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Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924.

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erste Seite

Allgemeine Zeitung
Süddeutsches Tagblatt Großdeutsche Rundschau
127. Jahrgang. Nr. 15
München, Mittwoch den 16. Januar 1924.
Hauptschriftleitung und verantwortlich für Deutsche und Bayerische Politik:
Max Heilgemayr. -- Wirtschaftszeitung u. Auswärtige Politik: Josef Schrepfer.
-- Unpolitische Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. -- Kunst u. Mustk: Albin v.
Prybram-Gladvna. -- Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. -- Anzeigenteil: Josef
Spiegel, sämtl. in München. -- Redaktion: München, Baaderstr. 1, Tel. 27940. -- Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerstr. 9. Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk.
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Die Allgemeine Zeitung erscheint täglich. Bei Störung des Erscheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks besteht kein Anspruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-spaltige
Millimeterzeile im Inseratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10.
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Postscheckkonto: München 8170.
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderstraße 1 und 1a. Telefon 24287.
Einzelpreis 10 Pfennig.

Drohungen der Separatisten

Die sogenannte
Regierung der autonomen Pfalz veröffent-
licht in der Presse eine Bekanntmachung,
in der sie darauf hinweist, daß sie bisher
keine Maßnahmen zum Schutze ihrer Mit-
glieder und ihrer "Beamten" getroffen
habe.

Seit dem Attentat von Speyer seien
aber die Mitglieder der Regierung und die
Bezirkskommissare mit Briefen über-
schüttet worden, worin allen Separatisten
das gleiche Schicksal angekündigt wird,
das Heinz beschieden war. Die Regierung
sah sich deshalb zu folgender Ankündigung
veranlaßt:

1. Für Vergehen gegen ein Mitglied oder
einen Beamten der Regierung der auto-
nomen Pfalz, für einen verübten oder ver-
suchten Anschlag auf dieselben haften
die fünf angesehensten Bürger

der Pfalz aus dem Gegenlager mit ihrem
Leben und gesamten Vermögen.

2. Für jeden gegen einen Bezirks-
kommissar
der Regierung oder einen
Beamten des Bezirkskommissariats ver-
übten oder versuchten Anschlag haften die
fünf angesehensten Bürger des Bezirks
aus dem Gegenlager mit ihrem Leben und
ihrem gesamten Vermögen.

Frankreich bespitzelt die Engländer im
Rheinland

Der Kölner Sonderbericht-
erstatter der Times schreibt, der wirkliche Zweck
der von Tirard nach Koblenz entsandten Mission
von französischen Offizieren zur Untersuchung der
Verhältnisse im britisch besetzten Gebiet sei, wie
man annehme, die Entdeckung von deutschen
oder englisch-deutschen geheimen
Gesellschaften in Köln
. Da außer dem
üblichen, nicht offiziellen Spionagedienst bereits
20 bis 30 wichtige französische Beamte mit großen
Stäben in Köln eifrig tätig seien, um die Ziele
Frankreichs auf britischem Gebiet durchzuführen,
sei es schwierig, zu verstehen, was diese neue Mis-
sion eigentlich entdecken solle. Auch könne man
kaum einen Vergleich anstellen zwischen der nor-
malen Lage der Dinge im britischen Gebiet und
der Herrschaft des Terrors in der Pfalz.



Der Korrespondent des Berl.
Tagebl. in Heidelberg hatte eine Unterredung mit
dem englischen Generalkonsul Clive. Der
Generalkonsul betonte, daß England in der pfälzi-
schen Angelegenheit durchaus unparteiisch und kor-
rekt vorgehen werde. Zu diesem Zweck sei er be-
auftragt worden, sich an Ort und Stelle über die
Verhältnisse in der Pfalz zu unterrichten. Es
handle sich hierbei aber nicht um eine Diskredi-
tierung Frankreichs. Er habe bereits gestern mit
den Vertretern der pfälzischen Parteien gesprochen,
um sich über die Zustände zu unterrichten. Er
werde aber beide Parteien hören und deshalb auch
die Separatisten. Auch nach Speyer werde er
reisen, um dem General de Metz einen Be-
such abzustatten.

Der Standpunkt in der pfälzischen Frage sei
der, daß die Rheinlandkommission nicht das
Recht
habe, ohne weiteres die sogenannte auto-
nome Regierung der Separatisten in der Pfalz
anzuerkennen. Wenn sie aber Maßnahmen der
separatistischen Regierung registriere, so bedeute
das eine De fakto-Anerkennung.

Gegen diese Beschlüsse der französischen und
belgischen Vertreter in der Rheinlandkommission
habe der englische Vertreter Protest eingelegt.
Die Registrierung der separatistischen Maßnahmen
sei deshalb um einen Monat verschoben worden.
Die endgültige Entscheidung werde von dem Er-
gebnis der diplomatischen Verhandlungen zwischen
London und Paris abhängen, auf die der Bericht
Clives ausschlaggebenden Einfluß haben werde.
England sei der Auffassung, daß das separatistische
Problem eine rein innerpolitische Ange-
legenheit Deutschlands
sei und nur auf
dem legalen Wege, d. h. auf Grund des Art. 18
der Weimarer Verfassung gelöst werden könne.
England sei bereit, den wahren Willen des pfälzi-
schen Volkes zu respektieren, wenn er sich auf
verfassungsmäßigem Wege auswirke. Großbritan-
nien könne dem illegalen Separatis-
mus
nicht das Recht zuerkennen, als rechtmäßige
Regierungsgewalt aufzutreten und Aenderungen
der tatsächlichen Verhältnisse vorzunehmen.

[Spaltenumbruch]
Die erste Sitzung
der Sachverständigen

Sonderdienst der Allgemeinen Zeitung.

[Spaltenumbruch]

Die französische
Presse ist so geschickt, die Rede des ameri-
kanischen Sachverständigen Dawes zu
loben, indem sie die für ein solches Lob
nicht geeigneten Stellen einfach übergeht.
Man hat aber überall den Eindruck, daß
es ohne Konflikte zwischen dem zu
praktischer Arbeit entschlossenen Ameri-
kaner und den Franzosen, die nun gar zu
gerne in der Vergangenheit herumwühlen
möchten, nicht abgehen werde.

Sehr unterhaltliche Berichte liegen über
die Einzelheiten der gestrigen
Sitzung
vor. Die Mitglieder des Aus-
schusses waren zuerst versammelt und
saßen um den Hufeisentisch herum. Mehrere
Tische für die Einzeldelegationen waren
rund herum aufgestellt. Jede der Dele-
gationen wurde von dem Generalsekretär
eingeführt und nahm an ihrem Tische
Platz.

