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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915.

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Allgemeine Zeitung 24. April 1915.
[Spaltenumbruch] Hinterhalt drohte, behandelten sie alles und jedes und jeder-
mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in-
difference).
Ihre Absicht war bald erkennbar Eine Abteilung
eilte zur Telegraphenstation, die andern wandten sich zum
Funkenturm. Nach einigen Minuten angstvollen Wartens
hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten sollten.
Dieses war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde,
um vollzählig versammelt zu sein. Ich muß es daher euch
überlassen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in
dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren
wir gemustert und man hatte uns eine Wache gegeben. In-
zwischen ging auch die Zerstörungsarbeit am Telegraphen-
gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den
Funkenturm in die Luft zu sprengen. Wir wurden nun lang-
sam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeschoben.

Unsre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all-
mählich gewannen wir sie und sie wurde bald freundlich mit
uns und antwortete sogar auf einige unsrer Bemerkungen.
Gewiß, anfänglich sehr einsilbig, aber allmählich sprachen sie
mit uns in einem Englisch, welches ihrer eigenen Sprache sehr
ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem
Bootsschuppen angewiesen und da hatten wir so lange zu
bleiben, als den Deutschen gefiel, ihr Zerstörungswerk zu
vollenden. Während dieser ganzen Zeit erklang ein unauf-
hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgesetzte
Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräusch der
Feuerwehrbeile, an einstürzende Wände und Geklirr von
zerbrechenden Fensterscheiben.

Kurz darauf erfolgte die erste Explosion am Funkturm.
"Du guter alter Funkturm," murmelten wir aufgeregt, denn
er hatte sich kaum bewegt. Eine zweite Explosion schien etwas
mehr Erfolg zu haben, denn der Turm schwankte und zitterte
hin und her, stand aber noch. Unsre Aufregung stieg auf den
Höhepunkt und lenkte unsre Aufmerksamkeit ganz und gar
von dem Maschinengewehr ab, welches uns während der
ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un-
geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den
Materialschuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle
möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maschinen-
teile, Kabelutensilien usw. Während der ganzen Zeit hatte
der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In-
zwischen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex-
plosion gebracht, der nun mit beinahe menschlichem Schauer
zusammenbrach. Während dieser ganzen Zeit sahen wir, wie
die Fremden alles einer genauen Untersuchung unterzogen,
und der Gedanke an unsre kleinen Habseligkeiten, die wir
vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unsre Laune
verlieren, denn dieses tatenlose Zusehen war das Schlimmste
von allem. Eine bessere Einsicht sagte uns indessen, daß die
Hauptursache zuviel Aufregung und zu wenig Frühstück war
und wir taten sofort unser Bestes, dem abzuhelfen. Etwas
Abwechslung brachte uns der Befehl, unsre Waffen abzu-
liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning
abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in
einem Kehrichthaufen versteckt hatte. Die Deutschen hatten
aber gründlich alles untersucht, denn mein Browning war be-
reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel-
kanne in demselben Haufen versteckt waren, waren ihrer Auf-
merksamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühstück. Wie ich
schon gesagt habe, wurden wir gut behandelt und unsre Wache
erwies sich zugänglich. Augenscheinlich waren die Leute selbst
hungrig, denn bald darauf erschienen zwei Jungen mit heißem
Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig-
keit ein Butterbrot zu verschlingen und eine Tasse Kaffee zu
erlangen, welche mich wieder Mensch werden ließ.

Währenddessen war von der Landungsmannschaft eine
Dampfbarkasse herumgeschickt, um die Kabel aufzusuchen. Ob-
wohl es in dem durchsichtigen klaren Wasser leicht war, die
Stellen aufzufinden, wo dieselben verankert waren, obwohl
es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel
an die Oberfläche zu bringen; das Durchschneiden der Kabel
war eine andere und schwierige Sache. Indessen, Axt und
Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel
erledigt. Bei dem dritten war man beschäftigt, als plötzlich
mit dem Zerstörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die
[Spaltenumbruch] uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der
andre Teil der Landungsmannschaft seine Arbeit beendet
hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der "Emden"
ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch
nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unsre durch
die Funkenstation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf-
genommen und daß man daher den Besuch nicht länger aus-
dehnen wollte, denn es war inzwischen 9 Uhr geworden. Aber
die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannschaft eilte
zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit
unserm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei-
gelassen und wir eilten sofort zu unsern Kameras. Dann be-
gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns
überzeugen müssen, daß die Deutschen sehr viel
netterseinkönnen, als man siebeiuns immer
darstellt.
Obwohl unsre Gefühle natürlich gemischte
waren, das eine Gefühl der Bewunderung für diese Mann-
schaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen,
denn sie hatten nur das getan, was sie für ihre Pflicht gegen
ihr Vaterland hielten, unter völliger Respektierung allen
persönlichen und privaten Eigentums. So weit sind sie in
ihrer Rücksicht gegangen, daß sie häufig hierdurch
Zeitverlust hatten.
Sei dem wie ihm wolle, wir
brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die
"Emden" vor Anker liegen zu sehen, war zweifellos der
leitende Gedanke in uns und zu diesem Zwecke hatten wir
nach Westpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt.

