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Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] schloß sich dem allgemeinen Ansuchen an. Das ist natürlich nur der Anfang
der Centralisation; binnen einem Jahr werden darin die Nizzarden schon
weitere Erfahrungen gemacht haben.

Wegen des unaufhörlichen Ne-
gens mußte die gestrige Annexionsfeier größtentheils unter Dach und Fach ab-
gemacht werden. Nach der Uebergabe des Landes an den kaiserl. Commissär
Laity setzte derselbe Hrn. Dieu als Präfecten des Departements Nieder-
Savoyen (Chambery) ein, wobei er das andere Departement (Hoch-Savoyen,
Hauptstadt Annecy) nicht erwähnte. Die beiden ersten Erlasse Dieu's sind:
die Aufhebung des Lotto als verboten durch die franzöfische Gesetzgebung,
sodann eine Rüge an die Bewohner der Hauptstadt welche die zahlreiche Ein-
quartierung mit Geld abzuspeisen suchen. (Die Leute haben eben keine Bet-
ten für die ungebetenen Gäste.) Perrier, der Generalmajor der savoyischen
Brigade welcher unter Frankreich nicht dienen wollte, und welchen Victor
Emmanuel nicht behält, verabschiedet sich von seinen Kriegsgefährten in einem
Aufruf welcher sie zu fernerem devouement a la patrie aufforderte; die ad-
dirende Censur fügte hinzu: et a votre souverain. Die Bürgerannahme
des nordsavoy'schen Comite's in Genf macht stutzig, neidig und sonst viel
zu reden.

Rußland und Polen.

Es verdient wohl
bemerkt zu werden in wie auffälliger Weise der Panslavismus, sonst als revo-
lutionäre Agitation von den russischen Behörden aufs bitterste verfolgt, von
ihnen begünstigt wird; offenbar glaubt man in ihm eine Stütze der Plane
Rußlands in Beziehung auf den Orient zu gewinnen, und darin dürfte man
sich nicht täuschen. Ist doch jetzt schon nicht bloß der höhere polnische Adel,
sondern auch die ganze gemäßigte Demokratie von Sympathien für Rußland
erfüllt, und nur die Republicaner vom reinsten Wasser halten am Russenhaß
unerbittlich fest; es sind die polnischen Mazzinisten. -- Die für den Papst
unter dem polnischen Adel veranstalteten Sammlungen haben bis jetzt nennens
werthe Resultate nicht geliefert; sie sind jedoch in so fern bemerkenswerth, als
sie auf den religiösen Gehalt des polnischen Katholicismus ein helles Licht
werfen. Die vornehmen Polen sind ihrem ganzen Wesen nach keine religiösen
Zeloten, schienen es aber seit einiger Zeit aus politischem Antagonismus gegen
Rußland und Preußen; jetzt wo es gilt ihre Anhänglichkeit an den Papst zu
zeigen, sind es außer den Frauen, die durchweg der klerikalen Partei ange-
hören, nur wenige welche zu Opfern für die Sache der Kirche bereit sind; die
große Mehrzahl schwärmt für Garibaldi, und knüpft an die Erfolge seines
Unternehmens die kühnsten Hoffnungen für die eigene Nationalität. -- Der
Posener "Dziennik" berichtet heute von dem unheilbaren Zerwürfniß unter
der polnischen Emigration. Das Revolutionscomite in London wird heftig
angegriffen daß es sich von der Posener Polizei jahrelang habe hinters Licht
führen lassen; und der "Demokrata Polski" zeiht die Emigration eines ver-
brecherischen Leichtsinns. Das Comite habe keine Zukunft mehr, seine Mission
sey beendet; es solle sich wegen der Vergangenheit rechtfertigen, damit die Ge-
schichte ihm sein Handeln nicht als Verrath anrechne etc. -- Der "Czas" trut
einmal wieder heftig gegen Preußen auf, und sagt über die Bestrebungen der
polnischen Deputirten des letzten preußischen Landtags: wie ausdauernd, ruhig
und maßvoll sie auch auftraten, sie stießen überall auf Abneigung, und selbst
ihre gemäßigtsten Ansprüche bereiteten ihnen nur Täuschungen. Der "Czas"
citirt dann die Worte Dante's: "Wer hier eingeht, lasse jede Hoffnung hinter
sich!"

Der landwirthschaftliche Verein des König
reichs Polen hatte in den letzten Jahren eine so tiefgreifende Wirksamkeit ent-
wickelt, daß seine Bedeutung als nationales Institut im ganzen Lande fühlbar
wurde, in Folge dessen er aber auch von mancher hochstehenden Persönlichkeit
als die "organisirte Revolution" in St. Petersburg bezeichnet ward. Diese
Vorstellung scheint in den maßgebenden Kreisen als die richtige erkannt worden
zu seyn, und so ist denn mittelst Rescripts des Fürsten-Statthalters vom
23 Mai dem Verein kundgegeben worden daß er in Folge kaiserlichen Befehls
seine Thätigkeit lediglich auf rein in Warschau abzuhaltenden allgemeinen
Versammlungen einzuschränken habe. Jede Einsetzung einer Unterabtheilung,
jede Bildung eines Comite's oder einer Kreisdelegation ist fernerhin unter-
sagt, ebenso die Kreisausstellungen, das Pflügeproben, das Austheilen von
Preisen und Belohnungen. Letzteres dürfe nur durch die allgemeine Ver-
sammlung oder die Administrativbehörden geschehen. Werde zeitweilig eine
Delegation erlaubt, so dürfe sie höchstens aus drei Personen bestehen. Der
"Czas" in Krakau begleitet diese Maßregel mit folgender Bemerkung: "Wie
auch die schlimmste Sache ihre gute Seite hat, so auch dieses Rescript. Das-
selbe kann nämlich in den Augen Europa's als ein neuer Beweis gelten daß
der Kriegszustand, unter welchem sich das Königreich Polen bei Lebzeiten des
Kaisers Nikolaus befand, sich wenig verändert hat. Die Regierung sieht den
Zusammentritt mehrerer Leute zum Abhalten eines Pflügeprobens oder einer
Thierschau als etwas beunruhigendes an, und gestattet hochstens das Zusam-
mentreten von drei Leuten wie zur Zeit des Belagerungszustandes."