Zuletzt kamen die Amerikaner, die
von der zeremoniellen Einführung nichts
gewußt hatten und im Straßenanzug er-
schienen waren. Bei ihrem Eintritt stan-
den alle anderen Anwesenden auf und
hörten die Reden von Barthou und Dawes,
von denen die Ansprache des Amerikaners
als Sensation wirkte, stehend an. Die
[Spaltenumbruch] Reparationskommission zog sich dann
zurück.

Diese erste Beratung dauerte 45 Mi-
nuten. Es wurde das Arbeitspro-
gramm
festgesetzt und beschlossen, zwei
Sitzungen täglich abzuhalten. Es wurde
weiter beschlossen, daß die Beratungen
geheim bleiben sollen. Berichte werden
nicht ausgegeben. Die einzelnen Sachver-
ständigen haben sich zur Verschwiegenheit
verpflichtet.

Um 3 Uhr begann die zweite Sitzung, die
diesmal hinter verschlossenen Türen drei
Stunden dauerte. Aus der Beratung ist
nur zu erfahren, daß 2 Unterkommis-
sionen gewählt
wurden, die erste
unter dem Vorsitze von Owen Young. Sie
wird sich mit der Stabilisierung der
Währung beschäftigen.

Die zweite, die von General Dawes
geleitet werden wird, soll sich mit der Sa-
nierung des deutschen Haushalts befassen.
Es wurde gestern abends angenommen,
daß der Ausschuß die Vorarbeiten in acht
Tagen erledigt haben werde und dann
nach Deutschland abreisen könne.

Bis zum April soll der Bericht des
ersten Ausschusses fertig sein.



Stützungsaktion für den Franken
[Spaltenumbruch]

Das Ereignis des
Tages war gestern ein neuer gewal-
tiger Sturz des Franken
. Am
Abend wurde an der Pariser Börse der
Dollar mit 22,80 Cents und das englische
Pfund mit 96,11 Francs notiert. Aber
nicht nur die angelsächsische Währung geht
in die Höhe, auch alle fremden Devisen er-
fuhren eine beträchtliche Steigerung.

Am höchsten sprang der italienische Lira
von 93,20 auf 101,20. Die Nachricht von
der Verständigung Italiens mit Jugo-
slawien mag dazu beigetragen haben.

Eine Abordnung der Lebensmittelsyndi-
kate erschien beim Handelsminister und
erklärte, daß es besser sei, den außer-
gewöhnlichen Kursaufstieg des Dollars an
der Warenbörse nicht zu notieren, um
nicht eine gefährliche Steigerung der
Lebensmittelpreise herbeizu-
führen
.

Der Ministerrat, der heute stattfinden
wird, soll über die Stützung des Franken
beschließen. Die Zeitungen kündigen an,
daß Poincare selbst die Leitung der
Verteidigungsoperation in die Hand
[Spaltenumbruch] nehmen werde. In jedem Falle wird
Poincare noch in dieser Woche eine feier-
liche Erklärung in der Kammer abgeben.
Der französische Finanzminister wird im
Ministerrat einen Aktionsplan vor-
legen, der folgende Maßnahmen umfaßt:

1. Verringerung von öffentlichen Auf-
gaben und Vermeidung von Ausgaben,
deren Gegenwert auf der Einnahmeseite
nicht gesichert ist;

2. vorübergehende Aufnahme eines Tei-
les der deutschen Zahlungen in den Haus-
halt zur Deckung der Ausgaben;

3. schärfere Steuererfassung;

4. Erhöhung bestimmter Steuern;

5. Vermeidung jeglicher Inflation.



Die fortlaufende Entwer-
tung des französischen Franken löst im französi-
schen Publikum unverkennbare Depres-
sionen
aus. Herve spricht in der "Victoire"
von einem neuen Versailles. Im "Jour-
nal" erklärt ein französischer Bankdirektor, es
käme jetzt darauf an, gegen Deutschland auf finan-
ziellem Gebiete zum zweitenmal die Marne-
schlacht
zu gewinnen.



[Spaltenumbruch]
Bündnis zwischen Frankreich und Serbien

Pressekombinationen, welche
das italienisch-jugoslawische Ueber-
einkommen als ein Gegengewicht
gegen das tschechisch-französische
Bündnis
deuten wollen, werden hier zurück-
gewiesen. Dieses Bündnis bildete in den Be-
ratungen der Konferenz der Kleinen Entente
überhaupt keinen Gegenstand. Dagegen macht die
Anwesenheit des serbischen Gesand-
ten in Paris
, der sich während der ganzen
Dauer der Konferenz in Belgrad aufhielt, sowie
die bevorstehende Reise des Königspaares nach
Paris alle Kombinationen hinfällig. Die Reise
des Königspaares erfolgt im März oder April
als äußeres Zeichen für die formelle Ausdehnung
des ehemaligen serbisch-französischen Bündnisses
auf das neue Königreich der Serben, Kroaten und
Slovenen, dessen Bund mit Frankreich bei diesem
Anlasse kodifizlert wird.

[Spaltenumbruch]
Der Inhalt des italienisch-südslawischen
Vertrages

Die Basis des italie-
nisch-südslawischen Ueberein kom-
mens
sollen folgende Punkte bilden:

1. Italien verpflichtet sich, alle Bestimmungen
des Vertrages von Rapallo zu erfüllen und
alle mit dem früheren italienischen Minister des
Aeußern, Grafen Sforza festgelegten Abmachungen
zu beachten.