Einer von uns war inzwischen wieder auf das Dach ge-
gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke
schwarze Rauchwolke aus Nordosten zeigte uns, daß ein Schiff
mit voller Kraft auf die Insel losdampfte und als wir alle
auf dem Dache anlangten, war die "Emden" bereits aus dem
Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem
Dampf nach Nordwesten fahrend. Die Dampfbarkasse war
in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinassen mit
48 Mann und 4 Maschinengewehren noch im Schlepptau.
Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo sich
jetzt das Drama von Tod und Leben abspielen sollte. Der
australische Kreuzer "Sydney" kam mit Volldampf in diago-
naler Richtung, um der "Emden" den Weg abzuschneiden und
hatte das Signal gehißt: "Heraus zum Kampfe!"
(Come out and fight!) Und die "Emden", die nun in die
Enge getrieben wurde, schien durchaus nicht unwillig und
feuerte den ersten Schuß ab, beinahe in demselben Augen-
blicke, als sie klar vor den Inseln war. Die Entfernung war
ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es stellte sich auch bald
heraus, daß die "Sydney" das schnellere Schiff war. Der
Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten
darauf waren sie im vollen Gange, die "Emden" oft mit
ihren sechs Geschützen auf die vier der "Sydney" antwortend.
Worte sind wohl überflüssig, um das Pandemonium auf
unserm Dache zu beschreiben. Blasphemierende, ver-
wünschende, fluchende, grunzende und kreischende Laute er-
füllten die Luft, je nachdem ein Schuß saß oder traf. Andre
wieder starrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in
die Weite. Diese Augenblicke der Aufregung waren entsetzlich
und manche von uns liefen hinunter an die Nordspitze der
Insel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu
sein.

Bei Ankunft daselbst schien es uns, als ob die "Sydney"
Feuer an Bord hätte, so völlig war sie in dichten schwarzen
Rauch eingehüllt. Beinahe Todesstille herrschte jetzt unter
uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge-
schütze, und unsre Aufmerksamkeit war nur darauf gelenkt,
die Resultate der einzelnen Schüsse festzustellen. Granaten
fielen nun in nächster Nähe der "Emden" umher, aber ihre
eigenen Geschütze konnten trotz besten Schießens die "Sydney"
nicht erreichen. Unsre Spannung war zu groß, um auch nur
einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Wasser
ging und eine Wassersäule, höher als die Masten der "Em-
den" verursachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab-
ringen.

Wir aber, wir stummen Zuschauer bei diesem schrecklichen
Kampfe, die wir alles um uns herum vergessen hatten,
wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht

Allgemeine Zeitung 24. April 1915.
[Spaltenumbruch] Hinterhalt drohte, behandelten ſie alles und jedes und jeder-
mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in-
difference).
Ihre Abſicht war bald erkennbar Eine Abteilung
eilte zur Telegraphenſtation, die andern wandten ſich zum
Funkenturm. Nach einigen Minuten angſtvollen Wartens
hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten ſollten.
Dieſes war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde,
um vollzählig verſammelt zu ſein. Ich muß es daher euch
überlaſſen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in
dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren
wir gemuſtert und man hatte uns eine Wache gegeben. In-
zwiſchen ging auch die Zerſtörungsarbeit am Telegraphen-
gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den
Funkenturm in die Luft zu ſprengen. Wir wurden nun lang-
ſam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeſchoben.

Unſre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all-
mählich gewannen wir ſie und ſie wurde bald freundlich mit
uns und antwortete ſogar auf einige unſrer Bemerkungen.
Gewiß, anfänglich ſehr einſilbig, aber allmählich ſprachen ſie
mit uns in einem Engliſch, welches ihrer eigenen Sprache ſehr
ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem
Bootsſchuppen angewieſen und da hatten wir ſo lange zu
bleiben, als den Deutſchen gefiel, ihr Zerſtörungswerk zu
vollenden. Während dieſer ganzen Zeit erklang ein unauf-
hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgeſetzte
Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräuſch der
Feuerwehrbeile, an einſtürzende Wände und Geklirr von
zerbrechenden Fenſterſcheiben.

