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Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914.

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Allgemeine Zeitung 1. August 1914.
[Spaltenumbruch] die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens
bildet. So muß ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt
die unerläßlichen Bürgschaften zu schaffen, die meinen Staaten
die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen
sichern soll. In dieser ernsten Stunde bin ich mir der ganzen
Tragweite Meines Entschlusses und Meiner Verantwortung
vor dem Allmächtigen voll bewußt. Ich habe alles geprüft
und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg,
den die Pflicht Mir weist. Ich vertraue auf Meine Völker, die
sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um Meinen
Thron geschart haben, und für Ehre, Größe und Macht des
Vaterlandes zu schwersten Opfern immer bereit waren. Ich
vertraue auf Oesterreich-Ungarns tapfere und von hingebungs-
voller Begeisterung erfüllte Wehrmacht, und Ich vertraue auf
den Allmächtigen, daß er Meinen Waffen den Sieg verleihen
wird.



Frankreich und der Krieg.

Aus Paris wird uns unter dem 28. Juli geschrieben: Noch nie
hat Paris innerhalb drei Tagen einen seltsameren Umschwung in
der Haltung seiner wichtigsten Organe erfahren, wie in den letzten
drei Tagen. Ende der letzten Woche, als die österreichische Note
in Paris bekannt wurde, stand das Barometer bei fast allen Blät-
tern nicht nur bezüglich Oesterreichs sondern auch Deutschlands auf
Sturm! Was leistete man sich da nicht alles an Ausbrüchen der
wütendsten Verhetzung auf den Deutschen Kaiser und das Deutsche
Reich! Die chauvinistische Hetzpresse war sich einig darin, daß Deutsch-
land und der Deutsche Kaiser es set, die diese brutale und maßlose
Note veranlaßt hätten. Angesichts dieser törichten Preßhetze kam es am
Sonntag zu lärmenden Tumulten vor der österreichisch-ungarischen
Gesandtschaft, die aber von der Polizei unterdrückt wurden. Doch
bald machte sich in der fast gesamten Presse ein vollständiger Um-
schwung bemerklich. Die stürmischen Rache- und Kriegsfanfaren
verstummten ganz allmählich. Selbst klerikal chauvinistische Organe
wie Croix wiesen auf den furchtbaren Ernst der Situation und die
fatale Lage des Dreiverbandes hin: England steht vor dem Bürger-
krieg, die französische Armee ist ohne Pferde, ohne Schuhe, ohne
schwere Artillerie. In Paris befinden sich 300,000 Revolutionäre!
In diesem Zustand der Schwäche und angesichts des guten Rechts
Oesterreich-Ungarns hat die französische Regierung nur eins zu tun:
Serbien zur Mäßigkeit zu raten; so schrieb das oben erwähnte
Blatt. Aber noch eine andere Erscheinung brachte die tollwütigen
Kriegshetzer zur Vernunft; das war der scharfe Rückgang der
französischen Rente, die schon am 24. zum ersten Male seit 30 Jah-
ren unter 80 sank! Und nun trat das Merkwürdige und Uner-
wartete ein! Dieselben Blätter, die noch zwei Tage vorher unseren
Kaiser Wilhelm als den fatalen Unruhestister und Ränkeschmied
denunziert hatten, erwarten jetzt von der bewährten Friedensliebe
Kaiser Wilhelms alles Heil für Europa und nicht zum wenigsten
für Frankreich. Die Triple-Entente-Mächte haben nach dem Temps
ihre Kunst in der Intervention erschöpft. Deutschland aber wäre
es eine Kleinigkeit, in Wien den Frieden durchzusetzen. Es würde
genügen, wenn es von Oesterreich-Ungarn das Geständnis erlange,
daß sich der österreichische Gesandte Herr v. Giesl geirrt habe, als
er beim Empfang eines Schriftstücks, in welchem ihm vollkommene
Genugtuung geboten wurde, die diplomatischen Beziehungen abge-
brochen habe; es würde zeigen, wenn Oesterreich trotz des Abbruchs
der Beziehungen nur auf diplomatischem Wege vorgehen würde.
Diese Kleinigkeit wäre allerdings genug! Das französische Organ
ist in seiner Unverfrorenheit naiv genug, etwas Derartiges zu schrei-
ben! Es irrt sich aber gründlich, wenn es glaubt, Deutschland
werde um der schönen Augen seiner beiden guten Freunde Frank-
reich und Rußland willen sich auf solche Interventionen einlassen.
Die Serben haben sich nun einmal mit den Königsmördern solida-
risch erklärt. Ohne eine harte Züchtigung kann und soll kein Friede
geschlossen werden.

