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Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920.

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Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920

wirtschaftspolitischer Art, die gegen die restlose Einverleibung
Elsaß-Lothringens in Frankreich opponieren und den Sonder-
standpunkt der Grenzlande betonen. So wird gefordert u. a.:
Nationalisierung des elsaß-lothringischen Nationalvermögens,
vor allem aber der beschlagnahmten großen Werke, Anerken-
nung der Syndikate auf dem Boden der Gleichberechtigung, Fest-
setzung eines Mindesteinkommens, keine Entlassungen ohne Ein-
verständnis der Syndikate, Sicherung der Bluts- und Heimats-
rechte der elsaß-lothringischen Landeskinder; Revision der
bisher gefällten Klassenurteile; Protest gegen die Willkürherr-
schaft des französischen Militärs und gegen das französische
Schulwesen.

Die Franzosen wollen Elsaß-Lothringern vorreden, daß sie
an den Begriff der "Freiheit" noch gar nicht gewöhnt wären
und daß ihnen später erst der Segen der ihnen von den Fran-
zosen gebrachten Freiheit bewußt würde. Aber die Elsaß-
Lothringer haben zu sehr gelernt in den vierzig Jahren ihrer
Zugehörigkeit zu Deutschland. Sie vergleichen heute, und sie
sehen ein, daß sie eigentlich im Jahre 1914 eine nahezu voll-
ständige Autonomie der Stadtverwaltungen, der Lehranstalten
und der Finanzverwaltung hatten, und daß sie auf dem besten
Wege waren, auch in politischer Hinsicht immer selbständiger zu
werden. Diese Einsicht der hartköpfigen Alemannen darf aller-
dings noch nicht zu der Folgerung führen, daß sie soweit zur
Deutschfreundlichkeit neigten, um sich nach der deutschen Herr-
schaft zurückzuwünschen. In dem scharfen Protest gegen die Un-
terdrückung ihrer angestammten Sprache und ihres Volkstums,
der auch darin Ausdruck fand, daß man nachdrücklich die Ver-
welschung der alten Ortsnamen ablehnt (die trotzdem von der
französischen Verwaltungsbehörde durchgeführt ist), liegt zwar
ein Bekenntnis zur deutschen Kultur und deutsch-völkischen Art.
Ein politisches Glaubensbekenntnis ist aber an und für sich --
bewußt wenigstens nicht -- darin nicht enthalten. So weit ein
Wunsch nach Wiedervereinigung mit Deutschland besteht, ent-
springt er rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die einst so
blühende lothringische Industrie droht ihrem gänzlichen Verfall
entgegenzugehen, und der Bauernstand ist ebenfalls in seiner
Existenz aufs schwerste bedroht.

Was in Elsaß-Lothringen vor sich geht, ist kein Aufflackern
des Bolschewismus, es ist das Streben eines selbstbewußten
Volkes nach Anerkennung seiner nationalen Eigenheiten.

Wissenschaft, Kultur und Technik
Die russischen Konsulate in Asien*).

Zum Verständnis der politischen und handelspolitischen Lage
in der Mongolei sei hier näher auf die Organisation der rus-
sischen Konsuln in der Mongolei eingegangen.

Durch die Energie und Unternehmungslust der sibirischen
Kaufleute hatte sich der russische Handel in der Mongolei ohne
jede staatliche Hilfe ausgebreitet. Es gab zwar schon seit 1860
eine russische Konsulatsvertretung in Urga, der 1872 Konsul
Schichmarew vorstand, und die in letzter Zeit durch Generalkon-
sul Luba geleitet wurde, 1913 wurde dann das Konsulat in ein
Generalkonsulat verwandelt mit einem Ministerresidenten an
der Spitze. Im allgemeinen aber waren die russischen Kaufleute
durch die Größe des Verwaltungsbezirkes, der dem Konsulat von
Urga unterstellt war, auf sich selber angewiesen. Ein Blick auf
die Karte zeigt, daß für einen solchen Riesendistrikt auch die
Energie eines Luba nicht ausreichen konnte. Es ist den Kennern
der Verhältnisse allgemein bekannt, daß die russischen Konsuln,
durch ihre allgemeine Vorbildung behindert, schwerlich sich um
den russischen Handel und dessen Ausdehnung kümmern konnten,
und tatsächlich hört man von allen Seiten Klagen, daß die Kon-
sulate nicht das leisteten, was man von ihnen erwartete. Mit
Unrecht, denn hieran sind die Konsuln selbst zum kleinsten Teil

