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Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] also würden beide Möglichkeiten foctbestehen. Haben wir aber auch die Klippen der
einzelnen Wortformen glücklich umschifft, so passirt es uns leicht daß wir in dem
Sumpfe der Wortfügung und Redewendung stecken bleiben, wovon Nr. 1410 ein
gutes Beispiel liefert. Und wiederum kann der sprachliche Sinn ganz unzweifelhaft
sein, und wir dringen nur mit Mühe zum Verständniß des Sachlichen durch. Da-
bei sind uns die Inschriften selbst, indem wir sie unter einander vergleichen, von
weit größerem Nutzen als die alten Schriftsteller; umgekehrt dient gelegentlich eine
Inschrift zur Verbesserung eines Schriftstellertertes, wie aus Nr. 538 in der der Gla-
diatorenname Tetraites, statt des handschriftlichen Petraites, bei Petronius gesetzt
worden ist. In einzelnen Fällen kann die Sache ganz so die Sprache aufklären wie
die Sprache die Schrift. Ob z. B. in Nr. 1136 nongentum (tabernae) Nominativ
oder Genitiv, ist mehr eine archäologische als eine grammatische Frage.

Auch beim Sammeln der Inschriften ist manche Vorsicht und Rücksicht noth-
wendig. Scharfes Umherspähen, damit nichts verborgen bleibe, versteht sich von
selbst. Da jedoch oft Inschriften von ganz gleichem oder sehr ähnlichem Inhalt
nahe neben einander erscheinen, so kann ein Unachtsamer leicht eine von diesen In-
schriften entweder gar nicht oder doppelt abschreiben. Ferner hüte man sich mög-
lichst -- denn zweifelhaftes bleibt immer -- verschiedene Inschriften zu einer ein-
zigen zu verbinden, oder andrerseits eine Inschrift in zwei oder mehrere aufzulösen.
Endlich sei einer Gefahr gedacht welche man hier nicht vermuthen sollte, nämlich
der: Inschriften als pompejanisch anzusehen welche es nicht sind, d. h. welche nicht
einen alten Pompejaner, sondern einen neuen Besucher der Trümmerstadt zum Ur-
heber haben. Daß der Anblick so zahlreicher Kritzeleien auf schon dazu disponirte
Fremde und Einheimische ansteckend wirkt, darf nicht wundernehmen; ist uns doch
im kleinen Theater selbst der Name des Herausgebers der "Pompejana" zu Gesicht
gekommen. Wohl aber dürfte die Verwechslung solcher modernen Graffiti (beson-
ders in den zuerst ausgegrabenen Häusern) mit den Graffiti des Alterthums be-
fremden. Allein der Unterschied springt keineswegs immer scharf in die Augen, und
sogar Zangemeisters wachsamem Blick ist ein gewisser Vincenzo Mojorino oder ähn-
lich (Nr. 1592a) in der ehrwürdigen Gesellschaft der Holconier und Popidier hin-
durchgeschlüpft. Weniger verzeihlich ist es daß folgendes Dipinto, welches im vorigen
Jahrhundert ein Engländer auf einer Wand von Herculaneum angebracht hatte:

[fremdsprachliches Material - 8 Wörter fehlen]

trotz der nicht einmal fehlerlosen Accentsetzung u. a. von Villoison für alt gehalten
wurde. Es soll dieses Citat aus dem Curipides schon 1743 gefunden worden sein;
stammte es aus späterer Zeit, so könnte man darin einen ähnlichen Vorwurf erblicken
gegen "die vielen Hände" welche die Wände des ausgegrabenen Theaters von Hercu-
aneum beschmiert hatten, wie in dem bekannten Graffito des Palatin enthalten ist:

[fremdsprachliches Material - 7 Wörter fehlen]

Also Arbeit die Hülle und Fülle liegt einem Sammler und Herausgeber der
pompejanischen Wandinschriften ob. Aber, wird man fragen, ist nicht ein großer
Theil der Arbeit schon von andern gethan? Allerdings würde ein erster Versuch
nicht von solchem Erfolge gekrönt sein; ein allmählicher Fortschritt hat darauf vor-
bereitet. Seit geraumer Zeit haben sich manche mit diesem Gegenstand beschäf-
tigt, obwohl keiner daran dachte ihn vollständig zu erschöpfen. Allein der Werth
des darüber Veröffentlichten steht in keinem Verhältniß zur Masse desselben, und
mögen selbst die Fehler und Fehlgriffe der Vorgänger in gewisser Beziehung der
Genauigkeit und Sorgfalt des abschließenden Werkes zu gute gekommen sein, so
ist doch diese Arbeit dadurch nicht vereinfacht und verkürzt worden, sondern hat im
Gegentheil einen höchst mühseligen und oft verdrießlichen Zuwachs erhalten. Müh-
selig ist es sich durch eine weit verstreute Literatur hindurchschlagen zu müssen, und
verdrießlich sich mit Schwierigkeiten abzuquälen die nicht in der Sache selbst, son-
dern in der Veschaffenheit der Brillen liegen durch welche sie betrachtet worden ist.
Denn hätten die früheren Abschriften bloß eine formelle Bedeutung, so würde man
sie, wo sie sich dazugeeignet zeigen, als Trittstufen benutzen und nach gethanem Dienste
beiseite legen. Aber sie haben vielfach auch eine stoffliche Bedeutung, indem ent-
weder die Inschriften selbst gänzlich untergegangen oder stark beschädigt und ver-
blichen sind, so daß andere mehr und besser lesen konnten als wir; ja es empfiehlt
sich im allgemeinen, da wo bis heute keine zweifellose Lesung erreicht worden ist, die
Anmerkung der verschiedenen Lesarten. Um nur wiederum ein Urtheil über die
Zuverlässigkeit oder vielmehr über die Transcriptionsweise anderer, überhanpt für
solche Fälle in denen wir sie nicht unmittelbar controliren können, zu gewinnen,
müssen wir sie an noch vorhandenen Inschriften prüfen. Dabei ist oft das schwie-
rigste eine Inschriftcopie mit einer anderen oder mit der Inschrift selbst zu identi-
ficiren, nicht nur wegen der außerordentlichen Abweichungen der Lesarten von einan-
der (so daß zuweilen so gut wie keine Aehnlichkeit besteht), sondern auch wegen des
veränderten Umfangs (durch Verschmelzung nicht zusammengehöriger Inschriften),
hauptsächlich aber wegen Unterlassung der Fundortsangabe.