Große Erwartungen setzte man in den letzten Jahren auf Eng-
land. Die britische Seemacht sollte die deutschen Häfen lahmlegen
und aushungern! Daß diese Revancheträumerei in Seifenblasen
aufgehen, das schmerzte die Pariser Revanchehelden in diesen Tagen
aufs tiefste. Ja, hätte die englische Presse dieselbe rüde Sprache
geführt wie die französische, hätte man in London nach der Pfeife
der Pariser getanzt, dann hätten wir schon jetzt den Krieg! Aber
welch furchtbare Enttäuschung, der Dritte im Bunde, der durch
[Spaltenumbruch] keinerlei Verträge gebunden, gefällt sich nun in der Rolle des ehr-
lichen Maklers. Von einem Krieg mit Deutschland will in England
niemand etwas wissen. Gibt es denn tatsächlich einen Drei ver-
band. Ist die ehrliche Marianne nicht wieder einmal in ihrem
fanatischen Deutschenhaß das Opfer eines Ränkespiels des ruchlosen
Albions geworden? Italien verkündet laut und deutlich seine unbe-
dingte Zugehörigkeit zum Dreibund, England aber fällt treulos ab
und will dazu noch den lieben Gott spielen und die bösen Brüder
versöhnen. Und doch auch diesen Strohhalm ergreift das schwer-
gedemütigte Frankreich noch. Es freut sich, wenn auch mit einem
bittersüßen Lächeln, an der Erklärung Sir Edward Greys im
Unterhaus und hofft ängstlich, daß die Konferenz in London doch
zustandekommen und Frankreich und Rußland davor bewahren
möge, eine beispiellose diplomatische Niederlage erleiden zu müssen,
die das vielgerühmte europäische Gleichgewicht gründlich verschieben
würde, sobald anstatt der diplomatischen Noten die Kanonen sprechen
würden!

Das ist in kurzem das, was im Augenblick die meisten politisch
geschulten Franzosen mehr oder weniger deutlich empfinden. Und
das im Augenblick der Meinung der Chauvinisten und Nationalisten,
der so kriegslustigen Pariser Bourgeois. Die Arbeiter, die Hand-
werker und Bauern sind noch aus ganz anderen Gründen gegen
einen Krieg, das Frankreich aus diesem unglückseligen Bündnis mit
Rußland erwachsen würde, das wenn es fortdauert, die Franzosen
sicher noch arm, morsch und elend machen wird! Denn wo will
das an Entvölkerung leidende Land seine Ackerbauern und Fabrik-
arbeiter hernehmen, wenn sie vor den Mauern von Metz und
Straßburgs verbluten müssen, wenn die Italiener im Süden ein-
fallen und Frankreich zwei seiner schönsten Provinzen wegnehmen?
Derartige Stimmen und Stimmungen wurden in den letzten Tagen
aus den Kreisen der hartschaffenden Bevölkerung laut! Der Krieg,
der wegen Serbiens geführt werden müßte, wäre in Frankreich der
unpopulärste, der je geführt wurde.

Theater und Musik
Münchener Theater.

Vom Schauspielhaus: Ueber unsere Kraft von Bjornstjerne
Björnson. -- Münchener Künstlertheater: Peer Gynt. Ein dramatisches
Gedicht von Henrik Ibsen. In der Uebertragung von Christian Morgenstern.
Musik von Edvard Grieg.


