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Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890.

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München, Sonntag Allgemeine Zeitung 14. December 1890. Morgenblatt Nr. 346.
[Spaltenumbruch]

Gesuch eines Steuermanns wegen Zulassung zur Schifferprüfung,
über Eingaben in Zoll- und Steuerangelegenheiten und über An-
träge mehrerer pensionirter Reichsbeamten auf Erhöhung ihrer
Pensionsbeträge Beschluß gefaßt.

Die amtliche Uebersicht über die Zahl
der bei dem Landheere und der Marine in dem Erjatzjahre 1890/91
eingestellten preußischen Mannschaften mit Bezug auf ihre Schul-
bildung
bestätigt aufs neue die Thatsache, daß von Jahr zu Jahr
die allgemeine Schulbildung in erfreulichem Maße fortschreitet, der-
gestalt, daß in absehbarer Zeit von eingestellten Mannschaften ohne
solche kaum mehr die Rede sein wird. Wenigstens gilt
dies von denjenigen Landestheilen, in denen die Bevölkerung rein
deutschredend ist, während in den Landestheilen mit national-gemischter
Bevölkerung die Allgemeinheit der Schulbildung nicht so rasch durch-
geführt werden kann. In dem genannten Ersatzjahre sind in
Preußen im ganzen 102,990 Recruten eingestellt worden. Von
diesen waren nur 825 ohne Schulbildung, also 0,80 Proc. der
Gesammtzahl, während in dem vorangegangenen Jahre dieser
Procentsatz noch 0,96 und noch ein Jahr früher 1,07 betrug.
Die 825 Mann, von denen 807 für das Landheer und 18 für
die Marine ausgehoben wurden, entstammten fast ausschließlich den
östlichen Provinzen der Monarchie. Im Regierungsbezirk Königs-
berg waren 122 (2,36 Proc.), im Regierungsbezirk Gumbinnen
100 (2,60 Proc.), im Regierungsbezirk Danzig 62 (2,71 Proc.),
im Regierungsbezirk Marienwerder 130 (3,67 Proc.), im Re-
gierungsbezirk Posen 194 (3,62 Proc.), im Regierungsbezirk
Bromberg 42 (1,69 Proc.), im Regierungsbezirk Oppeln 109
(1,61 Proc.) Recruten ohne Schulbildung. In allen übrigen
Regierungsbezirken der Monarchie kamen Recruten ohne Schul-
bildung nur ganz vereinzelt vor, so daß vielfach nur von zufälligen
Erscheinungen die Rede sein kann. Es wurden solche Recruten
gezählt im Regierungsbezirk Potsdam 3 (0,05 Proc.), im Re-
gierungsbezirk Frankfurt a. O. 8 (0,17 Proc.), im Regierungs-
bezirk Stettin 3 (0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Cöslin 9
(0,38 Proc.), im Regierungsbezirk Stralsund 1 (0,11 Proc.),
im Regierungsbezirk Breslau 11 (0,18 Proc.), im Regierungs-
bezirk Liegnitz 8 (0,21 Proc.), im Regierungsbezirk Magdeburg 4
(0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Merseburg 3 (0,09 Proc.),
im Regierungsbezirk Schleswig 1 (0,03 Proc.), im Regierungs-
bezirk Hannover 1 (0,06 Proc.), im Regierungsbezirk Stade 2
(0,20 Proc.), im Regierungsbezirk Arnsberg 1 (0,03 Proc.), im
Regierungsbezirk Cassel 5 (0,16 Proc.), im Regierungsbezirk
Koblenz 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Düsseldorf 2
(0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Köln 1 (0,04 Proc.), im
Regierungsbezirk-Trier 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk
Aachen 1 (0,05 Proc.). In den Regierungsbezirken Erfurt,
Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Aurich, Münster, Minden,
Wiesbaden und Sigmaringen kam in dem letzten Ersatzjahr der
Fall überhaupt nicht vor, daß ein eingestellter Recrut ohne Schul-
bildung war.

In der Stöckel'schen Landes-
verrathsangelegenheit
kann ich Ihnen auf Grund zuver-
lässiger Informationen mittheilen, daß die Voruntersuchung gegen
den unter dem Verdachte des Landesverraths verhafteten Ludwig
Stöckel noch nicht beendet ist. Das Reichsgericht kann erst in
einigen Wochen in der Lage sein, über das Ergebniß der Vor-
untersuchung Beschluß zu fassen, und es wird sich dann erst ent-
scheiden, ob der Fall Stöckel in Leipzig oder vor der Metzer Straf-
kammer zur Aburtheilung gelangt. Da das Gesetzbuch vorbereitende
Handlungen zum Landesverrath nicht unter Strafe stellt, so wird
sich Stöckel, falls er des Landesverraths nicht überführt werden
sollte, wegen Beiseiteschaffung amtlich ihm anvertrauter Documente
zu verantworten haben. Auf keinen Fall dürfte er frei ausgehen.
Voraussichtlich wird frühestens im Februar das Urtheil gesprochen
werden. (Wir benutzen diesen Anlaß, um der "Lothr. Ztg." zu
versichern, daß der Hinweis auf die "Naivetät" der Presse in
militärischen Dingen, in unsrer jüngsten Mittheilung über den in
Rede stehenden Fall, nach der Stellung des Hrn. Verfassers den Metzer
Zeitungen schwerlich gegolten haben soll. D. R.)

Schweiz.

In der heutigen gemeinsamen
Sitzung beider Räthe behufs Neuwahl des Bundes-
raths
für die mit dem 1. Januar beginnende neue,
drei Jahre dauernde Amtsperiode der Bundesexecutive waren
139 Nationalräthe und 42 Ständeräthe anwesend. Die Sitzung
wurde mit der Verlesung der Schreiben des Bundesraths Hammer
und des Bundesrichters Roguin eröffnet, welche ihre Wiederwahl
in den Bundesrath und in das Bundesgericht ablehnten. Die Ver-
dienste beider Herren wurden von der Versammlung auf Antrag
des Präsidiums durch Erheben von den Sitzen anerkannt. Die Wahl
der einzelnen Bundesräthe sand dann der Reihe nach, wie folgt,
statt, indem, außer Bundesrath Hammer, die übrigen 6 Bundes-
[Spaltenumbruch] räthe sämmtlich in einem Wahlgange wiedergewählt wurden:
Schenk mit 149 von 177, Welti mit 149 von 177, Ruchon-
net
mit 146 von 176, Droz mit 148 von 175, Deucher mit
149 von 178 und Hauser mit 142 von 180 Stimmen. Ebenso
war auch für den siebenten Bundesrath an Stelle des ausgetre-
tenen Bundesraths Hammer nur ein Wahlgang nöthig, obschon das
Centrum und die ultramontane Rechte einen gemeinsamen Candi-
daten, Hrn. Bundesrichter Kopp von Luzern, für denselben auf-
gestellt hatten, dem gegenüber von den Liberalen und Radicalen
Nationalrath Oberst Frey, der ehemalige Gesandte in Washington,
gegenwärtig Redacteur der Baseler "National-Zeitung", portirt
war. Dieser ging mit 94 gegen 77 Stimmen, welche Kopp er-
hielt, aus der Wahlurne hervor. Frey dankte sofort für die Wahl
und erklärte ihre Annahme. Als Bundespräsident für 1891 wurde
übungsgemäß der seitherige Bundesvicepräsident Welti gewählt,
und für diesen als Vicepräsident Hauser, beide in Uebereinstim-
mung der Parteien, und ebenso wurde der seitherige Kanzler
Ringier für weitere 3 Jahre in seinem Amte bestätigt. Die
Bundesräthe und der Kanzler wurden sofort vereidigt.

Belgien.

Mit gewohnter Leutseligkeit em-
pfing König Leopold II. gestern im Schlosse Laeken die Offi-
ciersdeputationen
des in Colmar stationirten 14. preußi-
schen Dragonerregiments und des in Graz stationirten 27.
österreichischen Linien-Infanterieregiments, deren Inhaber der
König seit 10. Dec. 1865 ist. Die beiden Obersten v. Bach-
meyer und v. Pinter waren dem Monarchen von seinem Auf-
enthalt in Berlin und Wien bekannt, die übrigen Officiere
wurden durch den deutschen Gesandten Grafen Alvensleben
und den österreich-ungarischen Gesandten Grafen Khevenhüller
vorgestellt. Die preußischen Officiere überreichten der Königin
Marie Henriette ein prachtvolles Bouquet. Das Galadeiner im
Schlosse Laeken, sowie das unter dem Vorsitze des Prinzen
Balduin stattgehabte Militärbankett verliefen in sehr animirter
Weise und die fremden Officiere werden von ihrem Brüsseler
Aufenthalt unstreitig eine sehr angenehme Erinnerung mit-
nehmen. -- Die Revisionsfrage fährt fort, das gesammte
politische Interesse in Belgien in Anspruch zu nehmen.
Der Führer der Rechten, Staatsminister Woeste, benutzt
die Zeit der Ausschußberathungen zu einem entscheidenden
Feldzug gegen die Verfassungsrevision. Hr. Woeste bietet seinen
ganzen Einfluß auf, um die in allen Kreisen herrschende Stim-
mung zu Gunsten der Verfassungsrevision zu ändern, und hat
bereits an die katholischen Vereine des Königreichs die Weisung
ergehen lassen, Resolutionen zu Gunsten der Aufrechthaltung
der gegenwärtigen Verfassung zu beschließen und in Form von
Petitionen an die Kammer einzusenden. Ein erheblicher Theil
der Rechten wird aber dem bisherigen unbestrittenen Führer
aller Wahrscheinlichkeit nach die Heeresfolge verweigern. Die
liberale Linke hat für die nächsten Tage eine Versammlung
der Abgeordneten einberufen, um eine Revisionsformel aus-
zuarbeiten, auf Grund welcher die Verfassungsrevision vor sich
gehen soll. Wenn ein Theil der Rechten sich der liberalen
Formel anschließt, so ist die Verfassungsrevision gesichert. Jeden-
falls wird diese aber nicht vor Mai 1892 votirt werden, weil die
meisten Abgeordneten, sowohl von links wie von rechts, die gegen-
wärtige Kammer bis zum Ende ihres Mandates, d. h. bis Juni
1892 gelangen lassen wollen. -- Die Congo-Zollconferenz,
welche sich im November vertagt hat, wird sich demnächst wieder
versammeln und ihre Arbeiten zum gedeihlichen Abschlusse bringen.
Frankreich hat sich bisher geweigert, einen bestimmten Zollsatz
für die Waareneinfuhr am Congo -- der Satz darf bekanntlich
10 Procent vom Werth nicht übersteigen -- durch einen beson-
deren Vertrag feststellen zu lassen, so daß eine Aenderung nur
wieder durch einen internationalen Vertrag möglich würde.
Vielmehr will sich Frankreich die Regelung des Zollsatzes mit
der Congo-Regierung vorbehalten, um ihn je nach den Umstän-
den ändern zu können. Nach längerem Widerstande ist die
Congo-Regierung darauf eingegangen, und da für die hollän-
dischen Einfuhrartikel nur ein Zollsatz von 2 Procent festgesetzt
wird, so hofft man, daß jetzt Holland den Congo-Zöllen bei-
treten wird. Die "Agence Havas" meldete gestern den Beitritt
schon als Thatsache. Zur Stunde, da diese Zeilen an Sie ab-
gehen, ist jedoch die amtliche Notification dieses Schrittes hier
noch nicht eingetroffen.

