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Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 2. Februar 1850.

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[Spaltenumbruch] gewußt. Diese beiden uckermärkisch-pommerischen Grafen haben in der
That den Erfolg der königlichen Votschaft entschieden. Graf Schwerin
empfängt dafür beut in der "Deutschen Reform" eine halbofficielle Dank-
sagung und Anerkennung. Durch ihn wurden ungemein viel Ueberläu-
fer aus Patiotismus gemacht, denn wenn man den ehrenwerthen Grafen
Schwerin auch nur für ein schwaches staatsmännisches Licht und für
ebenso abgenutzt als alle unsere constitutionellen Größen hält, so wirkt
doch sein moralisches Ansehen sehr auf die umschlägige Menge der Abge-
ordneten. So sind wir durch allerlei Zufälle in diese seltsamste Lage von
der Welt gerathen, in der wir zugleich unsere deutsche Mission antreten
und verfechten sollen. Der Erfurter Reichstag ist vor der Thür, und
ebenso sind die Plane des Gegenbundes unter Oesterreichs Fittig zum
Abschluß gereift. Mit diesem letztern beginnt der Schwerpunkt unseres
engeren Bundesstaats zu leiden, und er war nur durch das volksreprä-
sentative Princip in dessen weitester Bedeutung zu stützen!


In der heutigen Sitzung der zweiten Kammer
zeigte der Präfident der ersten Kammer an daß letztere in ihren gestrigen
Sitzungen den Beschlüssen der zweiten Kammer, betreffs der königl. Bot-
schaft, vollständig beigetreten, und das Staatsministerium demgemäß be-
nachrichtigt sey. Heute ist auch nach dem C.-B. in Berathung der bei-
den Kammerpräsidenten mit dem Ministerium das Schema und das
Programm für die Eidesleistung festgestellt worden, indeß über den Zeit-
punkt, letzterer noch nichts bestimmt. Ein Gerücht geht daß die Eides-
leistung den 3 Febr. stattfinden solle; ein anderes wollte wissen der König
wünsche immer noch eine Verschiebung des Eides.

Schleswig - Holstein.

Die Statthalterschaft soll
beschlossen haben das jüngste Antwortschreiben aus Kopenhagen dahin zu
erwiedern daß man sich auf eine directe Unterhandlung nicht mehr einlas-
sen könne. Der Landesversammlung ist gestern in geheimer Sitzung ein
aus Frankfurt eingetroffener Beschluß der Bundescommission mitgetheilt
worden, der allen Anzeichen nach sehr günstig für Schleswig-Holstein
lautet.

Oesterreich.