Die Dipinti haben von allem Anfang an Beachtung gefunden, und sehr viele
jetzt zerstörte sind uns in den verschiedenen Ausgrabungsberichten erhalten, und in-
sofern auch wirklich erhalten als in diesen von Ungelehrten mechanisch, aber gewis-
senhaft genommenen Abschriften das Wahre weit deutlicher durchblickt, als in denen
anderer welche mehr verstehen wollten als sie konnten. Hingegen wurden die
Graffiti lange Zeit hindurch vernachlässigt, und eine große Anzahl ist uns spurlos
verloren gegangen. Schon 1792 und 1793 hatte Chr. Th. v. Murr, freilich mit
wenig Glück, eine Reihe von Graffiti herausgegeben; aber erst fast ein halbes
Jahrhundert später (1837) veranlaßte ein Engländer, Chr. Wordsworth, durch
eine kleine aber geschickte Auswahl solcher, und wohl nicht am wenigsten durch die
hübsch geschriebene Erläuterung dazu, daß man von nun an diesen Inschriften eine
regere Aufmerksamkeit zuwandte. Leider war der einzige der in der Folgezeit mit
einer umfassenden Sammlung derselben hervortrat, R. Garrucci (1854, 1856),
diesem Unternehmen so wenig gewachsen, daß er mehr Schaden und Verwirrung
als Nutzen stiftete. Im Jahr 1865 erhielt Zangemeister, der gerade in Rom die
palatinischen Graffiti studiert hatte, den Auftrag für das Corpus inscriptionum
lalinarum
der Berliner Akademie die pompejanischen Graffiti und Dipinti, welche
wegen ihrer Eigenart in einem besondern Band erscheinen sollten, zu bearbeiten.
Er brachte vier Monate desselben Jahres mit dem Abschreiben der Inschriften zu
Pompei zu, und kehrte, als die Sammlung im Druck schon gefchlossen war, 1868
[Spaltenumbruch] auf kurze Zeit dahin zurück, um nicht nur das neu ans Tageslicht Getretene mit
aufzunehmen, sondern auch das Alte nochmals zu vergleichen und Uebersehenes
nachzutragen. Die Zahl der von Zangemeister veröffentlichten Inschriften beträgt
nahe an 3000; dazu kommen noch in einer besondern Abtheilung über 300 auf
Thongefäßen befindliche, von N. Schöne herausgegeben (mit 7 Tafeln).

Ueber die Einrichtung und Ausstattung dieses Werkes verlieren wir kein
Wort. Bekanntlich hat Th. Mommsen, Meister wie er ist, den Veröffentlichungen
aus welchen sich das C. I. L. zusammensetzt, den Grundriß vorgezeichnet, und in
ihnen entfaltet sich etwas wie der Comfort jener großartigen Gasthöfe in denen
jedes nur denkbare Bedürfniß vorgesehen ist. In vorliegendem Band ist aus be-
sonderer Rücksicht noch ein Besonderes geschehen. Freilich schien es auch fast als
ob über dem Auf-und Ausbau dieses Inschriftengebäudes Zangemeister dazu kom-
men sollte die Vorschrift seines Lieblingsdichters zu erfüllen: nonum prematur
in annum.

Wer den trefflichen Plan des jetzt sichtbaren Pompei, welcher dem Werk
angehängt ist, betrachtet, und darauf das Forum, die verschiedenen großen Tempel,
die Basilika, die beiden Theater u. s. w. wahrnimmt, möchte |glauben daß das
Wesentliche gethan sei. Der kleine Seitenplan aber wird ihn überzeugen daß der
noch zu hebende Schatz den schon gehobenen an Masse weit übertrifft. Ob auch
an Werth, läßt sich nicht voraussagen. Wir müssen in Geduld Spatenstich um
Spatenstich abwarten; denn besäßen wir auch eine Wünschelruthe, die nur auf das
Köstlichste hinwiese, der verständige Mann, der jetzt die Auferstehung Pompei's
überwacht, würde schwerlich ihren Winken Folge leisten. So bleiben uns nur Wün-
sche, und um nicht mit vergeblichen zu enden, wünschen wir: es möchte wiederum,
neben solchen Inschriften die dem Vergnügungsplänkler ein offenes und verständ-
liches Willkommen bieten, und neben solchen die nur dem schweren und kunstreichen
Angriff der Wissenschaft sich erschließen, auch eine und die andere ans Licht geför-
dert werden an welcher der Scharfsinn sich alle Zähne ausbeißt, damit doch etwas
räthselhaftes an diesen zweitausendjährigen Mauern haften bleibe, und unser
übermüthiges Jahrhundert nicht (mit dem Syrus im Heautontimorumenos) wähne:
Nil tam dissicile est, quin quaerendo investigari possiet.



Neueste Posten.

Wie wir vernehmen, hat Se. Maj. der König
der Frau des in Rom verstorbenen Gesandten v. Dönniges ein Condolenzschreiben
zustellen lassen. -- Der k. Reichsrath und Präsident des protestantischen Ober-
consistoriums, v. Harleß, hat von dem Deutschen Kaiser das Eiserne Kreuz 2. Classe
erhalten.

Nächste Woche soll die Beschwerde des Bischofs
von Augsburg über Verfassungsverletzung (angeblich durch die Cultusministerial-
entschließung vom 27 Febr. v. J. in der Meringer Angelegenheit begangen) in der
Abgeordnetenkammer zur Verhandlung kommen. Welche Antwort die Regierung
auf die von ultramontaner Seite gegen sie erhobenen Anschuldigungen geben wird,
ist aus der gestrigen Antwort des Ministers v. Lutz auf die Rußwurm'sche Inter-
pellation unschwer zu entnehmen: gegenüber dem Verlangen daß Aussprüche der
Hierarchie in kirchlichen Dingen eine absolut bindende Norm für die Regierungen
in allem was nur entfernt die Kirche berührt, sein sollen, wird die Negierung einfach
auf ihrem durch die Erklärung vom 14 Oct. v. J. präcisirten Standpunkt beharren,
wonach sie in das Gebiet der Gewissen einzugreifen sich hütet, aber auf dem Gebiet wo
die kirchlichen Anordnungen auch weltliche Interessen berühren, sich ihr eigenes Urtheil
nach Maßgabe der bürgerlichen Gesetze zu bilden und darnach zu handeln sich vor-
behält. Treten die Ultramontanen in der Debatte nicht mit mehr Geschick auf als
es gestern Hr. Rußwurm in seiner Interpellation that, so wird ihr oratorischer
Erfolg ein sehr schlechter sein -- und der ist ja eigentlich das einzige was sie mit
der Debatte bezwecken; denn eine Aenderung und resp. Zurücknahme der Regierungs-
verfügungen in ihrem Sinne zu erwirken das hoffen die Klerikalen im Ernst selbst
nicht. Hätte Bischof v. Dinkel die Stimmung der Reichsrathskammer als eine
seiner Beschwerde günstige erkannt, so würde er letztere sicher nicht in die Abgeord-
netenkammer gebracht haben. Es geschah weil die ultramontanen Koryphäen des
parlamentarischen Feuerwerks in letzterer nicht verlustig gehen wollten, welches sie
sehr nöthig haben um das sinkende Vertrauen ihrer Anhänger wieder aufzurichten.

