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Allgemeine Zeitung, Nr. 138, 24. März 1908.

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München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138.
[Spaltenumbruch] dankens wäre entfernt nicht so einfach wie der glückliche Vater
es sich vorzustellen scheint.

Die religiösen Unruhen in Deutsch-Adamaua

bilden den Gegenstand sehr beachtenswerter Berichte, die, von
den Residenten Hauptmann Zimmermann und Oberleutnant
Strümpell erstattet, im neuesten Kolonialblatte veröfent-
licht werden. Den ausführlichen Darstellungen beider entnehmen
wir die nachstehenden, kurz zusammengefaßten Angaben.

Die zwei Residenten wollten sich Anfang Juli vorigen
Jahres zur Regelung von Grenzstreitigkeiten zwischen Mandara
und Marua-Madagali in Dukba treffen. Hauptmann Zimmer-
mann hatte Malampetel erreicht, als er plötzlich die Nachricht er-
hielt, daß die Ngundum-Ngundum in kriegerischer Ab-
sicht herangerückt seien. Sie waren knapp noch 300 Meter ent-
fernt und hatten eine schwarze, von weißen Koransprüchen be-
deckte Flagge entfaltet. Zimmermanns Soldaten verloren
keinen Augenblick die Ruhe, töteten aus nächster Nähe einige
20 Angreifer und schlugen sie nach 5 Minuten in die Flucht.
Der Urheber des Aufstandsversuches war der Mahdi Al-
hadji
. Er stammt aus Mekka und will dort gleich seinem im
Kampf gegen die Christen verschollenen Vater die göttliche Bot-
schaft erhalten haben. Nach langer Wanderung in Marua ange-
kommen, hatte er bei dem Liman (Vorbeter) Arabu Aufenthalt
genommen. Dort bereitete er sich vor und begann seine öffent-
liche Tätigkeit in einem Vorort Maruas. Einem Haftbefehl des
Lamidos von Marua entzog er sich durch die Flucht nach Ngun-
dum-Ngundum. Hier bezeichnete er sich als Gottesgesandten,
der die Herrschaft der Weißen brechen solle, und fand die Unter-
stützung des dortigen Oberhauptes Bazir. Zunächst scheint der
Mahdi die Absicht gehabt zu haben, durch Verkündung des
Krieges gegen den Lamido von Marua die nötige Mannschaft
zur Bekriegung der Weißen in die Hand zu bekommen. Als er
über die Nachricht von der Ankunft des Hauptmanns Zimmer-
mann erhielt, beschloß er, von seiner göttlichen Sendung durch-
drungen, den Angriff auf den deutschen Führer. Der Ausgang
des Kampfes war überaus kläglich. Sehr bald darauf wurde
der flüchtige Mahdi durch Marua-Reiter bei Logone fest-
genommen
und als Gefangener nach Marua gebracht. Der
dortige Lamido ließ ihn nach Binder führen, und hier ist er auf
Grund rechtskräftiger Verurteilung durch den Alkali hin-
gerichtet
worden.

Die schnelle Niederwerfung des Aufstandes im Norden war
wegen des Ausbruches religiöser Unruhen im Süden doppelt
willkommen. In Uro Kohel nämlich, dessen Fullah sich sehr
rein erhalten haben und durch Fanatismus ausgezeichnet sind,
hatte der aus Wadai stammende Malum Wadai die Ein-
geborenen zum Kampfe wider die Europäer aufgestachelt. Leut-
nant Nitschmann, dem der Anhang des aufrührerischen Priesters
als gering geschildert war, entsandte eine kleine farbige
Patrouille. Diese aber wurde von dem neuen Mahdi, der durch
allerhand Hokuspokus seine nach mehreren Hundert zählenden
Anhänger zu größter Begeisterung angefeuert hatte, in die
Flucht geschlagen. Nun glaubte der Mahdi, einen Hauptschlag
wagen zu können, und trat den Marsch auf Garua an. Leutnant
Nitschmann verfügte nur über 35 Mann und hatte deshalb die
Rückkehr des Residenten Strümpell abwarten wollen, ohne sich
auf eine Entscheidung einzulassen. Angesichts des feindlichen
Vormarsches aber entschloß er sich zum sofortigen Kampf. Erst
nach einem heftigen zweistündigen Gefecht wurden die Mahdisten
zersprengt. Durch diesen Sieg ist Adamaua vor dem Un-
glück eines umfassenden religiösen Aufstandes bewahrt geblieben.
Die schuldigen Häuptlinge, nach den Satzungen des
Korans abgeurteilt, wurden teils aufgehängt, teils ab-
gesetzt
, teils mit Gefängnis bestraft; das gesamte
Aufstandsgebiet hat Strafarbeiter und Vieh zu stellen.

Erwiesenermaßen rechneten die mahdistischen Aufwiegler
mit der geringen Besetzung Adamauas durch Soldaten, die in
Britisch-Nigeria und in Französisch-Kongo, den beiden Nachbar-
kolonien, weit zahlreicher sind. Das sollte wegen der kriegerischen,
religiöser Aufreizung leicht zugänglichen Natur der Fullahs
künftig beachtet werden.

Briands Justizreformen.

Unser Pariser Korrespondent schreibt uns:

Man muß dem neuen Justizminister, der erst zu Neu-
jahr das Erbe des plötzlich aus dem Leben geschiedenen
Guyot-Dessaigne angetreten hat, zugestehen, daß er auf
seinem jetzigen Wirkungsfelde eine bemerkenswerte Ini-
tiative entfaltet; das einzige Mitglied des Kabinetts Cle-
menceau, das wirklich Ernst mit den verheißenen Refor-
men zu machen sucht. Nachdem er erst kürzlich durch einen
Erlaß den gänzlich veralteten, aus Colberts Zeiten stam-
menden und heute völlig unverständlich gewordenen For-
melkram der gerichtlichen Zustellungsformulare zur allge-
meinen Genugtuung beseitigt hat, legt er nunmehr der
[Spaltenumbruch] Kammer einen Gesetzentwurf von außerordentlicher Trag-
weite vor, der eine völlige Reform der Schwurgerichte zum
Ziele hat. Die von den französischen und namentlich den
Pariser Geschworenen geübte Rechtspflege ist seit langem
mit gutem Grunde etwas in Mißtredit geraten, vor allem
wegen der oft skandalösen Freisprechungen, die allen Uebel-
tätern einen Freibrief auszustellen schienen, vorausgesetzt,
daß die Verteidiger sich auf die Psychologie der Geschwore-
nen hinreichend verstanden.

Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt,
die das ganze Institut der Schwurgerichte als eine Ver-
höhnung des Rechts erklärten und seine Abschaffung for-
derten. Selbstverständlich konnte Briand seinem ganzen
politischen Glaubensbekenntnis nach sich einer solchen Auf-
fassung nicht anschließen. Er erkannte die Reformbedürf-
tigkeit der Einrichtung, fand das Heilmittel aber auf ande-
rem Wege. Wie oft waren die Geschworenen zu einem
Nichtschuldig gelangt, einzig um den Angeklagten vor einer
Strafe zu bewahren, deren Höhe ihrer Ueberzeugung nach
nicht im Einklang mit der Schwere des Vergehens stand
und weil sie keine gesetzliche Einwirkung auf das Straf-
maß hatten. Was Briands Reform bezweckt, ist nun nicht
mehr und nicht weniger als die Mitwirkung der Geschwore-
nen, die bisher nur über Schuldig oder Nichtschuldig zu be-
finden hatten, an der Abmessung der Strafe.

