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Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.

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Preußen.

Der in seiner Sphäre bekanntlich
gern souveräne Berliner Pöbel hatte sich die kurze Anwesenheit des Königs
von Hannover am Mittwoch nicht entgehen lassen wollen ohne sich ebenfalls
an der hohen Politik zu belheiligen. Der König war bekanntlich direct
zum Hotel seines Gesandten gefahren; dort war der Wagen des Königs,
oder wie von anderer Seite verlautet, ein Gepäckwagen desselben vor dem
Hause stehen geblieben, während Se. Maj. sich in der Stadt einer diesseitigen
Hofequipage bedient hatte. Das hannoverische Wappen des Wagens erregte
Aufmerksamkeit, man erfuhr die Anwesenheit des Königs, und bald hatten
sich Hunderte von müßigen Gaffern vor dem Hotel versammelt, welche
schreiend und pfeifend nach dem "Grafen Borries" verlangten, indem sie sich
in dem bekannten Berliner Straßenwitz über hannoverische Politik und
hannoverische Zustände verbreiteten, Vennigsen leben ließen u. s. w.
Leider befanden sich darunter auch zahlreiche Personen der bessern
Stände. Die Polizei war offenbar in großer Verlegenheit, da der Zuspruch
der anwesenden Schutzmänner erfolglos blieb, und Anwendung von zwingenderen
Mitteln zur Vermeidung größern Aufsehens möglichst vermieden werden sollte.
Man kam endlich auf den gescheidten Einfall den Wagen so weit abzuladen
daß er in das Hotel geschoben werden konnte, und letzteres zu verschließen,
worauf sich die Menge, des sichtbaren Mittelpunkts ihrer Bestrebungen be-
raubt, allmählich verlief. Es ist das die nothwendige Folge der fortgesetzten
unverständigen Hetzereien in den für die untersten Classen bestimmten Orga-
nen, denn der Pöbel ist immer bereit dazu auf seine Weise einen praktischen
Commentar zu liefern. -- Bekanntlich wird hier noch immer darüber verhan-
delt, was mit den Fonds zu machen sey welche durch die große Gewerbs-Em-
bleme-Ausstellung bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm zusam-
mengebracht worden sind. Der Vorstand der hiesigen Tischlerinnung war end-
lich auf den Vorschlag gekommen den Betrag, der nach manchen Wohlthätig-
keitsabzügen sich noch auf 6000 bis 7000 Thaler belaufen soll, dem deutschen
Nationalverein für seine Zwecke zu überlassen, und die hiesige Volkszeitung,
resp. Nationalzeitung, Vossische Zeitung und Consorten unterließen nicht dieß
als ein bedeutsames Stimmungszeichen der Zeit in die Welt hinauszupofau-
nen. In diesen Tagen hat nun eine Generalversammlung der sämmtlichen
Vorstände der hiesigen Meisterschaften und Gesellenschaften stattgefunden
um über die Fonds zu beschließen, den Antrag wegen des Nationalvereins aber
unter allseitiger Heiterkeit einstimmig abgelehnt. Das ist wohl auch ein
Stimmungszeichen der Zeit. Ueber die Verwendung der Fonds selbst soll
man sich noch nicht geeinigt haben. -- Der Großherzog von Mecklenburg-
Schwerin hat hierselbst einen längern Aufenthalt genommen, um sich ei-
nes Halsübels wegen der Behandlung des Geh. Medicinalraths Professor
Frerichs anzuvertrauen. Es war anfänglich gewünscht worden daß Hr. Frerichs
nach Schwerin kommen möge, da dieß aber bei einer dauernden Cur nicht
ansführbar erschien, so hat der Großherzog seinerseits seinen Wohnsitz nach
Charlottenburg verlegt. -- Der Pariser Broschüre von Horn über Ungarn
sind bekanntlich allerlei Manipulationen vorausgegangen, welche geeignet
waren die Aufmerksamkeit des politischen Lesepublicums zu spannen. Der
matte und beweislose, meist auf die nackte Behauptung gestützte Inhalt der
Broschüre daß Ungarn für Oesterreich verloren sey, entspricht jenen Voran-
strengungen so wenig, daß selbst die "Nationalzeitung" zugesteht: wer von den
Horn'schen Behauptungen nicht schon vorher überzeugt gewesen, werde es
durch die Broschüre gewiß nicht werden. Man wird sich indeß den Humbug
leicht erklären, wenn man nicht außer Acht läßt daß Hr. Horn ein nach Paris
übergesiedelter, dort bei verschiedenen Zeitungen beschäftigter ungarischer
Jude ist. Der Industrialismus, welcher nicht bloß in "alten Kladern" macht,
suchte sich einmal wieder in der Litteratur zur Geltung zu bringen; "weiter
hat es keinen Zweck" würden die Berliner sagen.