Ein Viertelstündchen Inquisitionsluft ist gar
keine schlechte Abwechselung für den der die Atmosphäre des hiesigen Landtags-
saales längere Zeit zu genießen hat. Und nicht wenig ketzerrichterlich wehte es
einen an als heute Vormittag Hr. Antonius Rußwurm, Pfarrer von Theuern bei
Amberg, vortrat, um jenen (istum) Minister, in dessen Departement Sacrilegien
einschlagen, ins Gebet zu nehmen. Den Eingang bildete ein kleines Todtengericht
über den verstorbenen Melber Zunner, zwar nicht so grausam wie das jüngst vom
"Vaterland" über Hrn. v. Dönniges gehaltene,*) aber immerhin streng genug.
Zunner habe sich aus der katholischen Kirche selbst ausgeschlossen, und sich jeden
Anspruches auf ihre Gnadenmittel begeben. Warum? Weil er gegen die Decrete
des vaticanischen Concils Opposition machte. Quod erat demonstrandum. Ein
unwillkürliches "Hm!" links vom Todtenrichter veranlaßte denselben zu der ener-
gischen Weisung: Jch bitte mich nicht zu unterbrechen! Wenn ihn schon ein ganz
leises Summen "unterbrichi," wie reizbar müssen die Nerven des sonst so robust
aussehenden Mannes geworden sein! Die Fibration des Jnterpellationsmanu-
scripts und sein stellenweise kurzer Athem gab in der That zu erkennen daß ein
fürchterliches Ereigniß vorliegt. Päpste, Kaiser, Könige, Völker und Regierungen
haben die Beschlüse von so und so viel Concilien schon ignorirt, modisicirt und
total verworfen, ohne aufzuhören katholisch zu sein; selbst in neuester Zeit haben
auf Freiers Füßen oder zu Gevatter stehende bayerische Staatsbürger sich ihren

*) Im Sigl'schen "Vaterland" Nr. 7 vom 9 Jan. steht auf Seite 25 buchstäblich folgendes zu
lesen: Daß Dönniges ein Hauptfreimaurer war, brauchen wir nicht zu sagen. Da wir
an eine göttliche Gerechtigkeit glauben, und da "nichts unreines," nämlich kein Frei-
mam er u. dgl., in den Himmel eingehen kann, so sind wir der Meinung daß den
Hrn. Dönniges zweifelsohne der Teufel geholt haben wird. Wir sind auch hierin mit
dem Teufel völlig einverstanden, und wünschten nur daß er fleißiger an der Arbeit wäre.

[Spaltenumbruch] alſo würden beide Möglichkeiten foctbeſtehen. Haben wir aber auch die Klippen der
einzelnen Wortformen glücklich umſchifft, ſo paſſirt es uns leicht daß wir in dem
Sumpfe der Wortfügung und Redewendung ſtecken bleiben, wovon Nr. 1410 ein
gutes Beiſpiel liefert. Und wiederum kann der ſprachliche Sinn ganz unzweifelhaft
ſein, und wir dringen nur mit Mühe zum Verſtändniß des Sachlichen durch. Da-
bei ſind uns die Inſchriften ſelbſt, indem wir ſie unter einander vergleichen, von
weit größerem Nutzen als die alten Schriftſteller; umgekehrt dient gelegentlich eine
Inſchrift zur Verbeſſerung eines Schriftſtellertertes, wie aus Nr. 538 in der der Gla-
diatorenname Tetraites, ſtatt des handſchriftlichen Petraites, bei Petronius geſetzt
worden iſt. In einzelnen Fällen kann die Sache ganz ſo die Sprache aufklären wie
die Sprache die Schrift. Ob z. B. in Nr. 1136 nongentum (tabernæ) Nominativ
oder Genitiv, iſt mehr eine archäologiſche als eine grammatiſche Frage.

Auch beim Sammeln der Inſchriften iſt manche Vorſicht und Rückſicht noth-
wendig. Scharfes Umherſpähen, damit nichts verborgen bleibe, verſteht ſich von
ſelbſt. Da jedoch oft Inſchriften von ganz gleichem oder ſehr ähnlichem Inhalt
nahe neben einander erſcheinen, ſo kann ein Unachtſamer leicht eine von dieſen In-
ſchriften entweder gar nicht oder doppelt abſchreiben. Ferner hüte man ſich mög-
lichſt — denn zweifelhaftes bleibt immer — verſchiedene Inſchriften zu einer ein-
zigen zu verbinden, oder andrerſeits eine Inſchrift in zwei oder mehrere aufzulöſen.
Endlich ſei einer Gefahr gedacht welche man hier nicht vermuthen ſollte, nämlich
der: Inſchriften als pompejaniſch anzuſehen welche es nicht ſind, d. h. welche nicht
einen alten Pompejaner, ſondern einen neuen Beſucher der Trümmerſtadt zum Ur-
heber haben. Daß der Anblick ſo zahlreicher Kritzeleien auf ſchon dazu disponirte
Fremde und Einheimiſche anſteckend wirkt, darf nicht wundernehmen; iſt uns doch
im kleinen Theater ſelbſt der Name des Herausgebers der „Pompejana“ zu Geſicht
gekommen. Wohl aber dürfte die Verwechslung ſolcher modernen Graffiti (beſon-
ders in den zuerſt ausgegrabenen Häuſern) mit den Graffiti des Alterthums be-
fremden. Allein der Unterſchied ſpringt keineswegs immer ſcharf in die Augen, und
ſogar Zangemeiſters wachſamem Blick iſt ein gewiſſer Vincenzo Mojorino oder ähn-
lich (Nr. 1592a) in der ehrwürdigen Geſellſchaft der Holconier und Popidier hin-
durchgeſchlüpft. Weniger verzeihlich iſt es daß folgendes Dipinto, welches im vorigen
Jahrhundert ein Engländer auf einer Wand von Herculaneum angebracht hatte:

[fremdsprachliches Material – 8 Wörter fehlen]

trotz der nicht einmal fehlerloſen Accentſetzung u. a. von Villoiſon für alt gehalten
wurde. Es ſoll dieſes Citat aus dem Curipides ſchon 1743 gefunden worden ſein;
ſtammte es aus ſpäterer Zeit, ſo könnte man darin einen ähnlichen Vorwurf erblicken
gegen „die vielen Hände“ welche die Wände des ausgegrabenen Theaters von Hercu-
aneum beſchmiert hatten, wie in dem bekannten Graffito des Palatin enthalten iſt:

[fremdsprachliches Material – 7 Wörter fehlen]

