhigt, endlich einmal zu einem
entſcheidenden Schritt zu gelangen, und darum wiegt die Ueber-
zeugung vor, ein einfaches Scheitern des Geſetzes ſei nicht möglich.

Im Abgeordnetenhauſe haben geſtern auch die Com-
miſſionen für die Landgemeindeordnung und das Volksſchul-
geſetz ihre Arbeiten begonnen. In ſämmtlichen mit der Bera-
thung der Reformgeſetze betrauten Commiſſionen zeigt ſich das
erfreuliche Beſtreben, möglichſt raſch und energiſch auf das Ziel
loszugehen. Die Steuercommiſſionen ſind in wenigen Sitzungen
unerwartet weit in ihren Berathungen fortgeſchritten. Man
wird ſonach erwarten dürfen, daß ſchon frühzeitig im neuen
Jahr das Haus ſich wieder mit dieſen Geſetzen wird befaſſen
können. Der Wiederbeginn der Plenatſitzungen wird für den
8. Januar erwartet. Die Anberaumung des Termines iſt in
das Belieben des Präſidenten geſtellt.

Im Herrenhauſe hat Graf v. Frankenberg den Antrag
eingebracht, die Bildung einer Behörde zu erwägen, welcher alle
Intereſſen der Waſſerwirthſchaft in Bezug auf die Landes-
cultur, auf Abwendung der Hochwaſſergefahren und beſſere
Ausnutzung für Schifffahrt und Gewerbe unterſtellt werden.

Die Schulreformconferenz wird vorausſichtlich gegen
Mitte der neuen Woche ihre Berathungen ſchließen. Zunächſt
hat die Schulreformbewegung die Bildung eines Gymnaſial-
vereins
ins Leben gerufen, welcher „die Erhaltung unſrer
Gymnaſialbildung im weſentlichen auf den bisherigen humani-
ſtiſchen Grundlagen“ anſtrebt. Der Verein, für welchen bereits
eine große Anzahl hervorragender und angeſehener Männer
ihre Mitgliedſchaft zugeſagt haben, wird ſich am Montag
(15. d. M.) in Berlin conſtituiren; er bezweckt ſelbſtverſtändlich,
ſich über ganz Deutſchland auszubreiten. Zur Begründung des
Vereins laden ein die HH. Albrecht-Straßburg i. E., Dei-
ters
-Koblenz, Graf-Elberfeld, Jäger-Köln, Kropatſcheck-
Berlin, Kübler-Berlin, Schiller-Gießen, Schrader-Halle,
Uhlig-Heidelberg — bezeichnenderweiſe ſämmtlich Mitglieder
der Conferenz.

Wie die „Köln. Ztg.“ hervorhebt, iſt in die Berathungen der
Schulreformconferenz, ſeitdem der Miniſter ſelbſt die Lei-
tung übernommen hat, ein raſcherer Zug gekommen. An einem
wichtigen Punkt, dem Geſchichtsunterricht in Unterſecunda des
Gymnaſiums, iſt dem neuerdings betonten Grundſatz ſtärkerer
Berückſichtigung der neueren Geſchichte
ein erſtes Zuge-
ſtändniß durch Einführung einer ausführlichen Behandlung der
Geſchichte der letzten hundert Jahre (1789 bis 1871) gemacht
worden, wodurch den mit Unterſecunda abgehenden Schülern ein
ſtarker vaterländiſcher Eindruck gleichſam mit auf den Weg gegeben
werden ſoll. Die alte Geſchichte wurde auf die Oberſecunda be-
ſchränkt: wie die „Köln. Ztg.“ hört, hätte ſelbſt ein ſchroffer Ver-
treter des jetzigen Gymnaſiallehrplans, Director Jäger aus Köln,
dem unter beſtimmten Cautelen zugeſtimmt. Außerdem wird uns
berichtet, daß Provincialſchulrath Krauſe aus Danzig mit tieſem
Ernſt und großer Wirkung auf die üblen Folgen hingewieſen habe,
welche aus der fortwährenden Verſchiebung der Negulirung der
äußeren Verhältniſſe des Lehrerſtandes zu erwarten
ſeien. Außerdem wurde noch über höchſte Schülerziffer, Zahl der
[Spaltenumbruch] Pflichtſtunden der Lehrer und Verwandtes geſprochen, wobei, wie
freilich zu erwarten war, Forderungen und Wünſche laut geworden
wären, die noch ſehr weit von dem Erreichbaren, geſchweige dem
Wirtlichen entfernt ſind.

