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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915.

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24. April 1915. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] einer wirklich groß gedachten deutschen Welt- und Kolonialpolitik
eine solche Schwächung dieses unruhigen Nachbarn, daß er als
gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erst dann
bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik.
Denn eine großzügige deutsche Welt- und Kolonialpolitik heute
treiben wollen, wo wir im Westen von Frankreich, im Osten von
Rußland bedrängt werden, ist geradeso, als wenn man von den
alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder-
asten zu erobern, und dabei neben sich in Nordafrika, Sizilien und
Spanien das starke Reich der Karthager zu dulden. Wir verstehen
heute in verwandter Zeit das berühmte "Ceterum censeo" des
alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des punischen
Reiches Rom niemals seine Weltrolle spielen konnte. Die Hoff-
nung, diesen französischen Gegner versöhnen zu können, hat sich
immer als trügerisch erwiesen, und muß sich bei dem Charakter
der Franzosen und ihrer ganzen Staatskunst, die immer auf
Prestige und Glanzerfolge zugeschnitten gewesen ist, auch in Zukunft
als trügerisch erweisen. Auch der wohlmeinendsten und friedliebend-
sten deutschen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnsucht
nach der Rheingrenze und vor allem nach Elsaß-Lothringen aus
dem französischen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine
solche Hoffnung unsere Politik gegen Frankreich gründen wollten,
so hieße das nichts anderes als eine Politik der Illusion zu treiben,
die sich in unserer Geschichte stets sehr schlecht bewährt hat. Frank-
reich wird uns diesen heutigen Sieg über seine Kriegsheere so
wenig verzeihen, wie es uns unsere Siege bei Leipzig und Belle-
Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch sogar
vor 1870 in Frankreich "Rache für Königgrätz" verlangt, obgleich
doch diese Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver-
söhnung Frankreichs für möglich hält, der ist kein Völkerpsychologe,
der versteht sich nicht auf die französische Volksseele.

Mit zwingender Logik ergeben sich daher für die deutsche
Politik in diesem Kriege nur die beiden Möglichkeiten: Entweder
schont man Frankreich und sucht es zu versöhnen; dann wird
immer unsere Welt- und Kolonialpolitik zu einem sehr bescheidenen
Dasein verurteilt sein, weil die Feinde, die wir uns außerhalb
Europas durch unseren wirtschaftlichen Aufschwung notwendig
machen müssen, immer auf den Beistand Frankreichs werden
zählen können, dem zugleich ein immer stärker in seiner Bevölke-
rungszahl wachsendes Rußland als Bundesgenosse zur Seite stehen
wird. Denn Rußland, das wir in diesem Kriege nicht bis zur
Unschädlichkeit niederwerfen können, wird auch nach diesem Kriege
auf den Zug nach Konstantinopel so wenig verzichten, wie Frank-
reich auf die deutsche Rheingrenze. Und im Haß gegen uns wer-
den sich beide Mächte immer wieder finden. Jede Macht, die
unserer kolonialen und handelspolitischen Entwicklung feindlich
gegenübersteht, wird also auf die Bundesgenossenschaft dieser beiden
gefährlichen Mächte gegen uns stets rechnen können. Selbst eine
volle Besiegung Englands, wenn sie in diesem Kriege möglich sein
sollte, würde noch lange nicht eine Weltpolitik im großen Stile
für uns ermöglichen. Denn England lebt auch noch in seinen
Kolonien, wie dieser Krieg zur Genüge gezeigt hat. Auch Eng-
lands Kolonien kämpfen heute für Englands Weltstellung, und sie
werden das in Zukunft noch mehr tun, in dem Maße, wie ihre
Bevölkerungszahl und ihre Wehrhaftigkeit zu Wasser wie zu Lande
wachsen werden. Mit diesem Wachstum wird aber eine voraus-
schauende deutsche Politik rechnen müssen.

Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank-
reich in diesem Kriege so zu schwächen, daß es als gefährlicher
Gegner für uns nicht weiter in Betracht kommt. Dann allerdings,
aber auch dann erst werden große Kräfte Deutschlands für die
Weltpolitik frei. Dann haben wir nach einer Seite hin wenigstens
die Ellbogenfreiheit erkämpft, deren wir bedürfen, um uns den
gebührenden Teil an der wirtschaftlichen Welteroberung zu sichern.
Und diesen Anteil müssen wir uns sichern, wenn wir nicht von
den großen Weltmächten England, Rußland und Nordamerika er-
drückt werden wollen.

