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Allgemeine Zeitung. Nr. 334. München, 2. Dezember 1890.

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Dienstag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Uebersicht.
Cultusminister Dr. v. Goßler über Robert Koch.
-- Ver-
schiedenes.
-- Handel und Volkswirthschaft.


Cultusminister Dr. v. Goßler über Robert Koch.

Wir glauben einem öffentlichen Interesse zu dienen, wenn
wir nachstehend die Rede wiedergeben, in welcher der preußische
Cultusminister in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
29. November das erste officielle Zeugniß über die welt-
bewegende Erfindung und deren weitere Behandlung und Aus-
gestaltung abgelegt hat. Es handelte sich bekanntlich um die
von allen Parteien unterstützte Anfrage des Abg. Graf,
"welche Schritte die königliche Staatsregierung zur Förderung
und weiteren Nutzbarmachung des Koch'schen Heilverfahrens
in Aussicht genommen habe?"

Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Es war am 4. August dieses
Jahres in der ersten allgemeinen Sitzung des internationalen
medicinischen Congresses, als in seinem Vortrage Robert Koch
sagte, daß er ein Mittel gefunden habe, welches im Stande sei,
Versuchsthiere unempfänglich gegen den Tuberkelbacillus zu machen
und in schon erkrankten Theilen den Proceß zum Stillstand zu
bringen. Solche Worte aus solchem Munde konnten nicht ver-
fehlen, eine große Erregung unter den anwesenden Aerzten her-
vorzurufen. Diese Erregung stieg in der medicinischen Welt, als
am 13. November die bekannte Publication Kochs erfolgte, welche
auch die erfolgreiche Anwendung des Mittels an erkrankten Men-
schen nachwies. Seit jenem Tage haben, dank dem liebens-
würdigen Entgegenkommen der Berliner klinischen Institute und
Krankenhäuser, viele hundert Aerzte Gelegenheit gehabt, sich über
den Stand der Sache zu unterrichten und die Wirkungen der
neuen Heilmethode zu beobachten und zu verfolgen. Ist nun auch
die Zeit zu einem abschließenden Urtheil noch nicht gekommen und
bedarf es zunächst noch einer längeren Periode, um die Arbeiten
kritisch zu sichten, so steht doch heute schon fest, daß wir hier ein
Mittel vor uns haben, welches auf tuberculöse Processe in den
verschiedensten Organen in kurzer Frist eine sichere Wirkung aus-
übt, daß wir dadurch im Stande sind, die Diagnose solcher Processe
zu sichern und in geeigneten Fällen die Heilung zu bewirken oder
mindestens zu begünstigen; daß wir also in der Lage sind, gegen
diese mörderische Krankheit auf directem Wege vorzugehen, welche
bis dahin überall, wo sie nicht dem Messer des Chirurgen Angriff
bot, nur dem indirecten Heilverfahren zugänglich war. Ich halte
mich für berechtigt, an dieser Stelle der hohen Freude Ausdruck
zu geben, daß es einer der Unsrigen war, dem diese folgenschwere
Entdeckung gelungen ist (Beifall), daß der Lorbeer, welcher heute
von allen Culturnationen unserm großen Landsmann dargebracht
wird, zugleich eine Huldigung für die deutsche Wissenschaft und
deutsche Forschung ist. (Beifall.) Es war aber unausbleiblich,
daß durch den enormen Zudrang zahlreicher Hülfesuchenden Miß-
bräuche der verschiedensten Art entstanden, daß das vergebliche Be-
mühen von Kranken und Aerzten, in den Besitz des kostbaren
Mittels zu kommen, Mißstimmung und scharfe Kritik mit sich
brachte. Daß die überschwänglichen Hoffnungen, welche sich an
diese Mittheilungen knüpften, vor welchen Niemand nachdrücklicher
gewarnt hat, als der Entdecker selbst, Enttäuschungen zur Folge
haben mußten, war unvermeidlich; immerhin erfordert die An-
gelegenheit unsre ganze Aufmerksamkeit. Es ist ferner einleuchtend,
daß ein so mächtig wirkendes Mittel, welches Fieberzustände oft in
sehr hohem Maße herbeiführt, nur von berufener Hand, nur mit
forgfältigster Auswahl der geeigneten Fälle und mit bestimmten
Vorsichtsmaßregeln bei Patienten angewendet werden kann. Jeder
Arzt, welcher das Mittel anwendet, wird sich seiner vollen Ver-
antwortung bewußt sein. Aus dieser Sachlage entspringen der
Staatsregierung besondere Verpflichtungen. Zunächst wird es ihre
Pflicht sein, in geeigneter und ausgiebiger Weise die klinischen
Institute zu schaffen, in welchen die Angelegenheit eine weitere
Förderung erhält. Es wird ferner nothwendig sein, soweit es in
ihrer Macht steht, dafür zu forgen, daß das Mittel in genügender
Menge und in der gleichen untadelhaften Qualität hergestellt wird,
daß ein geeigneter Vertheilungsmodus gefunden wird, bei welchem
die natürlichen Centralstellen, die Krankenhäuser und Heilanstalten
im ganzen Lande in erster Linie berücksichtigt werden. Es wird
ferner zu erwägen sein, unter welchen Modalitäten das Mittel in
die Hände der anderen Aerzte gelangen und inwieweit man
schließlich den Pflichten gegen das Ausland nachkommen kann.
Später werden auch die thierärztlichen Hochschulen und die land-
wirthschaftlichen Anstalten zu berücksichtigen sein, denn die Be-
kämpfung der Tuberculose ist auch von hohem Interesse für die
Landwirthschaft, wirkt so wieder auf die menschliche Gesundheit
zurück, ist überhaupt auch von hohem wirthschaftlichen Interesse.
(Sehr richtig.) Bei einem geregelten Vertheilungsmodus wird das
Hosten und Drängen nach dem Mittel aufhören, es werden be-
berechtigte und unberechtigte Klagen verstummen. In welcher
Weise die Regierung in der Lage ist, dieser letzten Forderung ge-
recht zu werden, ob durch Uebernahme des Mittels auf den Staat,
Monopolisirung oder auf andere Weise, darüber erlaube ich mir
kein Urtheil; über Eines aber herrscht allgemeines Einverständniß:
daß ein solches Mittel entsprechend den Intentionen des großen,
selbstlosen Erfinders dem gewerbsmäßigen Betriebe und der ge-
werbsmäßigen Ausbeutung dauernd entzogen bleibt. (Beifall.)
Wir sind der Ueberzeugung, daß die Staatsregierung allen diesen
Verhältnissen ihre thatkräftige Fürsorge zu widmen hat; hierüber
nicht nur vor der Landesvertretung, sondern vor dem ganzen
Lande Aufklärung und Gewißheit zu verschaffen, ist der Zweck der
Interpellation.

Cultusminister v. Goßler: Ich bin dem Interpellanten
und dem hohen Hause dankbar, daß wir in Folge der Interpel-
lation diese wichtige und in ihren Folgen völlig unübersehbare
Angelegenheit mit voller Ruhe behandeln können. Ich bin dem
Hrn. Vorredner auch dafür dankbar, daß er mit derjenigen Nüch-
ternheit und Objectivität an diese Verhandlung herangetreten ist,
deren sie bedarf und würdig ist. Ich erinnere auch an den
4. August, als Professor Koch seinen Vortrag damit schloß, daß
er es durchaus für möglich und wahrscheinlich halte, daß die Ent-
deckung, die er auf dem Boden der Bekämpfung des Tuberkel-
bacillus gemacht, auch zu einer Verwerthung in der Heilkunst
führen könnte. Er sagte, es wäre der Fehler gemacht, daß man
empirisch oder durch Intuition sich habe verleiten lassen, mit
directen Mitteln der Tuberculose entgegenzutreten, während ein
logischer Versuch einen anderen Weg einschlagen müßte, nämlich
erstens die Auffindung von Mitteln gegen den Tuberkelbacillus,
der außerhalb eines Körpers auf einem Nährboden erzeugt wäre,
zweitens Versuche an Thieren und drittens Versuche an Menschen.
Er entwickelte in seinem Vortrage, daß er zahllose Mittel ge-
funden habe, um in sogenannten Reinculturen die Bacillen zu
vernichten, er schlug aber die sich daran knüpfenden Hoffnungen
der Zuhörer sofort zu Boden, indem er sagte, daß alle diese
Mittel sich gänzlich wirkungslos bei Thierversuchen erwiesen
hätten. Er schloß dann seinen grundlegenden und für alle Zeiten
[Spaltenumbruch] unvergeßlichen Vortrag damit, daß es ihm gleichwohl auf anderem
Wege gelungen sei, bei Thierversuchen einen Stoff zu finden,
welcher sowohl das Thier immun mache gegen den Tuberkelbacil-
lus, als auch fähig sei, diese Krankheitserscheinung zurückzudämmen
oder mindestens aufzuhalten. Dies wirkte in der gesammten
Welt wie ein Donnerschlag, und von diesem Moment war natür-
lich die Aufmerksamkeit auf die Person des Geheimraths Koch
gelenkt. Er entzog sich aber sogleich allen weiteren Discussionen
durch eine beschleunigte Reise bis zum Schluß des medicinischen
Congresses. Unmittelbar darauf ging er ganz im geheimen an
einen Versuch des Mittels nicht allein an einem Thiere, sondern
auch an einem Menschen. Zuerst wurde sein Mittel in der
Charite mit Hülfe des Professors Fräntzel und des Stabsarztes
Köhler angewendet. Dann machte er den berühmten Versuch an
sich selbst, und dieser war ein so gewaltiger, daß nur ein so fest
entschlossener Forscher den Versuch machen konnte, der, wie man
damals wohl ahnen konnte, unmittelbar hätte zum Tode führen
können. Er hat eine Dosis von 5 Kubikgramm, also das Höchste,
was einem Kranken in der Charite gegeben war, genommen und
eine ganz ungeheure Wirkung verspürt und konnte nun seine
Rathschläge über die Verwendung von Maximaldosen geben.