Der Evangeliſche Oberkirchenrath hat folgenden
Erlaß über Ehefragen veröffentlicht:

„Es ſind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confeſſionell-
gemiſchte Ehen nach vorangegangener römiſch-katholiſcher Trauung
von evangeliſchen Geiſtlichen ohne Beachtung der für evangeliſche
Trauungen vorgeſchriebenen Formen eingeſegnet worden ſind. Vei
den zu ſolchem Zwecke veranſtalteten Familienfeiern hat ſich der
mitwirkende Geiſtliche auf Anſprache, Gebet und Segensſpruch be-
ſchränkt und weder eine Beantwortung der Traufragen verlangt,
noch die agendariſche Trauformel angewandt. Ein ſolches Verfahren
muß für unzuläſſig erachtet werden. Die Kirche fordert von ihren
Gliedern, daß ſie eine Ehe nicht ohne kirchliche Mitwirkung
eingehen; die Form, in welcher dieſe Mitwirkung gefordert
und gewährt wird, iſt nach der beſtehenden kirchlichen Ord-
nung ausſchließlich die Trauung. Die Anwendung einer an-
deren Form je nach Velieben des einzelnen Geiſtlichen verbietet
ſich als eine Umgehung der beſtimmten vorgeſchriebenen litur-
giſchen Ordnung und eine die Ehre der Kirche verletzende
Zweideutigkeit. Wer die Trauung verſchmäht, verzichtet damit
überhaupt auf Mitwirkung der Kirche bei Eingehung ſeiner Ehe.
Dieſe kirchliche Mitwirkung iſt grundfätzlich auch ſolchen Mitgliedern
zu gewähren, welche eine gemiſchte Ehe eingehen, ſofern dem nicht
etwa im einzelnen Falle unzuläſſige Zuſagen in Betreff der Kinder-
erziehung oder ſonſtige beſtimmte Gründe entgegenſtehen; insbeſon-
dere gibt eine vorangegangene römiſch-katholiſche Trauung an ſich
noch keinen Grund, ſie ihnen zu verſagen, immer wird ſie auch
ihnen nur in der dafür ein- für allemal feſtſtehenden agendariſchen
Form gewährt werden können, gegenwärtig alſo in Gemäßheit der
darüber in der Trauungsordnung enthaltenen Vorſchriften. Legen
ſie auf die Trauung keinen Werth oder glauben ſie darauf mit
Rückſicht auf Zugeſtändniſſe an die Anforderungen einer fremden
Religionsgemeinſchaft verzichten zu müſſen, ſo verlieren ſie damit
jeden Anſpruch auf irgendwelche Mitwirkung der Kirche bei Ein-
gehung ihrer Ehe, und eine Betheiligung evangeliſcher Geiſtlichen
daran in Form einer freien liturgiſchen Feier oder eines abge-
ſchwächten Trauungsactes würde weder mit der Ordnung, noch mit
der Würde der Kirche vereinbar ſein. Die Geiſtlichen werden
demnach die in dieſer Nichtung an ſie gelangende Anträge abzu-
lehnen haben.“

Der Kaiſer, welcher in der ver-
gangenen Nacht von ſeinem Jagdausflug nach Barby zurückgekehrt
war, empfing heute Mittag 12 Uhr den Erbgroßherzog von Luxemburg,
welcher die Thronbeſteigung ſeines Vaters notiſicirte. Erbgroß-
herzog Wilhelm war geſtern Abends 11 Uhr hier eingetroffen und
am Bahnhof vom Prinzen Friedrich Leopold und der Generalität
empfangen worden. Eine Compagnie der Gardefüſiliere mit Fahne
und Muſik bildete die Ehrenwache. Heute Rachmittag folgte der
Erbgroßherzog einer Einladung zur Tafel bei den kaiſerlichen
Majeſtäten. Der Erbgroßherzog führte die Kaiſerin zur Tafel, an
welcher alle Prinzen des königlichen Hauſes, der Reichskanzler,
Graf Moltke, die Miniſter v. Voetticher, v. Maybach, v. Goßler,
die oberſten Hofchargen und zahlreiche Generale theilnahmen.
Der „Poſt“ zufolge gehörten zu den Tafelgäſten Ihrer Majeſtäten auch
die ſchleswig-holſteiniſchen Herrſchaften und Prinz Aribert von Anhalt.
Vor der Taſel hatte Se. Maj. der Kaiſer noch dem Oberſchloß-
hauptmann Graſen Perponcher Audienz ertheilt. — Die Kopen-
hagener „National-Tidende“ bringt in beſtimmter Form die Nach-
richt, daß der Prinz Chriſtian ſich in nicht ferner Zeit nach
Berlin begeben werde, um ſeine Verlobung mit der Schweſter
des Kaiſers, Prinzeſſin Margarethe, zu feiern. Die Nach-
richt hat zwar noch keine Beſtätigung von deutſcher Seite gefunden,
da jedoch das genannte Blatt den däniſchen Hofkreiſen nahe ſteht
und als deren Organ gilt, ſo wird von der Meldung jedenfalls
Kenntniß zu nehmen ſein. Prinz Chriſtian iſt der älteſte Sohn
des däniſchen Kronprinzen, alſo vorausſichtlich der künftige König
von Dänemark. — Dem heutigen Dîner beim Finanzminiſter
zu Ehren der Mitglieder der Einkommenſteuer- und der Gewerbe-
ſteuercommiſſion wohnten auch der Präſident des Abgeordneten-
hauſes v. Köller, Abg. Dr. Windthorſt und Oberpräſident
Dr. v. Bennigſen, der auf der Durchreiſe hier verweilte, bei. In
der Unterhaltung wurden parlamentariſche Gegenſtände nicht be-
rührt. Miniſter Miquel äußerte bei Beginn des Mahles, er hoffe,
die Herren hätten Progreſſion und Degreſſion zu Hauſe gelaſſen
und würden ſich nur dem gemüthlichen Beiſammenſein hingeben. —
Heute Mittag hat im Anſchluß an den Beſchluß der Philologen-
Verſammlung in Zürich von 1887 im Architektenhauſe nach einer
Anſprache des Rectors der Greifswalder Univerſität Profeſſor
Dr. Reifferſcheid die Gründung einer Geſellſchaft für deutſche
Erziehungs- und Schulgeſchichte ſtattgefunden.