2. Südslawien gewährt Italien volle Freiheit
bezüglich der Organisation des Frimaner
Staates
.

3. Südslawien wird das Recht auf Benutzung
des Fiumer Hafens auf 50 Jahre eingeräumt.

4. Italien und Südslawien werden eine Han-
delskonvention abschließen.

[Spaltenumbruch]
Die wahren Ziele der
bayerischen Verfassungsreform

In der "München-Augsburger-Abend-
zeitung" findet sich ein Aufsatz des bekann-
ten Erlanger Universitätsprofessors und
deutschnationalen Reichstagsabge-
ordneten D. Strathmann,
der in
vielerlei Beziehungen außerordentlich be-
achtlich und aufschlußgebend über die der-
zeitigen bayerischen parlamentarischen Ver-
hältnisse ist. Zunächst wird eingehend die
Differenz in der Auffassung der
Bayerischen und Deutschnatio-
nalen
Volkspartei über die Verringe-
rung der Mandate
auseinanderge-
setzt und der deutschnationale Standpunkt
unter allerlei Seitenhieben auf die Baye-
rische Volkspartei -- zum Beispiel bezüg-
lich der bis jetzt unterlassenen Verminde-
rung der Ministerien auf fünf -- verteidigt.
Sodann wird es entschieden abgelehnt, Ver-
fassungsänderungen einer einfachen
Mehrheit auszuliefern, wobei Strathmann
"nicht unterstellen will, daß die Bayerische
Volkspartei erwartet, im künftigen Land-
tag allein die absolute Mehrheit zu erhal-
ten. Aber diese Möglichkeit besteht. Durch
die Uneinigkeit in den vaterländischen Ver-
bänden wird sie gesteigert."
Strathmann er-
schrickt nun darüber, daß die Entscheidung
allein der Bayerischen Volkspartei aus-
geliefert würde! Das dürfe unter gar kei-
nen Umständen geschehen! Die Sache müsse
vielmehr so gedreht werden, daß die Mehr-
heit zur Verfassungsänderung so angesetzt
werde, daß die Bayerische Volkspartei nur
mit Unterstützung der Deutsch-
nationalen
die zur Verfassungsände-
rung nötige Mehrheit bekommen könnte.
"Der Staat darf nicht einer Partei aus-
geliefert werden."
Im übrigen sei diese
Mehrheitsbildung aus beiden Parteien
zusammen und mit den Kräften beider
Parteien im nächsten Landtag leicht zu er-
reichen, da schon jetzt nur sechs Sitze zur
nötigen Mehrheit fehlten!

Aus diesen Darlegungen verdient zu-
nächst festgehalten zu werden, daß der hin-
reichend unterrichtete Strathmann die
vaterländischen Verbände ohne
weiteres als politische Parteien
wertet, ja, daß er eigentlich sie als künftig
gesonderte und besondere Partei schon jetzt
in sein politisches Kalkül einstellt. Sodann
ist von größter Bedeutung, daß hier glatt
eröffnet wird, daß die bayerische Verfas-
sungsänderung nicht zum Wohle des
Staates
dienen soll, wie gewisse Leute
behaupten, sondern daß der Staat zwei
politischen Parteien ausgeliefert werden
soll, und daß die zur Verfassungsänderung
nötige Mehrheit gerade auf die Größe die-
ser zwei und nur dieser zwei politischen
Parteien zugeschnitten werden muß! Und
das alles soll geschehen zugunsten der Par-
teien, die in ihren Redewendungen nur
immer vom Staatswohl triefen und sich gar
nicht genug darin tun können, sich über die
Parteiwirtschaft in Berlin zu entrüsten.

"Aber der Staat darf nicht einer Par-
tei ausgeliefert werden",
sagt Strathmann.
Seine Ausführungen hierzu sind die beste
Verteidigung derjenigen Parteien, die die
Anträge Hilperts auf Beseitigung der für
Verfassungsänderungen vorgeschriebenen
Mehrheiten ablehnten. Noch wichtiger ist
aber, daß sich die zwei einzigen Koali-
tionsparteien
, die gegenwärtig das
Ministerium Knilling noch betreuen, in die-
ser Weise öffentlich abraufen und sich bestä-
tigen, daß der Staat einer von diesen
beiden unter keinen Umständen ausgelie-
fert werden darf! Wie es wohl um diese
bayerische Koalition unter solchen Umstän-
den im Innern bestellt sein mag?


Allgemeine Zeitung
Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau
127. Jahrgang. Nr. 15
München, Mittwoch den 16. Januar 1924.
Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik:
Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer.
Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſtk: Albin v.
Prybram-Gladvna. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef
Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner
Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9. Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk.
[Abbildung]
Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer
Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be-
zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige
Millimeterzeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10.
Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170.
Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287.
Einzelpreis 10 Pfennig.

Drohungen der Separatiſten

Die ſogenannte
Regierung der autonomen Pfalz veröffent-
licht in der Preſſe eine Bekanntmachung,
in der ſie darauf hinweiſt, daß ſie bisher
keine Maßnahmen zum Schutze ihrer Mit-
glieder und ihrer „Beamten“ getroffen
habe.

Seit dem Attentat von Speyer ſeien
aber die Mitglieder der Regierung und die
Bezirkskommiſſare mit Briefen über-
ſchüttet worden, worin allen Separatiſten
das gleiche Schickſal angekündigt wird,
das Heinz beſchieden war. Die Regierung
ſah ſich deshalb zu folgender Ankündigung
veranlaßt:

1. Für Vergehen gegen ein Mitglied oder
einen Beamten der Regierung der auto-
nomen Pfalz, für einen verübten oder ver-
ſuchten Anſchlag auf dieſelben haften
die fünf angeſehenſten Bürger

der Pfalz aus dem Gegenlager mit ihrem
Leben und geſamten Vermögen.

2. Für jeden gegen einen Bezirks-
kommiſſar
der Regierung oder einen
Beamten des Bezirkskommiſſariats ver-
übten oder verſuchten Anſchlag haften die
fünf angeſehenſten Bürger des Bezirks
aus dem Gegenlager mit ihrem Leben und
ihrem geſamten Vermögen.

Frankreich beſpitzelt die Engländer im
Rheinland

Der Kölner Sonderbericht-
erſtatter der Times ſchreibt, der wirkliche Zweck
der von Tirard nach Koblenz entſandten Miſſion
von franzöſiſchen Offizieren zur Unterſuchung der
Verhältniſſe im britiſch beſetzten Gebiet ſei, wie
man annehme, die Entdeckung von deutſchen
oder engliſch-deutſchen geheimen
Geſellſchaften in Köln
. Da außer dem
üblichen, nicht offiziellen Spionagedienſt bereits
20 bis 30 wichtige franzöſiſche Beamte mit großen
Stäben in Köln eifrig tätig ſeien, um die Ziele
Frankreichs auf britiſchem Gebiet durchzuführen,
ſei es ſchwierig, zu verſtehen, was dieſe neue Miſ-
ſion eigentlich entdecken ſolle. Auch könne man
kaum einen Vergleich anſtellen zwiſchen der nor-
malen Lage der Dinge im britiſchen Gebiet und
der Herrſchaft des Terrors in der Pfalz.