Sind die österreichischen Blät-
ter heute leer an politischen Nachrichten, so sind sie wieder voll von Auf-
zeichnungen wohlthätiger Spenden. Es macht einen sehr angenehmen
Eindruck zu sehen, wie zu einer Zeit wo die Ungunst der Witterung die
Last der Armuth noch schwerer macht, überall das so ächt menschliche Mit-
gefühl sich regt. Die nur aus dem Verstande hervorgehenden staatlichen
Bande, welche den Einzelnen an den Einzelnen, weil an das Ganze knüpfen,
nehmen dadurch eine gemüthliche Beimischung an, der Staat wird einer
großen Familie ähnlich; der tägliche Krieg aller gegen alle, der das
Grundgesetz des unmittelbaren, des ökonomischen Lebens bildet, erhält
seine moralische Versöhnung. Daß nicht allen geholfen werden kann,
selbst wenn die Gaben noch so reichlich ausgetheilt würden, ist eine alte
Wahrheit, der leider der Socialismus seine schärfsten negativen Waffen
verdankt, die aber, solange unsere physikalischen wie logischen Gesetze auf
der Erde fortbestehen, durch alle künstlichen Versuche nicht zur Unwahrheit
gestempelt zu werden vermag. Wer von dem widersinnigen Spruche
Proudhon's: "Das Eigenthum ist Diebstahl" ausgeht, der muß allerdings
eine jede wohlthätige Handlung als eine "Abschlagszahlung des Räubers
an den Bestohlenen" ansehen; wer aber das Eigenthum als eine nothwen-
dige Grundbedingung des gesellschaftlichen Beisammenseyns betrachtet,
ebenso unveräußerlich für dasselbe als die phystcalischen Gesetze für den
Fortbestand unseres Erdkörvers, der erblickt in dem Almosengeben eben-
sowohl ein bewußtes Ueberschreiten des in jedem Menschen liegenden in-
dividuellen Egoismus, als in dem geistigen Streben des einzelnen zum
Wohle eines oder aller Mitmenschen. Wir wollen hier nicht jenen Logi-
ker, der sich fast täglich im Pariser Charivari abgebildet sieht, auf das
Unlogische seines obigen Satzes des weiteren aufmerksam machen, die
nämlich darin besteht daß Diebstahl ja immer ein Eigenthum voraussetzt.
"Eigenthum ist Diebstahl" kann demnach nichts anderes heißen als Ei-
genthum ist Diebstahl am Eigenthum; wenn nun aber Eigenthum gleich
Diebstahl ist, so bedeutet: "Eigenthum ist Diebstahl", so viel als Eigen-
thum ist Diebstahl am Diebstahl, welche "Diebstahls"-Kette immer durch
die logische Nothwendigkeit, da Raub ein Eigenthum voraussetzt, ins
unendliche verlängert, wie sie umgekehrt werden kann in: Diebstahl ist
Eigenthum am Eigenthum. Aber auf den feinen politischen Tact möch-
ten wir hindeuten der darin liegt daß die gegenwärtige Militärherrschaft,
ohne deren augenblicklich noch dauernden Fortbestand die reformatortsche
Organisation wohl schwerlich die gehörige Krast entwickeln könnte, sich
überall bei der Versorgung der Armen an die Spitze stellt. Die "ver-
thierten" Söldlinge der Demokraten überschreiten ihrerseits die Kluft die
bisher zwischen dem Nähr - und dem Wehrstande sich ausgebreitet hatte;
sie erscheinen in den Reihen der Bürger nicht als Stützen eines egoisti-
schen Systems, sondern als volle, warmfühlende Menschen, und das muß
[Spaltenumbruch] manchen aus den früheren Tagen noch herüberragenden damals vielleicht
begründeten Haß allmählich wegwischen. Die heutige "Wiener Zeitung"
enthält in ihrer Beilage einen "das Burgtheater" überschriebenen Feuille-
ton-Artikel, der, unzweifelbar aus der Feder des neuen artistischen Direc-
tors selbst geflossen, noch mehr zwischen den Zeilen als in ihnen lesen
läßt. Laube's Stellung scheint keineswegs eine dornenlose zu seyn; und
das junge Deutschland wird bei seinen ästhetischen Leistungen manche po-
litische Concession machen müssen, an die es wohl früher niemals gedacht
hat. Die Klagen über den Mangel einer deutschen Nationalbühne sind
so allgemein geworden daß sie sich wie gewisse Romane bereits in
den Regionen der Nätherinnen breit machen; wir müssen es abwarten ob
eine Kraft die das deutsche Volk zu seinen Ersteren, wenn auch nicht im
politischen, aber doch im schöngeistigen Fache zu zählen gewohnt ist, mit
den Mitteln eines Burgtheaters denselben abzustellen im Stande seyn wird.
Der erwähnte Artikel ist bei dem zu nehmenden Angriff aber keine muthvolle
Fanfare. -- Wir haben unserm Briefe vom 23 d. M. eine Berichtigung
hinzuzufügen: der Amerikaner hat, wie heute der "Ostdeutschen Post" offt-
ciell geschrieben wird, in Dresden nur deßwegen das nach Prag erbetene
Paßvisum nicht erhalten, "da in seinem Passe die zur Ertheilung des Vi-
sums vorgezeichneten Bedingungen nicht erfüllt waren." Durch die nach-
trägliche Erfüllung derselben ist dem Yankee die freie Einfuhr gestattet.