Dann wandte er sich an Professor Brieger, welcher als ein ganz
eminenter und zuverlässiger Forscher bekannt ist. Brieger arbeitet
am hygienischen Institut und hat sich durch seine Arbeiten daselbst
einen bleibenden Ruhm geschaffen. Durch Brieger wurde er be-
kannt mit der chirurgischen Privatklinik des Dr. Levy. Ich halte
mich verpflichtet, an der Hand der Mittheilungen des Prof. Koch
hier auszusprechen, daß, solange Koch in der Lage war, in dessen
Klinik die Kranken zu beobachten, er in jeder Weise der dort
herrschenden Thätigkeit und Interessenlosigkeit seine volle An-
erkennung gezollt hat. Seine persönliche Kenntniß beschränkt sich
aber auf die Zeit der Vorversuche. Ich bin verpflichtet, hier zu
erwähnen, daß die dortigen Kranken M. 1.75 bezahlen, also den-
selben Satz, wie in der Charite. Es ist sogar damals auf
Wunsch des Professors Koch gelungen, einen früheren Studenten
kostenfrei in die Anstalt aufzunehmen. Als Mitarbeiter Kochs ist
ferner Dr. Cornet in den Zeitungen genannt. Cornet ist bekannt
geworden durch seine epochemachende Publication auf dem Gebiete
der Lungenphthise, welche ich im vorigen Jahre auf Staatskosten habe
drucken und auf das weiteste verbreiten lassen. Es liegen von ihm
Sachen vor, welche die wärmste Anerkennung aller Sachverständigen
gefunden haben. Ferner sind als Mitarbeiter genannt Dr.
Dengel, welcher eine angesehene Privatpraxis hat, und Professor
Pfuhl. Ich darf annehmen, daß bei allen diesen Männern Frage-
zeichen nicht vorliegen. Die Versuche konnten nicht ganz unbekannt
bleiben, man las in den Zeitungen einzelne Notizen, die sich auch
in das Ausland verirrten, und aus der ausländischen Presse be-
kamen wir eine große Fülle von hämischen, abfälligen Urtheilen,
die mit voller Schadenfreude behaupteten, was Koch am 4. August
entdeckt habe, sei bereits als Glas zerschlagen worden. Ich wartete
geduldig ab, bis diese Angelegenheit an mich herantreten würde.
Am 27. October theilte mir Professor Koch mit, er habe ein
Specificum gegen den Tuberkelbacillus gefunden; er glaube, seine
Pflichten als Vorsitzender des hygienischen Instituts nicht mehr
thun zu können in Folge der Entwicklung seiner wissenschaftlichen
Arbeiten, und er regte die Frage an, ob er aus dem Institut aus-
scheiden solle. In allen solchen Fällen, wo ein hervorragender
wissenschaftlicher Lehrer auf ein Forschungsgebiet gekommen war,
das seine ganze Kraft in Anspruch nahm, habe ich es immer für
die Aufgabe des Staates gehalten, ihm Muße und Mittel zu ge-
währen. (Beifall.) Eine ganze Reihe von hervorragenden Forschern
habe ich mit allerhöchster Ermächtigung auf ein, zwei Jahre zu
solchem Zwecke beurlaubt. Es wurde auch die Beurlaubung Kochs
versügt und Professor v. Esmarch mit seiner Stellvertretung betraut.
Nun war das Geheimniß zerrissen. Alle Mühe, den Schleier zu
erhalten, war vergeblich. Es war wie ein Donnerschlag, der aus
diesem Institut herausging. Meine Unterredung mit Koch am Tage
seiner Beurlaubung ging tiefer auf die Materie ein. Er war von
vornherein bereit, mir das Letzte, was er wußte, mitzutheilen. Ich
bat ihn aber, es mir nicht zu sagen, denn es könnte wohl ohne
mein Verschulden eine Mittheilung eintreten, welche unter Umstän-
den mehr schaden als nützen könnte. Daß er im ersten Augenblick
vollkommen bereit war, seine Acten zu veröffentlichen, beweist, daß
nie ein Gedanke durch seine Seele gezogen ist, der eine andere als
eine wissenschaftliche und ideale Grundlage hatte. (Beifall.) Wir
behandelten das Thema: Was für Veranstaltungen lassen sich
treffen, um Koch für jetzt wie für die Zukunft die Durchführung
seiner Entdeckung und deren Ausdehnung auf verwandte Gebiete
zu ermöglichen? Er glaubte, daß er einer Krankenanstalt bedürfe
innerhalb einer anderen großen Anstalt, wo er aus der Fülle der
Kranken geeignetes Material erhalten könnte, um die verschiedensten
Infectionskrankheiten studiren zu können; sodann wünsche er ein
wissenschaftliches Institut für die nöthigen Untersuchungen. Ich
bot ihm die Charite an, er hielt aber den Weg für einfacher, wenn
ihm im Baracken-Lazareth in Moabit 150 Betten überwiesen wür-
den, da dort auch 400 bis 500 Kranke vorhanden seien. Im
übrigen bot ich ihm an, die preußischen Universitäts-Kliniken zu
benutzen als weiteres Versuchsfeld. Er glaubte für sich so sicher
sein zu können, daß er von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte,
und wir trennten uns, ohne zum Abschluß zu kommen. Ich habe
aber den Gedanken weiter verfolgt. Es ist zweifellos, wenn Pro-
fessor Koch mir sagte, er habe ein Mittel gefunden, dann ist es
wahr, aber es kommt auch darauf an, die Sache der
Welt in einer Form vorzuführen, welche möglichst auch
im Interesse des Erfinders liegt. Alle unsre natur-
wissenschaftlichen Arbeiten schließen sich überwiegend an die
Universitäten an, und unsre deutschen Kliniken haben im
In- und Ausland den Ruf, daß dort nicht gelogen und nur ver-
öffentlicht wird, was wirklich genau erkannt ist. Man muß solche
Publicationen vermeiden, wo die Beobachtung der Thatsachen in
Speculation übergeht. Eine Vermischung von Speculation und
Forschung darf an unseren Kliniken niemals eintreten. Ich habe
dann die chirurgische Klinik ausersehen, es ist mir durch das Ent-
gegenkommen des Leiters derselben, Professor v. Bergmann, in
einwandsfreier Weise gelungen, dort eine großartige Versuchsanstalt
herzustellen. Bereits am 6. November war es möglich, ein durch-
aus eigenartiges und reichhaltiges Material, welches alle Formen
der Tuberculose aufwies, herzustellen. Dort ist das Rendezvons
der Aerzte der Welt, täglich besichtigen 300 Aerzte die Kranken.
Die Operationen und das Studium haben zurücktreten müssen.
Bezüglich der Wünsche Kochs der Stadt gegenüber fand am
1. November eine Conferenz statt, es ergaben sich aber Schwierig-
keiten; der Wunsch Kochs ließ sich nicht so rasch erfüllen, wie er
dachte. Ich hatte bereits eventuell mit dem Finanzminister und
der Charite verhandelt. Es ergab sich zu meiner großen Freude
eine Uebereinstimmung mit dem Finanzminister dahin, daß es
eine Ehrenpflicht des preußischen Staates sei, Prof. Koch in seinen
Arbeiten aus Staatsmitteln zu unterstützen. (Lebhafter Beifall.)
Es gelang, die Bedenken Kochs zu beseitigen, und am 6. November
stand, revidirt und superrevidirt, ein Programm fest, die Mittel
sind vom Finanzminister zur Verfügung gestellt, und wir sind be-
[Spaltenumbruch] reits am Anfang der Arbeit. Am 7. November verhandelte ich
mit Koch eingehend über die Veröffentlichung seiner Entdeckung.
Koch hatte damals noch die Absicht, Alles, was er wußte, frei
und offen zu sagen. Aber aus der sehr eingehenden Besprechung,
in Gegenwart von zwei Zeugen, ergab sich, daß Koch überhaupt
nicht dasjenige sagen konnte, was eine wirksame Nachbildung des
Mittels garantirte. Er konnte zwar sagen, aus welchem Stoff das
Mittel hergestellt würde, und die Methode beschreiben, aber das
Zeigen der Methode war nicht möglich, und doch ist die Methode
so schwierig und verantwortungsvoll, daß sie eben nicht erdacht
werden kann, sie muß ersehen oder durch Versuche selbst erfunden
werden, was Koch bei einem geübten Forscher auf 6 Monate
berechnet. Andrerseits lag darin eine Gefahr, daß das Mittel
nachgeahmt würde, ohne die Möglichkeit der Wirksamkeit zu con-
troliren. Die Menschheit hätte von Schwindlern heimgesucht
werden können, die Zeit wäre verpaßt und unendlich viele Hoffnungen
und Menschenleben vernichtet worden. Am Schluß der Unterredung
habe ich Koch gegenüber die Verantwortung übernommen, und
trage sie auch vor der Welt dafür, daß ich ihn gebeten habe, mit
der Veröffentlichung nur so weit zu gehen, daß die Gefahr der
Nachahmung ausgeschlossen ist. (Lebhafter Beifall.) Die Ver-
öffentlichung fand am 13. November statt. Es ist ein wichtiges
Document und wird alle Zeit unvergessen bleiben. Noch mehr
Bedeutung erlangte die Frage nach der Herstellung des Mittels.
Schon früh, jedenfalls am 7. November, erklärte ich dem Geheim-
rath Koch die Unmöglichkeit, die Sache so zu halten, wie sie sich
entwickeln würde und müßte. Es gab keine Garantie, das Mittel
in größerer Weise richtig herzustellen. Denn es ist bisher noch
keine einwandsfreie Methode dazu gefunden. Die Arbeiten voll-
zogen sich und vollziehen sich überwiegend noch im Reagensglase.