Der Korreſpondent des Berl.
Tagebl. in Heidelberg hatte eine Unterredung mit
dem engliſchen Generalkonſul Clive. Der
Generalkonſul betonte, daß England in der pfälzi-
ſchen Angelegenheit durchaus unparteiiſch und kor-
rekt vorgehen werde. Zu dieſem Zweck ſei er be-
auftragt worden, ſich an Ort und Stelle über die
Verhältniſſe in der Pfalz zu unterrichten. Es
handle ſich hierbei aber nicht um eine Diskredi-
tierung Frankreichs. Er habe bereits geſtern mit
den Vertretern der pfälziſchen Parteien geſprochen,
um ſich über die Zuſtände zu unterrichten. Er
werde aber beide Parteien hören und deshalb auch
die Separatiſten. Auch nach Speyer werde er
reiſen, um dem General de Metz einen Be-
ſuch abzuſtatten.

Der Standpunkt in der pfälziſchen Frage ſei
der, daß die Rheinlandkommiſſion nicht das
Recht
habe, ohne weiteres die ſogenannte auto-
nome Regierung der Separatiſten in der Pfalz
anzuerkennen. Wenn ſie aber Maßnahmen der
ſeparatiſtiſchen Regierung regiſtriere, ſo bedeute
das eine De fakto-Anerkennung.

Gegen dieſe Beſchlüſſe der franzöſiſchen und
belgiſchen Vertreter in der Rheinlandkommiſſion
habe der engliſche Vertreter Proteſt eingelegt.
Die Regiſtrierung der ſeparatiſtiſchen Maßnahmen
ſei deshalb um einen Monat verſchoben worden.
Die endgültige Entſcheidung werde von dem Er-
gebnis der diplomatiſchen Verhandlungen zwiſchen
London und Paris abhängen, auf die der Bericht
Clives ausſchlaggebenden Einfluß haben werde.
England ſei der Auffaſſung, daß das ſeparatiſtiſche
Problem eine rein innerpolitiſche Ange-
legenheit Deutſchlands
ſei und nur auf
dem legalen Wege, d. h. auf Grund des Art. 18
der Weimarer Verfaſſung gelöſt werden könne.
England ſei bereit, den wahren Willen des pfälzi-
ſchen Volkes zu reſpektieren, wenn er ſich auf
verfaſſungsmäßigem Wege auswirke. Großbritan-
nien könne dem illegalen Separatis-
mus
nicht das Recht zuerkennen, als rechtmäßige
Regierungsgewalt aufzutreten und Aenderungen
der tatſächlichen Verhältniſſe vorzunehmen.

[Spaltenumbruch]
Die erſte Sitzung
der Sachverſtändigen

Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung.

[Spaltenumbruch]

Die franzöſiſche
Preſſe iſt ſo geſchickt, die Rede des ameri-
kaniſchen Sachverſtändigen Dawes zu
loben, indem ſie die für ein ſolches Lob
nicht geeigneten Stellen einfach übergeht.
Man hat aber überall den Eindruck, daß
es ohne Konflikte zwiſchen dem zu
praktiſcher Arbeit entſchloſſenen Ameri-
kaner und den Franzoſen, die nun gar zu
gerne in der Vergangenheit herumwühlen
möchten, nicht abgehen werde.

Sehr unterhaltliche Berichte liegen über
die Einzelheiten der geſtrigen
Sitzung
vor. Die Mitglieder des Aus-
ſchuſſes waren zuerſt verſammelt und
ſaßen um den Hufeiſentiſch herum. Mehrere
Tiſche für die Einzeldelegationen waren
rund herum aufgeſtellt. Jede der Dele-
gationen wurde von dem Generalſekretär
eingeführt und nahm an ihrem Tiſche
Platz.

Zuletzt kamen die Amerikaner, die
von der zeremoniellen Einführung nichts
gewußt hatten und im Straßenanzug er-
ſchienen waren. Bei ihrem Eintritt ſtan-
den alle anderen Anweſenden auf und
hörten die Reden von Barthou und Dawes,
von denen die Anſprache des Amerikaners
als Senſation wirkte, ſtehend an. Die
[Spaltenumbruch] Reparationskommiſſion zog ſich dann
zurück.

Dieſe erſte Beratung dauerte 45 Mi-
nuten. Es wurde das Arbeitspro-
gramm
feſtgeſetzt und beſchloſſen, zwei
Sitzungen täglich abzuhalten. Es wurde
weiter beſchloſſen, daß die Beratungen
geheim bleiben ſollen. Berichte werden
nicht ausgegeben. Die einzelnen Sachver-
ſtändigen haben ſich zur Verſchwiegenheit
verpflichtet.

Um 3 Uhr begann die zweite Sitzung, die
diesmal hinter verſchloſſenen Türen drei
Stunden dauerte. Aus der Beratung iſt
nur zu erfahren, daß 2 Unterkommiſ-
ſionen gewählt
wurden, die erſte
unter dem Vorſitze von Owen Young. Sie
wird ſich mit der Stabiliſierung der
Währung beſchäftigen.

Die zweite, die von General Dawes
geleitet werden wird, ſoll ſich mit der Sa-
nierung des deutſchen Haushalts befaſſen.
Es wurde geſtern abends angenommen,
daß der Ausſchuß die Vorarbeiten in acht
Tagen erledigt haben werde und dann
nach Deutſchland abreiſen könne.

Bis zum April ſoll der Bericht des
erſten Ausſchuſſes fertig ſein.



Stützungsaktion für den Franken
[Spaltenumbruch]

Das Ereignis des
Tages war geſtern ein neuer gewal-
tiger Sturz des Franken
. Am
Abend wurde an der Pariſer Börſe der
Dollar mit 22,80 Cents und das engliſche
Pfund mit 96,11 Francs notiert. Aber
nicht nur die angelſächſiſche Währung geht
in die Höhe, auch alle fremden Deviſen er-
fuhren eine beträchtliche Steigerung.

Am höchſten ſprang der italieniſche Lira
von 93,20 auf 101,20. Die Nachricht von
der Verſtändigung Italiens mit Jugo-
ſlawien mag dazu beigetragen haben.

Eine Abordnung der Lebensmittelſyndi-
kate erſchien beim Handelsminiſter und
erklärte, daß es beſſer ſei, den außer-
gewöhnlichen Kursaufſtieg des Dollars an
der Warenbörſe nicht zu notieren, um
nicht eine gefährliche Steigerung der
Lebensmittelpreiſe herbeizu-
führen
.