Im Verlauf ihres Gastspiels im Münchener Schauspiel-
haus hat das treffliche Künstlerehepaar Friedrich Kayßler
und Helene Fehdmer nun noch Björnsons dramatisches Ge-
dicht "Ueber unsere Kraft" zur Aufführung gebracht und da-
mit den größten Erfolg der letzten Gastspielwoche erzielt.
Ueber dies zweiaktige Schauspiel, als Drama genommen, kann
man verschiedener Meinung sein -- es fehlt der zwingende
Aufbau; aber der Gehalt der edeln Dichtung ist so groß,
das er jedes Publikum, das noch auf edlere Reize reaglert,
in seinen Bann zieht, und die Ergriffenheit, mit der die Zu-
schauer das dramatische Gedicht aufnahmen, rechtfertigte in
schönster Weise das Bestreben der beiden Gäste, nur mit
gehaltvollen Werken vor das Münchener Publikum zu treten.
Ueber die Tendenz des Werkes hat sich dessen erster Ueber-
setzer L. Passerge in einem kurzen Vorwort geäußert, das
wenigstens einige Seiten des Stückes gut gekennzeichnet.

"Wer die dichterische Entwicklung Björnsons verfolgt
hat, weiß, daß zwei Seelen in seiner Brust wohnen,
von denen die eine auf eine realistische Auffassung der Er-
scheinungen und tatkräftiges Eingreifen in die Ereignisse
des Lebens, selbst des Tages, hindrängt, während die andere
sich einer untätigen Mystik ergibt und den Rätseln des Men-
schendaseins nachsinnt. Als strenggläubiges Kind eines nor-
wegischen Geistlichen in einer einsamen Gebirgslandschaft
aufgewachsen, später sich von aller Kirchlichkeit befreiend, hat
der Dichter zu einer Vermittlung, wie sie das Leben fordert,
nicht zu gelangen vermocht. "Ueber unsere Kraft" ist der Aus-
druck dieses Gegensatzes. Der Dichter möchte gern das
Wunder schauen, aber er weiß auch, daß es nur ein ver-
meintliches ist und daß selbst dieses Schauen nur mit dem
Leben erkauft wird. So behandelt "Ueber unsere Kraft" die
Tragik des Wunderglaubens. Aus dem Verlangen nach dem

Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens
bildet. So muß ich denn daran ſchreiten, mit Waffengewalt
die unerläßlichen Bürgſchaften zu ſchaffen, die meinen Staaten
die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen
ſichern ſoll. In dieſer ernſten Stunde bin ich mir der ganzen
Tragweite Meines Entſchluſſes und Meiner Verantwortung
vor dem Allmächtigen voll bewußt. Ich habe alles geprüft
und erwogen. Mit ruhigem Gewiſſen betrete Ich den Weg,
den die Pflicht Mir weiſt. Ich vertraue auf Meine Völker, die
ſich in allen Stürmen ſtets in Einigkeit und Treue um Meinen
Thron geſchart haben, und für Ehre, Größe und Macht des
Vaterlandes zu ſchwerſten Opfern immer bereit waren. Ich
vertraue auf Oeſterreich-Ungarns tapfere und von hingebungs-
voller Begeiſterung erfüllte Wehrmacht, und Ich vertraue auf
den Allmächtigen, daß er Meinen Waffen den Sieg verleihen
wird.



Frankreich und der Krieg.