Was liegt nun eigentlich vor? Wir verzeichnen heute einen
pessimistischen Rückschlag. Die Hauptsache, die naturwissenschaftlich-
theoretische Seite der Sache, ist neuerdings verwischt worden und
die medicinisch-praktische ist hervorgeboben. Ich habe bezüglich der
naturwissenschaftlichen Seite von meinem Rechte als Laie Gebrauch
gemacht und ein Urtheil darüber aufgezeichnet. Ich habe gestern
die paar Zeilen dem Geheimrath Koch vorgetragen und er hat sie
gebilligt. Die Gedanken eines Laien haben nur einen relativen
Werth, aber sie sind so nüchtern wie nur möglich (der Minister
verliest das Folgende): "Ich glaube annehmen zu dürfen, daß
ein Mittel gefunden ist, welches, wenn es einem lebenden Menschen
zugeführt ist, auf die im Menschen befindlichen Gewebe, wo eine
ganz bestimmte Species von Tuberkelbacillen sich gebildet hat,
eine überaus heftige Wirkung hat. Das Mittel ist nur wirksam,
wenn die betreffende Species des Bacillus vorhanden ist. Die
Wirkung tritt auch ein, wenn das Mittel an von der Erkrankung
selbst weit entfernten Stellen angewendet wird. Die Wirkung ist
eine ganz eigenartig gewaltige und mittelbar auf die Tuberkel-
bacillen gerichtete. Sie tritt nicht, oder nur in vermindertem
Maße ein bei Nichttuberculösen, oder wenn Bacillen einer anderen
Species vorliegen. Das Mittel entzieht sich anscheinend der
sicheren Feststellung durch die heutige organische Chemie; es scheint
über ein dunkles Gebiet derselben Licht zu verbreiten. Die Me-
thode, durch welche das Mittel gewonnen wird, ist voraussichtlich
übertragbar auf andere Infectionskrankheiten." Professor Koch
hat dies gebilligt und besonders der Bezugnahme auf das Gebiet
der Chemie zugestimmt. Er meinte, diese Sache könne dem
Studium ganz neue Formen geben. Wer sich mit naturwissen-
schaftlichen Problemen beschäftigt hat, wird in der That den Ein-
druck haben, daß wir auf viele, viele Jahrzehnte durch diese Ent-
deckung beherrscht werden. Was diese Entdeckung, auf natur-
wissenschaftlichem Gebiete entstanden, so wunderbar erhebt über
Alles, was in unsrer Erkenntniß liegt, ist, daß diese Entdeckung
unmittelbar für die Praxis, für die Medicin verwerthet werden
konnte. Die diagnostische Bedeutung des Mittels steht heute
bereits außer Frage. Ich habe bei aller gewissenhaften Forschung
in allen Publicationen auch nicht die entfernteste Andeutung ge-
funden, daß heute schon, nach wenigen Wochen, der geringste
Zweifel aufkommen kann, daß das Vertrauen in das Mittel ganz
unvergleichlich ist und einen wesentlichen Schatz für den Mediciner
bildet. Daß, wenn auch der Verdacht der Tuberculose vorliegt,
eine Wirkung doch nicht erzielt wird, ist einfach und erklärlich. Die
Aerzte erklären es daraus, daß, wenn in ein festeres Gewebe inner-
halb der Lunge Tuberkeln eingekapselt sind, das Mittel sie wohl zer-
stört, aber die Tuberkeln nicht in die Außenwelt gelangen können. Daß
ein Geheimmittel, dessen Zustandekommen man vielleicht ahnt, dessen
Bestandtheile man aber nicht kennt, von der gesammten Welt auf
den einfachen Namen eines einzelnen Mannes acceptirt wird, steht
einzig da. Es hat noch keinen Menschen in der Welt gegeben,
der gesagt hat: wenn auch Robert Koch darunter stehe, die Sache
könne Schwindel sein. Davon ist keine Rede. (Lebhafter Beifall.)
Koch selbst hat nun vor übertriebener Auffassung in jeder Weise
gewarnt, aber das Publicum selbst scheint lungenkrank geworden
zu sein, die Phantasie desselben hat alle Grenzen übersprungen.
Ich habe täglich 12 Stunden zu thun, um die übertriebenen An-
forderungen in dieser Beziehung zurückzuhalten. Aber es ist kein
Zweifel unter den Aerzten, daß das Mittel mit vollem Vertrauen
in die Heilungsbehandlung aufgenommen werden kann. Ganz
ruhig denkende Aerzte meinen, es liegen bereits heute einzelne
geheilte Fälle vor, namentlich bei sich entwickelnder Tuberculose.
Kein gewissenhafter Arzt kann heute mehr das Mittel als Heil-
mittel auslassen. Es kommt Alles darauf an, daß wir das Maß
von Ruhe bekommen, welches ich gern von vornherein gewünscht
hätte. Die Heilversuche müssen aber mehr in Kliniken und Privat-
anstalten vorgenommen werden, sie müssen aus den Polikliniken
herausgenommen werden und vor allem muß die wüste Behand-
lung auf ambulantem Wege, die nachtheilig wirken kann, ver-
mieden werden. Dagegen haben wir heute schon einen Ausblick
auf das Gebiet der Hygiene. Ich will nicht Alles vorführen, wie
es mir Koch wiederholt entwickelt hat. Das steht aber fest, daß
in Verbindung mit der bisherigen mikroskopischen Methode dieses
Mittel eine Bedeutung haben wird, welche in unserm ganzen
öffentlichen Leben eine starke Umwälzung zu Wege bringen muß.
Unser ganzes Leben in den Krankenhäusern, den Schulen, den
Pflegeanstalten, namentlich den Diaconissenanstalten, Ordensnieder-
lassungen u. s. w., wird einen segensreichen Einfluß durch die
neu gewonnene Methode zu verspüren haben. Ich möchte hier
noch einmal auf die Thiertuberculose zurückkommen. Die Thier-
krankheiten können nicht getrennt werden von den menschlichen Er-
krankungen. Die Frage nach der Perlsucht der Rinder ist eine sehr
difficile. Es sind mit unsern Mitteln jahrelange Versuche ge-
macht worden in Halle, und sie haben kein Resultat gehabt, auch
andere Versuche sind erfolglos geblieben. Bei aller vorsichtigen
Behandlung der Sache sprechen überwiegende Gründe dafür, daß
ein Mensch ein Thier anstecken kann durch sein sputum, welches
Tuberkeln enthält, und daß umgekehrt die Milch perlsüchtiger Rinder
mit erheblichen Gefahren für den Menschen verbunden ist. Keine
verständige Medicinal- und Gesundheitsbehörde wird diesen Sachen
gleichgültig gegenüberstehen, und es ist nicht unmöglich, daß durch
dieses Mittel ein diagnostisches Mittel gefunden ist, welches die
so sehr schwer erkennbare Rindertuberculose in einem früheren

Dienſtag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890.


[Spaltenumbruch]
Inhalts-Ueberſicht.
Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch.
— Ver-
ſchiedenes.
— Handel und Volkswirthſchaft.


Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch.

Wir glauben einem öffentlichen Intereſſe zu dienen, wenn
wir nachſtehend die Rede wiedergeben, in welcher der preußiſche
Cultusminiſter in der Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
29. November das erſte officielle Zeugniß über die welt-
bewegende Erfindung und deren weitere Behandlung und Aus-
geſtaltung abgelegt hat. Es handelte ſich bekanntlich um die
von allen Parteien unterſtützte Anfrage des Abg. Graf,
„welche Schritte die königliche Staatsregierung zur Förderung
und weiteren Nutzbarmachung des Koch’ſchen Heilverfahrens
in Ausſicht genommen habe?“

Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Es war am 4. Auguſt dieſes
Jahres in der erſten allgemeinen Sitzung des internationalen
mediciniſchen Congreſſes, als in ſeinem Vortrage Robert Koch
ſagte, daß er ein Mittel gefunden habe, welches im Stande ſei,
Verſuchsthiere unempfänglich gegen den Tuberkelbacillus zu machen
und in ſchon erkrankten Theilen den Proceß zum Stillſtand zu
bringen. Solche Worte aus ſolchem Munde konnten nicht ver-
fehlen, eine große Erregung unter den anweſenden Aerzten her-
vorzurufen. Dieſe Erregung ſtieg in der mediciniſchen Welt, als
am 13. November die bekannte Publication Kochs erfolgte, welche
auch die erfolgreiche Anwendung des Mittels an erkrankten Men-
ſchen nachwies. Seit jenem Tage haben, dank dem liebens-
würdigen Entgegenkommen der Berliner kliniſchen Inſtitute und
Krankenhäuſer, viele hundert Aerzte Gelegenheit gehabt, ſich über
den Stand der Sache zu unterrichten und die Wirkungen der
neuen Heilmethode zu beobachten und zu verfolgen. Iſt nun auch
die Zeit zu einem abſchließenden Urtheil noch nicht gekommen und
bedarf es zunächſt noch einer längeren Periode, um die Arbeiten
kritiſch zu ſichten, ſo ſteht doch heute ſchon feſt, daß wir hier ein
Mittel vor uns haben, welches auf tuberculöſe Proceſſe in den
verſchiedenſten Organen in kurzer Friſt eine ſichere Wirkung aus-
übt, daß wir dadurch im Stande ſind, die Diagnoſe ſolcher Proceſſe
zu ſichern und in geeigneten Fällen die Heilung zu bewirken oder
mindeſtens zu begünſtigen; daß wir alſo in der Lage ſind, gegen
dieſe mörderiſche Krankheit auf directem Wege vorzugehen, welche
bis dahin überall, wo ſie nicht dem Meſſer des Chirurgen Angriff
bot, nur dem indirecten Heilverfahren zugänglich war. Ich halte
mich für berechtigt, an dieſer Stelle der hohen Freude Ausdruck
zu geben, daß es einer der Unſrigen war, dem dieſe folgenſchwere
Entdeckung gelungen iſt (Beifall), daß der Lorbeer, welcher heute
von allen Culturnationen unſerm großen Landsmann dargebracht
wird, zugleich eine Huldigung für die deutſche Wiſſenſchaft und
deutſche Forſchung iſt. (Beifall.) Es war aber unausbleiblich,
daß durch den enormen Zudrang zahlreicher Hülfeſuchenden Miß-
bräuche der verſchiedenſten Art entſtanden, daß das vergebliche Be-
mühen von Kranken und Aerzten, in den Beſitz des koſtbaren
Mittels zu kommen, Mißſtimmung und ſcharfe Kritik mit ſich
brachte. Daß die überſchwänglichen Hoffnungen, welche ſich an
dieſe Mittheilungen knüpften, vor welchen Niemand nachdrücklicher
gewarnt hat, als der Entdecker ſelbſt, Enttäuſchungen zur Folge
haben mußten, war unvermeidlich; immerhin erfordert die An-
gelegenheit unſre ganze Aufmerkſamkeit. Es iſt ferner einleuchtend,
daß ein ſo mächtig wirkendes Mittel, welches Fieberzuſtände oft in
ſehr hohem Maße herbeiführt, nur von berufener Hand, nur mit
forgfältigſter Auswahl der geeigneten Fälle und mit beſtimmten
Vorſichtsmaßregeln bei Patienten angewendet werden kann. Jeder
Arzt, welcher das Mittel anwendet, wird ſich ſeiner vollen Ver-
antwortung bewußt ſein. Aus dieſer Sachlage entſpringen der
Staatsregierung beſondere Verpflichtungen. Zunächſt wird es ihre
Pflicht ſein, in geeigneter und ausgiebiger Weiſe die kliniſchen
Inſtitute zu ſchaffen, in welchen die Angelegenheit eine weitere
Förderung erhält. Es wird ferner nothwendig ſein, ſoweit es in
ihrer Macht ſteht, dafür zu forgen, daß das Mittel in genügender
Menge und in der gleichen untadelhaften Qualität hergeſtellt wird,
daß ein geeigneter Vertheilungsmodus gefunden wird, bei welchem
die natürlichen Centralſtellen, die Krankenhäuſer und Heilanſtalten
im ganzen Lande in erſter Linie berückſichtigt werden. Es wird
ferner zu erwägen ſein, unter welchen Modalitäten das Mittel in
die Hände der anderen Aerzte gelangen und inwieweit man
ſchließlich den Pflichten gegen das Ausland nachkommen kann.