Alſo Arbeit die Hülle und Fülle liegt einem Sammler und Herausgeber der
pompejaniſchen Wandinſchriften ob. Aber, wird man fragen, iſt nicht ein großer
Theil der Arbeit ſchon von andern gethan? Allerdings würde ein erſter Verſuch
nicht von ſolchem Erfolge gekrönt ſein; ein allmählicher Fortſchritt hat darauf vor-
bereitet. Seit geraumer Zeit haben ſich manche mit dieſem Gegenſtand beſchäf-
tigt, obwohl keiner daran dachte ihn vollſtändig zu erſchöpfen. Allein der Werth
des darüber Veröffentlichten ſteht in keinem Verhältniß zur Maſſe desſelben, und
mögen ſelbſt die Fehler und Fehlgriffe der Vorgänger in gewiſſer Beziehung der
Genauigkeit und Sorgfalt des abſchließenden Werkes zu gute gekommen ſein, ſo
iſt doch dieſe Arbeit dadurch nicht vereinfacht und verkürzt worden, ſondern hat im
Gegentheil einen höchſt mühſeligen und oft verdrießlichen Zuwachs erhalten. Müh-
ſelig iſt es ſich durch eine weit verſtreute Literatur hindurchſchlagen zu müſſen, und
verdrießlich ſich mit Schwierigkeiten abzuquälen die nicht in der Sache ſelbſt, ſon-
dern in der Veſchaffenheit der Brillen liegen durch welche ſie betrachtet worden iſt.
Denn hätten die früheren Abſchriften bloß eine formelle Bedeutung, ſo würde man
ſie, wo ſie ſich dazugeeignet zeigen, als Trittſtufen benutzen und nach gethanem Dienſte
beiſeite legen. Aber ſie haben vielfach auch eine ſtoffliche Bedeutung, indem ent-
weder die Inſchriften ſelbſt gänzlich untergegangen oder ſtark beſchädigt und ver-
blichen ſind, ſo daß andere mehr und beſſer leſen konnten als wir; ja es empfiehlt
ſich im allgemeinen, da wo bis heute keine zweifelloſe Leſung erreicht worden iſt, die
Anmerkung der verſchiedenen Lesarten. Um nur wiederum ein Urtheil über die
Zuverläſſigkeit oder vielmehr über die Tranſcriptionsweiſe anderer, überhanpt für
ſolche Fälle in denen wir ſie nicht unmittelbar controliren können, zu gewinnen,
müſſen wir ſie an noch vorhandenen Inſchriften prüfen. Dabei iſt oft das ſchwie-
rigſte eine Inſchriftcopie mit einer anderen oder mit der Inſchrift ſelbſt zu identi-
ficiren, nicht nur wegen der außerordentlichen Abweichungen der Lesarten von einan-
der (ſo daß zuweilen ſo gut wie keine Aehnlichkeit beſteht), ſondern auch wegen des
veränderten Umfangs (durch Verſchmelzung nicht zuſammengehöriger Inſchriften),
hauptſächlich aber wegen Unterlaſſung der Fundortsangabe.

Die Dipinti haben von allem Anfang an Beachtung gefunden, und ſehr viele
jetzt zerſtörte ſind uns in den verſchiedenen Ausgrabungsberichten erhalten, und in-
ſofern auch wirklich erhalten als in dieſen von Ungelehrten mechaniſch, aber gewiſ-
ſenhaft genommenen Abſchriften das Wahre weit deutlicher durchblickt, als in denen
anderer welche mehr verſtehen wollten als ſie konnten. Hingegen wurden die
Graffiti lange Zeit hindurch vernachläſſigt, und eine große Anzahl iſt uns ſpurlos
verloren gegangen. Schon 1792 und 1793 hatte Chr. Th. v. Murr, freilich mit
wenig Glück, eine Reihe von Graffiti herausgegeben; aber erſt faſt ein halbes
Jahrhundert ſpäter (1837) veranlaßte ein Engländer, Chr. Wordsworth, durch
eine kleine aber geſchickte Auswahl ſolcher, und wohl nicht am wenigſten durch die
hübſch geſchriebene Erläuterung dazu, daß man von nun an dieſen Inſchriften eine
regere Aufmerkſamkeit zuwandte. Leider war der einzige der in der Folgezeit mit
einer umfaſſenden Sammlung derſelben hervortrat, R. Garrucci (1854, 1856),
dieſem Unternehmen ſo wenig gewachſen, daß er mehr Schaden und Verwirrung
als Nutzen ſtiftete. Im Jahr 1865 erhielt Zangemeiſter, der gerade in Rom die
palatiniſchen Graffiti ſtudiert hatte, den Auftrag für das Corpus inscriptionum
lalinarum
der Berliner Akademie die pompejaniſchen Graffiti und Dipinti, welche
wegen ihrer Eigenart in einem beſondern Band erſcheinen ſollten, zu bearbeiten.
Er brachte vier Monate desſelben Jahres mit dem Abſchreiben der Inſchriften zu
Pompeï zu, und kehrte, als die Sammlung im Druck ſchon gefchloſſen war, 1868
[Spaltenumbruch] auf kurze Zeit dahin zurück, um nicht nur das neu ans Tageslicht Getretene mit
aufzunehmen, ſondern auch das Alte nochmals zu vergleichen und Ueberſehenes
nachzutragen. Die Zahl der von Zangemeiſter veröffentlichten Inſchriften beträgt
nahe an 3000; dazu kommen noch in einer beſondern Abtheilung über 300 auf
Thongefäßen befindliche, von N. Schöne herausgegeben (mit 7 Tafeln).

Ueber die Einrichtung und Ausſtattung dieſes Werkes verlieren wir kein
Wort. Bekanntlich hat Th. Mommſen, Meiſter wie er iſt, den Veröffentlichungen
aus welchen ſich das C. I. L. zuſammenſetzt, den Grundriß vorgezeichnet, und in
ihnen entfaltet ſich etwas wie der Comfort jener großartigen Gaſthöfe in denen
jedes nur denkbare Bedürfniß vorgeſehen iſt. In vorliegendem Band iſt aus be-
ſonderer Rückſicht noch ein Beſonderes geſchehen. Freilich ſchien es auch faſt als
ob über dem Auf-und Ausbau dieſes Inſchriftengebäudes Zangemeiſter dazu kom-
men ſollte die Vorſchrift ſeines Lieblingsdichters zu erfüllen: nonum prematur
in annum.

Wer den trefflichen Plan des jetzt ſichtbaren Pompeï, welcher dem Werk
angehängt iſt, betrachtet, und darauf das Forum, die verſchiedenen großen Tempel,
die Baſilika, die beiden Theater u. ſ. w. wahrnimmt, möchte |glauben daß das
Weſentliche gethan ſei. Der kleine Seitenplan aber wird ihn überzeugen daß der
noch zu hebende Schatz den ſchon gehobenen an Maſſe weit übertrifft. Ob auch
an Werth, läßt ſich nicht vorausſagen. Wir müſſen in Geduld Spatenſtich um
Spatenſtich abwarten; denn beſäßen wir auch eine Wünſchelruthe, die nur auf das
Köſtlichſte hinwieſe, der verſtändige Mann, der jetzt die Auferſtehung Pompeï’s
überwacht, würde ſchwerlich ihren Winken Folge leiſten. So bleiben uns nur Wün-
ſche, und um nicht mit vergeblichen zu enden, wünſchen wir: es möchte wiederum,
neben ſolchen Inſchriften die dem Vergnügungsplänkler ein offenes und verſtänd-
liches Willkommen bieten, und neben ſolchen die nur dem ſchweren und kunſtreichen
Angriff der Wiſſenſchaft ſich erſchließen, auch eine und die andere ans Licht geför-
dert werden an welcher der Scharfſinn ſich alle Zähne ausbeißt, damit doch etwas
räthſelhaftes an dieſen zweitauſendjährigen Mauern haften bleibe, und unſer
übermüthiges Jahrhundert nicht (mit dem Syrus im Heautontimorumenos) wähne:
Nil tam diſſicile est, quin quaerendo investigari possiet.