Frankreich.

Die Budgetdebatte ist in der
Kammer beendet. Der Senat, welchem allerdings das Finanz-
gesetz erst heute früh officiell zugegangen ist, hat doch bereits
seit Wochen mit der Berathung der einzelnen Abschnitte des-
selben in seinen Commissionen begonnen. Wesentliche Aus-



[Spaltenumbruch]

der gegen Norden eilte, und in der That, weder Sior Domenico,
noch seine Giovannina haben ihn jemals wieder gesehen.

Daß er nicht allzu häufig an die schöne Giovannina zurück-
dachte, daran hätte wohl kein Kenner der Umstände gezweifelt.
Wäre ein solcher Zweifel entstanden, so hätte er gegenüber
einem Schaustück schweigen müssen, welches wenige Monate
später die Einwohner eines kleinen Städtchens in Schrecken
versetzte.

Man hatte den Pierino dorthin verwiesen, weil man der
von vielen Leuten getheilten Ansicht war, daß in Landstädtchen
unternehmende Geister, wie Pierino, keinen Spielraum für ihre
Thaten finden. Auch an jenem Abend glitzerten Lichter auf den
Wellen. Es waren die Fackeln von Schiffern, welche nach einer
Frau suchten, die in den Strom gesprungen war. Das arme
Geschöpf! Vor wenigen Monaten noch war sie eine glückliche
Gattin und Mutter gewesen. Sie wäre es geblieben, wenn
damals der Dampfer seine Fahrt nicht nach Norden einge-
schlagen hätte. Nunmehr war eine von ihrem Verführer ver-
lassene, von ihrem Manne verstoßene Unglückliche in der kalten
Fluth gestorben.

Während aber jenes Schaustück dort am Meere als Chor
in der Hauptsache nur eine Anzahl schöner Damen hatte, welche
hinter den an die Verlassene gerichteten Trostworten ihre Schaden-
freude verbargen, war diesmal Volk der Hintergrund. Es er-
tönten Verwünschungen und geschrieene Drohungen.

Wenige Tage später hatte sich Pierino bei seinem Vor-
gesetzten in einer weit entlegenen Stadt zu melden. Sein Ein-
pfang war hier ein solcher, wie er durch die Verhältnisse, welche
die Reise veranlaßten, bedingt war. Wunderbarerweise zeigte
nunmehr Pierino, daß sich unter den zahllosen Eigenschaften,
mit denen er ausgestattet war, auch die befand, lange Zeit
nichts Befremdliches von sich hören zu lassen. Geredet wurde
aber doch von ihm -- und wirklich war es kein Wunder, daß
dies geschah. Nach dem, was vorhergegangen war, konnte
man es dem General nicht verargen, wenn er bei einer Muste-
rung dem Pierino sowohl, als den Leuten, die er zu unter-
richten hatte, eine besonders hartnäckige, ja schier lästige
Aufmerksamkeit widmete. Aber man fand keinen Rostfleck
[Spaltenumbruch] auf diesem Schild, er war spiegelblank. Keine Mannschaft war
so gedrillt, keine in den Suren ihres soldatischen Korans so be-
wandert, und keine wußte die Bestandtheile des Gewehres so
schön herzusagen, wie diese.

Der Calabrese, der niemals in seinem Leben eine Eis-
fläche gesehen hatte, war sofort der erste Schlittschuhläufer.
Und bald zeigte es sich, daß die Herzen der Damen auf diesem
kalten Spiegel nicht weniger leicht aufflammten, als jene
dort unten, wo die Granatblüthe unter der füdlichen Sonne
leuchtet.

Indessen wurde diese Eisfläche für den Helden unsrer Ge-
schichte allmählich zu einer schiefen Ebene.

Wir wollen ihm auf den einzelnen Stationen derselben
nicht folgen, sondern ihm zuschauen, wie er einen langwierigen
Zimmerarrest, den er für die Folgen allzu generöser Auffassung
der Pflichten altadeliger Freigebigkeit verbüßt, eben verläßt.
Sein Vorgesetzter hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß
dies die letzte Strafe sei, die über ihn verhängt werde. Und
es war die letzte.

Der Krieg hatte ihm die Thüre seiner Gefangenschaft ge-
öffnet. Schon rollten von Norden her die Geschütze des Feindes
in die böhmische Ebene herab. Endlos wälzten sich die Züge
der Krieger.

Es kam zu einer furchtbaren Schlacht. Reihe auf
Reihe sank am Waldsaum unter den feindlichen Geschossen.

Die Seinigen weichen einen Augenblick zurück. Da leuchtet
das Auge Pierino's auf, wie es vielleicht in seinem Leben nie-
mals geleuchtet hatte. Er ruft:

"Seht, ihr Tedeschi, wie ein italienischer Edelmann stirbt!"

Im nächsten Augenblicke hatte eine Kugel seine Stirn
durchbohrt. Schön lag er dahingestreckt, und die kleinen,
weißen Zähne glänzten aus dem halbgeöffneten Mund und er
lächelte, wie er gelächelt hatte, als er von seiner Braut hinweg
in die Nacht des Meeres hinausfuhr, als er dort in dem
armen Städtlein die Drohungen des Volks vor seinem Hause
gehört hatte, und wie er zu lächeln pflegte, wenn er nach Ab-
legung seiner Sündenlast aus dem Beichtstuhle trat.



[Spaltenumbruch]

stellungen wird das Oberhaus in diesem Jahre nicht machen.
Principielle Fragen sind entweder gar nicht oder nur in einem
Sinne zu erledigen, welcher zwischen dem "bedächtigen Alter"
und der "stürmischeren Jugend" zu Differenzen nicht führen
kann. Der Staatshaushalt wird also vor Schluß des Jahres
Gesetz werden, wird am 1. Januar in Kraft treten, und die
gefürchteten provisorischen Budgetzwölftel sind für diesmal
glücklich vermieden. Die zweite Kammer hat, um das
zu erreichen, einen ganzen Monat Tag für Tag gear-
beitet. Jetzt hat sie sich für eine Woche vertagt. Er-
sparnisse sind nicht gemacht worden, aber auch keine neuen
Schulden. Die in letzter Stunde beschlossene Anleihe schafft
nur längst bestehende Verpflichtungen unter Zinsreductionen
aus der Welt. Vom finanzpolitischen Standpunkt betrachtet,
bietet das Budget für 1891 zwei interessante Seiten; erstens:
den Bruch mit der seit 1871 zum Dogma gewordenen Theorie,
daß die für die Landesvertheidigung übernommenen Lasten, auch
soweit sie jährlich sich wiederholender Natur sind, also zweifellos
unter die laufenden Ausgaben gehören, nicht ganz der lebenden
Generation, sondern zum Theil den kommenden Geschlechtern
aufzubürden, d. h. daß sie auf Anleihen zu übernehmen seien.
Zweitens enthält das Budget die Aufforderung an das Mi-
nisterium, verschiedene Zweige der Verwaltung und Gesetzgebung
zu reformiren. Ich nenne hier nur die wichtigsten dieser Re-
formen: Verringerung des Personals bei verschiedenen Ver-
waltungen; Herabsetzung der Eifenbahntarife für Personen- und
Eilgutverkehr (um 30 Procent) und Abänderung der Gesetz-
gebung betreffs der Güter der todten Hand im Sinne einer
gerechteren Vertheilung der Erbschafts-, bezw. Besitzwechselabgaben.
Eine dieser dem Finanzminister octroyirten Verpflichtungen läuft
auf eine Ersparniß hinaus, zwei werden eine Verringerung
der Einnahmen ergeben. Die Ersparniß wird sehr gering
sein, der Einnahmeausfall namentlich aus den Eisenbahn-
tarifen aber sehr bedeutend. Das Budget für 1891 ist außer-
dem nur auf dem Papier balancirt; ein Minus der in An-
schlag gebrachten (von der Kammer gegen die ursprünglichen
Ansätze erhöhten) Einnahmen ist fast mit Sicherheit zu er-
warten. Das Ministerium ist zwar nicht gestürzt worden, so
hart es verschiedentlich an den Abgrund gedrängt wurde, aber
die Stellung des Finanzministers und mit ihm die des Cabi-
netschefs ist doch, theils durch die schwankende Haltung des
Ministeriums selbst, theils im Hinblick auf die Schwierigkeiten,
welche sich bei Aufstellung des nächsten Budgets ergeben
werden, stark erschüttert. Die am meisten berechtigt erschei-
nende Annahme geht deßhalb dahin, daß der Rücktritt
Rouviers vor Beginn der Aufstellungsarbeiten zu dem
Staatshaushalt von 1892 zu erwarten ist, daß wahrschein-
lich ein ganz neues Ministerium mit mehr nach rechts ver-
schobener Tendenz gebildet werden, daß in diesem Cabinet
Freycinet nicht den Vorsitz führen, aber als Kriegsminister ver-
bleiben, und daß wahrscheinlich auch der Marineminister sein
Portefeuille behalten wird. Trotz der Wichtigkeit, welche somit
die diesjährige Budgetdebatte, auch vom finanzpolitischen Stand-
punkt aus, hatte, liegt deren eigentliche Bedeutung doch auf
dem rein politischen Gebiete. Daß dem so ist, haben die letzten
Stunden der gestrigen Debatte zur Evidenz bewiesen. Ich
schrieb Ihnen bereits, die gesammte Rechte sei wüthend wegen
der Haltung der Regierung und der Majorität in Sachen der
Besteuerung der geistlichen Orden. Regierung und Majorität
werden von den Conservativen beschuldigt, trotz der ihnen von
verschiedenen Elementen der Rechten angetragenen Versöhnung
bei ihrer tendenziös antikirchlichen Haltung zu beharren und
damit jeden Friedensschluß zwischen den zwei feindlichen Hälften
der französischen Bevölkerung unmöglich zu machen. Diese
Anklage der Rechten fand in der gestrigen Kammersitzung ihren
officiellen Ausdruck. Gleichzeitig hat sich die ganze Lage wesentlich
geklärt. Es geschah dies hauptsächlich durch die Rede Cassagnacs;
der alte Kämpe des Kaiserreichs sprach diesmal auch Namens
der Royalisten; seine Ausführungen waren einerseits ein elegi-
scher Grabgesang für die monarchische Staatsform, andrerseits
eine Absage an Lavigerie. Cassagnac erklärt den Uebertritt der
Rechten nicht mehr wie bisher für eine pure Unmöglichkeit, für
einen Act der Feigheit und des Verraths, aber er will den
Frontwechsel nicht, wie der Cardinal-Erzbischof von Algier, be-
dingungslos vornehmen, will eventuell wohl Republicaner
werden (aus Opportunismus wohlverstanden), will sich aber
der jetzigen republicanischen Mehrheit nicht auf Gnade und
Ungnade ergeben; er will die Monarchie, aber nicht die Kirche
opfern. Von dem Standpunkt Piou's entfernt sich Cassagnac,
welcher gestern ganz zweifellos im Namen der großen Mehrheit
der Conservativen sprach, dabei noch insofern, als er als Be-
dingung für den Eintritt der bisherigen Monarchisten in die
Republik nun fordert, daß zukünstig den einzelnen Communen
überlassen bleiben soll, ob sie den öffentlichen Schulunterricht
auf christlicher Grundlage oder in den sogenannten freien
Schulen ertheilen lassen wollen, und daß der Staat nicht mehr
wie bisher dem Lande die confessionslose (religionslose) Schule
aufzwinge.