Serbien.

So viel auch immer gewisse Zeitungen über
den aller Hoffnung entbehrenden Gesundheitszustand des Fürsten reden, so
ist doch daran in der That sehr wenig. Fürst Milosch, der bekannt-
lich an einem organischen Herzübel leidet, befindet sich ganz wohl, und der-
[Spaltenumbruch] malen auf der Reise im Innern Serbiens und nach dem Bade Alexinaty.
Noch vor seiner Abreise ordnete er an daß sich eine aus dem Senatspräsiden-
ten Steftscha Michailowitsch und dem ersten fürstlichen Adjutanten Dragetin
Schabaratz, nebst zwei Dolmetschern für die französische und türkische Sprache,
bestehende Commission nach Widdin begebe, um den dort erwarteten Groß-
wessier bei seiner Bereisung der türkischen Provinzen zu begrüßen. In kei-
nem Fall dürfte der Großwessier nach Serbien kommen. -- Auch einige hoch-
gestellte Fremde sind abwesend von hier, und die Fama will behaupten diese
hätten sich ebenfalls nach Widdin begeben. Im übrigen herrscht hier volle
Ruhe, und es hat keinen Anschein als sollte diese gestört werden. -- Am
19 Jul. wird die hiesige evangelische Gemeinde die ihr von der serbischen
Regierung geschenkte Kirche einweihen. Neben dieser Kirche will die Ge-
meinde noch in diesem Sommer eine Schule nebst Pfarrerwohnung aus eige-
nen Mitteln erbauen.

Türkei.

Eine Petition von Einwohnern Bul-
gariens (sie soll mit 4000 Unterschriften versehen seyn) erhebt die Beschwerde
daß binnen drei Monaten neunzehn griechische Jungfrauen für die Harems
geraubt, und gezwungen worden seyen ihren Glauben abzuschwören; ihre
Eltern hätten reclamirt und seyen ermordet worden. -- Den Großwesir
Kibrisli Pascha begleiten fünfzig Beamte, um ihm bei der Untersuchung über
die Beschwerden der Christen behülflich zu seyn. Man versichert: eine gleiche
Mission solle sofort nach Asien abgeschickt werden. -- Sir H. Bulwer hat
eine entschiedene Sprache geführt, und die Abschaffung der Mißbräuche zur
Bedingung des Beistandes Englands gemacht. Der Sultan hörte den brit-
tischen Diplomaten mit Wohlwollen an, und überschickte, wie das "J. de
Constantinople" mittheilt, dem ehrenwerthen Baronet sein Bildniß. (Indep.)

Ver. Staaten von Nordamerika.

Im Senat zu Washington war am 31 Mai
die Ratification des mit Mexico abgeschlossenen Vertrags durch eine große
Majorität verworfen worden. Sämmtliche Republicaner, mit Ausnahme
eines einzigen (Trumbull aus Illinois) stimmten gegen die Ratification.
Senator Seward, der Tags zuvor nach langer Abwesenheit seinen Sitz ein-
nahm, wurde von den Senatoren beider Parteien sehr warm empfangen. --
Aus New-London, in Connecticut, ist am 29 Mai unter der Leitung von B.
T. Hall, eine kleine Expedition zur weitern Aufsuchung von Franklins Spu-
ren (eventuelle Auffindung seiner Reisegefährten) abgegangen. -- Berichten
aus San Francisco vom 18 v. M. zufolge waren 105 Freiwillige, unter
Major Ormsby's Leitung, am 12 durch Indianer überfallen worden. Ormsby
selbst und viele seiner Gefährten blieben auf der Walstatt. Nur 38 sind bis
jetzt glücklich in die Anstedlung zurückgekommen. Was aus ihnen allen ge-
geworden, darüber herrscht noch Ungewißheit. -- Baumwolle matt, auf der
Basis von 111/4 -- 3/8 . (E. Bl.)

Handels- und Börsennachrichten.