[Spaltenumbruch]

schuld, sondern ihre rein diplomatische Ausbildung. Die Vor-
schriften über die Tätigkeit der Konsuln im russischen Konsulats-
dienst sind für alle Konsulate gleich und zum größten Teil ver-
altet. Es wird hierbei absolut kein Unterschied zwischen den
Konsuln in Paris und Urga oder Berlin und Teheran gemacht,
alles wird über einen Kamm geschoren. Richtig ist es ja, daß
die Vorschriften über den Konsulatsdienst drei ganze Kapitel über
die Tätigkeit der Konsuln in China und Korea enthalten, aber
alle drei Kapitel geben nur allgemeine Hinweise auf die russisch-
chinesischen Verträge. Hieraus sollte man schließen, daß den rus-
sischen Konsuln ein möglichst weiter Spielraum für die Betäti-
gung ihrer Selbständigkeit gegeben werden soll, aber dem ist
nicht so. Wer die russischen Verhältnisse kennt, weiß, daß der
Buchstabe, zum Paragraphen zusammengesetzt, der Gott ist, zu
dem die gesamte russische Bureaukratie betet. Was nicht ins
kleinste vorgeschrieben ist, wird nicht gemacht.

Die Konsuln in China und Korea sind auf den diplomatischen
Dienst ganz speziell eingeschult und unterstehen einzig und allein
dem russischen Ministerium des Aeußern, mit handelspolitischen
Wissenschaften sind sie nicht allzusehr belastet, daher verdankt auch
Rußland in Asien häufig seinen Konsuln seine großen diplo-
matischen Erfolge und Mißerfolge im Handel, obwohl, wenn
die militärischen Kräfte Rußlands und Chinas in etwas gleich
wären, den chinesischen modernen Diplomaten manche Schlappe
erspart bliebe. Wie so häufig, entscheidet auch hier, trotz aller
diplomatischen Kunstgriffe der gelben Herren, das Recht des
Stärkeren und das wissen Rußlands Konsuln geschickt und gründ-
lich auszunützen. Auffallend ist es, daß drei der in der inneren
Mongolei tätigen Konsuln Schüler der deutschen Petersburger
Petri-Paul-Schule sind.

Auf Grund der einseitigen diplomatischen Ausbildung der
Konsuln haben denn auch die russischen Handelsinteressenten,
Börsenkomitees, Handelspalaten, Exportpalaten sich zusammen-
geschlossen, um nun ihrerseits ihre eigenen Interessen energisch
zu vertreten. Die Gründe für das Fiasko dieser Kapitalisten-
gruppen werde ich Gelegenheit haben, an anderer Stelle zu be-
sprechen. Jedenfalls setzten es obige Interessenten durch, daß für
die äußere Mongolei ein russischer Handelsagent mit seinem Sitz
in Urga ernannt wurde. Herr Andrei Pawlowitsch Balaban, der
neuernannte Handelsagent, nahm sich denn auch des russischen
Handels an, versuchte, ein russisches Handelsmonopol in der
Mongolei zu errichten, und geriet durch seine Forderungen in
Konflikt mit den Mongolen, die sich nicht ganz in die Hände
der Russen geben wollten. Die russische höhere Diplomatie, durch
den Ausbruch des Balkankrieges in ihrer Aktionsfreiheit im
fernen Osten stark behindert, akzeptierte schließlich durch Exzel-
lenz Iwan Karostowetz den von den Mongolen abgeänderten
Handelsvertrag, der von A. P. Balaban aufs heftigste bekämpft
wurde. Die alte Antipathie des Handelsagenten "gegen das
Ministerium mit den weißen Hosen", wie er in seinen Schriften
des öfteren die Herren vom Ministerium des Aeußeren betitelt,
kam hier wiederum zum Durchbruch. Mittlerweile war das
russische Militär in der äußeren Mongolei eingerückt, und jetzt
redete das Kriegsministerium auch schon mit. Dem geschickten
Beobachter konnte es nicht entgehen, daß der Kampf bald auf
der ganzen Linie entbrannte. Die Animosität der einzelnen
Ministerien gegeneinander trat bei deren Vertretern in der
äußeren Mongolei klar zu Tage und manch geschickt eingeleitete
Aktion scheiterte nur daran, daß die einzelnen Ressorts nicht
zusammen Hand in Hand arbeiten wollten.