Kurz darauf erfolgte die erſte Exploſion am Funkturm.
„Du guter alter Funkturm,“ murmelten wir aufgeregt, denn
er hatte ſich kaum bewegt. Eine zweite Exploſion ſchien etwas
mehr Erfolg zu haben, denn der Turm ſchwankte und zitterte
hin und her, ſtand aber noch. Unſre Aufregung ſtieg auf den
Höhepunkt und lenkte unſre Aufmerkſamkeit ganz und gar
von dem Maſchinengewehr ab, welches uns während der
ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un-
geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den
Materialſchuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle
möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maſchinen-
teile, Kabelutenſilien uſw. Während der ganzen Zeit hatte
der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In-
zwiſchen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex-
ploſion gebracht, der nun mit beinahe menſchlichem Schauer
zuſammenbrach. Während dieſer ganzen Zeit ſahen wir, wie
die Fremden alles einer genauen Unterſuchung unterzogen,
und der Gedanke an unſre kleinen Habſeligkeiten, die wir
vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unſre Laune
verlieren, denn dieſes tatenloſe Zuſehen war das Schlimmſte
von allem. Eine beſſere Einſicht ſagte uns indeſſen, daß die
Haupturſache zuviel Aufregung und zu wenig Frühſtück war
und wir taten ſofort unſer Beſtes, dem abzuhelfen. Etwas
Abwechſlung brachte uns der Befehl, unſre Waffen abzu-
liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning
abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in
einem Kehrichthaufen verſteckt hatte. Die Deutſchen hatten
aber gründlich alles unterſucht, denn mein Browning war be-
reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel-
kanne in demſelben Haufen verſteckt waren, waren ihrer Auf-
merkſamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühſtück. Wie ich
ſchon geſagt habe, wurden wir gut behandelt und unſre Wache
erwies ſich zugänglich. Augenſcheinlich waren die Leute ſelbſt
hungrig, denn bald darauf erſchienen zwei Jungen mit heißem
Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig-
keit ein Butterbrot zu verſchlingen und eine Taſſe Kaffee zu
erlangen, welche mich wieder Menſch werden ließ.

Währenddeſſen war von der Landungsmannſchaft eine
Dampfbarkaſſe herumgeſchickt, um die Kabel aufzuſuchen. Ob-
wohl es in dem durchſichtigen klaren Waſſer leicht war, die
Stellen aufzufinden, wo dieſelben verankert waren, obwohl
es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel
an die Oberfläche zu bringen; das Durchſchneiden der Kabel
war eine andere und ſchwierige Sache. Indeſſen, Axt und
Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel
erledigt. Bei dem dritten war man beſchäftigt, als plötzlich
mit dem Zerſtörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die
[Spaltenumbruch] uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der
andre Teil der Landungsmannſchaft ſeine Arbeit beendet
hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der „Emden“
ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch
nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unſre durch
die Funkenſtation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf-
genommen und daß man daher den Beſuch nicht länger aus-
dehnen wollte, denn es war inzwiſchen 9 Uhr geworden. Aber
die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannſchaft eilte
zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit
unſerm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei-
gelaſſen und wir eilten ſofort zu unſern Kameras. Dann be-
gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns
überzeugen müſſen, daß die Deutſchen ſehr viel
netterſeinkönnen, als man ſiebeiuns immer
darſtellt.
Obwohl unſre Gefühle natürlich gemiſchte
waren, das eine Gefühl der Bewunderung für dieſe Mann-
ſchaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen,
denn ſie hatten nur das getan, was ſie für ihre Pflicht gegen
ihr Vaterland hielten, unter völliger Reſpektierung allen
perſönlichen und privaten Eigentums. So weit ſind ſie in
ihrer Rückſicht gegangen, daß ſie häufig hierdurch
Zeitverluſt hatten.
Sei dem wie ihm wolle, wir
brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die
„Emden“ vor Anker liegen zu ſehen, war zweifellos der
leitende Gedanke in uns und zu dieſem Zwecke hatten wir
nach Weſtpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt.

