Allgemeine Zeitung. Nr. 334. München, 2. Dezember 1890.Dienstag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Uebersicht. Cultusminister Dr. v. Goßler über Robert Koch. -- Ver- schiedenes. -- Handel und Volkswirthschaft. Cultusminister Dr. v. Goßler über Robert Koch. Wir glauben einem öffentlichen Interesse zu dienen, wenn Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Cultusminister v. Goßler: Dienſtag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890. [Spaltenumbruch] Inhalts-Ueberſicht. Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch. — Ver- ſchiedenes. — Handel und Volkswirthſchaft. Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch. Wir glauben einem öffentlichen Intereſſe zu dienen, wenn Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Cultusminiſter v. Goßler: <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0005"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main">Dienſtag, <hi rendition="#b">Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung.</hi> 2. December 1890.</titlePart> </docTitle> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="contents" n="1"> <list> <head> <hi rendition="#b">Inhalts-Ueberſicht.</hi> </head><lb/> <item><hi rendition="#g">Cultusminiſter</hi><hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. <hi rendition="#g">Goßler über Robert Koch</hi>. </item> <item>— Ver-<lb/> ſchiedenes. </item> <item>— Handel und Volkswirthſchaft.</item> </list> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </front> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Cultusminiſter <hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Goßler über Robert Koch.</hi> </head><lb/> <p>Wir glauben einem öffentlichen Intereſſe zu dienen, wenn<lb/> wir nachſtehend die Rede wiedergeben, in welcher der preußiſche<lb/> Cultusminiſter in der Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom<lb/> 29. November das erſte officielle Zeugniß über die welt-<lb/> bewegende Erfindung und deren weitere Behandlung und Aus-<lb/> geſtaltung abgelegt hat. Es handelte ſich bekanntlich um die<lb/> von allen Parteien unterſtützte Anfrage des Abg. <hi rendition="#g">Graf,</hi><lb/> „welche Schritte die königliche Staatsregierung zur Förderung<lb/> und weiteren Nutzbarmachung des <hi rendition="#g">Koch</hi>’ſchen Heilverfahrens<lb/> in Ausſicht genommen habe?“</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#b">Graf</hi> (Elberfeld): <cit><quote>Es war am 4. Auguſt dieſes<lb/> Jahres in der erſten allgemeinen Sitzung des internationalen<lb/> mediciniſchen Congreſſes, als in ſeinem Vortrage Robert Koch<lb/> ſagte, daß er ein Mittel gefunden habe, welches im Stande ſei,<lb/> Verſuchsthiere unempfänglich gegen den Tuberkelbacillus zu machen<lb/> und in ſchon erkrankten Theilen den Proceß zum Stillſtand zu<lb/> bringen. Solche Worte aus ſolchem Munde konnten nicht ver-<lb/> fehlen, eine große Erregung unter den anweſenden Aerzten her-<lb/> vorzurufen. Dieſe Erregung ſtieg in der mediciniſchen Welt, als<lb/> am 13. November die bekannte Publication Kochs erfolgte, welche<lb/> auch die erfolgreiche Anwendung des Mittels an erkrankten Men-<lb/> ſchen nachwies. Seit jenem Tage haben, dank dem liebens-<lb/> würdigen Entgegenkommen der Berliner kliniſchen Inſtitute und<lb/> Krankenhäuſer, viele hundert Aerzte Gelegenheit gehabt, ſich über<lb/> den Stand der Sache zu unterrichten und die Wirkungen der<lb/> neuen Heilmethode zu beobachten und zu verfolgen. Iſt nun auch<lb/> die Zeit zu einem abſchließenden Urtheil noch nicht gekommen und<lb/> bedarf es zunächſt noch einer längeren Periode, um die Arbeiten<lb/> kritiſch zu ſichten, ſo ſteht doch heute ſchon feſt, daß wir hier ein<lb/> Mittel vor uns haben, welches auf tuberculöſe Proceſſe in den<lb/> verſchiedenſten Organen in kurzer Friſt eine ſichere Wirkung aus-<lb/> übt, daß wir dadurch im Stande ſind, die Diagnoſe ſolcher Proceſſe<lb/> zu ſichern und in geeigneten Fällen die Heilung zu bewirken oder<lb/> mindeſtens zu begünſtigen; daß wir alſo in der Lage ſind, gegen<lb/> dieſe mörderiſche Krankheit auf directem Wege vorzugehen, welche<lb/> bis dahin überall, wo ſie nicht dem Meſſer des Chirurgen Angriff<lb/> bot, nur dem indirecten Heilverfahren zugänglich war. Ich halte<lb/> mich für berechtigt, an dieſer Stelle der hohen Freude Ausdruck<lb/> zu geben, daß es einer der Unſrigen war, dem dieſe folgenſchwere<lb/> Entdeckung gelungen iſt (Beifall), daß der Lorbeer, welcher heute<lb/> von allen Culturnationen unſerm großen Landsmann dargebracht<lb/> wird, zugleich eine Huldigung für die deutſche Wiſſenſchaft und<lb/> deutſche Forſchung iſt. (Beifall.) Es war aber unausbleiblich,<lb/> daß durch den enormen Zudrang zahlreicher Hülfeſuchenden Miß-<lb/> bräuche der verſchiedenſten Art entſtanden, daß das vergebliche Be-<lb/> mühen von Kranken und Aerzten, in den Beſitz des koſtbaren<lb/> Mittels zu kommen, Mißſtimmung und ſcharfe Kritik mit ſich<lb/> brachte. Daß die überſchwänglichen Hoffnungen, welche ſich an<lb/> dieſe Mittheilungen knüpften, vor welchen Niemand nachdrücklicher<lb/> gewarnt hat, als der Entdecker ſelbſt, Enttäuſchungen zur Folge<lb/> haben mußten, war unvermeidlich; immerhin erfordert die An-<lb/> gelegenheit unſre ganze Aufmerkſamkeit. Es iſt ferner einleuchtend,<lb/> daß ein ſo mächtig wirkendes Mittel, welches Fieberzuſtände oft in<lb/> ſehr hohem Maße herbeiführt, nur von berufener Hand, nur mit<lb/> forgfältigſter Auswahl der geeigneten Fälle und mit beſtimmten<lb/> Vorſichtsmaßregeln bei Patienten angewendet werden kann. Jeder<lb/> Arzt, welcher das Mittel anwendet, wird ſich ſeiner vollen Ver-<lb/> antwortung bewußt ſein. Aus dieſer Sachlage entſpringen der<lb/> Staatsregierung beſondere Verpflichtungen. Zunächſt wird es ihre<lb/> Pflicht ſein, in geeigneter und ausgiebiger Weiſe die kliniſchen<lb/> Inſtitute zu ſchaffen, in welchen die Angelegenheit eine weitere<lb/> Förderung erhält. Es wird ferner nothwendig ſein, ſoweit es in<lb/> ihrer Macht ſteht, dafür zu forgen, daß das Mittel in genügender<lb/> Menge und in der gleichen untadelhaften Qualität hergeſtellt wird,<lb/> daß ein geeigneter Vertheilungsmodus gefunden wird, bei welchem<lb/> die natürlichen Centralſtellen, die Krankenhäuſer und Heilanſtalten<lb/> im ganzen Lande in erſter Linie berückſichtigt werden. Es wird<lb/> ferner zu erwägen ſein, unter welchen Modalitäten das Mittel in<lb/> die Hände der anderen Aerzte gelangen und inwieweit man<lb/> ſchließlich den Pflichten gegen das Ausland nachkommen kann.