Um auf das Konsulat von Urga zurückzukommen, hatte
Rußland das Recht, nach § 8 des Vertrages von Peking vom
14. November 1860 in Kaschgar und Urga je ein Konsulat zu
errichten, um über die Aufführung der zugewanderten Kauf-
leute zu wachen, die nach den Gesetzen des Landes, zu denen sie
gehörten, zu bestrafen und abzuurteilen waren. Dieses Recht
wurde im Vertrag von Ili vom 12. Februar 1881 in § 10 noch
auf die Städte Kobdo, Uljasutai, Chami, Urumschi und Gutschen
erweitert, allerdings mit der Einschränkung, Konsulate sollten
nur dann errichtet werden dürfen, wenn eine wirkliche Bedürf-
nisfrage vorliege und nachdem dafür ein Einverständnis mit
der chinesischen Regierung erzielt worden sei. Dieser Punkt er-
wies sich in den Händen der chinesischen Politiker als ein ganz
vorzüglicher Bremsparagraph, bis sich Rußland schließlich, auf
das Recht des Stärkeren pochend, über alle Paragraphen und

*) Wir entnehmen diesen Aufsatz dem vortrefflichen Werk
"Weideplätze der Mongolen im Reiche der Chalcha" von Hermann
Consten, 1. Bd. (63 Tafeln u. 1 Karte), bei Dietrich Reimer
(E. Vohsen) A.-G., Berlin, 1919 erschienen (Preis 45 M.). Die
Schriftleitung.
Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920

wirtſchaftspolitiſcher Art, die gegen die reſtloſe Einverleibung
Elſaß-Lothringens in Frankreich opponieren und den Sonder-
ſtandpunkt der Grenzlande betonen. So wird gefordert u. a.:
Nationaliſierung des elſaß-lothringiſchen Nationalvermögens,
vor allem aber der beſchlagnahmten großen Werke, Anerken-
nung der Syndikate auf dem Boden der Gleichberechtigung, Feſt-
ſetzung eines Mindeſteinkommens, keine Entlaſſungen ohne Ein-
verſtändnis der Syndikate, Sicherung der Bluts- und Heimats-
rechte der elſaß-lothringiſchen Landeskinder; Reviſion der
bisher gefällten Klaſſenurteile; Proteſt gegen die Willkürherr-
ſchaft des franzöſiſchen Militärs und gegen das franzöſiſche
Schulweſen.

Die Franzoſen wollen Elſaß-Lothringern vorreden, daß ſie
an den Begriff der „Freiheit“ noch gar nicht gewöhnt wären
und daß ihnen ſpäter erſt der Segen der ihnen von den Fran-
zoſen gebrachten Freiheit bewußt würde. Aber die Elſaß-
Lothringer haben zu ſehr gelernt in den vierzig Jahren ihrer
Zugehörigkeit zu Deutſchland. Sie vergleichen heute, und ſie
ſehen ein, daß ſie eigentlich im Jahre 1914 eine nahezu voll-
ſtändige Autonomie der Stadtverwaltungen, der Lehranſtalten
und der Finanzverwaltung hatten, und daß ſie auf dem beſten
Wege waren, auch in politiſcher Hinſicht immer ſelbſtändiger zu
werden. Dieſe Einſicht der hartköpfigen Alemannen darf aller-
dings noch nicht zu der Folgerung führen, daß ſie ſoweit zur
Deutſchfreundlichkeit neigten, um ſich nach der deutſchen Herr-
ſchaft zurückzuwünſchen. In dem ſcharfen Proteſt gegen die Un-
terdrückung ihrer angeſtammten Sprache und ihres Volkstums,
der auch darin Ausdruck fand, daß man nachdrücklich die Ver-
welſchung der alten Ortsnamen ablehnt (die trotzdem von der
franzöſiſchen Verwaltungsbehörde durchgeführt iſt), liegt zwar
ein Bekenntnis zur deutſchen Kultur und deutſch-völkiſchen Art.
Ein politiſches Glaubensbekenntnis iſt aber an und für ſich —
bewußt wenigſtens nicht — darin nicht enthalten. So weit ein
Wunſch nach Wiedervereinigung mit Deutſchland beſteht, ent-
ſpringt er rein wirtſchaftlichen Geſichtspunkten. Die einſt ſo
blühende lothringiſche Induſtrie droht ihrem gänzlichen Verfall
entgegenzugehen, und der Bauernſtand iſt ebenfalls in ſeiner
Exiſtenz aufs ſchwerſte bedroht.