Aus Paris wird uns unter dem 28. Juli geſchrieben: Noch nie
hat Paris innerhalb drei Tagen einen ſeltſameren Umſchwung in
der Haltung ſeiner wichtigſten Organe erfahren, wie in den letzten
drei Tagen. Ende der letzten Woche, als die öſterreichiſche Note
in Paris bekannt wurde, ſtand das Barometer bei faſt allen Blät-
tern nicht nur bezüglich Oeſterreichs ſondern auch Deutſchlands auf
Sturm! Was leiſtete man ſich da nicht alles an Ausbrüchen der
wütendſten Verhetzung auf den Deutſchen Kaiſer und das Deutſche
Reich! Die chauviniſtiſche Hetzpreſſe war ſich einig darin, daß Deutſch-
land und der Deutſche Kaiſer es ſet, die dieſe brutale und maßloſe
Note veranlaßt hätten. Angeſichts dieſer törichten Preßhetze kam es am
Sonntag zu lärmenden Tumulten vor der öſterreichiſch-ungariſchen
Geſandtſchaft, die aber von der Polizei unterdrückt wurden. Doch
bald machte ſich in der faſt geſamten Preſſe ein vollſtändiger Um-
ſchwung bemerklich. Die ſtürmiſchen Rache- und Kriegsfanfaren
verſtummten ganz allmählich. Selbſt klerikal chauviniſtiſche Organe
wie Croix wieſen auf den furchtbaren Ernſt der Situation und die
fatale Lage des Dreiverbandes hin: England ſteht vor dem Bürger-
krieg, die franzöſiſche Armee iſt ohne Pferde, ohne Schuhe, ohne
ſchwere Artillerie. In Paris befinden ſich 300,000 Revolutionäre!
In dieſem Zuſtand der Schwäche und angeſichts des guten Rechts
Oeſterreich-Ungarns hat die franzöſiſche Regierung nur eins zu tun:
Serbien zur Mäßigkeit zu raten; ſo ſchrieb das oben erwähnte
Blatt. Aber noch eine andere Erſcheinung brachte die tollwütigen
Kriegshetzer zur Vernunft; das war der ſcharfe Rückgang der
franzöſiſchen Rente, die ſchon am 24. zum erſten Male ſeit 30 Jah-
ren unter 80 ſank! Und nun trat das Merkwürdige und Uner-
wartete ein! Dieſelben Blätter, die noch zwei Tage vorher unſeren
Kaiſer Wilhelm als den fatalen Unruheſtiſter und Ränkeſchmied
denunziert hatten, erwarten jetzt von der bewährten Friedensliebe
Kaiſer Wilhelms alles Heil für Europa und nicht zum wenigſten
für Frankreich. Die Triple-Entente-Mächte haben nach dem Temps
ihre Kunſt in der Intervention erſchöpft. Deutſchland aber wäre
es eine Kleinigkeit, in Wien den Frieden durchzuſetzen. Es würde
genügen, wenn es von Oeſterreich-Ungarn das Geſtändnis erlange,
daß ſich der öſterreichiſche Geſandte Herr v. Giesl geirrt habe, als
er beim Empfang eines Schriftſtücks, in welchem ihm vollkommene
Genugtuung geboten wurde, die diplomatiſchen Beziehungen abge-
brochen habe; es würde zeigen, wenn Oeſterreich trotz des Abbruchs
der Beziehungen nur auf diplomatiſchem Wege vorgehen würde.
Dieſe Kleinigkeit wäre allerdings genug! Das franzöſiſche Organ
iſt in ſeiner Unverfrorenheit naiv genug, etwas Derartiges zu ſchrei-
ben! Es irrt ſich aber gründlich, wenn es glaubt, Deutſchland
werde um der ſchönen Augen ſeiner beiden guten Freunde Frank-
reich und Rußland willen ſich auf ſolche Interventionen einlaſſen.
Die Serben haben ſich nun einmal mit den Königsmördern ſolida-
riſch erklärt. Ohne eine harte Züchtigung kann und ſoll kein Friede
geſchloſſen werden.