Und damit das Urteil der Richter die Meinung der
Geschworenen nicht beeinflusse, will der Entwurf, daß die
Geschworenen ihr Urteil über das Strafmaß zuerst ab-
geben; im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen
beiden Instanzen soll stets die mildere Form des Urteils in
Kraft treten.

Wenn die politischen Freunde Briands diese durch-
greifende Reform auch als Zeugnis unbegrenzten Ver-
trauens in den Rechtssinn des Volkes mit Genugtuung be-
grüßen und als einen großen Schritt zur Demokratisterung
der Justizpflege feiern, sehen einsichtige Beurteiler die Kon-
sequenzen einer derartigen Machterweiterung für das
Laienelement als verhängnisvoll für die Rechtsprechung
an, und wer gerade in jüngster Zeit die Tätigkeit der
Pariser Schwurgerichte etwas verfolgt hat, kann kaum
anders, als diesen Schwarzsehern beizupflichten.



-- Die Referate für den Deutschen Städte-
tag
, der am 6. und 7. Juli d. J. in München stattfindet, sind
nunmehr festgesetzt. In erster Linie wird die Frage der Kredit-
verhältnisse der deutschen Städte beraten werden. Als Refe-
renten sind Oberbürgermeister Kutzer-Fürth, Stadtrat und Käm-
merer Mitzlaff-Danzig und Stadtrat Dr. Wöll-Frankfurt a. M.
ausersehen. Als zweiter Beratungsgegenstand ist das städtische
Fortbildungsschulwesen in Aussicht genommen. Hierfür wurden
als Referenten aufgestellt Oberstudienrat und Stadtschulrat Dr.
G. Kerschensteiner-München, Professor Dr. Lyon-Dresden und
Professor Dr. Michaelis-Frankfurt a. M.

-- Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge-
heimrat Paasche
und Dr. Semler, haben sich entschlossen,
auf die weiteren sachlichen Erörterungen beim Kolonialetat zu
verzichten, weil sie alles vermeiden wollen, was geeignet sein
könnte, die vorhandenen Gegensätze zu verschärfen. Sie wollen
jetzt erst dem Kolonialsekretär Gelegenheit geben, seinen Worten
die Tat folgen zu lassen, und wollen abwarten, wie weit er
gewillt ist, den Interessenten, die in unseren Kolonien Geld und
Arbeitskraft festgelegt haben, entgegenzukommen.

-- Zum Geburtstag Kaiser Wilhelms I. ist am 22. März
eine Extra-Ausgabe des Militär-Wochenblattes
erschienen, die ein umfangreiches militärisches Revirement mit-
teilt; so sind u. a. 31 Obersten zu Generalmajors befördert
worden.

-- Abgeordneter Dr. Paasche will für das preußische
Abgeordnetenhaus nicht wieder kandidieren.

Letzte Nachrichten siehe Seite 5.



Heer und Flotte.
Aenderungen in der deutschen Heerordnung.

* Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer-
ordnung
betreffen vor allem die Bildung des Beur-
laubtenstandes der Kraftfahrtruppen
. Nach den
neuen Bestimmungen treten alle Unteroffiziere und Mannschaften,
die bei den Kraftfahrtruppen gedient haben, bei ihrer Entlassung
zum Beurlaubtenstand dieser Truppen; ebenso die Unteroffiziere
[Spaltenumbruch] und Mannschaften anderer Waffen, die im Kraftfahrdienst mili-
tärisch ausgebildet sind. Die Ausbildung bei den Kraftfahr-
truppen erstreckt sich auf Kraftwagen- und Kraftbootführer.

Wichtig ist ferner die Herabsetzung des für Mann-
schaften der Feldartillerie vorgeschriebenen geringsten
Größenmaßes -- von 1.62 auf 1.60 Meter -- und für Mann-
schaften der Fußartillerie von 1.67 auf 1.64 Meter. Da kleinere
Menschen in der Regel leichter sind als größere, so wird das
Gewicht der bei der Artillerie einzustellenden Leute in Zukunft
im Durchschnitt geringer sein als bisher. Diese Gewichtsvermin-
derung kommt bei der Feldartillerie der Beweglichkeit des
Geschützes zugute.

Eine andere Neuerung der Heeresordnung besteht darin,
daß Leute mit künstlichen Gebissen nicht mehr all-
gemein von der Dienstpflicht auszuschließen sind, auch dann nicht
wenn ihre Ernährung ohne ein solches Gebiß erschwert ist. Es
ist vielmehr in jedem einzelnen Falle durch militärärztliche Beur-
teilung je nach Art, Sitz und Beschaffenheit des betreffenden
Ersatzmittels, nach den örtlichen Veränderungen in der Mund-
höhle, sowie nach der dienstlichen Verwendung des Einzelnen
festzustellen, ob der betreffende Mann für dienstfähig zu erachten
ist oder nicht. Bisher wurden Mannschaften, bei denen Mängel
oder Fehlen der Kauwerkzeuge eine wesentliche Störung des
Kauens verursachten, für dienstunbrauchbar erklärt. Bei bereits
ausgebildeten Leuten war das Verbleiben im Dienst statthaft
wenn der vorhandene Mangel durch ein gut passendes Gebiß
ausgeglichen wurde. Die jetzige Neuerung dürfte wohl durch
die in den letzten Jahren gemachten Fortschritte in der Zahn-
heillunde und in der Zahntechnik bedingt sein. Die beabsichtigte
Einstellung von Zahnärzten in die Armee wird die Durchführung
dieser Maßregel wesentlich erleichtern.



Der Reichstag und die Presse.

Die Zentrumspresse macht krampfhafte Ver-
suche, den Abgeordneten Gröber wegen seiner unerhörten
Beleidigung der Pressevertreter auf der Reichstagstribüne
zu entschuldigen und die Journalisten ins Unrecht zu
setzen, die sich in dem "zu 99 Prozent christlichen" Reichstag
über die unsterbliche Seele des Negers lustig gemacht haben
sollen; selbstverständlich werden die liberalen Jour-
nalisten besonders hervorgehoben, obwohl sich dem Streit
die Pressevertreter aller Parteien, auch der konservativen,
angeschlossen haben -- nur das Zentrumsbureau hat seine
Arbeitskräfte "verstärkt", um einen ausreichenden Bericht
liefern zu können. Zentrumsmitglieder haben auch den
Direktor beim Reichstage angegangen, einen "offiziellen"
Bericht an die Presse herauszugeben, um den Streik der
Parlamentstribüne zu paralysieren. Vor der Verstär-
kung hat der Direktor des klerikalen parlamentarischen
Bureaus seinen Mitarbeitern, den eigentlichen Zentrums-
journalisten, mit sofortiger Entlassung gedroht, falls sie
sich ihren Kollegen anschließen sollten. Es scheint demnach,
daß eine Palastrevolution zu befürchten stand.

Man darf dabei nicht übersehen, daß die Zentrums-
blätter, die sich jetzt um die Verteidigung des Abgeordneten
Gröber verdient machen, im ersten Augenblick den
Vorfall ebenso beurteilten und verurteilten, wie es die
Presse der anderen Parteien noch jetzt tut (s. die Germania
vom Abend des Sitzungstages). Als sich dann freilich
herausstellte, daß der liebliche Ausdruck den Lippen eines
Zentrumsführers entflohen war, und daß das höhnische
Gelächter, das die Journalisten als eine weitere Standes-
beleidigung auffassen mußten, aus der Mitte des Hauses
stammte, wurde die Auffassung von der Standes-
beleidigung bei den klerikalen Journa-
listen revidiert
, so stark revidiert, daß der Bayerische
Kurter sich am Samstag Abend sogar dafür bedankt, "diese
Herren als Kollegen anzusehen".