Was in Elſaß-Lothringen vor ſich geht, iſt kein Aufflackern
des Bolſchewismus, es iſt das Streben eines ſelbſtbewußten
Volkes nach Anerkennung ſeiner nationalen Eigenheiten.

Wiſſenſchaft, Kultur und Technik
Die ruſſiſchen Konſulate in Aſien*).

Zum Verſtändnis der politiſchen und handelspolitiſchen Lage
in der Mongolei ſei hier näher auf die Organiſation der ruſ-
ſiſchen Konſuln in der Mongolei eingegangen.

Durch die Energie und Unternehmungsluſt der ſibiriſchen
Kaufleute hatte ſich der ruſſiſche Handel in der Mongolei ohne
jede ſtaatliche Hilfe ausgebreitet. Es gab zwar ſchon ſeit 1860
eine ruſſiſche Konſulatsvertretung in Urga, der 1872 Konſul
Schichmarew vorſtand, und die in letzter Zeit durch Generalkon-
ſul Luba geleitet wurde, 1913 wurde dann das Konſulat in ein
Generalkonſulat verwandelt mit einem Miniſterreſidenten an
der Spitze. Im allgemeinen aber waren die ruſſiſchen Kaufleute
durch die Größe des Verwaltungsbezirkes, der dem Konſulat von
Urga unterſtellt war, auf ſich ſelber angewieſen. Ein Blick auf
die Karte zeigt, daß für einen ſolchen Rieſendiſtrikt auch die
Energie eines Luba nicht ausreichen konnte. Es iſt den Kennern
der Verhältniſſe allgemein bekannt, daß die ruſſiſchen Konſuln,
durch ihre allgemeine Vorbildung behindert, ſchwerlich ſich um
den ruſſiſchen Handel und deſſen Ausdehnung kümmern konnten,
und tatſächlich hört man von allen Seiten Klagen, daß die Kon-
ſulate nicht das leiſteten, was man von ihnen erwartete. Mit
Unrecht, denn hieran ſind die Konſuln ſelbſt zum kleinſten Teil

[Spaltenumbruch]

ſchuld, ſondern ihre rein diplomatiſche Ausbildung. Die Vor-
ſchriften über die Tätigkeit der Konſuln im ruſſiſchen Konſulats-
dienſt ſind für alle Konſulate gleich und zum größten Teil ver-
altet. Es wird hierbei abſolut kein Unterſchied zwiſchen den
Konſuln in Paris und Urga oder Berlin und Teheran gemacht,
alles wird über einen Kamm geſchoren. Richtig iſt es ja, daß
die Vorſchriften über den Konſulatsdienſt drei ganze Kapitel über
die Tätigkeit der Konſuln in China und Korea enthalten, aber
alle drei Kapitel geben nur allgemeine Hinweiſe auf die ruſſiſch-
chineſiſchen Verträge. Hieraus ſollte man ſchließen, daß den ruſ-
ſiſchen Konſuln ein möglichſt weiter Spielraum für die Betäti-
gung ihrer Selbſtändigkeit gegeben werden ſoll, aber dem iſt
nicht ſo. Wer die ruſſiſchen Verhältniſſe kennt, weiß, daß der
Buchſtabe, zum Paragraphen zuſammengeſetzt, der Gott iſt, zu
dem die geſamte ruſſiſche Bureaukratie betet. Was nicht ins
kleinſte vorgeſchrieben iſt, wird nicht gemacht.