Der König von Sachſen und Prinz Georg von Sachſen
werden am Montag Nachmittag aus Dresden hier eintreffen, um
ſpäter den Kaiſer zur Jagd nach Königs-Wuſterhauſen zu begleiten.

Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der „Köln. Volksztg.“
zufolge am Freitag eine längere Beſprechung mit dem Abg.
Windthorſt gehabt. — Der japaniſche Geſandte am hieſigen
Hofe, Marquis Saïonzi, iſt nach Berlin zurückgekehrt und hat
die Geſchäfte der Geſandtſchaft wieder übernommen. — Der Biſchof
von Telepte, J. B. Anzer, apoſtol. Vicar von Süd-Schantung
in China, welcher in beſonderer Miſſion kürzlich aus China hier
eintraf und ſich dann nach Magdeburg begeben hatte, iſt hier
wieder eingetroffen. — Der türkiſche General v. Hobe Paſcha
hat ſeine Abreiſe yerſchieben müſſen, da ſeine Gattin ernſtlich er-
krankt iſt. — Prof. Dr. Schottmüller wird, wie die „Magdeb.
Ztg.“ hört, ſeit ſeiner Rückkehr aus Rom und ſeinem Rücktritt von
der Leitung der dortigen hiſtoriſchen Station als Hülfsarbeiter im
Unterrichtsminiſterium in der Abtheilung für das höhere Schul-
weſen beſchäftigt.

Die Preiſe der Arbeiter-Fahrkarten ſind auf allen
preußiſchen Staatseiſenbahnen nunmehr allgemein auf 1 Pfennig
für den Kilometer
herabgeſetzt worden. — Der Expreßgut-
verkehr
wird auf den preußiſchen Staatsbahnen nunmehr auch
auf ſolche Stationen ausgedehnt, von und nach welchen directe
Fahrkarten nicht ausgegeben werden.

Der geſtern eröffneten Landes-
ſynode
hat die Regierung drei Kirchengeſetzentwürfe, Gehaltsver-
hältniſſe der Geiſtlichen, erledigte Pfarrſtellen und die Landeskirch-
caſſe betreffend, vorgelegt. Zur Durchführung dieſer Geſetze begehrt
die Regierung aus der Landeskirchcaſſe einen Zuſchuß von 10,000
Mark für die Alterszulagen, 2000 Mark zu den Koſten der Landes-
ſynode und ſonſtiger kirchlichen Bedürfniſſe, ſowie daß die Landeskirch-
caſſe die dem Hülfsfonds obliegenden Leiſtungen unter gewiſſen
Vorausſetzungen übernimmt. Ferner verlangt die Regierung die
Ermächtigung, die im Kirchenetat von 1887 bis 1889 erübrigten
11,000 Mark zu Remunerationen an Geiſtliche verwenden zu dürfen.
In Betreff der Gehaltsverhältniſſe der Geiſtlichen beſtimmt
der Geſetzentwurf, daß der Mindeſtgehalt 1800 Mark betragen ſoll.
Wenn ſolcher nach 5 Jahren nicht 2000, nach 10 nicht 2200,
nach 15 nicht 2400, nach 20 nicht 2700 und nach 30 Jahren
nicht 3000 Mark beträgt, ſo iſt der Fehlbetrag durch Alterszulagen

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&#x017F;chaften angeregt worden war. Ueber die Her&#x017F;tellungsko&#x017F;ten i&#x017F;t<lb/>
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[2/0002] München, Montag Allgemeine Zeitung 15. December 1890. Abendblatt Nr. 347. auch kaum eine lange Debatte veranlaſſen, namentlich je nach den Erklärungen, welche die Regierung abgibt. Jeden- falls iſt die rechtzeitige Erledigung des Budgets nach dem ganzen Stande der Dinge nun ſicher. Der beunruhigende Eindruck, welchen der plötzliche Rücktritt des Finanzminiſters Giolitti auf einen Theil der italieniſchen Deputirten ausgeübt hatte, iſt durch Er- klärungen Giolitti’s, daß er nicht in die Oppoſition zu gehen gedenke, ſowie durch die Darlegungen der Regierung in der Verſammlung der miniſteriellen Kammermajorität beſeitigt worden; zur Feſtigung der parlamentariſchen Parteiverhältniſſe wird auch der Beſchluß der Gruppe Rudini erheblich beitragen, von der Bildung einer eigenen Fraction der Rechten abzuſehen und in dem allgemeinen Majoritätsverbande zu verbleiben, um die Actionsfähigkeit desſelben nicht zu beeinträchtigen. Hoffentlich beſtätigt ſich ein in Rom colportirtes Gerücht von eruſten Differenzen zwiſchen Hrn. Criſpi und dem Kriegsminiſter Bertolé-Viale wegen der Abſtriche am Kriegsbudget nicht, wenngleich gerade mit Rückſicht auf den Urſprung dieſer Mißhellig- keiten eine Erſchütterung des Cabinets durch den Rücktritt des Kriegsminiſters nicht zu befürchten wäre. Erſparungen — das iſt heute das allgemeine Loſungswort in Italien, und das Miniſterium könnte der öffentlichen Meinung gegenüber in dieſer Hinſicht