Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890.Nr. 346. -- 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Sonntag, 14. December 1890.[Spaltenumbruch] Abonnementspreis Allgemeine Zeitung. Insertionspreis Redaktion u. Expedi- tion befinden sich Schwanthalerstr. 73 in München. Berichte sind an die Redaktion, Inserat- aufträge an die Ex- pedition franko einzu- senden.[Spaltenumbruch] Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Sir. London: für Frankreich, Inseratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerstraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln, Mit Bayerischer Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern. [Spaltenumbruch] Inhalts-Uebersicht. Deutsch-österreichische Zollconferenzen sonst und jetzt. Deutsches Reich. * Berlin: Bundesrath. Schulbildung der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel. Schweiz. @ Bern: Wahl des Bundesraths. Belgien. # Brüssel: Die preußische und österreichische Officiers- deputation beim König. Die Revisionsfrage. Zur Congo-Zoll- conferenz. Frankreich. r Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie. Die Schulreform-Conferenz in Berlin. Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noe. (Schluß.) Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt. München, 13. December. Deutsch-österreichische Zollconferenzen sonst und jetzt. -y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien Wie ganz anders sind die Verhältnisse, unter welchen jetzt Und auch auf der anderen Seite hat sich eine bedeutsame Der politische Kampf um die Vormacht in Deutschland ist Auch in dem sachlichen Ziele der Bestrebungen besteht. der Die jetzigen Conferenzen sind nicht durch die Wucht formu- Deutsches Reich. * Berlin. 12. Dec. Der Bundesrath ertheilte in der [Spaltenumbruch] Feuilleton. (Nachdruck verboten.) Alcibiades. (Schluß.) * Pierino war in seinem Leben niemals verlegen oder blöd Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entschluß, Und so geschah es. Nach wenigen Tagen traf die ge- Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedestal, Wenn er über den Corso ging, blieben alle Müßiggänger Darum verursachte es wohl große Aufregung, aber Das Mädchen selbst trug allenthalben die Freudennach- "Sior Domenico" führte den jungen Herrn in seiner Wenn ihm seine ernsten Kameraden die eine oder andere Es schien aber, als ob dem Herrn Obersten diese im Regi- Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hause Sior Dome- Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe Unter diesen Lichtern, welche hin und her schwankten, waren "Es ist der Dampfer; er wird eine schöne Fahrt haben", In diesem Augenblick sagte drinnen der Oberst: "Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus- Indessen sollte Pierino in drei Wochen zurück sein. Der Pierino hatte sich von einem Kalligraphen in Palermo, auf Aus diesem Grunde saß Pierino jetzt auf dem Dampfer, Nr. 346. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Sonntag, 14. December 1890.[Spaltenumbruch] Abonnementspreis Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis Redaktion u. Expedi- tion befinden ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko einzu- ſenden.[Spaltenumbruch] Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Sir. London: für Frankreich, Inſeratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln, Mit Bayeriſcher Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern. [Spaltenumbruch] Inhalts-Ueberſicht. Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt. Deutſches Reich. * Berlin: Bundesrath. ☿ Schulbildung der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel. Schweiz.  Bern: Wahl des Bundesraths. Belgien. □ Brüſſel: Die preußiſche und öſterreichiſche Officiers- deputation beim König. Die Reviſionsfrage. Zur Congo-Zoll- conferenz. Frankreich. ᕒ Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie. Die Schulreform-Conferenz in Berlin. Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noé. (Schluß.) ☛ Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt. München, 13. December. Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt. -y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien Wie ganz anders ſind die Verhältniſſe, unter welchen jetzt Und auch auf der anderen Seite hat ſich eine bedeutſame Der politiſche Kampf um die Vormacht in Deutſchland iſt Auch in dem ſachlichen Ziele der Beſtrebungen beſteht. der Die jetzigen Conferenzen ſind nicht durch die Wucht formu- Deutſches Reich. * Berlin. 12. Dec. Der Bundesrath ertheilte in der [Spaltenumbruch] Feuilleton. (Nachdruck verboten.) Alcibiades. (Schluß.) * Pierino war in ſeinem Leben niemals verlegen oder blöd Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entſchluß, Und ſo geſchah es. Nach wenigen Tagen traf die ge- Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedeſtal, Wenn er über den Corſo ging, blieben alle Müßiggänger Darum verurſachte es wohl große Aufregung, aber Das Mädchen ſelbſt trug allenthalben die Freudennach- „Sior Domenico“ führte den jungen Herrn in ſeiner Wenn ihm ſeine ernſten Kameraden die eine oder andere Es ſchien aber, als ob dem Herrn Oberſten dieſe im Regi- Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hauſe Sior Dome- Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe Unter dieſen Lichtern, welche hin und her ſchwankten, waren „Es iſt der Dampfer; er wird eine ſchöne Fahrt haben“, In dieſem Augenblick ſagte drinnen der Oberſt: „Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus- Indeſſen ſollte Pierino in drei Wochen zurück ſein. Der Pierino hatte ſich von einem Kalligraphen in Palermo, auf Aus dieſem Grunde ſaß Pierino jetzt auf dem Dampfer, <TEI> <text> <pb facs="#f0001"/> <front> <titlePage type="heading"> <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 346. — 92. Jahrgang.