Große Erwartungen ſetzte man in den letzten Jahren auf Eng-
land. Die britiſche Seemacht ſollte die deutſchen Häfen lahmlegen
und aushungern! Daß dieſe Revancheträumerei in Seifenblaſen
aufgehen, das ſchmerzte die Pariſer Revanchehelden in dieſen Tagen
aufs tiefſte. Ja, hätte die engliſche Preſſe dieſelbe rüde Sprache
geführt wie die franzöſiſche, hätte man in London nach der Pfeife
der Pariſer getanzt, dann hätten wir ſchon jetzt den Krieg! Aber
welch furchtbare Enttäuſchung, der Dritte im Bunde, der durch
[Spaltenumbruch] keinerlei Verträge gebunden, gefällt ſich nun in der Rolle des ehr-
lichen Maklers. Von einem Krieg mit Deutſchland will in England
niemand etwas wiſſen. Gibt es denn tatſächlich einen Drei ver-
band. Iſt die ehrliche Marianne nicht wieder einmal in ihrem
fanatiſchen Deutſchenhaß das Opfer eines Ränkeſpiels des ruchloſen
Albions geworden? Italien verkündet laut und deutlich ſeine unbe-
dingte Zugehörigkeit zum Dreibund, England aber fällt treulos ab
und will dazu noch den lieben Gott ſpielen und die böſen Brüder
verſöhnen. Und doch auch dieſen Strohhalm ergreift das ſchwer-
gedemütigte Frankreich noch. Es freut ſich, wenn auch mit einem
bitterſüßen Lächeln, an der Erklärung Sir Edward Greys im
Unterhaus und hofft ängſtlich, daß die Konferenz in London doch
zuſtandekommen und Frankreich und Rußland davor bewahren
möge, eine beiſpielloſe diplomatiſche Niederlage erleiden zu müſſen,
die das vielgerühmte europäiſche Gleichgewicht gründlich verſchieben
würde, ſobald anſtatt der diplomatiſchen Noten die Kanonen ſprechen
würden!

Das iſt in kurzem das, was im Augenblick die meiſten politiſch
geſchulten Franzoſen mehr oder weniger deutlich empfinden. Und
das im Augenblick der Meinung der Chauviniſten und Nationaliſten,
der ſo kriegsluſtigen Pariſer Bourgeois. Die Arbeiter, die Hand-
werker und Bauern ſind noch aus ganz anderen Gründen gegen
einen Krieg, das Frankreich aus dieſem unglückſeligen Bündnis mit
Rußland erwachſen würde, das wenn es fortdauert, die Franzoſen
ſicher noch arm, morſch und elend machen wird! Denn wo will
das an Entvölkerung leidende Land ſeine Ackerbauern und Fabrik-
arbeiter hernehmen, wenn ſie vor den Mauern von Metz und
Straßburgs verbluten müſſen, wenn die Italiener im Süden ein-
fallen und Frankreich zwei ſeiner ſchönſten Provinzen wegnehmen?
Derartige Stimmen und Stimmungen wurden in den letzten Tagen
aus den Kreiſen der hartſchaffenden Bevölkerung laut! Der Krieg,
der wegen Serbiens geführt werden müßte, wäre in Frankreich der
unpopulärſte, der je geführt wurde.

Theater und Muſik
Münchener Theater.

Vom Schauſpielhaus: Ueber unſere Kraft von Bjornſtjerne
Björnſon. — Münchener Künſtlertheater: Peer Gynt. Ein dramatiſches
Gedicht von Henrik Ibſen. In der Uebertragung von Chriſtian Morgenſtern.
Muſik von Edvard Grieg.


Im Verlauf ihres Gaſtſpiels im Münchener Schauſpiel-
haus hat das treffliche Künſtlerehepaar Friedrich Kayßler
und Helene Fehdmer nun noch Björnſons dramatiſches Ge-
dicht „Ueber unſere Kraft“ zur Aufführung gebracht und da-
mit den größten Erfolg der letzten Gaſtſpielwoche erzielt.
Ueber dies zweiaktige Schauſpiel, als Drama genommen, kann
man verſchiedener Meinung ſein — es fehlt der zwingende
Aufbau; aber der Gehalt der edeln Dichtung iſt ſo groß,
das er jedes Publikum, das noch auf edlere Reize reaglert,
in ſeinen Bann zieht, und die Ergriffenheit, mit der die Zu-
ſchauer das dramatiſche Gedicht aufnahmen, rechtfertigte in
ſchönſter Weiſe das Beſtreben der beiden Gäſte, nur mit
gehaltvollen Werken vor das Münchener Publikum zu treten.
Ueber die Tendenz des Werkes hat ſich deſſen erſter Ueber-
ſetzer L. Paſſerge in einem kurzen Vorwort geäußert, das
wenigſtens einige Seiten des Stückes gut gekennzeichnet.