Die Konſuln in China und Korea ſind auf den diplomatiſchen
Dienſt ganz ſpeziell eingeſchult und unterſtehen einzig und allein
dem ruſſiſchen Miniſterium des Aeußern, mit handelspolitiſchen
Wiſſenſchaften ſind ſie nicht allzuſehr belaſtet, daher verdankt auch
Rußland in Aſien häufig ſeinen Konſuln ſeine großen diplo-
matiſchen Erfolge und Mißerfolge im Handel, obwohl, wenn
die militäriſchen Kräfte Rußlands und Chinas in etwas gleich
wären, den chineſiſchen modernen Diplomaten manche Schlappe
erſpart bliebe. Wie ſo häufig, entſcheidet auch hier, trotz aller
diplomatiſchen Kunſtgriffe der gelben Herren, das Recht des
Stärkeren und das wiſſen Rußlands Konſuln geſchickt und gründ-
lich auszunützen. Auffallend iſt es, daß drei der in der inneren
Mongolei tätigen Konſuln Schüler der deutſchen Petersburger
Petri-Paul-Schule ſind.

Auf Grund der einſeitigen diplomatiſchen Ausbildung der
Konſuln haben denn auch die ruſſiſchen Handelsintereſſenten,
Börſenkomitees, Handelspalaten, Exportpalaten ſich zuſammen-
geſchloſſen, um nun ihrerſeits ihre eigenen Intereſſen energiſch
zu vertreten. Die Gründe für das Fiasko dieſer Kapitaliſten-
gruppen werde ich Gelegenheit haben, an anderer Stelle zu be-
ſprechen. Jedenfalls ſetzten es obige Intereſſenten durch, daß für
die äußere Mongolei ein ruſſiſcher Handelsagent mit ſeinem Sitz
in Urga ernannt wurde. Herr Andrei Pawlowitſch Balaban, der
neuernannte Handelsagent, nahm ſich denn auch des ruſſiſchen
Handels an, verſuchte, ein ruſſiſches Handelsmonopol in der
Mongolei zu errichten, und geriet durch ſeine Forderungen in
Konflikt mit den Mongolen, die ſich nicht ganz in die Hände
der Ruſſen geben wollten. Die ruſſiſche höhere Diplomatie, durch
den Ausbruch des Balkankrieges in ihrer Aktionsfreiheit im
fernen Oſten ſtark behindert, akzeptierte ſchließlich durch Exzel-
lenz Iwan Karoſtowetz den von den Mongolen abgeänderten
Handelsvertrag, der von A. P. Balaban aufs heftigſte bekämpft
wurde. Die alte Antipathie des Handelsagenten „gegen das
Miniſterium mit den weißen Hoſen“, wie er in ſeinen Schriften
des öfteren die Herren vom Miniſterium des Aeußeren betitelt,
kam hier wiederum zum Durchbruch. Mittlerweile war das
ruſſiſche Militär in der äußeren Mongolei eingerückt, und jetzt
redete das Kriegsminiſterium auch ſchon mit. Dem geſchickten
Beobachter konnte es nicht entgehen, daß der Kampf bald auf
der ganzen Linie entbrannte. Die Animoſität der einzelnen
Miniſterien gegeneinander trat bei deren Vertretern in der
äußeren Mongolei klar zu Tage und manch geſchickt eingeleitete
Aktion ſcheiterte nur daran, daß die einzelnen Reſſorts nicht
zuſammen Hand in Hand arbeiten wollten.

