Allgemeine Zeitung, Nr. 163, 11. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
reisten sie nach Stuttgart, wo Spohr zuerst Karl Maria v. Weber kennen Im Jahr 1808 hielt Napeleon den Fürstencongreß zu Erfurt. Um Wir schließen hiermit die Anzeige dieser ebenso anziehenden als lehr- Franz von Sickingen, ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter, von Paul Pressel, Es wird hier der Versuch gemacht in einem dichterischen Bilde das Katholische und protestantische Stimmen aus Baden. Karlsruhe, 6 Jun. Die Karlsruher Ztg. schreibt: Es er- ++ Aus Baden, Anfangs Juni. Gilt die badische Convention mit [Spaltenumbruch]
reisten ſie nach Stuttgart, wo Spohr zuerſt Karl Maria v. Weber kennen Im Jahr 1808 hielt Napeleon den Fürſtencongreß zu Erfurt. Um Wir ſchließen hiermit die Anzeige dieſer ebenſo anziehenden als lehr- Franz von Sickingen, ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter, von Paul Preſſel, ⸪ Es wird hier der Verſuch gemacht in einem dichteriſchen Bilde das Katholiſche und proteſtantiſche Stimmen aus Baden. Karlsruhe, 6 Jun. Die Karlsruher Ztg. ſchreibt: Es er- †† Aus Baden, Anfangs Juni. Gilt die badiſche Convention mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="2723"/><cb/> reisten ſie nach Stuttgart, wo Spohr zuerſt Karl Maria v. Weber kennen<lb/> lernte, mit dem er bis zu deſſen Tod ſtets in freundſchaftlicher Verbindung<lb/> blieb. „Weber war damals Secretär bei einem Prinzen von Württemberg,<lb/> und trieb die Kunſt nur als Dilettant. Dieß hinderte ihn aber nicht fleißig<lb/> zu componiren, und ich erinnere mich noch ſehr gut damals als Muſter von<lb/> Webers Arbeiten einige Nummern aus der Oper „der Beherrſcher der<lb/> Geiſter“ bei ihm gehört zu haben. Dieſe kamen mir aber, da ich gewohnt<lb/> war bei dramatiſchen Arbeiten ſtets Mozart als Maßſtab anzulegen, ſo un-<lb/> bedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im entfernteſten ahnte es<lb/> werde Weber einſt gelingen können mit irgend einer Oper Aufſehen zu er-<lb/> regen.“</p><lb/> <p>Im Jahr 1808 hielt Napeleon den Fürſtencongreß zu Erfurt. Um<lb/> jene Zeit übernachtete derſelbe auch einmal im Schloſſe zu Gotha, bei welcher<lb/> Gelegenheit Spohr mit ſeiner Gattin vor ihm ſpielte, und einige freundliche<lb/> Worte von ihm zu hören bekam. Dabei erzählt Spohr folgendes Erlebniß,<lb/> das auch jetzt wieder als lehrreiche Erinnerung an jene ſchmachvolle Zeit die-<lb/> nen kann. „Damals ſtand der Herzog von Gotha ſehr in Gunſt bei ihm,<lb/> und man hofſte davon viel gutes für das Land. Später mußte er ſie ſich<lb/> aber durch irgend etwas verſcherzt haben; denn es ereignete ſich bei einer<lb/> ſpäteren Durchreiſe des Kaiſers eine Scene welche die Bewohner Gotha’s mit<lb/> Ingrimm gegen den Tyrannen erfüllte. Man erwartete den Kaiſer um 11<lb/> Uhr. Es war daher im Schloß Friedrichsthal, wo der Hof im Sommer<lb/> wohnte, ein Frühſtück vorbereitet und der Hofſtaat in Gala verſammelt. Die<lb/> Poſtpferde warteten bereits angeſchirrt im Schloßhof, um den Kaiſer ſogleich<lb/> nach eingenommenem Frühſtück weiter zu befördern. Endlich ertönte oben am<lb/> Friedenſtein der erſte Salutſchuß, deren bei jeder Durchreiſe des Kaiſers 101<lb/> abgefeuert wurden. Bald darauf rollte ſein Wagen heran. Der Herzog, vom<lb/> Hofſtaat umgeben, ſtand entblößten Hauptes bereits am Gitterthor, nahte ſich<lb/> demuthsvoll dem Wagen, und bat daß Se. kaiſerl. Majeſtät geruhen wolle ein<lb/> Frühſtück einzunehmen. Ein kurzes: <hi rendition="#aq">non!