Man fängt hier bereits an die Badener "Zu-
sammenkunft" die sich über Nacht gleichsam in einen Congreß der deutschen
Fürsten mit Napoleon verwandelt hat, mit etwas mißtrauischeren Blicken zu
betrachten. Sollte Napoleon, fragt man, nachdem seiner Visite bei Gelegen-
heit der Rhein Nahebahn erst eben ein höflicher Absagebrief geworden war,
nicht mehr als gewöhnliche Motive gehabt haben die Verweigerung zu verschlucken
und alsbald seinen zweiten Besuch anzukündigen? Der Prinz-Regent hatte,
wie ich früher meldete, das zweite oder dritte Anerbieten nicht wieder ableh-
nen mögen, wohl aber die Bedingung der Mittheilnahme anderer deutschen
Fürsten gestellt. Napoleon war anscheinend auch dieses Verlangen gern und
harmlos unbefangen eingegangen. Sollte er aber, fragt man weiter, nicht
gewußt haben daß ohnedieß in Folge der Bemühungen des Königs von Bayern
eine Zusammenkunft deutscher Fürsten in Baden-Baden bevorstehe, und sollte
ihm nicht vielleicht gerade Hauptsache gewesen seyn bei diesem Congreß
als Dritter im Bund aufzutreten? Dann war das was der Prinz-Regent
als möglicherweise vom Kaiser vorausgesehene vorsichtsvolle Bedingung stellte,
recht eigentlich beabsichtigter Zweck und Ziel der franzöfischen Politik. Es
gewinnt diese Auffassung hier an Gewicht, seitdem man die auffällige Wahr-
nehmung zu machen glaubt daß die franzöfische Diplomatie sich in aller Stille
[Spaltenumbruch] während der letzten Tage lebhaft dafür interessirt hat möglichst viele deutsche
Fürsten nach dem Rhein zu treiben. Es soll sogar die plötzliche Reise des
Königs von Hannover, welche wieder die des Königs von Sachfen zur Folge
gehabt hat, diesen Instigationen nicht ganz fern seyn, bei welchen das Son-
derinteresse der einzelnen Staaten, der Glanz ihrer Souveräne und die Noth-
wendigkeit nicht den einen hinter den andern zurückbleiben zu lassen als Haupt-
argumente zur geschickten Geltung gebracht wären. Ich kann bei einer ge-
wissen erwartungsvollen Aufregung der Gemüther nicht jedes einzelne Wort
verbürgen, aber es wäre doch schon gefährlich genug für die deutschen Inter-
essen wenn es der französischen Diplomatie gelungen seyn sollte statt einer,
deutschen Einheitsbestrebungen zugewandten, Fürstenversammlung einen eifer-
süchtigen Congreß größerer und kleinerer Souveränetätsinhaber um Napo-
leon zu versammeln. Napoleon wäre ganz der Mann dieß auszubeuten, und
er würde dann um so leichteres Spiel haben die ihm drohenden Gefahren der
Einheitsbestrebungen in ebensoviele Vortheile neuer Spaltungen und Zerris-
senheiten umzuwandeln. Wenn, wie es jetzt scheint, Oesterreich bei dieser
Zusammenkunft völlig ausbleibt, so muß das unter allen Umständen schon
allein als sehr verhängnißvoll betrachtet werden, und kann nur dahin führen
die von allen wahren Patrioten angestrebte engere Allianz der beiden deut-
schen Großmächte von neuem zu erschweren. Von diesem Standpunkt ange-
fehen, der sich freilich erst in den letzten Tagen aufdrängt, behält die Zusam-
menkunft dann keineswegs mehr den ihr früher vindicirten bloß nutzlosen
und einflußlosen Charakter, sondern sie führt zu schweren Bedenken,
und vielleicht zu großen Gefahren. Vieles wird allerdings von dem
Tact, der Einsicht und Voraussicht abhängen, mit welcher die deutschen
Fürsten in diesen Stunden ihre Stellung in Baden-Baden begreifen.
Aber auch die Presse hat eine wichtige Mission. Es wird an Intriguen,
an Verdächtigungen, an politischen und unpolitischen Geschichten kein Mangel
werden, und dabei mit schärffter Kritik zu fichten ist höchste patriotische Aufgabe.
Die beherzigenswerthe "Warnung," welche Sie dieserhalb bereits in Nr. 164
aus München gebracht haben, kann nicht genug empfohlen werden. -- Die
Notiz daß der Justizminister Simons gegen den Polizeidirector Stieber,
wegen der bekannten Aeußerung des letzteren in seiner gerichtlichen Vertheidi-
gungsrede, die Untersuchung habe einleiten lassen, kann ich Ihnen als falsch
bezeichnen. Hr. Simons soll nur geäußert haben, er würde sich zu diesem
Schritt genöthigt sehen wenn Hr. Stieber seine Aeußerungen in der zweiten
Instanz wiederholen sollte; ob aber diese zweite Instanz überhaupt je zu Tage
kommen wird, erscheint zweifelhafter als je. Hr. Simons hat vielleicht mehr
Grund die beregten Aeußerungen des Hrn. Stieber der gerichtlichen
Cognition nicht unterstellt zu sehen, als letzterer selbst. Dagegen bereitet
Hr. Oberstaatsanwalt Schwarck allerdings eine neue Anklage gegen
Stieber vor, und hat diesen bereits verantwortlich darüber vernehmen lassen.