Später werden auch die thierärztlichen Hochſchulen und die land-
wirthſchaftlichen Anſtalten zu berückſichtigen ſein, denn die Be-
kämpfung der Tuberculoſe iſt auch von hohem Intereſſe für die
Landwirthſchaft, wirkt ſo wieder auf die menſchliche Geſundheit
zurück, iſt überhaupt auch von hohem wirthſchaftlichen Intereſſe.
(Sehr richtig.) Bei einem geregelten Vertheilungsmodus wird das
Hoſten und Drängen nach dem Mittel aufhören, es werden be-
berechtigte und unberechtigte Klagen verſtummen. In welcher
Weiſe die Regierung in der Lage iſt, dieſer letzten Forderung ge-
recht zu werden, ob durch Uebernahme des Mittels auf den Staat,
Monopoliſirung oder auf andere Weiſe, darüber erlaube ich mir
kein Urtheil; über Eines aber herrſcht allgemeines Einverſtändniß:
daß ein ſolches Mittel entſprechend den Intentionen des großen,
ſelbſtloſen Erfinders dem gewerbsmäßigen Betriebe und der ge-
werbsmäßigen Ausbeutung dauernd entzogen bleibt. (Beifall.)
Wir ſind der Ueberzeugung, daß die Staatsregierung allen dieſen
Verhältniſſen ihre thatkräftige Fürſorge zu widmen hat; hierüber
nicht nur vor der Landesvertretung, ſondern vor dem ganzen
Lande Aufklärung und Gewißheit zu verſchaffen, iſt der Zweck der
Interpellation.

Cultusminiſter v. Goßler: Ich bin dem Interpellanten
und dem hohen Hauſe dankbar, daß wir in Folge der Interpel-
lation dieſe wichtige und in ihren Folgen völlig unüberſehbare
Angelegenheit mit voller Ruhe behandeln können. Ich bin dem
Hrn. Vorredner auch dafür dankbar, daß er mit derjenigen Nüch-
ternheit und Objectivität an dieſe Verhandlung herangetreten iſt,
deren ſie bedarf und würdig iſt. Ich erinnere auch an den
4. Auguſt, als Profeſſor Koch ſeinen Vortrag damit ſchloß, daß
er es durchaus für möglich und wahrſcheinlich halte, daß die Ent-
deckung, die er auf dem Boden der Bekämpfung des Tuberkel-
bacillus gemacht, auch zu einer Verwerthung in der Heilkunſt
führen könnte. Er ſagte, es wäre der Fehler gemacht, daß man
empiriſch oder durch Intuition ſich habe verleiten laſſen, mit
directen Mitteln der Tuberculoſe entgegenzutreten, während ein
logiſcher Verſuch einen anderen Weg einſchlagen müßte, nämlich
erſtens die Auffindung von Mitteln gegen den Tuberkelbacillus,
der außerhalb eines Körpers auf einem Nährboden erzeugt wäre,
zweitens Verſuche an Thieren und drittens Verſuche an Menſchen.
Er entwickelte in ſeinem Vortrage, daß er zahlloſe Mittel ge-
funden habe, um in ſogenannten Reinculturen die Bacillen zu
vernichten, er ſchlug aber die ſich daran knüpfenden Hoffnungen
der Zuhörer ſofort zu Boden, indem er ſagte, daß alle dieſe
Mittel ſich gänzlich wirkungslos bei Thierverſuchen erwieſen
hätten. Er ſchloß dann ſeinen grundlegenden und für alle Zeiten
[Spaltenumbruch] unvergeßlichen Vortrag damit, daß es ihm gleichwohl auf anderem
Wege gelungen ſei, bei Thierverſuchen einen Stoff zu finden,
welcher ſowohl das Thier immun mache gegen den Tuberkelbacil-
lus, als auch fähig ſei, dieſe Krankheitserſcheinung zurückzudämmen
oder mindeſtens aufzuhalten. Dies wirkte in der geſammten
Welt wie ein Donnerſchlag, und von dieſem Moment war natür-
lich die Aufmerkſamkeit auf die Perſon des Geheimraths Koch
gelenkt. Er entzog ſich aber ſogleich allen weiteren Discuſſionen
durch eine beſchleunigte Reiſe bis zum Schluß des mediciniſchen
Congreſſes. Unmittelbar darauf ging er ganz im geheimen an
einen Verſuch des Mittels nicht allein an einem Thiere, ſondern
auch an einem Menſchen. Zuerſt wurde ſein Mittel in der
Charité mit Hülfe des Profeſſors Fräntzel und des Stabsarztes
Köhler angewendet. Dann machte er den berühmten Verſuch an
ſich ſelbſt, und dieſer war ein ſo gewaltiger, daß nur ein ſo feſt
entſchloſſener Forſcher den Verſuch machen konnte, der, wie man
damals wohl ahnen konnte, unmittelbar hätte zum Tode führen
können. Er hat eine Doſis von 5 Kubikgramm, alſo das Höchſte,
was einem Kranken in der Charité gegeben war, genommen und
eine ganz ungeheure Wirkung verſpürt und konnte nun ſeine
Rathſchläge über die Verwendung von Maximaldoſen geben.
Dann wandte er ſich an Profeſſor Brieger, welcher als ein ganz
eminenter und zuverläſſiger Forſcher bekannt iſt. Brieger arbeitet
am hygieniſchen Inſtitut und hat ſich durch ſeine Arbeiten daſelbſt
einen bleibenden Ruhm geſchaffen. Durch Brieger wurde er be-
kannt mit der chirurgiſchen Privatklinik des Dr. Levy. Ich halte
mich verpflichtet, an der Hand der Mittheilungen des Prof. Koch
hier auszuſprechen, daß, ſolange Koch in der Lage war, in deſſen
Klinik die Kranken zu beobachten, er in jeder Weiſe der dort
herrſchenden Thätigkeit und Intereſſenloſigkeit ſeine volle An-
erkennung gezollt hat. Seine perſönliche Kenntniß beſchränkt ſich
aber auf die Zeit der Vorverſuche. Ich bin verpflichtet, hier zu
erwähnen, daß die dortigen Kranken M. 1.75 bezahlen, alſo den-
ſelben Satz, wie in der Charité. Es iſt ſogar damals auf
Wunſch des Profeſſors Koch gelungen, einen früheren Studenten
koſtenfrei in die Anſtalt aufzunehmen. Als Mitarbeiter Kochs iſt
ferner Dr. Cornet in den Zeitungen genannt. Cornet iſt bekannt
geworden durch ſeine epochemachende Publication auf dem Gebiete
der Lungenphthiſe, welche ich im vorigen Jahre auf Staatskoſten habe
drucken und auf das weiteſte verbreiten laſſen. Es liegen von ihm
Sachen vor, welche die wärmſte Anerkennung aller Sachverſtändigen
gefunden haben. Ferner ſind als Mitarbeiter genannt Dr.
Dengel, welcher eine angeſehene Privatpraxis hat, und Profeſſor
Pfuhl. Ich darf annehmen, daß bei allen dieſen Männern Frage-
zeichen nicht vorliegen. Die Verſuche konnten nicht ganz unbekannt
bleiben, man las in den Zeitungen einzelne Notizen, die ſich auch
in das Ausland verirrten, und aus der ausländiſchen Preſſe be-
kamen wir eine große Fülle von hämiſchen, abfälligen Urtheilen,
die mit voller Schadenfreude behaupteten, was Koch am 4. Auguſt
entdeckt habe, ſei bereits als Glas zerſchlagen worden. Ich wartete
geduldig ab, bis dieſe Angelegenheit an mich herantreten würde.
Am 27. October theilte mir Profeſſor Koch mit, er habe ein
Specificum gegen den Tuberkelbacillus gefunden; er glaube, ſeine
Pflichten als Vorſitzender des hygieniſchen Inſtituts nicht mehr
thun zu können in Folge der Entwicklung ſeiner wiſſenſchaftlichen
Arbeiten, und er regte die Frage an, ob er aus dem Inſtitut aus-
ſcheiden ſolle. In allen ſolchen Fällen, wo ein hervorragender
wiſſenſchaftlicher Lehrer auf ein Forſchungsgebiet gekommen war,
das ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, habe ich es immer für
die Aufgabe des Staates gehalten, ihm Muße und Mittel zu ge-
währen. (Beifall.) Eine ganze Reihe von hervorragenden Forſchern
habe ich mit allerhöchſter Ermächtigung auf ein, zwei Jahre zu
ſolchem Zwecke beurlaubt. Es wurde auch die Beurlaubung Kochs
verſügt und Profeſſor v. Esmarch mit ſeiner Stellvertretung betraut.