Neueſte Poſten.

Wie wir vernehmen, hat Se. Maj. der König
der Frau des in Rom verſtorbenen Geſandten v. Dönniges ein Condolenzſchreiben
zuſtellen laſſen. — Der k. Reichsrath und Präſident des proteſtantiſchen Ober-
conſiſtoriums, v. Harleß, hat von dem Deutſchen Kaiſer das Eiſerne Kreuz 2. Claſſe
erhalten.

Nächſte Woche ſoll die Beſchwerde des Biſchofs
von Augsburg über Verfaſſungsverletzung (angeblich durch die Cultusminiſterial-
entſchließung vom 27 Febr. v. J. in der Meringer Angelegenheit begangen) in der
Abgeordnetenkammer zur Verhandlung kommen. Welche Antwort die Regierung
auf die von ultramontaner Seite gegen ſie erhobenen Anſchuldigungen geben wird,
iſt aus der geſtrigen Antwort des Miniſters v. Lutz auf die Rußwurm’ſche Inter-
pellation unſchwer zu entnehmen: gegenüber dem Verlangen daß Ausſprüche der
Hierarchie in kirchlichen Dingen eine abſolut bindende Norm für die Regierungen
in allem was nur entfernt die Kirche berührt, ſein ſollen, wird die Negierung einfach
auf ihrem durch die Erklärung vom 14 Oct. v. J. präciſirten Standpunkt beharren,
wonach ſie in das Gebiet der Gewiſſen einzugreifen ſich hütet, aber auf dem Gebiet wo
die kirchlichen Anordnungen auch weltliche Intereſſen berühren, ſich ihr eigenes Urtheil
nach Maßgabe der bürgerlichen Geſetze zu bilden und darnach zu handeln ſich vor-
behält. Treten die Ultramontanen in der Debatte nicht mit mehr Geſchick auf als
es geſtern Hr. Rußwurm in ſeiner Interpellation that, ſo wird ihr oratoriſcher
Erfolg ein ſehr ſchlechter ſein — und der iſt ja eigentlich das einzige was ſie mit
der Debatte bezwecken; denn eine Aenderung und reſp. Zurücknahme der Regierungs-
verfügungen in ihrem Sinne zu erwirken das hoffen die Klerikalen im Ernſt ſelbſt
nicht. Hätte Biſchof v. Dinkel die Stimmung der Reichsrathskammer als eine
ſeiner Beſchwerde günſtige erkannt, ſo würde er letztere ſicher nicht in die Abgeord-
netenkammer gebracht haben. Es geſchah weil die ultramontanen Koryphäen des
parlamentariſchen Feuerwerks in letzterer nicht verluſtig gehen wollten, welches ſie
ſehr nöthig haben um das ſinkende Vertrauen ihrer Anhänger wieder aufzurichten.

Ein Viertelſtündchen Inquiſitionsluft iſt gar
keine ſchlechte Abwechſelung für den der die Atmoſphäre des hieſigen Landtags-
ſaales längere Zeit zu genießen hat. Und nicht wenig ketzerrichterlich wehte es
einen an als heute Vormittag Hr. Antonius Rußwurm, Pfarrer von Theuern bei
Amberg, vortrat, um jenen (istum) Miniſter, in deſſen Departement Sacrilegien
einſchlagen, ins Gebet zu nehmen. Den Eingang bildete ein kleines Todtengericht
über den verſtorbenen Melber Zunner, zwar nicht ſo grauſam wie das jüngſt vom
„Vaterland“ über Hrn. v. Dönniges gehaltene,*) aber immerhin ſtreng genug.
Zunner habe ſich aus der katholiſchen Kirche ſelbſt ausgeſchloſſen, und ſich jeden
Anſpruches auf ihre Gnadenmittel begeben. Warum? Weil er gegen die Decrete
des vaticaniſchen Concils Oppoſition machte. Quod erat demonstrandum. Ein
unwillkürliches „Hm!“ links vom Todtenrichter veranlaßte denſelben zu der ener-
giſchen Weiſung: Jch bitte mich nicht zu unterbrechen! Wenn ihn ſchon ein ganz
leiſes Summen „unterbrichi,“ wie reizbar müſſen die Nerven des ſonſt ſo robuſt
ausſehenden Mannes geworden ſein! Die Fibration des Jnterpellationsmanu-
ſcripts und ſein ſtellenweiſe kurzer Athem gab in der That zu erkennen daß ein
fürchterliches Ereigniß vorliegt. Päpſte, Kaiſer, Könige, Völker und Regierungen
haben die Beſchlüſe von ſo und ſo viel Concilien ſchon ignorirt, modiſicirt und
total verworfen, ohne aufzuhören katholiſch zu ſein; ſelbſt in neueſter Zeit haben
auf Freiers Füßen oder zu Gevatter ſtehende bayeriſche Staatsbürger ſich ihren