Die Nachricht von der am 26 Januar stattge-
habten Annahme der k. Botschaft in der zweiten preußischen Kammer hat hier
auf alle Kreise verblüffend gewirkt. War man auch von der guten Gefin-
nung der Kammermajorität im Herzen überzeugt -- so große Entsagung
gegen die langeher aus Ueberzeugung vertheidigten Principien, soviel zarte
Rückficht für des Königs Gewissen hätte man ihr nicht zugetraut. Das
müssen sehr entscheidende, zwingende Gründe seyn -- so denkt man hier --
die eine Versammlung von so nüchternen und überlegten Politikern zum
Abfall von ihrer Fahne bestimmen konnten. Am wenigsten scheint das
Ereigniß in den hohen conservativen Kreisen zu gefallen. Wien und Ver-
lin, das weiß man, stehen unter sich in einer merkwürdigen Wechselver-
bindung. Der Telegraphendrath, der uns wechselseitig in wenigen Stun-
den Nachrichten von einander bringt, ist wohl auch ebenso sehr ein Leiter
für den elektrischen Funken der an einem oder andern Orte niederfährt.
Wie können wir hoffen zur Ruhe zu kommen, wenn in unserer nächsten
Nähe die Gewitterwolken sich so drohend thürmen? Für jetzt, wie gesagt,
gehören die Gerüchte, als ob auch bei uns sofort eine ähnliche "Verbesse-
rung" der octroyirten Verfassung zu erwarten stünde, in das Reich der
Märchen. Dazu bleibt jedeufalls noch später Zeit, wenn die neue Verfas-
sung bei den Nachbarn ein Gewohntes geworden und die Untrüglichkeit
dieses letzten Heilmittels von oben erprobt ist. Sollte dieß gelingen, ja
dann wäre es allerdings möglich daß man von hier aus Revanche nähme
für den Dienst den man Berlin und Preußen im October 1848 erwiesen,
doch früher gewiß nicht. Für jetzt ist es wohl weit besser den Fehler des
vor kurzem noch so mächtigen Rivalen benützen, als aus Freundschaft sich
in dieselbe Grube stürzen die er sich gegraben. Wenn nichts die Gothaer
Partei und das hinter ihr stehende Volk in den kleinen deutschen Staaten
zur Besinnung zu bringen vermöchte, so wäre wohl dieses Ereigniß dazu
geeignet. Kann sie jetzt noch glauben daß an ein Festhalten an der Ver-
fassung vom 26 Mai zu denken sey wo man ihr von Berlin aus ein so un-
zweideutiges Paroli gebogen, kann sie noch jetzt auf einen deutschen Bun-
desstaat in dem Sinn wie sie ihn anstrebte, unter Heinrich v. Gagerns
Führung denken, wo, wenn nicht alles trügt, die mediatistrten Fürsten und
Grafen sammt den Bischöfen und Capiteln das Oberhaus in diesem Bun-
desstaat zu bilden berufen sind? Und wird wohl, selbst wenn sie die Trost-
lostgkeit ihrer Stellung zu dieser letzten Concession gegen neuerliche Ge-
wissensscrupel drängte, das arme, getäuschte Volk auch ihn eingehen wol-
len, den Tausch? Wahrlich es steht schlimm um das arme Deutschland,
das nicht verdiente Gegenstand des Spottes zu werden für seine Feinde.
Da trösten wir uns noch lieber über unsern Belagerungszustand und zeit-
weilige ungrammatikalische Erlasse der hohen Ausnahmsbehörde. Daß
das allgemeine Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten unter dem
Ausnahmszustande sich nicht schwächt, konnte man gestern bei dem Beginn
der Vorträge des Dr. Würth über die neue Strafproceßordnung deutlich
wahrnehmen. Obgleich der Saal in dem er seine Vorträge hält, wohl
an 600 Personen faßt, war der Andrang des Publicums doch so stark daß
gegen ein Drittheil unverrichteter Dinge wieder vor der Thür umkehren
mußte. Dabei sah man nicht etwa bloß Studenten und Beamte oder Ad-
vocaten, sondern Leute aus allen selbst den untern Classen der Bevölke-
rung, und eine so gespannte Aufmerksamkeit wie sich deren bieher noch
selten ein Professor rühmen konnte -- ein Resultat, doppelt etfreulich
deßhalb weil das Interesse dießmal wirklich vorzugsweise dem Gegenstand
galt. In Betreff der Differenzen zwischen der hiestgen Handerekammer,
welche gern mehr gehört werden, und dem Handelsministerium, welches

[Spaltenumbruch] gewußt. Dieſe beiden uckermärkiſch-pommeriſchen Grafen haben in der
That den Erfolg der königlichen Votſchaft entſchieden. Graf Schwerin
empfängt dafür beut in der „Deutſchen Reform“ eine halbofficielle Dank-
ſagung und Anerkennung. Durch ihn wurden ungemein viel Ueberläu-
fer aus Patiotismus gemacht, denn wenn man den ehrenwerthen Grafen
Schwerin auch nur für ein ſchwaches ſtaatsmänniſches Licht und für
ebenſo abgenutzt als alle unſere conſtitutionellen Größen hält, ſo wirkt
doch ſein moraliſches Anſehen ſehr auf die umſchlägige Menge der Abge-
ordneten. So ſind wir durch allerlei Zufälle in dieſe ſeltſamſte Lage von
der Welt gerathen, in der wir zugleich unſere deutſche Miſſion antreten
und verfechten ſollen. Der Erfurter Reichstag iſt vor der Thür, und
ebenſo ſind die Plane des Gegenbundes unter Oeſterreichs Fittig zum
Abſchluß gereift. Mit dieſem letztern beginnt der Schwerpunkt unſeres
engeren Bundesſtaats zu leiden, und er war nur durch das volksreprä-
ſentative Princip in deſſen weiteſter Bedeutung zu ſtützen!


In der heutigen Sitzung der zweiten Kammer
zeigte der Präfident der erſten Kammer an daß letztere in ihren geſtrigen
Sitzungen den Beſchlüſſen der zweiten Kammer, betreffs der königl. Bot-
ſchaft, vollſtändig beigetreten, und das Staatsminiſterium demgemäß be-
nachrichtigt ſey. Heute iſt auch nach dem C.-B. in Berathung der bei-
den Kammerpräſidenten mit dem Miniſterium das Schema und das
Programm für die Eidesleiſtung feſtgeſtellt worden, indeß über den Zeit-
punkt, letzterer noch nichts beſtimmt. Ein Gerücht geht daß die Eides-
leiſtung den 3 Febr. ſtattfinden ſolle; ein anderes wollte wiſſen der König
wünſche immer noch eine Verſchiebung des Eides.

Schleswig – Holſtein.