Wie indeß die Freunde des letzteren mit großer Zuversicht behaupten, würde die
Staatsanwaltschaft dabei noch kläglicher unterliegen als das erstemal. Außerdem
verlautet immer bestimmter daß Hr. Schwarck binnen kurzem von hier entfernt
werden würde. Man soll ihm sein unzweifelhaft leidenschaftliches Verfahren
höhern Orts sehr übel aufgenommen haben, namentlich da dasselbe in seinen
Consequenzen für sehr exclusive Kreise höchst peinlich zu werden anfängt.
Ganz besonders sind aber in neuester Zeit scharfe politische Anklagen gegen
ihn ins Gewicht gefallen, die aus dem Jahr 1848 herrühren. So enthält
das Beiblatt der Kreuzzeitung, das Preußische Volksblatt, folgende bezeichnende
Anfrage: "Welcher jetzt in Berlin in großem Ansehen stehende, außerordent-
lich ministerielle Mann mag es gewesen seyn der im Jahr 1848 in Ratibor
durchaus keine solche Nolle gespielt hat die ihn zu einem Vertheidiger der Vor-
rechte der Krone geschickt macht? Wer war es der im März 1848 eines
Abends mit einem Haufen Tumultuanten vor das in Ratibor belegene Hotel
zum Prinzen von Preußen zog und dort unter Schimpfen und Toben eigen-
händig den Schild mit dem Namen des Prinzen abriß und zur Erde warf?"
Es ist ein öffentliches Geheimniß daß dieser Angriff auf Hrn. Schwarck zielt,
ohne daß letzterer etwas darauf erwiedert hätte. Mit dem Staatsanwalt
Nörner sind Unterhandlungen wegen seiner Ernennung zum Rechtsanwalt
am hiesigen Stadtgericht eingeleitet. Er würde dann zugleich den Titel als
geheimer Justizrath erhalten.

Die N. Preuß. Zeitung sagt über die Fürsten-
zusammenkunst in Baden-Baden:

"Gern sprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der
eigenthümlichen Schwierigkeiten, der Lage und der voraussichtlichen Folgen einer
eiwaigen Ablehnung den Entschluß der Zusammenkunft an fich nicht zu mißbilligen
wissen. Was wir mißbilligen, ist wesentlich die Politik welche in diese Schwierig-
keiten hineingeführt; jedoch geben wir uns auch hier der Hoffnung hin daß der so
weise und löbliche Entschluß, den Kaiser der Franzosen nur in Gemeinschaft der
deutschen Fürsten empfangen zu wollen, etwaigen bedenklichen Tendenzen der fran-
zösischen Politik von Haus aus die Spitze abgebrochen hat. War schon die jüngste
Anwesenheit des Königs von Hannover in Berlin eine erfreuliche Antwort auf diese
Wendung der deuschen Politik Preußens, -- wir sind gewiß, und haben es jeder Zeit
mit lauter Stimme ausgesprochen daß auf diesem Weg (aber auch nur auf diesem)
Preußen noch größere Resultate in Deutschland erzielen und in der That moralische
[Spaltenumbruch]
Preußen.

Der in ſeiner Sphäre bekanntlich
gern ſouveräne Berliner Pöbel hatte ſich die kurze Anweſenheit des Königs
von Hannover am Mittwoch nicht entgehen laſſen wollen ohne ſich ebenfalls
an der hohen Politik zu belheiligen. Der König war bekanntlich direct
zum Hôtel ſeines Geſandten gefahren; dort war der Wagen des Königs,
oder wie von anderer Seite verlautet, ein Gepäckwagen desſelben vor dem
Hauſe ſtehen geblieben, während Se. Maj. ſich in der Stadt einer dieſſeitigen
Hofequipage bedient hatte. Das hannoveriſche Wappen des Wagens erregte
Aufmerkſamkeit, man erfuhr die Anweſenheit des Königs, und bald hatten
ſich Hunderte von müßigen Gaffern vor dem Hôtel verſammelt, welche
ſchreiend und pfeifend nach dem „Grafen Borries“ verlangten, indem ſie ſich
in dem bekannten Berliner Straßenwitz über hannoveriſche Politik und
hannoveriſche Zuſtände verbreiteten, Vennigſen leben ließen u. ſ. w.
Leider befanden ſich darunter auch zahlreiche Perſonen der beſſern
Stände. Die Polizei war offenbar in großer Verlegenheit, da der Zuſpruch
der anweſenden Schutzmänner erfolglos blieb, und Anwendung von zwingenderen
Mitteln zur Vermeidung größern Aufſehens möglichſt vermieden werden ſollte.