Der Miniſterrat, der heute ſtattfinden
wird, ſoll über die Stützung des Franken
beſchließen. Die Zeitungen kündigen an,
daß Poincaré ſelbſt die Leitung der
Verteidigungsoperation in die Hand
[Spaltenumbruch] nehmen werde. In jedem Falle wird
Poincaré noch in dieſer Woche eine feier-
liche Erklärung in der Kammer abgeben.
Der franzöſiſche Finanzminiſter wird im
Miniſterrat einen Aktionsplan vor-
legen, der folgende Maßnahmen umfaßt:

1. Verringerung von öffentlichen Auf-
gaben und Vermeidung von Ausgaben,
deren Gegenwert auf der Einnahmeſeite
nicht geſichert iſt;

2. vorübergehende Aufnahme eines Tei-
les der deutſchen Zahlungen in den Haus-
halt zur Deckung der Ausgaben;

3. ſchärfere Steuererfaſſung;

4. Erhöhung beſtimmter Steuern;

5. Vermeidung jeglicher Inflation.



Die fortlaufende Entwer-
tung des franzöſiſchen Franken löſt im franzöſi-
ſchen Publikum unverkennbare Depreſ-
ſionen
aus. Hervé ſpricht in der „Victoire“
von einem neuen Verſailles. Im „Jour-
nal“ erklärt ein franzöſiſcher Bankdirektor, es
käme jetzt darauf an, gegen Deutſchland auf finan-
ziellem Gebiete zum zweitenmal die Marne-
ſchlacht
zu gewinnen.



[Spaltenumbruch]
Bündnis zwiſchen Frankreich und Serbien

Preſſekombinationen, welche
das italieniſch-jugoſlawiſche Ueber-
einkommen als ein Gegengewicht
gegen das tſchechiſch-franzöſiſche
Bündnis
deuten wollen, werden hier zurück-
gewieſen. Dieſes Bündnis bildete in den Be-
ratungen der Konferenz der Kleinen Entente
überhaupt keinen Gegenſtand. Dagegen macht die
Anweſenheit des ſerbiſchen Geſand-
ten in Paris
, der ſich während der ganzen
Dauer der Konferenz in Belgrad aufhielt, ſowie
die bevorſtehende Reiſe des Königspaares nach
Paris alle Kombinationen hinfällig. Die Reiſe
des Königspaares erfolgt im März oder April
als äußeres Zeichen für die formelle Ausdehnung
des ehemaligen ſerbiſch-franzöſiſchen Bündniſſes
auf das neue Königreich der Serben, Kroaten und
Slovenen, deſſen Bund mit Frankreich bei dieſem
Anlaſſe kodifizlert wird.

[Spaltenumbruch]
Der Inhalt des italieniſch-ſüdſlawiſchen
Vertrages

Die Baſis des italie-
niſch-ſüdſlawiſchen Ueberein kom-
mens
ſollen folgende Punkte bilden:

1. Italien verpflichtet ſich, alle Beſtimmungen
des Vertrages von Rapallo zu erfüllen und
alle mit dem früheren italieniſchen Miniſter des
Aeußern, Grafen Sforza feſtgelegten Abmachungen
zu beachten.

2. Südſlawien gewährt Italien volle Freiheit
bezüglich der Organiſation des Frimaner
Staates
.

3. Südſlawien wird das Recht auf Benutzung
des Fiumer Hafens auf 50 Jahre eingeräumt.

4. Italien und Südſlawien werden eine Han-
delskonvention abſchließen.

[Spaltenumbruch]
Die wahren Ziele der
bayeriſchen Verfaſſungsreform

In der „München-Augsburger-Abend-
zeitung“ findet ſich ein Aufſatz des bekann-
ten Erlanger Univerſitätsprofeſſors und
deutſchnationalen Reichstagsabge-
ordneten D. Strathmann,
der in
vielerlei Beziehungen außerordentlich be-
achtlich und aufſchlußgebend über die der-
zeitigen bayeriſchen parlamentariſchen Ver-
hältniſſe iſt. Zunächſt wird eingehend die
Differenz in der Auffaſſung der
Bayeriſchen und Deutſchnatio-
nalen
Volkspartei über die Verringe-
rung der Mandate
auseinanderge-
ſetzt und der deutſchnationale Standpunkt
unter allerlei Seitenhieben auf die Baye-
riſche Volkspartei — zum Beiſpiel bezüg-
lich der bis jetzt unterlaſſenen Verminde-
rung der Miniſterien auf fünf — verteidigt.
Sodann wird es entſchieden abgelehnt, Ver-
faſſungsänderungen einer einfachen
Mehrheit auszuliefern, wobei Strathmann
„nicht unterſtellen will, daß die Bayeriſche
Volkspartei erwartet, im künftigen Land-
tag allein die abſolute Mehrheit zu erhal-
ten. Aber dieſe Möglichkeit beſteht. Durch
die Uneinigkeit in den vaterländiſchen Ver-
bänden wird ſie geſteigert.“
Strathmann er-
ſchrickt nun darüber, daß die Entſcheidung
allein der Bayeriſchen Volkspartei aus-
geliefert würde! Das dürfe unter gar kei-
nen Umſtänden geſchehen! Die Sache müſſe
vielmehr ſo gedreht werden, daß die Mehr-
heit zur Verfaſſungsänderung ſo angeſetzt
werde, daß die Bayeriſche Volkspartei nur
mit Unterſtützung der Deutſch-
nationalen
die zur Verfaſſungsände-
rung nötige Mehrheit bekommen könnte.
„Der Staat darf nicht einer Partei aus-
geliefert werden.“
Im übrigen ſei dieſe
Mehrheitsbildung aus beiden Parteien
zuſammen und mit den Kräften beider
Parteien im nächſten Landtag leicht zu er-
reichen, da ſchon jetzt nur ſechs Sitze zur
nötigen Mehrheit fehlten!

Aus dieſen Darlegungen verdient zu-
nächſt feſtgehalten zu werden, daß der hin-
reichend unterrichtete Strathmann die
vaterländiſchen Verbände ohne
weiteres als politiſche Parteien
wertet, ja, daß er eigentlich ſie als künftig
geſonderte und beſondere Partei ſchon jetzt
in ſein politiſches Kalkül einſtellt. Sodann
iſt von größter Bedeutung, daß hier glatt
eröffnet wird, daß die bayeriſche Verfaſ-
ſungsänderung nicht zum Wohle des
Staates
dienen ſoll, wie gewiſſe Leute
behaupten, ſondern daß der Staat zwei
politiſchen Parteien ausgeliefert werden
ſoll, und daß die zur Verfaſſungsänderung
nötige Mehrheit gerade auf die Größe die-
ſer zwei und nur dieſer zwei politiſchen
Parteien zugeſchnitten werden muß! Und
das alles ſoll geſchehen zugunſten der Par-
teien, die in ihren Redewendungen nur
immer vom Staatswohl triefen und ſich gar
nicht genug darin tun können, ſich über die
Parteiwirtſchaft in Berlin zu entrüſten.