<lb/> Später werden auch die thierärztlichen Hochſchulen und die land-<lb/> wirthſchaftlichen Anſtalten zu berückſichtigen ſein, denn die Be-<lb/> kämpfung der Tuberculoſe iſt auch von hohem Intereſſe für die<lb/> Landwirthſchaft, wirkt ſo wieder auf die menſchliche Geſundheit<lb/> zurück, iſt überhaupt auch von hohem wirthſchaftlichen Intereſſe.<lb/> (Sehr richtig.) Bei einem geregelten Vertheilungsmodus wird das<lb/> Hoſten und Drängen nach dem Mittel aufhören, es werden be-<lb/> berechtigte und unberechtigte Klagen verſtummen. In welcher<lb/> Weiſe die Regierung in der Lage iſt, dieſer letzten Forderung ge-<lb/> recht zu werden, ob durch Uebernahme des Mittels auf den Staat,<lb/> Monopoliſirung oder auf andere Weiſe, darüber erlaube ich mir<lb/> kein Urtheil; über Eines aber herrſcht allgemeines Einverſtändniß:<lb/> daß ein ſolches Mittel entſprechend den Intentionen des großen,<lb/> ſelbſtloſen Erfinders dem gewerbsmäßigen Betriebe und der ge-<lb/> werbsmäßigen Ausbeutung dauernd entzogen bleibt. (Beifall.)<lb/> Wir ſind der Ueberzeugung, daß die Staatsregierung allen dieſen<lb/> Verhältniſſen ihre thatkräftige Fürſorge zu widmen hat; hierüber<lb/> nicht nur vor der Landesvertretung, ſondern vor dem ganzen<lb/> Lande Aufklärung und Gewißheit zu verſchaffen, iſt der Zweck der<lb/> Interpellation.</quote></cit></p><lb/> <p>Cultusminiſter <hi rendition="#b">v. Goßler:</hi> <cit><quote>Ich bin dem Interpellanten<lb/> und dem hohen Hauſe dankbar, daß wir in Folge der Interpel-<lb/> lation dieſe wichtige und in ihren Folgen völlig unüberſehbare<lb/> Angelegenheit mit voller Ruhe behandeln können. Ich bin dem<lb/> Hrn. Vorredner auch dafür dankbar, daß er mit derjenigen Nüch-<lb/> ternheit und Objectivität an dieſe Verhandlung herangetreten iſt,<lb/> deren ſie bedarf und würdig iſt. Ich erinnere auch an den<lb/> 4. Auguſt, als Profeſſor Koch ſeinen Vortrag damit ſchloß, daß<lb/> er es durchaus für möglich und wahrſcheinlich halte, daß die Ent-<lb/> deckung, die er auf dem Boden der Bekämpfung des Tuberkel-<lb/> bacillus gemacht, auch zu einer Verwerthung in der Heilkunſt<lb/> führen könnte. Er ſagte, es wäre der Fehler gemacht, daß man<lb/> empiriſch oder durch Intuition ſich habe verleiten laſſen, mit<lb/> directen Mitteln der Tuberculoſe entgegenzutreten, während ein<lb/> logiſcher Verſuch einen anderen Weg einſchlagen müßte, nämlich<lb/> erſtens die Auffindung von Mitteln gegen den Tuberkelbacillus,<lb/> der außerhalb eines Körpers auf einem Nährboden erzeugt wäre,<lb/> zweitens Verſuche an Thieren und drittens Verſuche an Menſchen.<lb/> Er entwickelte in ſeinem Vortrage, daß er zahlloſe Mittel ge-<lb/> funden habe, um in ſogenannten Reinculturen die Bacillen zu<lb/> vernichten, er ſchlug aber die ſich daran knüpfenden Hoffnungen<lb/> der Zuhörer ſofort zu Boden, indem er ſagte, daß alle dieſe<lb/> Mittel ſich gänzlich wirkungslos bei Thierverſuchen erwieſen<lb/> hätten. Er ſchloß dann ſeinen grundlegenden und für alle Zeiten<lb/><cb/> unvergeßlichen Vortrag damit, daß es ihm gleichwohl auf anderem<lb/> Wege gelungen ſei, bei Thierverſuchen einen Stoff zu finden,<lb/> welcher ſowohl das Thier immun mache gegen den Tuberkelbacil-<lb/> lus, als auch fähig ſei, dieſe Krankheitserſcheinung zurückzudämmen<lb/> oder mindeſtens aufzuhalten. Dies wirkte in der geſammten<lb/> Welt wie ein Donnerſchlag, und von dieſem Moment war natür-<lb/> lich die Aufmerkſamkeit auf die Perſon des Geheimraths Koch<lb/> gelenkt. Er entzog ſich aber ſogleich allen weiteren Discuſſionen<lb/> durch eine beſchleunigte Reiſe bis zum Schluß des mediciniſchen<lb/> Congreſſes. Unmittelbar darauf ging er ganz im geheimen an<lb/> einen Verſuch des Mittels nicht allein an einem Thiere, ſondern<lb/> auch an einem Menſchen. Zuerſt wurde ſein Mittel in der<lb/> Charit<hi rendition="#aq">é</hi> mit Hülfe des Profeſſors Fräntzel und des Stabsarztes<lb/> Köhler angewendet. Dann machte er den berühmten Verſuch an<lb/> ſich ſelbſt, und dieſer war ein ſo gewaltiger, daß nur ein ſo feſt<lb/> entſchloſſener Forſcher den Verſuch machen konnte, der, wie man<lb/> damals wohl ahnen konnte, unmittelbar hätte zum Tode führen<lb/> können. Er hat eine Doſis von 5 Kubikgramm, alſo das Höchſte,<lb/> was einem Kranken in der Charit<hi rendition="#aq">é</hi> gegeben war, genommen und<lb/> eine ganz ungeheure Wirkung verſpürt und konnte nun ſeine<lb/> Rathſchläge über die Verwendung von Maximaldoſen geben.<lb/> Dann wandte er ſich an Profeſſor Brieger, welcher als ein ganz<lb/> eminenter und zuverläſſiger Forſcher bekannt iſt. Brieger arbeitet<lb/> am hygieniſchen Inſtitut und hat ſich durch ſeine Arbeiten daſelbſt<lb/> einen bleibenden Ruhm geſchaffen. Durch Brieger wurde er be-<lb/> kannt mit der chirurgiſchen Privatklinik des <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Levy. Ich halte<lb/> mich verpflichtet, an der Hand der Mittheilungen des Prof. Koch<lb/> hier auszuſprechen, daß, ſolange Koch in der Lage war, in deſſen<lb/> Klinik die Kranken zu beobachten, er in jeder Weiſe der dort<lb/> herrſchenden Thätigkeit und Intereſſenloſigkeit ſeine volle An-<lb/> erkennung gezollt hat. Seine perſönliche Kenntniß beſchränkt ſich<lb/> aber auf die Zeit der Vorverſuche. Ich bin verpflichtet, hier zu<lb/> erwähnen, daß die dortigen Kranken M. 1.75 bezahlen, alſo den-<lb/> ſelben Satz, wie in der Charit<hi rendition="#aq">é</hi>. Es iſt ſogar damals auf<lb/> Wunſch des Profeſſors Koch gelungen, einen früheren Studenten<lb/> koſtenfrei in die Anſtalt aufzunehmen. Als Mitarbeiter Kochs iſt<lb/> ferner <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Cornet in den Zeitungen genannt. Cornet iſt bekannt<lb/> geworden durch ſeine epochemachende Publication auf dem Gebiete<lb/> der Lungenphthiſe, welche ich im vorigen Jahre auf Staatskoſten habe<lb/> drucken und auf das weiteſte verbreiten laſſen. Es liegen von ihm<lb/> Sachen vor, welche die wärmſte Anerkennung aller Sachverſtändigen<lb/> gefunden haben. Ferner ſind als Mitarbeiter genannt <hi rendition="#aq">Dr.