„Wer die dichteriſche Entwicklung Björnſons verfolgt
hat, weiß, daß zwei Seelen in ſeiner Bruſt wohnen,
von denen die eine auf eine realiſtiſche Auffaſſung der Er-
ſcheinungen und tatkräftiges Eingreifen in die Ereigniſſe
des Lebens, ſelbſt des Tages, hindrängt, während die andere
ſich einer untätigen Myſtik ergibt und den Rätſeln des Men-
ſchendaſeins nachſinnt. Als ſtrenggläubiges Kind eines nor-
wegiſchen Geiſtlichen in einer einſamen Gebirgslandſchaft
aufgewachſen, ſpäter ſich von aller Kirchlichkeit befreiend, hat
der Dichter zu einer Vermittlung, wie ſie das Leben fordert,
nicht zu gelangen vermocht. „Ueber unſere Kraft“ iſt der Aus-
druck dieſes Gegenſatzes. Der Dichter möchte gern das
Wunder ſchauen, aber er weiß auch, daß es nur ein ver-
meintliches iſt und daß ſelbſt dieſes Schauen nur mit dem
Leben erkauft wird. So behandelt „Ueber unſere Kraft“ die
Tragik des Wunderglaubens. Aus dem Verlangen nach dem

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[492/0006] Allgemeine Zeitung 1. Auguſt 1914. die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens bildet. So muß ich denn daran ſchreiten, mit Waffengewalt die unerläßlichen Bürgſchaften zu ſchaffen, die meinen Staaten die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen ſichern ſoll. In dieſer ernſten Stunde bin ich mir der ganzen Tragweite Meines Entſchluſſes und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen voll bewußt. Ich habe alles geprüft und erwogen. Mit ruhigem Gewiſſen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weiſt. Ich vertraue auf Meine Völker, die ſich in allen Stürmen ſtets in Einigkeit und Treue um Meinen Thron geſchart haben, und für Ehre, Größe und Macht des Vaterlandes zu ſchwerſten Opfern immer bereit waren. Ich vertraue auf Oeſterreich-Ungarns tapfere und von hingebungs- voller Begeiſterung erfüllte Wehrmacht, und Ich vertraue auf den Allmächtigen, daß er Meinen Waffen den Sieg verleihen wird. Franz Joſef m. p. Stürgkh m. p. Frankreich und der Krieg. Aus Paris wird uns unter dem 28. Juli geſchrieben: Noch nie hat Paris innerhalb drei Tagen einen ſeltſameren Umſchwung in der Haltung ſeiner wichtigſten Organe erfahren, wie in den letzten drei Tagen. Ende der letzten Woche, als die öſterreichiſche Note in Paris bekannt wurde, ſtand das Barometer bei faſt allen Blät- tern nicht nur bezüglich Oeſterreichs ſondern auch Deutſchlands auf Sturm! Was leiſtete man ſich da nicht alles an Ausbrüchen der wütendſten Verhetzung auf den Deutſchen Kaiſer und das Deutſche Reich! Die chauviniſtiſche Hetzpreſſe war ſich einig darin, daß Deutſch- land und der Deutſche Kaiſer es ſet, die dieſe brutale und maßloſe Note veranlaßt hätten. Angeſichts dieſer törichten Preßhetze kam es am Sonntag zu lärmenden Tumulten vor der öſterreichiſch-ungariſchen Geſandtſchaft, die aber von der Polizei unterdrückt wurden. Doch bald machte ſich in der faſt geſamten Preſſe ein vollſtändiger Um- ſchwung bemerklich. Die ſtürmiſchen Rache- und Kriegsfanfaren verſtummten ganz allmählich. Selbſt klerikal chauviniſtiſche Organe wie Croix wieſen auf den furchtbaren Ernſt der Situation und die fatale Lage des Dreiverbandes hin: England ſteht vor dem Bürger- krieg, die franzöſiſche Armee iſt ohne Pferde, ohne Schuhe, ohne ſchwere Artillerie. In Paris befinden ſich 