Die jüngste Börsenwoche zeichnete
sich durch eine sehr angeregte und günstige Stimmung aus. Das Hauptmotiv lag
in der erfreulichen Wendung der deutschen Angelegenheiten, in welcher man zu-
gleich eine größere Bürgschaft der Sicherheit und Ruhe nach außen erblickt. Wel-
ches auch die Plane der französischen Politik und die Beweggründe des kaiserlichen
Besuchs in Baden seyn mögen, die sich immer sichtbarer als Thatsache gestaltende
Eintracht der deutschen Fürsten und Völker muß uns zur vollen Beruhigung die-
nen daß weder List noch Gewalt Deutschland gegenüber verfangen werden. Uebri-
gens scheint auch die innere Lage Frankreichs, bei den Bemühungen des Tuillerien-
cabinets über seine Absichten zu beruhigen, keinen unwesentlichen Factor zu bilden.
Von der Stockung des Handels und des Verkehrs, in Folge des politischen Miß-
trauens, legt der neueste Bankausweis sprechendes Zeugniß ab; überdieß sind die
Ernteaussichten schwankend. Beides zusammengenommen muß höchst verstimmend
auf die arbeitenden Classen, diese fast einzige Stütze des Jmperialismus, wirken.
Auch die Pariser Börse empfindet den Druck und die Unbehaglichkeit der innern
Zustände, die Geldbedürfnisse des Staats, der Eisenbahngesellschaften u. s. w. Sie ist
deßhalb flau in demselben Augenblick wo die deutschen Börsen sich zu heben beginnen!
Dieser Contraft darf indessen die letzteren nicht wankend machen, sollte vielmehr als Anlaß
dienen die längst als lästig empfundene Beeinflussung von der Seine her abzuschütteln.
Wenn -- wie wir jüngst erwähnten -- die günstigere Gestaltung der inneren Berhält-
nisse Oesterreichs seit Eröffnung des verstärkten Reichsraths unter der Einwirkung
der äußeren Politik sich an der Börse nicht geltend machen konnte, so ist dieß in
den letzten Tagen wesentlich besser geworden. Die äußere Politik tritt in den Hinter-
grund vor der beruhigenden Thatsache deutscher Eintracht, die sich hoffentlich auch
bis zu vollkommener Verständigung mit Oesterreich erstrecken wird. Dabei kommen
natürlich die besseren Aussichten welche für die neue Gestaltung des Kaiserreichs in
jüngster Zeit gewonnen worden, wesentlich in Betracht; das Vertrauen wächst, und
der anhaltende Rückgang der Balutencurse in Wien (wenn auch theilweise localen
Ursachen entspringend) ist ein weiterer Antrieb zum Steigen der Effecten. Gegen-
über der bisher von uns öfter erwähnteu Zurückhaltung der Capitalisten darf nicht
unbemerkt bleiben daß letztere sich seit kurzem wiedet lebhafter an dem Ankauf
österreichischer und anderer gangbaren Effecten betheiligen.

Der Gesammtstand des gestern abgehaltenen Getreide-
marktes betrug 6001 Schäffel, wovon 2969 Schäffel verkauft und 3032 Schäffel
in Rest blieben. Rorschach und Bregenz, wie auch der hiesige Markt, hielten
an den Notirungen der Vorwoche fest, und gieng hier Weizen zu 23 fl. 17 kr. bis
23 fl. 49 kr., Kern zu 21 fl. 56 kr. bis 23 fl. 1 kr., mit Preisrückgang von
23 kr., Haber zu 8 fl. bis 8 fl. 36 kr., mit Aufschlag von 12 kr., ab. In An-
schaffung von Roggen hielten die Käufer sehr zurück; Prima-Sorte stellte sich zu
17 fl. fest. Umsatzsumme: 66,734 fl. 35 kr. Witterung für Saatenstand und
Traubenblüthe sehr ungünftig.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhorer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] ſchloß ſich dem allgemeinen Anſuchen an. Das iſt natürlich nur der Anfang
der Centraliſation; binnen einem Jahr werden darin die Nizzarden ſchon
weitere Erfahrungen gemacht haben.

Wegen des unaufhörlichen Ne-
gens mußte die geſtrige Annexionsfeier größtentheils unter Dach und Fach ab-
gemacht werden. Nach der Uebergabe des Landes an den kaiſerl. Commiſſär
Laity ſetzte derſelbe Hrn. Dieu als Präfecten des Departements Nieder-
Savoyen (Chambery) ein, wobei er das andere Departement (Hoch-Savoyen,
Hauptſtadt Annecy) nicht erwähnte. Die beiden erſten Erlaſſe Dieu’s ſind:
die Aufhebung des Lotto als verboten durch die franzöfiſche Geſetzgebung,
ſodann eine Rüge an die Bewohner der Hauptſtadt welche die zahlreiche Ein-
quartierung mit Geld abzuſpeiſen ſuchen. (Die Leute haben eben keine Bet-
ten für die ungebetenen Gäſte.) Perrier, der Generalmajor der ſavoyiſchen
Brigade welcher unter Frankreich nicht dienen wollte, und welchen Victor
Emmanuel nicht behält, verabſchiedet ſich von ſeinen Kriegsgefährten in einem
Aufruf welcher ſie zu fernerem dévouement à la patrie aufforderte; die ad-
dirende Cenſur fügte hinzu: et à votre souverain. Die Bürgerannahme
des nordſavoy’ſchen Comité’s in Genf macht ſtutzig, neidig und ſonſt viel
zu reden.

Rußland und Polen.