Man kam endlich auf den geſcheidten Einfall den Wagen ſo weit abzuladen
daß er in das Hôtel geſchoben werden konnte, und letzteres zu verſchließen,
worauf ſich die Menge, des ſichtbaren Mittelpunkts ihrer Beſtrebungen be-
raubt, allmählich verlief. Es iſt das die nothwendige Folge der fortgeſetzten
unverſtändigen Hetzereien in den für die unterſten Claſſen beſtimmten Orga-
nen, denn der Pöbel iſt immer bereit dazu auf ſeine Weiſe einen praktiſchen
Commentar zu liefern. — Bekanntlich wird hier noch immer darüber verhan-
delt, was mit den Fonds zu machen ſey welche durch die große Gewerbs-Em-
bleme-Ausſtellung bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm zuſam-
mengebracht worden ſind. Der Vorſtand der hieſigen Tiſchlerinnung war end-
lich auf den Vorſchlag gekommen den Betrag, der nach manchen Wohlthätig-
keitsabzügen ſich noch auf 6000 bis 7000 Thaler belaufen ſoll, dem deutſchen
Nationalverein für ſeine Zwecke zu überlaſſen, und die hieſige Volkszeitung,
reſp. Nationalzeitung, Voſſiſche Zeitung und Conſorten unterließen nicht dieß
als ein bedeutſames Stimmungszeichen der Zeit in die Welt hinauszupofau-
nen. In dieſen Tagen hat nun eine Generalverſammlung der ſämmtlichen
Vorſtände der hieſigen Meiſterſchaften und Geſellenſchaften ſtattgefunden
um über die Fonds zu beſchließen, den Antrag wegen des Nationalvereins aber
unter allſeitiger Heiterkeit einſtimmig abgelehnt. Das iſt wohl auch ein
Stimmungszeichen der Zeit. Ueber die Verwendung der Fonds ſelbſt ſoll
man ſich noch nicht geeinigt haben. — Der Großherzog von Mecklenburg-
Schwerin hat hierſelbſt einen längern Aufenthalt genommen, um ſich ei-
nes Halsübels wegen der Behandlung des Geh. Medicinalraths Profeſſor
Frerichs anzuvertrauen. Es war anfänglich gewünſcht worden daß Hr. Frerichs
nach Schwerin kommen möge, da dieß aber bei einer dauernden Cur nicht
ansführbar erſchien, ſo hat der Großherzog ſeinerſeits ſeinen Wohnſitz nach
Charlottenburg verlegt. — Der Pariſer Broſchüre von Horn über Ungarn
ſind bekanntlich allerlei Manipulationen vorausgegangen, welche geeignet
waren die Aufmerkſamkeit des politiſchen Leſepublicums zu ſpannen. Der
matte und beweisloſe, meiſt auf die nackte Behauptung geſtützte Inhalt der
Broſchüre daß Ungarn für Oeſterreich verloren ſey, entſpricht jenen Voran-
ſtrengungen ſo wenig, daß ſelbſt die „Nationalzeitung“ zugeſteht: wer von den
Horn’ſchen Behauptungen nicht ſchon vorher überzeugt geweſen, werde es
durch die Broſchüre gewiß nicht werden. Man wird ſich indeß den Humbug
leicht erklären, wenn man nicht außer Acht läßt daß Hr. Horn ein nach Paris
übergeſiedelter, dort bei verſchiedenen Zeitungen beſchäftigter ungariſcher
Jude iſt. Der Induſtrialismus, welcher nicht bloß in „alten Kladern“ macht,
ſuchte ſich einmal wieder in der Litteratur zur Geltung zu bringen; „weiter
hat es keinen Zweck“ würden die Berliner ſagen.

Man fängt hier bereits an die Badener „Zu-
ſammenkunft“ die ſich über Nacht gleichſam in einen Congreß der deutſchen
Fürſten mit Napoleon verwandelt hat, mit etwas mißtrauiſcheren Blicken zu
betrachten. Sollte Napoleon, fragt man, nachdem ſeiner Viſite bei Gelegen-
heit der Rhein Nahebahn erſt eben ein höflicher Abſagebrief geworden war,
nicht mehr als gewöhnliche Motive gehabt haben die Verweigerung zu verſchlucken
und alsbald ſeinen zweiten Beſuch anzukündigen? Der Prinz-Regent hatte,
wie ich früher meldete, das zweite oder dritte Anerbieten nicht wieder ableh-
nen mögen, wohl aber die Bedingung der Mittheilnahme anderer deutſchen
Fürſten geſtellt. Napoleon war anſcheinend auch dieſes Verlangen gern und
harmlos unbefangen eingegangen. Sollte er aber, fragt man weiter, nicht
gewußt haben daß ohnedieß in Folge der Bemühungen des Königs von Bayern
eine Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden bevorſtehe, und ſollte
ihm nicht vielleicht gerade Hauptſache geweſen ſeyn bei dieſem Congreß
als Dritter im Bund aufzutreten? Dann war das was der Prinz-Regent
als möglicherweiſe vom Kaiſer vorausgeſehene vorſichtsvolle Bedingung ſtellte,
recht eigentlich beabſichtigter Zweck und Ziel der franzöfiſchen Politik. Es
gewinnt dieſe Auffaſſung hier an Gewicht, ſeitdem man die auffällige Wahr-
nehmung zu machen glaubt daß die franzöfiſche Diplomatie ſich in aller Stille
[Spaltenumbruch] während der letzten Tage lebhaft dafür intereſſirt hat möglichſt viele deutſche
Fürſten nach dem Rhein zu treiben. Es ſoll ſogar die plötzliche Reiſe des