</hi><lb/> Dengel, welcher eine angeſehene Privatpraxis hat, und Profeſſor<lb/> Pfuhl. Ich darf annehmen, daß bei allen dieſen Männern Frage-<lb/> zeichen nicht vorliegen. Die Verſuche konnten nicht ganz unbekannt<lb/> bleiben, man las in den Zeitungen einzelne Notizen, die ſich auch<lb/> in das Ausland verirrten, und aus der ausländiſchen Preſſe be-<lb/> kamen wir eine große Fülle von hämiſchen, abfälligen Urtheilen,<lb/> die mit voller Schadenfreude behaupteten, was Koch am 4. Auguſt<lb/> entdeckt habe, ſei bereits als Glas zerſchlagen worden. Ich wartete<lb/> geduldig ab, bis dieſe Angelegenheit an mich herantreten würde.<lb/> Am 27. October theilte mir Profeſſor Koch mit, er habe ein<lb/> Specificum gegen den Tuberkelbacillus gefunden; er glaube, ſeine<lb/> Pflichten als Vorſitzender des hygieniſchen Inſtituts nicht mehr<lb/> thun zu können in Folge der Entwicklung ſeiner wiſſenſchaftlichen<lb/> Arbeiten, und er regte die Frage an, ob er aus dem Inſtitut aus-<lb/> ſcheiden ſolle. In allen ſolchen Fällen, wo ein hervorragender<lb/> wiſſenſchaftlicher Lehrer auf ein Forſchungsgebiet gekommen war,<lb/> das ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, habe ich es immer für<lb/> die Aufgabe des Staates gehalten, ihm Muße und Mittel zu ge-<lb/> währen. (Beifall.) Eine ganze Reihe von hervorragenden Forſchern<lb/> habe ich mit allerhöchſter Ermächtigung auf ein, zwei Jahre zu<lb/> ſolchem Zwecke beurlaubt. Es wurde auch die Beurlaubung Kochs<lb/> verſügt und Profeſſor v. Esmarch mit ſeiner Stellvertretung betraut.<lb/> Nun war das Geheimniß zerriſſen. Alle Mühe, den Schleier zu<lb/> erhalten, war vergeblich. Es war wie ein Donnerſchlag, der aus<lb/> dieſem Inſtitut herausging. Meine Unterredung mit Koch am Tage<lb/> ſeiner Beurlaubung ging tiefer auf die Materie ein. Er war von<lb/> vornherein bereit, mir das Letzte, was er wußte, mitzutheilen. Ich<lb/> bat ihn aber, es mir nicht zu ſagen, denn es könnte wohl ohne<lb/> mein Verſchulden eine Mittheilung eintreten, welche unter Umſtän-<lb/> den mehr ſchaden als nützen könnte. Daß er im erſten Augenblick<lb/> vollkommen bereit war, ſeine Acten zu veröffentlichen, beweist, daß<lb/> nie ein Gedanke durch ſeine Seele gezogen iſt, der eine andere als<lb/> eine wiſſenſchaftliche und ideale Grundlage hatte. (Beifall.) Wir<lb/> behandelten das Thema: Was für Veranſtaltungen laſſen ſich<lb/> treffen, um Koch für jetzt wie für die Zukunft die Durchführung<lb/> ſeiner Entdeckung und deren Ausdehnung auf verwandte Gebiete<lb/> zu ermöglichen? Er glaubte, daß er einer Krankenanſtalt bedürfe<lb/> innerhalb einer anderen großen Anſtalt, wo er aus der Fülle der<lb/> Kranken geeignetes Material erhalten könnte, um die verſchiedenſten<lb/> Infectionskrankheiten ſtudiren zu können; ſodann wünſche er ein<lb/> wiſſenſchaftliches Inſtitut für die nöthigen Unterſuchungen. Ich<lb/> bot ihm die Charit<hi rendition="#aq">é</hi> an, er hielt aber den Weg für einfacher, wenn<lb/> ihm im Baracken-Lazareth in Moabit 150 Betten überwieſen wür-<lb/> den, da dort auch 400 bis 500 Kranke vorhanden ſeien. Im<lb/> übrigen bot ich ihm an, die preußiſchen Univerſitäts-Kliniken zu<lb/> benutzen als weiteres Verſuchsfeld. Er glaubte für ſich ſo ſicher<lb/> ſein zu können, daß er von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte,<lb/> und wir trennten uns, ohne zum Abſchluß zu kommen. Ich habe<lb/> aber den Gedanken weiter verfolgt. Es iſt zweifellos, wenn Pro-<lb/> feſſor Koch mir ſagte, er habe ein Mittel gefunden, dann iſt es<lb/> wahr, aber es kommt auch darauf an, die Sache der<lb/> Welt in einer Form vorzuführen, welche möglichſt auch<lb/> im Intereſſe des Erfinders liegt. Alle unſre natur-<lb/> wiſſenſchaftlichen Arbeiten ſchließen ſich überwiegend an die<lb/> Univerſitäten an, und unſre deutſchen Kliniken haben im<lb/> In- und Ausland den Ruf, daß dort nicht gelogen und nur ver-<lb/> öffentlicht wird, was wirklich genau erkannt iſt. Man muß ſolche<lb/> Publicationen vermeiden, wo die Beobachtung der Thatſachen in<lb/> Speculation übergeht. Eine Vermiſchung von Speculation und<lb/> Forſchung darf an unſeren Kliniken niemals eintreten. Ich habe<lb/> dann die chirurgiſche Klinik auserſehen, es iſt mir durch das Ent-<lb/> gegenkommen des Leiters derſelben, Profeſſor v. Bergmann, in<lb/> einwandsfreier Weiſe gelungen, dort eine großartige Verſuchsanſtalt<lb/> herzuſtellen. Bereits am 6. November war es möglich, ein durch-<lb/> aus eigenartiges und reichhaltiges Material, welches alle Formen<lb/> der Tuberculoſe aufwies, herzuſtellen. Dort iſt das Rendezvons<lb/> der Aerzte der Welt, täglich beſichtigen 300 Aerzte die Kranken.<lb/> Die Operationen und das Studium haben zurücktreten müſſen.<lb/> Bezüglich der Wünſche Kochs der Stadt gegenüber fand am<lb/> 1. November eine Conferenz ſtatt, es ergaben ſich aber Schwierig-<lb/> keiten; der Wunſch Kochs ließ ſich nicht ſo raſch erfüllen, wie er<lb/> dachte. Ich hatte bereits eventuell mit dem Finanzminiſter und<lb/> der Charit<hi rendition="#aq">é</hi> verhandelt. Es ergab ſich zu meiner großen Freude<lb/> eine Uebereinſtimmung mit dem Finanzminiſter dahin, daß es<lb/> eine Ehrenpflicht des preußiſchen Staates ſei, Prof. Koch in ſeinen<lb/> Arbeiten aus Staatsmitteln zu unterſtützen. (Lebhafter Beifall.)<lb/> Es gelang, die Bedenken Kochs zu beſeitigen, und am 6. November<lb/> ſtand, revidirt und ſuperrevidirt, ein Programm feſt, die Mittel<lb/> ſind vom Finanzminiſter zur Verfügung geſtellt, und wir ſind be-<lb/><cb/> reits am Anfang der Arbeit. Am 7. November verhandelte ich<lb/> mit Koch eingehend über die Veröffentlichung ſeiner Entdeckung.