Es verdient wohl
bemerkt zu werden in wie auffälliger Weiſe der Panſlavismus, ſonſt als revo-
lutionäre Agitation von den ruſſiſchen Behörden aufs bitterſte verfolgt, von
ihnen begünſtigt wird; offenbar glaubt man in ihm eine Stütze der Plane
Rußlands in Beziehung auf den Orient zu gewinnen, und darin dürfte man
ſich nicht täuſchen. Iſt doch jetzt ſchon nicht bloß der höhere polniſche Adel,
ſondern auch die ganze gemäßigte Demokratie von Sympathien für Rußland
erfüllt, und nur die Republicaner vom reinſten Waſſer halten am Ruſſenhaß
unerbittlich feſt; es ſind die polniſchen Mazziniſten. — Die für den Papſt
unter dem polniſchen Adel veranſtalteten Sammlungen haben bis jetzt nennens
werthe Reſultate nicht geliefert; ſie ſind jedoch in ſo fern bemerkenswerth, als
ſie auf den religiöſen Gehalt des polniſchen Katholicismus ein helles Licht
werfen. Die vornehmen Polen ſind ihrem ganzen Weſen nach keine religiöſen
Zeloten, ſchienen es aber ſeit einiger Zeit aus politiſchem Antagonismus gegen
Rußland und Preußen; jetzt wo es gilt ihre Anhänglichkeit an den Papſt zu
zeigen, ſind es außer den Frauen, die durchweg der klerikalen Partei ange-
hören, nur wenige welche zu Opfern für die Sache der Kirche bereit ſind; die
große Mehrzahl ſchwärmt für Garibaldi, und knüpft an die Erfolge ſeines
Unternehmens die kühnſten Hoffnungen für die eigene Nationalität. — Der
Poſener „Dziennik“ berichtet heute von dem unheilbaren Zerwürfniß unter
der polniſchen Emigration. Das Revolutionscomité in London wird heftig
angegriffen daß es ſich von der Poſener Polizei jahrelang habe hinters Licht
führen laſſen; und der „Demokrata Polski“ zeiht die Emigration eines ver-
brecheriſchen Leichtſinns. Das Comité habe keine Zukunft mehr, ſeine Miſſion
ſey beendet; es ſolle ſich wegen der Vergangenheit rechtfertigen, damit die Ge-
ſchichte ihm ſein Handeln nicht als Verrath anrechne ꝛc. — Der „Czas“ trut
einmal wieder heftig gegen Preußen auf, und ſagt über die Beſtrebungen der
polniſchen Deputirten des letzten preußiſchen Landtags: wie ausdauernd, ruhig
und maßvoll ſie auch auftraten, ſie ſtießen überall auf Abneigung, und ſelbſt
ihre gemäßigtſten Anſprüche bereiteten ihnen nur Täuſchungen. Der „Czas“
citirt dann die Worte Dante’s: „Wer hier eingeht, laſſe jede Hoffnung hinter
ſich!“

Der landwirthſchaftliche Verein des König
reichs Polen hatte in den letzten Jahren eine ſo tiefgreifende Wirkſamkeit ent-
wickelt, daß ſeine Bedeutung als nationales Inſtitut im ganzen Lande fühlbar
wurde, in Folge deſſen er aber auch von mancher hochſtehenden Perſönlichkeit
als die „organiſirte Revolution“ in St. Petersburg bezeichnet ward. Dieſe
Vorſtellung ſcheint in den maßgebenden Kreiſen als die richtige erkannt worden
zu ſeyn, und ſo iſt denn mittelſt Reſcripts des Fürſten-Statthalters vom
23 Mai dem Verein kundgegeben worden daß er in Folge kaiſerlichen Befehls
ſeine Thätigkeit lediglich auf rein in Warſchau abzuhaltenden allgemeinen
Verſammlungen einzuſchränken habe. Jede Einſetzung einer Unterabtheilung,
jede Bildung eines Comité’s oder einer Kreisdelegation iſt fernerhin unter-
ſagt, ebenſo die Kreisausſtellungen, das Pflügeproben, das Austheilen von
Preiſen und Belohnungen. Letzteres dürfe nur durch die allgemeine Ver-
ſammlung oder die Adminiſtrativbehörden geſchehen. Werde zeitweilig eine
Delegation erlaubt, ſo dürfe ſie höchſtens aus drei Perſonen beſtehen. Der
„Czas“ in Krakau begleitet dieſe Maßregel mit folgender Bemerkung: „Wie
auch die ſchlimmſte Sache ihre gute Seite hat, ſo auch dieſes Reſcript. Das-
ſelbe kann nämlich in den Augen Europa’s als ein neuer Beweis gelten daß
der Kriegszuſtand, unter welchem ſich das Königreich Polen bei Lebzeiten des
Kaiſers Nikolaus befand, ſich wenig verändert hat. Die Regierung ſieht den
Zuſammentritt mehrerer Leute zum Abhalten eines Pflügeprobens oder einer
Thierſchau als etwas beunruhigendes an, und geſtattet hochſtens das Zuſam-
mentreten von drei Leuten wie zur Zeit des Belagerungszuſtandes.“

Serbien.

So viel auch immer gewiſſe Zeitungen über
den aller Hoffnung entbehrenden Geſundheitszuſtand des Fürſten reden, ſo
iſt doch daran in der That ſehr wenig. Fürſt Miloſch, der bekannt-
lich an einem organiſchen Herzübel leidet, befindet ſich ganz wohl, und der-
[Spaltenumbruch] malen auf der Reiſe im Innern Serbiens und nach dem Bade Alexinaty.
Noch vor ſeiner Abreiſe ordnete er an daß ſich eine aus dem Senatspräſiden-
ten Steftſcha Michailowitſch und dem erſten fürſtlichen Adjutanten Dragetin
Schabaratz, nebſt zwei Dolmetſchern für die franzöſiſche und türkiſche Sprache,
beſtehende Commiſſion nach Widdin begebe, um den dort erwarteten Groß-
weſſier bei ſeiner Bereiſung der türkiſchen Provinzen zu begrüßen. In kei-
nem Fall dürfte der Großweſſier nach Serbien kommen. — Auch einige hoch-
geſtellte Fremde ſind abweſend von hier, und die Fama will behaupten dieſe
hätten ſich ebenfalls nach Widdin begeben. Im übrigen herrſcht hier volle
Ruhe, und es hat keinen Anſchein als ſollte dieſe geſtört werden. — Am
19 Jul. wird die hieſige evangeliſche Gemeinde die ihr von der ſerbiſchen
Regierung geſchenkte Kirche einweihen. Neben dieſer Kirche will die Ge-
meinde noch in dieſem Sommer eine Schule nebſt Pfarrerwohnung aus eige-
nen Mitteln erbauen.