</hi> und der Befehl an den Mame-<lb/> luken die Pferde vorhängen zu laſſen war die Antwort. Ohne den Herzog<lb/> weiter eines Wortes oder eines Blickes zu würdigen, lehnte er ſich im Wagen<lb/> zurück, und ließ den Fürſten in der peinlichſten Verlegenheit am geſchloſſenen<lb/> Schlage ſtehen. Der Herzog erblaßte vor innerem Grimm daß er ſich in<lb/> Gegenwart ſeines Hofes und Volkes ſo beſchimpft ſah, und hatte dennoch<lb/> nicht den Muth ſogleich ins Schloß zurückzukehren. So vergiengen in laut-<lb/> loſer Stille fünf bis ſechs fürchterlich lange Minuten, bis endlich die Pferde<lb/> angeſpannt waren. Bei dem erſten Anziehen derſelben wurde der Kopf des<lb/> Kaiſers noch einmal ſichtbar, und mit einem kalten Nicken fuhr er von dan-<lb/> nen. Der Herzog kehrte wie vernichtet ins Schloß zurück, und die Bürger<lb/> äußerten laut ihre Wuth daß der übermüthige Corſe ihren Fürſten ſo beſchimpft<lb/> hatte.“</p><lb/> <p>Wir ſchließen hiermit die Anzeige dieſer ebenſo anziehenden als lehr-<lb/> reichen Biographie; denn der Raum geſtattet uns nicht alles Intereſſante<lb/> auch nur in allgemeinen Umriſſen bier mitzutheilen, und viele Leſer dieſer<lb/> Blätter werden ſich ſchwerlich den Genuß verſagen die Fortſetzung im Buch<lb/> ſelbſt nachzuleſen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Franz von Sickingen,</hi> </hi> </head><lb/> <argument> <p>ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter, von <hi rendition="#g">Paul Preſſel,</hi><lb/> Leipzig 1860.</p> </argument><lb/> <p>⸪ Es wird hier der Verſuch gemacht in einem dichteriſchen Bilde das<lb/> glänzende Leben und das tragiſche Ende jenes ächten deutſchen Ritters zu<lb/> ſchildern, der im Kampfe gegen die wachſende Fürſtengewalt den frühen Unter-<lb/> gang fand, voll Begeiſterung für die Sache der jungen Reformation, voll<lb/> Hingebung und umfaſſender Gedanken für die Erneuerung des deutſchen<lb/> Volks und Reichs. Indem er dieſe beiden Ziele, das politiſche und das<lb/> religiöſe, zugleich ins Auge gefaßt hat, iſt er dem Schickſal nicht entgangen<lb/> daß die Aufgabe größer war als der Mann der ſie ſich zu ſtellen vermaß,<lb/> und ſein Ende erfüllt ſo von ſelbſt nicht bloß die Möglichkeit der Geſchichte,<lb/> ſondern auch die tragiſche Gerechtigkeit. Es iſt an ſich klar wie gut gewählt<lb/> der künſtleriſche Stoff iſt den hier die große Vergangenheit unſers Volks der<lb/> Hand des Verarbeitenden bietet. Hat er ſchon früher den Griffel in Bewe-<lb/> gung geſetzt und Menzels charaktervolle Zeichnung ins Leben gerufen, ſo iſt<lb/> nun hier auch die erzählende Poeſie an ihn herangetreten. In einer Anzahl glück-<lb/> licher lebendiger Scenen werden uns Männer dieſer großen Zeit vorgeführt,<lb/> wie ſie um Sickingen ſich ſammelten: der ſeine Melanchthon, der ſtürmiſche<lb/> Hutten, der milde Aquila, vor allen der tüchtige edle Sinn des Haupthelden<lb/> ſelbſt — mitten in dem Gähren und Wogen in das die neuen Ideen, wie ſie<lb/> von dem aus der Ferne wirkenden Luther ausgegangen waren, ſie verſetzt<lb/> hatten. Der Ton jener Tage