augenblicklich kaum zu viel thun; andrerſeits muß aber feſtgehalten werden, daß auch dem neuen Erſparungsſyſtem gewiſſe Grenzen geſteckt ſind und daß es immerhin bedenklich wäre, gerade an dem Kriegsbudget zu radicale Abſtriche vorzunehmen, welche das Vertrauen in die volle Schlagſertigkeit Italiens in einer vielleicht jählings hereinbrechenden Stunde ernſteſter Entſcheidungen vermindern müßten. Das est modus in rebus gilt, wie man es auch beklagen mag, wohl noch für lange hinaus als eiſernes Nothwendigkeitsgeſetz ganz beſonders für die Einſchränkung der Ausgaben zu mili- täriſchen Zwecken, und auch Italien kann ſich dieſem Ge- bote ohne Gefährdung wichtiger Daſeiusintereſſen nicht entziehen. Uebrigens dürfte ſich auf dem Gebiete der Verwaltung, auf welchem nach Giolitti’s Ausſage eine „unſinnige Verſchwendung“ herrſchen ſoll, ein hinreichend großes Feld zur Bewerkſtelligung ausgiebiger Erſparungen bieten. Deutſches Reich. §§. Berlin, 14. Dec. Wenn man ſich ein Bild über die Stellung unſrer Parteien in Reichstag und Landtag zu machen verſucht, kommt man im weſentlichen doch zu dem Neſultat, daß Alles noch ebenſo unklar und unſicher liegt, wie zur Zeit der Eröffnung unſrer beiden parlamentariſchen Körper- ſchaften. Es hat ſich die Thatſache geltend gemacht, daß nach dem Rücktritt des Fürſten Bismarck man den werdenden Zu- ſtänden als einem Unbekannten gegenüberſtand und gleichſam taſtend vorging. Keine der Parteien wollte das lockende Ziel ihrer Regierungsfähigkeit voreilig aus dem Auge verlieren und ſo konnte es geſchehen, daß in verhältnißmäßig ruhigem Ton Materien verhandelt wurden, bei welchen in früherer Zeit Alles in Feuer und Flammen gerathen wäre. Daß dieſes Syſtem parlamentariſcher und, faſt könnte man ſagen: diplomatiſcher Taktik ſich auf die Dauer nicht wird durchführen laſſen, ſteht jedem Einſichtigen feſt; unſicher iſt nur der Kampftermin. Wir unſrerſeits halten es für wahrſcheinlich, daß, bei Gelegenheit der Etatdebatten, die bisherige Haltung nicht mehr zu be- haupten ſein wird und daß auf den ruhigen Anfang eine ſtürmiſche Fortſetzung folgen dürfte. Auch hier aber iſt das Ende nicht abzuſehen. Für den Neichstag läßt ſich nur foviel mit Sicherheit ſagen, daß ſür die Aufhebung der Lebensmittelzölle eine größere Majori- tät ſich finden wird und daß trotz aller Gegenwirkung ein Beſchluß für die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes ebenfalls mit Sicherheit erwartet werden kann. Im Reichstag iſt heute das Geſtirn Windthorſts herrſchend und das Jeſuitengeſetz der Prüfſtein der Parteien. Von der Stellung, welche die Parteien zu dieſem Geſetz einhalten, wird es abhängen, welche Zugeſtänd- niſſe ſie von den 105 Stimmen des Centrums erhalten können, und das wird in allen Fragen mitſpielen. Die Situation wird noch verwickelter, weil ſich voraueſehen läßt, daß der Bundes- rath gegen die Aufhebung des Jeſuitengeſetzes beſchließen wird, was gewiß Niemand genauer überſchaut, als der vielgewandte Führer des Centrums. Es handelt ſich alſo in dieſem Kampfe im Grunde nicht um die Erreichung eines ſofort eintretenden, mit Händen greifbaren Erfolges, ſondern um ein geiſtiges Canoſſa des Reichstages, deſſen Folgen dann freilich Windt- horſt zu gute kämen. Wohl aber könnte die Abſtimmung des Reichstags das Material zu einer höchſt gefährlichen und auf- regenden Agitation in den Bundesſtaaten liefern, deren „Nein“ den Antrag Windthorſt zu Fall brächte. (? D. R. Das In- tereſſe der Bevölkerungen an der Rückberufung der Jeſuiten ſcheint da umſomehr überſchätzt zu werden, als die Geiſtlichkeit ſelbſt damit nichts weniger als einverſtanden iſt.) Was aus den Verhandlungen der Commiſſionen des Abgeordnetenhauſes an die Oeffentlichkeit tritt, iſt ebenfalls nicht gerade dazu angethan, optimiſtiſche Erwartungen wachzurufen. Das Volksſchulgeſetz wird aller Wahrſcheinlichkeit nach fallen, und es iſt nicht aus- geſchloſſen, daß in Folge der Modiſicationen, welche die Vor- lage in den, wie wir hören, ſehr erregten Verhandlungen der Commiſſion erfahren hat, auch die Nationalliberalen dagegen