Türkei.

Eine Petition von Einwohnern Bul-
gariens (ſie ſoll mit 4000 Unterſchriften verſehen ſeyn) erhebt die Beſchwerde
daß binnen drei Monaten neunzehn griechiſche Jungfrauen für die Harems
geraubt, und gezwungen worden ſeyen ihren Glauben abzuſchwören; ihre
Eltern hätten reclamirt und ſeyen ermordet worden. — Den Großweſir
Kibrisli Paſcha begleiten fünfzig Beamte, um ihm bei der Unterſuchung über
die Beſchwerden der Chriſten behülflich zu ſeyn. Man verſichert: eine gleiche
Miſſion ſolle ſofort nach Aſien abgeſchickt werden. — Sir H. Bulwer hat
eine entſchiedene Sprache geführt, und die Abſchaffung der Mißbräuche zur
Bedingung des Beiſtandes Englands gemacht. Der Sultan hörte den brit-
tiſchen Diplomaten mit Wohlwollen an, und überſchickte, wie das „J. de
Conſtantinople“ mittheilt, dem ehrenwerthen Baronet ſein Bildniß. (Indep.)

Ver. Staaten von Nordamerika.

Im Senat zu Waſhington war am 31 Mai
die Ratification des mit Mexico abgeſchloſſenen Vertrags durch eine große
Majorität verworfen worden. Sämmtliche Republicaner, mit Ausnahme
eines einzigen (Trumbull aus Illinois) ſtimmten gegen die Ratification.
Senator Seward, der Tags zuvor nach langer Abweſenheit ſeinen Sitz ein-
nahm, wurde von den Senatoren beider Parteien ſehr warm empfangen. —
Aus New-London, in Connecticut, iſt am 29 Mai unter der Leitung von B.
T. Hall, eine kleine Expedition zur weitern Aufſuchung von Franklins Spu-
ren (eventuelle Auffindung ſeiner Reiſegefährten) abgegangen. — Berichten
aus San Francisco vom 18 v. M. zufolge waren 105 Freiwillige, unter
Major Ormsby’s Leitung, am 12 durch Indianer überfallen worden. Ormsby
ſelbſt und viele ſeiner Gefährten blieben auf der Walſtatt. Nur 38 ſind bis
jetzt glücklich in die Anſtedlung zurückgekommen. Was aus ihnen allen ge-
geworden, darüber herrſcht noch Ungewißheit. — Baumwolle matt, auf der
Baſis von 11¼ — ⅜. (E. Bl.)

Handels- und Börſennachrichten.

Die jüngſte Börſenwoche zeichnete
ſich durch eine ſehr angeregte und günſtige Stimmung aus. Das Hauptmotiv lag
in der erfreulichen Wendung der deutſchen Angelegenheiten, in welcher man zu-
gleich eine größere Bürgſchaft der Sicherheit und Ruhe nach außen erblickt. Wel-
ches auch die Plane der franzöſiſchen Politik und die Beweggründe des kaiſerlichen
Beſuchs in Baden ſeyn mögen, die ſich immer ſichtbarer als Thatſache geſtaltende
Eintracht der deutſchen Fürſten und Völker muß uns zur vollen Beruhigung die-
nen daß weder Liſt noch Gewalt Deutſchland gegenüber verfangen werden. Uebri-
gens ſcheint auch die innere Lage Frankreichs, bei den Bemühungen des Tuillerien-
cabinets über ſeine Abſichten zu beruhigen, keinen unweſentlichen Factor zu bilden.
Von der Stockung des Handels und des Verkehrs, in Folge des politiſchen Miß-
trauens, legt der neueſte Bankausweis ſprechendes Zeugniß ab; überdieß ſind die
Ernteausſichten ſchwankend. Beides zuſammengenommen muß höchſt verſtimmend
auf die arbeitenden Claſſen, dieſe faſt einzige Stütze des Jmperialismus, wirken.
Auch die Pariſer Börſe empfindet den Druck und die Unbehaglichkeit der innern
Zuſtände, die Geldbedürfniſſe des Staats, der Eiſenbahngeſellſchaften u. ſ. w. Sie iſt
deßhalb flau in demſelben Augenblick wo die deutſchen Börſen ſich zu heben beginnen!
Dieſer Contraft darf indeſſen die letzteren nicht wankend machen, ſollte vielmehr als Anlaß
dienen die längſt als läſtig empfundene Beeinfluſſung von der Seine her abzuſchütteln.
Wenn — wie wir jüngſt erwähnten — die günſtigere Geſtaltung der inneren Berhält-
niſſe Oeſterreichs ſeit Eröffnung des verſtärkten Reichsraths unter der Einwirkung
der äußeren Politik ſich an der Börſe nicht geltend machen konnte, ſo iſt dieß in
den letzten Tagen weſentlich beſſer geworden. Die äußere Politik tritt in den Hinter-
grund vor der beruhigenden Thatſache deutſcher Eintracht, die ſich hoffentlich auch
bis zu vollkommener Verſtändigung mit Oeſterreich erſtrecken wird. Dabei kommen
natürlich die beſſeren Ausſichten welche für die neue Geſtaltung des Kaiſerreichs in
jüngſter Zeit gewonnen worden, weſentlich in Betracht; das Vertrauen wächst, und
der anhaltende Rückgang der Balutencurſe in Wien (wenn auch theilweiſe localen
Urſachen entſpringend) iſt ein weiterer Antrieb zum Steigen der Effecten. Gegen-
über der bisher von uns öfter erwähnteu Zurückhaltung der Capitaliſten darf nicht
unbemerkt bleiben daß letztere ſich ſeit kurzem wiedet lebhafter an dem Ankauf
öſterreichiſcher und anderer gangbaren Effecten betheiligen.