mit ſeinem derben Colorit durch weht das Ge-<lb/> dicht, das im würdigen Versmaß unſers alten Epos dahinſchreitet, ſtark und<lb/> kräftig, gleich weit entfernt von Rohheit und Sentimentalität. Und neben die<lb/> ernſten Thaten hiſtoriſcher Vergangenheit ſind freundliche Bilder zarten Natur-<lb/> lebens und idylliſchen Glücks geſtellt. Mit warmer Begeiſterung iſt der<lb/><cb/> Dichter an ſein Werk gegangen, die Geſtalt ſeines Helden wird uns herzlich<lb/> vertraut, und tief ergriffen verlaſſen wir die Leiche des befreundeten edlen<lb/> Todten. Das deutſche Publicum wird dieſem Stoff um ſo eher ſein Inter-<lb/> eſſe ſchenken, und das Buch mit freundlicher Aufnahme begrüßen, als es eine<lb/> Zeit vor Augen ſtellt die in eben ſo gewaltigen Wehen lag wie die unſrige,<lb/> eine Zeit wo der innere und der äußere Feind, die Frage der politiſchen Welt-<lb/> ſtellung und die der innern Wiedergeburt, unſer Vaterland zumal bewegte,<lb/> und die Sorge des Patrioten rege machte wie heute.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Katholiſche und proteſtantiſche Stimmen aus Baden.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Karlsruhe,</hi> 6 Jun.</dateline> <p>Die <hi rendition="#g">Karlsruher Ztg</hi>. ſchreibt: Es er-<lb/> ſcheint uns als ein etwas gewiſſenloſes Unterfangen, was gegenwärtig<lb/> mit den Adreſſen der Landeapitel an den Erzbiſchof getrieben wird. Wenn<lb/> man in denſelben einen ſchlimmen Sinn finden will, ſo kann man daraus le-<lb/> ſen daß die Unterzeichner nur auf einen Aufruf zur Untreue gegen ihren er-<lb/> lauchten Fürſten und die Geſetze ihres Vaterlandes warten, um ſofort ſich zu<lb/> empören. Der loyale Schein, unter dem dieß geſchieht, hat dabei eher etwas<lb/> beleidigendes als etwas loyales an ſich. Man iſt verſucht denen welche<lb/> dieſe Agitation leiten, den Rath zu geben ihre möglichen Folgen zu bedenken.<lb/> Die Bedeutung dieſer Adreſſen iſt ſelbſt für die Partei welche dieſelben veran-<lb/> laßt, zu gering um die Einbuße an dem ſittlichen Vertrauen zu erſetzen welche<lb/> auf dieſem Wege zum Nachtheil der Geiſtlichkeit gemacht wird, und zugleich<lb/> die Verantwortlichkeit für die Folgen auszugleichen welche bei aller Nachſicht<lb/> der Regierung doch möglicher Weiſe ein fortgeſetztes Gebahren dieſer Art her-<lb/> beiführen könnte. Der Entwurf des Geſetzes über die Beſtrafung von Amts-<lb/> mißbräuchen der Geiſtlichen erregt Mißbehagen bei vielen derſelben. Iſt es<lb/> nicht unklug im jetzigen Augenblick die Beweiſe ſelbſt zu liefern daß derſelbe<lb/> ſogar in ſeinen ſtrengſten Beſtimmungen eine Berechtigung in Anſpruch neh-<lb/> men kann?</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>†† <hi rendition="#b">Aus Baden,</hi> Anfangs Juni.</dateline> <p>Gilt die badiſche Convention mit<lb/> dem päpſtlichen Stuhle noch, oder iſt ſie aufgehoben? So kann man auch<lb/> jetzt noch fragen nach der Vorlage der neueſten Geſetzentwürfe über die Kirchen-<lb/> frage. Man ſcheint beſondern Grund zu haben dieſe formelle Frage etwas<lb/> in der Schwebe zu halten. Wenn dieſe Frage über die formelle Gültigkeit<lb/> der Convention noch im ungewiſſen ſeyn ſollte, ſo iſt dagegen als gewiß anzu-<lb/> nehmen daß, was die Verhältniſſe der katholiſchen Kirche betrifft, die Conven-<lb/> tion