</hi> </docDate> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Morgenblatt.</hi> </titlePart> </docTitle> <docDate><hi rendition="#b">München, Sonntag,</hi> 14. December 1890.</docDate> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jExpedition" n="1"> <p>Abonnementspreis<lb/> in München b. d. Ex-<lb/> pedition oder den im<lb/> Stadtbezirk errichte-<lb/> ten Depots abgeholt<lb/> monatl. M. 2.—, bei<lb/> 2malig. Zuſtellung ins<lb/> Haus M. 2.50; durch<lb/> d. <hi rendition="#g">Poſt</hi> bezogen: vier-<lb/> teljährlich ſ. Deutſchl.<lb/> u. Oeſterreich M. 9.—,<lb/> für d. Ausl. mit ent-<lb/> ſprechendem Zuſchlag.<lb/><hi rendition="#g">Direkter</hi> Bezug<lb/> unter Streifband für<lb/> Deutſchland<lb/> a. 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London: für Frankreich,<lb/> Portugal und Spanien A. <hi rendition="#g">Ammel</hi> und C. <hi rendition="#g">Klinckſieck</hi> in Paris; für Italien H. <hi rendition="#g">Loeſcher</hi> und <hi rendition="#g">Frat.<lb/> Bocca</hi> in Turin, Florenz und Rom. U. <hi rendition="#g">Hoevli</hi> in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt-<lb/> amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. <hi rendition="#g">Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert,</hi><lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency,</hi> 710 Broadway, in New York.<lb/> Verankwortlicher Rebakteur: <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Hugo Jacobi</hi></hi> in München.</hi></p><lb/> <cb/> <figure/> <cb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#b">Inſeratenannahme</hi> in München b. d. Erpedition, <hi rendition="#b">Schwanthalerſtraße 73,</hi> ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln,<lb/> Leivzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnbera, Wien, Paris, London. Zürich, Baſel ꝛc. b. d Annoncenbureaur G. L. <hi rendition="#g">Daube<lb/> u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe.</hi> In den Filialen der Zeitungsbureaur <hi rendition="#g">Invalidendank</hi> zu Berlin,<lb/> Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. <hi rendition="#g">Arndt</hi> (Mohrenſtr. 26) und S. <hi rendition="#g">Kornik</hi> (Krauſenſtr. 12),<lb/> Hamburg bei W. <hi rendition="#g">Wilckens u. Ad. Steiner,</hi> New York bei der <hi rendition="#g">Intern. Publiſhing Agency,</hi> 710 Broadway.<lb/><hi rendition="#c">Druck und Verlag der <hi rendition="#b">J. G. <hi rendition="#g">Cotta</hi></hi>’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.</hi></p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Mit Bayeriſcher Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern.</hi> </p> </div> </front> <body><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="contents" n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Inhalts-Ueberſicht.</hi> </hi> </head><lb/> <list> <item> <hi rendition="#b">Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt.</hi> </item><lb/> <item><hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> * <hi rendition="#g">Berlin:</hi> Bundesrath. ☿ Schulbildung<lb/> der Recruten in Preußen. <hi rendition="#aq">n.</hi> <hi rendition="#g">Metz:</hi> Proceß Stöckel.</item><lb/> <item><hi rendition="#b">Schweiz.</hi>  <hi rendition="#g">Bern:</hi> Wahl des Bundesraths.</item><lb/> <item><hi rendition="#b">Belgien.</hi> □ <hi rendition="#g">Brüſſel:</hi> Die preußiſche und öſterreichiſche Officiers-<lb/> deputation beim König. Die Reviſionsfrage. 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December.</dateline><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt<lb/> und jetzt.</hi> </hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#aq">-y-</hi> Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien<lb/> zwiſchen den deutſchen, öſterreichiſchen und ungariſchen Dele-<lb/> girten legen einen vergleichenden Rückblick auf die Wiener<lb/> Zollconferenzen vom Jahre 1852 nahe. Oeſterreich hatte mit<lb/> Schreiben vom 25. Nov. 1851 die Regierungen ſämmtlicher<lb/> deutſcher Bundesſtaaten zu einer am 2. Jan. 1852 zu eröffnen-<lb/> den Zuſammenkunft eingeladen. Preußen, die thüringiſchen<lb/> Staaten, Mecklenburg und Holſtein folgten der Einladung nicht.<lb/> Als Miniſterpräſident Fürſt Schwarzenberg am 4. Jan. 1852<lb/> die Mitglieder der Conferenz begrüßte, konnte er nicht umhin,<lb/> hervorzuheben, wie die kaiſerliche Regierung nicht der Anſicht<lb/> ſei, daß ſchon in der gegenwärtigen Zuſammenkunft, in welcher<lb/> „ſo manche wichtige Theile Deutſchlands“ nicht vertreten ſeien,<lb/> endgültige Beſchlüſſe gefaßt werden ſollten. Ueberhaupt über-<lb/> wiegt in der hiſtoriſch bedeutſamen Eröffnungsrede des Fürſten<lb/> Schwarzenberg das negative und volemiſche Element. Zwar<lb/> wird der poſitive Zweck der Verhandlungen zunächſt mit Ent-<lb/> ſchiedenheit vorausgeſtellt; dieſer Zweck iſt „kein anderer, als<lb/> jener, womöglich die geeigneten Verabredungen zum Behufe<lb/> eines die künftige Handels- und Zolleinigung Deutſchlands und<lb/> Oeſterreichs vorbereitenden und deren Verwirklichung ſicher-<lb/> ſtellenden Vertrags zu treffen“. Das charakteriſtiſche „kein<lb/> anderer“ dieſes Satzes findet