Königs von Hannover, welche wieder die des Königs von Sachfen zur Folge
gehabt hat, dieſen Inſtigationen nicht ganz fern ſeyn, bei welchen das Son-
derintereſſe der einzelnen Staaten, der Glanz ihrer Souveräne und die Noth-
wendigkeit nicht den einen hinter den andern zurückbleiben zu laſſen als Haupt-
argumente zur geſchickten Geltung gebracht wären. Ich kann bei einer ge-
wiſſen erwartungsvollen Aufregung der Gemüther nicht jedes einzelne Wort
verbürgen, aber es wäre doch ſchon gefährlich genug für die deutſchen Inter-
eſſen wenn es der franzöſiſchen Diplomatie gelungen ſeyn ſollte ſtatt einer,
deutſchen Einheitsbeſtrebungen zugewandten, Fürſtenverſammlung einen eifer-
ſüchtigen Congreß größerer und kleinerer Souveränetätsinhaber um Napo-
leon zu verſammeln. Napoleon wäre ganz der Mann dieß auszubeuten, und
er würde dann um ſo leichteres Spiel haben die ihm drohenden Gefahren der
Einheitsbeſtrebungen in ebenſoviele Vortheile neuer Spaltungen und Zerriſ-
ſenheiten umzuwandeln. Wenn, wie es jetzt ſcheint, Oeſterreich bei dieſer
Zuſammenkunft völlig ausbleibt, ſo muß das unter allen Umſtänden ſchon
allein als ſehr verhängnißvoll betrachtet werden, und kann nur dahin führen
die von allen wahren Patrioten angeſtrebte engere Allianz der beiden deut-
ſchen Großmächte von neuem zu erſchweren. Von dieſem Standpunkt ange-
fehen, der ſich freilich erſt in den letzten Tagen aufdrängt, behält die Zuſam-
menkunft dann keineswegs mehr den ihr früher vindicirten bloß nutzloſen
und einflußloſen Charakter, ſondern ſie führt zu ſchweren Bedenken,
und vielleicht zu großen Gefahren. Vieles wird allerdings von dem
Tact, der Einſicht und Vorausſicht abhängen, mit welcher die deutſchen
Fürſten in dieſen Stunden ihre Stellung in Baden-Baden begreifen.
Aber auch die Preſſe hat eine wichtige Miſſion. Es wird an Intriguen,
an Verdächtigungen, an politiſchen und unpolitiſchen Geſchichten kein Mangel
werden, und dabei mit ſchärffter Kritik zu fichten iſt höchſte patriotiſche Aufgabe.
Die beherzigenswerthe „Warnung,“ welche Sie dieſerhalb bereits in Nr. 164
aus München gebracht haben, kann nicht genug empfohlen werden. — Die
Notiz daß der Juſtizminiſter Simons gegen den Polizeidirector Stieber,
wegen der bekannten Aeußerung des letzteren in ſeiner gerichtlichen Vertheidi-
gungsrede, die Unterſuchung habe einleiten laſſen, kann ich Ihnen als falſch
bezeichnen. Hr. Simons ſoll nur geäußert haben, er würde ſich zu dieſem
Schritt genöthigt ſehen wenn Hr. Stieber ſeine Aeußerungen in der zweiten
Inſtanz wiederholen ſollte; ob aber dieſe zweite Inſtanz überhaupt je zu Tage
kommen wird, erſcheint zweifelhafter als je. Hr. Simons hat vielleicht mehr
Grund die beregten Aeußerungen des Hrn. Stieber der gerichtlichen
Cognition nicht unterſtellt zu ſehen, als letzterer ſelbſt. Dagegen bereitet
Hr. Oberſtaatsanwalt Schwarck allerdings eine neue Anklage gegen
Stieber vor, und hat dieſen bereits verantwortlich darüber vernehmen laſſen.
Wie indeß die Freunde des letzteren mit großer Zuverſicht behaupten, würde die
Staatsanwaltſchaft dabei noch kläglicher unterliegen als das erſtemal. Außerdem
verlautet immer beſtimmter daß Hr. Schwarck binnen kurzem von hier entfernt
werden würde. Man ſoll ihm ſein unzweifelhaft leidenſchaftliches Verfahren
höhern Orts ſehr übel aufgenommen haben, namentlich da dasſelbe in ſeinen
Conſequenzen für ſehr excluſive Kreiſe höchſt peinlich zu werden anfängt.
Ganz beſonders ſind aber in neueſter Zeit ſcharfe politiſche Anklagen gegen
ihn ins Gewicht gefallen, die aus dem Jahr 1848 herrühren. So enthält
das Beiblatt der Kreuzzeitung, das Preußiſche Volksblatt, folgende bezeichnende
Anfrage: „Welcher jetzt in Berlin in großem Anſehen ſtehende, außerordent-
lich miniſterielle Mann mag es geweſen ſeyn der im Jahr 1848 in Ratibor
durchaus keine ſolche Nolle geſpielt hat die ihn zu einem Vertheidiger der Vor-
rechte der Krone geſchickt macht? Wer war es der im März 1848 eines
Abends mit einem Haufen Tumultuanten vor das in Ratibor belegene Hôtel
zum Prinzen von Preußen zog und dort unter Schimpfen und Toben eigen-
händig den Schild mit dem Namen des Prinzen abriß und zur Erde warf?“
Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß dieſer Angriff auf Hrn. Schwarck zielt,
ohne daß letzterer etwas darauf erwiedert hätte. Mit dem Staatsanwalt
Nörner ſind Unterhandlungen wegen ſeiner Ernennung zum Rechtsanwalt
am hieſigen Stadtgericht eingeleitet. Er würde dann zugleich den Titel als
geheimer Juſtizrath erhalten.