* Im 4. Unterzollausschuß berichtete Jamais über die
Trauben- und Getränkezölle. Die Regierung schlägt 15,
bezw. 20 Fr. für 100 Kilo Rosinen vor. Die innere, diesen
Sommer bewilligte Rosinen- und Rosinenweinst euer von 12, bezw.
9 Fr. 60 Ct., soll neben dem Zoll auch künftig erhoben werden.
Für frische Trauben nahm der Ausschuß einen Zoll von 12, bezw.
15 Fr. an, die Regierungsvorlage hat nur 4, bezw. 5 Fr., für
Wein einen solchen von 70 Ct., bezw. 1 Fr. 10 Ct. für jeden
Grad Spiritusgehalt bis zu 10 Grad; höhergradige Weine werden
als Spiritus verzollt. Flaschenweine sollen einen Nachzoll von
20 Ct. für den Liter zahlen. Die Rosinen-, Zucker- und Träber-
weine sollen ebenso wie die Traubenweine verzollt werden. Essig
bis zu 8 Grad Essiggehalt soll 6 Fr., jeder Grad mehr je 1 Fr.
zahlen; Aepselwein bis zu 6 Grad Spiritusgehalt 50 Ct., höher-
gradiger soll wie Spiritus behandelt werden.

Eine vom Kriegsministerium eröffnete Enquete zur Be-
rathung einer Aenderung in der Uniformirung der Cavallerie
hat sich gegen die Einführung des Dolmans an Stelle des Waffen-
rocks ausgesprochen.



Die Schulreform-Conferenz in Berlin.

Telegramm. Der "Reichs-Anz."
meldet: "In der Conferenz zur Berathung von Fragen des höheren
Schulwesens kamen (wie schon im gestrigen Abendblatt kurz tele-
graphisch berichtet) gegen Schluß der gestrigen Sitzung noch die
früher erörterten Fragen bezüglich der Einheitsschule und des Lehr-
plans der Gymnasien und der Realgymnasien zur Abstimmung.
Die Versammlung sprach sich hiebei für folgende Sätze aus:
I. Es sind in Zukunst nur zwei Arten von höheren Schulen grund-
sätzlich beizubehalten, nämlich Gymnasien mit beiden alten Sprachen
und lateinische Schulen, oder Realschule und höhere Bürgerschule;
es ist indeß zu wünschen, daß für Städte, deren Realgymnasien
in Wegfall kommen, nach den örtlichen Verhältnissen schonende
Uebergangsformen gefunden und gestattet werden. II. Ein ge-

München, Sonntag Allgemeine Zeitung 14. December 1890. Morgenblatt Nr. 346.
[Spaltenumbruch]

Geſuch eines Steuermanns wegen Zulaſſung zur Schifferprüfung,
über Eingaben in Zoll- und Steuerangelegenheiten und über An-
träge mehrerer penſionirter Reichsbeamten auf Erhöhung ihrer
Penſionsbeträge Beſchluß gefaßt.

Die amtliche Ueberſicht über die Zahl
der bei dem Landheere und der Marine in dem Erjatzjahre 1890/91
eingeſtellten preußiſchen Mannſchaften mit Bezug auf ihre Schul-
bildung
beſtätigt aufs neue die Thatſache, daß von Jahr zu Jahr
die allgemeine Schulbildung in erfreulichem Maße fortſchreitet, der-
geſtalt, daß in abſehbarer Zeit von eingeſtellten Mannſchaften ohne
ſolche kaum mehr die Rede ſein wird. Wenigſtens gilt
dies von denjenigen Landestheilen, in denen die Bevölkerung rein
deutſchredend iſt, während in den Landestheilen mit national-gemiſchter
Bevölkerung die Allgemeinheit der Schulbildung nicht ſo raſch durch-
geführt werden kann. In dem genannten Erſatzjahre ſind in
Preußen im ganzen 102,990 Recruten eingeſtellt worden. Von
dieſen waren nur 825 ohne Schulbildung, alſo 0,80 Proc. der
Geſammtzahl, während in dem vorangegangenen Jahre dieſer
Procentſatz noch 0,96 und noch ein Jahr früher 1,07 betrug.
Die 825 Mann, von denen 807 für das Landheer und 18 für
die Marine ausgehoben wurden, entſtammten faſt ausſchließlich den
öſtlichen Provinzen der Monarchie. Im Regierungsbezirk Königs-
berg waren 122 (2,36 Proc.), im Regierungsbezirk Gumbinnen
100 (2,60 Proc.), im Regierungsbezirk Danzig 62 (2,71 Proc.),
im Regierungsbezirk Marienwerder 130 (3,67 Proc.), im Re-
gierungsbezirk Poſen 194 (3,62 Proc.), im Regierungsbezirk
Bromberg 42 (1,69 Proc.), im Regierungsbezirk Oppeln 109
(1,61 Proc.) Recruten ohne Schulbildung. In allen übrigen
Regierungsbezirken der Monarchie kamen Recruten ohne Schul-
bildung nur ganz vereinzelt vor, ſo daß vielfach nur von zufälligen
Erſcheinungen die Rede ſein kann. Es wurden ſolche Recruten
gezählt im Regierungsbezirk Potsdam 3 (0,05 Proc.), im Re-
gierungsbezirk Frankfurt a. O. 8 (0,17 Proc.), im Regierungs-
bezirk Stettin 3 (0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Cöslin 9
(0,38 Proc.), im Regierungsbezirk Stralſund 1 (0,11 Proc.),
im Regierungsbezirk Breslau 11 (0,18 Proc.), im Regierungs-
bezirk Liegnitz 8 (0,21 Proc.), im Regierungsbezirk Magdeburg 4
(0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Merſeburg 3 (0,09 Proc.),
im Regierungsbezirk Schleswig 1 (0,03 Proc.), im Regierungs-
bezirk Hannover 1 (0,06 Proc.), im Regierungsbezirk Stade 2
(0,20 Proc.), im Regierungsbezirk Arnsberg 1 (0,03 Proc.), im
Regierungsbezirk Caſſel 5 (0,16 Proc.), im Regierungsbezirk
Koblenz 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Düſſeldorf 2
(0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Köln 1 (0,04 Proc.), im
Regierungsbezirk-Trier 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk
Aachen 1 (0,05 Proc.). In den Regierungsbezirken Erfurt,
Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Aurich, Münſter, Minden,
Wiesbaden und Sigmaringen kam in dem letzten Erſatzjahr der
Fall überhaupt nicht vor, daß ein eingeſtellter Recrut ohne Schul-
bildung war.