ſofort ſeine weitere Ausſpinnung<lb/> in dem folgenden Satze, in welchem Fürſt Schwarzenberg her-<lb/> vorhebt, es werde an manchem Orte noch zur Stunde die<lb/> Beſorgniß gehegt, daß Oeſterreich außer dem von ihm laut<lb/> verkündeten Zwecke auch noch andere zu erreichen ſtrebe,<lb/> oder daß doch wenigſtens die Durchführung der öſterreichi-<lb/> ſchen Abſichten die bisherigen handelspolitiſchen Verbindungen<lb/> in ihrem Fortbeſtand unfehlbar würde gefährden müſſen. Mit<lb/> großer Vorſicht vermeidet der öſterreichiſche Miniſterpräſident<lb/> die Betonung der neben den handelspolitiſchen Erwägungen<lb/> beſtehenden politiſchen Intereſſen, wohl empfindend, daß in<lb/> dem damals noch mangelnden Austrag der Frage, wer die<lb/> deutſche Vormacht ſein ſolle, die größte Schwierigkeit der Ver-<lb/> knüpfung politiſcher und handelspolitiſcher Intereſſen lag.<lb/> Das politiſche Intereſſe Oeſterreichs wird ſogar in gewiſſem<lb/><cb/> Sinne verhüllt, wenn der Fürſt hervorhebt, Oeſterreich könne<lb/> ſich nach ſeinen volkswirthſchaftlichen Verhältniſſen und Be-<lb/> ziehungen zwar ſelbſt genügen, „um jedoch den großartigen<lb/> Gedanken eines mitteleuropäiſchen Zollbündniſſes ſeiner Ver-<lb/> wirklichung zuzuführen und die Bande der Freundſchaft<lb/> zwiſchen dem Kaiſerſtaate und den mit ihm im deutſchen<lb/> Bunde vereinten Fürſten und Völkern zu allſeitigem Vortheil<lb/> noch enger und feſter zu knüpfen, werde Oeſterreich ſich zu<lb/> den ſeinerſeits zu bringenden entſprechenden Opfern gewiß<lb/> bereit finden laſſen“.</p><lb/> <p>Wie ganz anders ſind die Verhältniſſe, unter welchen jetzt<lb/> der Graf K<hi rendition="#aq">á</hi>lnoky die Mitglieder der gegenwärtigen Wiener<lb/> Zollconferenzen begrüßt hat! Heute erſcheinen nicht mehr ver-<lb/> einzelte deutſche Staaten, welche an Macht und Bevölkerung<lb/> des deutſchen Gebietes nur eine Minderheit darſtellten, ſondern<lb/> Alldeutſchland in der geeinten, jedes innere handelspolitiſche<lb/> Zerwürfniß ausſchließenden Erſcheinung des Reiches, unter<lb/> werkthätiger Beihülfe gewiegter Sachkenner aus den nach ihrer<lb/> Bedeutung und geographiſchen Lage beſonders intereſſirten<lb/> deutſchen Einzelſtaaten.</p><lb/> <p>Und auch auf der anderen Seite hat ſich eine bedeutſame<lb/> Wandlung vollzogen, in dem die wirthſchaftlichen Intereſſen Ungarns<lb/> nunmehr ihren beſonderen ſtaatsrechtlichen Ausdruck neben<lb/> jenen Cisleithaniens und der geſammten öſterreichiſch-ungariſchen<lb/> Monarchie gefunden haben. Im Einzelfalle wird die ſelb-<lb/> ſtändige Sprache Ungarns gewiß recht oft die Verſtändigung<lb/> erſchweren; wenn ſie aber zu Stande kommt, iſt ſie gerade<lb/> durch die vorgängige Ausſprache der ungariſchen Intereſſen um<lb/> ſo mehr gefeſtigt.</p><lb/> <p>Der politiſche Kampf um die Vormacht in Deutſchland iſt<lb/> jetzt ausgetragen; nun beſteht auch kein Bedenken mehr, der<lb/> Wahrheit die Ehre zu geben und die hohe Bedeutung der han-<lb/> delspolitiſchen neben der politiſchen Freundſchaft ausdrücklich<lb/> hervorzuheben, wie dies in der That Graf K<hi rendition="#aq">á</hi>lnoky in ſeiner<lb/> Begrüßungsanſprache gethan hat.</p><lb/> <p>Auch in dem ſachlichen Ziele der Beſtrebungen beſteht. der<lb/> größte Gegenſatz zwiſchen jetzt und ſonſt. Durch die Wiener<lb/> Conferenzen von 1852 ſollten gleich zwei Etappen der handels-<lb/> politiſchen Annäherung von Deutſchland und Oeſterreich be-<lb/> wältigt werden. In der That verſtändigte ſich die Conferent<lb/> nicht bloß über einen Handels- und Zollvertrag, welcher am<lb/> 1. Januar 1854 in Kraft treten ſollte, ſondern auch über einen<lb/> mit dem 1. Januar 1859 in Wirkſamkeit zu ſetzenden Zolleini-<lb/> gungsvertrag. Keiner dieſer beiden Vertragsentwürfe kam be-<lb/> kanntlich zur Verwirklichung, wohl aber auf Grund directer<lb/> Verhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen ein Handels-<lb/> vertrag mit Zollcartell vom 19. Februar 1853, welcher den<lb/> geſunden Gedanken eines Syſtems ausſchließlicher gegenſeitiger<lb/> Zollbegünſtigungen zur Durchführung brachte.</p><lb/> <p>Die jetzigen Conferenzen ſind nicht durch die Wucht formu-<lb/> lirter weitausſehender Projecte belaſtet; faſt möchten wir meinen,<lb/> daß eher das Gegentheil der Fall iſt. Hoffen wir, daß der<lb/> jetzt angebahnte perſönliche Meinungsaustauſch dazu führt, die<lb/> Ausſichten einer ernſtlichen handelspolitiſchen Annäherung<lb/> zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn zu fördern. Die bloße<lb/> Verſtändigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne<lb/> weiteres der ganzen übrigen meiſtbegünſtigten Welt zu gute<lb/><cb/> kämen, würde allerdings auch dem beſcheidenſten Ideale einer<lb/> ſolchen Annäherung nicht wohl entſprechen. Der Gedanke,<lb/> welcher dem Februar-Vertrag zu Grunde lag, muß, wenn auch<lb/> nicht gerade in der Form, welche er damals fand, eine durch<lb/> die Rückſichten auf die handelspolitiſche Weltlage bedingte<lb/> Wiederbelebung erfahren, wenn des Grafen K<hi rendition="#aq">á</hi>lnoky zur Be-<lb/> grüßung der Conferenz ausgeſprochene und gewiß allſeitig in<lb/> Deutſchland mit wärmſtem Beifall aufgenommene Hoffnungen<lb/> zur Wahrheit werden ſollen, „daß die Ergebniſſe der Verhand-<lb/> lungen zu einer erfreulichen Ergänzung der politiſchen Freund-<lb/> ſchaft zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn auf handels-<lb/> politiſchem Gebiete führen“. Für das Gelingen iſt ſeitdem<lb/> auch Kaiſer Franz Joſeph in eigener Perſon eingetreten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head><lb/> <div xml:id="a1a" next="#a1b" type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin.</hi> 12. Dec.</dateline> <p>Der <hi rendition="#g">Bundesrath</hi> ertheilte in der<lb/> am 11. d. M. unter dem Vorſitz des Staatsſecretärs des Innern,<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Boetticher, abgehaltenen Plenarſitzung die Zuſtimmung:<lb/> dem am 26. Auguſt d. J. zwiſchen dem Reich und der Türkei ab-<lb/> geſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrage, dem<lb/> Entwurf einer Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens<lb/> und den Geſchäftsgang des Reichsverſicherungsamts in den Ange-<lb/> legenheiten der Invaliditäts- und Altersverſicherung, den Anträgen<lb/> Preußens betreffend den Aufruf und die Einziehung der Ein-<lb/> hundertmarknoten der Danziger Privatactienbank, und wegen Ver-<lb/> längerung des Banknotenprivilegiums der ſtädtiſchen Bank zu<lb/> Breslau, dem Beſoldungs- und Penſionsetat der Reichsbankbeamten<lb/> für 1891, dem Antrage der Direction der pfälziſchen Eiſenbahnen<lb/> zu Ludwigshafen am Rhein wegen Anwendung der Beſtimmungen<lb/> des §. 4 des Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetzes auf<lb/> die bei den pfälziſchen Eiſenbahnen mit Penſionsberechtigung an-<lb/> geſtellten Beamten, ferner den Geſetzentwürfen für Elſaß-Loth-<lb/> ringen betreffend die Aufhebung der Denunciantenantheile und die<lb/> Einrichtung von Grundbüchern. Die Arbeiterpenſionscaſſe für den<lb/> Bereich der großherzoglich badiſchen Staatseiſenbahn- und Boden-<lb/> ſee-Dampfſchifffahrts- und der großherzoglichen Salinenverwaltung<lb/> und die <hi rendition="#g">Arbeiterpenſionscaſſe der königlich bayeri-<lb/> ſchen Staatseiſenbahnverwaltung</hi> wurden auf Grund der<lb/> vorgelegten Satzungen als Caſſeneinrichtungen im Sinne der<lb/> §§. 5 und 6 des Reichsgeſetzes vom 29. Juni 1889 anerkannt.<lb/> Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Maſchinen<lb/> zur Herſtellung künſtlicher Kaffeebohnen wurde den Ausſchüſſen<lb/> für Handel und Verkehr und für Juſtizweſen, die Eingabe des<lb/> Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirthſchaftlichen Intereſſen<lb/> in Rheinland und Weſtfalen zu Düſſeldorf, betreffend die reichs-<lb/> geſetzliche Regelung des Poſtſparcaſſenweſens dem Hrn. Reichs-<lb/> kanzler überwieſen. Mit der bereits erfolgten Ueberweiſung der<lb/> Vorlage, betreſſend die Befreiung der mit Penſionsberechtigung<lb/> angeſtellten Beamten landesherrlicher Hof- und anderer Verwal-<lb/> tungen von der Verſicherungspflicht auf Grund des §. 7 des In-<lb/> validitäts- und Altersverſicherungsgeſetzes, an den Ausſchuß für<lb/> Handel und Verkehr, erklärte ſich die Verſammlung einverſtanden.<lb/> Von mehreren vorgelegten Actenſtücken über die Verhältniſſe in<lb/> Deutſch-Oſtaſrika nahm dieſelbe Kenntniß. Endlich wurde über<lb/> den Sr. Majeſtät dem Kaiſer wegen Wiederbeſetzung einer Raths-<lb/> ſtelle bei dem Reichsgericht zu unterbreitenden Vorſchlag, über das</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Feuilleton.</hi> </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note>(Nachdruck verboten.)</note><lb/> <div xml:id="a2a" next="#a2b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Alcibiades.</hi> </hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#c">Von <hi rendition="#g">Heinrich No<hi rendition="#aq">é</hi></hi>.</hi> </byline><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Schluß.)</hi> </p><lb/> <p>* Pierino war in ſeinem Leben niemals verlegen oder blöd<lb/> geweſen und beſchloß deßhalb, ſich um Hülfe an einen Officier<lb/> ſeines Regimentes zu wenden.</p><lb/> <p>Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von<lb/> demſelben Kenntniß genommen hatte, gab er ſich zunächſt dem<lb/> Erſtaunen hin. Wie kam der Marcheſe dazu, von ſeiner Hei-<lb/> math aus, wo alle Hülfsquellen nahe waren, die Hand nach<lb/> einem fremden Lande und nach dem mageren Geldbeutel eines<lb/> Kameraden auszuſtrecken?</p><lb/> <p>Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entſchluß,<lb/> die Sache dem Oberſten vorzutragen. Dieſer beſann ſich nicht<lb/> lange. Er wußte, auf weſſen Verwendung hin der junge<lb/> Sauſewind ins Regiment gekommen war, und dachte, daß es<lb/> ihm ſelbſt ſpäterhin verargt werden würde, wenn er den<lb/> kleinen Marcheſe fallen ließe, ohne vorher an der nämlichen<lb/> Stelle um Hülfe angeſucht zu haben.</p><lb/> <p>Und ſo geſchah es. Nach wenigen Tagen traf die ge-<lb/> forderte Summe ein, nicht im landesüblichen Papier, ſondern<lb/> in ſchweren Goldſtücken, wie es der Würde des Spenders<lb/> entſprach.</p><lb/> <p>Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedeſtal,<lb/> auf welchem er dort nicht nur für die Augen der Maulaffen<lb/> und Müßiggänger, ſondern ſogar für die ſeiner Cameraden<lb/> ſtand, zu erhöhen, ſo hätte er nichts Beſſeres thun können,<lb/> als mit dieſer nothgedrungenen Bettelei heranzurücken. Die-<lb/> ſelbe hatte gar keine Demüthigung, ſondern nur einen Zu-<lb/> wachs ſeines Anſehens im Gefolge.</p><lb/> <p>Wenn er über den Corſo ging, blieben alle Müßiggänger<lb/> ſtehen, aus den Fenſtern und Thüren der Caſ<hi rendition="#aq">é</hi>häuſer, Apo-<lb/> theken und Barbierſtuben wurden die Köpfe vorgeſtreckt. Und<lb/> wenn die ſchleiergeſchmückten Schönen mit Einbruch der<lb/> Dämmerung, gleich den Fledermäuſen, Arm in Arm in ein-<lb/><cb/> ander eingehängt in die beginnende Kühlung hinausſchlender-<lb/> ten, ſo daß ihre Reihen die ganze Breite des Corſos ein-<lb/> nahmen, wendeten ſich meiſt alle Nacken gleichzeitig nach<lb/> ihm um.