Nun war das Geheimniß zerriſſen. Alle Mühe, den Schleier zu
erhalten, war vergeblich. Es war wie ein Donnerſchlag, der aus
dieſem Inſtitut herausging. Meine Unterredung mit Koch am Tage
ſeiner Beurlaubung ging tiefer auf die Materie ein. Er war von
vornherein bereit, mir das Letzte, was er wußte, mitzutheilen. Ich
bat ihn aber, es mir nicht zu ſagen, denn es könnte wohl ohne
mein Verſchulden eine Mittheilung eintreten, welche unter Umſtän-
den mehr ſchaden als nützen könnte. Daß er im erſten Augenblick
vollkommen bereit war, ſeine Acten zu veröffentlichen, beweist, daß
nie ein Gedanke durch ſeine Seele gezogen iſt, der eine andere als
eine wiſſenſchaftliche und ideale Grundlage hatte. (Beifall.) Wir
behandelten das Thema: Was für Veranſtaltungen laſſen ſich
treffen, um Koch für jetzt wie für die Zukunft die Durchführung
ſeiner Entdeckung und deren Ausdehnung auf verwandte Gebiete
zu ermöglichen? Er glaubte, daß er einer Krankenanſtalt bedürfe
innerhalb einer anderen großen Anſtalt, wo er aus der Fülle der
Kranken geeignetes Material erhalten könnte, um die verſchiedenſten
Infectionskrankheiten ſtudiren zu können; ſodann wünſche er ein
wiſſenſchaftliches Inſtitut für die nöthigen Unterſuchungen. Ich
bot ihm die Charité an, er hielt aber den Weg für einfacher, wenn
ihm im Baracken-Lazareth in Moabit 150 Betten überwieſen wür-
den, da dort auch 400 bis 500 Kranke vorhanden ſeien. Im
übrigen bot ich ihm an, die preußiſchen Univerſitäts-Kliniken zu
benutzen als weiteres Verſuchsfeld. Er glaubte für ſich ſo ſicher
ſein zu können, daß er von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte,
und wir trennten uns, ohne zum Abſchluß zu kommen. Ich habe
aber den Gedanken weiter verfolgt. Es iſt zweifellos, wenn Pro-
feſſor Koch mir ſagte, er habe ein Mittel gefunden, dann iſt es
wahr, aber es kommt auch darauf an, die Sache der
Welt in einer Form vorzuführen, welche möglichſt auch
im Intereſſe des Erfinders liegt. Alle unſre natur-
wiſſenſchaftlichen Arbeiten ſchließen ſich überwiegend an die
Univerſitäten an, und unſre deutſchen Kliniken haben im
In- und Ausland den Ruf, daß dort nicht gelogen und nur ver-
öffentlicht wird, was wirklich genau erkannt iſt. Man muß ſolche
Publicationen vermeiden, wo die Beobachtung der Thatſachen in
Speculation übergeht. Eine Vermiſchung von Speculation und
Forſchung darf an unſeren Kliniken niemals eintreten. Ich habe
dann die chirurgiſche Klinik auserſehen, es iſt mir durch das Ent-
gegenkommen des Leiters derſelben, Profeſſor v. Bergmann, in
einwandsfreier Weiſe gelungen, dort eine großartige Verſuchsanſtalt
herzuſtellen. Bereits am 6. November war es möglich, ein durch-
aus eigenartiges und reichhaltiges Material, welches alle Formen
der Tuberculoſe aufwies, herzuſtellen. Dort iſt das Rendezvons
der Aerzte der Welt, täglich beſichtigen 300 Aerzte die Kranken.
Die Operationen und das Studium haben zurücktreten müſſen.
Bezüglich der Wünſche Kochs der Stadt gegenüber fand am
1. November eine Conferenz ſtatt, es ergaben ſich aber Schwierig-
keiten; der Wunſch Kochs ließ ſich nicht ſo raſch erfüllen, wie er
dachte. Ich hatte bereits eventuell mit dem Finanzminiſter und
der Charité verhandelt. Es ergab ſich zu meiner großen Freude
eine Uebereinſtimmung mit dem Finanzminiſter dahin, daß es
eine Ehrenpflicht des preußiſchen Staates ſei, Prof. Koch in ſeinen
Arbeiten aus Staatsmitteln zu unterſtützen. (Lebhafter Beifall.)
Es gelang, die Bedenken Kochs zu beſeitigen, und am 6. November
ſtand, revidirt und ſuperrevidirt, ein Programm feſt, die Mittel
ſind vom Finanzminiſter zur Verfügung geſtellt, und wir ſind be-
[Spaltenumbruch] reits am Anfang der Arbeit. Am 7. November verhandelte ich
mit Koch eingehend über die Veröffentlichung ſeiner Entdeckung.
Koch hatte damals noch die Abſicht, Alles, was er wußte, frei
und offen zu ſagen. Aber aus der ſehr eingehenden Beſprechung,
in Gegenwart von zwei Zeugen, ergab ſich, daß Koch überhaupt
nicht dasjenige ſagen konnte, was eine wirkſame Nachbildung des
Mittels garantirte. Er konnte zwar ſagen, aus welchem Stoff das
Mittel hergeſtellt würde, und die Methode beſchreiben, aber das
Zeigen der Methode war nicht möglich, und doch iſt die Methode
ſo ſchwierig und verantwortungsvoll, daß ſie eben nicht erdacht
werden kann, ſie muß erſehen oder durch Verſuche ſelbſt erfunden
werden, was Koch bei einem geübten Forſcher auf 6 Monate
berechnet. Andrerſeits lag darin eine Gefahr, daß das Mittel
nachgeahmt würde, ohne die Möglichkeit der Wirkſamkeit zu con-
troliren. Die Menſchheit hätte von Schwindlern heimgeſucht
werden können, die Zeit wäre verpaßt und unendlich viele Hoffnungen
und Menſchenleben vernichtet worden. Am Schluß der Unterredung
habe ich Koch gegenüber die Verantwortung übernommen, und
trage ſie auch vor der Welt dafür, daß ich ihn gebeten habe, mit
der Veröffentlichung nur ſo weit zu gehen, daß die Gefahr der
Nachahmung ausgeſchloſſen iſt. (Lebhafter Beifall.) Die Ver-
öffentlichung fand am 13. November ſtatt. Es iſt ein wichtiges
Document und wird alle Zeit unvergeſſen bleiben. Noch mehr
Bedeutung erlangte die Frage nach der Herſtellung des Mittels.
Schon früh, jedenfalls am 7. November, erklärte ich dem Geheim-
rath Koch die Unmöglichkeit, die Sache ſo zu halten, wie ſie ſich
entwickeln würde und müßte. Es gab keine Garantie, das Mittel
in größerer Weiſe richtig herzuſtellen. Denn es iſt bisher noch
keine einwandsfreie Methode dazu gefunden. Die Arbeiten voll-
zogen ſich und vollziehen ſich überwiegend noch im Reagensglaſe.
Was liegt nun eigentlich vor? Wir verzeichnen heute einen
peſſimiſtiſchen Rückſchlag. Die Hauptſache, die naturwiſſenſchaftlich-
theoretiſche Seite der Sache, iſt neuerdings verwiſcht worden und
die mediciniſch-praktiſche iſt hervorgeboben. Ich habe bezüglich der
naturwiſſenſchaftlichen Seite von meinem Rechte als Laie Gebrauch
gemacht und ein Urtheil darüber aufgezeichnet. Ich habe geſtern
die paar Zeilen dem Geheimrath Koch vorgetragen und er hat ſie
gebilligt. Die Gedanken eines Laien haben nur einen relativen
Werth, aber ſie ſind ſo nüchtern wie nur möglich (der Miniſter
verliest das Folgende): „Ich glaube annehmen zu dürfen, daß
ein Mittel gefunden iſt, welches, wenn es einem lebenden Menſchen
zugeführt iſt, auf die im Menſchen befindlichen Gewebe, wo eine
ganz beſtimmte Species von Tuberkelbacillen ſich gebildet hat,
eine überaus heftige Wirkung hat. Das Mittel iſt nur wirkſam,
wenn die betreffende Species des Bacillus vorhanden iſt. Die
Wirkung tritt auch ein, wenn das Mittel an von der Erkrankung
ſelbſt weit entfernten Stellen angewendet wird. Die Wirkung iſt
eine ganz eigenartig gewaltige und mittelbar auf die Tuberkel-
bacillen gerichtete. Sie tritt nicht, oder nur in vermindertem
Maße ein bei Nichttuberculöſen, oder wenn Bacillen einer anderen
Species vorliegen. Das Mittel entzieht ſich anſcheinend der
ſicheren Feſtſtellung durch die heutige organiſche Chemie; es ſcheint
über ein dunkles Gebiet derſelben Licht zu verbreiten. Die Me-
thode, durch welche das Mittel gewonnen wird, iſt vorausſichtlich
übertragbar auf andere Infectionskrankheiten.“ Profeſſor Koch
hat dies gebilligt und beſonders der Bezugnahme auf das Gebiet
der Chemie zugeſtimmt. Er meinte, dieſe Sache könne dem
Studium ganz neue Formen geben. Wer ſich mit naturwiſſen-
ſchaftlichen Problemen beſchäftigt hat, wird in der That den Ein-
druck haben, daß wir auf viele, viele Jahrzehnte durch dieſe Ent-
deckung beherrſcht werden. Was dieſe Entdeckung, auf natur-
wiſſenſchaftlichem Gebiete entſtanden, ſo wunderbar erhebt über
Alles, was in unſrer Erkenntniß liegt, iſt, daß dieſe Entdeckung
unmittelbar für die Praxis, für die Medicin verwerthet werden
konnte. Die diagnoſtiſche Bedeutung des Mittels ſteht heute
bereits außer Frage. Ich habe bei aller gewiſſenhaften Forſchung
in allen Publicationen auch nicht die entfernteſte Andeutung ge-
funden, daß heute ſchon, nach wenigen Wochen, der geringſte
Zweifel aufkommen kann, daß das Vertrauen in das Mittel ganz
unvergleichlich iſt und einen weſentlichen Schatz für den Mediciner
bildet. Daß, wenn auch der Verdacht der Tuberculoſe vorliegt,
eine Wirkung doch nicht erzielt wird, iſt einfach und erklärlich. Die
Aerzte erklären es daraus, daß, wenn in ein feſteres Gewebe inner-
halb der Lunge Tuberkeln eingekapſelt ſind, das Mittel ſie wohl zer-
ſtört, aber die Tuberkeln nicht in die Außenwelt gelangen können. Daß
ein Geheimmittel, deſſen Zuſtandekommen man vielleicht ahnt, deſſen
Beſtandtheile man aber nicht kennt, von der geſammten Welt auf
den einfachen Namen eines einzelnen Mannes acceptirt wird, ſteht
einzig da. Es hat noch keinen Menſchen in der Welt gegeben,
der geſagt hat: wenn auch Robert Koch darunter ſtehe, die Sache
könne Schwindel ſein. Davon iſt keine Rede. (Lebhafter Beifall.)