„Aber der Staat darf nicht einer Par-
tei ausgeliefert werden“,
ſagt Strathmann.
Seine Ausführungen hierzu ſind die beſte
Verteidigung derjenigen Parteien, die die
Anträge Hilperts auf Beſeitigung der für
Verfaſſungsänderungen vorgeſchriebenen
Mehrheiten ablehnten. Noch wichtiger iſt
aber, daß ſich die zwei einzigen Koali-
tionsparteien
, die gegenwärtig das
Miniſterium Knilling noch betreuen, in die-
ſer Weiſe öffentlich abraufen und ſich beſtä-
tigen, daß der Staat einer von dieſen
beiden unter keinen Umſtänden ausgelie-
fert werden darf! Wie es wohl um dieſe
bayeriſche Koalition unter ſolchen Umſtän-
den im Innern beſtellt ſein mag?

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          <docDate> <hi rendition="#b"> Mittwoch den 16. Januar 1924.</hi> </docDate>
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Spiegel, &#x017F;ämtl. in München. &#x2014; <hi rendition="#g">Redaktion</hi>: München, Baader&#x017F;tr. 1, Tel. 27940. &#x2014; Berliner<lb/>
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[0001] Allgemeine Zeitung Süddeutſches Tagblatt Großdeutſche Rundſchau127. Jahrgang. Nr. 15 München, Mittwoch den 16. Januar 1924. Hauptſchriftleitung und verantwortlich für Deutſche und Bayeriſche Politik: Max Heilgemayr. — Wirtſchaftszeitung u. Auswärtige Politik: Joſef Schrepfer. — Unpolitiſche Stadtzeitung u. Sport: Richard Rieß. — Kunſt u. Muſtk: Albin v. Prybram-Gladvna. — Feuilleton u. Theater: Walter Foitzick. — Anzeigenteil: Joſef Spiegel, ſämtl. in München. — Redaktion: München, Baaderſtr. 1, Tel. 27940. — Berliner Schriftleitung: SW 68., Zimmerſtr. 9. Tel. Zentrum 5498 u. 3967; Leiter: Alfred Gerigk. [Abbildung] Die Allgemeine Zeitung erſcheint täglich. Bei Störung des Erſcheinens infolge höherer Gewalt oder Streiks beſteht kein Anſpruch auf Zeitungslieferung oder Rückzahlung des Be- zugsgeldes. Bezugspreis: Mk. 2.80 für den Monat. Anzeigenpreis: für die 9-ſpaltige Millimeterzeile im Inſeratenteil M. 0.25, im Reklameteil M. 0.80. Kleine Anzeigen M. 0.10. Verlag der Allgemeinen Zeitung G.m.b.H. München. Poſtſcheckkonto: München 8170. Druck: Druckerei- und Verlags-A.-G. München, Baaderſtraße 1 und 1a. Telefon 24287. Einzelpreis 10 Pfennig. Drohungen der Separatiſten * Speyer, 15. Jan. Die ſogenannte Regierung der autonomen Pfalz veröffent- licht in der Preſſe eine Bekanntmachung, in der ſie darauf hinweiſt, daß ſie bisher keine Maßnahmen zum Schutze ihrer Mit- glieder und ihrer „Beamten“ getroffen habe. Seit dem Attentat von Speyer ſeien aber die Mitglieder der Regierung und die Bezirkskommiſſare mit Briefen über- ſchüttet worden, worin allen Separatiſten das gleiche Schickſal angekündigt wird, das Heinz beſchieden war. Die Regierung ſah ſich deshalb zu folgender Ankündigung veranlaßt: 1. Für Vergehen gegen ein Mitglied oder einen Beamten der Regierung der auto- nomen Pfalz, für einen verübten oder ver- ſuchten Anſchlag auf dieſelben haften die fünf angeſehenſten Bürger der Pfalz aus dem Gegenlager mit ihrem Leben und geſamten Vermögen. 2. Für jeden gegen einen Bezirks- kommiſſar der Regierung oder einen Beamten des Bezirkskommiſſariats ver- übten oder verſuchten Anſchlag haften die fünf angeſehenſten Bürger des Bezirks aus dem Gegenlager mit ihrem Leben und ihrem geſamten Vermögen. Frankreich beſpitzelt die Engländer im Rheinland London, 14. Jan. Der Kölner Sonderbericht- erſtatter der Times ſchreibt, der wirkliche Zweck der von Tirard nach Koblenz entſandten Miſſion von franzöſiſchen Offizieren zur Unterſuchung der Verhältniſſe im britiſch beſetzten Gebiet ſei, wie man annehme, die Entdeckung von deutſchen oder engliſch-deutſchen geheimen Geſellſchaften in Köln. Da außer dem üblichen, nicht offiziellen Spionagedienſt bereits 20 bis 30 wichtige franzöſiſche Beamte mit großen Stäben in Köln eifrig tätig ſeien, um die Ziele Frankreichs auf britiſchem Gebiet durchzuführen, ſei es ſchwierig, zu verſtehen, was dieſe neue Miſ- ſion eigentlich entdecken ſolle. Auch könne man kaum einen Vergleich anſtellen zwiſchen der nor- malen Lage der Dinge im britiſchen Gebiet und der Herrſchaft des Terrors in der Pfalz. Berlin, 14. Jan. Der Korreſpondent des Berl. Tagebl. in Heidelberg hatte eine Unterredung mit dem engliſchen Generalkonſul Clive. Der Generalkonſul betonte, daß England in der pfälzi- ſchen Angelegenheit durchaus unparteiiſch und kor- rekt vorgehen werde. Zu dieſem Zweck ſei er be- auftragt worden, ſich an Ort und Stelle über die Verhältniſſe in der Pfalz zu unterrichten. Es handle ſich hierbei aber nicht um eine Diskredi- tierung Frankreichs. Er habe bereits geſtern mit den Vertretern der pfälziſchen Parteien geſprochen, um ſich über die Zuſtände zu unterrichten. Er werde aber beide Parteien hören und deshalb auch die Separatiſten. Auch nach Speyer werde er reiſen, um dem General de Metz einen Be- ſuch abzuſtatten. Der Standpunkt in der pfälziſchen Frage ſei der, daß die Rheinlandkommiſſion nicht das Recht habe, ohne weiteres die ſogenannte auto- nome Regierung der Separatiſten in der Pfalz anzuerkennen. Wenn ſie aber Maßnahmen der