</p><lb/> <p>Darum verurſachte es wohl große Aufregung, aber<lb/> keinerlei Verwunderung, als es plötzlich hieß, die junge Gio-<lb/> vannina, die Tochter eines wohlhabenden Grundbeſitzers, der<lb/> zwei Paläſte in der Stadt, ausgedehnte Oelgärten und Wein-<lb/> berge ſein eigen nannte, ſei die erklärte Zukünftige Pierino’s.</p><lb/> <p>Das Mädchen ſelbſt trug allenthalben die Freudennach-<lb/> richt herum, und es zeigte deutlich, daß Vater und Mutter<lb/> noch ärger in Pierino vernarrt waren, als die Braut ſelbſt.</p><lb/> <p>„Sior Domenico“ führte den jungen Herrn in ſeiner<lb/> Staatskutſche ſpazieren, es gab Einladung auf Einladung<lb/> nicht bloß in dem marmornen Palaſte, ſondern auch im<lb/> ſchönſten der Landhäuſer, auf welches man jetzt, mit Beginn<lb/> des Frühlings, ſich gerne zurückzog. Zahlreiche Herren und<lb/> Damen wurden dieſen Geſellſchaften beigezogen und Alles<lb/> ſchwamm in Glück und Wonne. Den Mittelpunkt der Kreiſe<lb/> aber, welche dieſe Luſtbarkeit zog, bildete ſtets Pierino.</p><lb/> <p>Wenn ihm ſeine ernſten Kameraden die eine oder andere<lb/> Bemerkung über den lockeren Lebenswandel, dem er ſich hin-<lb/> gab, machten, ſo antwortete der ehemalige Zögling der<lb/> Annunziatella: „Ihr wißt doch, daß ich alle vier Wochen zur<lb/> Beichte gehe?“</p><lb/> <p>Es ſchien aber, als ob dem Herrn Oberſten dieſe im Regi-<lb/> ment beiſpielloſe Frömmigkeit doch nicht als hinlängliche<lb/> Gegenleiſtung für manche peinliche Betrachtung, die hinſicht-<lb/> lich dieſes Herrn angeſtellt werden konnte, erſchiene. Denn<lb/> bald darauf ſpielte ſich folgende eigenthümliche Scene ab.</p><lb/> <p>Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hauſe Sior Dome-<lb/> nico’s. Alles ſchien Luſt und Froyſinn. Gleichwohl aber<lb/> bildeten die Mienen derjenigen, denen dieſe Freudenſtunden<lb/> galten, einen Gegenſatz zu der geräuſchvollen Munterkeit, in<lb/> welcher ſich die geladenen Herren und Damen unterhielten.<lb/> Sowohl Sior Domenico, als Signora Claudia und die junge<lb/> Giovan nina bemühten ſich mit jedem Augenblicke mehr, eine<lb/> in ihnen aufſteigende Aengſtlichkeit zu verbergen.</p><lb/> <p>Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe<lb/> Meer. Einige Herren und Damen der Geſellſchaft ſtanden in<lb/><cb/> Erwartung, daß das Feſtmahl der Verlobung beginne, draußen<lb/> und ſchauten den Bewegungen der Lichter auf dem in Dunkel-<lb/> heit verſinkenden Waſſer zu.</p><lb/> <p>Unter dieſen Lichtern, welche hin und her ſchwankten, waren<lb/> einige rothe und grüne, die ruhig an ihrer Stelle blieben.<lb/> Plötzlich ertönte ein dreimaliger, hohler, ſchier ängſtlich klingender<lb/> Ruf — offenbar das Zeichen irgendeiner Dampfpfeife. Wenige<lb/> Augenblicke ſpäter fingen auch dieſe rothen und grünen Lichter<lb/> zu zittern an und entfernten ſich langſam vom Ufer.</p><lb/> <p>„Es iſt der Dampfer; er wird eine ſchöne Fahrt haben“,<lb/> hieß es auf dem Balcon.</p><lb/> <p>In dieſem Augenblick ſagte drinnen der Oberſt:</p><lb/> <p>„Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte<lb/> den jungen Mann Hals über Kopf fortſchicken. Ich hatte<lb/> keinen andern Officiersſtellvertreter zur Hand, nachdem der be-<lb/> treffende Herr in den letzten Augenblicken ſich krank gemeldet<lb/> hatte. Er hat die Urlauber heimzubringen.“</p><lb/> <p>Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus-<lb/> gebracht.</p><lb/> <p>Indeſſen ſollte Pierino in drei Wochen zurück ſein. Der<lb/> Oberſt wußte es freilich beſſer, daß er nicht wieder zurückkehren<lb/> würde. Einer geachteten Familie mußte eine ſchwere Ent-<lb/> täuſchung und dem Regimente eine unliebſame Nachrede erſpart<lb/> bleiben.</p><lb/> <p>Pierino hatte ſich von einem Kalligraphen in Palermo, auf<lb/> den er während ſeines letzten Aufenthaltes in Italien aufmerl-<lb/> ſam gemacht worden war, ſein Wappen in ſchöner Malerei auf<lb/> Pergament ausführen und auch eine Art von Diplom dazu<lb/> anfertigen laſſen. Der Künſtler, der zugleich als Heraldiker galt,<lb/> und als ſolcher in einem Lande, in welchem die Conti, Marcheſt<lb/> und Principi wild wachſen, oft in Anſpruch genommen wurde,<lb/> hatte ſeine Sache ſo gut gemacht, daß Sior Domenico, der die<lb/> Pergamente zufällig zu ſehen bekam, davon entzückt war. Der<lb/> Oberſt dagegen, in der Heraldik weniger bewandert, wollte<lb/> in denſelben nur gefärbtes Packpapier erblicken und ſtellte das<lb/> Marcheſat Pierino’s, was deſſen Greifbarkeit anbelangt, auf<lb/> die gleiche Linie mit deſſen Reichthümern und Tugenden, durch<lb/> die er ſich die Bewunderung der Familie Giovannina’s er-<lb/> obert hatte.</p><lb/> <p>Aus dieſem Grunde ſaß Pierino jetzt auf dem Dampfer,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0001]
Nr. 346. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Sonntag, 14. December 1890.
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Mit Bayeriſcher Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern.
Inhalts-Ueberſicht.
Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt.
Deutſches Reich. * Berlin: Bundesrath. ☿ Schulbildung
der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel.
Schweiz.  Bern: Wahl des Bundesraths.
Belgien. □ Brüſſel: Die preußiſche und öſterreichiſche Officiers-
deputation beim König. Die Reviſionsfrage. Zur Congo-Zoll-
conferenz.