In der Stöckel’ſchen Landes-
verrathsangelegenheit
kann ich Ihnen auf Grund zuver-
läſſiger Informationen mittheilen, daß die Vorunterſuchung gegen
den unter dem Verdachte des Landesverraths verhafteten Ludwig
Stöckel noch nicht beendet iſt. Das Reichsgericht kann erſt in
einigen Wochen in der Lage ſein, über das Ergebniß der Vor-
unterſuchung Beſchluß zu faſſen, und es wird ſich dann erſt ent-
ſcheiden, ob der Fall Stöckel in Leipzig oder vor der Metzer Straf-
kammer zur Aburtheilung gelangt. Da das Geſetzbuch vorbereitende
Handlungen zum Landesverrath nicht unter Strafe ſtellt, ſo wird
ſich Stöckel, falls er des Landesverraths nicht überführt werden
ſollte, wegen Beiſeiteſchaffung amtlich ihm anvertrauter Documente
zu verantworten haben. Auf keinen Fall dürfte er frei ausgehen.
Vorausſichtlich wird früheſtens im Februar das Urtheil geſprochen
werden. (Wir benutzen dieſen Anlaß, um der „Lothr. Ztg.“ zu
verſichern, daß der Hinweis auf die „Naivetät“ der Preſſe in
militäriſchen Dingen, in unſrer jüngſten Mittheilung über den in
Rede ſtehenden Fall, nach der Stellung des Hrn. Verfaſſers den Metzer
Zeitungen ſchwerlich gegolten haben ſoll. D. R.)

Schweiz.

In der heutigen gemeinſamen
Sitzung beider Räthe behufs Neuwahl des Bundes-
raths
für die mit dem 1. Januar beginnende neue,
drei Jahre dauernde Amtsperiode der Bundesexecutive waren
139 Nationalräthe und 42 Ständeräthe anweſend. Die Sitzung
wurde mit der Verleſung der Schreiben des Bundesraths Hammer
und des Bundesrichters Roguin eröffnet, welche ihre Wiederwahl
in den Bundesrath und in das Bundesgericht ablehnten. Die Ver-
dienſte beider Herren wurden von der Verſammlung auf Antrag
des Präſidiums durch Erheben von den Sitzen anerkannt. Die Wahl
der einzelnen Bundesräthe ſand dann der Reihe nach, wie folgt,
ſtatt, indem, außer Bundesrath Hammer, die übrigen 6 Bundes-
[Spaltenumbruch] räthe ſämmtlich in einem Wahlgange wiedergewählt wurden:
Schenk mit 149 von 177, Welti mit 149 von 177, Ruchon-
net
mit 146 von 176, Droz mit 148 von 175, Deucher mit
149 von 178 und Hauſer mit 142 von 180 Stimmen. Ebenſo
war auch für den ſiebenten Bundesrath an Stelle des ausgetre-
tenen Bundesraths Hammer nur ein Wahlgang nöthig, obſchon das
Centrum und die ultramontane Rechte einen gemeinſamen Candi-
daten, Hrn. Bundesrichter Kopp von Luzern, für denſelben auf-
geſtellt hatten, dem gegenüber von den Liberalen und Radicalen
Nationalrath Oberſt Frey, der ehemalige Geſandte in Waſhington,
gegenwärtig Redacteur der Baſeler „National-Zeitung“, portirt
war. Dieſer ging mit 94 gegen 77 Stimmen, welche Kopp er-
hielt, aus der Wahlurne hervor. Frey dankte ſofort für die Wahl
und erklärte ihre Annahme. Als Bundespräſident für 1891 wurde
übungsgemäß der ſeitherige Bundesvicepräſident Welti gewählt,
und für dieſen als Vicepräſident Hauſer, beide in Uebereinſtim-
mung der Parteien, und ebenſo wurde der ſeitherige Kanzler
Ringier für weitere 3 Jahre in ſeinem Amte beſtätigt. Die
Bundesräthe und der Kanzler wurden ſofort vereidigt.

Belgien.

Mit gewohnter Leutſeligkeit em-
pfing König Leopold II. geſtern im Schloſſe Laeken die Offi-
ciersdeputationen
des in Colmar ſtationirten 14. preußi-
ſchen Dragonerregiments und des in Graz ſtationirten 27.
öſterreichiſchen Linien-Infanterieregiments, deren Inhaber der
König ſeit 10. Dec. 1865 iſt. Die beiden Oberſten v. Bach-
meyer und v. Pinter waren dem Monarchen von ſeinem Auf-
enthalt in Berlin und Wien bekannt, die übrigen Officiere
wurden durch den deutſchen Geſandten Grafen Alvensleben
und den öſterreich-ungariſchen Geſandten Grafen Khevenhüller
vorgeſtellt. Die preußiſchen Officiere überreichten der Königin
Marie Henriette ein prachtvolles Bouquet. Das Galadîner im
Schloſſe Laeken, ſowie das unter dem Vorſitze des Prinzen
Balduin ſtattgehabte Militärbankett verliefen in ſehr animirter
Weiſe und die fremden Officiere werden von ihrem Brüſſeler
Aufenthalt unſtreitig eine ſehr angenehme Erinnerung mit-
nehmen. — Die Reviſionsfrage fährt fort, das geſammte
politiſche Intereſſe in Belgien in Anſpruch zu nehmen.
Der Führer der Rechten, Staatsminiſter Woeſte, benutzt
die Zeit der Ausſchußberathungen zu einem entſcheidenden
Feldzug gegen die Verfaſſungsreviſion. Hr. Woeſte bietet ſeinen
ganzen Einfluß auf, um die in allen Kreiſen herrſchende Stim-
mung zu Gunſten der Verfaſſungsreviſion zu ändern, und hat
bereits an die katholiſchen Vereine des Königreichs die Weiſung
ergehen laſſen, Reſolutionen zu Gunſten der Aufrechthaltung
der gegenwärtigen Verfaſſung zu beſchließen und in Form von
Petitionen an die Kammer einzuſenden. Ein erheblicher Theil
der Rechten wird aber dem bisherigen unbeſtrittenen Führer
aller Wahrſcheinlichkeit nach die Heeresfolge verweigern. Die
liberale Linke hat für die nächſten Tage eine Verſammlung
der Abgeordneten einberufen, um eine Reviſionsformel aus-
zuarbeiten, auf Grund welcher die Verfaſſungsreviſion vor ſich
gehen ſoll. Wenn ein Theil der Rechten ſich der liberalen
Formel anſchließt, ſo iſt die Verfaſſungsreviſion geſichert. Jeden-
falls wird dieſe aber nicht vor Mai 1892 votirt werden, weil die
meiſten Abgeordneten, ſowohl von links wie von rechts, die gegen-
wärtige Kammer bis zum Ende ihres Mandates, d. h. bis Juni
1892 gelangen laſſen wollen. — Die Congo-Zollconferenz,
welche ſich im November vertagt hat, wird ſich demnächſt wieder
verſammeln und ihre Arbeiten zum gedeihlichen Abſchluſſe bringen.
Frankreich hat ſich bisher geweigert, einen beſtimmten Zollſatz
für die Waareneinfuhr am Congo — der Satz darf bekanntlich
10 Procent vom Werth nicht überſteigen — durch einen beſon-
deren Vertrag feſtſtellen zu laſſen, ſo daß eine Aenderung nur
wieder durch einen internationalen Vertrag möglich würde.
Vielmehr will ſich Frankreich die Regelung des Zollſatzes mit
der Congo-Regierung vorbehalten, um ihn je nach den Umſtän-
den ändern zu können. Nach längerem Widerſtande iſt die
Congo-Regierung darauf eingegangen, und da für die hollän-
diſchen Einfuhrartikel nur ein Zollſatz von 2 Procent feſtgeſetzt
wird, ſo hofft man, daß jetzt Holland den Congo-Zöllen bei-
treten wird. Die „Agence Havas“ meldete geſtern den Beitritt
ſchon als Thatſache. Zur Stunde, da dieſe Zeilen an Sie ab-
gehen, iſt jedoch die amtliche Notification dieſes Schrittes hier
noch nicht eingetroffen.

Frankreich.

Die Budgetdebatte iſt in der
Kammer beendet. Der Senat, welchem allerdings das Finanz-
geſetz erſt heute früh officiell zugegangen iſt, hat doch bereits
ſeit Wochen mit der Berathung der einzelnen Abſchnitte des-
ſelben in ſeinen Commiſſionen begonnen. Weſentliche Aus-



[Spaltenumbruch]

der gegen Norden eilte, und in der That, weder Sior Domenico,
noch ſeine Giovannina haben ihn jemals wieder geſehen.

Daß er nicht allzu häufig an die ſchöne Giovannina zurück-
dachte, daran hätte wohl kein Kenner der Umſtände gezweifelt.
Wäre ein ſolcher Zweifel entſtanden, ſo hätte er gegenüber
einem Schauſtück ſchweigen müſſen, welches wenige Monate
ſpäter die Einwohner eines kleinen Städtchens in Schrecken
verſetzte.

Man hatte den Pierino dorthin verwieſen, weil man der
von vielen Leuten getheilten Anſicht war, daß in Landſtädtchen
unternehmende Geiſter, wie Pierino, keinen Spielraum für ihre
Thaten finden. Auch an jenem Abend glitzerten Lichter auf den
Wellen. Es waren die Fackeln von Schiffern, welche nach einer
Frau ſuchten, die in den Strom geſprungen war. Das arme
Geſchöpf! Vor wenigen Monaten noch war ſie eine glückliche
Gattin und Mutter geweſen. Sie wäre es geblieben, wenn
damals der Dampfer ſeine Fahrt nicht nach Norden einge-
ſchlagen hätte. Nunmehr war eine von ihrem Verführer ver-
laſſene, von ihrem Manne verſtoßene Unglückliche in der kalten
Fluth geſtorben.

Während aber jenes Schauſtück dort am Meere als Chor
in der Hauptſache nur eine Anzahl ſchöner Damen hatte, welche
hinter den an die Verlaſſene gerichteten Troſtworten ihre Schaden-
freude verbargen, war diesmal Volk der Hintergrund. Es er-
tönten Verwünſchungen und geſchrieene Drohungen.