Koch ſelbſt hat nun vor übertriebener Auffaſſung in jeder Weiſe
gewarnt, aber das Publicum ſelbſt ſcheint lungenkrank geworden
zu ſein, die Phantaſie desſelben hat alle Grenzen überſprungen.
Ich habe täglich 12 Stunden zu thun, um die übertriebenen An-
forderungen in dieſer Beziehung zurückzuhalten. Aber es iſt kein
Zweifel unter den Aerzten, daß das Mittel mit vollem Vertrauen
in die Heilungsbehandlung aufgenommen werden kann. Ganz
ruhig denkende Aerzte meinen, es liegen bereits heute einzelne
geheilte Fälle vor, namentlich bei ſich entwickelnder Tuberculoſe.
Kein gewiſſenhafter Arzt kann heute mehr das Mittel als Heil-
mittel auslaſſen. Es kommt Alles darauf an, daß wir das Maß
von Ruhe bekommen, welches ich gern von vornherein gewünſcht
hätte. Die Heilverſuche müſſen aber mehr in Kliniken und Privat-
anſtalten vorgenommen werden, ſie müſſen aus den Polikliniken
herausgenommen werden und vor allem muß die wüſte Behand-
lung auf ambulantem Wege, die nachtheilig wirken kann, ver-
mieden werden. Dagegen haben wir heute ſchon einen Ausblick
auf das Gebiet der Hygiene. Ich will nicht Alles vorführen, wie
es mir Koch wiederholt entwickelt hat. Das ſteht aber feſt, daß
in Verbindung mit der bisherigen mikroſkopiſchen Methode dieſes
Mittel eine Bedeutung haben wird, welche in unſerm ganzen
öffentlichen Leben eine ſtarke Umwälzung zu Wege bringen muß.
Unſer ganzes Leben in den Krankenhäuſern, den Schulen, den
Pflegeanſtalten, namentlich den Diaconiſſenanſtalten, Ordensnieder-
laſſungen u. ſ. w., wird einen ſegensreichen Einfluß durch die
neu gewonnene Methode zu verſpüren haben. Ich möchte hier
noch einmal auf die Thiertuberculoſe zurückkommen. Die Thier-
krankheiten können nicht getrennt werden von den menſchlichen Er-
krankungen. Die Frage nach der Perlſucht der Rinder iſt eine ſehr
difficile. Es ſind mit unſern Mitteln jahrelange Verſuche ge-
macht worden in Halle, und ſie haben kein Reſultat gehabt, auch
andere Verſuche ſind erfolglos geblieben. Bei aller vorſichtigen
Behandlung der Sache ſprechen überwiegende Gründe dafür, daß
ein Menſch ein Thier anſtecken kann durch ſein sputum, welches
Tuberkeln enthält, und daß umgekehrt die Milch perlſüchtiger Rinder
mit erheblichen Gefahren für den Menſchen verbunden iſt. Keine
verſtändige Medicinal- und Geſundheitsbehörde wird dieſen Sachen
gleichgültig gegenüberſtehen, und es iſt nicht unmöglich, daß durch
dieſes Mittel ein diagnoſtiſches Mittel gefunden iſt, welches die
ſo ſehr ſchwer erkennbare Rindertuberculoſe in einem früheren

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Infectionskrankheiten &#x017F;tudiren zu können; &#x017F;odann wün&#x017F;che er ein<lb/>
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[0005] Dienſtag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890. Inhalts-Ueberſicht. Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch. — Ver- ſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch. Wir glauben einem öffentlichen Intereſſe zu dienen, wenn wir nachſtehend die Rede wiedergeben, in welcher der preußiſche Cultusminiſter in der Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 29. November das erſte officielle Zeugniß über die welt- bewegende Erfindung und deren weitere Behandlung und Aus- geſtaltung abgelegt hat. Es handelte ſich bekanntlich um die von allen Parteien unterſtützte Anfrage des Abg. Graf, „welche Schritte die königliche Staatsregierung zur Förderung und weiteren Nutzbarmachung des Koch’ſchen Heilverfahrens in Ausſicht genommen habe?“ Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Es war am 4. Auguſt dieſes Jahres in der erſten allgemeinen Sitzung des internationalen mediciniſchen Congreſſes, als in ſeinem Vortrage Robert Koch ſagte, daß er ein Mittel gefunden habe, welches im Stande ſei, Verſuchsthiere unempfänglich gegen den Tuberkelbacillus zu machen und in ſchon erkrankten Theilen den Proceß zum Stillſtand zu bringen. Solche Worte aus ſolchem Munde konnten nicht ver- fehlen, eine große Erregung unter den anweſenden Aerzten her- vorzurufen. Dieſe Erregung ſtieg in der mediciniſchen Welt, als am 13. November die bekannte Publication Kochs erfolgte, welche auch die erfolgreiche Anwendung des Mittels an erkrankten Men- ſchen nachwies. Seit jenem Tage haben, dank dem liebens- würdigen Entgegenkommen der Berliner kliniſchen Inſtitute und Krankenhäuſer, viele hundert Aerzte Gelegenheit gehabt, ſich über den Stand der Sache zu unterrichten und die Wirkungen der neuen Heilmethode zu beobachten und zu verfolgen. Iſt nun auch die Zeit zu einem abſchließenden Urtheil noch nicht gekommen und bedarf es zunächſt noch einer längeren Periode, um die Arbeiten kritiſch zu ſichten, ſo ſteht doch heute ſchon feſt, daß wir hier ein Mittel vor uns haben, welches auf tuberculöſe Proceſſe in den verſchiedenſten Organen in kurzer Friſt eine ſichere Wirkung aus- übt, daß wir dadurch im Stande ſind, die Diagnoſe ſolcher Proceſſe zu ſichern und in geeigneten Fällen die Heilung zu bewirken oder mindeſtens zu begünſtigen; daß wir alſo in der Lage ſind, gegen dieſe mörderiſche Krankheit auf directem Wege vorzugehen, welche bis dahin überall, wo ſie nicht dem Meſſer des Chirurgen Angriff bot, nur dem indirecten Heilverfahren zugänglich war. Ich halte mich für berechtigt, an dieſer Stelle der hohen Freude Ausdruck zu geben, daß es einer der Unſrigen war, dem dieſe folgenſchwere Entdeckung gelungen iſt (Beifall), daß der Lorbeer, welcher heute von allen Culturnationen unſerm großen Landsmann dargebracht wird, zugleich eine Huldigung für die deutſche Wiſſenſchaft und deutſche Forſchung iſt. (Beifall.) Es war aber unausbleiblich, daß durch den enormen Zudrang zahlreicher Hülfeſuchenden Miß- bräuche der verſchiedenſten Art entſtanden, daß das vergebliche Be- mühen von Kranken und Aerzten, in den Beſitz des koſtbaren Mittels zu kommen, Mißſtimmung und ſcharfe Kritik mit ſich brachte. Daß die überſchwänglichen Hoffnungen, welche ſich an dieſe Mittheilungen knüpften, vor welchen Niemand nachdrücklicher gewarnt hat, als der Entdecker ſelbſt, Enttäuſchungen zur Folge haben mußten, war unvermeidlich; immerhin erfordert die An- gelegenheit unſre ganze Aufmerkſamkeit. Es iſt ferner einleuchtend, daß ein ſo mächtig wirkendes Mittel, welches Fieberzuſtände oft in ſehr hohem Maße herbeiführt, nur von berufener Hand, nur mit forgfältigſter Auswahl der geeigneten Fälle und mit beſtimmten Vorſichtsmaßregeln bei Patienten angewendet werden kann. Jeder Arzt, welcher das Mittel anwendet, wird ſich ſeiner vollen Ver- antwortung bewußt ſein. Aus dieſer Sachlage entſpringen der Staatsregierung beſondere Verpflichtungen. Zunächſt wird es ihre Pflicht ſein, in geeigneter und ausgiebiger Weiſe die kliniſchen Inſtitute zu ſchaffen, in welchen die Angelegenheit eine weitere Förderung erhält. Es wird ferner nothwendig ſein, ſoweit es in ihrer Macht ſteht, dafür zu forgen, daß das Mittel in genügender Menge und in der gleichen untadelhaften Qualität hergeſtellt wird, daß ein geeigneter Vertheilungsmodus gefunden wird, bei welchem die natürlichen Centralſtellen, die Krankenhäuſer und Heilanſtalten im ganzen Lande in erſter Linie berückſichtigt werden. Es wird ferner zu erwägen ſein, unter welchen Modalitäten das Mittel in die Hände der anderen Aerzte gelangen und inwieweit man ſchließlich den Pflichten gegen das Ausland nachkommen kann. Später werden auch die thierärztlichen Hochſchulen und die land- wirthſchaftlichen Anſtalten zu berückſichtigen ſein, denn die Be- kämpfung der Tuberculoſe iſt auch von hohem Intereſſe für die Landwirthſchaft, wirkt ſo wieder auf die menſchliche Geſundheit zurück, iſt überhaupt auch von hohem wirthſchaftlichen Intereſſe. (Sehr richtig.) Bei einem geregelten Vertheilungsmodus wird das Hoſten und Drängen nach dem Mittel aufhören, es werden be- berechtigte und unberechtigte Klagen verſtummen. In welcher Weiſe die Regierung in der Lage iſt, dieſer letzten Forderung ge- recht zu werden, ob durch Uebernahme des Mittels auf den Staat, Monopoliſirung oder auf andere Weiſe, darüber erlaube ich mir kein Urtheil; über Eines aber herrſcht allgemeines Einverſtändniß: daß ein ſolches Mittel entſprechend den Intentionen des großen, ſelbſtloſen Erfinders dem gewerbsmäßigen Betriebe und der ge- werbsmäßigen Ausbeutung dauernd entzogen bleibt. (Beifall.) Wir ſind der Ueberzeugung, daß die Staatsregierung allen dieſen Verhältniſſen ihre thatkräftige Fürſorge zu widmen hat; hierüber nicht nur vor der Landesvertretung, ſondern vor dem ganzen Lande Aufklärung und Gewißheit zu verſchaffen, iſt der Zweck