<lb/> Koch hatte damals noch die Abſicht, Alles, was er wußte, frei<lb/> und offen zu ſagen. Aber aus der ſehr eingehenden Beſprechung,<lb/> in Gegenwart von zwei Zeugen, ergab ſich, daß Koch überhaupt<lb/> nicht dasjenige ſagen konnte, was eine wirkſame Nachbildung des<lb/> Mittels garantirte. Er konnte zwar ſagen, aus welchem Stoff das<lb/> Mittel hergeſtellt würde, und die Methode beſchreiben, aber das<lb/> Zeigen der Methode war nicht möglich, und doch iſt die Methode<lb/> ſo ſchwierig und verantwortungsvoll, daß ſie eben nicht erdacht<lb/> werden kann, ſie muß erſehen oder durch Verſuche ſelbſt erfunden<lb/> werden, was Koch bei einem geübten Forſcher auf 6 Monate<lb/> berechnet. Andrerſeits lag darin eine Gefahr, daß das Mittel<lb/> nachgeahmt würde, ohne die Möglichkeit der Wirkſamkeit zu con-<lb/> troliren. Die Menſchheit hätte von Schwindlern heimgeſucht<lb/> werden können, die Zeit wäre verpaßt und unendlich viele Hoffnungen<lb/> und Menſchenleben vernichtet worden. Am Schluß der Unterredung<lb/> habe ich Koch gegenüber die Verantwortung übernommen, und<lb/> trage ſie auch vor der Welt dafür, daß ich ihn gebeten habe, mit<lb/> der Veröffentlichung nur ſo weit zu gehen, daß die Gefahr der<lb/> Nachahmung ausgeſchloſſen iſt. (Lebhafter Beifall.) Die Ver-<lb/> öffentlichung fand am 13. November ſtatt. Es iſt ein wichtiges<lb/> Document und wird alle Zeit unvergeſſen bleiben. Noch mehr<lb/> Bedeutung erlangte die Frage nach der Herſtellung des Mittels.<lb/> Schon früh, jedenfalls am 7. November, erklärte ich dem Geheim-<lb/> rath Koch die Unmöglichkeit, die Sache ſo zu halten, wie ſie ſich<lb/> entwickeln würde und müßte. Es gab keine Garantie, das Mittel<lb/> in größerer Weiſe richtig herzuſtellen. Denn es iſt bisher noch<lb/> keine einwandsfreie Methode dazu gefunden. Die Arbeiten voll-<lb/> zogen ſich und vollziehen ſich überwiegend noch im Reagensglaſe.<lb/> Was liegt nun eigentlich vor? Wir verzeichnen heute einen<lb/> peſſimiſtiſchen Rückſchlag. Die Hauptſache, die naturwiſſenſchaftlich-<lb/> theoretiſche Seite der Sache, iſt neuerdings verwiſcht worden und<lb/> die mediciniſch-praktiſche iſt hervorgeboben. Ich habe bezüglich der<lb/> naturwiſſenſchaftlichen Seite von meinem Rechte als Laie Gebrauch<lb/> gemacht und ein Urtheil darüber aufgezeichnet. Ich habe geſtern<lb/> die paar Zeilen dem Geheimrath Koch vorgetragen und er hat ſie<lb/> gebilligt. Die Gedanken eines Laien haben nur einen relativen<lb/> Werth, aber ſie ſind ſo nüchtern wie nur möglich (der Miniſter<lb/> verliest das Folgende): „Ich glaube annehmen zu dürfen, daß<lb/> ein Mittel gefunden iſt, welches, wenn es einem lebenden Menſchen<lb/> zugeführt iſt, auf die im Menſchen befindlichen Gewebe, wo eine<lb/> ganz beſtimmte Species von Tuberkelbacillen ſich gebildet hat,<lb/> eine überaus heftige Wirkung hat. Das Mittel iſt nur wirkſam,<lb/> wenn die betreffende Species des Bacillus vorhanden iſt. Die<lb/> Wirkung tritt auch ein, wenn das Mittel an von der Erkrankung<lb/> ſelbſt weit entfernten Stellen angewendet wird. Die Wirkung iſt<lb/> eine ganz eigenartig gewaltige und mittelbar auf die Tuberkel-<lb/> bacillen gerichtete. Sie tritt nicht, oder nur in vermindertem<lb/> Maße ein bei Nichttuberculöſen, oder wenn Bacillen einer anderen<lb/> Species vorliegen. Das Mittel entzieht ſich anſcheinend der<lb/> ſicheren Feſtſtellung durch die heutige organiſche Chemie; es ſcheint<lb/> über ein dunkles Gebiet derſelben Licht zu verbreiten. Die Me-<lb/> thode, durch welche das Mittel gewonnen wird, iſt vorausſichtlich<lb/> übertragbar auf andere Infectionskrankheiten.“ Profeſſor Koch<lb/> hat dies gebilligt und beſonders der Bezugnahme auf das Gebiet<lb/> der Chemie zugeſtimmt. Er meinte, dieſe Sache könne dem<lb/> Studium ganz neue Formen geben. Wer ſich mit naturwiſſen-<lb/> ſchaftlichen Problemen beſchäftigt hat, wird in der That den Ein-<lb/> druck haben, daß wir auf viele, viele Jahrzehnte durch dieſe Ent-<lb/> deckung beherrſcht werden. Was dieſe Entdeckung, auf natur-<lb/> wiſſenſchaftlichem Gebiete entſtanden, ſo wunderbar erhebt über<lb/> Alles, was in unſrer Erkenntniß liegt, iſt, daß dieſe Entdeckung<lb/> unmittelbar für die Praxis, für die Medicin verwerthet werden<lb/> konnte. Die diagnoſtiſche Bedeutung des Mittels ſteht heute<lb/> bereits außer Frage. Ich habe bei aller gewiſſenhaften Forſchung<lb/> in allen Publicationen auch nicht die entfernteſte Andeutung ge-<lb/> funden, daß heute ſchon, nach wenigen Wochen, der geringſte<lb/> Zweifel aufkommen kann, daß das Vertrauen in das Mittel ganz<lb/> unvergleichlich iſt und einen weſentlichen Schatz für den Mediciner<lb/> bildet. Daß, wenn auch der Verdacht der Tuberculoſe vorliegt,<lb/> eine Wirkung doch nicht erzielt wird, iſt einfach und erklärlich. Die<lb/> Aerzte erklären es daraus, daß, wenn in ein feſteres Gewebe inner-<lb/> halb der Lunge Tuberkeln eingekapſelt ſind, das Mittel ſie wohl zer-<lb/> ſtört, aber die Tuberkeln nicht in die Außenwelt gelangen können. Daß<lb/> ein Geheimmittel, deſſen Zuſtandekommen man vielleicht ahnt, deſſen<lb/> Beſtandtheile man aber nicht kennt, von der geſammten Welt auf<lb/> den einfachen Namen eines einzelnen Mannes acceptirt wird, ſteht<lb/> einzig da. Es hat noch keinen Menſchen in der Welt gegeben,<lb/> der geſagt hat: wenn auch Robert Koch darunter ſtehe, die Sache<lb/> könne Schwindel ſein. Davon iſt keine Rede. (Lebhafter Beifall.)<lb/> Koch ſelbſt hat nun vor übertriebener Auffaſſung in jeder Weiſe<lb/> gewarnt, aber das Publicum ſelbſt ſcheint lungenkrank geworden<lb/> zu ſein, die Phantaſie desſelben hat alle Grenzen überſprungen.<lb/> Ich habe täglich 12 Stunden zu thun, um die übertriebenen An-<lb/> forderungen in dieſer Beziehung zurückzuhalten. Aber es iſt kein<lb/> Zweifel unter den Aerzten, daß das Mittel mit vollem Vertrauen<lb/> in die Heilungsbehandlung aufgenommen werden kann. Ganz<lb/> ruhig denkende Aerzte meinen, es liegen bereits heute einzelne<lb/> geheilte Fälle vor, namentlich bei ſich entwickelnder Tuberculoſe.<lb/> Kein gewiſſenhafter Arzt kann heute mehr das Mittel als Heil-<lb/> mittel auslaſſen. Es kommt Alles darauf an, daß wir das Maß<lb/> von Ruhe bekommen, welches ich gern von vornherein gewünſcht<lb/> hätte. Die Heilverſuche müſſen aber mehr in Kliniken und Privat-<lb/> anſtalten vorgenommen werden, ſie müſſen aus den Polikliniken<lb/> herausgenommen werden und vor allem muß die wüſte Behand-<lb/> lung auf ambulantem Wege, die nachtheilig wirken kann, ver-<lb/> mieden werden. Dagegen haben wir heute ſchon einen Ausblick<lb/> auf das Gebiet der Hygiene. Ich will nicht Alles vorführen, wie<lb/> es mir Koch wiederholt entwickelt hat. Das ſteht aber feſt, daß<lb/> in Verbindung mit der bisherigen mikroſkopiſchen Methode dieſes<lb/> Mittel eine Bedeutung haben wird, welche in unſerm ganzen<lb/> öffentlichen Leben eine ſtarke Umwälzung zu Wege bringen muß.