Wenige Tage ſpäter hatte ſich Pierino bei ſeinem Vor-
geſetzten in einer weit entlegenen Stadt zu melden. Sein Ein-
pfang war hier ein ſolcher, wie er durch die Verhältniſſe, welche
die Reiſe veranlaßten, bedingt war. Wunderbarerweiſe zeigte
nunmehr Pierino, daß ſich unter den zahlloſen Eigenſchaften,
mit denen er ausgeſtattet war, auch die befand, lange Zeit
nichts Befremdliches von ſich hören zu laſſen. Geredet wurde
aber doch von ihm — und wirklich war es kein Wunder, daß
dies geſchah. Nach dem, was vorhergegangen war, konnte
man es dem General nicht verargen, wenn er bei einer Muſte-
rung dem Pierino ſowohl, als den Leuten, die er zu unter-
richten hatte, eine beſonders hartnäckige, ja ſchier läſtige
Aufmerkſamkeit widmete. Aber man fand keinen Roſtfleck
[Spaltenumbruch] auf dieſem Schild, er war ſpiegelblank. Keine Mannſchaft war
ſo gedrillt, keine in den Suren ihres ſoldatiſchen Korans ſo be-
wandert, und keine wußte die Beſtandtheile des Gewehres ſo
ſchön herzuſagen, wie dieſe.

Der Calabreſe, der niemals in ſeinem Leben eine Eis-
fläche geſehen hatte, war ſofort der erſte Schlittſchuhläufer.
Und bald zeigte es ſich, daß die Herzen der Damen auf dieſem
kalten Spiegel nicht weniger leicht aufflammten, als jene
dort unten, wo die Granatblüthe unter der füdlichen Sonne
leuchtet.

Indeſſen wurde dieſe Eisfläche für den Helden unſrer Ge-
ſchichte allmählich zu einer ſchiefen Ebene.

Wir wollen ihm auf den einzelnen Stationen derſelben
nicht folgen, ſondern ihm zuſchauen, wie er einen langwierigen
Zimmerarreſt, den er für die Folgen allzu generöſer Auffaſſung
der Pflichten altadeliger Freigebigkeit verbüßt, eben verläßt.
Sein Vorgeſetzter hatte ihn darauf aufmerkſam gemacht, daß
dies die letzte Strafe ſei, die über ihn verhängt werde. Und
es war die letzte.

Der Krieg hatte ihm die Thüre ſeiner Gefangenſchaft ge-
öffnet. Schon rollten von Norden her die Geſchütze des Feindes
in die böhmiſche Ebene herab. Endlos wälzten ſich die Züge
der Krieger.

Es kam zu einer furchtbaren Schlacht. Reihe auf
Reihe ſank am Waldſaum unter den feindlichen Geſchoſſen.

Die Seinigen weichen einen Augenblick zurück. Da leuchtet
das Auge Pierino’s auf, wie es vielleicht in ſeinem Leben nie-
mals geleuchtet hatte. Er ruft:

„Seht, ihr Tedeschi, wie ein italieniſcher Edelmann ſtirbt!“

Im nächſten Augenblicke hatte eine Kugel ſeine Stirn
durchbohrt. Schön lag er dahingeſtreckt, und die kleinen,
weißen Zähne glänzten aus dem halbgeöffneten Mund und er
lächelte, wie er gelächelt hatte, als er von ſeiner Braut hinweg
in die Nacht des Meeres hinausfuhr, als er dort in dem
armen Städtlein die Drohungen des Volks vor ſeinem Hauſe
gehört hatte, und wie er zu lächeln pflegte, wenn er nach Ab-
legung ſeiner Sündenlaſt aus dem Beichtſtuhle trat.



[Spaltenumbruch]

ſtellungen wird das Oberhaus in dieſem Jahre nicht machen.
Principielle Fragen ſind entweder gar nicht oder nur in einem
Sinne zu erledigen, welcher zwiſchen dem „bedächtigen Alter“
und der „ſtürmiſcheren Jugend“ zu Differenzen nicht führen
kann. Der Staatshaushalt wird alſo vor Schluß des Jahres
Geſetz werden, wird am 1. Januar in Kraft treten, und die
gefürchteten proviſoriſchen Budgetzwölftel ſind für diesmal
glücklich vermieden. Die zweite Kammer hat, um das
zu erreichen, einen ganzen Monat Tag für Tag gear-
beitet. Jetzt hat ſie ſich für eine Woche vertagt. Er-
ſparniſſe ſind nicht gemacht worden, aber auch keine neuen
Schulden. Die in letzter Stunde beſchloſſene Anleihe ſchafft
nur längſt beſtehende Verpflichtungen unter Zinsreductionen
aus der Welt. Vom finanzpolitiſchen Standpunkt betrachtet,
bietet das Budget für 1891 zwei intereſſante Seiten; erſtens:
den Bruch mit der ſeit 1871 zum Dogma gewordenen Theorie,
daß die für die Landesvertheidigung übernommenen Laſten, auch
ſoweit ſie jährlich ſich wiederholender Natur ſind, alſo zweifellos
unter die laufenden Ausgaben gehören, nicht ganz der lebenden
Generation, ſondern zum Theil den kommenden Geſchlechtern
aufzubürden, d. h. daß ſie auf Anleihen zu übernehmen ſeien.
Zweitens enthält das Budget die Aufforderung an das Mi-
niſterium, verſchiedene Zweige der Verwaltung und Geſetzgebung
zu reformiren. Ich nenne hier nur die wichtigſten dieſer Re-
formen: Verringerung des Perſonals bei verſchiedenen Ver-
waltungen; Herabſetzung der Eifenbahntarife für Perſonen- und
Eilgutverkehr (um 30 Procent) und Abänderung der Geſetz-
gebung betreffs der Güter der todten Hand im Sinne einer
gerechteren Vertheilung der Erbſchafts-, bezw. Beſitzwechſelabgaben.
Eine dieſer dem Finanzminiſter octroyirten Verpflichtungen läuft
auf eine Erſparniß hinaus, zwei werden eine Verringerung
der Einnahmen ergeben. Die Erſparniß wird ſehr gering
ſein, der Einnahmeausfall namentlich aus den Eiſenbahn-
tarifen aber ſehr bedeutend. Das Budget für 1891 iſt außer-
dem nur auf dem Papier balancirt; ein Minus der in An-
ſchlag gebrachten (von der Kammer gegen die urſprünglichen
Anſätze erhöhten) Einnahmen iſt faſt mit Sicherheit zu er-
warten. Das Miniſterium iſt zwar nicht geſtürzt worden, ſo
hart es verſchiedentlich an den Abgrund gedrängt wurde, aber
die Stellung des Finanzminiſters und mit ihm die des Cabi-
netschefs iſt doch, theils durch die ſchwankende Haltung des
Miniſteriums ſelbſt, theils im Hinblick auf die Schwierigkeiten,
welche ſich bei Aufſtellung des nächſten Budgets ergeben
werden, ſtark erſchüttert. Die am meiſten berechtigt erſchei-
nende Annahme geht deßhalb dahin, daß der Rücktritt
Rouviers vor Beginn der Aufſtellungsarbeiten zu dem
Staatshaushalt von 1892 zu erwarten iſt, daß wahrſchein-
lich ein ganz neues Miniſterium mit mehr nach rechts ver-
ſchobener Tendenz gebildet werden, daß in dieſem Cabinet
Freycinet nicht den Vorſitz führen, aber als Kriegsminiſter ver-
bleiben, und daß wahrſcheinlich auch der Marineminiſter ſein
Portefeuille behalten wird. Trotz der Wichtigkeit, welche ſomit
die diesjährige Budgetdebatte, auch vom finanzpolitiſchen Stand-
punkt aus, hatte, liegt deren eigentliche Bedeutung doch auf
dem rein politiſchen Gebiete. Daß dem ſo iſt, haben die letzten
Stunden der geſtrigen Debatte zur Evidenz bewieſen. Ich
ſchrieb Ihnen bereits, die geſammte Rechte ſei wüthend wegen
der Haltung der Regierung und der Majorität in Sachen der
Beſteuerung der geiſtlichen Orden. Regierung und Majorität
werden von den Conſervativen beſchuldigt, trotz der ihnen von
verſchiedenen Elementen der Rechten angetragenen Verſöhnung
bei ihrer tendenziös antikirchlichen Haltung zu beharren und
damit jeden Friedensſchluß zwiſchen den zwei feindlichen Hälften
der franzöſiſchen Bevölkerung unmöglich zu machen. Dieſe
Anklage der Rechten fand in der geſtrigen Kammerſitzung ihren
officiellen Ausdruck. Gleichzeitig hat ſich die ganze Lage weſentlich
geklärt. Es geſchah dies hauptſächlich durch die Rede Caſſagnacs;
der alte Kämpe des Kaiſerreichs ſprach diesmal auch Namens
der Royaliſten; ſeine Ausführungen waren einerſeits ein elegi-
ſcher Grabgeſang für die monarchiſche Staatsform, andrerſeits
eine Abſage an Lavigerie. Caſſagnac erklärt den Uebertritt der
Rechten nicht mehr wie bisher für eine pure Unmöglichkeit, für
einen Act der Feigheit und des Verraths, aber er will den
Frontwechſel nicht, wie der Cardinal-Erzbiſchof von Algier, be-
dingungslos vornehmen, will eventuell wohl Republicaner
werden (aus Opportunismus wohlverſtanden), will ſich aber
der jetzigen republicaniſchen Mehrheit nicht auf Gnade und
Ungnade ergeben; er will die Monarchie, aber nicht die Kirche
opfern. Von dem Standpunkt Piou’s entfernt ſich Caſſagnac,
welcher geſtern ganz zweifellos im Namen der großen Mehrheit
der Conſervativen ſprach, dabei noch inſofern, als er als Be-
dingung für den Eintritt der bisherigen Monarchiſten in die
Republik nun fordert, daß zukünſtig den einzelnen Communen
überlaſſen bleiben ſoll, ob ſie den öffentlichen Schulunterricht
auf chriſtlicher Grundlage oder in den ſogenannten freien
Schulen ertheilen laſſen wollen, und daß der Staat nicht mehr
wie bisher dem Lande die confeſſionsloſe (religionsloſe) Schule
aufzwinge.