Einer von uns war inzwiſchen wieder auf das Dach ge-
gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke
ſchwarze Rauchwolke aus Nordoſten zeigte uns, daß ein Schiff
mit voller Kraft auf die Inſel losdampfte und als wir alle
auf dem Dache anlangten, war die „Emden“ bereits aus dem
Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem
Dampf nach Nordweſten fahrend. Die Dampfbarkaſſe war
in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinaſſen mit
48 Mann und 4 Maſchinengewehren noch im Schlepptau.
Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo ſich
jetzt das Drama von Tod und Leben abſpielen ſollte. Der
auſtraliſche Kreuzer „Sydney“ kam mit Volldampf in diago-
naler Richtung, um der „Emden“ den Weg abzuſchneiden und
hatte das Signal gehißt: „Heraus zum Kampfe!“
(Come out and fight!) Und die „Emden“, die nun in die
Enge getrieben wurde, ſchien durchaus nicht unwillig und
feuerte den erſten Schuß ab, beinahe in demſelben Augen-
blicke, als ſie klar vor den Inſeln war. Die Entfernung war
ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es ſtellte ſich auch bald
heraus, daß die „Sydney“ das ſchnellere Schiff war. Der
Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten
darauf waren ſie im vollen Gange, die „Emden“ oft mit
ihren ſechs Geſchützen auf die vier der „Sydney“ antwortend.
Worte ſind wohl überflüſſig, um das Pandemonium auf
unſerm Dache zu beſchreiben. Blasphemierende, ver-
wünſchende, fluchende, grunzende und kreiſchende Laute er-
füllten die Luft, je nachdem ein Schuß ſaß oder traf. Andre
wieder ſtarrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in
die Weite. Dieſe Augenblicke der Aufregung waren entſetzlich
und manche von uns liefen hinunter an die Nordſpitze der
Inſel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu
ſein.

Bei Ankunft daſelbſt ſchien es uns, als ob die „Sydney“
Feuer an Bord hätte, ſo völlig war ſie in dichten ſchwarzen
Rauch eingehüllt. Beinahe Todesſtille herrſchte jetzt unter
uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge-
ſchütze, und unſre Aufmerkſamkeit war nur darauf gelenkt,
die Reſultate der einzelnen Schüſſe feſtzuſtellen. Granaten
fielen nun in nächſter Nähe der „Emden“ umher, aber ihre
eigenen Geſchütze konnten trotz beſten Schießens die „Sydney“
nicht erreichen. Unſre Spannung war zu groß, um auch nur
einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Waſſer
ging und eine Waſſerſäule, höher als die Maſten der „Em-
den“ verurſachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab-
ringen.