300,000 Revolutionäre! In dieſem Zuſtand der Schwäche und angeſichts des guten Rechts Oeſterreich-Ungarns hat die franzöſiſche Regierung nur eins zu tun: Serbien zur Mäßigkeit zu raten; ſo ſchrieb das oben erwähnte Blatt. Aber noch eine andere Erſcheinung brachte die tollwütigen Kriegshetzer zur Vernunft; das war der ſcharfe Rückgang der franzöſiſchen Rente, die ſchon am 24. zum erſten Male ſeit 30 Jah- ren unter 80 ſank! Und nun trat das Merkwürdige und Uner- wartete ein! Dieſelben Blätter, die noch zwei Tage vorher unſeren Kaiſer Wilhelm als den fatalen Unruheſtiſter und Ränkeſchmied denunziert hatten, erwarten jetzt von der bewährten Friedensliebe Kaiſer Wilhelms alles Heil für Europa und nicht zum wenigſten für Frankreich. Die Triple-Entente-Mächte haben nach dem Temps ihre Kunſt in der Intervention erſchöpft. Deutſchland aber wäre es eine Kleinigkeit, in Wien den Frieden durchzuſetzen. Es würde genügen, wenn es von Oeſterreich-Ungarn das Geſtändnis erlange, daß ſich der öſterreichiſche Geſandte Herr v. Giesl geirrt habe, als er beim Empfang eines Schriftſtücks, in welchem ihm vollkommene Genugtuung geboten wurde, die diplomatiſchen Beziehungen abge- brochen habe; es würde zeigen, wenn Oeſterreich trotz des Abbruchs der Beziehungen nur auf diplomatiſchem Wege vorgehen würde. Dieſe Kleinigkeit wäre allerdings genug! Das franzöſiſche Organ iſt in ſeiner Unverfrorenheit naiv genug, etwas Derartiges zu ſchrei- ben! Es irrt ſich aber gründlich, wenn es glaubt, Deutſchland werde um der ſchönen Augen ſeiner beiden guten Freunde Frank- reich und Rußland willen ſich auf ſolche Interventionen einlaſſen. Die Serben haben ſich nun einmal mit den Königsmördern ſolida- riſch erklärt. Ohne eine harte Züchtigung kann und ſoll kein Friede geſchloſſen werden. Große Erwartungen ſetzte man in den letzten Jahren auf Eng- land. Die britiſche Seemacht ſollte die deutſchen Häfen lahmlegen und aushungern! Daß dieſe Revancheträumerei in Seifenblaſen aufgehen, das ſchmerzte die Pariſer Revanchehelden in dieſen Tagen aufs tiefſte. Ja, hätte die engliſche Preſſe dieſelbe rüde Sprache geführt wie die franzöſiſche, hätte man in London nach der Pfeife der Pariſer getanzt, dann hätten wir ſchon jetzt den Krieg! Aber welch furchtbare Enttäuſchung, der Dritte im Bunde, der durch keinerlei Verträge gebunden, gefällt ſich nun in der Rolle des ehr- lichen Maklers. Von einem Krieg mit Deutſchland will in England niemand etwas wiſſen. Gibt es denn tatſächlich einen Drei ver- band. Iſt die ehrliche Marianne nicht wieder einmal in ihrem fanatiſchen Deutſchenhaß das Opfer eines Ränkeſpiels des ruchloſen Albions geworden? Italien verkündet laut und deutlich ſeine unbe- dingte Zugehörigkeit zum Dreibund, England aber fällt treulos ab und will dazu noch den lieben Gott ſpielen und die böſen Brüder verſöhnen. Und doch auch dieſen Strohhalm ergreift das ſchwer- gedemütigte Frankreich noch. Es freut ſich, wenn auch mit einem bitterſüßen Lächeln, an der Erklärung Sir Edward Greys im Unterhaus und hofft ängſtlich, daß die Konferenz in London doch zuſtandekommen und Frankreich und Rußland davor bewahren möge, eine beiſpielloſe diplomatiſche Niederlage erleiden zu müſſen, die das vielgerühmte europäiſche Gleichgewicht gründlich verſchieben würde, ſobald anſtatt der diplomatiſchen