* Im 4. Unterzollausſchuß berichtete Jamais über die
Trauben- und Getränkezölle. Die Regierung ſchlägt 15,
bezw. 20 Fr. für 100 Kilo Roſinen vor. Die innere, dieſen
Sommer bewilligte Roſinen- und Roſinenweinſt euer von 12, bezw.
9 Fr. 60 Ct., ſoll neben dem Zoll auch künftig erhoben werden.
Für friſche Trauben nahm der Ausſchuß einen Zoll von 12, bezw.
15 Fr. an, die Regierungsvorlage hat nur 4, bezw. 5 Fr., für
Wein einen ſolchen von 70 Ct., bezw. 1 Fr. 10 Ct. für jeden
Grad Spiritusgehalt bis zu 10 Grad; höhergradige Weine werden
als Spiritus verzollt. Flaſchenweine ſollen einen Nachzoll von
20 Ct. für den Liter zahlen. Die Roſinen-, Zucker- und Träber-
weine ſollen ebenſo wie die Traubenweine verzollt werden. Eſſig
bis zu 8 Grad Eſſiggehalt ſoll 6 Fr., jeder Grad mehr je 1 Fr.
zahlen; Aepſelwein bis zu 6 Grad Spiritusgehalt 50 Ct., höher-
gradiger ſoll wie Spiritus behandelt werden.

Eine vom Kriegsminiſterium eröffnete Enquête zur Be-
rathung einer Aenderung in der Uniformirung der Cavallerie
hat ſich gegen die Einführung des Dolmans an Stelle des Waffen-
rocks ausgeſprochen.



Die Schulreform-Conferenz in Berlin.

Telegramm. Der „Reichs-Anz.“
meldet: „In der Conferenz zur Berathung von Fragen des höheren
Schulweſens kamen (wie ſchon im geſtrigen Abendblatt kurz tele-
graphiſch berichtet) gegen Schluß der geſtrigen Sitzung noch die
früher erörterten Fragen bezüglich der Einheitsſchule und des Lehr-
plans der Gymnaſien und der Realgymnaſien zur Abſtimmung.
Die Verſammlung ſprach ſich hiebei für folgende Sätze aus:
I. Es ſind in Zukunſt nur zwei Arten von höheren Schulen grund-
ſätzlich beizubehalten, nämlich Gymnaſien mit beiden alten Sprachen
und lateiniſche Schulen, oder Realſchule und höhere Bürgerſchule;
es iſt indeß zu wünſchen, daß für Städte, deren Realgymnaſien
in Wegfall kommen, nach den örtlichen Verhältniſſen ſchonende
Uebergangsformen gefunden und geſtattet werden. II. Ein ge-