Alle diese Tatsachen und Möglichkeiten hat dieser Krieg mit
grellen Lichtstrahlen beleuchtet. Er zeigt, wo es uns fehlt; er
zeigt es auch allen denen, die bisher nichts sehen konnten und
sehen wollten. Die Frage wird nun sein, ob aus dieser Situation
unsere deutsche Staatskunst die Konsequenzen zieht und sich der
Situation gewachsen zeigen wird.



[Spaltenumbruch]
Feuilleton
Nochmals die Emden.

Eine englische Schilderung ihres letzten Kampfes.

Die durch den letzten Heldenkampf unsrer tapferen "Em-
den" auch bei uns bekanntgewordenen Kokosinseln be-
herbergen eine wichtige Kabelstation der "Eastern Extension
Australia und China Telegraph Co. Ltd.". Die Kabelgesell-
schaft unterhält auf dieser einsamen, fast unbewohnten Insel-
gruppe einen Stab von etwa 30 Beamten, die von Singapore
aus regelmäßig durch eigene Kabeldampfer verproviantiert
werden. Einer dieser Beamten schrieb an seine in Neu-Seeland
lebenden Angehörigen ausführlich über den Besuch der
"Emden". Dieser Brief gelangte kürzlich in einer Singa-
porer Zeitung
zum Abdruck. Nachdem die betreffende
Nummer des Blattes die zur Zeit des Aufstandes der in-
dischen Garnison besonders scharf gehandhabte Zensur glücklich
durchbrochen hat, hat ein Freund der Deutschen Volks-
zeitung
dieser die nachfolgende Uebersetzung zur Ver-
fügung gestellt:

6.05 Uhr vormittags. Ich wurde in etwas grober Weise
geweckt durch den polternden ..... (der gerade vom
Nachtdienst zurückkehrte). "Hallo, Triggs, aufstehen, ein
Kreuzer mit drei Schornsteinen ist am Hafeneingang!"
"Lügner," sagte ich, auf die andre Seite mich wälzend und
nur daran denkend, noch eine halbe Stunde zu schlafen. Er
blieb aber fest, und so sprang ich aus dem Bette, um ihm zu
beweisen, daß er log, und stolperte in meinem Schlafanzug
auf das flache Dach unsres Bungalows. Jetzt wachte ich hör-
bar auf. Drüben auf See, noch nicht eine Seemeile entfernt,
waren über den Spitzen der Kokospalmen zwei hohe Masten
zu sehen, drei graue Schornsteine und direlt dahinter am
vorderen Maste etwas, was von weitem genau wie ein vierter
Schornstein aussah. Bestürzt eilte ich hinunter in der Richtung
der Lagune -- unsre friedliche Lagune -- und dort sah ich ein
kleines Dampfboot mit zwei großen Pinassen im Schlepp-
tau, gerammt voll mit Menschen, die, wie ich mit Hilfe meines
guten Fernglases erkennen konnte, bewaffnet waren und un-
gewohnt aussehende Khaki topees in der Form von Helmen
trugen. "Mein Gott, also doch," sagte ich laut, denn ich darf
jetzt erzählen, daß wir die "Emden" hier erwartet haben, seit
man zuerst von ihr hörte, und nun erscheint es mehr als
wahrscheinlich, daß das Schiff. welches wir am Abend des
1. September in einer Entfernung von ungefähr zwei See-
meilen sichteten, die "Emden" war. Aber das war in der
Woche, als wir verschiedene Kriegsschiffe hier in unsrer Nähe
hatten, und so passierte es, daß wir in drahtloser Verbindung
mit zweien von ihnen zu jener Zeit waren. Wie dem auch
sei, das Schiff hatte verdächtigerweise alle Lichter aus, stoppte
für ungefähr 1/4 Stunde, drehte dann und dampfte in nord-
westlicher Richtung davon. Die Vermutung war, daß der
Besuch in der Nacht wiederholt würde, aber nichts wurde
mehr gesehen. Dieses ist einer von den Schreckschüssen, die
wir erlebt haben.