ſtimmen. Ebenſo heftig wogt der Kampf über die Steuer- reform, die gleichfalls in veränderter Geſtalt aus der Commiſſion hervorgehen wird, und zwar nach der Richtung, daß die Be- ſtimmungen über die Declarationspflicht abgeſchwächt werden und die Erbſchaftsſteuer ganz beſeitigt wird. Aus Kreiſen, die den Verhandlungen in der Commiſſion nicht fremd ſind, iſt uns die Bemerkung entgegengetreten, daß, wenn man die Klagen der einzelnen wirthſchaftlichen Gruppen aus dem Munde ihrer Advocaten in der Commiſſion anhöre, man leicht die Vorſtellung gewinnen könnte, daß Deutſchland ſich in einem Stadium tieſſten materiellen Niederganges befinde. Handwerk, Ackerbau, Kaufmannsſtand, Induſtrie, Beamtenthum, den Ge- lehrtenſtand nicht zu vergeſſen — alle würden ſie erdrückt durch die Laſt unerträglicher Steuern und dabei trinkt man in Deutſch- land jahraus, jahrein für 3 Milliarden Mark Vier, Wein und andere Spirituoſen. Die Zahl klingt unglaublich, iſt aber richtig und ſie dürfte durch ihre erſtaunliche Höhe beweiſen, daß das deutſche Volk für die ernſten Vedürfniſſe des Staates doch noch Geld übrig haben ſollte. Der Vergleich zwiſchen der Steuerlaſt Deutſchlands, Englands und Frankreichs, 19 M. bei uns zu 35 M. in England und 55 M. in Frank- reich, iſt ſo beweiſend, daß man in ernſten patriotiſchen Kreiſen von übermäßigem oder gar unerlräglichem Druck zu reden Ve- denken tragen müßte. Die vom Finanzminiſter jetzt geplante gerechtere Vertheilung der Steuerlaſt iſt zweifellos eine Wohl- that, wird aber als ſolche nur empfunden werden, wenn ſie nicht durch allzu freigebige Streichungen von Commiſſion und Land- tag zu einer Minderung der Machtmittel des Staates führt. Denn auch vom Staate gilt das Wort: Geld iſt Macht. ┸ Berlin, 14. Dec. Die Errichtung eines gemeinſamen Unfallkranken- und Reconvaleſcentenhauſes für ſämmt- liche Berufsgenoffenſchaften in Berlin iſt bekanntlich bereits ſeit längerer Zeit im Werke, nachdem auf einem früheren Berufs- genoſſenſchaftstage die Anlage ſolcher Häuſer ſeitens der Genoſſen- ſchaften angeregt worden war. Ueber die Herſtellungskoſten iſt vor kurzem, wie gemeldet, eine Verſtändigung mit dem Reichsver- ſicherungsamte dahin erreicht worden, daß dieſelben durch eine An- leihe mit ſtarker Amortiſation zu beſchaffen wären. Gegenwärtig handelt es ſich nur darum, zunächſt eine ſichere Unterlage für den Umfang zu gewinnen, den man der Anſtalt zu geben hätte. In der Sache hat nun am Freitag eine Vorbeſprechung des geſchäfts- führenden Ausſchuſſes des Genoſſenſchaftsverbandes unter Vorſitz des Commercienrathes Röſicke ſtattgefunden, wobei beſchloſſen wurde, einen Fragebogen bierüber an die in Berlin ſitzenden Sec- tionen der Berufsgenoſſenſchaften zu verſenden. Nach dem Ein- gehen der Antworten ſollen dann weitere Vorlagen ausgearbeitet und eine Verſammlung ſämmtlicher Vertreter zur Beſchlußfaſſung einberufen werden. = Berlin, 14. Dec. Der Reichstag hat ſich bis zum 13. Januar vertagt und wird alsdann ſeine Thätigkeit mit der lang verſchobenen Berathung über die Anträge auf Ab- ſchaffung, beziehungsweiſe Ermäßigung der landwirthſchaft- lichen Zölle wieder aufnehmen. Die Commiſſionen werden ſchon ein paar Tage früher ihre Arbeiten beginnen oder fort- ſetzen. Das Plenum wird ſich nach Neujahr zunächſt haupt- ſächlich mit der zweiten Etatsberathung und dem Arbeiter- ſchutzgeſetz zu beſchäftigen haben, über welches letztere der Com- miſſionsbericht während der Vertagung erſcheinen dürfte. Von ſonſtigen größeren Vorlagen bleiben alsdann namentlich noch diejenigen über Reform der Zuckerſteuer, über Aenderung des Krankenverſicherungs- und des Patentgeſetzes, über den Schutz von Gebrauchsmuſtern zu erledigen. Es erſcheint wohl mög- lich, mit dieſen Arbeiten vor Oſtern, alſo etwa bis zum 20. März, fertig zu werden, wie auch der Präſident in Ausſicht ſtellte. Die Ausſichten des Zuckerſteuergeſetzes, welches der Reichstag vorgeſtern in eine Commiſſion verwieſen hat, ſind freilich noch ganz unſicher, da alle Parteien in dieſer Frage ge- ſpalten ſind. Das Centrum hat in der