ſeparatiſtiſchen Regierung regiſtriere, ſo bedeute das eine De fakto-Anerkennung. Gegen dieſe Beſchlüſſe der franzöſiſchen und belgiſchen Vertreter in der Rheinlandkommiſſion habe der engliſche Vertreter Proteſt eingelegt. Die Regiſtrierung der ſeparatiſtiſchen Maßnahmen ſei deshalb um einen Monat verſchoben worden. Die endgültige Entſcheidung werde von dem Er- gebnis der diplomatiſchen Verhandlungen zwiſchen London und Paris abhängen, auf die der Bericht Clives ausſchlaggebenden Einfluß haben werde. England ſei der Auffaſſung, daß das ſeparatiſtiſche Problem eine rein innerpolitiſche Ange- legenheit Deutſchlands ſei und nur auf dem legalen Wege, d. h. auf Grund des Art. 18 der Weimarer Verfaſſung gelöſt werden könne. England ſei bereit, den wahren Willen des pfälzi- ſchen Volkes zu reſpektieren, wenn er ſich auf verfaſſungsmäßigem Wege auswirke. Großbritan- nien könne dem illegalen Separatis- mus nicht das Recht zuerkennen, als rechtmäßige Regierungsgewalt aufzutreten und Aenderungen der tatſächlichen Verhältniſſe vorzunehmen. Die erſte Sitzung der Sachverſtändigen Sonderdienſt der Allgemeinen Zeitung. * Paris, 15. Jan. Die franzöſiſche Preſſe iſt ſo geſchickt, die Rede des ameri- kaniſchen Sachverſtändigen Dawes zu loben, indem ſie die für ein ſolches Lob nicht geeigneten Stellen einfach übergeht. Man hat aber überall den Eindruck, daß es ohne Konflikte zwiſchen dem zu praktiſcher Arbeit entſchloſſenen Ameri- kaner und den Franzoſen, die nun gar zu gerne in der Vergangenheit herumwühlen möchten, nicht abgehen werde. Sehr unterhaltliche Berichte liegen über die Einzelheiten der geſtrigen Sitzung vor. Die Mitglieder des Aus- ſchuſſes waren zuerſt verſammelt und ſaßen um den Hufeiſentiſch herum. Mehrere Tiſche für die Einzeldelegationen waren rund herum aufgeſtellt. Jede der Dele- gationen wurde von dem Generalſekretär eingeführt und nahm an ihrem Tiſche Platz. Zuletzt kamen die Amerikaner, die von der zeremoniellen Einführung nichts gewußt hatten und im Straßenanzug er- ſchienen waren. Bei ihrem Eintritt ſtan- den alle anderen Anweſenden auf und hörten die Reden von Barthou und Dawes, von denen die Anſprache des Amerikaners als Senſation wirkte, ſtehend an. Die Reparationskommiſſion zog ſich dann zurück. Dieſe erſte Beratung dauerte 45 Mi- nuten. Es wurde das Arbeitspro- gramm feſtgeſetzt und beſchloſſen, zwei Sitzungen täglich abzuhalten. Es wurde weiter beſchloſſen, daß die Beratungen geheim bleiben ſollen. Berichte werden nicht ausgegeben. Die einzelnen Sachver- ſtändigen haben ſich zur Verſchwiegenheit verpflichtet. Um 3 Uhr begann die zweite Sitzung, die diesmal hinter verſchloſſenen Türen drei Stunden dauerte. Aus der Beratung iſt nur zu erfahren, daß 2 Unterkommiſ- ſionen gewählt wurden, die erſte unter dem Vorſitze von Owen Young. Sie wird ſich mit der Stabiliſierung der Währung beſchäftigen. Die zweite, die von General Dawes geleitet werden wird, ſoll ſich mit der Sa- nierung des deutſchen Haushalts befaſſen. Es wurde geſtern abends angenommen, daß der Ausſchuß die Vorarbeiten in acht Tagen erledigt haben werde und dann nach Deutſchland abreiſen könne. Bis zum April ſoll der Bericht des erſten Ausſchuſſes fertig ſein. Stützungsaktion für den Franken Paris, 15. Jan. Das Ereignis des Tages war geſtern ein neuer gewal- tiger Sturz des Franken. Am Abend wurde an der Pariſer Börſe der Dollar mit 22,80 Cents und das engliſche Pfund mit 96,11 Francs notiert. Aber nicht nur die angelſächſiſche Währung geht in die Höhe, auch alle fremden Deviſen er- fuhren eine beträchtliche Steigerung. Am höchſten ſprang der italieniſche Lira von 93,20 auf 101,20. Die Nachricht von der Verſtändigung Italiens mit Jugo- ſlawien mag dazu beigetragen haben. Eine Abordnung der Lebensmittelſyndi- kate erſchien beim Handelsminiſter und erklärte, daß es beſſer ſei, den außer- gewöhnlichen Kursaufſtieg des Dollars an der Warenbörſe nicht zu notieren, um nicht eine gefährliche Steigerung der Lebensmittelpreiſe herbeizu- führen. Der Miniſterrat, der heute ſtattfinden wird, ſoll über die Stützung des Franken beſchließen. Die Zeitungen kündigen an, daß Poincaré ſelbſt die Leitung der Verteidigungsoperation in die Hand nehmen werde. In jedem Falle wird Poincaré noch in dieſer Woche eine feier- liche Erklärung in der Kammer abgeben. Der franzöſiſche Finanzminiſter wird im Miniſterrat einen Aktionsplan vor- legen, der folgende Maßnahmen umfaßt: 1. Verringerung von öffentlichen Auf- gaben und Vermeidung von Ausgaben, deren Gegenwert auf der Einnahmeſeite nicht geſichert iſt; 2. vorübergehende Aufnahme eines Tei- les der deutſchen Zahlungen in den Haus- halt zur Deckung der Ausgaben; 3. ſchärfere Steuererfaſſung; 4. Erhöhung beſtimmter Steuern; 5. Vermeidung jeglicher Inflation. Paris, 15. Jan. Die fortlaufende Entwer- tung des franzöſiſchen Franken löſt im franzöſi- ſchen Publikum unverkennbare Depreſ- ſionen aus. Hervé ſpricht in der „Victoire“ von einem neuen Verſailles. Im „Jour- nal“ erklärt ein franzöſiſcher Bankdirektor, es käme jetzt darauf an, gegen Deutſchland auf finan- ziellem