Wir aber, wir ſtummen Zuſchauer bei dieſem ſchrecklichen
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[Seite 258.[258]/0012] Allgemeine Zeitung 24. April 1915. Hinterhalt drohte, behandelten ſie alles und jedes und jeder- mann mit geradezu göttlichem Gleichmute (supreme in- difference). Ihre Abſicht war bald erkennbar Eine Abteilung eilte zur Telegraphenſtation, die andern wandten ſich zum Funkenturm. Nach einigen Minuten angſtvollen Wartens hieß es plötzlich, daß wir vor dem Gebäude antreten ſollten. Dieſes war ungefähr 6.40 Uhr, eine reichlich frühe Stunde, um vollzählig verſammelt zu ſein. Ich muß es daher euch überlaſſen, euch den wunderbaren Aufzug auszumalen, in dem wir 29 Mann antraten. Nach einigen Minuten waren wir gemuſtert und man hatte uns eine Wache gegeben. In- zwiſchen ging auch die Zerſtörungsarbeit am Telegraphen- gebäude ihren Gang und Schritte wurden unternommen, den Funkenturm in die Luft zu ſprengen. Wir wurden nun lang- ſam nach den Gebäuden in der Strandrichtung abgeſchoben. Unſre Wache war anfänglich kurz angebunden, aber all- mählich gewannen wir ſie und ſie wurde bald freundlich mit uns und antwortete ſogar auf einige unſrer Bemerkungen. Gewiß, anfänglich ſehr einſilbig, aber allmählich ſprachen ſie mit uns in einem Engliſch, welches ihrer eigenen Sprache ſehr ähnlich war. Schließlich wurde uns Aufenthalt in einem Bootsſchuppen angewieſen und da hatten wir ſo lange zu bleiben, als den Deutſchen gefiel, ihr Zerſtörungswerk zu vollenden. Während dieſer ganzen Zeit erklang ein unauf- hörlicher Lärm von Axt und Hammer, und das fortgeſetzte Krachen erinnerte an ein großes Feuer, an das Geräuſch der Feuerwehrbeile, an einſtürzende Wände und Geklirr von zerbrechenden Fenſterſcheiben. Kurz darauf erfolgte die erſte Exploſion am Funkturm. „Du guter alter Funkturm,“ murmelten wir aufgeregt, denn er hatte ſich kaum bewegt. Eine zweite Exploſion ſchien etwas mehr Erfolg zu haben, denn der Turm ſchwankte und zitterte hin und her, ſtand aber noch. Unſre Aufregung ſtieg auf den Höhepunkt und lenkte unſre Aufmerkſamkeit ganz und gar von dem Maſchinengewehr ab, welches uns während der ganzen Zeit gierig angeblickt hatte. Kurz darauf ließ ein un- geheurer Knall uns herumfahren und wir gewahrten den Materialſchuppen in eine dichte Rauchwolke gehüllt. Alle möglichen Dinge wurden dort aufbewahrt, Farbe, Maſchinen- teile, Kabelutenſilien uſw. Während der ganzen Zeit hatte der Lärm in dem Telegraphengebäude nicht aufgehört. In- zwiſchen war eine dritte Ladung am Funkenturm zur Ex- ploſion gebracht, der nun mit beinahe menſchlichem Schauer zuſammenbrach. Während dieſer ganzen Zeit ſahen wir, wie die Fremden alles einer genauen Unterſuchung unterzogen, und der Gedanke an unſre kleinen Habſeligkeiten, die wir vielleicht verlieren könnten, ließ uns allmählich unſre Laune verlieren, denn dieſes tatenloſe Zuſehen war das Schlimmſte von allem. Eine beſſere Einſicht ſagte uns indeſſen, daß die Haupturſache zuviel Aufregung und zu wenig Frühſtück war und wir taten ſofort unſer Beſtes, dem abzuhelfen. Etwas Abwechſlung brachte uns der Befehl, unſre Waffen abzu- liefern, und ich ging mit den andern, um meinen Browning abzugeben, den ich unter einem zerbrochenen Blumentopf in einem Kehrichthaufen verſteckt hatte. Die Deutſchen hatten aber gründlich alles unterſucht, denn mein Browning war be- reits gefunden. Die Patronen, welche in einer leeren Oel- kanne in demſelben Haufen verſteckt waren, waren ihrer Auf- merkſamkeit entgangen. Nun zurück zum Frühſtück. Wie ich ſchon geſagt habe, wurden wir gut behandelt und unſre Wache erwies ſich zugänglich. Augenſcheinlich waren die Leute ſelbſt hungrig, denn bald darauf erſchienen zwei Jungen mit heißem Kaffee und Butterbrötchen. Es gelang mir, in der Schnellig- keit ein Butterbrot zu verſchlingen und eine Taſſe Kaffee zu erlangen, welche mich wieder Menſch werden ließ. Währenddeſſen war von der Landungsmannſchaft eine Dampfbarkaſſe herumgeſchickt, um die Kabel aufzuſuchen. Ob- wohl es in dem durchſichtigen klaren Waſſer leicht war, die Stellen aufzufinden, wo dieſelben verankert waren, obwohl es eine einfache Sache war, herunterzutauchen und die Kabel an die Oberfläche zu bringen; das Durchſchneiden der Kabel war eine andere und ſchwierige Sache. Indeſſen, Axt und Säge taten das ihrige und nach kurzer Zeit waren zwei Kabel erledigt. Bei dem dritten war man beſchäftigt, als