Doch nun zurück auf das Dach. Sowie ich begriffen hatte,
daß der Besuch uns zugedacht war, flog ich nach unten und
rief mit gellender Stimme meine Beobachtungen aus. Dieses
genügte, und es spricht für die Entschlossenheit und die
Dißiplin unseres Personals, daß die Nachricht sofort nach
Perth, Adelaide, Weltevoeden, Singapore, Rodriguez, Durban
und London durchgesandt wurde. Notsignale wurden durch
Funkenspruch 10 Minuten lang hinausgesandt. Selbstver-
ständlich versuchte die draußen liegende "Emden" fortgesetzt
unsre Funksprüche aufzufangen und zu verwirren. Der Tele-
graphist hatte kaum das letzte Wort durchgesandt, die Funk-
station war noch mitten in der Arbeit, als die Deutschen
landeten. Mein erster Gedanke war meine photographische
Kamera. Ich lief also zur Dunkelkammer, um einige Platten
einzulegen, und kam gerade wieder heraus, als die Deutschen
sich in zwei Gliedern formiert hatten. Mit alleiniger Aus-
nahme von etwas Gebüsch in der Nähe der Landungsbrücke,
durch welches sie hindurchliefen, um nachzusehen, ob kein

24. April 1915. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] einer wirklich groß gedachten deutſchen Welt- und Kolonialpolitik
eine ſolche Schwächung dieſes unruhigen Nachbarn, daß er als
gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erſt dann
bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik.
Denn eine großzügige deutſche Welt- und Kolonialpolitik heute
treiben wollen, wo wir im Weſten von Frankreich, im Oſten von
Rußland bedrängt werden, iſt geradeſo, als wenn man von den
alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder-
aſten zu erobern, und dabei neben ſich in Nordafrika, Sizilien und
Spanien das ſtarke Reich der Karthager zu dulden. Wir verſtehen
heute in verwandter Zeit das berühmte „Ceterum censeo“ des
alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des puniſchen
Reiches Rom niemals ſeine Weltrolle ſpielen konnte. Die Hoff-
nung, dieſen franzöſiſchen Gegner verſöhnen zu können, hat ſich
immer als trügeriſch erwieſen, und muß ſich bei dem Charakter
der Franzoſen und ihrer ganzen Staatskunſt, die immer auf
Preſtige und Glanzerfolge zugeſchnitten geweſen iſt, auch in Zukunft
als trügeriſch erweiſen. Auch der wohlmeinendſten und friedliebend-
ſten deutſchen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnſucht
nach der Rheingrenze und vor allem nach Elſaß-Lothringen aus
dem franzöſiſchen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine
ſolche Hoffnung unſere Politik gegen Frankreich gründen wollten,
ſo hieße das nichts anderes als eine Politik der Illuſion zu treiben,
die ſich in unſerer Geſchichte ſtets ſehr ſchlecht bewährt hat. Frank-
reich wird uns dieſen heutigen Sieg über ſeine Kriegsheere ſo
wenig verzeihen, wie es uns unſere Siege bei Leipzig und Belle-
Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch ſogar
vor 1870 in Frankreich „Rache für Königgrätz“ verlangt, obgleich
doch dieſe Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver-
ſöhnung Frankreichs für möglich hält, der iſt kein Völkerpſychologe,
der verſteht ſich nicht auf die franzöſiſche Volksſeele.

Mit zwingender Logik ergeben ſich daher für die deutſche
Politik in dieſem Kriege nur die beiden Möglichkeiten: Entweder
ſchont man Frankreich und ſucht es zu verſöhnen; dann wird
immer unſere Welt- und Kolonialpolitik zu einem ſehr beſcheidenen
Daſein verurteilt ſein, weil die Feinde, die wir uns außerhalb
Europas durch unſeren wirtſchaftlichen Aufſchwung notwendig
machen müſſen, immer auf den Beiſtand Frankreichs werden
zählen können, dem zugleich ein immer ſtärker in ſeiner Bevölke-
rungszahl wachſendes Rußland als Bundesgenoſſe zur Seite ſtehen
wird. Denn Rußland, das wir in dieſem Kriege nicht bis zur
Unſchädlichkeit niederwerfen können, wird auch nach dieſem Kriege
auf den Zug nach Konſtantinopel ſo wenig verzichten, wie Frank-
reich auf die deutſche Rheingrenze. Und im Haß gegen uns wer-
den ſich beide Mächte immer wieder finden. Jede Macht, die
unſerer kolonialen und handelspolitiſchen Entwicklung feindlich
gegenüberſteht, wird alſo auf die Bundesgenoſſenſchaft dieſer beiden
gefährlichen Mächte gegen uns ſtets rechnen können. Selbſt eine
volle Beſiegung Englands, wenn ſie in dieſem Kriege möglich ſein
ſollte, würde noch lange nicht eine Weltpolitik im großen Stile
für uns ermöglichen. Denn England lebt auch noch in ſeinen
Kolonien, wie dieſer Krieg zur Genüge gezeigt hat. Auch Eng-
lands Kolonien kämpfen heute für Englands Weltſtellung, und ſie
werden das in Zukunft noch mehr tun, in dem Maße, wie ihre
Bevölkerungszahl und ihre Wehrhaftigkeit zu Waſſer wie zu Lande
wachſen werden. Mit dieſem Wachstum wird aber eine voraus-
ſchauende deutſche Politik rechnen müſſen.

Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank-
reich in dieſem Kriege ſo zu ſchwächen, daß es als gefährlicher
Gegner für uns nicht weiter in Betracht kommt. Dann allerdings,
aber auch dann erſt werden große Kräfte Deutſchlands für die
Weltpolitik frei. Dann haben wir nach einer Seite hin wenigſtens
die Ellbogenfreiheit erkämpft, deren wir bedürfen, um uns den
gebührenden Teil an der wirtſchaftlichen Welteroberung zu ſichern.
Und dieſen Anteil müſſen wir uns ſichern, wenn wir nicht von
den großen Weltmächten England, Rußland und Nordamerika er-
drückt werden wollen.

Alle dieſe Tatſachen und Möglichkeiten hat dieſer Krieg mit
grellen Lichtſtrahlen beleuchtet. Er zeigt, wo es uns fehlt; er
zeigt es auch allen denen, die bisher nichts ſehen konnten und
ſehen wollten. Die Frage wird nun ſein, ob aus dieſer Situation
unſere deutſche Staatskunſt die Konſequenzen zieht und ſich der
Situation gewachſen zeigen wird.



[Spaltenumbruch]
Feuilleton
Nochmals die Emden.

Eine engliſche Schilderung ihres letzten Kampfes.

Die durch den letzten Heldenkampf unſrer tapferen „Em-
den“ auch bei uns bekanntgewordenen Kokosinſeln be-
herbergen eine wichtige Kabelſtation der „Eaſtern Extenſion
Auſtralia und China Telegraph Co. Ltd.“. Die Kabelgeſell-
ſchaft unterhält auf dieſer einſamen, faſt unbewohnten Inſel-
gruppe einen Stab von etwa 30 Beamten, die von Singapore
aus regelmäßig durch eigene Kabeldampfer verproviantiert
werden. Einer dieſer Beamten ſchrieb an ſeine in Neu-Seeland
lebenden Angehörigen ausführlich über den Beſuch der
„Emden“. Dieſer Brief gelangte kürzlich in einer Singa-
porer Zeitung
zum Abdruck. Nachdem die betreffende
Nummer des Blattes die zur Zeit des Aufſtandes der in-
diſchen Garniſon beſonders ſcharf gehandhabte Zenſur glücklich
durchbrochen hat, hat ein Freund der Deutſchen Volks-
zeitung
dieſer die nachfolgende Ueberſetzung zur Ver-
fügung geſtellt:

6.05 Uhr vormittags. Ich wurde in etwas grober Weiſe
geweckt durch den polternden ..... (der gerade vom
Nachtdienſt zurückkehrte). „Hallo, Triggs, aufſtehen, ein
Kreuzer mit drei Schornſteinen iſt am Hafeneingang!“
„Lügner,“ ſagte ich, auf die andre Seite mich wälzend und
nur daran denkend, noch eine halbe Stunde zu ſchlafen. Er
blieb aber feſt, und ſo ſprang ich aus dem Bette, um ihm zu
beweiſen, daß er log, und ſtolperte in meinem Schlafanzug
auf das flache Dach unſres Bungalows. Jetzt wachte ich hör-
bar auf. Drüben auf See, noch nicht eine Seemeile entfernt,
waren über den Spitzen der Kokospalmen zwei hohe Maſten
zu ſehen, drei graue Schornſteine und direlt dahinter am
vorderen Maſte etwas, was von weitem genau wie ein vierter
Schornſtein ausſah. Beſtürzt eilte ich hinunter in der Richtung
der Lagune — unſre friedliche Lagune — und dort ſah ich ein
kleines Dampfboot mit zwei großen Pinaſſen im Schlepp-
tau, gerammt voll mit Menſchen, die, wie ich mit Hilfe meines
guten Fernglaſes erkennen konnte, bewaffnet waren und un-
gewohnt ausſehende Khaki topees in der Form von Helmen
trugen. „Mein Gott, alſo doch,“ ſagte ich laut, denn ich darf
jetzt erzählen, daß wir die „Emden“ hier erwartet haben, ſeit
man zuerſt von ihr hörte, und nun erſcheint es mehr als
wahrſcheinlich, daß das Schiff. welches wir am Abend des
1. September in einer Entfernung von ungefähr zwei See-
meilen ſichteten, die „Emden“ war. Aber das war in der
Woche, als wir verſchiedene Kriegsſchiffe hier in unſrer Nähe
hatten, und ſo paſſierte es, daß wir in drahtloſer Verbindung
mit zweien von ihnen zu jener Zeit waren. Wie dem auch
ſei, das Schiff hatte verdächtigerweiſe alle Lichter aus, ſtoppte
für ungefähr ¼ Stunde, drehte dann und dampfte in nord-
weſtlicher Richtung davon. Die Vermutung war, daß der
Beſuch in der Nacht wiederholt würde, aber nichts wurde
mehr geſehen. Dieſes iſt einer von den Schreckſchüſſen, die
wir erlebt haben.