<lb/> Unſer ganzes Leben in den Krankenhäuſern, den Schulen, den<lb/> Pflegeanſtalten, namentlich den Diaconiſſenanſtalten, Ordensnieder-<lb/> laſſungen u. ſ. w., wird einen ſegensreichen Einfluß durch die<lb/> neu gewonnene Methode zu verſpüren haben. Ich möchte hier<lb/> noch einmal auf die Thiertuberculoſe zurückkommen. Die Thier-<lb/> krankheiten können nicht getrennt werden von den menſchlichen Er-<lb/> krankungen. Die Frage nach der Perlſucht der Rinder iſt eine ſehr<lb/> difficile. Es ſind mit unſern Mitteln jahrelange Verſuche ge-<lb/> macht worden in Halle, und ſie haben kein Reſultat gehabt, auch<lb/> andere Verſuche ſind erfolglos geblieben. Bei aller vorſichtigen<lb/> Behandlung der Sache ſprechen überwiegende Gründe dafür, daß<lb/> ein Menſch ein Thier anſtecken kann durch ſein <hi rendition="#aq">sputum,</hi> welches<lb/> Tuberkeln enthält, und daß umgekehrt die Milch perlſüchtiger Rinder<lb/> mit erheblichen Gefahren für den Menſchen verbunden iſt. Keine<lb/> verſtändige Medicinal- und Geſundheitsbehörde wird dieſen Sachen<lb/> gleichgültig gegenüberſtehen, und es iſt nicht unmöglich, daß durch<lb/> dieſes Mittel ein diagnoſtiſches Mittel gefunden iſt, welches die<lb/> ſo ſehr ſchwer erkennbare Rindertuberculoſe in einem früheren<lb/></quote></cit></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0005]
Dienſtag, Zweites Morgenblatt, Nr. 334 der Allgemeinen Zeitung. 2. December 1890.
Inhalts-Ueberſicht.
Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch.
— Ver-
ſchiedenes.
— Handel und Volkswirthſchaft.
Cultusminiſter Dr. v. Goßler über Robert Koch.
Wir glauben einem öffentlichen Intereſſe zu dienen, wenn
wir nachſtehend die Rede wiedergeben, in welcher der preußiſche
Cultusminiſter in der Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
29. November das erſte officielle Zeugniß über die welt-
bewegende Erfindung und deren weitere Behandlung und Aus-
geſtaltung abgelegt hat. Es handelte ſich bekanntlich um die
von allen Parteien unterſtützte Anfrage des Abg. Graf,
„welche Schritte die königliche Staatsregierung zur Förderung
und weiteren Nutzbarmachung des Koch’ſchen Heilverfahrens
in Ausſicht genommen habe?“
Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Es war am 4. Auguſt dieſes
Jahres in der erſten allgemeinen Sitzung des internationalen
mediciniſchen Congreſſes, als in ſeinem Vortrage Robert Koch
ſagte, daß er ein Mittel gefunden habe, welches im Stande ſei,
Verſuchsthiere unempfänglich gegen den Tuberkelbacillus zu machen
und in ſchon erkrankten Theilen den Proceß zum Stillſtand zu
bringen. Solche Worte aus ſolchem Munde konnten nicht ver-
fehlen, eine große Erregung unter den anweſenden Aerzten her-
vorzurufen. Dieſe Erregung ſtieg in der mediciniſchen Welt, als
am 13. November die bekannte Publication Kochs erfolgte, welche
auch die erfolgreiche Anwendung des Mittels an erkrankten Men-
ſchen nachwies. Seit jenem Tage haben, dank dem liebens-
würdigen Entgegenkommen der Berliner kliniſchen Inſtitute und
Krankenhäuſer, viele hundert Aerzte Gelegenheit gehabt, ſich über
den Stand der Sache zu unterrichten und die Wirkungen der
neuen Heilmethode zu beobachten und zu verfolgen. Iſt nun auch
die Zeit zu einem abſchließenden Urtheil noch nicht gekommen und
bedarf es zunächſt noch einer längeren Periode, um die Arbeiten
kritiſch zu ſichten, ſo ſteht doch heute ſchon feſt, daß wir hier ein
Mittel vor uns haben, welches auf tuberculöſe Proceſſe in den
verſchiedenſten Organen in kurzer Friſt eine ſichere Wirkung aus-
übt, daß wir dadurch im Stande ſind, die Diagnoſe ſolcher Proceſſe
zu ſichern und in geeigneten Fällen die Heilung zu bewirken oder
mindeſtens zu begünſtigen; daß wir alſo in der Lage ſind, gegen
dieſe mörderiſche Krankheit auf directem Wege vorzugehen, welche
bis dahin überall, wo ſie nicht dem Meſſer des Chirurgen Angriff
bot, nur dem indirecten Heilverfahren zugänglich war. Ich halte
mich für berechtigt, an dieſer Stelle der hohen Freude Ausdruck
zu geben, daß es einer der Unſrigen war, dem dieſe folgenſchwere
Entdeckung gelungen iſt (Beifall), daß der Lorbeer, welcher heute
von allen Culturnationen unſerm großen Landsmann dargebracht
wird, zugleich eine Huldigung für die deutſche Wiſſenſchaft und
deutſche Forſchung iſt. (Beifall.) Es war aber unausbleiblich,
daß durch den enormen Zudrang zahlreicher Hülfeſuchenden Miß-
bräuche der verſchiedenſten Art entſtanden, daß das vergebliche Be-
mühen von Kranken und Aerzten, in den Beſitz des koſtbaren
Mittels zu kommen, Mißſtimmung und ſcharfe Kritik mit ſich
brachte. Daß die überſchwänglichen Hoffnungen, welche ſich an
dieſe Mittheilungen knüpften, vor welchen Niemand nachdrücklicher
gewarnt hat, als der Entdecker ſelbſt, Enttäuſchungen zur Folge
haben mußten, war unvermeidlich; immerhin erfordert die An-
gelegenheit unſre ganze Aufmerkſamkeit. Es iſt ferner einleuchtend,
daß ein ſo mächtig wirkendes Mittel, welches Fieberzuſtände oft in
ſehr hohem Maße herbeiführt, nur von berufener Hand, nur mit
forgfältigſter Auswahl der geeigneten Fälle und mit beſtimmten
Vorſichtsmaßregeln bei Patienten angewendet werden kann. Jeder
Arzt, welcher das Mittel anwendet, wird ſich ſeiner vollen Ver-
antwortung bewußt ſein. Aus dieſer Sachlage entſpringen der
Staatsregierung beſondere Verpflichtungen. Zunächſt wird es ihre
Pflicht ſein, in geeigneter und ausgiebiger Weiſe die kliniſchen
Inſtitute zu ſchaffen, in welchen die Angelegenheit eine weitere
Förderung erhält. Es wird ferner nothwendig ſein, ſoweit es in
ihrer Macht ſteht, dafür zu forgen, daß das Mittel in genügender
Menge und in der gleichen untadelhaften Qualität hergeſtellt wird,
daß ein geeigneter Vertheilungsmodus gefunden wird, bei welchem
die natürlichen Centralſtellen, die Krankenhäuſer und Heilanſtalten
im ganzen Lande in erſter Linie berückſichtigt werden. Es wird
ferner zu erwägen ſein, unter welchen Modalitäten das Mittel in
die Hände der anderen Aerzte gelangen und inwieweit man
ſchließlich den Pflichten gegen das Ausland nachkommen kann.