In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf-
fassung
und Auslegung der Vorgänge hat der Berliner
Vertreter eines führenden Zentrumsblattes in der Ver-
sammlung der Reichstagsjournalisten die Behauptung auf-
gestellt, seit dem 13. Dezember 1906 begrüße die Tribüne
überhaupt die Zentrumsredner mit Unruhe und Zwischen-
rufen. Nur seltsam, daß sich bis zum März 1908 kein Zen-
trumsredner und kein Zentrumsblatt darüber beschwert
hat. Die Herren sind doch sonst nicht so zurückhaltend. Auf
der Journalistentribüne des Reichstags geht es aller-
dings nicht wie in einem Konzertsaal zu: Schon die ständige



[Spaltenumbruch]
Londoner Brief.

Nationale Gewissensbisse. -- Shakespeare-Denkmal oder
Shakespeare-Theater? -- Geben und Nehmen.


Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch
nicht genau ermittelt ist, wird eine größere Anzahl Lon-
doner von Gewissensbissen darüber gepackt, daß die Haupt-
stadt des britischen Weltreichs eines würdigen, ja, eines
anständigen Denkmals für den größten Sohn des englischen
Volkstums immer noch entbehrt. Dieser Seelenzustand der
Zerknirschung ist jetzt wieder einmal eingetreten und ist
durchaus in der Ordnung. Das einzige Schakespeare-
Monument, zu dem London sich bisher aufgeschwungen hat,
steht auf dem Leicester Square, zwischen den beiden ton-
angebenden Tingeltangeln, dem Empire und der Alhambra.
Die Stätte selbst ist für ein Poetendenkmal nicht einmal so
übel. Der Platz gehörte ehedem zu dem vornehmsten
Quartier der Stadt. Hier haben einst Dryden, Hogarth,
Newton und Reynolds gewohnt und an die unmittelbar
benachbarten Häuser knüpfen sich Erinnerungen an Thad-
däus Kosziusko und an Byrons Gräfin Giuccioli. Seither
hat Leicester Square sich freilich nicht nur zum Zentrum
des Londoner Theaterviertels gemausert, sondern auch zum
Mittelpunkt des öffentlichen Liebesmarktes. Selbst das
macht ihn zum Denkmalsplatz für einen Dichter nicht ohne
weiteres ungeeignet. Hier, wo sich des Abends im nebel-
gedämpften Lichterglanz das Weltstadtweben so eigentüm-
lich eindrucksvoll entfaltet, könnte ich mir einen englischen
Paul Verlaine, falls es einen gäbe, sehr wohl verewigt
denken. William Shakespeare aber, der Allumfasser, gehört
nicht an diesen Ort und zu seiner olympischen Höhe bildet
die moderne Großstadtromantik keine pikante Folie, sondern
nur einen niedrigen Kontrast. Ueberdies ist die Statue
selbst, eine Verlegenheitsarbeit des italienischen Bild-
hauers Fontana, das Anschauen nicht wert. Sie ist denn
auch die dreißig Jahre ihrer marmornen Existenz über von
den Londonern selbst unausgesetzt bespöttelt worden.
Augenblicklich wird wieder einmal ein Anlauf dazu ge-
nommen, von diesem billigen Spott zu der kostspieligen
Verwirklichung des oft gehegten Traumgedankens eines
[Spaltenumbruch] angemessenen Shakespeare-Monuments für London fort-
zuschreiten, angemessen der Größe des Urbildes, wie dem
Reichtum der Stadt. JIh möchte jedoch wetten, er wird
nicht weiter führen als die früheren.

Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen
sich nicht mit einem Nationaldenkmal für den "immortal
bard"
begnügen, sondern haben diesem einen monumen-
talen Welttribut zugedacht, der in acht Jahren, bei der
dreihundertsten Wiederkehr des Shakespeareschen Todes-
tages, enthüllt werden soll. Es ist deshalb von vornherein
entschieden mißlich, daß sich unter ihnen kein einziger
Träger eines Namens von Weltruf, ja, kaum einer eines
solchen befindet, der außerhalb des Inselreichs allgemein
bekannt wäre. Am geläufigsten dürfte der außerenglischen
Menschheit noch der des verspäteten Präraffaeliten und
angeblichen Erfinders des Serpentinentanzes, Walter
Crane, sein. Sonst sucht man darunter vergeblich
zum Beispiel nach einem Dichter, einem Maler,
einem Bildhauer, einem Schauspieler oder auch nur nach
einem Shakespeare-Forscher ersten Ranges. Der national-
repräsentative Charakter des Denkmalsausschusses erscheint
also sehr fragwürdig, der Tribut, zu dem er die Shake-
speare-Gemeinde der übrigen Welt einladet, um so an-
spruchsvoller. Er soll der Hauptsache nach in einer mäch-
tigen Denkmalsanlage bestehen, die in einer Längsaus-
dehnung von annähernd vierzig Metern außer der Gestalt
des Dichters selbst Figurengruppen aus seinen Schöpfungen
enthalten und am südlichen Zipfel des Regents Park, ober-
halb Oxford Circus, aufgestellt werden soll. Der Platz liegt
etwas abseits vom Wege, bietet aber in der breiten Avenue
von Portland Place eine wirkungsvolle Perspektive. Bisher
kam diese einer Statue des Herzogs von Kent zugute. König
Eduard, der dem ganzen Projekt wohlwollend gegenüber-
steht, hat jedoch bereits seine Einwilligung dazu erteilt, das
Standbild seines Großvaters anderswo unterzubringen.
Die auf vier Millionen Mark veranschlagten Kosten der
Anlage sollen durch internationale Sammlung aufgebracht
werden. Der künstlerische Wettbewerb bleibt dagegen auf
England und seine Tochterstaaten, sowie Amerika be-
schränkt. An der Spitze des Ausschusses, dem die Auswahl
des besten Entwurfes obliegt, steht höchst befremdlicherweise
ein Mann, der weder auf irgend einem künstlerischen Gebiet
[Spaltenumbruch] auch nur das Geringste geleistet hat, noch eine besonders
hohe oder angesehene gesellschaftliche Stellung einnimmt,
es dafür allerdings auf dem untergeordneten Posten eines
Vizeschloßhauptmannes letzthin zu einer eigenartigen poli-
tischen Berühmtheit gebracht hat: Lord Esher.