in dieſen neuen Geſetzen ihren „berechtigten Ausdruck,“ wenn man dar-<lb/> unter einen mit dem Geiſt und Inhalt der Convention übereinſtimmenden<lb/> Ausdruck verſteht, nicht gefunden hat, und daß es dem Miniſterium nicht ge-<lb/> lungen iſt auf eine befriedigende Weiſe die in der großherzogl. Proclamation<lb/> vom 7 April d. J. gegebene Verheißung in Erfüllung zu bringen, wornach<lb/> „der Grundſatz der Selbſtändigkeit der katholiſchen Kirche in Ordnung ihrer<lb/> Angelegenheit zur vollen Geltung gebracht“ werden ſollte. Dieß wird ſchon<lb/> ein kurzer Blick auf den erſten und den letzten der vorgelegten ſechs Geſetzent-<lb/> würfe beweiſen, auf welche beide allein wir uns hier beſchränken wollen. In<lb/> dem erſten Geſetzentwurf (über die rechtliche Stellung der Kirchen und kirch-<lb/> lichen Vereine im Staat) iſt zwar §. 7 der Grundſatz proclamirt: „Die ver-<lb/> einigte evangeliſch-proteſtantiſche und die römiſch katholiſche Kirche ordnen und<lb/> verwalten ihre Angelegenheiten frei und ſelbſtändig.“ Aber dieſer Paragraph<lb/> wird durch ein entgegengeſetztes Princip, welches gleichfalls in dasſelbe Geſetz<lb/> aufgenommen worden iſt, ſo wie durch einzelne Beſchränkungen nicht bloß ab-<lb/> geſchwächt, ſondern man kann wirklich ſagen wieder aufgehoben. Den Kirchen<lb/> iſt nämlich §. 1 nur gewährleiſtet „das Recht öffentlicher Corporationen mit<lb/> dem Recht der öffentlichen Gottesverehrung.“ Die Lehre und Verfaſſung der<lb/> Kirche hat keine Gewährleiſtung gefunden. Im Gegentheil iſt §. 13 geradezu<lb/> ausgeſprochen: „Keine Kirche kann aus ihrer Verfaſſung oder ihren Verord-<lb/> nungen Befugniſſe ableiten welche mit der Hoheit des Staats oder mit den<lb/> Staatsgeſetzen im Widerſpruch ſtehen.“ Mit dieſem Satz und deſſen mög-<lb/> licher, ja über kurz oder lang wahrſcheinlicher Durchführung iſt die ganze<lb/> Exiſtenz der katholiſchen Kirche in Frage geſtellt. Bei der großen Dehnbar-<lb/> keit des Begriffs der Staatshoheit, wie wir dieſelbe von der Zeit des Rhein-<lb/> bundes an haben kennen gelernt, und je nach der wechſelnden Richtung der<lb/> Miniſterialreferenten und Kammermajoritäten, oder (wie man ſich vornehmer<lb/> auszudrücken pflegt) „des modernen Staats,“ können ſolche Geſetze und Ver-<lb/> ordnungen gegeben werden welche die ganze Verfaſſung der katholiſchen Kirche<lb/> ändern, und die kirchlichen Regierungsrechte des Biſchofs ſo beſchränken, daß<lb/> er wirklich nur noch, wie man ſich früher bekanntlich einmal ausdrückte, als<lb/> „Salber“ belaſſen wird. Weiter iſt §. 12 den Kirchen zwar die Befugniß<lb/> eingeräumt Bildungsanſtalten für diejenigen zu errichten welche ſich dem geiſt-<lb/> lichen Stande widmen. Aber dagegen alle Erziehungsanſtalten, ſomit auch<lb/> dieſe, ſtehen unbedingt unter der Staatsaufſicht (§. 6); auch kann die Kirche<lb/> nicht für ſich über ihr Vermögen verfügen, und hängt daher bei der Beſtim-<lb/> mung des Maßes der Mittel für ſolche Anſtalten von den Regierungs-<lb/> männern ab. Die Kirchenämter werden nach §. 8 zwar von den Kirchen<lb/> ſelbſt verlichen; aber es darf nur an ſolche geſchehen (§. 9) welche der Regie-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2723/0011]
reisten ſie nach Stuttgart, wo Spohr zuerſt Karl Maria v. Weber kennen