Frankreich. ᕒ Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und
Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie.
Die Schulreform-Conferenz in Berlin.
Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noé. (Schluß.)
☛ Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt.
München, 13. December.
Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt
und jetzt.
-y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien
zwiſchen den deutſchen, öſterreichiſchen und ungariſchen Dele-
girten legen einen vergleichenden Rückblick auf die Wiener
Zollconferenzen vom Jahre 1852 nahe. Oeſterreich hatte mit
Schreiben vom 25. Nov. 1851 die Regierungen ſämmtlicher
deutſcher Bundesſtaaten zu einer am 2. Jan. 1852 zu eröffnen-
den Zuſammenkunft eingeladen. Preußen, die thüringiſchen
Staaten, Mecklenburg und Holſtein folgten der Einladung nicht.
Als Miniſterpräſident Fürſt Schwarzenberg am 4. Jan. 1852
die Mitglieder der Conferenz begrüßte, konnte er nicht umhin,
hervorzuheben, wie die kaiſerliche Regierung nicht der Anſicht
ſei, daß ſchon in der gegenwärtigen Zuſammenkunft, in welcher
„ſo manche wichtige Theile Deutſchlands“ nicht vertreten ſeien,
endgültige Beſchlüſſe gefaßt werden ſollten. Ueberhaupt über-
wiegt in der hiſtoriſch bedeutſamen Eröffnungsrede des Fürſten
Schwarzenberg das negative und volemiſche Element. Zwar
wird der poſitive Zweck der Verhandlungen zunächſt mit Ent-
ſchiedenheit vorausgeſtellt; dieſer Zweck iſt „kein anderer, als
jener, womöglich die geeigneten Verabredungen zum Behufe
eines die künftige Handels- und Zolleinigung Deutſchlands und
Oeſterreichs vorbereitenden und deren Verwirklichung ſicher-
ſtellenden Vertrags zu treffen“. Das charakteriſtiſche „kein
anderer“ dieſes Satzes findet ſofort ſeine weitere Ausſpinnung
in dem folgenden Satze, in welchem Fürſt Schwarzenberg her-
vorhebt, es werde an manchem Orte noch zur Stunde die
Beſorgniß gehegt, daß Oeſterreich außer dem von ihm laut
verkündeten Zwecke auch noch andere zu erreichen ſtrebe,
oder daß doch wenigſtens die Durchführung der öſterreichi-
ſchen Abſichten die bisherigen handelspolitiſchen Verbindungen
in ihrem Fortbeſtand unfehlbar würde gefährden müſſen. Mit
großer Vorſicht vermeidet der öſterreichiſche Miniſterpräſident
die Betonung der neben den handelspolitiſchen Erwägungen
beſtehenden politiſchen Intereſſen, wohl empfindend, daß in
dem damals noch mangelnden Austrag der Frage, wer die
deutſche Vormacht ſein ſolle, die größte Schwierigkeit der Ver-
knüpfung politiſcher und handelspolitiſcher Intereſſen lag.
Das politiſche Intereſſe Oeſterreichs wird ſogar in gewiſſem
Sinne verhüllt, wenn der Fürſt hervorhebt, Oeſterreich könne
ſich nach ſeinen volkswirthſchaftlichen Verhältniſſen und Be-
ziehungen zwar ſelbſt genügen, „um jedoch den großartigen
Gedanken eines mitteleuropäiſchen Zollbündniſſes ſeiner Ver-
wirklichung zuzuführen und die Bande der Freundſchaft
zwiſchen dem Kaiſerſtaate und den mit ihm im deutſchen
Bunde vereinten Fürſten und Völkern zu allſeitigem Vortheil
noch enger und feſter zu knüpfen, werde Oeſterreich ſich zu
den ſeinerſeits zu bringenden entſprechenden Opfern gewiß
bereit finden laſſen“.
Wie ganz anders ſind die Verhältniſſe, unter welchen jetzt
der Graf Kálnoky die Mitglieder der gegenwärtigen Wiener
Zollconferenzen begrüßt hat! Heute erſcheinen nicht mehr ver-
einzelte deutſche Staaten, welche an Macht und Bevölkerung
des deutſchen Gebietes nur eine Minderheit darſtellten, ſondern
Alldeutſchland in der geeinten, jedes innere handelspolitiſche
Zerwürfniß ausſchließenden Erſcheinung des Reiches, unter
werkthätiger Beihülfe gewiegter Sachkenner aus den nach ihrer
Bedeutung und geographiſchen Lage beſonders intereſſirten
deutſchen Einzelſtaaten.
Und auch auf der anderen Seite hat ſich eine bedeutſame
Wandlung vollzogen, in dem die wirthſchaftlichen Intereſſen Ungarns
nunmehr ihren beſonderen ſtaatsrechtlichen Ausdruck neben
jenen Cisleithaniens und der geſammten öſterreichiſch-ungariſchen
Monarchie gefunden haben. Im Einzelfalle wird die ſelb-
ſtändige Sprache Ungarns gewiß recht oft die Verſtändigung
erſchweren; wenn ſie aber zu Stande kommt, iſt ſie gerade
durch die vorgängige Ausſprache der ungariſchen Intereſſen um
ſo mehr gefeſtigt.
Der politiſche Kampf um die Vormacht in Deutſchland iſt
jetzt ausgetragen; nun beſteht auch kein Bedenken mehr, der
Wahrheit die Ehre zu geben und die hohe Bedeutung der han-
delspolitiſchen neben der politiſchen Freundſchaft ausdrücklich
hervorzuheben, wie dies in der That Graf Kálnoky in ſeiner
Begrüßungsanſprache gethan hat.
Auch in dem ſachlichen Ziele der Beſtrebungen beſteht. der
größte Gegenſatz zwiſchen jetzt und ſonſt. Durch die Wiener
Conferenzen von 1852 ſollten gleich zwei Etappen der handels-
politiſchen Annäherung von Deutſchland und Oeſterreich be-
wältigt werden. In der That verſtändigte ſich die Conferent
nicht bloß über einen Handels- und Zollvertrag, welcher am
1. Januar 1854 in Kraft treten ſollte, ſondern auch über einen
mit dem 1. Januar 1859 in Wirkſamkeit zu ſetzenden Zolleini-
gungsvertrag. Keiner dieſer beiden Vertragsentwürfe kam be-
kanntlich zur Verwirklichung, wohl aber auf Grund directer
Verhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen ein Handels-
vertrag mit Zollcartell vom 19. Februar 1853, welcher den
geſunden Gedanken eines Syſtems ausſchließlicher gegenſeitiger
Zollbegünſtigungen zur Durchführung brachte.