Die N. Preuß. Zeitung ſagt über die Fürſten-
zuſammenkunſt in Baden-Baden:

„Gern ſprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der
eigenthümlichen Schwierigkeiten, der Lage und der vorausſichtlichen Folgen einer
eiwaigen Ablehnung den Entſchluß der Zuſammenkunft an fich nicht zu mißbilligen
wiſſen. Was wir mißbilligen, iſt weſentlich die Politik welche in dieſe Schwierig-
keiten hineingeführt; jedoch geben wir uns auch hier der Hoffnung hin daß der ſo
weiſe und löbliche Entſchluß, den Kaiſer der Franzoſen nur in Gemeinſchaft der
deutſchen Fürſten empfangen zu wollen, etwaigen bedenklichen Tendenzen der fran-
zöſiſchen Politik von Haus aus die Spitze abgebrochen hat. War ſchon die jüngſte
Anweſenheit des Königs von Hannover in Berlin eine erfreuliche Antwort auf dieſe
Wendung der deuſchen Politik Preußens, — wir ſind gewiß, und haben es jeder Zeit
mit lauter Stimme ausgeſprochen daß auf dieſem Weg (aber auch nur auf dieſem)
Preußen noch größere Reſultate in Deutſchland erzielen und in der That moraliſche
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[2832/0004] Preußen. µ Berlin, 15 Jun. Der in ſeiner Sphäre bekanntlich gern ſouveräne Berliner Pöbel hatte ſich die kurze Anweſenheit des Königs von Hannover am Mittwoch nicht entgehen laſſen wollen ohne ſich ebenfalls an der hohen Politik zu belheiligen. Der König war bekanntlich direct zum Hôtel ſeines Geſandten gefahren; dort war der Wagen des Königs, oder wie von anderer Seite verlautet, ein Gepäckwagen desſelben vor dem Hauſe ſtehen geblieben, während Se. Maj. ſich in der Stadt einer dieſſeitigen Hofequipage bedient hatte. Das hannoveriſche Wappen des Wagens erregte Aufmerkſamkeit, man erfuhr die Anweſenheit des Königs, und bald hatten ſich Hunderte von müßigen Gaffern vor dem Hôtel verſammelt, welche ſchreiend und pfeifend nach dem „Grafen Borries“ verlangten, indem ſie ſich in dem bekannten Berliner Straßenwitz über hannoveriſche Politik und hannoveriſche Zuſtände verbreiteten, Vennigſen leben ließen u. ſ. w. Leider befanden ſich darunter auch zahlreiche Perſonen der beſſern Stände. Die Polizei war offenbar in großer Verlegenheit, da der Zuſpruch der anweſenden Schutzmänner erfolglos blieb, und Anwendung von zwingenderen Mitteln zur Vermeidung größern Aufſehens möglichſt vermieden werden ſollte. Man kam endlich auf den geſcheidten Einfall den Wagen ſo weit abzuladen daß er in das Hôtel geſchoben werden konnte, und letzteres zu verſchließen, worauf ſich die Menge, des ſichtbaren Mittelpunkts ihrer Beſtrebungen be- raubt, allmählich verlief. Es iſt das die nothwendige Folge der fortgeſetzten unverſtändigen Hetzereien in den für die unterſten Claſſen beſtimmten Orga- nen, denn der Pöbel iſt immer bereit dazu auf ſeine Weiſe einen praktiſchen Commentar zu liefern. — Bekanntlich wird hier noch immer darüber verhan- delt, was mit den Fonds zu machen ſey welche durch die große Gewerbs-Em- bleme-Ausſtellung bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm zuſam- mengebracht worden ſind. Der Vorſtand der hieſigen Tiſchlerinnung war end- lich auf den Vorſchlag gekommen den Betrag, der nach manchen Wohlthätig- keitsabzügen ſich noch auf 6000 bis 7000 Thaler belaufen ſoll, dem deutſchen Nationalverein für ſeine Zwecke zu überlaſſen, und die hieſige Volkszeitung, reſp. Nationalzeitung, Voſſiſche Zeitung und Conſorten unterließen nicht dieß als ein bedeutſames Stimmungszeichen der Zeit in die Welt hinauszupofau- nen. In dieſen Tagen hat nun eine Generalverſammlung der ſämmtlichen Vorſtände der hieſigen Meiſterſchaften und Geſellenſchaften ſtattgefunden um über die Fonds zu beſchließen, den Antrag wegen des Nationalvereins aber unter allſeitiger Heiterkeit einſtimmig abgelehnt. Das iſt wohl auch ein Stimmungszeichen der Zeit. Ueber die Verwendung der Fonds ſelbſt ſoll man ſich noch nicht geeinigt haben. — Der Großherzog von Mecklenburg- Schwerin hat hierſelbſt einen längern Aufenthalt genommen, um ſich ei- nes Halsübels wegen der Behandlung des Geh. Medicinalraths Profeſſor Frerichs anzuvertrauen. Es war anfänglich gewünſcht worden daß Hr. Frerichs nach Schwerin kommen möge, da dieß aber bei