Später werden auch die thierärztlichen Hochſchulen und die land-
wirthſchaftlichen Anſtalten zu berückſichtigen ſein, denn die Be-
kämpfung der Tuberculoſe iſt auch von hohem Intereſſe für die
Landwirthſchaft, wirkt ſo wieder auf die menſchliche Geſundheit
zurück, iſt überhaupt auch von hohem wirthſchaftlichen Intereſſe.
(Sehr richtig.) Bei einem geregelten Vertheilungsmodus wird das
Hoſten und Drängen nach dem Mittel aufhören, es werden be-
berechtigte und unberechtigte Klagen verſtummen. In welcher
Weiſe die Regierung in der Lage iſt, dieſer letzten Forderung ge-
recht zu werden, ob durch Uebernahme des Mittels auf den Staat,
Monopoliſirung oder auf andere Weiſe, darüber erlaube ich mir
kein Urtheil; über Eines aber herrſcht allgemeines Einverſtändniß:
daß ein ſolches Mittel entſprechend den Intentionen des großen,
ſelbſtloſen Erfinders dem gewerbsmäßigen Betriebe und der ge-
werbsmäßigen Ausbeutung dauernd entzogen bleibt. (Beifall.)
Wir ſind der Ueberzeugung, daß die Staatsregierung allen dieſen
Verhältniſſen ihre thatkräftige Fürſorge zu widmen hat; hierüber
nicht nur vor der Landesvertretung, ſondern vor dem ganzen
Lande Aufklärung und Gewißheit zu verſchaffen, iſt der Zweck der
Interpellation.
Cultusminiſter v. Goßler: Ich bin dem Interpellanten
und dem hohen Hauſe dankbar, daß wir in Folge der Interpel-
lation dieſe wichtige und in ihren Folgen völlig unüberſehbare
Angelegenheit mit voller Ruhe behandeln können. Ich bin dem
Hrn. Vorredner auch dafür dankbar, daß er mit derjenigen Nüch-
ternheit und Objectivität an dieſe Verhandlung herangetreten iſt,
deren ſie bedarf und würdig iſt. Ich erinnere auch an den
4. Auguſt, als Profeſſor Koch ſeinen Vortrag damit ſchloß, daß
er es durchaus für möglich und wahrſcheinlich halte, daß die Ent-
deckung, die er auf dem Boden der Bekämpfung des Tuberkel-
bacillus gemacht, auch zu einer Verwerthung in der Heilkunſt
führen könnte. Er ſagte, es wäre der Fehler gemacht, daß man
empiriſch oder durch Intuition ſich habe verleiten laſſen, mit
directen Mitteln der Tuberculoſe entgegenzutreten, während ein
logiſcher Verſuch einen anderen Weg einſchlagen müßte, nämlich
erſtens die Auffindung von Mitteln gegen den Tuberkelbacillus,
der außerhalb eines Körpers auf einem Nährboden erzeugt wäre,
zweitens Verſuche an Thieren und drittens Verſuche an Menſchen.
Er entwickelte in ſeinem Vortrage, daß er zahlloſe Mittel ge-
funden habe, um in ſogenannten Reinculturen die Bacillen zu
vernichten, er ſchlug aber die ſich daran knüpfenden Hoffnungen
der Zuhörer ſofort zu Boden, indem er ſagte, daß alle dieſe
Mittel ſich gänzlich wirkungslos bei Thierverſuchen erwieſen
hätten. Er ſchloß dann ſeinen grundlegenden und für alle Zeiten
unvergeßlichen Vortrag damit, daß es ihm gleichwohl auf anderem
Wege gelungen ſei, bei Thierverſuchen einen Stoff zu finden,
welcher ſowohl das Thier immun mache gegen den Tuberkelbacil-
lus, als auch fähig ſei, dieſe Krankheitserſcheinung zurückzudämmen
oder mindeſtens aufzuhalten. Dies wirkte in der geſammten
Welt wie ein Donnerſchlag, und von dieſem Moment war natür-
lich die Aufmerkſamkeit auf die Perſon des Geheimraths Koch
gelenkt. Er entzog ſich aber ſogleich allen weiteren Discuſſionen
durch eine beſchleunigte Reiſe bis zum Schluß des mediciniſchen
Congreſſes. Unmittelbar darauf ging er ganz im geheimen an
einen Verſuch des Mittels nicht allein an einem Thiere, ſondern
auch an einem Menſchen. Zuerſt wurde ſein Mittel in der
Charité mit Hülfe des Profeſſors Fräntzel und des Stabsarztes
Köhler angewendet. Dann machte er den berühmten Verſuch an
ſich ſelbſt, und dieſer war ein ſo gewaltiger, daß nur ein ſo feſt
entſchloſſener Forſcher den Verſuch machen konnte, der, wie man
damals wohl ahnen konnte, unmittelbar hätte zum Tode führen
können. Er hat eine Doſis von 5 Kubikgramm, alſo das Höchſte,
was einem Kranken in der Charité gegeben war, genommen und
eine ganz ungeheure Wirkung verſpürt und konnte nun ſeine
Rathſchläge über die Verwendung von Maximaldoſen geben.
Dann wandte er ſich an Profeſſor Brieger, welcher als ein ganz
eminenter und zuverläſſiger Forſcher bekannt iſt. Brieger arbeitet
am hygieniſchen Inſtitut und hat ſich durch ſeine Arbeiten daſelbſt
einen bleibenden Ruhm geſchaffen. Durch Brieger wurde er be-
kannt mit der chirurgiſchen Privatklinik des Dr. Levy. Ich halte
mich verpflichtet, an der Hand der Mittheilungen des Prof. Koch
hier auszuſprechen, daß, ſolange Koch in der Lage war, in deſſen
Klinik die Kranken zu beobachten, er in jeder Weiſe der dort
herrſchenden Thätigkeit und Intereſſenloſigkeit ſeine volle An-
erkennung gezollt hat. Seine perſönliche Kenntniß beſchränkt ſich
aber auf die Zeit der Vorverſuche. Ich bin verpflichtet, hier zu
erwähnen, daß die dortigen Kranken M. 1.75 bezahlen, alſo den-
ſelben Satz, wie in der Charité. Es iſt ſogar damals auf
Wunſch des Profeſſors Koch gelungen, einen früheren Studenten
koſtenfrei in die Anſtalt aufzunehmen. Als Mitarbeiter Kochs iſt
ferner Dr. Cornet in den Zeitungen genannt. Cornet iſt bekannt
geworden durch ſeine epochemachende Publication auf dem Gebiete
der Lungenphthiſe, welche ich im vorigen Jahre auf Staatskoſten habe
drucken und auf das weiteſte verbreiten laſſen. Es liegen von ihm
Sachen vor, welche die wärmſte Anerkennung aller Sachverſtändigen
gefunden haben. Ferner ſind als Mitarbeiter genannt Dr.
Dengel, welcher eine angeſehene Privatpraxis hat, und Profeſſor
Pfuhl. Ich darf annehmen, daß bei allen dieſen Männern Frage-
zeichen nicht vorliegen. Die Verſuche konnten nicht ganz unbekannt
bleiben, man las in den Zeitungen einzelne Notizen, die ſich auch
in das Ausland verirrten, und aus der ausländiſchen Preſſe be-
kamen wir eine große Fülle von hämiſchen, abfälligen Urtheilen,
die mit voller Schadenfreude behaupteten, was Koch am 4. Auguſt
entdeckt habe, ſei bereits als Glas zerſchlagen worden. Ich wartete
geduldig ab, bis dieſe Angelegenheit an mich herantreten würde.