Doch nun zurück auf das Dach. Sowie ich begriffen hatte,
daß der Beſuch uns zugedacht war, flog ich nach unten und
rief mit gellender Stimme meine Beobachtungen aus. Dieſes
genügte, und es ſpricht für die Entſchloſſenheit und die
Diſziplin unſeres Perſonals, daß die Nachricht ſofort nach
Perth, Adelaide, Weltevoeden, Singapore, Rodriguez, Durban
und London durchgeſandt wurde. Notſignale wurden durch
Funkenſpruch 10 Minuten lang hinausgeſandt. Selbſtver-
ſtändlich verſuchte die draußen liegende „Emden“ fortgeſetzt
unſre Funkſprüche aufzufangen und zu verwirren. Der Tele-
graphiſt hatte kaum das letzte Wort durchgeſandt, die Funk-
ſtation war noch mitten in der Arbeit, als die Deutſchen
landeten. Mein erſter Gedanke war meine photographiſche
Kamera. Ich lief alſo zur Dunkelkammer, um einige Platten
einzulegen, und kam gerade wieder heraus, als die Deutſchen
ſich in zwei Gliedern formiert hatten. Mit alleiniger Aus-
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[Seite 257.[257]/0011] 24. April 1915. Allgemeine Zeitung einer wirklich groß gedachten deutſchen Welt- und Kolonialpolitik eine ſolche Schwächung dieſes unruhigen Nachbarn, daß er als gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erſt dann bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik. Denn eine großzügige deutſche Welt- und Kolonialpolitik heute treiben wollen, wo wir im Weſten von Frankreich, im Oſten von Rußland bedrängt werden, iſt geradeſo, als wenn man von den alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder- aſten zu erobern, und dabei neben ſich in Nordafrika, Sizilien und Spanien das ſtarke Reich der Karthager zu dulden. Wir verſtehen heute in verwandter Zeit das berühmte „Ceterum censeo“ des alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des puniſchen Reiches Rom niemals ſeine Weltrolle ſpielen konnte. Die Hoff- nung, dieſen franzöſiſchen Gegner verſöhnen zu können, hat ſich immer als trügeriſch erwieſen, und muß ſich bei dem Charakter der Franzoſen und ihrer ganzen Staatskunſt, die immer auf Preſtige und Glanzerfolge zugeſchnitten geweſen iſt, auch in Zukunft als trügeriſch erweiſen. Auch der wohlmeinendſten und friedliebend- ſten deutſchen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnſucht nach der Rheingrenze und vor allem nach Elſaß-Lothringen aus dem franzöſiſchen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine ſolche Hoffnung unſere Politik gegen Frankreich gründen wollten, ſo hieße das nichts anderes als eine Politik der Illuſion zu treiben, die ſich in unſerer Geſchichte ſtets ſehr ſchlecht bewährt hat. Frank- reich wird uns dieſen heutigen Sieg über ſeine Kriegsheere ſo wenig verzeihen, wie es uns unſere Siege bei Leipzig und Belle- Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch ſogar vor 1870 in Frankreich „Rache für Königgrätz“ verlangt, obgleich doch dieſe Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver- ſöhnung Frankreichs für möglich hält, der iſt kein Völkerpſychologe, der verſteht ſich nicht auf die franzöſiſche Volksſeele. Mit zwingender Logik ergeben ſich daher für die deutſche Politik in dieſem Kriege nur die beiden Möglichkeiten: Entweder ſchont man Frankreich und ſucht es zu verſöhnen; dann wird immer unſere Welt- und Kolonialpolitik zu einem ſehr beſcheidenen Daſein verurteilt ſein, weil die Feinde, die wir uns außerhalb Europas durch unſeren wirtſchaftlichen Aufſchwung notwendig machen müſſen, immer auf den Beiſtand Frankreichs werden zählen können, dem zugleich ein immer ſtärker in ſeiner Bevölke- rungszahl wachſendes Rußland als Bundesgenoſſe zur Seite ſtehen wird. Denn Rußland, das wir in dieſem Kriege nicht bis zur Unſchädlichkeit niederwerfen können, wird auch nach dieſem Kriege auf den Zug nach Konſtantinopel ſo wenig verzichten, wie Frank- reich auf die deutſche Rheingrenze. Und im Haß gegen uns wer- den ſich beide Mächte immer wieder finden. Jede Macht, die unſerer kolonialen und handelspolitiſchen Entwicklung feindlich gegenüberſteht, wird alſo auf die Bundesgenoſſenſchaft dieſer beiden gefährlichen Mächte gegen uns ſtets rechnen können. Selbſt eine volle Beſiegung Englands, wenn ſie in dieſem Kriege möglich ſein ſollte, würde noch lange nicht eine Weltpolitik im großen Stile für uns ermöglichen. Denn England lebt auch noch in ſeinen Kolonien, wie dieſer Krieg zur Genüge gezeigt hat. Auch Eng- lands Kolonien kämpfen heute für Englands Weltſtellung, und ſie werden das in Zukunft noch mehr tun, in dem Maße, wie ihre Bevölkerungszahl und ihre Wehrhaftigkeit zu Waſſer wie zu Lande wachſen werden. Mit dieſem Wachstum wird aber eine voraus- ſchauende deutſche Politik rechnen müſſen. Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank- reich in dieſem Kriege ſo zu ſchwächen, daß es als gefährlicher Gegner für uns nicht weiter in Betracht kommt. Dann allerdings, aber auch dann erſt werden große Kräfte Deutſchlands für die Weltpolitik frei. Dann haben wir nach einer Seite hin wenigſtens die Ellbogenfreiheit erkämpft, deren wir bedürfen, um uns den gebührenden Teil an der wirtſchaftlichen Welteroberung zu ſichern. Und dieſen Anteil müſſen wir uns ſichern, wenn wir nicht von den großen Weltmächten England, Rußland und Nordamerika er- drückt werden wollen. Alle dieſe Tatſachen und Möglichkeiten hat dieſer Krieg mit grellen Lichtſtrahlen beleuchtet. Er zeigt, wo es uns fehlt; er zeigt es auch allen denen, die bisher nichts ſehen konnten und ſehen wollten. Die Frage wird nun ſein, ob aus dieſer Situation unſere deutſche Staatskunſt die Konſequenzen zieht und ſich der Situation gewachſen zeigen wird. Wolfgang Eiſenhart. Feuilleton Nochmals die Emden. Eine engliſche Schilderung ihres letzten Kampfes. Die durch den letzten Heldenkampf unſrer tapferen „Em- den“ auch bei uns bekanntgewordenen Kokosinſeln be- herbergen eine wichtige Kabelſtation der „Eaſtern Extenſion Auſtralia und China Telegraph Co. Ltd.“. Die Kabelgeſell- ſchaft unterhält auf dieſer einſamen, faſt unbewohnten Inſel- gruppe einen Stab von etwa 30 Beamten, die von Singapore aus regelmäßig durch eigene Kabeldampfer verproviantiert werden. Einer dieſer Beamten ſchrieb an ſeine in Neu-Seeland lebenden Angehörigen ausführlich über den Beſuch der „Emden“. Dieſer Brief gelangte kürzlich in einer Singa- porer Zeitung zum Abdruck. Nachdem die betreffende Nummer des Blattes die zur Zeit des Aufſtandes der in- diſchen Garniſon beſonders ſcharf gehandhabte Zenſur glücklich durchbrochen hat, hat ein Freund der Deutſchen Volks- zeitung dieſer die nachfolgende Ueberſetzung zur Ver- fügung geſtellt: 6.05 Uhr vormittags. Ich wurde in etwas grober Weiſe geweckt durch den polternden ..... (der gerade vom Nachtdienſt zurückkehrte). „Hallo, Triggs, aufſtehen, ein Kreuzer mit drei Schornſteinen iſt am Hafeneingang!“ „Lügner,“ ſagte ich, auf die andre Seite mich wälzend und nur daran denkend, noch eine halbe Stunde zu ſchlafen. Er blieb aber feſt, und ſo ſprang ich aus dem Bette, um ihm zu beweiſen, daß er log, und ſtolperte in meinem Schlafanzug auf das flache Dach unſres Bungalows. Jetzt wachte ich hör- bar auf. Drüben auf See, noch nicht eine Seemeile entfernt, waren über den Spitzen der Kokospalmen zwei hohe Maſten zu ſehen, drei graue Schornſteine und direlt dahinter am vorderen Maſte etwas, was von weitem genau wie ein vierter Schornſtein ausſah. Beſtürzt eilte ich hinunter in der Richtung der Lagune — unſre friedliche Lagune — und dort ſah ich ein kleines Dampfboot mit zwei großen Pinaſſen im Schlepp- tau, gerammt voll mit Menſchen, die, wie ich mit Hilfe meines guten Fernglaſes erkennen konnte, bewaffnet waren und un- gewohnt ausſehende Khaki topees in der Form von Helmen trugen. „Mein Gott, alſo doch,“ ſagte ich laut, denn ich darf jetzt erzählen, daß wir die „Emden“ hier erwartet haben, ſeit man zuerſt von ihr hörte, und nun erſcheint es mehr als wahrſcheinlich, daß das Schiff. welches wir am Abend des 1. September in einer Entfernung von ungefähr zwei See- meilen ſichteten, die „Emden“ war. Aber das war in der Woche, als wir verſchiedene Kriegsſchiffe hier in unſrer Nähe hatten, und ſo paſſierte es, daß wir in drahtloſer Verbindung mit zweien von ihnen zu jener Zeit waren. Wie dem auch ſei, das Schiff hatte verdächtigerweiſe alle Lichter aus, ſtoppte für ungefähr ¼ Stunde, drehte dann und dampfte in nord- weſtlicher Richtung davon. Die Vermutung war, daß der Beſuch in der Nacht wiederholt würde, aber nichts wurde mehr geſehen. Dieſes iſt einer von den Schreckſchüſſen, die wir erlebt haben. Doch nun zurück auf das Dach. Sowie ich begriffen hatte, daß der Beſuch uns zugedacht war, flog ich nach unten und rief mit gellender Stimme meine Beobachtungen aus. Dieſes genügte, und es ſpricht für die Entſchloſſenheit und die Diſziplin unſeres Perſonals, daß die Nachricht ſofort nach Perth, Adelaide, Weltevoeden, Singapore, Rodriguez, Durban und London durchgeſandt wurde. Notſignale wurden durch Funkenſpruch 10 Minuten lang hinausgeſandt. Selbſtver- ſtändlich verſuchte die draußen liegende „Emden“ fortgeſetzt unſre Funkſprüche aufzufangen und zu verwirren. Der Tele- graphiſt hatte kaum das letzte Wort durchgeſandt, die Funk- ſtation war noch mitten in der Arbeit, als die Deutſchen landeten. Mein erſter Gedanke war meine photographiſche Kamera. Ich lief alſo zur Dunkelkammer, um einige Platten einzulegen, und kam gerade wieder heraus, als die Deutſchen ſich in zwei Gliedern formiert hatten. Mit alleiniger Aus- nahme von etwas Gebüſch in der Nähe der Landungsbrücke, durch welches ſie hindurchliefen, um nachzuſehen, ob kein

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915, S. Seite 257.[257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1915/11>, abgerufen am 17.06.2024.