plötzlich mit dem Zerſtörungswerk aufgehört wurde, aus Gründen, die uns nicht klar waren, außer, daß wir annahmen, daß der andre Teil der Landungsmannſchaft ſeine Arbeit beendet hatte. Da plötzlich hörten wir die Dampfpfeife der „Emden“ ertönen, maßen dem aber keine Bedeutung bei glaubten auch nur, daß man an Bord vielleicht befürchten könne, unſre durch die Funkenſtation abgegebenen Notrufe wären irgendwo auf- genommen und daß man daher den Beſuch nicht länger aus- dehnen wollte, denn es war inzwiſchen 9 Uhr geworden. Aber die Dampfpfeife ertönte weiter, die Landungsmannſchaft eilte zum Pier und bald war nur noch ein Offizier zurück, der mit unſerm Chef verhandelte. Kurz darauf wurden wir frei- gelaſſen und wir eilten ſofort zu unſern Kameras. Dann be- gleiteten wir den Offizier zum Pier, denn wir haben uns überzeugen müſſen, daß die Deutſchen ſehr viel netterſeinkönnen, als man ſiebeiuns immer darſtellt. Obwohl unſre Gefühle natürlich gemiſchte waren, das eine Gefühl der Bewunderung für dieſe Mann- ſchaft war nach meiner Meinung vorwiegend in uns allen, denn ſie hatten nur das getan, was ſie für ihre Pflicht gegen ihr Vaterland hielten, unter völliger Reſpektierung allen perſönlichen und privaten Eigentums. So weit ſind ſie in ihrer Rückſicht gegangen, daß ſie häufig hierdurch Zeitverluſt hatten. Sei dem wie ihm wolle, wir brachten ein dreifaches Hurra aus und eilten dann zurück. Die „Emden“ vor Anker liegen zu ſehen, war zweifellos der leitende Gedanke in uns und zu dieſem Zwecke hatten wir nach Weſtpoint zu gehen ungefähr eine Meile entfernt. Einer von uns war inzwiſchen wieder auf das Dach ge- gangen und rief uns mit gellender Stimme etwas zu. Eine dicke ſchwarze Rauchwolke aus Nordoſten zeigte uns, daß ein Schiff mit voller Kraft auf die Inſel losdampfte und als wir alle auf dem Dache anlangten, war die „Emden“ bereits aus dem Hafen heraus, ungefähr eine halbe Meile entfernt mit vollem Dampf nach Nordweſten fahrend. Die Dampfbarkaſſe war in der Mittellagune und hatte ihre beiden Pinaſſen mit 48 Mann und 4 Maſchinengewehren noch im Schlepptau. Aller Augen waren auf den weiten Ozean gerichtet, wo ſich jetzt das Drama von Tod und Leben abſpielen ſollte. Der auſtraliſche Kreuzer „Sydney“ kam mit Volldampf in diago- naler Richtung, um der „Emden“ den Weg abzuſchneiden und hatte das Signal gehißt: „Heraus zum Kampfe!“ (Come out and fight!) Und die „Emden“, die nun in die Enge getrieben wurde, ſchien durchaus nicht unwillig und feuerte den erſten Schuß ab, beinahe in demſelben Augen- blicke, als ſie klar vor den Inſeln war. Die Entfernung war ungefähr 6 Meilen, aber zu groß und es ſtellte ſich auch bald heraus, daß die „Sydney“ das ſchnellere Schiff war. Der Kampf war nur eine Frage von Manövern. Zwei Minuten darauf waren ſie im vollen Gange, die „Emden“ oft mit ihren ſechs Geſchützen auf die vier der „Sydney“ antwortend. Worte ſind wohl überflüſſig, um das Pandemonium auf unſerm Dache zu beſchreiben. Blasphemierende, ver- wünſchende, fluchende, grunzende und kreiſchende Laute er- füllten die Luft, je nachdem ein Schuß ſaß oder traf. Andre wieder ſtarrten aufgeregt und zitternd an allen Gliedern in die Weite. Dieſe Augenblicke der Aufregung waren entſetzlich und manche von uns liefen hinunter an die Nordſpitze der Inſel in vergeblichem Bemühen, dem Kampfplatze näher zu ſein. Bei Ankunft daſelbſt ſchien es uns, als ob die „Sydney“ Feuer an Bord hätte, ſo völlig war ſie in dichten ſchwarzen Rauch eingehüllt. Beinahe Todesſtille herrſchte jetzt unter uns, nur unterbrochen durch das dumpfe Donnern der Ge- ſchütze, und unſre Aufmerkſamkeit war nur darauf gelenkt, die Reſultate der einzelnen Schüſſe feſtzuſtellen. Granaten fielen nun in nächſter Nähe der „Emden“ umher, aber ihre eigenen Geſchütze konnten trotz beſten Schießens die „Sydney“ nicht erreichen. Unſre Spannung war zu groß, um auch nur einen Ton äußern zu können und ein Schuß, der ins Waſſer ging und eine Waſſerſäule, höher als die Maſten der „Em- den“ verurſachte, konnte uns nur einen tiefen Seufzer ab- ringen. Wir aber, wir ſtummen Zuſchauer bei dieſem ſchrecklichen Kampfe, die wir alles um uns herum vergeſſen hatten, wurden mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückgebracht

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915, S. Seite 258.[258]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1915/12>, abgerufen am 17.06.2024.