*) Im Sigl’ſchen „Vaterland“ Nr. 7 vom 9 Jan. ſteht auf Seite 25 buchſtäblich folgendes zu
leſen: Daß Dönniges ein Hauptfreimaurer war, brauchen wir nicht zu ſagen. Da wir
an eine göttliche Gerechtigkeit glauben, und da „nichts unreines,“ nämlich kein Frei-
mam er u. dgl., in den Himmel eingehen kann, ſo ſind wir der Meinung daß den
Hrn. Dönniges zweifelsohne der Teufel geholt haben wird. Wir ſind auch hierin mit
dem Teufel völlig einverſtanden, und wünſchten nur daß er fleißiger an der Arbeit wäre.
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Endlich &#x017F;ei einer Gefahr gedacht welche man hier nicht vermuthen &#x017F;ollte, nämlich<lb/>
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Fremde und Einheimi&#x017F;che an&#x017F;teckend wirkt, darf nicht wundernehmen; i&#x017F;t uns doch<lb/>
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&#x017F;ogar Zangemei&#x017F;ters wach&#x017F;amem Blick i&#x017F;t ein gewi&#x017F;&#x017F;er Vincenzo Mojorino oder ähn-<lb/>
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gegen &#x201E;die vielen Hände&#x201C; welche die Wände des ausgegrabenen Theaters von Hercu-<lb/>
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                  <p>Al&#x017F;o Arbeit die Hülle und Fülle liegt einem Sammler und Herausgeber der<lb/>
pompejani&#x017F;chen Wandin&#x017F;chriften ob. Aber, wird man fragen, i&#x017F;t nicht ein großer<lb/>
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Gegentheil einen höch&#x017F;t müh&#x017F;eligen und oft verdrießlichen Zuwachs erhalten. Müh-<lb/>
&#x017F;elig i&#x017F;t es &#x017F;ich durch eine weit ver&#x017F;treute Literatur hindurch&#x017F;chlagen zu mü&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
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blichen &#x017F;ind, &#x017F;o daß andere mehr und be&#x017F;&#x017F;er le&#x017F;en konnten als wir; ja es empfiehlt<lb/>
&#x017F;ich im allgemeinen, da wo bis heute keine zweifello&#x017F;e Le&#x017F;ung erreicht worden i&#x017F;t, die<lb/>
Anmerkung der ver&#x017F;chiedenen Lesarten. Um nur wiederum ein Urtheil über die<lb/>
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&#x017F;olche Fälle in denen wir &#x017F;ie nicht unmittelbar controliren können, zu gewinnen,<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;ie an noch vorhandenen In&#x017F;chriften prüfen. Dabei i&#x017F;t oft das &#x017F;chwie-<lb/>
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                  <p>Die Dipinti haben von allem Anfang an Beachtung gefunden, und &#x017F;ehr viele<lb/>
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&#x017F;ofern auch wirklich erhalten als in die&#x017F;en von Ungelehrten mechani&#x017F;ch, aber gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enhaft genommenen Ab&#x017F;chriften das Wahre weit deutlicher durchblickt, als in denen<lb/>
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Graffiti lange Zeit hindurch vernachlä&#x017F;&#x017F;igt, und eine große Anzahl i&#x017F;t uns &#x017F;purlos<lb/>
verloren gegangen. Schon 1792 und 1793 hatte Chr. Th. v. Murr, freilich mit<lb/>
wenig Glück, eine Reihe von Graffiti herausgegeben; aber er&#x017F;t fa&#x017F;t ein halbes<lb/>
Jahrhundert &#x017F;päter (1837) veranlaßte ein Engländer, Chr. Wordsworth, durch<lb/>
eine kleine aber ge&#x017F;chickte Auswahl &#x017F;olcher, und wohl nicht am wenig&#x017F;ten durch die<lb/>
hüb&#x017F;ch ge&#x017F;chriebene Erläuterung dazu, daß man von nun an die&#x017F;en In&#x017F;chriften eine<lb/>
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einer umfa&#x017F;&#x017F;enden Sammlung der&#x017F;elben hervortrat, R. Garrucci (1854, 1856),<lb/>
die&#x017F;em Unternehmen &#x017F;o wenig gewach&#x017F;en, daß er mehr Schaden und Verwirrung<lb/>
als Nutzen &#x017F;tiftete. Im Jahr 1865 erhielt Zangemei&#x017F;ter, der gerade in Rom die<lb/>
palatini&#x017F;chen Graffiti &#x017F;tudiert hatte, den Auftrag für das <hi rendition="#aq">Corpus inscriptionum<lb/>
lalinarum</hi> der Berliner Akademie die pompejani&#x017F;chen Graffiti und Dipinti, welche<lb/>
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Er brachte vier Monate des&#x017F;elben Jahres mit dem Ab&#x017F;chreiben der In&#x017F;chriften zu<lb/>
Pompeï zu, und kehrte, als die Sammlung im Druck &#x017F;chon gefchlo&#x017F;&#x017F;en war, 1868<lb/><cb/>
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nachzutragen. Die Zahl der von Zangemei&#x017F;ter veröffentlichten In&#x017F;chriften beträgt<lb/>
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&#x017F;onderer Rück&#x017F;icht noch ein Be&#x017F;onderes ge&#x017F;chehen. Freilich &#x017F;chien es auch fa&#x017F;t als<lb/>
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Angriff der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich er&#x017F;chließen, auch eine und die andere ans Licht geför-<lb/>
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</TEI>
[204/0012] alſo würden beide Möglichkeiten foctbeſtehen. Haben wir aber auch die Klippen der einzelnen Wortformen glücklich umſchifft, ſo paſſirt es uns leicht daß wir in dem Sumpfe der Wortfügung und Redewendung ſtecken bleiben, wovon Nr. 1410 ein gutes Beiſpiel liefert. Und wiederum kann der ſprachliche Sinn ganz unzweifelhaft ſein, und wir dringen nur mit Mühe zum Verſtändniß des Sachlichen durch. Da- bei ſind uns die Inſchriften ſelbſt, indem wir ſie unter einander vergleichen, von weit größerem Nutzen als die alten Schriftſteller; umgekehrt dient gelegentlich eine Inſchrift zur Verbeſſerung eines Schriftſtellertertes, wie aus Nr. 538 in der der Gla- diatorenname Tetraites, ſtatt des handſchriftlichen Petraites, bei Petronius geſetzt worden iſt. In einzelnen Fällen kann die Sache ganz ſo die Sprache aufklären wie die Sprache die Schrift. Ob z. B. in Nr. 1136 nongentum (tabernæ) Nominativ oder Genitiv, iſt mehr eine archäologiſche als eine grammatiſche Frage. Auch beim Sammeln der Inſchriften iſt manche Vorſicht und Rückſicht noth- wendig. Scharfes Umherſpähen, damit nichts verborgen bleibe, verſteht ſich von ſelbſt. Da jedoch oft Inſchriften von ganz gleichem oder ſehr ähnlichem Inhalt nahe neben einander erſcheinen, ſo kann ein Unachtſamer