Die Statthalterſchaft ſoll
beſchloſſen haben das jüngſte Antwortſchreiben aus Kopenhagen dahin zu
erwiedern daß man ſich auf eine directe Unterhandlung nicht mehr einlaſ-
ſen könne. Der Landesverſammlung iſt geſtern in geheimer Sitzung ein
aus Frankfurt eingetroffener Beſchluß der Bundescommiſſion mitgetheilt
worden, der allen Anzeichen nach ſehr günſtig für Schleswig-Holſtein
lautet.

Oeſterreich.

Sind die öſterreichiſchen Blät-
ter heute leer an politiſchen Nachrichten, ſo ſind ſie wieder voll von Auf-
zeichnungen wohlthätiger Spenden. Es macht einen ſehr angenehmen
Eindruck zu ſehen, wie zu einer Zeit wo die Ungunſt der Witterung die
Laſt der Armuth noch ſchwerer macht, überall das ſo ächt menſchliche Mit-
gefühl ſich regt. Die nur aus dem Verſtande hervorgehenden ſtaatlichen
Bande, welche den Einzelnen an den Einzelnen, weil an das Ganze knüpfen,
nehmen dadurch eine gemüthliche Beimiſchung an, der Staat wird einer
großen Familie ähnlich; der tägliche Krieg aller gegen alle, der das
Grundgeſetz des unmittelbaren, des ökonomiſchen Lebens bildet, erhält
ſeine moraliſche Verſöhnung. Daß nicht allen geholfen werden kann,
ſelbſt wenn die Gaben noch ſo reichlich ausgetheilt würden, iſt eine alte
Wahrheit, der leider der Socialismus ſeine ſchärfſten negativen Waffen
verdankt, die aber, ſolange unſere phyſikaliſchen wie logiſchen Geſetze auf
der Erde fortbeſtehen, durch alle künſtlichen Verſuche nicht zur Unwahrheit
geſtempelt zu werden vermag. Wer von dem widerſinnigen Spruche
Proudhon’s: „Das Eigenthum iſt Diebſtahl“ ausgeht, der muß allerdings
eine jede wohlthätige Handlung als eine „Abſchlagszahlung des Räubers
an den Beſtohlenen“ anſehen; wer aber das Eigenthum als eine nothwen-
dige Grundbedingung des geſellſchaftlichen Beiſammenſeyns betrachtet,
ebenſo unveräußerlich für dasſelbe als die phyſtcaliſchen Geſetze für den
Fortbeſtand unſeres Erdkörvers, der erblickt in dem Almoſengeben eben-
ſowohl ein bewußtes Ueberſchreiten des in jedem Menſchen liegenden in-
dividuellen Egoismus, als in dem geiſtigen Streben des einzelnen zum
Wohle eines oder aller Mitmenſchen. Wir wollen hier nicht jenen Logi-
ker, der ſich faſt täglich im Pariſer Charivari abgebildet ſieht, auf das
Unlogiſche ſeines obigen Satzes des weiteren aufmerkſam machen, die
nämlich darin beſteht daß Diebſtahl ja immer ein Eigenthum vorausſetzt.
„Eigenthum iſt Diebſtahl“ kann demnach nichts anderes heißen als Ei-
genthum iſt Diebſtahl am Eigenthum; wenn nun aber Eigenthum gleich
Diebſtahl iſt, ſo bedeutet: „Eigenthum iſt Diebſtahl“, ſo viel als Eigen-
thum iſt Diebſtahl am Diebſtahl, welche „Diebſtahls“-Kette immer durch
die logiſche Nothwendigkeit, da Raub ein Eigenthum vorausſetzt, ins
unendliche verlängert, wie ſie umgekehrt werden kann in: Diebſtahl iſt
Eigenthum am Eigenthum. Aber auf den feinen politiſchen Tact möch-
ten wir hindeuten der darin liegt daß die gegenwärtige Militärherrſchaft,
ohne deren augenblicklich noch dauernden Fortbeſtand die reformatortſche
Organiſation wohl ſchwerlich die gehörige Kraſt entwickeln könnte, ſich
überall bei der Verſorgung der Armen an die Spitze ſtellt. Die „ver-
thierten“ Söldlinge der Demokraten überſchreiten ihrerſeits die Kluft die
bisher zwiſchen dem Nähr – und dem Wehrſtande ſich ausgebreitet hatte;
ſie erſcheinen in den Reihen der Bürger nicht als Stützen eines egoiſti-
ſchen Syſtems, ſondern als volle, warmfühlende Menſchen, und das muß
[Spaltenumbruch] manchen aus den früheren Tagen noch herüberragenden damals vielleicht
begründeten Haß allmählich wegwiſchen. Die heutige „Wiener Zeitung“
enthält in ihrer Beilage einen „das Burgtheater“ überſchriebenen Feuille-
ton-Artikel, der, unzweifelbar aus der Feder des neuen artiſtiſchen Direc-
tors ſelbſt gefloſſen, noch mehr zwiſchen den Zeilen als in ihnen leſen
läßt. Laube’s Stellung ſcheint keineswegs eine dornenloſe zu ſeyn; und
das junge Deutſchland wird bei ſeinen äſthetiſchen Leiſtungen manche po-
litiſche Conceſſion machen müſſen, an die es wohl früher niemals gedacht
hat. Die Klagen über den Mangel einer deutſchen Nationalbühne ſind
ſo allgemein geworden daß ſie ſich wie gewiſſe Romane bereits in
den Regionen der Nätherinnen breit machen; wir müſſen es abwarten ob
eine Kraft die das deutſche Volk zu ſeinen Erſteren, wenn auch nicht im
politiſchen, aber doch im ſchöngeiſtigen Fache zu zählen gewohnt iſt, mit
den Mitteln eines Burgtheaters denſelben abzuſtellen im Stande ſeyn wird.
Der erwähnte Artikel iſt bei dem zu nehmenden Angriff aber keine muthvolle
Fanfare. — Wir haben unſerm Briefe vom 23 d. M. eine Berichtigung
hinzuzufügen: der Amerikaner hat, wie heute der „Oſtdeutſchen Poſt“ offt-
ciell geſchrieben wird, in Dresden nur deßwegen das nach Prag erbetene
Paßviſum nicht erhalten, „da in ſeinem Paſſe die zur Ertheilung des Vi-
ſums vorgezeichneten Bedingungen nicht erfüllt waren.“ Durch die nach-
trägliche Erfüllung derſelben iſt dem Yankee die freie Einfuhr geſtattet.