lernte, mit dem er bis zu deſſen Tod ſtets in freundſchaftlicher Verbindung
blieb. „Weber war damals Secretär bei einem Prinzen von Württemberg,
und trieb die Kunſt nur als Dilettant. Dieß hinderte ihn aber nicht fleißig
zu componiren, und ich erinnere mich noch ſehr gut damals als Muſter von
Webers Arbeiten einige Nummern aus der Oper „der Beherrſcher der
Geiſter“ bei ihm gehört zu haben. Dieſe kamen mir aber, da ich gewohnt
war bei dramatiſchen Arbeiten ſtets Mozart als Maßſtab anzulegen, ſo un-
bedeutend und dilettantenmäßig vor, daß ich nicht im entfernteſten ahnte es
werde Weber einſt gelingen können mit irgend einer Oper Aufſehen zu er-
regen.“
Im Jahr 1808 hielt Napeleon den Fürſtencongreß zu Erfurt. Um
jene Zeit übernachtete derſelbe auch einmal im Schloſſe zu Gotha, bei welcher
Gelegenheit Spohr mit ſeiner Gattin vor ihm ſpielte, und einige freundliche
Worte von ihm zu hören bekam. Dabei erzählt Spohr folgendes Erlebniß,
das auch jetzt wieder als lehrreiche Erinnerung an jene ſchmachvolle Zeit die-
nen kann. „Damals ſtand der Herzog von Gotha ſehr in Gunſt bei ihm,
und man hofſte davon viel gutes für das Land. Später mußte er ſie ſich
aber durch irgend etwas verſcherzt haben; denn es ereignete ſich bei einer
ſpäteren Durchreiſe des Kaiſers eine Scene welche die Bewohner Gotha’s mit
Ingrimm gegen den Tyrannen erfüllte. Man erwartete den Kaiſer um 11
Uhr. Es war daher im Schloß Friedrichsthal, wo der Hof im Sommer
wohnte, ein Frühſtück vorbereitet und der Hofſtaat in Gala verſammelt. Die
Poſtpferde warteten bereits angeſchirrt im Schloßhof, um den Kaiſer ſogleich
nach eingenommenem Frühſtück weiter zu befördern. Endlich ertönte oben am
Friedenſtein der erſte Salutſchuß, deren bei jeder Durchreiſe des Kaiſers 101
abgefeuert wurden. Bald darauf rollte ſein Wagen heran. Der Herzog, vom
Hofſtaat umgeben, ſtand entblößten Hauptes bereits am Gitterthor, nahte ſich
demuthsvoll dem Wagen, und bat daß Se. kaiſerl. Majeſtät geruhen wolle ein
Frühſtück einzunehmen. Ein kurzes: non! und der Befehl an den Mame-
luken die Pferde vorhängen zu laſſen war die Antwort. Ohne den Herzog
weiter eines Wortes oder eines Blickes zu würdigen, lehnte er ſich im Wagen
zurück, und ließ den Fürſten in der peinlichſten Verlegenheit am geſchloſſenen
Schlage ſtehen. Der Herzog erblaßte vor innerem Grimm daß er ſich in
Gegenwart ſeines Hofes und Volkes ſo beſchimpft ſah, und hatte dennoch
nicht den Muth ſogleich ins Schloß zurückzukehren. So vergiengen in laut-
loſer Stille fünf bis ſechs fürchterlich lange Minuten, bis endlich die Pferde
angeſpannt waren. Bei dem erſten Anziehen derſelben wurde der Kopf des
Kaiſers noch einmal ſichtbar, und mit einem kalten Nicken fuhr er von dan-
nen. Der Herzog kehrte wie vernichtet ins Schloß zurück, und die Bürger
äußerten laut ihre Wuth daß der übermüthige Corſe ihren Fürſten ſo beſchimpft
hatte.“
Wir ſchließen hiermit die Anzeige dieſer ebenſo anziehenden als lehr-
reichen Biographie; denn der Raum geſtattet uns nicht alles Intereſſante
auch nur in allgemeinen Umriſſen bier mitzutheilen, und viele Leſer dieſer
Blätter werden ſich ſchwerlich den Genuß verſagen die Fortſetzung im Buch
ſelbſt nachzuleſen.
Franz von Sickingen,
ein erzählendes Gedicht aus dem Reformationszeitalter, von Paul Preſſel,
Leipzig 1860.