leicht eine von dieſen In- ſchriften entweder gar nicht oder doppelt abſchreiben. Ferner hüte man ſich mög- lichſt — denn zweifelhaftes bleibt immer — verſchiedene Inſchriften zu einer ein- zigen zu verbinden, oder andrerſeits eine Inſchrift in zwei oder mehrere aufzulöſen. Endlich ſei einer Gefahr gedacht welche man hier nicht vermuthen ſollte, nämlich der: Inſchriften als pompejaniſch anzuſehen welche es nicht ſind, d. h. welche nicht einen alten Pompejaner, ſondern einen neuen Beſucher der Trümmerſtadt zum Ur- heber haben. Daß der Anblick ſo zahlreicher Kritzeleien auf ſchon dazu disponirte Fremde und Einheimiſche anſteckend wirkt, darf nicht wundernehmen; iſt uns doch im kleinen Theater ſelbſt der Name des Herausgebers der „Pompejana“ zu Geſicht gekommen. Wohl aber dürfte die Verwechslung ſolcher modernen Graffiti (beſon- ders in den zuerſt ausgegrabenen Häuſern) mit den Graffiti des Alterthums be- fremden. Allein der Unterſchied ſpringt keineswegs immer ſcharf in die Augen, und ſogar Zangemeiſters wachſamem Blick iſt ein gewiſſer Vincenzo Mojorino oder ähn- lich (Nr. 1592a) in der ehrwürdigen Geſellſchaft der Holconier und Popidier hin- durchgeſchlüpft. Weniger verzeihlich iſt es daß folgendes Dipinto, welches im vorigen Jahrhundert ein Engländer auf einer Wand von Herculaneum angebracht hatte: ________ trotz der nicht einmal fehlerloſen Accentſetzung u. a. von Villoiſon für alt gehalten wurde. Es ſoll dieſes Citat aus dem Curipides ſchon 1743 gefunden worden ſein; ſtammte es aus ſpäterer Zeit, ſo könnte man darin einen ähnlichen Vorwurf erblicken gegen „die vielen Hände“ welche die Wände des ausgegrabenen Theaters von Hercu- aneum beſchmiert hatten, wie in dem bekannten Graffito des Palatin enthalten iſt: _______ Alſo Arbeit die Hülle und Fülle liegt einem Sammler und Herausgeber der pompejaniſchen Wandinſchriften ob. Aber, wird man fragen, iſt nicht ein großer Theil der Arbeit ſchon von andern gethan? Allerdings würde ein erſter Verſuch nicht von ſolchem Erfolge gekrönt ſein; ein allmählicher Fortſchritt hat darauf vor- bereitet. Seit geraumer Zeit haben ſich manche mit dieſem Gegenſtand beſchäf- tigt, obwohl keiner daran dachte ihn vollſtändig zu erſchöpfen. Allein der Werth des darüber Veröffentlichten ſteht in keinem Verhältniß zur Maſſe desſelben, und mögen ſelbſt die Fehler und Fehlgriffe der Vorgänger in gewiſſer Beziehung der Genauigkeit und Sorgfalt des abſchließenden Werkes zu gute gekommen ſein, ſo iſt doch dieſe Arbeit dadurch nicht vereinfacht und verkürzt worden, ſondern hat im Gegentheil einen höchſt mühſeligen und oft verdrießlichen Zuwachs erhalten. Müh- ſelig iſt es ſich durch eine weit verſtreute Literatur hindurchſchlagen zu müſſen, und verdrießlich ſich mit Schwierigkeiten abzuquälen die nicht in der Sache ſelbſt, ſon- dern in der Veſchaffenheit der Brillen liegen durch welche ſie betrachtet worden iſt. Denn hätten die früheren Abſchriften bloß eine formelle Bedeutung, ſo würde man ſie, wo ſie ſich dazugeeignet zeigen, als Trittſtufen benutzen und nach gethanem Dienſte beiſeite legen. Aber ſie haben vielfach auch eine ſtoffliche Bedeutung, indem ent- weder die Inſchriften ſelbſt gänzlich untergegangen oder ſtark beſchädigt und ver- blichen ſind, ſo daß andere mehr und beſſer leſen konnten als wir; ja es empfiehlt ſich im allgemeinen, da wo bis heute keine zweifelloſe Leſung erreicht worden iſt, die Anmerkung der verſchiedenen Lesarten. Um nur wiederum ein Urtheil über die Zuverläſſigkeit oder vielmehr über die Tranſcriptionsweiſe anderer, überhanpt für ſolche Fälle in denen wir ſie nicht unmittelbar controliren können, zu gewinnen, müſſen wir ſie an noch vorhandenen Inſchriften prüfen. Dabei iſt oft das ſchwie- rigſte eine Inſchriftcopie mit einer anderen oder mit der Inſchrift ſelbſt zu identi- ficiren, nicht nur wegen der außerordentlichen Abweichungen der Lesarten von einan- der (ſo daß zuweilen ſo gut wie keine Aehnlichkeit beſteht), ſondern auch wegen des veränderten Umfangs (durch Verſchmelzung nicht zuſammengehöriger Inſchriften), hauptſächlich aber wegen Unterlaſſung der Fundortsangabe. Die Dipinti haben von allem Anfang an Beachtung gefunden, und ſehr viele jetzt zerſtörte ſind uns in den verſchiedenen Ausgrabungsberichten erhalten, und in- ſofern auch wirklich erhalten als in dieſen von Ungelehrten mechaniſch, aber gewiſ- ſenhaft genommenen Abſchriften das Wahre weit deutlicher durchblickt, als in denen anderer welche mehr verſtehen wollten als ſie konnten. Hingegen wurden die Graffiti lange Zeit hindurch vernachläſſigt, und eine große Anzahl iſt uns ſpurlos verloren gegangen. Schon 1792 und 1793 hatte Chr. Th. v. Murr, freilich mit wenig Glück, eine Reihe von Graffiti herausgegeben; aber erſt faſt ein halbes Jahrhundert ſpäter (1837) veranlaßte ein Engländer, Chr. Wordsworth, durch eine kleine aber geſchickte Auswahl ſolcher, und wohl nicht am wenigſten durch die hübſch geſchriebene Erläuterung dazu, daß man von nun an dieſen Inſchriften eine regere Aufmerkſamkeit zuwandte. Leider war der einzige der in der Folgezeit mit einer umfaſſenden Sammlung derſelben hervortrat, R. Garrucci (1854, 1856), dieſem Unternehmen ſo wenig gewachſen, daß er mehr Schaden und Verwirrung als Nutzen ſtiftete. Im Jahr 1865 erhielt Zangemeiſter, der gerade in Rom die palatiniſchen Graffiti ſtudiert hatte, den Auftrag für das Corpus inscriptionum lalinarum der Berliner Akademie die pompejaniſchen Graffiti und Dipinti, welche wegen ihrer Eigenart in einem beſondern Band erſcheinen ſollten, zu bearbeiten. Er brachte vier Monate desſelben Jahres mit dem Abſchreiben der Inſchriften zu Pompeï zu, und kehrte, als die Sammlung im Druck ſchon gefchloſſen war, 1868 auf kurze Zeit dahin zurück, um nicht nur das neu ans Tageslicht Getretene mit aufzunehmen, ſondern auch das Alte nochmals zu vergleichen und Ueberſehenes nachzutragen. Die Zahl der von Zangemeiſter veröffentlichten Inſchriften beträgt nahe an 3000; dazu kommen noch in einer beſondern Abtheilung über 300 auf Thongefäßen befindliche, von N. Schöne herausgegeben (mit 7 Tafeln). Ueber die Einrichtung und Ausſtattung dieſes Werkes verlieren wir kein Wort. Bekanntlich hat Th. Mommſen, Meiſter wie er iſt, den Veröffentlichungen aus welchen