einer dauernden Cur nicht ansführbar erſchien, ſo hat der Großherzog ſeinerſeits ſeinen Wohnſitz nach Charlottenburg verlegt. — Der Pariſer Broſchüre von Horn über Ungarn ſind bekanntlich allerlei Manipulationen vorausgegangen, welche geeignet waren die Aufmerkſamkeit des politiſchen Leſepublicums zu ſpannen. Der matte und beweisloſe, meiſt auf die nackte Behauptung geſtützte Inhalt der Broſchüre daß Ungarn für Oeſterreich verloren ſey, entſpricht jenen Voran- ſtrengungen ſo wenig, daß ſelbſt die „Nationalzeitung“ zugeſteht: wer von den Horn’ſchen Behauptungen nicht ſchon vorher überzeugt geweſen, werde es durch die Broſchüre gewiß nicht werden. Man wird ſich indeß den Humbug leicht erklären, wenn man nicht außer Acht läßt daß Hr. Horn ein nach Paris übergeſiedelter, dort bei verſchiedenen Zeitungen beſchäftigter ungariſcher Jude iſt. Der Induſtrialismus, welcher nicht bloß in „alten Kladern“ macht, ſuchte ſich einmal wieder in der Litteratur zur Geltung zu bringen; „weiter hat es keinen Zweck“ würden die Berliner ſagen. Δ Berlin, 16 Jun. Man fängt hier bereits an die Badener „Zu- ſammenkunft“ die ſich über Nacht gleichſam in einen Congreß der deutſchen Fürſten mit Napoleon verwandelt hat, mit etwas mißtrauiſcheren Blicken zu betrachten. Sollte Napoleon, fragt man, nachdem ſeiner Viſite bei Gelegen- heit der Rhein Nahebahn erſt eben ein höflicher Abſagebrief geworden war, nicht mehr als gewöhnliche Motive gehabt haben die Verweigerung zu verſchlucken und alsbald ſeinen zweiten Beſuch anzukündigen? Der Prinz-Regent hatte, wie ich früher meldete, das zweite oder dritte Anerbieten nicht wieder ableh- nen mögen, wohl aber die Bedingung der Mittheilnahme anderer deutſchen Fürſten geſtellt. Napoleon war anſcheinend auch dieſes Verlangen gern und harmlos unbefangen eingegangen. Sollte er aber, fragt man weiter, nicht gewußt haben daß ohnedieß in Folge der Bemühungen des Königs von Bayern eine Zuſammenkunft deutſcher Fürſten in Baden-Baden bevorſtehe, und ſollte ihm nicht vielleicht gerade Hauptſache geweſen ſeyn bei dieſem Congreß als Dritter im Bund aufzutreten? Dann war das was der Prinz-Regent als möglicherweiſe vom Kaiſer vorausgeſehene vorſichtsvolle Bedingung ſtellte, recht eigentlich beabſichtigter Zweck und Ziel der franzöfiſchen Politik. Es gewinnt dieſe Auffaſſung hier an Gewicht, ſeitdem man die auffällige Wahr- nehmung zu machen glaubt daß die franzöfiſche Diplomatie ſich in aller Stille während der letzten Tage lebhaft dafür intereſſirt hat möglichſt viele deutſche Fürſten nach dem Rhein zu treiben. Es ſoll ſogar die plötzliche Reiſe des Königs von Hannover, welche wieder die des Königs von Sachfen zur Folge gehabt hat, dieſen Inſtigationen nicht ganz fern ſeyn, bei welchen das Son- derintereſſe der einzelnen Staaten, der Glanz ihrer Souveräne und die Noth- wendigkeit nicht den einen hinter den andern zurückbleiben zu laſſen als Haupt- argumente zur geſchickten Geltung gebracht wären. Ich kann bei einer ge- wiſſen erwartungsvollen Aufregung der Gemüther nicht jedes einzelne Wort verbürgen, aber es wäre doch ſchon gefährlich genug für die deutſchen Inter- eſſen wenn es der franzöſiſchen Diplomatie gelungen ſeyn ſollte ſtatt einer, deutſchen Einheitsbeſtrebungen zugewandten, Fürſtenverſammlung einen eifer- ſüchtigen Congreß größerer und kleinerer Souveränetätsinhaber um Napo- leon zu verſammeln. Napoleon wäre ganz der Mann dieß auszubeuten, und er würde dann um ſo leichteres Spiel haben die ihm drohenden Gefahren der Einheitsbeſtrebungen in ebenſoviele Vortheile neuer Spaltungen und Zerriſ- ſenheiten umzuwandeln. Wenn, wie es jetzt ſcheint, Oeſterreich bei dieſer Zuſammenkunft völlig ausbleibt, ſo muß das unter allen Umſtänden ſchon allein als ſehr verhängnißvoll betrachtet werden, und kann nur dahin führen die von allen wahren Patrioten angeſtrebte engere Allianz der beiden deut- ſchen Großmächte von neuem zu erſchweren. Von dieſem Standpunkt ange- fehen, der ſich freilich erſt in den letzten Tagen aufdrängt, behält die Zuſam- menkunft dann keineswegs mehr den ihr früher vindicirten bloß nutzloſen und einflußloſen Charakter, ſondern ſie führt zu