Um auf das Konſulat von Urga zurückzukommen, hatte
Rußland das Recht, nach § 8 des Vertrages von Peking vom
14. November 1860 in Kaſchgar und Urga je ein Konſulat zu
errichten, um über die Aufführung der zugewanderten Kauf-
leute zu wachen, die nach den Geſetzen des Landes, zu denen ſie
gehörten, zu beſtrafen und abzuurteilen waren. Dieſes Recht
wurde im Vertrag von Ili vom 12. Februar 1881 in § 10 noch
auf die Städte Kobdo, Uljaſutai, Chami, Urumſchi und Gutſchen
erweitert, allerdings mit der Einſchränkung, Konſulate ſollten
nur dann errichtet werden dürfen, wenn eine wirkliche Bedürf-
nisfrage vorliege und nachdem dafür ein Einverſtändnis mit
der chineſiſchen Regierung erzielt worden ſei. Dieſer Punkt er-
wies ſich in den Händen der chineſiſchen Politiker als ein ganz
vorzüglicher Bremsparagraph, bis ſich Rußland ſchließlich, auf
das Recht des Stärkeren pochend, über alle Paragraphen und

*) Wir entnehmen dieſen Aufſatz dem vortrefflichen Werk
„Weideplätze der Mongolen im Reiche der Chalcha“ von Hermann
Conſten, 1. Bd. (63 Tafeln u. 1 Karte), bei Dietrich Reimer
(E. Vohſen) A.-G., Berlin, 1919 erſchienen (Preis 45 M.). Die
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[192/0006] Allgemeine Zeitung 23. Mai 1920 wirtſchaftspolitiſcher Art, die gegen die reſtloſe Einverleibung Elſaß-Lothringens in Frankreich opponieren und den Sonder- ſtandpunkt der Grenzlande betonen. So wird gefordert u. a.: Nationaliſierung des elſaß-lothringiſchen Nationalvermögens, vor allem aber der beſchlagnahmten großen Werke, Anerken- nung der Syndikate auf dem Boden der Gleichberechtigung, Feſt- ſetzung eines Mindeſteinkommens, keine Entlaſſungen ohne Ein- verſtändnis der Syndikate, Sicherung der Bluts- und Heimats- rechte der elſaß-lothringiſchen Landeskinder; Reviſion der bisher gefällten Klaſſenurteile; Proteſt gegen die Willkürherr- ſchaft des franzöſiſchen Militärs und gegen das franzöſiſche Schulweſen. Die Franzoſen wollen Elſaß-Lothringern vorreden, daß ſie an den Begriff der „Freiheit“ noch gar nicht gewöhnt wären und daß ihnen ſpäter erſt der Segen der ihnen von den Fran- zoſen gebrachten Freiheit bewußt würde. Aber die Elſaß- Lothringer haben zu ſehr gelernt in den vierzig Jahren ihrer Zugehörigkeit zu Deutſchland. Sie vergleichen heute, und ſie ſehen ein, daß ſie eigentlich im Jahre 1914 eine nahezu voll- ſtändige Autonomie der Stadtverwaltungen, der Lehranſtalten und der Finanzverwaltung hatten, und daß ſie auf dem beſten Wege waren, auch in politiſcher Hinſicht immer ſelbſtändiger zu werden. Dieſe Einſicht der hartköpfigen Alemannen darf aller- dings noch nicht zu der Folgerung führen, daß ſie ſoweit zur Deutſchfreundlichkeit neigten, um ſich nach der deutſchen Herr- ſchaft zurückzuwünſchen. In dem ſcharfen Proteſt gegen die Un- terdrückung ihrer angeſtammten Sprache und ihres Volkstums, der auch darin Ausdruck fand, daß man nachdrücklich die Ver- welſchung der alten Ortsnamen ablehnt (die trotzdem von der franzöſiſchen Verwaltungsbehörde durchgeführt iſt), liegt zwar ein Bekenntnis zur deutſchen Kultur und deutſch-völkiſchen Art. Ein politiſches Glaubensbekenntnis iſt aber an und für ſich — bewußt wenigſtens nicht — darin nicht enthalten. So weit ein Wunſch nach Wiedervereinigung mit Deutſchland beſteht, ent- ſpringt er rein wirtſchaftlichen Geſichtspunkten. Die einſt ſo