vorgeſtrigen Verhand- lung geſchwiegen, die Conſervativen haben ſich nur mit großer Zu- rückhaltung geäußert; es laſſen ſich ſonach über die Stellung dieſer Parteien höchſtens Vermuthungen aufftellen; jedenfalls herrſchen auch hier ſtarke Meinungsverſchiedenheiten. Im allgemeinen glaubt man annehmen zu dürfen, daß es zu einer Verſtändi- gung kommen werde, da der jetzige Zuſtand der wachſenden Schädigung der Reichscaſſe kaum mehr erträglich iſt. Auf welcher Grundlage aber das Geſetz ſchließlich zu Stande kom- men wird, ob die Uebergangserleichterungen für die Zucker- induſtrie vermehrt und in ihrer Dauer verlängert werden, ob die Erhöhung der Verbrauchsabgabe durchdringen wird, dar- über läßt ſich noch gar nichts abſehen. Ueber alle Einzelheiten des Geſetzentwurfs wird es jedenfalls noch zu langen und ſchwierigen Verhandlungen kommen. Die Intereſſen einer In- duſtrie, die vermöge ihrer großen wirthſchaftlichen Bedeutung ſorgfältige Schonung bedarf, ſtehen hier in einem ſchwer zu verſöhnenden Gegenſatz zu den fiscaliſchen Rückſichten auf die Neichscaſſe und zu den wirthſchaftspolitiſchen Erwägungen, die ſich aus der Thatſache einer ſo bedeutenden Staatsunterſtützung eines einzelnen Gewerbszweigs ergeben. Es läßt ſich aber nicht länger vermeiden, in dieſer Angelegenheit, die ſeit langen Jahren die weiteſten politiſchen und geſchäftlichen Kreiſe in Anſpruch nimmt und beunruhigt, endlich einmal zu einem entſcheidenden Schritt zu gelangen, und darum wiegt die Ueber- zeugung vor, ein einfaches Scheitern des Geſetzes ſei nicht möglich. Im Abgeordnetenhauſe haben geſtern auch die Com- miſſionen für die Landgemeindeordnung und das Volksſchul- geſetz ihre Arbeiten begonnen. In ſämmtlichen mit der Bera- thung der Reformgeſetze betrauten Commiſſionen zeigt ſich das erfreuliche Beſtreben, möglichſt raſch und energiſch auf das Ziel loszugehen. Die Steuercommiſſionen ſind in wenigen Sitzungen unerwartet weit in ihren Berathungen fortgeſchritten. Man wird ſonach erwarten dürfen, daß ſchon frühzeitig im neuen Jahr das Haus ſich wieder mit dieſen Geſetzen wird befaſſen können. Der Wiederbeginn der Plenatſitzungen wird für den 8. Januar erwartet. Die Anberaumung des Termines iſt in das Belieben des Präſidenten geſtellt. Im Herrenhauſe hat Graf v. Frankenberg den Antrag eingebracht, die Bildung einer Behörde zu erwägen, welcher alle Intereſſen der Waſſerwirthſchaft in Bezug auf die Landes- cultur, auf Abwendung der Hochwaſſergefahren und beſſere Ausnutzung für Schifffahrt und Gewerbe unterſtellt werden. Die Schulreformconferenz wird vorausſichtlich gegen Mitte der neuen Woche ihre Berathungen ſchließen. Zunächſt hat die Schulreformbewegung die Bildung eines Gymnaſial- vereins ins Leben gerufen, welcher „die Erhaltung unſrer Gymnaſialbildung im weſentlichen auf den bisherigen humani- ſtiſchen Grundlagen“ anſtrebt. Der Verein, für welchen bereits eine große Anzahl hervorragender und angeſehener Männer ihre Mitgliedſchaft zugeſagt haben, wird ſich am Montag (15. d. M.) in Berlin conſtituiren; er bezweckt ſelbſtverſtändlich, ſich über ganz Deutſchland auszubreiten. Zur Begründung des Vereins laden ein die HH. Albrecht-Straßburg i. E., Dei- ters-Koblenz, Graf-Elberfeld, Jäger-Köln, Kropatſcheck- Berlin, Kübler-Berlin, Schiller-Gießen, Schrader-Halle, Uhlig-Heidelberg — bezeichnenderweiſe ſämmtlich Mitglieder der Conferenz. Wie die „Köln. Ztg.“ hervorhebt, iſt in die Berathungen der Schulreformconferenz, ſeitdem der Miniſter ſelbſt die Lei- tung übernommen hat, ein raſcherer Zug gekommen. An einem wichtigen Punkt, dem Geſchichtsunterricht in Unterſecunda des Gymnaſiums, iſt dem neuerdings betonten Grundſatz ſtärkerer Berückſichtigung der neueren Geſchichte ein erſtes Zuge- ſtändniß durch Einführung einer ausführlichen Behandlung der Geſchichte der letzten hundert Jahre (1789 bis 1871) gemacht worden, wodurch den mit Unterſecunda abgehenden Schülern ein ſtarker vaterländiſcher Eindruck gleichſam mit auf den Weg gegeben werden ſoll. Die alte Geſchichte wurde auf die Oberſecunda be- ſchränkt: wie die „Köln. Ztg.