Man kann mit Friedrich Theodor Vischer in William
Shakespeare vor allem einen politischen Dichter bewundern,
kann ferner anerkennen, daß es gänzlich Sache der Eng-
länder ist, ob sie die Entscheidung über die endgültige
künstlerische Form der späten monumentalen Ehrung ihres
Weltdichters wirklich einem marinepolitisierenden Vize-
schloßhauptmann überlassen wollen, und wird es trotzdem
den deutschen Shakespeare-Verehrern nicht verdenken
dürfen, wenn sie sich mit Beiträgen für ein unter solcher
Aegide zu etablierendes Denkmal nicht gerade überstürzen.
Ueberhaupt muß es auf das Ausland ganz allgemein ent-
mutigend wirken, daß die Großmut; die ihnen so zuvor-
kommend eine unbegrenzte Teilnahme an dem finanziellen
Zusammenwirken einräumt, sich nicht auf die Zulassung
zum künstlerischen Wettbewerb erstreckt. Die Briten tun
sich auf ihre überlegene Zahlungsfähigkeit nicht wenig
zugute und stellen doch keinen ihrer einheimischen Bild-
hauer einem Rodin ernstlich an die Seite; sie erkennen außer-
dem rückhaltslos an, daß ihr größter Dichter auf deutschen
Bühnen ungleich heimischer ist als auf ihren eigenen und
wissen sehr wohl, wie viel er stofflich den italienschen
Novellisten verdankt. Folgerichtig hätten sie sagen sollen:
"Die Kosten tragen natürlich wir, kommt einem von euch
da draußen aber eine geniale Denkmalsidee, so nehmen
wir sie an." Statt dessen erklären sie: "Ihr Habenichtse
dürft zwar für unser Denkmal nach Belieben mitbezahlen,
aber das Geld selbst für den Entwurf bleibt sozusagen in
der Familie." Wer lacht da nicht? Zwar wird bereits
verkündet, die venezianische Stadtgemeinde habe sich als-
bald um die Ehre beworben, ihren Obolus auf dem Lon-
doner Altar für den Schöpfer des Kaufmanns und des
Mohren von Venedig opfern zu dürfen. Aber das sieht
verdächtig nach Köder aus und die Aussichten auf das je-
malige Zustandekommen dieses Londoner Shakespeare-
Denkmals auf Allerweltskosten sind auch sonst ungemein
unsicher, trotz der mittelbaren königlichen Protektion.

Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein

München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138.
[Spaltenumbruch] dankens wäre entfernt nicht ſo einfach wie der glückliche Vater
es ſich vorzuſtellen ſcheint.

Die religiöſen Unruhen in Deutſch-Adamaua

bilden den Gegenſtand ſehr beachtenswerter Berichte, die, von
den Reſidenten Hauptmann Zimmermann und Oberleutnant
Strümpell erſtattet, im neueſten Kolonialblatte veröfent-
licht werden. Den ausführlichen Darſtellungen beider entnehmen
wir die nachſtehenden, kurz zuſammengefaßten Angaben.

Die zwei Reſidenten wollten ſich Anfang Juli vorigen
Jahres zur Regelung von Grenzſtreitigkeiten zwiſchen Mandara
und Marua-Madagali in Dukba treffen. Hauptmann Zimmer-
mann hatte Malampetel erreicht, als er plötzlich die Nachricht er-
hielt, daß die Ngundum-Ngundum in kriegeriſcher Ab-
ſicht herangerückt ſeien. Sie waren knapp noch 300 Meter ent-
fernt und hatten eine ſchwarze, von weißen Koranſprüchen be-
deckte Flagge entfaltet. Zimmermanns Soldaten verloren
keinen Augenblick die Ruhe, töteten aus nächſter Nähe einige
20 Angreifer und ſchlugen ſie nach 5 Minuten in die Flucht.
Der Urheber des Aufſtandsverſuches war der Mahdi Al-
hadji
. Er ſtammt aus Mekka und will dort gleich ſeinem im
Kampf gegen die Chriſten verſchollenen Vater die göttliche Bot-
ſchaft erhalten haben. Nach langer Wanderung in Marua ange-
kommen, hatte er bei dem Liman (Vorbeter) Arabu Aufenthalt
genommen. Dort bereitete er ſich vor und begann ſeine öffent-
liche Tätigkeit in einem Vorort Maruas. Einem Haftbefehl des
Lamidos von Marua entzog er ſich durch die Flucht nach Ngun-
dum-Ngundum. Hier bezeichnete er ſich als Gottesgeſandten,
der die Herrſchaft der Weißen brechen ſolle, und fand die Unter-
ſtützung des dortigen Oberhauptes Bazir. Zunächſt ſcheint der
Mahdi die Abſicht gehabt zu haben, durch Verkündung des
Krieges gegen den Lamido von Marua die nötige Mannſchaft
zur Bekriegung der Weißen in die Hand zu bekommen. Als er
über die Nachricht von der Ankunft des Hauptmanns Zimmer-
mann erhielt, beſchloß er, von ſeiner göttlichen Sendung durch-
drungen, den Angriff auf den deutſchen Führer. Der Ausgang
des Kampfes war überaus kläglich. Sehr bald darauf wurde
der flüchtige Mahdi durch Marua-Reiter bei Logone feſt-
genommen
und als Gefangener nach Marua gebracht. Der
dortige Lamido ließ ihn nach Binder führen, und hier iſt er auf
Grund rechtskräftiger Verurteilung durch den Alkali hin-
gerichtet
worden.

Die ſchnelle Niederwerfung des Aufſtandes im Norden war
wegen des Ausbruches religiöſer Unruhen im Süden doppelt
willkommen. In Uro Kohel nämlich, deſſen Fullah ſich ſehr
rein erhalten haben und durch Fanatismus ausgezeichnet ſind,
hatte der aus Wadai ſtammende Malum Wadai die Ein-
geborenen zum Kampfe wider die Europäer aufgeſtachelt. Leut-
nant Nitſchmann, dem der Anhang des aufrühreriſchen Prieſters
als gering geſchildert war, entſandte eine kleine farbige
Patrouille. Dieſe aber wurde von dem neuen Mahdi, der durch
allerhand Hokuspokus ſeine nach mehreren Hundert zählenden
Anhänger zu größter Begeiſterung angefeuert hatte, in die
Flucht geſchlagen. Nun glaubte der Mahdi, einen Hauptſchlag
wagen zu können, und trat den Marſch auf Garua an. Leutnant
Nitſchmann verfügte nur über 35 Mann und hatte deshalb die
Rückkehr des Reſidenten Strümpell abwarten wollen, ohne ſich
auf eine Entſcheidung einzulaſſen. Angeſichts des feindlichen
Vormarſches aber entſchloß er ſich zum ſofortigen Kampf. Erſt
nach einem heftigen zweiſtündigen Gefecht wurden die Mahdiſten
zerſprengt. Durch dieſen Sieg iſt Adamaua vor dem Un-
glück eines umfaſſenden religiöſen Aufſtandes bewahrt geblieben.
Die ſchuldigen Häuptlinge, nach den Satzungen des
Korans abgeurteilt, wurden teils aufgehängt, teils ab-
geſetzt
, teils mit Gefängnis beſtraft; das geſamte
Aufſtandsgebiet hat Strafarbeiter und Vieh zu ſtellen.

Erwieſenermaßen rechneten die mahdiſtiſchen Aufwiegler
mit der geringen Beſetzung Adamauas durch Soldaten, die in
Britiſch-Nigeria und in Franzöſiſch-Kongo, den beiden Nachbar-
kolonien, weit zahlreicher ſind. Das ſollte wegen der kriegeriſchen,
religiöſer Aufreizung leicht zugänglichen Natur der Fullahs
künftig beachtet werden.

Briands Juſtizreformen.

Unſer Pariſer Korreſpondent ſchreibt uns:

Man muß dem neuen Juſtizminiſter, der erſt zu Neu-
jahr das Erbe des plötzlich aus dem Leben geſchiedenen
Guyot-Deſſaigne angetreten hat, zugeſtehen, daß er auf
ſeinem jetzigen Wirkungsfelde eine bemerkenswerte Ini-
tiative entfaltet; das einzige Mitglied des Kabinetts Cle-
menceau, das wirklich Ernſt mit den verheißenen Refor-
men zu machen ſucht. Nachdem er erſt kürzlich durch einen
Erlaß den gänzlich veralteten, aus Colberts Zeiten ſtam-
menden und heute völlig unverſtändlich gewordenen For-
melkram der gerichtlichen Zuſtellungsformulare zur allge-
meinen Genugtuung beſeitigt hat, legt er nunmehr der
[Spaltenumbruch] Kammer einen Geſetzentwurf von außerordentlicher Trag-
weite vor, der eine völlige Reform der Schwurgerichte zum
Ziele hat. Die von den franzöſiſchen und namentlich den
Pariſer Geſchworenen geübte Rechtspflege iſt ſeit langem
mit gutem Grunde etwas in Mißtredit geraten, vor allem
wegen der oft ſkandalöſen Freiſprechungen, die allen Uebel-
tätern einen Freibrief auszuſtellen ſchienen, vorausgeſetzt,
daß die Verteidiger ſich auf die Pſychologie der Geſchwore-
nen hinreichend verſtanden.

Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt,
die das ganze Inſtitut der Schwurgerichte als eine Ver-
höhnung des Rechts erklärten und ſeine Abſchaffung for-
derten. Selbſtverſtändlich konnte Briand ſeinem ganzen
politiſchen Glaubensbekenntnis nach ſich einer ſolchen Auf-
faſſung nicht anſchließen. Er erkannte die Reformbedürf-
tigkeit der Einrichtung, fand das Heilmittel aber auf ande-
rem Wege. Wie oft waren die Geſchworenen zu einem
Nichtſchuldig gelangt, einzig um den Angeklagten vor einer
Strafe zu bewahren, deren Höhe ihrer Ueberzeugung nach
nicht im Einklang mit der Schwere des Vergehens ſtand
und weil ſie keine geſetzliche Einwirkung auf das Straf-
maß hatten. Was Briands Reform bezweckt, iſt nun nicht
mehr und nicht weniger als die Mitwirkung der Geſchwore-
nen, die bisher nur über Schuldig oder Nichtſchuldig zu be-
finden hatten, an der Abmeſſung der Strafe.

Und damit das Urteil der Richter die Meinung der
Geſchworenen nicht beeinfluſſe, will der Entwurf, daß die
Geſchworenen ihr Urteil über das Strafmaß zuerſt ab-
geben; im Falle einer Meinungsverſchiedenheit zwiſchen
beiden Inſtanzen ſoll ſtets die mildere Form des Urteils in
Kraft treten.

Wenn die politiſchen Freunde Briands dieſe durch-
greifende Reform auch als Zeugnis unbegrenzten Ver-
trauens in den Rechtsſinn des Volkes mit Genugtuung be-
grüßen und als einen großen Schritt zur Demokratiſterung
der Juſtizpflege feiern, ſehen einſichtige Beurteiler die Kon-
ſequenzen einer derartigen Machterweiterung für das
Laienelement als verhängnisvoll für die Rechtſprechung
an, und wer gerade in jüngſter Zeit die Tätigkeit der
Pariſer Schwurgerichte etwas verfolgt hat, kann kaum
anders, als dieſen Schwarzſehern beizupflichten.



— Die Referate für den Deutſchen Städte-
tag
, der am 6. und 7. Juli d. J. in München ſtattfindet, ſind
nunmehr feſtgeſetzt. In erſter Linie wird die Frage der Kredit-
verhältniſſe der deutſchen Städte beraten werden. Als Refe-
renten ſind Oberbürgermeiſter Kutzer-Fürth, Stadtrat und Käm-
merer Mitzlaff-Danzig und Stadtrat Dr. Wöll-Frankfurt a. M.
auserſehen. Als zweiter Beratungsgegenſtand iſt das ſtädtiſche
Fortbildungsſchulweſen in Ausſicht genommen. Hierfür wurden
als Referenten aufgeſtellt Oberſtudienrat und Stadtſchulrat Dr.
G. Kerſchenſteiner-München, Profeſſor Dr. Lyon-Dresden und
Profeſſor Dr. Michaelis-Frankfurt a. M.

— Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge-
heimrat Paaſche
und Dr. Semler, haben ſich entſchloſſen,
auf die weiteren ſachlichen Erörterungen beim Kolonialetat zu
verzichten, weil ſie alles vermeiden wollen, was geeignet ſein
könnte, die vorhandenen Gegenſätze zu verſchärfen. Sie wollen
jetzt erſt dem Kolonialſekretär Gelegenheit geben, ſeinen Worten
die Tat folgen zu laſſen, und wollen abwarten, wie weit er
gewillt iſt, den Intereſſenten, die in unſeren Kolonien Geld und
Arbeitskraft feſtgelegt haben, entgegenzukommen.

— Zum Geburtstag Kaiſer Wilhelms I. iſt am 22. März
eine Extra-Ausgabe des Militär-Wochenblattes
erſchienen, die ein umfangreiches militäriſches Revirement mit-
teilt; ſo ſind u. a. 31 Oberſten zu Generalmajors befördert
worden.

Abgeordneter Dr. Paaſche will für das preußiſche
Abgeordnetenhaus nicht wieder kandidieren.

Letzte Nachrichten ſiehe Seite 5.



Heer und Flotte.
Aenderungen in der deutſchen Heerordnung.

* Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer-
ordnung
betreffen vor allem die Bildung des Beur-
laubtenſtandes der Kraftfahrtruppen
. Nach den
neuen Beſtimmungen treten alle Unteroffiziere und Mannſchaften,
die bei den Kraftfahrtruppen gedient haben, bei ihrer Entlaſſung
zum Beurlaubtenſtand dieſer Truppen; ebenſo die Unteroffiziere
[Spaltenumbruch] und Mannſchaften anderer Waffen, die im Kraftfahrdienſt mili-
täriſch ausgebildet ſind. Die Ausbildung bei den Kraftfahr-
truppen erſtreckt ſich auf Kraftwagen- und Kraftbootführer.

Wichtig iſt ferner die Herabſetzung des für Mann-
ſchaften der Feldartillerie vorgeſchriebenen geringſten
Größenmaßes — von 1.62 auf 1.60 Meter — und für Mann-
ſchaften der Fußartillerie von 1.67 auf 1.64 Meter. Da kleinere
Menſchen in der Regel leichter ſind als größere, ſo wird das
Gewicht der bei der Artillerie einzuſtellenden Leute in Zukunft
im Durchſchnitt geringer ſein als bisher. Dieſe Gewichtsvermin-
derung kommt bei der Feldartillerie der Beweglichkeit des
Geſchützes zugute.

Eine andere Neuerung der Heeresordnung beſteht darin,
daß Leute mit künſtlichen Gebiſſen nicht mehr all-
gemein von der Dienſtpflicht auszuſchließen ſind, auch dann nicht
wenn ihre Ernährung ohne ein ſolches Gebiß erſchwert iſt. Es
iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle durch militärärztliche Beur-
teilung je nach Art, Sitz und Beſchaffenheit des betreffenden
Erſatzmittels, nach den örtlichen Veränderungen in der Mund-
höhle, ſowie nach der dienſtlichen Verwendung des Einzelnen
feſtzuſtellen, ob der betreffende Mann für dienſtfähig zu erachten
iſt oder nicht. Bisher wurden Mannſchaften, bei denen Mängel
oder Fehlen der Kauwerkzeuge eine weſentliche Störung des
Kauens verurſachten, für dienſtunbrauchbar erklärt. Bei bereits
ausgebildeten Leuten war das Verbleiben im Dienſt ſtatthaft
wenn der vorhandene Mangel durch ein gut paſſendes Gebiß
ausgeglichen wurde. Die jetzige Neuerung dürfte wohl durch
die in den letzten Jahren gemachten Fortſchritte in der Zahn-
heillunde und in der Zahntechnik bedingt ſein. Die beabſichtigte
Einſtellung von Zahnärzten in die Armee wird die Durchführung
dieſer Maßregel weſentlich erleichtern.