blühende lothringiſche Induſtrie droht ihrem gänzlichen Verfall entgegenzugehen, und der Bauernſtand iſt ebenfalls in ſeiner Exiſtenz aufs ſchwerſte bedroht. Was in Elſaß-Lothringen vor ſich geht, iſt kein Aufflackern des Bolſchewismus, es iſt das Streben eines ſelbſtbewußten Volkes nach Anerkennung ſeiner nationalen Eigenheiten. —er Wiſſenſchaft, Kultur und Technik Die ruſſiſchen Konſulate in Aſien *). Zum Verſtändnis der politiſchen und handelspolitiſchen Lage in der Mongolei ſei hier näher auf die Organiſation der ruſ- ſiſchen Konſuln in der Mongolei eingegangen. Durch die Energie und Unternehmungsluſt der ſibiriſchen Kaufleute hatte ſich der ruſſiſche Handel in der Mongolei ohne jede ſtaatliche Hilfe ausgebreitet. Es gab zwar ſchon ſeit 1860 eine ruſſiſche Konſulatsvertretung in Urga, der 1872 Konſul Schichmarew vorſtand, und die in letzter Zeit durch Generalkon- ſul Luba geleitet wurde, 1913 wurde dann das Konſulat in ein Generalkonſulat verwandelt mit einem Miniſterreſidenten an der Spitze. Im allgemeinen aber waren die ruſſiſchen Kaufleute durch die Größe des Verwaltungsbezirkes, der dem Konſulat von Urga unterſtellt war, auf ſich ſelber angewieſen. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß für einen ſolchen Rieſendiſtrikt auch die Energie eines Luba nicht ausreichen konnte. Es iſt den Kennern der Verhältniſſe allgemein bekannt, daß die ruſſiſchen Konſuln, durch ihre allgemeine Vorbildung behindert, ſchwerlich ſich um den ruſſiſchen Handel und deſſen Ausdehnung kümmern konnten, und tatſächlich hört man von allen Seiten Klagen, daß die Kon- ſulate nicht das leiſteten, was man von ihnen erwartete. Mit Unrecht, denn hieran ſind die Konſuln ſelbſt zum kleinſten Teil ſchuld, ſondern ihre rein diplomatiſche Ausbildung. Die Vor- ſchriften über die Tätigkeit der Konſuln im ruſſiſchen Konſulats- dienſt ſind für alle Konſulate gleich und zum größten Teil ver- altet. Es wird hierbei abſolut kein Unterſchied zwiſchen den Konſuln in Paris und Urga oder Berlin und Teheran gemacht, alles wird über einen Kamm geſchoren. Richtig iſt es ja, daß die Vorſchriften über den Konſulatsdienſt drei ganze Kapitel über die Tätigkeit der Konſuln in China und Korea enthalten, aber alle drei Kapitel geben nur allgemeine Hinweiſe auf die ruſſiſch- chineſiſchen Verträge. Hieraus ſollte man ſchließen, daß den ruſ- ſiſchen Konſuln ein möglichſt weiter Spielraum für die Betäti- gung ihrer Selbſtändigkeit gegeben werden ſoll, aber dem iſt nicht ſo. Wer die ruſſiſchen Verhältniſſe kennt, weiß, daß der Buchſtabe, zum Paragraphen zuſammengeſetzt, der Gott iſt, zu dem die geſamte ruſſiſche Bureaukratie betet. Was nicht ins kleinſte vorgeſchrieben iſt, wird nicht gemacht. Die Konſuln in China und Korea ſind auf den diplomatiſchen Dienſt ganz ſpeziell eingeſchult und unterſtehen einzig und allein dem ruſſiſchen Miniſterium des Aeußern, mit handelspolitiſchen Wiſſenſchaften ſind ſie nicht allzuſehr belaſtet, daher verdankt auch Rußland in Aſien häufig ſeinen Konſuln ſeine großen diplo- matiſchen Erfolge und Mißerfolge im Handel, obwohl, wenn die militäriſchen Kräfte Rußlands und Chinas in etwas gleich wären, den chineſiſchen modernen Diplomaten manche Schlappe erſpart bliebe. Wie ſo häufig, entſcheidet auch hier, trotz aller diplomatiſchen Kunſtgriffe der gelben Herren, das Recht des Stärkeren