ſich das C. I. L. zuſammenſetzt, den Grundriß vorgezeichnet, und in ihnen entfaltet ſich etwas wie der Comfort jener großartigen Gaſthöfe in denen jedes nur denkbare Bedürfniß vorgeſehen iſt. In vorliegendem Band iſt aus be- ſonderer Rückſicht noch ein Beſonderes geſchehen. Freilich ſchien es auch faſt als ob über dem Auf-und Ausbau dieſes Inſchriftengebäudes Zangemeiſter dazu kom- men ſollte die Vorſchrift ſeines Lieblingsdichters zu erfüllen: nonum prematur in annum. Wer den trefflichen Plan des jetzt ſichtbaren Pompeï, welcher dem Werk angehängt iſt, betrachtet, und darauf das Forum, die verſchiedenen großen Tempel, die Baſilika, die beiden Theater u. ſ. w. wahrnimmt, möchte |glauben daß das Weſentliche gethan ſei. Der kleine Seitenplan aber wird ihn überzeugen daß der noch zu hebende Schatz den ſchon gehobenen an Maſſe weit übertrifft. Ob auch an Werth, läßt ſich nicht vorausſagen. Wir müſſen in Geduld Spatenſtich um Spatenſtich abwarten; denn beſäßen wir auch eine Wünſchelruthe, die nur auf das Köſtlichſte hinwieſe, der verſtändige Mann, der jetzt die Auferſtehung Pompeï’s überwacht, würde ſchwerlich ihren Winken Folge leiſten. So bleiben uns nur Wün- ſche, und um nicht mit vergeblichen zu enden, wünſchen wir: es möchte wiederum, neben ſolchen Inſchriften die dem Vergnügungsplänkler ein offenes und verſtänd- liches Willkommen bieten, und neben ſolchen die nur dem ſchweren und kunſtreichen Angriff der Wiſſenſchaft ſich erſchließen, auch eine und die andere ans Licht geför- dert werden an welcher der Scharfſinn ſich alle Zähne ausbeißt, damit doch etwas räthſelhaftes an dieſen zweitauſendjährigen Mauern haften bleibe, und unſer übermüthiges Jahrhundert nicht (mit dem Syrus im Heautontimorumenos) wähne: Nil tam diſſicile est, quin quaerendo investigari possiet. December 1871. Hugo Schuchardt. Neueſte Poſten. : München, 13 Jan. Wie wir vernehmen, hat Se. Maj. der König der Frau des in Rom verſtorbenen Geſandten v. Dönniges ein Condolenzſchreiben zuſtellen laſſen. — Der k. Reichsrath und Präſident des proteſtantiſchen Ober- conſiſtoriums, v. Harleß, hat von dem Deutſchen Kaiſer das Eiſerne Kreuz 2. Claſſe erhalten. ᷅ München, 13 Jan. Nächſte Woche ſoll die Beſchwerde des Biſchofs von Augsburg über Verfaſſungsverletzung (angeblich durch die Cultusminiſterial- entſchließung vom 27 Febr. v. J. in der Meringer Angelegenheit begangen) in der Abgeordnetenkammer zur Verhandlung kommen. Welche Antwort die Regierung auf die von ultramontaner Seite gegen ſie erhobenen Anſchuldigungen geben wird, iſt aus der geſtrigen Antwort des Miniſters v. Lutz auf die Rußwurm’ſche Inter- pellation unſchwer zu entnehmen: gegenüber dem Verlangen daß Ausſprüche der Hierarchie in kirchlichen Dingen eine abſolut bindende Norm für die Regierungen in allem was nur entfernt die Kirche berührt, ſein ſollen, wird die Negierung einfach auf ihrem durch die Erklärung vom 14 Oct. v. J. präciſirten Standpunkt beharren, wonach ſie in das Gebiet der Gewiſſen einzugreifen ſich hütet, aber auf dem Gebiet wo die kirchlichen Anordnungen auch weltliche Intereſſen berühren, ſich ihr eigenes Urtheil nach Maßgabe der bürgerlichen Geſetze zu bilden und darnach zu handeln ſich vor- behält. Treten die Ultramontanen in der Debatte nicht mit mehr Geſchick auf als es geſtern Hr. Rußwurm in ſeiner Interpellation that, ſo wird ihr oratoriſcher Erfolg ein ſehr ſchlechter ſein — und der iſt ja eigentlich das einzige was ſie mit der Debatte bezwecken; denn eine Aenderung und reſp. Zurücknahme der Regierungs- verfügungen in ihrem Sinne zu erwirken das hoffen die Klerikalen im Ernſt ſelbſt nicht. Hätte Biſchof v. Dinkel die Stimmung der Reichsrathskammer als eine ſeiner Beſchwerde günſtige erkannt, ſo würde er letztere ſicher nicht in die Abgeord- netenkammer gebracht haben. Es geſchah weil die ultramontanen Koryphäen des parlamentariſchen Feuerwerks in letzterer nicht verluſtig gehen wollten, welches ſie ſehr nöthig haben um das ſinkende Vertrauen ihrer Anhänger wieder aufzurichten. Δ München, 12 Jan. Ein Viertelſtündchen Inquiſitionsluft iſt gar keine ſchlechte Abwechſelung für den der die Atmoſphäre des hieſigen Landtags- ſaales längere Zeit zu genießen hat. Und nicht wenig ketzerrichterlich wehte es einen an als heute Vormittag Hr. Antonius Rußwurm, Pfarrer von Theuern bei Amberg, vortrat, um jenen (istum) Miniſter, in deſſen Departement Sacrilegien einſchlagen, ins Gebet zu nehmen. Den Eingang bildete ein kleines Todtengericht über den verſtorbenen Melber Zunner, zwar nicht ſo grauſam wie das jüngſt vom „Vaterland“ über Hrn. v. Dönniges gehaltene, *) aber immerhin ſtreng genug. Zunner habe ſich aus der katholiſchen Kirche ſelbſt ausgeſchloſſen, und ſich jeden Anſpruches auf ihre Gnadenmittel begeben. Warum? Weil er gegen die Decrete des vaticaniſchen Concils Oppoſition machte. Quod erat demonstrandum. Ein unwillkürliches „Hm!“ links vom Todtenrichter veranlaßte denſelben zu der ener- giſchen Weiſung: Jch bitte mich nicht zu unterbrechen! Wenn ihn ſchon ein ganz leiſes Summen „unterbrichi,“ wie reizbar müſſen die Nerven des ſonſt ſo robuſt ausſehenden Mannes geworden ſein! Die Fibration des Jnterpellationsmanu- ſcripts und ſein ſtellenweiſe kurzer Athem gab in der That zu erkennen daß ein fürchterliches Ereigniß vorliegt. Päpſte, Kaiſer, Könige, Völker und Regierungen haben die Beſchlüſe von ſo und ſo viel Concilien ſchon ignorirt, modiſicirt und total verworfen, ohne aufzuhören katholiſch zu ſein; ſelbſt in neueſter Zeit haben auf Freiers Füßen oder zu Gevatter ſtehende bayeriſche Staatsbürger ſich ihren *) Im Sigl’ſchen „Vaterland“ Nr. 7 vom 9 Jan. ſteht auf Seite 25 buchſtäblich folgendes zu leſen: Daß Dönniges ein Hauptfreimaurer war, brauchen wir nicht zu ſagen. Da wir an eine göttliche Gerechtigkeit glauben, und da „nichts unreines,“ nämlich kein Frei- mam er u. dgl., in den Himmel eingehen kann, ſo ſind wir der Meinung daß den Hrn. Dönniges zweifelsohne der Teufel geholt haben wird. Wir ſind auch hierin mit dem Teufel völlig einverſtanden, und wünſchten nur daß er fleißiger an der Arbeit wäre.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1872, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine14_1872/12>, abgerufen am 27.07.2024.