Die Nachricht von der am 26 Januar ſtattge-
habten Annahme der k. Botſchaft in der zweiten preußiſchen Kammer hat hier
auf alle Kreiſe verblüffend gewirkt. War man auch von der guten Gefin-
nung der Kammermajorität im Herzen überzeugt — ſo große Entſagung
gegen die langeher aus Ueberzeugung vertheidigten Principien, ſoviel zarte
Rückficht für des Königs Gewiſſen hätte man ihr nicht zugetraut. Das
müſſen ſehr entſcheidende, zwingende Gründe ſeyn — ſo denkt man hier —
die eine Verſammlung von ſo nüchternen und überlegten Politikern zum
Abfall von ihrer Fahne beſtimmen konnten. Am wenigſten ſcheint das
Ereigniß in den hohen conſervativen Kreiſen zu gefallen. Wien und Ver-
lin, das weiß man, ſtehen unter ſich in einer merkwürdigen Wechſelver-
bindung. Der Telegraphendrath, der uns wechſelſeitig in wenigen Stun-
den Nachrichten von einander bringt, iſt wohl auch ebenſo ſehr ein Leiter
für den elektriſchen Funken der an einem oder andern Orte niederfährt.
Wie können wir hoffen zur Ruhe zu kommen, wenn in unſerer nächſten
Nähe die Gewitterwolken ſich ſo drohend thürmen? Für jetzt, wie geſagt,
gehören die Gerüchte, als ob auch bei uns ſofort eine ähnliche „Verbeſſe-
rung“ der octroyirten Verfaſſung zu erwarten ſtünde, in das Reich der
Märchen. Dazu bleibt jedeufalls noch ſpäter Zeit, wenn die neue Verfaſ-
ſung bei den Nachbarn ein Gewohntes geworden und die Untrüglichkeit
dieſes letzten Heilmittels von oben erprobt iſt. Sollte dieß gelingen, ja
dann wäre es allerdings möglich daß man von hier aus Revanche nähme
für den Dienſt den man Berlin und Preußen im October 1848 erwieſen,
doch früher gewiß nicht. Für jetzt iſt es wohl weit beſſer den Fehler des
vor kurzem noch ſo mächtigen Rivalen benützen, als aus Freundſchaft ſich
in dieſelbe Grube ſtürzen die er ſich gegraben. Wenn nichts die Gothaer
Partei und das hinter ihr ſtehende Volk in den kleinen deutſchen Staaten
zur Beſinnung zu bringen vermöchte, ſo wäre wohl dieſes Ereigniß dazu
geeignet. Kann ſie jetzt noch glauben daß an ein Feſthalten an der Ver-
faſſung vom 26 Mai zu denken ſey wo man ihr von Berlin aus ein ſo un-
zweideutiges Paroli gebogen, kann ſie noch jetzt auf einen deutſchen Bun-
desſtaat in dem Sinn wie ſie ihn anſtrebte, unter Heinrich v. Gagerns
Führung denken, wo, wenn nicht alles trügt, die mediatiſtrten Fürſten und
Grafen ſammt den Biſchöfen und Capiteln das Oberhaus in dieſem Bun-
desſtaat zu bilden berufen ſind? Und wird wohl, ſelbſt wenn ſie die Troſt-
loſtgkeit ihrer Stellung zu dieſer letzten Conceſſion gegen neuerliche Ge-
wiſſensſcrupel drängte, das arme, getäuſchte Volk auch ihn eingehen wol-
len, den Tauſch? Wahrlich es ſteht ſchlimm um das arme Deutſchland,
das nicht verdiente Gegenſtand des Spottes zu werden für ſeine Feinde.
Da tröſten wir uns noch lieber über unſern Belagerungszuſtand und zeit-
weilige ungrammatikaliſche Erlaſſe der hohen Ausnahmsbehörde. Daß
das allgemeine Intereſſe an den öffentlichen Angelegenheiten unter dem
Ausnahmszuſtande ſich nicht ſchwächt, konnte man geſtern bei dem Beginn
der Vorträge des Dr. Würth über die neue Strafproceßordnung deutlich
wahrnehmen. Obgleich der Saal in dem er ſeine Vorträge hält, wohl
an 600 Perſonen faßt, war der Andrang des Publicums doch ſo ſtark daß
gegen ein Drittheil unverrichteter Dinge wieder vor der Thür umkehren
mußte. Dabei ſah man nicht etwa bloß Studenten und Beamte oder Ad-
vocaten, ſondern Leute aus allen ſelbſt den untern Claſſen der Bevölke-
rung, und eine ſo geſpannte Aufmerkſamkeit wie ſich deren bieher noch
ſelten ein Profeſſor rühmen konnte — ein Reſultat, doppelt etfreulich
deßhalb weil das Intereſſe dießmal wirklich vorzugsweiſe dem Gegenſtand
galt. In Betreff der Differenzen zwiſchen der hieſtgen Handerekammer,
welche gern mehr gehört werden, und dem Handelsminiſterium, welches