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Balduin &#x017F;tattgehabte Militärbankett verliefen in &#x017F;ehr animirter<lb/>
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Der Führer der Rechten, Staatsmini&#x017F;ter Woe&#x017F;te, benutzt<lb/>
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&#x017F;päter die Einwohner eines kleinen Städtchens in Schrecken<lb/>
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Thaten finden. Auch an jenem Abend glitzerten Lichter auf den<lb/>
Wellen. Es waren die Fackeln von Schiffern, welche nach einer<lb/>
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&#x017F;o gedrillt, keine in den Suren ihres &#x017F;oldati&#x017F;chen Korans &#x017F;o be-<lb/>
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Für fri&#x017F;che Trauben nahm der Aus&#x017F;chuß einen Zoll von 12, bezw.<lb/>
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[2/0002] München, Sonntag Allgemeine Zeitung 14. December 1890. Morgenblatt Nr. 346. Geſuch eines Steuermanns wegen Zulaſſung zur Schifferprüfung, über Eingaben in Zoll- und Steuerangelegenheiten und über An- träge mehrerer penſionirter Reichsbeamten auf Erhöhung ihrer Penſionsbeträge Beſchluß gefaßt. ☿ Berlin, 12. Dec. Die amtliche Ueberſicht über die Zahl der bei dem Landheere und der Marine in dem Erjatzjahre 1890/91 eingeſtellten preußiſchen Mannſchaften mit Bezug auf ihre Schul- bildung beſtätigt aufs neue die Thatſache, daß von Jahr zu Jahr die allgemeine Schulbildung in erfreulichem Maße fortſchreitet, der- geſtalt, daß in abſehbarer Zeit von eingeſtellten Mannſchaften ohne ſolche kaum mehr die Rede ſein wird. Wenigſtens gilt dies von denjenigen Landestheilen, in denen die Bevölkerung rein deutſchredend iſt, während in den Landestheilen mit national-gemiſchter Bevölkerung die Allgemeinheit der Schulbildung nicht ſo raſch durch- geführt werden kann. In dem genannten Erſatzjahre ſind in Preußen im ganzen 102,990 Recruten eingeſtellt worden. Von dieſen waren nur 825 ohne Schulbildung, alſo 0,80 Proc. der Geſammtzahl, während in dem vorangegangenen Jahre dieſer Procentſatz noch 0,96 und noch ein Jahr früher 1,07 betrug. Die 825 Mann, von denen 807 für das Landheer und 18 für die Marine ausgehoben wurden, entſtammten faſt ausſchließlich den öſtlichen Provinzen der Monarchie. Im Regierungsbezirk Königs- berg waren 122 (2,36 Proc.), im Regierungsbezirk Gumbinnen 100 (2,60 Proc.), im Regierungsbezirk Danzig 62 (2,71 Proc.), im Regierungsbezirk Marienwerder 130 (3,67 Proc.), im Re- gierungsbezirk Poſen 194 (3,62 Proc.), im Regierungsbezirk Bromberg 42 (1,69 Proc.), im Regierungsbezirk Oppeln 109 (1,61 Proc.) Recruten ohne Schulbildung. In allen übrigen Regierungsbezirken der Monarchie kamen Recruten ohne Schul- bildung nur ganz vereinzelt vor, ſo daß vielfach nur von zufälligen Erſcheinungen die Rede ſein kann. Es wurden ſolche Recruten gezählt im Regierungsbezirk Potsdam 3 (0,05 Proc.), im Re- gierungsbezirk Frankfurt a. O. 8 (0,17 Proc.), im Regierungs- bezirk Stettin 3 (0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Cöslin 9 (0,38 Proc.), im Regierungsbezirk Stralſund 1 (0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Breslau 11 (0,18 Proc.), im Regierungs- bezirk Liegnitz 8 (0,21 Proc.), im Regierungsbezirk Magdeburg 4 (0,11 Proc.), im Regierungsbezirk Merſeburg 3 (0,09 Proc.), im Regierungsbezirk Schleswig 1 (0,03 Proc.), im Regierungs- bezirk Hannover 1 (0,06 Proc.), im Regierungsbezirk Stade 2 (0,20 Proc.), im Regierungsbezirk Arnsberg 1 (0,03 Proc.), im Regierungsbezirk Caſſel 5 (0,16 Proc.), im Regierungsbezirk Koblenz 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Düſſeldorf 2 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Köln 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk-Trier 1 (0,04 Proc.), im Regierungsbezirk Aachen 1 (0,05 Proc.). In den Regierungsbezirken Erfurt, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Aurich, Münſter, Minden, Wiesbaden und Sigmaringen kam in dem letzten Erſatzjahr der Fall überhaupt nicht vor, daß ein eingeſtellter Recrut ohne Schul- bildung war. n. Metz, 11. Dec. In der Stöckel’ſchen Landes- verrathsangelegenheit kann ich Ihnen auf Grund zuver- läſſiger Informationen mittheilen, daß die Vorunterſuchung gegen den unter dem Verdachte des Landesverraths verhafteten Ludwig Stöckel noch nicht beendet iſt. Das Reichsgericht kann erſt in einigen Wochen in der Lage ſein, über das Ergebniß der Vor- unterſuchung Beſchluß zu faſſen, und es wird ſich dann erſt ent- ſcheiden, ob der Fall Stöckel in Leipzig oder vor der Metzer Straf- kammer zur Aburtheilung gelangt. Da das Geſetzbuch vorbereitende Handlungen zum Landesverrath nicht unter Strafe ſtellt, ſo wird ſich Stöckel, falls er des Landesverraths nicht überführt werden ſollte, wegen Beiſeiteſchaffung amtlich ihm anvertrauter Documente zu verantworten haben. Auf keinen Fall dürfte er frei ausgehen. Vorausſichtlich wird früheſtens im Februar das Urtheil geſprochen werden. (Wir benutzen dieſen Anlaß, um der „Lothr. Ztg.“ zu verſichern, daß der Hinweis auf die „Naivetät“ der Preſſe in militäriſchen Dingen, in unſrer jüngſten Mittheilung über den in Rede ſtehenden Fall, nach der Stellung des Hrn. Verfaſſers den Metzer Zeitungen ſchwerlich gegolten haben ſoll. D. R.) Schweiz.  Bern, 11. Dec. In der heutigen gemeinſamen Sitzung beider Räthe behufs Neuwahl des Bundes- raths für die mit dem 1. Januar beginnende neue, drei Jahre dauernde Amtsperiode der Bundesexecutive waren 139 Nationalräthe und 42 Ständeräthe anweſend. Die Sitzung wurde mit der Verleſung der Schreiben des Bundesraths Hammer und des Bundesrichters Roguin eröffnet, welche ihre Wiederwahl in den Bundesrath und in das Bundesgericht ablehnten. Die Ver- dienſte beider Herren wurden von der Verſammlung auf Antrag des Präſidiums durch Erheben von den Sitzen anerkannt. Die Wahl der einzelnen Bundesräthe ſand dann der Reihe nach, wie folgt, ſtatt, indem, außer Bundesrath Hammer, die übrigen 6 Bundes- räthe ſämmtlich in einem Wahlgange wiedergewählt wurden: Schenk mit 149 von 177, Welti mit 149 von 177, Ruchon- net mit 146 von 176, Droz mit 148 von 175, Deucher mit 149 von 178 und Hauſer mit 142 von 180 Stimmen. Ebenſo war auch für den ſiebenten Bundesrath an Stelle des ausgetre- tenen Bundesraths Hammer nur ein Wahlgang nöthig, obſchon das Centrum und die ultramontane Rechte einen gemeinſamen Candi- daten, Hrn. Bundesrichter Kopp von Luzern, für denſelben auf- geſtellt hatten, dem gegenüber von den Liberalen und Radicalen Nationalrath Oberſt Frey, der ehemalige Geſandte in Waſhington, gegenwärtig Redacteur der Baſeler „National-Zeitung“, portirt war. Dieſer ging mit 94 gegen 77 Stimmen, welche Kopp er- hielt, aus der Wahlurne hervor. Frey dankte ſofort für die Wahl und erklärte ihre Annahme. Als Bundespräſident für 1891 wurde übungsgemäß der ſeitherige Bundesvicepräſident Welti gewählt, und für dieſen als Vicepräſident Hauſer, beide in Uebereinſtim- mung der Parteien, und ebenſo wurde der ſeitherige Kanzler Ringier für weitere 3 Jahre in ſeinem Amte beſtätigt. Die Bundesräthe und der Kanzler wurden ſofort vereidigt. Belgien. □ Brüſſel, 12. Dec. Mit gewohnter Leutſeligkeit em- pfing König Leopold II. geſtern im Schloſſe Laeken die Offi- ciersdeputationen des in Colmar ſtationirten 14. preußi- ſchen Dragonerregiments und des in Graz ſtationirten 27. öſterreichiſchen Linien-Infanterieregiments, deren Inhaber der König ſeit 10. Dec. 1865 iſt. Die beiden Oberſten v. Bach- meyer und v. Pinter waren dem Monarchen von ſeinem Auf- enthalt in Berlin und Wien bekannt, die übrigen Officiere wurden durch den deutſchen Geſandten Grafen Alvensleben und den öſterreich-ungariſchen Geſandten Grafen Khevenhüller vorgeſtellt. Die preußiſchen Officiere überreichten der Königin Marie Henriette ein prachtvolles Bouquet. Das Galadîner im Schloſſe Laeken, ſowie das unter dem Vorſitze des Prinzen Balduin ſtattgehabte Militärbankett verliefen in ſehr animirter Weiſe und die fremden Officiere werden von ihrem Brüſſeler Aufenthalt unſtreitig eine ſehr angenehme Erinnerung mit- nehmen. — Die Reviſionsfrage fährt fort, das geſammte politiſche Intereſſe in Belgien in Anſpruch zu nehmen. Der Führer der Rechten, Staatsminiſter Woeſte, benutzt die Zeit der Ausſchußberathungen zu einem entſcheidenden Feldzug gegen die Verfaſſungsreviſion. Hr. Woeſte bietet ſeinen ganzen Einfluß auf, um die in allen Kreiſen herrſchende Stim- mung zu Gunſten der Verfaſſungsreviſion zu ändern, und hat bereits an die katholiſchen Vereine des Königreichs die Weiſung ergehen laſſen, Reſolutionen zu Gunſten der Aufrechthaltung der gegenwärtigen Verfaſſung zu beſchließen und in Form von Petitionen an die Kammer einzuſenden. Ein erheblicher Theil der Rechten wird aber dem bisherigen unbeſtrittenen Führer aller Wahrſcheinlichkeit nach die Heeresfolge verweigern. Die liberale Linke hat für die nächſten Tage eine Verſammlung der Abgeordneten einberufen, um eine Reviſionsformel aus- zuarbeiten, auf Grund welcher die Verfaſſungsreviſion vor ſich gehen ſoll. Wenn ein Theil der Rechten ſich der liberalen Formel anſchließt, ſo iſt die Verfaſſungsreviſion geſichert. Jeden- falls wird dieſe aber nicht vor Mai 1892 votirt werden, weil die meiſten Abgeordneten, ſowohl von links wie von rechts, die gegen- wärtige Kammer bis zum Ende ihres Mandates, d. h. bis Juni 1892 gelangen laſſen wollen. — Die Congo-Zollconferenz, welche ſich im November vertagt hat, wird ſich demnächſt wieder verſammeln und ihre Arbeiten zum gedeihlichen Abſchluſſe bringen. Frankreich hat ſich bisher geweigert, einen beſtimmten Zollſatz für die Waareneinfuhr am Congo — der Satz darf bekanntlich 10 Procent vom Werth nicht überſteigen — durch einen beſon- deren Vertrag feſtſtellen zu laſſen, ſo daß eine Aenderung nur wieder durch einen internationalen Vertrag möglich würde. Vielmehr will ſich Frankreich die Regelung des Zollſatzes mit der Congo-Regierung vorbehalten, um ihn je nach den Umſtän- den ändern zu können. Nach längerem Widerſtande iſt die Congo-Regierung darauf eingegangen, und da für die hollän- diſchen Einfuhrartikel nur ein Zollſatz von 2 Procent feſtgeſetzt wird, ſo hofft man, daß jetzt Holland den Congo-Zöllen bei- treten wird. Die „Agence Havas“ meldete geſtern den Beitritt ſchon als Thatſache. Zur Stunde, da dieſe Zeilen an Sie ab- gehen, iſt jedoch die amtliche Notification dieſes Schrittes hier noch nicht eingetroffen. Frankreich. Ǝ Paris, 11. Dec. Die Budgetdebatte iſt in der Kammer beendet. Der Senat, welchem allerdings das Finanz- geſetz erſt heute früh officiell zugegangen iſt, hat doch bereits ſeit Wochen mit der Berathung der einzelnen Abſchnitte des- ſelben in ſeinen Commiſſionen begonnen. Weſentliche Aus- der gegen Norden eilte, und in der That, weder Sior Domenico, noch ſeine Giovannina haben ihn jemals wieder geſehen. Daß er nicht allzu häufig an die ſchöne Giovannina zurück- dachte, daran hätte wohl kein Kenner der Umſtände gezweifelt. Wäre ein ſolcher Zweifel entſtanden, ſo hätte er gegenüber einem Schauſtück ſchweigen müſſen, welches wenige