ſchweren Bedenken, und vielleicht zu großen Gefahren. Vieles wird allerdings von dem Tact, der Einſicht und Vorausſicht abhängen, mit welcher die deutſchen Fürſten in dieſen Stunden ihre Stellung in Baden-Baden begreifen. Aber auch die Preſſe hat eine wichtige Miſſion. Es wird an Intriguen, an Verdächtigungen, an politiſchen und unpolitiſchen Geſchichten kein Mangel werden, und dabei mit ſchärffter Kritik zu fichten iſt höchſte patriotiſche Aufgabe. Die beherzigenswerthe „Warnung,“ welche Sie dieſerhalb bereits in Nr. 164 aus München gebracht haben, kann nicht genug empfohlen werden. — Die Notiz daß der Juſtizminiſter Simons gegen den Polizeidirector Stieber, wegen der bekannten Aeußerung des letzteren in ſeiner gerichtlichen Vertheidi- gungsrede, die Unterſuchung habe einleiten laſſen, kann ich Ihnen als falſch bezeichnen. Hr. Simons ſoll nur geäußert haben, er würde ſich zu dieſem Schritt genöthigt ſehen wenn Hr. Stieber ſeine Aeußerungen in der zweiten Inſtanz wiederholen ſollte; ob aber dieſe zweite Inſtanz überhaupt je zu Tage kommen wird, erſcheint zweifelhafter als je. Hr. Simons hat vielleicht mehr Grund die beregten Aeußerungen des Hrn. Stieber der gerichtlichen Cognition nicht unterſtellt zu ſehen, als letzterer ſelbſt. Dagegen bereitet Hr. Oberſtaatsanwalt Schwarck allerdings eine neue Anklage gegen Stieber vor, und hat dieſen bereits verantwortlich darüber vernehmen laſſen. Wie indeß die Freunde des letzteren mit großer Zuverſicht behaupten, würde die Staatsanwaltſchaft dabei noch kläglicher unterliegen als das erſtemal. Außerdem verlautet immer beſtimmter daß Hr. Schwarck binnen kurzem von hier entfernt werden würde. Man ſoll ihm ſein unzweifelhaft leidenſchaftliches Verfahren höhern Orts ſehr übel aufgenommen haben, namentlich da dasſelbe in ſeinen Conſequenzen für ſehr excluſive Kreiſe höchſt peinlich zu werden anfängt. Ganz beſonders ſind aber in neueſter Zeit ſcharfe politiſche Anklagen gegen ihn ins Gewicht gefallen, die aus dem Jahr 1848 herrühren. So enthält das Beiblatt der Kreuzzeitung, das Preußiſche Volksblatt, folgende bezeichnende Anfrage: „Welcher jetzt in Berlin in großem Anſehen ſtehende, außerordent- lich miniſterielle Mann mag es geweſen ſeyn der im Jahr 1848 in Ratibor durchaus keine ſolche Nolle geſpielt hat die ihn zu einem Vertheidiger der Vor- rechte der Krone geſchickt macht? Wer war es der im März 1848 eines Abends mit einem Haufen Tumultuanten vor das in Ratibor belegene Hôtel zum Prinzen von Preußen zog und dort unter Schimpfen und Toben eigen- händig den Schild mit dem Namen des Prinzen abriß und zur Erde warf?“ Es iſt ein öffentliches Geheimniß daß dieſer Angriff auf Hrn. Schwarck zielt, ohne daß letzterer etwas darauf erwiedert hätte. Mit dem Staatsanwalt Nörner ſind Unterhandlungen wegen ſeiner Ernennung zum Rechtsanwalt am hieſigen Stadtgericht eingeleitet. Er würde dann zugleich den Titel als geheimer Juſtizrath erhalten. Berlin, 16 Jun. Die N. Preuß. Zeitung ſagt über die Fürſten- zuſammenkunſt in Baden-Baden: „Gern ſprechen wir das Zugeftändniß aus daß wir, in voller Würdigung der eigenthümlichen Schwierigkeiten, der Lage und der vorausſichtlichen Folgen einer eiwaigen Ablehnung den Entſchluß der Zuſammenkunft an fich nicht zu mißbilligen wiſſen. Was wir mißbilligen, iſt weſentlich die Politik welche in dieſe Schwierig- keiten hineingeführt; jedoch geben wir uns auch hier der Hoffnung hin daß der ſo weiſe und löbliche Entſchluß, den Kaiſer der Franzoſen nur in Gemeinſchaft der deutſchen Fürſten empfangen zu wollen, etwaigen bedenklichen Tendenzen der fran- zöſiſchen Politik von Haus aus die Spitze abgebrochen hat. War ſchon die jüngſte Anweſenheit des Königs von Hannover in Berlin eine erfreuliche Antwort auf dieſe Wendung der deuſchen Politik Preußens, — wir ſind gewiß, und haben es jeder Zeit mit lauter Stimme ausgeſprochen daß auf dieſem Weg (aber auch nur auf dieſem) Preußen noch größere Reſultate in Deutſchland erzielen und in der That moraliſche

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860, S. 2832. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine170_1860/4>, abgerufen am 17.06.2024.