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[517/0005] gewußt. Dieſe beiden uckermärkiſch-pommeriſchen Grafen haben in der That den Erfolg der königlichen Votſchaft entſchieden. Graf Schwerin empfängt dafür beut in der „Deutſchen Reform“ eine halbofficielle Dank- ſagung und Anerkennung. Durch ihn wurden ungemein viel Ueberläu- fer aus Patiotismus gemacht, denn wenn man den ehrenwerthen Grafen Schwerin auch nur für ein ſchwaches ſtaatsmänniſches Licht und für ebenſo abgenutzt als alle unſere conſtitutionellen Größen hält, ſo wirkt doch ſein moraliſches Anſehen ſehr auf die umſchlägige Menge der Abge- ordneten. So ſind wir durch allerlei Zufälle in dieſe ſeltſamſte Lage von der Welt gerathen, in der wir zugleich unſere deutſche Miſſion antreten und verfechten ſollen. Der Erfurter Reichstag iſt vor der Thür, und ebenſo ſind die Plane des Gegenbundes unter Oeſterreichs Fittig zum Abſchluß gereift. Mit dieſem letztern beginnt der Schwerpunkt unſeres engeren Bundesſtaats zu leiden, und er war nur durch das volksreprä- ſentative Princip in deſſen weiteſter Bedeutung zu ſtützen! Berlin, 30 Jan. In der heutigen Sitzung der zweiten Kammer zeigte der Präfident der erſten Kammer an daß letztere in ihren geſtrigen Sitzungen den Beſchlüſſen der zweiten Kammer, betreffs der königl. Bot- ſchaft, vollſtändig beigetreten, und das Staatsminiſterium demgemäß be- nachrichtigt ſey. Heute iſt auch nach dem C.-B. in Berathung der bei- den Kammerpräſidenten mit dem Miniſterium das Schema und das Programm für die Eidesleiſtung feſtgeſtellt worden, indeß über den Zeit- punkt, letzterer noch nichts beſtimmt. Ein Gerücht geht daß die Eides- leiſtung den 3 Febr. ſtattfinden ſolle; ein anderes wollte wiſſen der König wünſche immer noch eine Verſchiebung des Eides. Schleswig – Holſtein. Kiel, 27 Jan. Die Statthalterſchaft ſoll beſchloſſen haben das jüngſte Antwortſchreiben aus Kopenhagen dahin zu erwiedern daß man ſich auf eine directe Unterhandlung nicht mehr einlaſ- ſen könne. Der Landesverſammlung iſt geſtern in geheimer Sitzung ein aus Frankfurt eingetroffener Beſchluß der Bundescommiſſion mitgetheilt worden, der allen Anzeichen nach ſehr günſtig für Schleswig-Holſtein lautet. Oeſterreich. —Wien, 27 Jan. Sind die öſterreichiſchen Blät- ter heute leer an politiſchen Nachrichten, ſo ſind ſie wieder voll von Auf- zeichnungen wohlthätiger Spenden. Es macht einen ſehr angenehmen Eindruck zu ſehen, wie zu einer Zeit wo die Ungunſt der Witterung die Laſt der Armuth noch ſchwerer macht, überall das ſo ächt menſchliche Mit- gefühl ſich regt. Die nur aus dem Verſtande hervorgehenden ſtaatlichen Bande, welche den Einzelnen an den Einzelnen, weil an das Ganze knüpfen, nehmen dadurch eine gemüthliche Beimiſchung an, der Staat wird einer großen Familie ähnlich; der tägliche Krieg aller gegen alle, der das Grundgeſetz des unmittelbaren, des ökonomiſchen Lebens bildet, erhält ſeine moraliſche Verſöhnung. Daß nicht allen geholfen werden kann, ſelbſt wenn die Gaben noch ſo reichlich ausgetheilt würden, iſt eine alte Wahrheit, der leider der Socialismus ſeine ſchärfſten negativen Waffen verdankt, die aber, ſolange unſere phyſikaliſchen wie logiſchen Geſetze auf der Erde fortbeſtehen, durch alle künſtlichen Verſuche nicht zur Unwahrheit geſtempelt zu werden vermag. Wer von dem widerſinnigen Spruche Proudhon’s: „Das Eigenthum iſt Diebſtahl“ ausgeht, der muß allerdings eine jede wohlthätige Handlung als eine „Abſchlagszahlung des Räubers an den Beſtohlenen“ anſehen; wer aber das Eigenthum als eine nothwen- dige Grundbedingung des geſellſchaftlichen