Die jetzigen Conferenzen ſind nicht durch die Wucht formu-
lirter weitausſehender Projecte belaſtet; faſt möchten wir meinen,
daß eher das Gegentheil der Fall iſt. Hoffen wir, daß der
jetzt angebahnte perſönliche Meinungsaustauſch dazu führt, die
Ausſichten einer ernſtlichen handelspolitiſchen Annäherung
zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn zu fördern. Die bloße
Verſtändigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne
weiteres der ganzen übrigen meiſtbegünſtigten Welt zu gute
kämen, würde allerdings auch dem beſcheidenſten Ideale einer
ſolchen Annäherung nicht wohl entſprechen. Der Gedanke,
welcher dem Februar-Vertrag zu Grunde lag, muß, wenn auch
nicht gerade in der Form, welche er damals fand, eine durch
die Rückſichten auf die handelspolitiſche Weltlage bedingte
Wiederbelebung erfahren, wenn des Grafen Kálnoky zur Be-
grüßung der Conferenz ausgeſprochene und gewiß allſeitig in
Deutſchland mit wärmſtem Beifall aufgenommene Hoffnungen
zur Wahrheit werden ſollen, „daß die Ergebniſſe der Verhand-
lungen zu einer erfreulichen Ergänzung der politiſchen Freund-
ſchaft zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn auf handels-
politiſchem Gebiete führen“. Für das Gelingen iſt ſeitdem
auch Kaiſer Franz Joſeph in eigener Perſon eingetreten.
Deutſches Reich.
* Berlin. 12. Dec. Der Bundesrath ertheilte in der
am 11. d. M. unter dem Vorſitz des Staatsſecretärs des Innern,
Dr. v. Boetticher, abgehaltenen Plenarſitzung die Zuſtimmung:
dem am 26. Auguſt d. J. zwiſchen dem Reich und der Türkei ab-
geſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrage, dem
Entwurf einer Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens
und den Geſchäftsgang des Reichsverſicherungsamts in den Ange-
legenheiten der Invaliditäts- und Altersverſicherung, den Anträgen
Preußens betreffend den Aufruf und die Einziehung der Ein-
hundertmarknoten der Danziger Privatactienbank, und wegen Ver-
längerung des Banknotenprivilegiums der ſtädtiſchen Bank zu
Breslau, dem Beſoldungs- und Penſionsetat der Reichsbankbeamten
für 1891, dem Antrage der Direction der pfälziſchen Eiſenbahnen
zu Ludwigshafen am Rhein wegen Anwendung der Beſtimmungen
des §. 4 des Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetzes auf
die bei den pfälziſchen Eiſenbahnen mit Penſionsberechtigung an-
geſtellten Beamten, ferner den Geſetzentwürfen für Elſaß-Loth-
ringen betreffend die Aufhebung der Denunciantenantheile und die
Einrichtung von Grundbüchern. Die Arbeiterpenſionscaſſe für den
Bereich der großherzoglich badiſchen Staatseiſenbahn- und Boden-
ſee-Dampfſchifffahrts- und der großherzoglichen Salinenverwaltung
und die Arbeiterpenſionscaſſe der königlich bayeri-
ſchen Staatseiſenbahnverwaltung wurden auf Grund der
vorgelegten Satzungen als Caſſeneinrichtungen im Sinne der
§§. 5 und 6 des Reichsgeſetzes vom 29. Juni 1889 anerkannt.
Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Maſchinen
zur Herſtellung künſtlicher Kaffeebohnen wurde den Ausſchüſſen
für Handel und Verkehr und für Juſtizweſen, die Eingabe des
Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirthſchaftlichen Intereſſen
in Rheinland und Weſtfalen zu Düſſeldorf, betreffend die reichs-
geſetzliche Regelung des Poſtſparcaſſenweſens dem Hrn. Reichs-
kanzler überwieſen. Mit der bereits erfolgten Ueberweiſung der
Vorlage, betreſſend die Befreiung der mit Penſionsberechtigung
angeſtellten Beamten landesherrlicher Hof- und anderer Verwal-
tungen von der Verſicherungspflicht auf Grund des §. 7 des In-
validitäts- und Altersverſicherungsgeſetzes, an den Ausſchuß für
Handel und Verkehr, erklärte ſich die Verſammlung einverſtanden.
Von mehreren vorgelegten Actenſtücken über die Verhältniſſe in
Deutſch-Oſtaſrika nahm dieſelbe Kenntniß. Endlich wurde über
den Sr. Majeſtät dem Kaiſer wegen Wiederbeſetzung einer Raths-
ſtelle bei dem Reichsgericht zu unterbreitenden Vorſchlag, über das
Feuilleton.
(Nachdruck verboten.)
Alcibiades.
Von Heinrich Noé.
(Schluß.)
* Pierino war in ſeinem Leben niemals verlegen oder blöd
geweſen und beſchloß deßhalb, ſich um Hülfe an einen Officier
ſeines Regimentes zu wenden.
Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von
demſelben Kenntniß genommen hatte, gab er ſich zunächſt dem
Erſtaunen hin. Wie kam der Marcheſe dazu, von ſeiner Hei-
math aus, wo alle Hülfsquellen nahe waren, die Hand nach
einem fremden Lande und nach dem mageren Geldbeutel eines
Kameraden auszuſtrecken?
Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entſchluß,
die Sache dem Oberſten vorzutragen. Dieſer beſann ſich nicht
lange. Er wußte, auf weſſen Verwendung hin der junge
Sauſewind ins Regiment gekommen war, und dachte, daß es
ihm ſelbſt ſpäterhin verargt werden würde, wenn er den
kleinen Marcheſe fallen ließe, ohne vorher an der nämlichen
Stelle um Hülfe angeſucht zu haben.
Und ſo geſchah es. Nach wenigen Tagen traf die ge-
forderte Summe ein, nicht im landesüblichen Papier, ſondern
in ſchweren Goldſtücken, wie es der Würde des Spenders
entſprach.
Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedeſtal,
auf welchem er dort nicht nur für die Augen der Maulaffen
und Müßiggänger, ſondern ſogar für die ſeiner Cameraden
ſtand, zu erhöhen, ſo hätte er nichts Beſſeres thun können,
als mit dieſer nothgedrungenen Bettelei heranzurücken. Die-
ſelbe hatte gar keine Demüthigung, ſondern nur einen Zu-
wachs ſeines Anſehens im Gefolge.
Wenn er über den Corſo ging, blieben alle Müßiggänger
ſtehen, aus den Fenſtern und Thüren der Caſéhäuſer, Apo-
theken und Barbierſtuben wurden die Köpfe vorgeſtreckt. Und
wenn die ſchleiergeſchmückten Schönen mit Einbruch der
Dämmerung, gleich den Fledermäuſen, Arm in Arm in ein-
ander eingehängt in die beginnende Kühlung hinausſchlender-
ten, ſo daß ihre Reihen die ganze Breite des Corſos ein-
nahmen, wendeten ſich meiſt alle Nacken gleichzeitig nach
ihm um.
Darum verurſachte es wohl große Aufregung, aber
keinerlei Verwunderung, als es plötzlich hieß, die junge Gio-
vannina, die Tochter eines wohlhabenden Grundbeſitzers, der
zwei Paläſte in der Stadt, ausgedehnte Oelgärten und Wein-
berge ſein eigen nannte, ſei die erklärte Zukünftige Pierino’s.
Das Mädchen ſelbſt trug allenthalben die Freudennach-
richt herum, und es zeigte deutlich, daß Vater und Mutter
noch ärger in Pierino vernarrt waren, als die Braut ſelbſt.
„Sior Domenico“ führte den jungen Herrn in ſeiner
Staatskutſche ſpazieren, es gab Einladung auf Einladung
nicht bloß in dem marmornen Palaſte, ſondern auch im
ſchönſten der Landhäuſer, auf welches man jetzt, mit Beginn
des Frühlings, ſich gerne zurückzog. Zahlreiche Herren und
Damen wurden dieſen Geſellſchaften beigezogen und Alles
ſchwamm in Glück und Wonne. Den Mittelpunkt der Kreiſe
aber, welche dieſe Luſtbarkeit zog, bildete ſtets Pierino.
Wenn ihm ſeine ernſten Kameraden die eine oder andere
Bemerkung über den lockeren Lebenswandel, dem er ſich hin-
gab, machten, ſo antwortete der ehemalige Zögling der
Annunziatella: „Ihr wißt doch, daß ich alle vier Wochen zur
Beichte gehe?“
Es ſchien aber, als ob dem Herrn Oberſten dieſe im Regi-
ment beiſpielloſe Frömmigkeit doch nicht als hinlängliche
Gegenleiſtung für manche peinliche Betrachtung, die hinſicht-
lich dieſes Herrn angeſtellt werden konnte, erſchiene. Denn
bald darauf ſpielte ſich folgende eigenthümliche Scene ab.
Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hauſe Sior Dome-
nico’s. Alles ſchien Luſt und Froyſinn. Gleichwohl aber
bildeten die Mienen derjenigen, denen dieſe Freudenſtunden
galten, einen Gegenſatz zu der geräuſchvollen Munterkeit, in
welcher ſich die geladenen Herren und Damen unterhielten.
Sowohl Sior Domenico, als Signora Claudia und die junge
Giovan nina bemühten ſich mit jedem Augenblicke mehr, eine
in ihnen aufſteigende Aengſtlichkeit zu verbergen.
Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe
Meer. Einige Herren und Damen der Geſellſchaft ſtanden in
Erwartung, daß das Feſtmahl der Verlobung beginne, draußen
und ſchauten den Bewegungen der Lichter auf dem in Dunkel-
heit verſinkenden Waſſer zu.
Unter dieſen Lichtern, welche hin und her ſchwankten, waren
einige rothe und grüne, die ruhig an ihrer Stelle blieben.
Plötzlich ertönte ein dreimaliger, hohler, ſchier ängſtlich klingender
Ruf — offenbar das Zeichen irgendeiner Dampfpfeife. Wenige
Augenblicke ſpäter fingen auch dieſe rothen und grünen Lichter
zu zittern an und entfernten ſich langſam vom Ufer.
„Es iſt der Dampfer; er wird eine ſchöne Fahrt haben“,
hieß es auf dem Balcon.
In dieſem Augenblick ſagte drinnen der Oberſt:
„Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte
den jungen Mann Hals über Kopf fortſchicken. Ich hatte
keinen andern Officiersſtellvertreter zur Hand, nachdem der be-
treffende Herr in den letzten Augenblicken ſich krank gemeldet
hatte. Er hat die Urlauber heimzubringen.“
Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus-
gebracht.
Indeſſen ſollte Pierino in drei Wochen zurück ſein. Der
Oberſt wußte es freilich beſſer, daß er nicht wieder zurückkehren
würde. Einer geachteten Familie mußte eine ſchwere Ent-
täuſchung und dem Regimente eine unliebſame Nachrede erſpart
bleiben.
Pierino hatte ſich von einem Kalligraphen in Palermo, auf
den er während ſeines letzten Aufenthaltes in Italien aufmerl-
ſam gemacht worden war, ſein Wappen in ſchöner Malerei auf
Pergament ausführen und auch eine Art von Diplom dazu
anfertigen laſſen. Der Künſtler, der zugleich als Heraldiker galt,
und als ſolcher in einem Lande, in welchem die Conti, Marcheſt
und Principi wild wachſen, oft in Anſpruch genommen wurde,
hatte ſeine Sache ſo gut gemacht, daß Sior Domenico, der die
Pergamente zufällig zu ſehen bekam, davon entzückt war. Der
Oberſt dagegen, in der Heraldik weniger bewandert, wollte
in denſelben nur gefärbtes Packpapier erblicken und ſtellte das
Marcheſat Pierino’s, was deſſen Greifbarkeit anbelangt, auf
die gleiche Linie mit deſſen Reichthümern und Tugenden, durch
die er ſich die Bewunderung der Familie Giovannina’s er-
obert hatte.
Aus dieſem Grunde ſaß Pierino jetzt auf dem Dampfer,
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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