der Interpellation. Cultusminiſter v. Goßler: Ich bin dem Interpellanten und dem hohen Hauſe dankbar, daß wir in Folge der Interpel- lation dieſe wichtige und in ihren Folgen völlig unüberſehbare Angelegenheit mit voller Ruhe behandeln können. Ich bin dem Hrn. Vorredner auch dafür dankbar, daß er mit derjenigen Nüch- ternheit und Objectivität an dieſe Verhandlung herangetreten iſt, deren ſie bedarf und würdig iſt. Ich erinnere auch an den 4. Auguſt, als Profeſſor Koch ſeinen Vortrag damit ſchloß, daß er es durchaus für möglich und wahrſcheinlich halte, daß die Ent- deckung, die er auf dem Boden der Bekämpfung des Tuberkel- bacillus gemacht, auch zu einer Verwerthung in der Heilkunſt führen könnte. Er ſagte, es wäre der Fehler gemacht, daß man empiriſch oder durch Intuition ſich habe verleiten laſſen, mit directen Mitteln der Tuberculoſe entgegenzutreten, während ein logiſcher Verſuch einen anderen Weg einſchlagen müßte, nämlich erſtens die Auffindung von Mitteln gegen den Tuberkelbacillus, der außerhalb eines Körpers auf einem Nährboden erzeugt wäre, zweitens Verſuche an Thieren und drittens Verſuche an Menſchen. Er entwickelte in ſeinem Vortrage, daß er zahlloſe Mittel ge- funden habe, um in ſogenannten Reinculturen die Bacillen zu vernichten, er ſchlug aber die ſich daran knüpfenden Hoffnungen der Zuhörer ſofort zu Boden, indem er ſagte, daß alle dieſe Mittel ſich gänzlich wirkungslos bei Thierverſuchen erwieſen hätten. Er ſchloß dann ſeinen grundlegenden und für alle Zeiten unvergeßlichen Vortrag damit, daß es ihm gleichwohl auf anderem Wege gelungen ſei, bei Thierverſuchen einen Stoff zu finden, welcher ſowohl das Thier immun mache gegen den Tuberkelbacil- lus, als auch fähig ſei, dieſe Krankheitserſcheinung zurückzudämmen oder mindeſtens aufzuhalten. Dies wirkte in der geſammten Welt wie ein Donnerſchlag, und von dieſem Moment war natür- lich die Aufmerkſamkeit auf die Perſon des Geheimraths Koch gelenkt. Er entzog ſich aber ſogleich allen weiteren Discuſſionen durch eine beſchleunigte Reiſe bis zum Schluß des mediciniſchen Congreſſes. Unmittelbar darauf ging er ganz im geheimen an einen Verſuch des Mittels nicht allein an einem Thiere, ſondern auch an einem Menſchen. Zuerſt wurde ſein Mittel in der Charité mit Hülfe des Profeſſors Fräntzel und des Stabsarztes Köhler angewendet. Dann machte er den berühmten Verſuch an ſich ſelbſt, und dieſer war ein ſo gewaltiger, daß nur ein ſo feſt entſchloſſener Forſcher den Verſuch machen konnte, der, wie man damals wohl ahnen konnte, unmittelbar hätte zum Tode führen können. Er hat eine Doſis von 5 Kubikgramm, alſo das Höchſte, was einem Kranken in der Charité gegeben war, genommen und eine ganz ungeheure Wirkung verſpürt und konnte nun ſeine Rathſchläge über die Verwendung von Maximaldoſen geben. Dann wandte er ſich an Profeſſor Brieger, welcher als ein ganz eminenter und zuverläſſiger Forſcher bekannt iſt. Brieger arbeitet am hygieniſchen Inſtitut und hat ſich durch ſeine Arbeiten daſelbſt einen bleibenden Ruhm geſchaffen. Durch Brieger wurde er be- kannt mit der chirurgiſchen Privatklinik des Dr. Levy. Ich halte mich verpflichtet, an der Hand der Mittheilungen des Prof. Koch hier auszuſprechen, daß, ſolange Koch in der Lage war, in deſſen Klinik die Kranken zu beobachten, er in jeder Weiſe der dort herrſchenden Thätigkeit und Intereſſenloſigkeit ſeine volle An- erkennung gezollt hat. Seine perſönliche Kenntniß beſchränkt ſich aber auf die Zeit der Vorverſuche. Ich bin verpflichtet, hier zu erwähnen, daß die dortigen Kranken M. 1.75 bezahlen, alſo den- ſelben Satz, wie in der Charité. Es iſt ſogar damals auf Wunſch des Profeſſors Koch gelungen, einen früheren Studenten koſtenfrei in die Anſtalt aufzunehmen. Als Mitarbeiter Kochs iſt ferner Dr. Cornet in den Zeitungen genannt. Cornet iſt bekannt geworden durch ſeine epochemachende Publication auf dem Gebiete der Lungenphthiſe, welche ich im vorigen Jahre auf Staatskoſten habe drucken und auf das weiteſte verbreiten laſſen. Es liegen von ihm Sachen vor, welche die wärmſte Anerkennung aller Sachverſtändigen gefunden haben. Ferner ſind als Mitarbeiter genannt Dr. Dengel, welcher eine angeſehene Privatpraxis hat, und Profeſſor Pfuhl. Ich darf annehmen, daß bei allen dieſen Männern Frage- zeichen nicht vorliegen. Die Verſuche konnten nicht ganz unbekannt bleiben, man las in den Zeitungen einzelne Notizen, die ſich auch in das Ausland verirrten, und aus der ausländiſchen Preſſe be- kamen wir eine große Fülle von hämiſchen, abfälligen Urtheilen, die mit voller Schadenfreude behaupteten, was Koch am 4. Auguſt entdeckt habe, ſei bereits als Glas zerſchlagen worden. Ich wartete geduldig ab, bis dieſe Angelegenheit an mich herantreten würde. Am 27. October theilte mir Profeſſor Koch mit, er habe ein Specificum gegen den Tuberkelbacillus gefunden; er glaube, ſeine Pflichten als Vorſitzender des hygieniſchen Inſtituts nicht mehr thun zu können in Folge der Entwicklung ſeiner wiſſenſchaftlichen Arbeiten, und er regte die Frage an, ob er aus dem Inſtitut aus- ſcheiden ſolle. In allen ſolchen Fällen, wo ein hervorragender wiſſenſchaftlicher Lehrer auf ein Forſchungsgebiet gekommen war, das ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, habe ich es immer für die Aufgabe des Staates gehalten, ihm Muße und Mittel zu ge- währen. (Beifall.) Eine ganze Reihe von hervorragenden Forſchern habe ich mit allerhöchſter Ermächtigung auf ein, zwei Jahre zu ſolchem Zwecke beurlaubt. Es wurde auch die Beurlaubung Kochs verſügt und Profeſſor v. Esmarch mit ſeiner Stellvertretung betraut. Nun war das Geheimniß zerriſſen. Alle Mühe, den Schleier zu erhalten, war vergeblich. Es war wie ein Donnerſchlag, der aus dieſem Inſtitut herausging. Meine Unterredung mit Koch am Tage ſeiner Beurlaubung ging tiefer auf die Materie ein. Er war von vornherein bereit, mir das Letzte, was er wußte, mitzutheilen. Ich bat ihn aber, es mir nicht zu ſagen, denn es könnte wohl ohne mein Verſchulden eine Mittheilung eintreten, welche unter Umſtän- den mehr ſchaden als nützen könnte. Daß er im erſten Augenblick vollkommen bereit war, ſeine Acten zu veröffentlichen, beweist, daß nie ein Gedanke durch ſeine Seele gezogen iſt, der eine andere als eine wiſſenſchaftliche und ideale Grundlage hatte. (Beifall.) Wir behandelten das Thema: Was für Veranſtaltungen laſſen ſich treffen, um Koch für jetzt wie für die Zukunft die Durchführung ſeiner Entdeckung und deren Ausdehnung auf verwandte Gebiete zu ermöglichen? Er glaubte, daß er einer Krankenanſtalt bedürfe innerhalb einer anderen großen Anſtalt, wo er aus der Fülle der Kranken geeignetes Material erhalten könnte, um die verſchiedenſten Infectionskrankheiten ſtudiren zu können; ſodann wünſche er ein wiſſenſchaftliches Inſtitut für die nöthigen Unterſuchungen. Ich bot ihm die Charité an, er hielt aber den Weg für einfacher, wenn ihm im Baracken-Lazareth in Moabit 150 Betten überwieſen wür- den, da dort auch 400 bis 500 Kranke vorhanden ſeien. Im übrigen bot ich ihm an, die preußiſchen Univerſitäts-Kliniken zu benutzen als weiteres Verſuchsfeld. Er glaubte für ſich ſo ſicher ſein zu können, daß er von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte, und wir trennten uns, ohne zum Abſchluß zu kommen. Ich habe aber den Gedanken weiter verfolgt. Es iſt zweifellos, wenn Pro- feſſor Koch mir ſagte, er habe ein Mittel gefunden, dann iſt es wahr, aber es kommt auch darauf an, die Sache der Welt in einer Form vorzuführen, welche möglichſt auch im Intereſſe des Erfinders liegt. Alle unſre natur- wiſſenſchaftlichen Arbeiten ſchließen ſich überwiegend an die Univerſitäten an, und unſre deutſchen Kliniken haben im In- und Ausland den Ruf, daß dort nicht gelogen und nur ver- öffentlicht wird, was wirklich genau erkannt iſt. Man muß ſolche Publicationen vermeiden, wo die Beobachtung der Thatſachen in Speculation übergeht. Eine Vermiſchung von Speculation und Forſchung darf an unſeren Kliniken niemals eintreten. Ich habe dann die chirurgiſche Klinik auserſehen, es iſt mir durch das Ent- gegenkommen des Leiters derſelben, Profeſſor v. Bergmann, in einwandsfreier Weiſe gelungen, dort eine großartige Verſuchsanſtalt herzuſtellen. Bereits am 6. November war es möglich, ein durch- aus eigenartiges und reichhaltiges Material, welches alle Formen der Tuberculoſe aufwies, herzuſtellen. Dort iſt das Rendezvons der Aerzte der Welt, täglich beſichtigen 300 Aerzte die Kranken. Die Operationen und das Studium haben zurücktreten müſſen. Bezüglich der Wünſche Kochs der Stadt gegenüber fand am 