Monate ſpäter die Einwohner eines kleinen Städtchens in Schrecken verſetzte. Man hatte den Pierino dorthin verwieſen, weil man der von vielen Leuten getheilten Anſicht war, daß in Landſtädtchen unternehmende Geiſter, wie Pierino, keinen Spielraum für ihre Thaten finden. Auch an jenem Abend glitzerten Lichter auf den Wellen. Es waren die Fackeln von Schiffern, welche nach einer Frau ſuchten, die in den Strom geſprungen war. Das arme Geſchöpf! Vor wenigen Monaten noch war ſie eine glückliche Gattin und Mutter geweſen. Sie wäre es geblieben, wenn damals der Dampfer ſeine Fahrt nicht nach Norden einge- ſchlagen hätte. Nunmehr war eine von ihrem Verführer ver- laſſene, von ihrem Manne verſtoßene Unglückliche in der kalten Fluth geſtorben. Während aber jenes Schauſtück dort am Meere als Chor in der Hauptſache nur eine Anzahl ſchöner Damen hatte, welche hinter den an die Verlaſſene gerichteten Troſtworten ihre Schaden- freude verbargen, war diesmal Volk der Hintergrund. Es er- tönten Verwünſchungen und geſchrieene Drohungen. Wenige Tage ſpäter hatte ſich Pierino bei ſeinem Vor- geſetzten in einer weit entlegenen Stadt zu melden. Sein Ein- pfang war hier ein ſolcher, wie er durch die Verhältniſſe, welche die Reiſe veranlaßten, bedingt war. Wunderbarerweiſe zeigte nunmehr Pierino, daß ſich unter den zahlloſen Eigenſchaften, mit denen er ausgeſtattet war, auch die befand, lange Zeit nichts Befremdliches von ſich hören zu laſſen. Geredet wurde aber doch von ihm — und wirklich war es kein Wunder, daß dies geſchah. Nach dem, was vorhergegangen war, konnte man es dem General nicht verargen, wenn er bei einer Muſte- rung dem Pierino ſowohl, als den Leuten, die er zu unter- richten hatte, eine beſonders hartnäckige, ja ſchier läſtige Aufmerkſamkeit widmete. Aber man fand keinen Roſtfleck auf dieſem Schild, er war ſpiegelblank. Keine Mannſchaft war ſo gedrillt, keine in den Suren ihres ſoldatiſchen Korans ſo be- wandert, und keine wußte die Beſtandtheile des Gewehres ſo ſchön herzuſagen, wie dieſe. Der Calabreſe, der niemals in ſeinem Leben eine Eis- fläche geſehen hatte, war ſofort der erſte Schlittſchuhläufer. Und bald zeigte es ſich, daß die Herzen der Damen auf dieſem kalten Spiegel nicht weniger leicht aufflammten, als jene dort unten, wo die Granatblüthe unter der füdlichen Sonne leuchtet. Indeſſen wurde dieſe Eisfläche für den Helden unſrer Ge- ſchichte allmählich zu einer ſchiefen Ebene. Wir wollen ihm auf den einzelnen Stationen derſelben nicht folgen, ſondern ihm zuſchauen, wie er einen langwierigen Zimmerarreſt, den er für die Folgen allzu generöſer Auffaſſung der Pflichten altadeliger Freigebigkeit verbüßt, eben verläßt. Sein Vorgeſetzter hatte ihn darauf aufmerkſam gemacht, daß dies die letzte Strafe ſei, die über ihn verhängt werde. Und es war die letzte. Der Krieg hatte ihm die Thüre ſeiner Gefangenſchaft ge- öffnet. Schon rollten von Norden her die Geſchütze des Feindes in die böhmiſche Ebene herab. Endlos wälzten ſich die Züge der Krieger. Es kam zu einer furchtbaren Schlacht. Reihe auf Reihe ſank am Waldſaum unter den feindlichen Geſchoſſen. Die Seinigen weichen einen Augenblick zurück. Da leuchtet das Auge Pierino’s auf, wie es vielleicht in ſeinem Leben nie- mals geleuchtet hatte. Er ruft: „Seht, ihr Tedeschi, wie ein italieniſcher Edelmann ſtirbt!“ Im nächſten Augenblicke hatte eine Kugel ſeine Stirn durchbohrt. Schön lag er dahingeſtreckt, und die kleinen, weißen Zähne glänzten aus dem halbgeöffneten Mund und er lächelte, wie er gelächelt hatte, als er von ſeiner Braut hinweg in die Nacht des Meeres hinausfuhr, als er dort in dem armen Städtlein die Drohungen des Volks vor ſeinem Hauſe gehört hatte, und wie er zu lächeln pflegte, wenn er nach Ab- legung ſeiner Sündenlaſt aus dem Beichtſtuhle trat. ſtellungen wird das Oberhaus in dieſem Jahre nicht machen. Principielle Fragen ſind entweder gar nicht oder nur in einem Sinne zu erledigen, welcher zwiſchen dem „bedächtigen Alter“ und der „ſtürmiſcheren Jugend“ zu Differenzen nicht führen kann. Der Staatshaushalt wird alſo vor Schluß des Jahres Geſetz werden, wird am 1. Januar in Kraft treten, und die gefürchteten proviſoriſchen Budgetzwölftel ſind für diesmal glücklich vermieden. Die zweite Kammer hat, um das zu erreichen, einen ganzen Monat Tag für Tag gear- beitet. Jetzt hat ſie ſich für eine Woche vertagt. Er- ſparniſſe ſind nicht gemacht worden, aber auch keine neuen Schulden. Die in letzter Stunde beſchloſſene Anleihe ſchafft nur längſt beſtehende Verpflichtungen unter Zinsreductionen aus der Welt. Vom finanzpolitiſchen Standpunkt betrachtet, bietet das Budget für 1891 zwei intereſſante Seiten; erſtens: den Bruch mit der ſeit 1871 zum Dogma gewordenen Theorie, daß die für die Landesvertheidigung übernommenen Laſten, auch ſoweit ſie jährlich ſich wiederholender Natur ſind, alſo zweifellos unter die laufenden Ausgaben gehören, nicht ganz der lebenden Generation, ſondern zum Theil den kommenden Geſchlechtern aufzubürden, d. h. daß ſie auf Anleihen zu übernehmen ſeien. Zweitens enthält das Budget die Aufforderung an das Mi- niſterium, verſchiedene Zweige der Verwaltung und Geſetzgebung zu reformiren. Ich nenne hier nur die wichtigſten dieſer Re- formen: Verringerung des Perſonals bei verſchiedenen Ver- waltungen; Herabſetzung der Eifenbahntarife für Perſonen- und Eilgutverkehr (um 30 Procent) und Abänderung der Geſetz- gebung betreffs der Güter der todten Hand im Sinne einer gerechteren Vertheilung der Erbſchafts-, bezw. Beſitzwechſelabgaben. Eine dieſer dem Finanzminiſter octroyirten Verpflichtungen läuft auf eine Erſparniß hinaus, zwei werden eine Verringerung der Einnahmen ergeben. Die Erſparniß wird ſehr gering ſein, der Einnahmeausfall namentlich aus den Eiſenbahn- tarifen aber ſehr bedeutend. Das Budget für 1891 iſt außer- dem nur auf dem Papier balancirt; ein Minus der in An- ſchlag gebrachten (von der Kammer gegen die urſprünglichen Anſätze erhöhten) Einnahmen iſt faſt mit Sicherheit zu er- warten. Das Miniſterium iſt zwar nicht geſtürzt worden, ſo hart es verſchiedentlich an den Abgrund gedrängt wurde, aber die Stellung des Finanzminiſters und mit ihm die des Cabi- netschefs iſt doch, theils durch die ſchwankende Haltung des Miniſteriums ſelbſt, theils im Hinblick auf die Schwierigkeiten, welche ſich bei Aufſtellung des nächſten Budgets ergeben werden, ſtark erſchüttert. Die am meiſten berechtigt erſchei- nende Annahme geht deßhalb dahin, daß der Rücktritt Rouviers vor Beginn der Aufſtellungsarbeiten zu dem Staatshaushalt von 1892 zu erwarten iſt, daß wahrſchein- lich ein ganz neues Miniſterium mit mehr nach rechts ver- ſchobener Tendenz gebildet werden, daß in dieſem Cabinet Freycinet nicht den Vorſitz führen, aber als Kriegsminiſter ver- bleiben, und daß wahrſcheinlich auch der Marineminiſter ſein Portefeuille behalten wird. Trotz der Wichtigkeit, welche ſomit die diesjährige Budgetdebatte, auch vom finanzpolitiſchen Stand- punkt aus, hatte, liegt deren eigentliche Bedeutung doch auf dem rein politiſchen Gebiete. Daß dem ſo iſt, haben die letzten Stunden der geſtrigen Debatte zur Evidenz bewieſen. Ich ſchrieb Ihnen bereits, die geſammte Rechte ſei wüthend wegen der Haltung der Regierung und der Majorität in Sachen der Beſteuerung der geiſtlichen Orden. Regierung und Majorität werden von den Conſervativen beſchuldigt, trotz der ihnen von verſchiedenen Elementen der Rechten angetragenen Verſöhnung bei ihrer tendenziös antikirchlichen Haltung zu beharren und damit jeden Friedensſchluß zwiſchen den zwei feindlichen Hälften der franzöſiſchen Bevölkerung unmöglich zu machen. Dieſe Anklage der Rechten fand in der geſtrigen Kammerſitzung ihren officiellen Ausdruck. Gleichzeitig hat ſich die ganze Lage weſentlich geklärt. Es geſchah dies hauptſächlich durch die Rede Caſſagnacs; der alte Kämpe des Kaiſerreichs ſprach diesmal auch Namens der Royaliſten; ſeine Ausführungen waren einerſeits ein elegi- ſcher Grabgeſang für die monarchiſche Staatsform, andrerſeits eine Abſage an Lavigerie. Caſſagnac erklärt den Uebertritt der Rechten nicht mehr wie bisher für eine pure Unmöglichkeit, für einen Act der Feigheit und des Verraths, aber er will den Frontwechſel nicht, wie der Cardinal-Erzbiſchof von Algier, be- dingungslos vornehmen, will eventuell wohl Republicaner werden (aus Opportunismus wohlverſtanden), will ſich aber der jetzigen republicaniſchen Mehrheit nicht auf Gnade und Ungnade ergeben; er will die Monarchie, aber nicht die Kirche opfern. Von dem Standpunkt Piou’s entfernt ſich Caſſagnac, welcher geſtern ganz zweifellos im Namen der großen Mehrheit der Conſervativen ſprach, dabei noch inſofern, als er als Be- dingung für den Eintritt der bisherigen Monarchiſten in die Republik nun fordert, daß zukünſtig den einzelnen Communen überlaſſen bleiben ſoll, ob ſie den öffentlichen Schulunterricht auf chriſtlicher Grundlage oder in den ſogenannten freien Schulen ertheilen laſſen wollen, und daß der Staat nicht mehr wie bisher dem Lande die confeſſionsloſe (religionsloſe) Schule aufzwinge. * Im 4. Unterzollausſchuß berichtete Jamais über die Trauben- und Getränkezölle. Die Regierung ſchlägt 15, bezw. 20 Fr. für 100 Kilo Roſinen vor. Die innere, dieſen Sommer bewilligte Roſinen- und Roſinenweinſt euer von 12, bezw. 9 Fr. 60 Ct., ſoll neben dem Zoll auch künftig erhoben werden. Für friſche Trauben nahm der Ausſchuß einen Zoll von 12, bezw. 15 Fr. an, die Regierungsvorlage hat nur 4, bezw. 5 Fr., für Wein einen ſolchen von 70 Ct., bezw. 1 Fr. 10 Ct. für jeden Grad Spiritusgehalt bis zu 10 Grad; höhergradige Weine werden als Spiritus verzollt. Flaſchenweine ſollen einen Nachzoll von 20 Ct. für den Liter zahlen. Die Roſinen-, Zucker- und Träber- weine ſollen ebenſo wie die Traubenweine verzollt werden. Eſſig bis zu 8 Grad Eſſiggehalt ſoll 6 Fr., jeder Grad mehr je 1 Fr. zahlen; Aepſelwein bis zu 6 Grad Spiritusgehalt 50 Ct., höher- gradiger ſoll wie Spiritus behandelt werden. Eine vom Kriegsminiſterium eröffnete Enquête zur Be- rathung einer Aenderung in der Uniformirung der Cavallerie hat ſich gegen die Einführung des Dolmans an Stelle des Waffen- rocks ausgeſprochen. Die Schulreform-Conferenz in Berlin. * Berlin, 13. Dec. Telegramm. Der „Reichs-Anz.“ meldet: „In der Conferenz zur Berathung von Fragen des höheren Schulweſens kamen (wie ſchon im geſtrigen Abendblatt kurz tele- graphiſch berichtet) gegen Schluß der geſtrigen Sitzung noch die früher erörterten Fragen bezüglich der Einheitsſchule und des Lehr- plans der Gymnaſien und der Realgymnaſien zur Abſtimmung. Die Verſammlung ſprach ſich hiebei für folgende Sätze aus: I. Es ſind in Zukunſt nur zwei Arten von höheren Schulen grund- ſätzlich beizubehalten, nämlich Gymnaſien mit beiden alten Sprachen und lateiniſche Schulen, oder Realſchule und höhere Bürgerſchule; es iſt indeß zu wünſchen, daß für Städte, deren Realgymnaſien in Wegfall kommen, nach den örtlichen Verhältniſſen ſchonende Uebergangsformen gefunden und geſtattet werden. II. Ein ge-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine346_1890/2>, abgerufen am 03.12.2024.