Am 27. October theilte mir Profeſſor Koch mit, er habe ein
Specificum gegen den Tuberkelbacillus gefunden; er glaube, ſeine
Pflichten als Vorſitzender des hygieniſchen Inſtituts nicht mehr
thun zu können in Folge der Entwicklung ſeiner wiſſenſchaftlichen
Arbeiten, und er regte die Frage an, ob er aus dem Inſtitut aus-
ſcheiden ſolle. In allen ſolchen Fällen, wo ein hervorragender
wiſſenſchaftlicher Lehrer auf ein Forſchungsgebiet gekommen war,
das ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, habe ich es immer für
die Aufgabe des Staates gehalten, ihm Muße und Mittel zu ge-
währen. (Beifall.) Eine ganze Reihe von hervorragenden Forſchern
habe ich mit allerhöchſter Ermächtigung auf ein, zwei Jahre zu
ſolchem Zwecke beurlaubt. Es wurde auch die Beurlaubung Kochs
verſügt und Profeſſor v. Esmarch mit ſeiner Stellvertretung betraut.
Nun war das Geheimniß zerriſſen. Alle Mühe, den Schleier zu
erhalten, war vergeblich. Es war wie ein Donnerſchlag, der aus
dieſem Inſtitut herausging. Meine Unterredung mit Koch am Tage
ſeiner Beurlaubung ging tiefer auf die Materie ein. Er war von
vornherein bereit, mir das Letzte, was er wußte, mitzutheilen. Ich
bat ihn aber, es mir nicht zu ſagen, denn es könnte wohl ohne
mein Verſchulden eine Mittheilung eintreten, welche unter Umſtän-
den mehr ſchaden als nützen könnte. Daß er im erſten Augenblick
vollkommen bereit war, ſeine Acten zu veröffentlichen, beweist, daß
nie ein Gedanke durch ſeine Seele gezogen iſt, der eine andere als
eine wiſſenſchaftliche und ideale Grundlage hatte. (Beifall.) Wir
behandelten das Thema: Was für Veranſtaltungen laſſen ſich
treffen, um Koch für jetzt wie für die Zukunft die Durchführung
ſeiner Entdeckung und deren Ausdehnung auf verwandte Gebiete
zu ermöglichen? Er glaubte, daß er einer Krankenanſtalt bedürfe
innerhalb einer anderen großen Anſtalt, wo er aus der Fülle der
Kranken geeignetes Material erhalten könnte, um die verſchiedenſten
Infectionskrankheiten ſtudiren zu können; ſodann wünſche er ein
wiſſenſchaftliches Inſtitut für die nöthigen Unterſuchungen. Ich
bot ihm die Charité an, er hielt aber den Weg für einfacher, wenn
ihm im Baracken-Lazareth in Moabit 150 Betten überwieſen wür-
den, da dort auch 400 bis 500 Kranke vorhanden ſeien. Im
übrigen bot ich ihm an, die preußiſchen Univerſitäts-Kliniken zu
benutzen als weiteres Verſuchsfeld. Er glaubte für ſich ſo ſicher
ſein zu können, daß er von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte,
und wir trennten uns, ohne zum Abſchluß zu kommen. Ich habe
aber den Gedanken weiter verfolgt. Es iſt zweifellos, wenn Pro-
feſſor Koch mir ſagte, er habe ein Mittel gefunden, dann iſt es
wahr, aber es kommt auch darauf an, die Sache der
Welt in einer Form vorzuführen, welche möglichſt auch
im Intereſſe des Erfinders liegt. Alle unſre natur-
wiſſenſchaftlichen Arbeiten ſchließen ſich überwiegend an die
Univerſitäten an, und unſre deutſchen Kliniken haben im
In- und Ausland den Ruf, daß dort nicht gelogen und nur ver-
öffentlicht wird, was wirklich genau erkannt iſt. Man muß ſolche
Publicationen vermeiden, wo die Beobachtung der Thatſachen in
Speculation übergeht. Eine Vermiſchung von Speculation und
Forſchung darf an unſeren Kliniken niemals eintreten. Ich habe
dann die chirurgiſche Klinik auserſehen, es iſt mir durch das Ent-
gegenkommen des Leiters derſelben, Profeſſor v. Bergmann, in
einwandsfreier Weiſe gelungen, dort eine großartige Verſuchsanſtalt
herzuſtellen. Bereits am 6. November war es möglich, ein durch-
aus eigenartiges und reichhaltiges Material, welches alle Formen
der Tuberculoſe aufwies, herzuſtellen. Dort iſt das Rendezvons
der Aerzte der Welt, täglich beſichtigen 300 Aerzte die Kranken.
Die Operationen und das Studium haben zurücktreten müſſen.
Bezüglich der Wünſche Kochs der Stadt gegenüber fand am
1. November eine Conferenz ſtatt, es ergaben ſich aber Schwierig-
keiten; der Wunſch Kochs ließ ſich nicht ſo raſch erfüllen, wie er
dachte. Ich hatte bereits eventuell mit dem Finanzminiſter und
der Charité verhandelt. Es ergab ſich zu meiner großen Freude
eine Uebereinſtimmung mit dem Finanzminiſter dahin, daß es
eine Ehrenpflicht des preußiſchen Staates ſei, Prof. Koch in ſeinen
Arbeiten aus Staatsmitteln zu unterſtützen. (Lebhafter Beifall.)
Es gelang, die Bedenken Kochs zu beſeitigen, und am 6. November
ſtand, revidirt und ſuperrevidirt, ein Programm feſt, die Mittel
ſind vom Finanzminiſter zur Verfügung geſtellt, und wir ſind be-
reits am Anfang der Arbeit. Am 7. November verhandelte ich
mit Koch eingehend über die Veröffentlichung ſeiner Entdeckung.
Koch hatte damals noch die Abſicht, Alles, was er wußte, frei
und offen zu ſagen. Aber aus der ſehr eingehenden Beſprechung,
in Gegenwart von zwei Zeugen, ergab ſich, daß Koch überhaupt
nicht dasjenige ſagen konnte, was eine wirkſame Nachbildung des
Mittels garantirte. Er konnte zwar ſagen, aus welchem Stoff das
Mittel hergeſtellt würde, und die Methode beſchreiben, aber das
Zeigen der Methode war nicht möglich, und doch iſt die Methode
ſo ſchwierig und verantwortungsvoll, daß ſie eben nicht erdacht
werden kann, ſie muß erſehen oder durch Verſuche ſelbſt erfunden
werden, was Koch bei einem geübten Forſcher auf 6 Monate
berechnet. Andrerſeits lag darin eine Gefahr, daß das Mittel
nachgeahmt würde, ohne die Möglichkeit der Wirkſamkeit zu con-
troliren. Die Menſchheit hätte von Schwindlern heimgeſucht
werden können, die Zeit wäre verpaßt und unendlich viele Hoffnungen
und Menſchenleben vernichtet worden. Am Schluß der Unterredung
habe ich Koch gegenüber die Verantwortung übernommen, und
trage ſie auch vor der Welt dafür, daß ich ihn gebeten habe, mit
der Veröffentlichung nur ſo weit zu gehen, daß die Gefahr der
Nachahmung ausgeſchloſſen iſt. (Lebhafter Beifall.) Die Ver-
öffentlichung fand am 13. November ſtatt. Es iſt ein wichtiges
Document und wird alle Zeit unvergeſſen bleiben. Noch mehr
Bedeutung erlangte die Frage nach der Herſtellung des Mittels.