⸪ Es wird hier der Verſuch gemacht in einem dichteriſchen Bilde das
glänzende Leben und das tragiſche Ende jenes ächten deutſchen Ritters zu
ſchildern, der im Kampfe gegen die wachſende Fürſtengewalt den frühen Unter-
gang fand, voll Begeiſterung für die Sache der jungen Reformation, voll
Hingebung und umfaſſender Gedanken für die Erneuerung des deutſchen
Volks und Reichs. Indem er dieſe beiden Ziele, das politiſche und das
religiöſe, zugleich ins Auge gefaßt hat, iſt er dem Schickſal nicht entgangen
daß die Aufgabe größer war als der Mann der ſie ſich zu ſtellen vermaß,
und ſein Ende erfüllt ſo von ſelbſt nicht bloß die Möglichkeit der Geſchichte,
ſondern auch die tragiſche Gerechtigkeit. Es iſt an ſich klar wie gut gewählt
der künſtleriſche Stoff iſt den hier die große Vergangenheit unſers Volks der
Hand des Verarbeitenden bietet. Hat er ſchon früher den Griffel in Bewe-
gung geſetzt und Menzels charaktervolle Zeichnung ins Leben gerufen, ſo iſt
nun hier auch die erzählende Poeſie an ihn herangetreten. In einer Anzahl glück-
licher lebendiger Scenen werden uns Männer dieſer großen Zeit vorgeführt,
wie ſie um Sickingen ſich ſammelten: der ſeine Melanchthon, der ſtürmiſche
Hutten, der milde Aquila, vor allen der tüchtige edle Sinn des Haupthelden
ſelbſt — mitten in dem Gähren und Wogen in das die neuen Ideen, wie ſie
von dem aus der Ferne wirkenden Luther ausgegangen waren, ſie verſetzt
hatten. Der Ton jener Tage mit ſeinem derben Colorit durch weht das Ge-
dicht, das im würdigen Versmaß unſers alten Epos dahinſchreitet, ſtark und
kräftig, gleich weit entfernt von Rohheit und Sentimentalität. Und neben die
ernſten Thaten hiſtoriſcher Vergangenheit ſind freundliche Bilder zarten Natur-
lebens und idylliſchen Glücks geſtellt. Mit warmer Begeiſterung iſt der
Dichter an ſein Werk gegangen, die Geſtalt ſeines Helden wird uns herzlich
vertraut, und tief ergriffen verlaſſen wir die Leiche des befreundeten edlen
Todten. Das deutſche Publicum wird dieſem Stoff um ſo eher ſein Inter-
eſſe ſchenken, und das Buch mit freundlicher Aufnahme begrüßen, als es eine
Zeit vor Augen ſtellt die in eben ſo gewaltigen Wehen lag wie die unſrige,
eine Zeit wo der innere und der äußere Feind, die Frage der politiſchen Welt-
ſtellung und die der innern Wiedergeburt, unſer Vaterland zumal bewegte,
und die Sorge des Patrioten rege machte wie heute.
Katholiſche und proteſtantiſche Stimmen aus Baden.
Karlsruhe, 6 Jun. Die Karlsruher Ztg. ſchreibt: Es er-
ſcheint uns als ein etwas gewiſſenloſes Unterfangen, was gegenwärtig
mit den Adreſſen der Landeapitel an den Erzbiſchof getrieben wird. Wenn
man in denſelben einen ſchlimmen Sinn finden will, ſo kann man daraus le-
ſen daß die Unterzeichner nur auf einen Aufruf zur Untreue gegen ihren er-
lauchten Fürſten und die Geſetze ihres Vaterlandes warten, um ſofort ſich zu
empören. Der loyale Schein, unter dem dieß geſchieht, hat dabei eher etwas
beleidigendes als etwas loyales an ſich. Man iſt verſucht denen welche
dieſe Agitation leiten, den Rath zu geben ihre möglichen Folgen zu bedenken.
Die Bedeutung dieſer Adreſſen iſt ſelbſt für die Partei welche dieſelben veran-
laßt, zu gering um die Einbuße an dem ſittlichen Vertrauen zu erſetzen welche
auf dieſem Wege zum Nachtheil der Geiſtlichkeit gemacht wird, und zugleich
die Verantwortlichkeit für die Folgen auszugleichen welche bei aller Nachſicht
der Regierung doch möglicher Weiſe ein fortgeſetztes Gebahren dieſer Art her-
beiführen könnte. Der Entwurf des Geſetzes über die Beſtrafung von Amts-
mißbräuchen der Geiſtlichen erregt Mißbehagen bei vielen derſelben. Iſt es
nicht unklug im jetzigen Augenblick die Beweiſe ſelbſt zu liefern daß derſelbe
ſogar in ſeinen ſtrengſten Beſtimmungen eine Berechtigung in Anſpruch neh-
men kann?