“ hört, hätte ſelbſt ein ſchroffer Ver- treter des jetzigen Gymnaſiallehrplans, Director Jäger aus Köln, dem unter beſtimmten Cautelen zugeſtimmt. Außerdem wird uns berichtet, daß Provincialſchulrath Krauſe aus Danzig mit tieſem Ernſt und großer Wirkung auf die üblen Folgen hingewieſen habe, welche aus der fortwährenden Verſchiebung der Negulirung der äußeren Verhältniſſe des Lehrerſtandes zu erwarten ſeien. Außerdem wurde noch über höchſte Schülerziffer, Zahl der Pflichtſtunden der Lehrer und Verwandtes geſprochen, wobei, wie freilich zu erwarten war, Forderungen und Wünſche laut geworden wären, die noch ſehr weit von dem Erreichbaren, geſchweige dem Wirtlichen entfernt ſind. Der Evangeliſche Oberkirchenrath hat folgenden Erlaß über Ehefragen veröffentlicht: „Es ſind neuerdings Fälle vorgekommen, in denen confeſſionell- gemiſchte Ehen nach vorangegangener römiſch-katholiſcher Trauung von evangeliſchen Geiſtlichen ohne Beachtung der für evangeliſche Trauungen vorgeſchriebenen Formen eingeſegnet worden ſind. Vei den zu ſolchem Zwecke veranſtalteten Familienfeiern hat ſich der mitwirkende Geiſtliche auf Anſprache, Gebet und Segensſpruch be- ſchränkt und weder eine Beantwortung der Traufragen verlangt, noch die agendariſche Trauformel angewandt. Ein ſolches Verfahren muß für unzuläſſig erachtet werden. Die Kirche fordert von ihren Gliedern, daß ſie eine Ehe nicht ohne kirchliche Mitwirkung eingehen; die Form, in welcher dieſe Mitwirkung gefordert und gewährt wird, iſt nach der beſtehenden kirchlichen Ord- nung ausſchließlich die Trauung. Die Anwendung einer an- deren Form je nach Velieben des einzelnen Geiſtlichen verbietet ſich als eine Umgehung der beſtimmten vorgeſchriebenen litur- giſchen Ordnung und eine die Ehre der Kirche verletzende Zweideutigkeit. Wer die Trauung verſchmäht, verzichtet damit überhaupt auf Mitwirkung der Kirche bei Eingehung ſeiner Ehe. Dieſe kirchliche Mitwirkung iſt grundfätzlich auch ſolchen Mitgliedern zu gewähren, welche eine gemiſchte Ehe eingehen, ſofern dem nicht etwa im einzelnen Falle unzuläſſige Zuſagen in Betreff der Kinder- erziehung oder ſonſtige beſtimmte Gründe entgegenſtehen; insbeſon- dere gibt eine vorangegangene römiſch-katholiſche Trauung an ſich noch keinen Grund, ſie ihnen zu verſagen, immer wird ſie auch ihnen nur in der dafür ein- für allemal feſtſtehenden agendariſchen Form gewährt werden können, gegenwärtig alſo in Gemäßheit der darüber in der Trauungsordnung enthaltenen Vorſchriften. Legen ſie auf die Trauung keinen Werth oder glauben ſie darauf mit Rückſicht auf Zugeſtändniſſe an die Anforderungen einer fremden Religionsgemeinſchaft verzichten zu müſſen, ſo verlieren ſie damit jeden Anſpruch auf irgendwelche Mitwirkung der Kirche bei Ein- gehung ihrer Ehe, und eine Betheiligung evangeliſcher Geiſtlichen daran in Form einer freien liturgiſchen Feier oder eines abge- ſchwächten Trauungsactes würde weder mit der Ordnung, noch mit der Würde der Kirche vereinbar ſein. Die Geiſtlichen werden demnach die in dieſer Nichtung an ſie gelangende Anträge abzu- lehnen haben.“ * Berlin, 14. Dec. Der Kaiſer, welcher in der ver- gangenen Nacht von ſeinem Jagdausflug nach Barby zurückgekehrt war, empfing heute Mittag 12 Uhr den Erbgroßherzog von Luxemburg, welcher die Thronbeſteigung ſeines Vaters notiſicirte. Erbgroß- herzog Wilhelm war geſtern Abends 11 Uhr hier eingetroffen und am Bahnhof vom Prinzen Friedrich Leopold und der Generalität empfangen worden. Eine Compagnie der Gardefüſiliere mit Fahne und Muſik bildete die Ehrenwache. Heute Rachmittag folgte der Erbgroßherzog einer Einladung zur Tafel bei den kaiſerlichen Majeſtäten. Der Erbgroßherzog führte die Kaiſerin zur Tafel, an welcher alle Prinzen des königlichen Hauſes, der Reichskanzler, Graf Moltke, die Miniſter v. Voetticher, v. Maybach, v. Goßler, die oberſten Hofchargen und zahlreiche Generale theilnahmen. Der „Poſt“ zufolge gehörten zu den Tafelgäſten Ihrer Majeſtäten auch die ſchleswig-holſteiniſchen Herrſchaften und Prinz Aribert von Anhalt. Vor der Taſel hatte Se. Maj. der Kaiſer