Noten die Kanonen ſprechen würden! Das iſt in kurzem das, was im Augenblick die meiſten politiſch geſchulten Franzoſen mehr oder weniger deutlich empfinden. Und das im Augenblick der Meinung der Chauviniſten und Nationaliſten, der ſo kriegsluſtigen Pariſer Bourgeois. Die Arbeiter, die Hand- werker und Bauern ſind noch aus ganz anderen Gründen gegen einen Krieg, das Frankreich aus dieſem unglückſeligen Bündnis mit Rußland erwachſen würde, das wenn es fortdauert, die Franzoſen ſicher noch arm, morſch und elend machen wird! Denn wo will das an Entvölkerung leidende Land ſeine Ackerbauern und Fabrik- arbeiter hernehmen, wenn ſie vor den Mauern von Metz und Straßburgs verbluten müſſen, wenn die Italiener im Süden ein- fallen und Frankreich zwei ſeiner ſchönſten Provinzen wegnehmen? Derartige Stimmen und Stimmungen wurden in den letzten Tagen aus den Kreiſen der hartſchaffenden Bevölkerung laut! Der Krieg, der wegen Serbiens geführt werden müßte, wäre in Frankreich der unpopulärſte, der je geführt wurde. Theater und Muſik Münchener Theater. Vom Schauſpielhaus: Ueber unſere Kraft von Bjornſtjerne Björnſon. — Münchener Künſtlertheater: Peer Gynt. Ein dramatiſches Gedicht von Henrik Ibſen. In der Uebertragung von Chriſtian Morgenſtern. Muſik von Edvard Grieg. Im Verlauf ihres Gaſtſpiels im Münchener Schauſpiel- haus hat das treffliche Künſtlerehepaar Friedrich Kayßler und Helene Fehdmer nun noch Björnſons dramatiſches Ge- dicht „Ueber unſere Kraft“ zur Aufführung gebracht und da- mit den größten Erfolg der letzten Gaſtſpielwoche erzielt. Ueber dies zweiaktige Schauſpiel, als Drama genommen, kann man verſchiedener Meinung ſein — es fehlt der zwingende Aufbau; aber der Gehalt der edeln Dichtung iſt ſo groß, das er jedes Publikum, das noch auf edlere Reize reaglert, in ſeinen Bann zieht, und die Ergriffenheit, mit der die Zu- ſchauer das dramatiſche Gedicht aufnahmen, rechtfertigte in ſchönſter Weiſe das Beſtreben der beiden Gäſte, nur mit gehaltvollen Werken vor das Münchener Publikum zu treten. Ueber die Tendenz des Werkes hat ſich deſſen erſter Ueber- ſetzer L. Paſſerge in einem kurzen Vorwort geäußert, das wenigſtens einige Seiten des Stückes gut gekennzeichnet. „Wer die dichteriſche Entwicklung Björnſons verfolgt hat, weiß, daß zwei Seelen in ſeiner Bruſt wohnen, von denen die eine auf eine realiſtiſche Auffaſſung der Er- ſcheinungen und tatkräftiges Eingreifen in die Ereigniſſe des Lebens, ſelbſt des Tages, hindrängt, während die andere ſich einer untätigen Myſtik ergibt und den Rätſeln des Men- ſchendaſeins nachſinnt. Als ſtrenggläubiges Kind eines nor- wegiſchen Geiſtlichen in einer einſamen Gebirgslandſchaft aufgewachſen, ſpäter ſich von aller Kirchlichkeit befreiend, hat der Dichter zu einer Vermittlung, wie ſie das Leben fordert, nicht zu gelangen vermocht. „Ueber unſere Kraft“ iſt der Aus- druck dieſes Gegenſatzes. Der Dichter möchte gern das Wunder ſchauen, aber er weiß auch, daß es nur ein ver- meintliches iſt und daß ſelbſt dieſes Schauen nur mit dem Leben erkauft wird. So behandelt „Ueber unſere Kraft“ die Tragik des Wunderglaubens. Aus dem Verlangen nach dem

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 1. August 1914, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine31_1914/6>, abgerufen am 17.06.2024.