und das wiſſen Rußlands Konſuln geſchickt und gründ- lich auszunützen. Auffallend iſt es, daß drei der in der inneren Mongolei tätigen Konſuln Schüler der deutſchen Petersburger Petri-Paul-Schule ſind. Auf Grund der einſeitigen diplomatiſchen Ausbildung der Konſuln haben denn auch die ruſſiſchen Handelsintereſſenten, Börſenkomitees, Handelspalaten, Exportpalaten ſich zuſammen- geſchloſſen, um nun ihrerſeits ihre eigenen Intereſſen energiſch zu vertreten. Die Gründe für das Fiasko dieſer Kapitaliſten- gruppen werde ich Gelegenheit haben, an anderer Stelle zu be- ſprechen. Jedenfalls ſetzten es obige Intereſſenten durch, daß für die äußere Mongolei ein ruſſiſcher Handelsagent mit ſeinem Sitz in Urga ernannt wurde. Herr Andrei Pawlowitſch Balaban, der neuernannte Handelsagent, nahm ſich denn auch des ruſſiſchen Handels an, verſuchte, ein ruſſiſches Handelsmonopol in der Mongolei zu errichten, und geriet durch ſeine Forderungen in Konflikt mit den Mongolen, die ſich nicht ganz in die Hände der Ruſſen geben wollten. Die ruſſiſche höhere Diplomatie, durch den Ausbruch des Balkankrieges in ihrer Aktionsfreiheit im fernen Oſten ſtark behindert, akzeptierte ſchließlich durch Exzel- lenz Iwan Karoſtowetz den von den Mongolen abgeänderten Handelsvertrag, der von A. P. Balaban aufs heftigſte bekämpft wurde. Die alte Antipathie des Handelsagenten „gegen das Miniſterium mit den weißen Hoſen“, wie er in ſeinen Schriften des öfteren die Herren vom Miniſterium des Aeußeren betitelt, kam hier wiederum zum Durchbruch. Mittlerweile war das ruſſiſche Militär in der äußeren Mongolei eingerückt, und jetzt redete das Kriegsminiſterium auch ſchon mit. Dem geſchickten Beobachter konnte es nicht entgehen, daß der Kampf bald auf der ganzen Linie entbrannte. Die Animoſität der einzelnen Miniſterien gegeneinander trat bei deren Vertretern in der äußeren Mongolei klar zu Tage und manch geſchickt eingeleitete Aktion ſcheiterte nur daran, daß die einzelnen Reſſorts nicht zuſammen Hand in Hand arbeiten wollten. Um auf das Konſulat von Urga zurückzukommen, hatte Rußland das Recht, nach § 8 des Vertrages von Peking vom 14. November 1860 in Kaſchgar und Urga je ein Konſulat zu errichten, um über die Aufführung der zugewanderten Kauf- leute zu wachen, die nach den Geſetzen des Landes, zu denen ſie gehörten, zu beſtrafen und abzuurteilen waren. Dieſes Recht wurde im Vertrag von Ili vom 12. Februar 1881 in § 10 noch auf die Städte Kobdo, Uljaſutai, Chami, Urumſchi und Gutſchen erweitert, allerdings mit der Einſchränkung, Konſulate ſollten nur dann errichtet werden dürfen, wenn eine wirkliche Bedürf- nisfrage vorliege und nachdem dafür ein Einverſtändnis mit der chineſiſchen Regierung erzielt worden ſei. Dieſer Punkt er- wies ſich in den Händen der chineſiſchen Politiker als ein ganz vorzüglicher Bremsparagraph, bis ſich Rußland ſchließlich, auf das Recht des Stärkeren pochend, über alle Paragraphen und *) Wir entnehmen dieſen Aufſatz dem vortrefflichen Werk „Weideplätze der Mongolen im Reiche der Chalcha“ von Hermann Conſten, 1. Bd. (63 Tafeln u. 1 Karte), bei Dietrich Reimer (E. Vohſen) A.-G., Berlin, 1919 erſchienen (Preis 45 M.). Die Schriftleitung.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 23. Mai 1920, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine20_1920/6>, abgerufen am 18.12.2024.