†† Aus Baden, Anfangs Juni. Gilt die badiſche Convention mit
dem päpſtlichen Stuhle noch, oder iſt ſie aufgehoben? So kann man auch
jetzt noch fragen nach der Vorlage der neueſten Geſetzentwürfe über die Kirchen-
frage. Man ſcheint beſondern Grund zu haben dieſe formelle Frage etwas
in der Schwebe zu halten. Wenn dieſe Frage über die formelle Gültigkeit
der Convention noch im ungewiſſen ſeyn ſollte, ſo iſt dagegen als gewiß anzu-
nehmen daß, was die Verhältniſſe der katholiſchen Kirche betrifft, die Conven-
tion in dieſen neuen Geſetzen ihren „berechtigten Ausdruck,“ wenn man dar-
unter einen mit dem Geiſt und Inhalt der Convention übereinſtimmenden
Ausdruck verſteht, nicht gefunden hat, und daß es dem Miniſterium nicht ge-
lungen iſt auf eine befriedigende Weiſe die in der großherzogl. Proclamation
vom 7 April d. J. gegebene Verheißung in Erfüllung zu bringen, wornach
„der Grundſatz der Selbſtändigkeit der katholiſchen Kirche in Ordnung ihrer
Angelegenheit zur vollen Geltung gebracht“ werden ſollte. Dieß wird ſchon
ein kurzer Blick auf den erſten und den letzten der vorgelegten ſechs Geſetzent-
würfe beweiſen, auf welche beide allein wir uns hier beſchränken wollen. In
dem erſten Geſetzentwurf (über die rechtliche Stellung der Kirchen und kirch-
lichen Vereine im Staat) iſt zwar §. 7 der Grundſatz proclamirt: „Die ver-
einigte evangeliſch-proteſtantiſche und die römiſch katholiſche Kirche ordnen und
verwalten ihre Angelegenheiten frei und ſelbſtändig.“ Aber dieſer Paragraph
wird durch ein entgegengeſetztes Princip, welches gleichfalls in dasſelbe Geſetz
aufgenommen worden iſt, ſo wie durch einzelne Beſchränkungen nicht bloß ab-
geſchwächt, ſondern man kann wirklich ſagen wieder aufgehoben. Den Kirchen
iſt nämlich §. 1 nur gewährleiſtet „das Recht öffentlicher Corporationen mit
dem Recht der öffentlichen Gottesverehrung.“ Die Lehre und Verfaſſung der
Kirche hat keine Gewährleiſtung gefunden. Im Gegentheil iſt §. 13 geradezu
ausgeſprochen: „Keine Kirche kann aus ihrer Verfaſſung oder ihren Verord-
nungen Befugniſſe ableiten welche mit der Hoheit des Staats oder mit den
Staatsgeſetzen im Widerſpruch ſtehen.“ Mit dieſem Satz und deſſen mög-
licher, ja über kurz oder lang wahrſcheinlicher Durchführung iſt die ganze
Exiſtenz der katholiſchen Kirche in Frage geſtellt. Bei der großen Dehnbar-
keit des Begriffs der Staatshoheit, wie wir dieſelbe von der Zeit des Rhein-
bundes an haben kennen gelernt, und je nach der wechſelnden Richtung der
Miniſterialreferenten und Kammermajoritäten, oder (wie man ſich vornehmer
auszudrücken pflegt) „des modernen Staats,“ können ſolche Geſetze und Ver-
ordnungen gegeben werden welche die ganze Verfaſſung der katholiſchen Kirche
ändern, und die kirchlichen Regierungsrechte des Biſchofs ſo beſchränken, daß
er wirklich nur noch, wie man ſich früher bekanntlich einmal ausdrückte, als
„Salber“ belaſſen wird. Weiter iſt §. 12 den Kirchen zwar die Befugniß
eingeräumt Bildungsanſtalten für diejenigen zu errichten welche ſich dem geiſt-
lichen Stande widmen. Aber dagegen alle Erziehungsanſtalten, ſomit auch
dieſe, ſtehen unbedingt unter der Staatsaufſicht (§. 6); auch kann die Kirche
nicht für ſich über ihr Vermögen verfügen, und hängt daher bei der Beſtim-
mung des Maßes der Mittel für ſolche Anſtalten von den Regierungs-
männern ab. Die Kirchenämter werden nach §. 8 zwar von den Kirchen
ſelbſt verlichen; aber es darf nur an ſolche geſchehen (§. 9) welche der Regie-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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