Der Geſammtſtand des geſtern abgehaltenen Getreide-
marktes betrug 6001 Schäffel, wovon 2969 Schäffel verkauft und 3032 Schäffel
in Reſt blieben. Rorſchach und Bregenz, wie auch der hieſige Markt, hielten
an den Notirungen der Vorwoche feſt, und gieng hier Weizen zu 23 fl. 17 kr. bis
23 fl. 49 kr., Kern zu 21 fl. 56 kr. bis 23 fl. 1 kr., mit Preisrückgang von
23 kr., Haber zu 8 fl. bis 8 fl. 36 kr., mit Aufſchlag von 12 kr., ab. In An-
ſchaffung von Roggen hielten die Käufer ſehr zurück; Prima-Sorte ſtellte ſich zu
17 fl. feſt. Umſatzſumme: 66,734 fl. 35 kr. Witterung für Saatenſtand und
Traubenblüthe ſehr ungünftig.



Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhorer. Dr. H. Orges.

Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.

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[2836/0008] ſchloß ſich dem allgemeinen Anſuchen an. Das iſt natürlich nur der Anfang der Centraliſation; binnen einem Jahr werden darin die Nizzarden ſchon weitere Erfahrungen gemacht haben. □ Aus Nordſavoyen, 15 Jun. Wegen des unaufhörlichen Ne- gens mußte die geſtrige Annexionsfeier größtentheils unter Dach und Fach ab- gemacht werden. Nach der Uebergabe des Landes an den kaiſerl. Commiſſär Laity ſetzte derſelbe Hrn. Dieu als Präfecten des Departements Nieder- Savoyen (Chambery) ein, wobei er das andere Departement (Hoch-Savoyen, Hauptſtadt Annecy) nicht erwähnte. Die beiden erſten Erlaſſe Dieu’s ſind: die Aufhebung des Lotto als verboten durch die franzöfiſche Geſetzgebung, ſodann eine Rüge an die Bewohner der Hauptſtadt welche die zahlreiche Ein- quartierung mit Geld abzuſpeiſen ſuchen. (Die Leute haben eben keine Bet- ten für die ungebetenen Gäſte.) Perrier, der Generalmajor der ſavoyiſchen Brigade welcher unter Frankreich nicht dienen wollte, und welchen Victor Emmanuel nicht behält, verabſchiedet ſich von ſeinen Kriegsgefährten in einem Aufruf welcher ſie zu fernerem dévouement à la patrie aufforderte; die ad- dirende Cenſur fügte hinzu: et à votre souverain. Die Bürgerannahme des nordſavoy’ſchen Comité’s in Genf macht ſtutzig, neidig und ſonſt viel zu reden. Rußland und Polen. -ll- Von der polniſchen Gränze, 12 Jun. Es verdient wohl bemerkt zu werden in wie auffälliger Weiſe der Panſlavismus, ſonſt als revo- lutionäre Agitation von den ruſſiſchen Behörden aufs bitterſte verfolgt, von ihnen begünſtigt wird; offenbar glaubt man in ihm eine Stütze der Plane Rußlands in Beziehung auf den Orient zu gewinnen, und darin dürfte man ſich nicht täuſchen. Iſt doch jetzt ſchon nicht bloß der höhere polniſche Adel, ſondern auch die ganze gemäßigte Demokratie von Sympathien für Rußland erfüllt, und nur die Republicaner vom reinſten Waſſer halten am Ruſſenhaß unerbittlich feſt; es ſind die polniſchen Mazziniſten. — Die für den Papſt unter dem polniſchen Adel veranſtalteten Sammlungen haben bis jetzt nennens werthe Reſultate nicht geliefert; ſie ſind jedoch in ſo fern bemerkenswerth, als ſie auf den religiöſen Gehalt des polniſchen Katholicismus ein helles Licht werfen. Die vornehmen Polen ſind ihrem ganzen Weſen nach keine religiöſen Zeloten, ſchienen es aber ſeit einiger Zeit aus politiſchem Antagonismus gegen Rußland und Preußen; jetzt wo es gilt ihre Anhänglichkeit an den Papſt zu zeigen, ſind es außer den Frauen, die durchweg der klerikalen Partei ange- hören, nur wenige welche zu Opfern für die Sache der Kirche bereit ſind; die große Mehrzahl ſchwärmt für Garibaldi, und knüpft an die Erfolge ſeines Unternehmens die kühnſten Hoffnungen für die eigene Nationalität. — Der Poſener „Dziennik“ berichtet heute von dem unheilbaren Zerwürfniß unter der polniſchen Emigration. Das Revolutionscomité in London wird heftig angegriffen daß es ſich von der Poſener Polizei jahrelang habe hinters Licht führen laſſen; und der „Demokrata Polski“ zeiht die Emigration eines ver- brecheriſchen Leichtſinns. Das Comité habe keine Zukunft mehr, ſeine Miſſion ſey beendet; es ſolle ſich wegen der Vergangenheit rechtfertigen, damit die Ge- ſchichte ihm ſein Handeln nicht als Verrath anrechne ꝛc. — Der „Czas“ trut einmal wieder heftig gegen Preußen auf, und ſagt über die Beſtrebungen der polniſchen Deputirten des letzten preußiſchen Landtags: wie ausdauernd, ruhig und maßvoll ſie auch auftraten, ſie ſtießen überall auf Abneigung, und ſelbſt ihre gemäßigtſten Anſprüche bereiteten ihnen nur Täuſchungen. Der „Czas“ citirt dann die Worte Dante’s: „Wer hier eingeht, laſſe jede Hoffnung hinter ſich!