1. November eine Conferenz ſtatt, es ergaben ſich aber Schwierig- keiten; der Wunſch Kochs ließ ſich nicht ſo raſch erfüllen, wie er dachte. Ich hatte bereits eventuell mit dem Finanzminiſter und der Charité verhandelt. Es ergab ſich zu meiner großen Freude eine Uebereinſtimmung mit dem Finanzminiſter dahin, daß es eine Ehrenpflicht des preußiſchen Staates ſei, Prof. Koch in ſeinen Arbeiten aus Staatsmitteln zu unterſtützen. (Lebhafter Beifall.) Es gelang, die Bedenken Kochs zu beſeitigen, und am 6. November ſtand, revidirt und ſuperrevidirt, ein Programm feſt, die Mittel ſind vom Finanzminiſter zur Verfügung geſtellt, und wir ſind be- reits am Anfang der Arbeit. Am 7. November verhandelte ich mit Koch eingehend über die Veröffentlichung ſeiner Entdeckung. Koch hatte damals noch die Abſicht, Alles, was er wußte, frei und offen zu ſagen. Aber aus der ſehr eingehenden Beſprechung, in Gegenwart von zwei Zeugen, ergab ſich, daß Koch überhaupt nicht dasjenige ſagen konnte, was eine wirkſame Nachbildung des Mittels garantirte. Er konnte zwar ſagen, aus welchem Stoff das Mittel hergeſtellt würde, und die Methode beſchreiben, aber das Zeigen der Methode war nicht möglich, und doch iſt die Methode ſo ſchwierig und verantwortungsvoll, daß ſie eben nicht erdacht werden kann, ſie muß erſehen oder durch Verſuche ſelbſt erfunden werden, was Koch bei einem geübten Forſcher auf 6 Monate berechnet. Andrerſeits lag darin eine Gefahr, daß das Mittel nachgeahmt würde, ohne die Möglichkeit der Wirkſamkeit zu con- troliren. Die Menſchheit hätte von Schwindlern heimgeſucht werden können, die Zeit wäre verpaßt und unendlich viele Hoffnungen und Menſchenleben vernichtet worden. Am Schluß der Unterredung habe ich Koch gegenüber die Verantwortung übernommen, und trage ſie auch vor der Welt dafür, daß ich ihn gebeten habe, mit der Veröffentlichung nur ſo weit zu gehen, daß die Gefahr der Nachahmung ausgeſchloſſen iſt. (Lebhafter Beifall.) Die Ver- öffentlichung fand am 13. November ſtatt. Es iſt ein wichtiges Document und wird alle Zeit unvergeſſen bleiben. Noch mehr Bedeutung erlangte die Frage nach der Herſtellung des Mittels. Schon früh, jedenfalls am 7. November, erklärte ich dem Geheim- rath Koch die Unmöglichkeit, die Sache ſo zu halten, wie ſie ſich entwickeln würde und müßte. Es gab keine Garantie, das Mittel in größerer Weiſe richtig herzuſtellen. Denn es iſt bisher noch keine einwandsfreie Methode dazu gefunden. Die Arbeiten voll- zogen ſich und vollziehen ſich überwiegend noch im Reagensglaſe. Was liegt nun eigentlich vor? Wir verzeichnen heute einen peſſimiſtiſchen Rückſchlag. Die Hauptſache, die naturwiſſenſchaftlich- theoretiſche Seite der Sache, iſt neuerdings verwiſcht worden und die mediciniſch-praktiſche iſt hervorgeboben. Ich habe bezüglich der naturwiſſenſchaftlichen Seite von meinem Rechte als Laie Gebrauch gemacht und ein Urtheil darüber aufgezeichnet. Ich habe geſtern die paar Zeilen dem Geheimrath Koch vorgetragen und er hat ſie gebilligt. Die Gedanken eines Laien haben nur einen relativen Werth, aber ſie ſind ſo nüchtern wie nur möglich (der Miniſter verliest das Folgende): „Ich glaube annehmen zu dürfen, daß ein Mittel gefunden iſt, welches, wenn es einem lebenden Menſchen zugeführt iſt, auf die im Menſchen befindlichen Gewebe, wo eine ganz beſtimmte Species von Tuberkelbacillen ſich gebildet hat, eine überaus heftige Wirkung hat. Das Mittel iſt nur wirkſam, wenn die betreffende Species des Bacillus vorhanden iſt. Die Wirkung tritt auch ein, wenn das Mittel an von der Erkrankung ſelbſt weit entfernten Stellen angewendet wird. Die Wirkung iſt eine ganz eigenartig gewaltige und mittelbar auf die Tuberkel- bacillen gerichtete. Sie tritt nicht, oder nur in vermindertem Maße ein bei Nichttuberculöſen, oder wenn Bacillen einer anderen Species vorliegen. Das Mittel entzieht ſich anſcheinend der ſicheren Feſtſtellung durch die heutige organiſche Chemie; es ſcheint über ein dunkles Gebiet derſelben Licht zu verbreiten. Die Me- thode, durch welche das Mittel gewonnen wird, iſt vorausſichtlich übertragbar auf andere Infectionskrankheiten.“ Profeſſor Koch hat dies gebilligt und beſonders der Bezugnahme auf das Gebiet der Chemie zugeſtimmt. Er meinte, dieſe Sache könne dem Studium ganz neue Formen geben. Wer ſich mit naturwiſſen- ſchaftlichen Problemen beſchäftigt hat, wird in der That den Ein- druck haben, daß wir auf viele, viele Jahrzehnte durch dieſe Ent- deckung beherrſcht werden. Was dieſe Entdeckung, auf natur- wiſſenſchaftlichem Gebiete entſtanden, ſo wunderbar erhebt über Alles, was in unſrer Erkenntniß liegt, iſt, daß dieſe Entdeckung unmittelbar für die Praxis, für die Medicin verwerthet werden konnte. Die diagnoſtiſche Bedeutung des Mittels ſteht heute bereits außer Frage. Ich habe bei aller gewiſſenhaften Forſchung in allen Publicationen auch nicht die entfernteſte Andeutung ge- funden, daß heute ſchon, nach wenigen Wochen, der geringſte Zweifel aufkommen kann, daß das Vertrauen in das Mittel ganz unvergleichlich iſt und einen weſentlichen Schatz für den Mediciner bildet. Daß, wenn auch der Verdacht der Tuberculoſe vorliegt, eine Wirkung doch nicht erzielt wird, iſt einfach und erklärlich. Die Aerzte erklären es daraus, daß, wenn in ein feſteres Gewebe inner- halb der Lunge Tuberkeln eingekapſelt ſind, das Mittel ſie wohl zer- ſtört, aber die Tuberkeln nicht in die Außenwelt gelangen können. Daß ein Geheimmittel, deſſen Zuſtandekommen man vielleicht ahnt, deſſen Beſtandtheile man aber nicht kennt, von der geſammten Welt auf den einfachen Namen eines einzelnen Mannes acceptirt wird, ſteht einzig da. Es hat noch keinen Menſchen in der Welt gegeben, der geſagt hat: wenn auch Robert Koch darunter ſtehe, die Sache könne Schwindel ſein. Davon iſt keine Rede. (Lebhafter Beifall.) Koch ſelbſt hat nun vor übertriebener Auffaſſung in jeder Weiſe gewarnt, aber das Publicum ſelbſt ſcheint lungenkrank geworden zu ſein, die Phantaſie desſelben hat alle Grenzen überſprungen. Ich habe täglich 12 Stunden zu thun, um die übertriebenen An- forderungen in dieſer Beziehung zurückzuhalten. Aber es iſt kein Zweifel unter den Aerzten, daß das Mittel mit vollem Vertrauen in die Heilungsbehandlung aufgenommen werden kann. Ganz ruhig denkende Aerzte meinen, es liegen bereits heute einzelne geheilte Fälle vor, namentlich bei ſich entwickelnder Tuberculoſe. Kein gewiſſenhafter Arzt kann heute mehr das Mittel als Heil- mittel auslaſſen. Es kommt Alles darauf an, daß wir das Maß von Ruhe bekommen, welches ich gern von vornherein gewünſcht hätte. Die Heilverſuche müſſen aber mehr in Kliniken und Privat- anſtalten vorgenommen werden, ſie müſſen aus den Polikliniken herausgenommen werden und vor allem muß die wüſte Behand- lung auf ambulantem Wege, die nachtheilig wirken kann, ver- mieden werden. Dagegen haben wir heute ſchon einen Ausblick auf das Gebiet der Hygiene. Ich will nicht Alles vorführen, wie es mir Koch wiederholt entwickelt hat. Das ſteht aber feſt, daß in Verbindung mit der bisherigen mikroſkopiſchen Methode dieſes Mittel eine Bedeutung haben wird, welche in unſerm ganzen öffentlichen Leben eine ſtarke Umwälzung zu Wege bringen muß. Unſer ganzes Leben in den Krankenhäuſern, den Schulen, den Pflegeanſtalten, namentlich den Diaconiſſenanſtalten, Ordensnieder- laſſungen u. ſ. w., wird einen ſegensreichen Einfluß durch die neu gewonnene Methode zu verſpüren haben. Ich möchte hier noch einmal auf die Thiertuberculoſe zurückkommen. Die Thier- krankheiten können nicht getrennt werden von den menſchlichen Er- krankungen. Die Frage nach der Perlſucht der Rinder iſt eine ſehr difficile. Es ſind mit unſern Mitteln jahrelange Verſuche ge- macht worden in Halle, und ſie haben kein Reſultat gehabt, auch andere Verſuche ſind erfolglos geblieben. Bei aller vorſichtigen Behandlung der Sache ſprechen überwiegende Gründe dafür, daß ein Menſch ein Thier anſtecken kann durch ſein sputum, welches Tuberkeln enthält, und daß umgekehrt die Milch perlſüchtiger Rinder mit erheblichen Gefahren für den Menſchen verbunden iſt. Keine verſtändige Medicinal- und Geſundheitsbehörde wird dieſen Sachen gleichgültig gegenüberſtehen, und es iſt nicht unmöglich, daß durch dieſes Mittel ein diagnoſtiſches Mittel gefunden iſt, welches die ſo ſehr ſchwer erkennbare Rindertuberculoſe in einem früheren

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-09-13T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 334. München, 2. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine334_1890/5>, abgerufen am 24.11.2024.