Schon früh, jedenfalls am 7. November, erklärte ich dem Geheim-
rath Koch die Unmöglichkeit, die Sache ſo zu halten, wie ſie ſich
entwickeln würde und müßte. Es gab keine Garantie, das Mittel
in größerer Weiſe richtig herzuſtellen. Denn es iſt bisher noch
keine einwandsfreie Methode dazu gefunden. Die Arbeiten voll-
zogen ſich und vollziehen ſich überwiegend noch im Reagensglaſe.
Was liegt nun eigentlich vor? Wir verzeichnen heute einen
peſſimiſtiſchen Rückſchlag. Die Hauptſache, die naturwiſſenſchaftlich-
theoretiſche Seite der Sache, iſt neuerdings verwiſcht worden und
die mediciniſch-praktiſche iſt hervorgeboben. Ich habe bezüglich der
naturwiſſenſchaftlichen Seite von meinem Rechte als Laie Gebrauch
gemacht und ein Urtheil darüber aufgezeichnet. Ich habe geſtern
die paar Zeilen dem Geheimrath Koch vorgetragen und er hat ſie
gebilligt. Die Gedanken eines Laien haben nur einen relativen
Werth, aber ſie ſind ſo nüchtern wie nur möglich (der Miniſter
verliest das Folgende): „Ich glaube annehmen zu dürfen, daß
ein Mittel gefunden iſt, welches, wenn es einem lebenden Menſchen
zugeführt iſt, auf die im Menſchen befindlichen Gewebe, wo eine
ganz beſtimmte Species von Tuberkelbacillen ſich gebildet hat,
eine überaus heftige Wirkung hat. Das Mittel iſt nur wirkſam,
wenn die betreffende Species des Bacillus vorhanden iſt. Die
Wirkung tritt auch ein, wenn das Mittel an von der Erkrankung
ſelbſt weit entfernten Stellen angewendet wird. Die Wirkung iſt
eine ganz eigenartig gewaltige und mittelbar auf die Tuberkel-
bacillen gerichtete. Sie tritt nicht, oder nur in vermindertem
Maße ein bei Nichttuberculöſen, oder wenn Bacillen einer anderen
Species vorliegen. Das Mittel entzieht ſich anſcheinend der
ſicheren Feſtſtellung durch die heutige organiſche Chemie; es ſcheint
über ein dunkles Gebiet derſelben Licht zu verbreiten. Die Me-
thode, durch welche das Mittel gewonnen wird, iſt vorausſichtlich
übertragbar auf andere Infectionskrankheiten.“ Profeſſor Koch
hat dies gebilligt und beſonders der Bezugnahme auf das Gebiet
der Chemie zugeſtimmt. Er meinte, dieſe Sache könne dem
Studium ganz neue Formen geben. Wer ſich mit naturwiſſen-
ſchaftlichen Problemen beſchäftigt hat, wird in der That den Ein-
druck haben, daß wir auf viele, viele Jahrzehnte durch dieſe Ent-
deckung beherrſcht werden. Was dieſe Entdeckung, auf natur-
wiſſenſchaftlichem Gebiete entſtanden, ſo wunderbar erhebt über
Alles, was in unſrer Erkenntniß liegt, iſt, daß dieſe Entdeckung
unmittelbar für die Praxis, für die Medicin verwerthet werden
konnte. Die diagnoſtiſche Bedeutung des Mittels ſteht heute
bereits außer Frage. Ich habe bei aller gewiſſenhaften Forſchung
in allen Publicationen auch nicht die entfernteſte Andeutung ge-
funden, daß heute ſchon, nach wenigen Wochen, der geringſte
Zweifel aufkommen kann, daß das Vertrauen in das Mittel ganz
unvergleichlich iſt und einen weſentlichen Schatz für den Mediciner
bildet. Daß, wenn auch der Verdacht der Tuberculoſe vorliegt,
eine Wirkung doch nicht erzielt wird, iſt einfach und erklärlich. Die
Aerzte erklären es daraus, daß, wenn in ein feſteres Gewebe inner-
halb der Lunge Tuberkeln eingekapſelt ſind, das Mittel ſie wohl zer-
ſtört, aber die Tuberkeln nicht in die Außenwelt gelangen können. Daß
ein Geheimmittel, deſſen Zuſtandekommen man vielleicht ahnt, deſſen
Beſtandtheile man aber nicht kennt, von der geſammten Welt auf
den einfachen Namen eines einzelnen Mannes acceptirt wird, ſteht
einzig da. Es hat noch keinen Menſchen in der Welt gegeben,
der geſagt hat: wenn auch Robert Koch darunter ſtehe, die Sache
könne Schwindel ſein. Davon iſt keine Rede. (Lebhafter Beifall.)
Koch ſelbſt hat nun vor übertriebener Auffaſſung in jeder Weiſe
gewarnt, aber das Publicum ſelbſt ſcheint lungenkrank geworden
zu ſein, die Phantaſie desſelben hat alle Grenzen überſprungen.
Ich habe täglich 12 Stunden zu thun, um die übertriebenen An-
forderungen in dieſer Beziehung zurückzuhalten. Aber es iſt kein
Zweifel unter den Aerzten, daß das Mittel mit vollem Vertrauen
in die Heilungsbehandlung aufgenommen werden kann. Ganz
ruhig denkende Aerzte meinen, es liegen bereits heute einzelne
geheilte Fälle vor, namentlich bei ſich entwickelnder Tuberculoſe.
Kein gewiſſenhafter Arzt kann heute mehr das Mittel als Heil-
mittel auslaſſen. Es kommt Alles darauf an, daß wir das Maß
von Ruhe bekommen, welches ich gern von vornherein gewünſcht
hätte. Die Heilverſuche müſſen aber mehr in Kliniken und Privat-
anſtalten vorgenommen werden, ſie müſſen aus den Polikliniken
herausgenommen werden und vor allem muß die wüſte Behand-
lung auf ambulantem Wege, die nachtheilig wirken kann, ver-
mieden werden. Dagegen haben wir heute ſchon einen Ausblick
auf das Gebiet der Hygiene. Ich will nicht Alles vorführen, wie
es mir Koch wiederholt entwickelt hat. Das ſteht aber feſt, daß
in Verbindung mit der bisherigen mikroſkopiſchen Methode dieſes
Mittel eine Bedeutung haben wird, welche in unſerm ganzen
öffentlichen Leben eine ſtarke Umwälzung zu Wege bringen muß.
Unſer ganzes Leben in den Krankenhäuſern, den Schulen, den
Pflegeanſtalten, namentlich den Diaconiſſenanſtalten, Ordensnieder-
laſſungen u. ſ. w., wird einen ſegensreichen Einfluß durch die
neu gewonnene Methode zu verſpüren haben. Ich möchte hier
noch einmal auf die Thiertuberculoſe zurückkommen. Die Thier-
krankheiten können nicht getrennt werden von den menſchlichen Er-
krankungen. Die Frage nach der Perlſucht der Rinder iſt eine ſehr
difficile. Es ſind mit unſern Mitteln jahrelange Verſuche ge-
macht worden in Halle, und ſie haben kein Reſultat gehabt, auch
andere Verſuche ſind erfolglos geblieben. Bei aller vorſichtigen
Behandlung der Sache ſprechen überwiegende Gründe dafür, daß
ein Menſch ein Thier anſtecken kann durch ſein sputum, welches
Tuberkeln enthält, und daß umgekehrt die Milch perlſüchtiger Rinder
mit erheblichen Gefahren für den Menſchen verbunden iſt. Keine
verſtändige Medicinal- und Geſundheitsbehörde wird dieſen Sachen
gleichgültig gegenüberſtehen, und es iſt nicht unmöglich, daß durch
dieſes Mittel ein diagnoſtiſches Mittel gefunden iſt, welches die
ſo ſehr ſchwer erkennbare Rindertuberculoſe in einem früheren
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(2021-09-13T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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