Gebiete zum zweitenmal die Marne- ſchlacht zu gewinnen. Bündnis zwiſchen Frankreich und Serbien Belgrad, 15. Jan. Preſſekombinationen, welche das italieniſch-jugoſlawiſche Ueber- einkommen als ein Gegengewicht gegen das tſchechiſch-franzöſiſche Bündnis deuten wollen, werden hier zurück- gewieſen. Dieſes Bündnis bildete in den Be- ratungen der Konferenz der Kleinen Entente überhaupt keinen Gegenſtand. Dagegen macht die Anweſenheit des ſerbiſchen Geſand- ten in Paris, der ſich während der ganzen Dauer der Konferenz in Belgrad aufhielt, ſowie die bevorſtehende Reiſe des Königspaares nach Paris alle Kombinationen hinfällig. Die Reiſe des Königspaares erfolgt im März oder April als äußeres Zeichen für die formelle Ausdehnung des ehemaligen ſerbiſch-franzöſiſchen Bündniſſes auf das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen, deſſen Bund mit Frankreich bei dieſem Anlaſſe kodifizlert wird. Der Inhalt des italieniſch-ſüdſlawiſchen Vertrages * Belgrad, 15. Jan. Die Baſis des italie- niſch-ſüdſlawiſchen Ueberein kom- mens ſollen folgende Punkte bilden: 1. Italien verpflichtet ſich, alle Beſtimmungen des Vertrages von Rapallo zu erfüllen und alle mit dem früheren italieniſchen Miniſter des Aeußern, Grafen Sforza feſtgelegten Abmachungen zu beachten. 2. Südſlawien gewährt Italien volle Freiheit bezüglich der Organiſation des Frimaner Staates. 3. Südſlawien wird das Recht auf Benutzung des Fiumer Hafens auf 50 Jahre eingeräumt. 4. Italien und Südſlawien werden eine Han- delskonvention abſchließen. Die wahren Ziele der bayeriſchen Verfaſſungsreform In der „München-Augsburger-Abend- zeitung“ findet ſich ein Aufſatz des bekann- ten Erlanger Univerſitätsprofeſſors und deutſchnationalen Reichstagsabge- ordneten D. Strathmann, der in vielerlei Beziehungen außerordentlich be- achtlich und aufſchlußgebend über die der- zeitigen bayeriſchen parlamentariſchen Ver- hältniſſe iſt. Zunächſt wird eingehend die Differenz in der Auffaſſung der Bayeriſchen und Deutſchnatio- nalen Volkspartei über die Verringe- rung der Mandate auseinanderge- ſetzt und der deutſchnationale Standpunkt unter allerlei Seitenhieben auf die Baye- riſche Volkspartei — zum Beiſpiel bezüg- lich der bis jetzt unterlaſſenen Verminde- rung der Miniſterien auf fünf — verteidigt. Sodann wird es entſchieden abgelehnt, Ver- faſſungsänderungen einer einfachen Mehrheit auszuliefern, wobei Strathmann „nicht unterſtellen will, daß die Bayeriſche Volkspartei erwartet, im künftigen Land- tag allein die abſolute Mehrheit zu erhal- ten. Aber dieſe Möglichkeit beſteht. Durch die Uneinigkeit in den vaterländiſchen Ver- bänden wird ſie geſteigert.“ Strathmann er- ſchrickt nun darüber, daß die Entſcheidung allein der Bayeriſchen Volkspartei aus- geliefert würde! Das dürfe unter gar kei- nen Umſtänden geſchehen! Die Sache müſſe vielmehr ſo gedreht werden, daß die Mehr- heit zur Verfaſſungsänderung ſo angeſetzt werde, daß die Bayeriſche Volkspartei nur mit Unterſtützung der Deutſch- nationalen die zur Verfaſſungsände- rung nötige Mehrheit bekommen könnte. „Der Staat darf nicht einer Partei aus- geliefert werden.“ Im übrigen ſei dieſe Mehrheitsbildung aus beiden Parteien zuſammen und mit den Kräften beider Parteien im nächſten Landtag leicht zu er- reichen, da ſchon jetzt nur ſechs Sitze zur nötigen Mehrheit fehlten! Aus dieſen Darlegungen verdient zu- nächſt feſtgehalten zu werden, daß der hin- reichend unterrichtete Strathmann die vaterländiſchen Verbände ohne weiteres als politiſche Parteien wertet, ja, daß er eigentlich ſie als künftig geſonderte und beſondere Partei ſchon jetzt in ſein politiſches Kalkül einſtellt. Sodann iſt von größter Bedeutung, daß hier glatt eröffnet wird, daß die bayeriſche Verfaſ- ſungsänderung nicht zum Wohle des Staates dienen ſoll, wie gewiſſe Leute behaupten, ſondern daß der Staat zwei politiſchen Parteien ausgeliefert werden ſoll, und daß die zur Verfaſſungsänderung nötige Mehrheit gerade auf die Größe die- ſer zwei und nur dieſer zwei politiſchen Parteien zugeſchnitten werden muß! Und das alles ſoll geſchehen zugunſten der Par- teien, die in ihren Redewendungen nur immer vom Staatswohl triefen und ſich gar nicht genug darin tun können, ſich über die Parteiwirtſchaft in Berlin zu entrüſten. „Aber der Staat darf nicht einer Par- tei ausgeliefert werden“, ſagt Strathmann. Seine Ausführungen hierzu ſind die beſte Verteidigung derjenigen Parteien, die die Anträge Hilperts auf Beſeitigung der für Verfaſſungsänderungen vorgeſchriebenen Mehrheiten ablehnten. Noch wichtiger iſt aber, daß ſich die zwei einzigen Koali- tionsparteien, die gegenwärtig das Miniſterium Knilling noch betreuen, in die- ſer Weiſe öffentlich abraufen und ſich beſtä- tigen, daß der Staat einer von dieſen beiden unter keinen Umſtänden ausgelie- fert werden darf! Wie es wohl um dieſe bayeriſche Koalition unter ſolchen Umſtän- den im Innern beſtellt ſein mag?

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 16. Januar 1924, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine15_1924/1>, abgerufen am 21.11.2024.