Beiſammenſeyns betrachtet, ebenſo unveräußerlich für dasſelbe als die phyſtcaliſchen Geſetze für den Fortbeſtand unſeres Erdkörvers, der erblickt in dem Almoſengeben eben- ſowohl ein bewußtes Ueberſchreiten des in jedem Menſchen liegenden in- dividuellen Egoismus, als in dem geiſtigen Streben des einzelnen zum Wohle eines oder aller Mitmenſchen. Wir wollen hier nicht jenen Logi- ker, der ſich faſt täglich im Pariſer Charivari abgebildet ſieht, auf das Unlogiſche ſeines obigen Satzes des weiteren aufmerkſam machen, die nämlich darin beſteht daß Diebſtahl ja immer ein Eigenthum vorausſetzt. „Eigenthum iſt Diebſtahl“ kann demnach nichts anderes heißen als Ei- genthum iſt Diebſtahl am Eigenthum; wenn nun aber Eigenthum gleich Diebſtahl iſt, ſo bedeutet: „Eigenthum iſt Diebſtahl“, ſo viel als Eigen- thum iſt Diebſtahl am Diebſtahl, welche „Diebſtahls“-Kette immer durch die logiſche Nothwendigkeit, da Raub ein Eigenthum vorausſetzt, ins unendliche verlängert, wie ſie umgekehrt werden kann in: Diebſtahl iſt Eigenthum am Eigenthum. Aber auf den feinen politiſchen Tact möch- ten wir hindeuten der darin liegt daß die gegenwärtige Militärherrſchaft, ohne deren augenblicklich noch dauernden Fortbeſtand die reformatortſche Organiſation wohl ſchwerlich die gehörige Kraſt entwickeln könnte, ſich überall bei der Verſorgung der Armen an die Spitze ſtellt. Die „ver- thierten“ Söldlinge der Demokraten überſchreiten ihrerſeits die Kluft die bisher zwiſchen dem Nähr – und dem Wehrſtande ſich ausgebreitet hatte; ſie erſcheinen in den Reihen der Bürger nicht als Stützen eines egoiſti- ſchen Syſtems, ſondern als volle, warmfühlende Menſchen, und das muß manchen aus den früheren Tagen noch herüberragenden damals vielleicht begründeten Haß allmählich wegwiſchen. Die heutige „Wiener Zeitung“ enthält in ihrer Beilage einen „das Burgtheater“ überſchriebenen Feuille- ton-Artikel, der, unzweifelbar aus der Feder des neuen artiſtiſchen Direc- tors ſelbſt gefloſſen, noch mehr zwiſchen den Zeilen als in ihnen leſen läßt. Laube’s Stellung ſcheint keineswegs eine dornenloſe zu ſeyn; und das junge Deutſchland wird bei ſeinen äſthetiſchen Leiſtungen manche po- litiſche Conceſſion machen müſſen, an die es wohl früher niemals gedacht hat. Die Klagen über den Mangel einer deutſchen Nationalbühne ſind ſo allgemein geworden daß ſie ſich wie gewiſſe Romane bereits in den Regionen der Nätherinnen breit machen; wir müſſen es abwarten ob eine Kraft die das deutſche Volk zu ſeinen Erſteren, wenn auch nicht im politiſchen, aber doch im ſchöngeiſtigen Fache zu zählen gewohnt iſt, mit den Mitteln eines Burgtheaters denſelben abzuſtellen im Stande ſeyn wird. Der erwähnte Artikel iſt bei dem zu nehmenden Angriff aber keine muthvolle Fanfare. — Wir haben unſerm Briefe vom 23 d. M. eine Berichtigung hinzuzufügen: der Amerikaner hat, wie heute der „Oſtdeutſchen Poſt“ offt- ciell geſchrieben wird, in Dresden nur deßwegen das nach Prag erbetene Paßviſum nicht erhalten, „da in ſeinem Paſſe die zur Ertheilung des Vi- ſums vorgezeichneten Bedingungen nicht erfüllt waren.