“ ⸫ Warſchau, im Jun. Der landwirthſchaftliche Verein des König reichs Polen hatte in den letzten Jahren eine ſo tiefgreifende Wirkſamkeit ent- wickelt, daß ſeine Bedeutung als nationales Inſtitut im ganzen Lande fühlbar wurde, in Folge deſſen er aber auch von mancher hochſtehenden Perſönlichkeit als die „organiſirte Revolution“ in St. Petersburg bezeichnet ward. Dieſe Vorſtellung ſcheint in den maßgebenden Kreiſen als die richtige erkannt worden zu ſeyn, und ſo iſt denn mittelſt Reſcripts des Fürſten-Statthalters vom 23 Mai dem Verein kundgegeben worden daß er in Folge kaiſerlichen Befehls ſeine Thätigkeit lediglich auf rein in Warſchau abzuhaltenden allgemeinen Verſammlungen einzuſchränken habe. Jede Einſetzung einer Unterabtheilung, jede Bildung eines Comité’s oder einer Kreisdelegation iſt fernerhin unter- ſagt, ebenſo die Kreisausſtellungen, das Pflügeproben, das Austheilen von Preiſen und Belohnungen. Letzteres dürfe nur durch die allgemeine Ver- ſammlung oder die Adminiſtrativbehörden geſchehen. Werde zeitweilig eine Delegation erlaubt, ſo dürfe ſie höchſtens aus drei Perſonen beſtehen. Der „Czas“ in Krakau begleitet dieſe Maßregel mit folgender Bemerkung: „Wie auch die ſchlimmſte Sache ihre gute Seite hat, ſo auch dieſes Reſcript. Das- ſelbe kann nämlich in den Augen Europa’s als ein neuer Beweis gelten daß der Kriegszuſtand, unter welchem ſich das Königreich Polen bei Lebzeiten des Kaiſers Nikolaus befand, ſich wenig verändert hat. Die Regierung ſieht den Zuſammentritt mehrerer Leute zum Abhalten eines Pflügeprobens oder einer Thierſchau als etwas beunruhigendes an, und geſtattet hochſtens das Zuſam- mentreten von drei Leuten wie zur Zeit des Belagerungszuſtandes.“ Serbien. ♋ Belgrad, 11 Jun. So viel auch immer gewiſſe Zeitungen über den aller Hoffnung entbehrenden Geſundheitszuſtand des Fürſten reden, ſo iſt doch daran in der That ſehr wenig. Fürſt Miloſch, der bekannt- lich an einem organiſchen Herzübel leidet, befindet ſich ganz wohl, und der- malen auf der Reiſe im Innern Serbiens und nach dem Bade Alexinaty. Noch vor ſeiner Abreiſe ordnete er an daß ſich eine aus dem Senatspräſiden- ten Steftſcha Michailowitſch und dem erſten fürſtlichen Adjutanten Dragetin Schabaratz, nebſt zwei Dolmetſchern für die franzöſiſche und türkiſche Sprache, beſtehende Commiſſion nach Widdin begebe, um den dort erwarteten Groß- weſſier bei ſeiner Bereiſung der türkiſchen Provinzen zu begrüßen. In kei- nem Fall dürfte der Großweſſier nach Serbien kommen. — Auch einige hoch- geſtellte Fremde ſind abweſend von hier, und die Fama will behaupten dieſe hätten ſich ebenfalls nach Widdin begeben. Im übrigen herrſcht hier volle Ruhe, und es hat keinen Anſchein als ſollte dieſe geſtört werden. — Am 19 Jul. wird die hieſige evangeliſche Gemeinde die ihr von der ſerbiſchen Regierung geſchenkte Kirche einweihen. Neben dieſer Kirche will die Ge- meinde noch in dieſem Sommer eine Schule nebſt Pfarrerwohnung aus eige- nen Mitteln erbauen. Türkei. Konſtantinopel, 6 Jun. Eine Petition von Einwohnern Bul- gariens (ſie ſoll mit 4000 Unterſchriften verſehen ſeyn) erhebt die Beſchwerde daß binnen drei Monaten neunzehn griechiſche Jungfrauen für die Harems geraubt, und gezwungen worden ſeyen ihren Glauben abzuſchwören; ihre Eltern hätten reclamirt und ſeyen ermordet worden. — Den Großweſir Kibrisli Paſcha begleiten fünfzig Beamte, um ihm bei der Unterſuchung über die Beſchwerden der Chriſten behülflich zu ſeyn. Man verſichert: eine gleiche Miſſion ſolle ſofort nach Aſien abgeſchickt werden. — Sir H. Bulwer hat eine entſchiedene Sprache geführt, und die Abſchaffung der Mißbräuche zur Bedingung des Beiſtandes Englands gemacht. Der Sultan hörte den brit- tiſchen Diplomaten mit Wohlwollen an, und überſchickte, wie das „J. de Conſtantinople“ mittheilt, dem ehrenwerthen Baronet ſein Bildniß. (Indep.) Ver. Staaten von Nordamerika. New-York, 2 Jun. Im Senat zu Waſhington war am 31 Mai die Ratification des mit Mexico abgeſchloſſenen Vertrags durch eine große Majorität verworfen worden. Sämmtliche Republicaner, mit Ausnahme eines einzigen (Trumbull aus