noch dem Oberſchloß- hauptmann Graſen Perponcher Audienz ertheilt. — Die Kopen- hagener „National-Tidende“ bringt in beſtimmter Form die Nach- richt, daß der Prinz Chriſtian ſich in nicht ferner Zeit nach Berlin begeben werde, um ſeine Verlobung mit der Schweſter des Kaiſers, Prinzeſſin Margarethe, zu feiern. Die Nach- richt hat zwar noch keine Beſtätigung von deutſcher Seite gefunden, da jedoch das genannte Blatt den däniſchen Hofkreiſen nahe ſteht und als deren Organ gilt, ſo wird von der Meldung jedenfalls Kenntniß zu nehmen ſein. Prinz Chriſtian iſt der älteſte Sohn des däniſchen Kronprinzen, alſo vorausſichtlich der künftige König von Dänemark. — Dem heutigen Dîner beim Finanzminiſter zu Ehren der Mitglieder der Einkommenſteuer- und der Gewerbe- ſteuercommiſſion wohnten auch der Präſident des Abgeordneten- hauſes v. Köller, Abg. Dr. Windthorſt und Oberpräſident Dr. v. Bennigſen, der auf der Durchreiſe hier verweilte, bei. In der Unterhaltung wurden parlamentariſche Gegenſtände nicht be- rührt. Miniſter Miquel äußerte bei Beginn des Mahles, er hoffe, die Herren hätten Progreſſion und Degreſſion zu Hauſe gelaſſen und würden ſich nur dem gemüthlichen Beiſammenſein hingeben. — Heute Mittag hat im Anſchluß an den Beſchluß der Philologen- Verſammlung in Zürich von 1887 im Architektenhauſe nach einer Anſprache des Rectors der Greifswalder Univerſität Profeſſor Dr. Reifferſcheid die Gründung einer Geſellſchaft für deutſche Erziehungs- und Schulgeſchichte ſtattgefunden. Der König von Sachſen und Prinz Georg von Sachſen werden am Montag Nachmittag aus Dresden hier eintreffen, um ſpäter den Kaiſer zur Jagd nach Königs-Wuſterhauſen zu begleiten. Der Reichskanzler v. Caprivi hat, der „Köln. Volksztg.“ zufolge am Freitag eine längere Beſprechung mit dem Abg. Windthorſt gehabt. — Der japaniſche Geſandte am hieſigen Hofe, Marquis Saïonzi, iſt nach Berlin zurückgekehrt und hat die Geſchäfte der Geſandtſchaft wieder übernommen. — Der Biſchof von Telepte, J. B. Anzer, apoſtol. Vicar von Süd-Schantung in China, welcher in beſonderer Miſſion kürzlich aus China hier eintraf und ſich dann nach Magdeburg begeben hatte, iſt hier wieder eingetroffen. — Der türkiſche General v. Hobe Paſcha hat ſeine Abreiſe yerſchieben müſſen, da ſeine Gattin ernſtlich er- krankt iſt. — Prof. Dr. Schottmüller wird, wie die „Magdeb. Ztg.“ hört, ſeit ſeiner Rückkehr aus Rom und ſeinem Rücktritt von der Leitung der dortigen hiſtoriſchen Station als Hülfsarbeiter im Unterrichtsminiſterium in der Abtheilung für das höhere Schul- weſen beſchäftigt. Die Preiſe der Arbeiter-Fahrkarten ſind auf allen preußiſchen Staatseiſenbahnen nunmehr allgemein auf 1 Pfennig für den Kilometer herabgeſetzt worden. — Der Expreßgut- verkehr wird auf den preußiſchen Staatsbahnen nunmehr auch auf ſolche Stationen ausgedehnt, von und nach welchen directe Fahrkarten nicht ausgegeben werden. λ. Meiningen, 12. Dec. Der geſtern eröffneten Landes- ſynode hat die Regierung drei Kirchengeſetzentwürfe, Gehaltsver- hältniſſe der Geiſtlichen, erledigte Pfarrſtellen und die Landeskirch- caſſe betreffend, vorgelegt. Zur Durchführung dieſer Geſetze begehrt die Regierung aus der Landeskirchcaſſe einen Zuſchuß von 10,000 Mark für die Alterszulagen, 2000 Mark zu den Koſten der Landes- ſynode und ſonſtiger kirchlichen Bedürfniſſe, ſowie daß die Landeskirch- caſſe die dem Hülfsfonds obliegenden Leiſtungen unter gewiſſen Vorausſetzungen übernimmt. Ferner verlangt die Regierung die Ermächtigung, die im Kirchenetat von 1887 bis 1889 erübrigten 11,000 Mark zu Remunerationen an Geiſtliche verwenden zu dürfen. In Betreff der Gehaltsverhältniſſe der Geiſtlichen beſtimmt der Geſetzentwurf, daß der Mindeſtgehalt 1800 Mark betragen ſoll. Wenn ſolcher nach 5 Jahren nicht 2000, nach 10 nicht 2200, nach 15 nicht 2400, nach 20 nicht 2700 und nach 30 Jahren nicht 3000 Mark beträgt, ſo iſt der Fehlbetrag durch Alterszulagen

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 347, 15. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine347_1890/2>, abgerufen am 05.06.2024.