“ Durch die nach- trägliche Erfüllung derſelben iſt dem Yankee die freie Einfuhr geſtattet. # Wien, 29 Jan. Die Nachricht von der am 26 Januar ſtattge- habten Annahme der k. Botſchaft in der zweiten preußiſchen Kammer hat hier auf alle Kreiſe verblüffend gewirkt. War man auch von der guten Gefin- nung der Kammermajorität im Herzen überzeugt — ſo große Entſagung gegen die langeher aus Ueberzeugung vertheidigten Principien, ſoviel zarte Rückficht für des Königs Gewiſſen hätte man ihr nicht zugetraut. Das müſſen ſehr entſcheidende, zwingende Gründe ſeyn — ſo denkt man hier — die eine Verſammlung von ſo nüchternen und überlegten Politikern zum Abfall von ihrer Fahne beſtimmen konnten. Am wenigſten ſcheint das Ereigniß in den hohen conſervativen Kreiſen zu gefallen. Wien und Ver- lin, das weiß man, ſtehen unter ſich in einer merkwürdigen Wechſelver- bindung. Der Telegraphendrath, der uns wechſelſeitig in wenigen Stun- den Nachrichten von einander bringt, iſt wohl auch ebenſo ſehr ein Leiter für den elektriſchen Funken der an einem oder andern Orte niederfährt. Wie können wir hoffen zur Ruhe zu kommen, wenn in unſerer nächſten Nähe die Gewitterwolken ſich ſo drohend thürmen? Für jetzt, wie geſagt, gehören die Gerüchte, als ob auch bei uns ſofort eine ähnliche „Verbeſſe- rung“ der octroyirten Verfaſſung zu erwarten ſtünde, in das Reich der Märchen. Dazu bleibt jedeufalls noch ſpäter Zeit, wenn die neue Verfaſ- ſung bei den Nachbarn ein Gewohntes geworden und die Untrüglichkeit dieſes letzten Heilmittels von oben erprobt iſt. Sollte dieß gelingen, ja dann wäre es allerdings möglich daß man von hier aus Revanche nähme für den Dienſt den man Berlin und Preußen im October 1848 erwieſen, doch früher gewiß nicht. Für jetzt iſt es wohl weit beſſer den Fehler des vor kurzem noch ſo mächtigen Rivalen benützen, als aus Freundſchaft ſich in dieſelbe Grube ſtürzen die er ſich gegraben. Wenn nichts die Gothaer Partei und das hinter ihr ſtehende Volk in den kleinen deutſchen Staaten zur Beſinnung zu bringen vermöchte, ſo wäre wohl dieſes Ereigniß dazu geeignet. Kann ſie jetzt noch glauben daß an ein Feſthalten an der Ver- faſſung vom 26 Mai zu denken ſey wo man ihr von Berlin aus ein ſo un- zweideutiges Paroli gebogen, kann ſie noch jetzt auf einen deutſchen Bun- desſtaat in dem Sinn wie ſie ihn anſtrebte, unter Heinrich v. Gagerns Führung denken, wo, wenn nicht alles trügt, die mediatiſtrten Fürſten und Grafen ſammt den Biſchöfen und Capiteln das Oberhaus in dieſem Bun- desſtaat zu bilden berufen ſind? Und wird wohl, ſelbſt wenn ſie die Troſt- loſtgkeit ihrer Stellung zu dieſer letzten Conceſſion gegen neuerliche Ge- wiſſensſcrupel drängte, das arme, getäuſchte Volk auch ihn eingehen wol- len, den Tauſch? Wahrlich es ſteht ſchlimm um das arme Deutſchland, das nicht verdiente Gegenſtand des Spottes zu werden für ſeine Feinde. Da tröſten wir uns noch lieber über unſern Belagerungszuſtand und zeit- weilige ungrammatikaliſche Erlaſſe der hohen Ausnahmsbehörde. Daß das allgemeine Intereſſe an den öffentlichen Angelegenheiten unter dem Ausnahmszuſtande ſich nicht ſchwächt, konnte man geſtern bei dem Beginn der Vorträge des Dr. Würth über die neue Strafproceßordnung deutlich wahrnehmen. Obgleich der Saal in dem er ſeine Vorträge hält, wohl an 600 Perſonen faßt, war der Andrang des Publicums doch ſo ſtark daß gegen ein Drittheil unverrichteter Dinge wieder vor der Thür umkehren mußte. Dabei ſah man nicht etwa bloß Studenten und Beamte oder Ad- vocaten, ſondern Leute aus allen ſelbſt den untern Claſſen der Bevölke- rung, und eine ſo geſpannte Aufmerkſamkeit wie ſich deren bieher noch ſelten ein Profeſſor rühmen konnte — ein Reſultat, doppelt etfreulich deßhalb weil das Intereſſe dießmal wirklich vorzugsweiſe dem Gegenſtand galt. In Betreff der Differenzen zwiſchen der hieſtgen Handerekammer, welche gern mehr gehört werden, und dem Handelsminiſterium, welches

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 2. Februar 1850, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine33_1850/5>, abgerufen am 17.07.2024.