Illinois) ſtimmten gegen die Ratification. Senator Seward, der Tags zuvor nach langer Abweſenheit ſeinen Sitz ein- nahm, wurde von den Senatoren beider Parteien ſehr warm empfangen. — Aus New-London, in Connecticut, iſt am 29 Mai unter der Leitung von B. T. Hall, eine kleine Expedition zur weitern Aufſuchung von Franklins Spu- ren (eventuelle Auffindung ſeiner Reiſegefährten) abgegangen. — Berichten aus San Francisco vom 18 v. M. zufolge waren 105 Freiwillige, unter Major Ormsby’s Leitung, am 12 durch Indianer überfallen worden. Ormsby ſelbſt und viele ſeiner Gefährten blieben auf der Walſtatt. Nur 38 ſind bis jetzt glücklich in die Anſtedlung zurückgekommen. Was aus ihnen allen ge- geworden, darüber herrſcht noch Ungewißheit. — Baumwolle matt, auf der Baſis von 11¼ — ⅜. (E. Bl.) Handels- und Börſennachrichten. ǁ Frankfurt a. Main, 17 Jun. Die jüngſte Börſenwoche zeichnete ſich durch eine ſehr angeregte und günſtige Stimmung aus. Das Hauptmotiv lag in der erfreulichen Wendung der deutſchen Angelegenheiten, in welcher man zu- gleich eine größere Bürgſchaft der Sicherheit und Ruhe nach außen erblickt. Wel- ches auch die Plane der franzöſiſchen Politik und die Beweggründe des kaiſerlichen Beſuchs in Baden ſeyn mögen, die ſich immer ſichtbarer als Thatſache geſtaltende Eintracht der deutſchen Fürſten und Völker muß uns zur vollen Beruhigung die- nen daß weder Liſt noch Gewalt Deutſchland gegenüber verfangen werden. Uebri- gens ſcheint auch die innere Lage Frankreichs, bei den Bemühungen des Tuillerien- cabinets über ſeine Abſichten zu beruhigen, keinen unweſentlichen Factor zu bilden. Von der Stockung des Handels und des Verkehrs, in Folge des politiſchen Miß- trauens, legt der neueſte Bankausweis ſprechendes Zeugniß ab; überdieß ſind die Ernteausſichten ſchwankend. Beides zuſammengenommen muß höchſt verſtimmend auf die arbeitenden Claſſen, dieſe faſt einzige Stütze des Jmperialismus, wirken. Auch die Pariſer Börſe empfindet den Druck und die Unbehaglichkeit der innern Zuſtände, die Geldbedürfniſſe des Staats, der Eiſenbahngeſellſchaften u. ſ. w. Sie iſt deßhalb flau in demſelben Augenblick wo die deutſchen Börſen ſich zu heben beginnen! Dieſer Contraft darf indeſſen die letzteren nicht wankend machen, ſollte vielmehr als Anlaß dienen die längſt als läſtig empfundene Beeinfluſſung von der Seine her abzuſchütteln. Wenn — wie wir jüngſt erwähnten — die günſtigere Geſtaltung der inneren Berhält- niſſe Oeſterreichs ſeit Eröffnung des verſtärkten Reichsraths unter der Einwirkung der äußeren Politik ſich an der Börſe nicht geltend machen konnte, ſo iſt dieß in den letzten Tagen weſentlich beſſer geworden. Die äußere Politik tritt in den Hinter- grund vor der beruhigenden Thatſache deutſcher Eintracht, die ſich hoffentlich auch bis zu vollkommener Verſtändigung mit Oeſterreich erſtrecken wird. Dabei kommen natürlich die beſſeren Ausſichten welche für die neue Geſtaltung des Kaiſerreichs in jüngſter Zeit gewonnen worden, weſentlich in Betracht; das Vertrauen wächst, und der anhaltende Rückgang der Balutencurſe in Wien (wenn auch theilweiſe localen Urſachen entſpringend) iſt ein weiterer Antrieb zum Steigen der Effecten. Gegen- über der bisher von uns öfter erwähnteu Zurückhaltung der Capitaliſten darf nicht unbemerkt bleiben daß letztere ſich ſeit kurzem wiedet lebhafter an dem Ankauf öſterreichiſcher und anderer gangbaren Effecten betheiligen. * Lindau, 17 Jun. Der Geſammtſtand des geſtern abgehaltenen Getreide- marktes betrug 6001 Schäffel, wovon 2969 Schäffel verkauft und 3032 Schäffel in Reſt blieben. Rorſchach und Bregenz, wie auch der hieſige Markt, hielten an den Notirungen der Vorwoche feſt, und gieng hier Weizen zu 23 fl. 17 kr. bis 23 fl. 49 kr., Kern zu 21 fl. 56 kr. bis 23 fl. 1 kr., mit Preisrückgang von 23 kr., Haber zu 8 fl. bis 8 fl. 36 kr., mit Aufſchlag von 12 kr., ab. In An- ſchaffung von Roggen hielten die Käufer ſehr zurück; Prima-Sorte ſtellte ſich zu 17 fl. feſt. Umſatzſumme: 66,734 fl. 35 kr. Witterung für Saatenſtand und Traubenblüthe ſehr ungünftig. Verantwortliche Redaction: Dr. G. Kolb. Dr. A. J. Altenhorer. Dr. H. Orges. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860, S. 2836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine170_1860/8>, abgerufen am 21.11.2024.