Der Reichstag und die Preſſe.

Die Zentrumspreſſe macht krampfhafte Ver-
ſuche, den Abgeordneten Gröber wegen ſeiner unerhörten
Beleidigung der Preſſevertreter auf der Reichstagstribüne
zu entſchuldigen und die Journaliſten ins Unrecht zu
ſetzen, die ſich in dem „zu 99 Prozent chriſtlichen“ Reichstag
über die unſterbliche Seele des Negers luſtig gemacht haben
ſollen; ſelbſtverſtändlich werden die liberalen Jour-
naliſten beſonders hervorgehoben, obwohl ſich dem Streit
die Preſſevertreter aller Parteien, auch der konſervativen,
angeſchloſſen haben — nur das Zentrumsbureau hat ſeine
Arbeitskräfte „verſtärkt“, um einen ausreichenden Bericht
liefern zu können. Zentrumsmitglieder haben auch den
Direktor beim Reichstage angegangen, einen „offiziellen“
Bericht an die Preſſe herauszugeben, um den Streik der
Parlamentstribüne zu paralyſieren. Vor der Verſtär-
kung hat der Direktor des klerikalen parlamentariſchen
Bureaus ſeinen Mitarbeitern, den eigentlichen Zentrums-
journaliſten, mit ſofortiger Entlaſſung gedroht, falls ſie
ſich ihren Kollegen anſchließen ſollten. Es ſcheint demnach,
daß eine Palaſtrevolution zu befürchten ſtand.

Man darf dabei nicht überſehen, daß die Zentrums-
blätter, die ſich jetzt um die Verteidigung des Abgeordneten
Gröber verdient machen, im erſten Augenblick den
Vorfall ebenſo beurteilten und verurteilten, wie es die
Preſſe der anderen Parteien noch jetzt tut (ſ. die Germania
vom Abend des Sitzungstages). Als ſich dann freilich
herausſtellte, daß der liebliche Ausdruck den Lippen eines
Zentrumsführers entflohen war, und daß das höhniſche
Gelächter, das die Journaliſten als eine weitere Standes-
beleidigung auffaſſen mußten, aus der Mitte des Hauſes
ſtammte, wurde die Auffaſſung von der Standes-
beleidigung bei den klerikalen Journa-
liſten revidiert
, ſo ſtark revidiert, daß der Bayeriſche
Kurter ſich am Samstag Abend ſogar dafür bedankt, „dieſe
Herren als Kollegen anzuſehen“.

In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf-
faſſung
und Auslegung der Vorgänge hat der Berliner
Vertreter eines führenden Zentrumsblattes in der Ver-
ſammlung der Reichstagsjournaliſten die Behauptung auf-
geſtellt, ſeit dem 13. Dezember 1906 begrüße die Tribüne
überhaupt die Zentrumsredner mit Unruhe und Zwiſchen-
rufen. Nur ſeltſam, daß ſich bis zum März 1908 kein Zen-
trumsredner und kein Zentrumsblatt darüber beſchwert
hat. Die Herren ſind doch ſonſt nicht ſo zurückhaltend. Auf
der Journaliſtentribüne des Reichstags geht es aller-
dings nicht wie in einem Konzertſaal zu: Schon die ſtändige



[Spaltenumbruch]
Londoner Brief.

Nationale Gewiſſensbiſſe. — Shakeſpeare-Denkmal oder
Shakeſpeare-Theater? — Geben und Nehmen.


Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch
nicht genau ermittelt iſt, wird eine größere Anzahl Lon-
doner von Gewiſſensbiſſen darüber gepackt, daß die Haupt-
ſtadt des britiſchen Weltreichs eines würdigen, ja, eines
anſtändigen Denkmals für den größten Sohn des engliſchen
Volkstums immer noch entbehrt. Dieſer Seelenzuſtand der
Zerknirſchung iſt jetzt wieder einmal eingetreten und iſt
durchaus in der Ordnung. Das einzige Schakeſpeare-
Monument, zu dem London ſich bisher aufgeſchwungen hat,
ſteht auf dem Leiceſter Square, zwiſchen den beiden ton-
angebenden Tingeltangeln, dem Empire und der Alhambra.
Die Stätte ſelbſt iſt für ein Poetendenkmal nicht einmal ſo
übel. Der Platz gehörte ehedem zu dem vornehmſten
Quartier der Stadt. Hier haben einſt Dryden, Hogarth,
Newton und Reynolds gewohnt und an die unmittelbar
benachbarten Häuſer knüpfen ſich Erinnerungen an Thad-
däus Kosziusko und an Byrons Gräfin Giuccioli. Seither
hat Leiceſter Square ſich freilich nicht nur zum Zentrum
des Londoner Theaterviertels gemauſert, ſondern auch zum
Mittelpunkt des öffentlichen Liebesmarktes. Selbſt das
macht ihn zum Denkmalsplatz für einen Dichter nicht ohne
weiteres ungeeignet. Hier, wo ſich des Abends im nebel-
gedämpften Lichterglanz das Weltſtadtweben ſo eigentüm-
lich eindrucksvoll entfaltet, könnte ich mir einen engliſchen
Paul Verlaine, falls es einen gäbe, ſehr wohl verewigt
denken. William Shakeſpeare aber, der Allumfaſſer, gehört
nicht an dieſen Ort und zu ſeiner olympiſchen Höhe bildet
die moderne Großſtadtromantik keine pikante Folie, ſondern
nur einen niedrigen Kontraſt. Ueberdies iſt die Statue
ſelbſt, eine Verlegenheitsarbeit des italieniſchen Bild-
hauers Fontana, das Anſchauen nicht wert. Sie iſt denn
auch die dreißig Jahre ihrer marmornen Exiſtenz über von
den Londonern ſelbſt unausgeſetzt beſpöttelt worden.
Augenblicklich wird wieder einmal ein Anlauf dazu ge-
nommen, von dieſem billigen Spott zu der koſtſpieligen
Verwirklichung des oft gehegten Traumgedankens eines
[Spaltenumbruch] angemeſſenen Shakeſpeare-Monuments für London fort-
zuſchreiten, angemeſſen der Größe des Urbildes, wie dem
Reichtum der Stadt. JIh möchte jedoch wetten, er wird
nicht weiter führen als die früheren.

Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen
ſich nicht mit einem Nationaldenkmal für den „immortal
bard“
begnügen, ſondern haben dieſem einen monumen-
talen Welttribut zugedacht, der in acht Jahren, bei der
dreihundertſten Wiederkehr des Shakeſpeareſchen Todes-
tages, enthüllt werden ſoll. Es iſt deshalb von vornherein
entſchieden mißlich, daß ſich unter ihnen kein einziger
Träger eines Namens von Weltruf, ja, kaum einer eines
ſolchen befindet, der außerhalb des Inſelreichs allgemein
bekannt wäre. Am geläufigſten dürfte der außerengliſchen
Menſchheit noch der des verſpäteten Präraffaeliten und
angeblichen Erfinders des Serpentinentanzes, Walter
Crane, ſein. Sonſt ſucht man darunter vergeblich
zum Beiſpiel nach einem Dichter, einem Maler,
einem Bildhauer, einem Schauſpieler oder auch nur nach
einem Shakeſpeare-Forſcher erſten Ranges. Der national-
repräſentative Charakter des Denkmalsausſchuſſes erſcheint
alſo ſehr fragwürdig, der Tribut, zu dem er die Shake-
ſpeare-Gemeinde der übrigen Welt einladet, um ſo an-
ſpruchsvoller. Er ſoll der Hauptſache nach in einer mäch-
tigen Denkmalsanlage beſtehen, die in einer Längsaus-
dehnung von annähernd vierzig Metern außer der Geſtalt
des Dichters ſelbſt Figurengruppen aus ſeinen Schöpfungen
enthalten und am ſüdlichen Zipfel des Regents Park, ober-
halb Oxford Circus, aufgeſtellt werden ſoll. Der Platz liegt
etwas abſeits vom Wege, bietet aber in der breiten Avenue
von Portland Place eine wirkungsvolle Perſpektive. Bisher
kam dieſe einer Statue des Herzogs von Kent zugute. König
Eduard, der dem ganzen Projekt wohlwollend gegenüber-
ſteht, hat jedoch bereits ſeine Einwilligung dazu erteilt, das
Standbild ſeines Großvaters anderswo unterzubringen.
Die auf vier Millionen Mark veranſchlagten Koſten der
Anlage ſollen durch internationale Sammlung aufgebracht
werden. Der künſtleriſche Wettbewerb bleibt dagegen auf
England und ſeine Tochterſtaaten, ſowie Amerika be-
ſchränkt. An der Spitze des Ausſchuſſes, dem die Auswahl
des beſten Entwurfes obliegt, ſteht höchſt befremdlicherweiſe
ein Mann, der weder auf irgend einem künſtleriſchen Gebiet
[Spaltenumbruch] auch nur das Geringſte geleiſtet hat, noch eine beſonders
hohe oder angeſehene geſellſchaftliche Stellung einnimmt,
es dafür allerdings auf dem untergeordneten Poſten eines
Vizeſchloßhauptmannes letzthin zu einer eigenartigen poli-
tiſchen Berühmtheit gebracht hat: Lord Eſher.

Man kann mit Friedrich Theodor Viſcher in William
Shakeſpeare vor allem einen politiſchen Dichter bewundern,
kann ferner anerkennen, daß es gänzlich Sache der Eng-
länder iſt, ob ſie die Entſcheidung über die endgültige
künſtleriſche Form der ſpäten monumentalen Ehrung ihres
Weltdichters wirklich einem marinepolitiſierenden Vize-
ſchloßhauptmann überlaſſen wollen, und wird es trotzdem
den deutſchen Shakeſpeare-Verehrern nicht verdenken
dürfen, wenn ſie ſich mit Beiträgen für ein unter ſolcher
Aegide zu etablierendes Denkmal nicht gerade überſtürzen.
Ueberhaupt muß es auf das Ausland ganz allgemein ent-
mutigend wirken, daß die Großmut; die ihnen ſo zuvor-
kommend eine unbegrenzte Teilnahme an dem finanziellen
Zuſammenwirken einräumt, ſich nicht auf die Zulaſſung
zum künſtleriſchen Wettbewerb erſtreckt. Die Briten tun
ſich auf ihre überlegene Zahlungsfähigkeit nicht wenig
zugute und ſtellen doch keinen ihrer einheimiſchen Bild-
hauer einem Rodin ernſtlich an die Seite; ſie erkennen außer-
dem rückhaltslos an, daß ihr größter Dichter auf deutſchen
Bühnen ungleich heimiſcher iſt als auf ihren eigenen und
wiſſen ſehr wohl, wie viel er ſtofflich den italienſchen
Novelliſten verdankt. Folgerichtig hätten ſie ſagen ſollen:
„Die Koſten tragen natürlich wir, kommt einem von euch
da draußen aber eine geniale Denkmalsidee, ſo nehmen
wir ſie an.“ Statt deſſen erklären ſie: „Ihr Habenichtſe
dürft zwar für unſer Denkmal nach Belieben mitbezahlen,
aber das Geld ſelbſt für den Entwurf bleibt ſozuſagen in
der Familie.“ Wer lacht da nicht? Zwar wird bereits
verkündet, die venezianiſche Stadtgemeinde habe ſich als-
bald um die Ehre beworben, ihren Obolus auf dem Lon-
doner Altar für den Schöpfer des Kaufmanns und des
Mohren von Venedig opfern zu dürfen. Aber das ſieht
verdächtig nach Köder aus und die Ausſichten auf das je-
malige Zuſtandekommen dieſes Londoner Shakeſpeare-
Denkmals auf Allerweltskoſten ſind auch ſonſt ungemein
unſicher, trotz der mittelbaren königlichen Protektion.

Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein

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[2/0002] München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138. dankens wäre entfernt nicht ſo einfach wie der glückliche Vater es ſich vorzuſtellen ſcheint. Die religiöſen Unruhen in Deutſch-Adamaua bilden den Gegenſtand ſehr beachtenswerter Berichte, die, von den Reſidenten Hauptmann Zimmermann und Oberleutnant Strümpell erſtattet, im neueſten Kolonialblatte veröfent- licht werden. Den ausführlichen Darſtellungen beider entnehmen wir die nachſtehenden, kurz zuſammengefaßten Angaben. Die zwei Reſidenten wollten ſich Anfang Juli vorigen Jahres zur Regelung von Grenzſtreitigkeiten zwiſchen Mandara und Marua-Madagali in Dukba treffen. Hauptmann Zimmer- mann hatte Malampetel erreicht, als er plötzlich die Nachricht er- hielt, daß die Ngundum-Ngundum in kriegeriſcher Ab- ſicht herangerückt ſeien. Sie waren knapp noch 300 Meter ent- fernt und hatten eine ſchwarze, von weißen Koranſprüchen be- deckte Flagge entfaltet. Zimmermanns Soldaten verloren keinen Augenblick die Ruhe, töteten aus nächſter Nähe einige 20 Angreifer und ſchlugen ſie nach 5 Minuten in die Flucht. Der Urheber des Aufſtandsverſuches war der Mahdi Al- hadji. Er ſtammt aus Mekka und will dort gleich ſeinem im Kampf gegen die Chriſten verſchollenen Vater die göttliche Bot- ſchaft erhalten haben. Nach langer Wanderung in Marua ange- kommen, hatte er bei dem Liman (Vorbeter) Arabu Aufenthalt genommen. Dort bereitete er ſich vor und begann ſeine öffent- liche Tätigkeit in einem Vorort Maruas. Einem Haftbefehl des Lamidos von Marua entzog er ſich durch die Flucht nach Ngun- dum-Ngundum. Hier bezeichnete er ſich als Gottesgeſandten, der die Herrſchaft der Weißen brechen ſolle, und fand die Unter- ſtützung des dortigen Oberhauptes Bazir. Zunächſt ſcheint der Mahdi die Abſicht gehabt zu haben, durch Verkündung des Krieges gegen den Lamido von Marua die nötige Mannſchaft zur Bekriegung der Weißen in die Hand zu bekommen. Als er über die Nachricht von der Ankunft des Hauptmanns Zimmer- mann erhielt, beſchloß er, von ſeiner göttlichen Sendung durch- drungen, den Angriff auf den deutſchen Führer. Der Ausgang des Kampfes war überaus kläglich. Sehr bald darauf wurde der flüchtige Mahdi durch Marua-Reiter bei Logone feſt- genommen und als Gefangener nach Marua gebracht. Der dortige Lamido ließ ihn nach Binder führen, und hier iſt er auf Grund rechtskräftiger Verurteilung durch den Alkali hin- gerichtet worden. Die ſchnelle Niederwerfung des Aufſtandes im Norden war wegen des Ausbruches religiöſer Unruhen im Süden doppelt willkommen. In Uro Kohel nämlich, deſſen Fullah ſich ſehr rein erhalten haben und durch Fanatismus ausgezeichnet ſind, hatte der aus Wadai ſtammende Malum Wadai die Ein- geborenen zum Kampfe wider die Europäer aufgeſtachelt. Leut- nant Nitſchmann, dem der Anhang des aufrühreriſchen Prieſters als gering geſchildert war, entſandte eine kleine farbige Patrouille. Dieſe aber wurde von dem neuen Mahdi, der durch allerhand Hokuspokus ſeine nach mehreren Hundert zählenden Anhänger zu größter Begeiſterung angefeuert hatte, in die Flucht geſchlagen. Nun glaubte der Mahdi, einen Hauptſchlag wagen zu können, und trat den Marſch auf Garua an. Leutnant Nitſchmann verfügte nur über 35 Mann und hatte deshalb die Rückkehr des Reſidenten Strümpell abwarten wollen, ohne ſich auf eine Entſcheidung einzulaſſen. Angeſichts des feindlichen Vormarſches aber entſchloß er ſich zum ſofortigen Kampf. Erſt nach einem heftigen zweiſtündigen Gefecht wurden die Mahdiſten zerſprengt. Durch dieſen Sieg iſt Adamaua vor dem Un- glück eines umfaſſenden religiöſen Aufſtandes bewahrt geblieben. Die ſchuldigen Häuptlinge, nach den Satzungen des Korans abgeurteilt, wurden teils aufgehängt, teils ab- geſetzt, teils mit Gefängnis beſtraft; das geſamte Aufſtandsgebiet hat Strafarbeiter und Vieh zu ſtellen. Erwieſenermaßen rechneten die mahdiſtiſchen Aufwiegler mit der geringen Beſetzung Adamauas durch Soldaten, die in Britiſch-Nigeria und in Franzöſiſch-Kongo, den beiden Nachbar- kolonien, weit zahlreicher ſind. Das ſollte wegen der kriegeriſchen, religiöſer Aufreizung leicht zugänglichen Natur der Fullahs künftig beachtet werden. Briands Juſtizreformen. Unſer Pariſer Korreſpondent ſchreibt uns: Man muß dem neuen Juſtizminiſter, der erſt zu Neu- jahr das Erbe des plötzlich aus dem Leben geſchiedenen Guyot-Deſſaigne angetreten hat, zugeſtehen, daß er auf ſeinem jetzigen Wirkungsfelde eine bemerkenswerte Ini- tiative entfaltet; das einzige Mitglied des Kabinetts Cle- menceau, das wirklich Ernſt mit den verheißenen Refor- men zu machen ſucht. Nachdem er erſt kürzlich durch einen Erlaß den gänzlich veralteten, aus Colberts Zeiten ſtam- menden und heute völlig unverſtändlich gewordenen For- melkram der gerichtlichen Zuſtellungsformulare zur allge- meinen Genugtuung beſeitigt hat, legt er nunmehr der Kammer einen Geſetzentwurf von außerordentlicher Trag- weite vor, der eine völlige Reform der Schwurgerichte zum Ziele hat. Die von den franzöſiſchen und namentlich den Pariſer Geſchworenen geübte Rechtspflege iſt ſeit langem mit gutem Grunde etwas in Mißtredit geraten, vor allem wegen der oft ſkandalöſen Freiſprechungen, die allen Uebel- tätern einen Freibrief auszuſtellen ſchienen, vorausgeſetzt, daß die Verteidiger ſich auf die Pſychologie der Geſchwore- nen hinreichend verſtanden. Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt, die das ganze Inſtitut der Schwurgerichte als eine Ver- höhnung des Rechts erklärten und ſeine Abſchaffung for- derten. Selbſtverſtändlich konnte Briand ſeinem ganzen politiſchen Glaubensbekenntnis nach ſich einer ſolchen Auf- faſſung nicht anſchließen. Er erkannte die Reformbedürf- tigkeit der Einrichtung, fand das Heilmittel aber auf ande- rem Wege. Wie oft waren die Geſchworenen zu einem Nichtſchuldig gelangt, einzig um den Angeklagten vor einer Strafe zu bewahren, deren Höhe ihrer Ueberzeugung nach nicht im Einklang mit der Schwere des Vergehens ſtand und weil ſie keine geſetzliche Einwirkung auf das Straf- maß hatten. Was Briands Reform bezweckt, iſt nun nicht mehr und nicht weniger als die Mitwirkung der Geſchwore- nen, die bisher nur über Schuldig oder Nichtſchuldig zu be- finden hatten, an der Abmeſſung der Strafe. Und damit das Urteil der Richter die Meinung der Geſchworenen nicht beeinfluſſe, will der Entwurf, daß die Geſchworenen ihr Urteil über das Strafmaß zuerſt ab- geben; im Falle einer Meinungsverſchiedenheit zwiſchen beiden Inſtanzen ſoll ſtets die mildere Form des Urteils in Kraft treten. Wenn die politiſchen Freunde Briands dieſe durch- greifende Reform auch als Zeugnis unbegrenzten Ver- trauens in den Rechtsſinn des Volkes mit Genugtuung be- grüßen und als einen großen Schritt zur Demokratiſterung der Juſtizpflege feiern, ſehen einſichtige Beurteiler die Kon- ſequenzen einer derartigen Machterweiterung für das Laienelement als verhängnisvoll für die Rechtſprechung an, und wer gerade in jüngſter Zeit die Tätigkeit der Pariſer Schwurgerichte etwas verfolgt hat, kann kaum anders, als dieſen Schwarzſehern beizupflichten. — Die Referate für den Deutſchen Städte- tag, der am 6. und 7. Juli d. J. in München ſtattfindet, ſind nunmehr feſtgeſetzt. In erſter Linie wird die Frage der Kredit- verhältniſſe der deutſchen Städte beraten werden. Als Refe- renten ſind Oberbürgermeiſter Kutzer-Fürth, Stadtrat und Käm- merer Mitzlaff-Danzig und Stadtrat Dr. Wöll-Frankfurt a. M. auserſehen. Als zweiter Beratungsgegenſtand iſt das ſtädtiſche Fortbildungsſchulweſen in Ausſicht genommen. Hierfür wurden als Referenten aufgeſtellt Oberſtudienrat und Stadtſchulrat Dr. G. Kerſchenſteiner-München, Profeſſor Dr. Lyon-Dresden und Profeſſor Dr. Michaelis-Frankfurt a. M. — Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge- heimrat Paaſche und Dr. Semler, haben ſich entſchloſſen, auf die weiteren ſachlichen Erörterungen beim Kolonialetat zu verzichten, weil ſie alles vermeiden wollen, was geeignet ſein könnte, die vorhandenen Gegenſätze zu verſchärfen. Sie wollen jetzt erſt dem Kolonialſekretär Gelegenheit geben, ſeinen Worten die Tat folgen zu laſſen, und wollen abwarten, wie weit er gewillt iſt, den Intereſſenten, die in unſeren Kolonien Geld und Arbeitskraft feſtgelegt haben, entgegenzukommen. — Zum Geburtstag Kaiſer Wilhelms I. iſt am 22. März eine Extra-Ausgabe des Militär-Wochenblattes erſchienen, die ein umfangreiches militäriſches Revirement mit- teilt; ſo ſind u. a. 31 Oberſten zu Generalmajors befördert worden. — Abgeordneter Dr. Paaſche will für das preußiſche Abgeordnetenhaus nicht wieder kandidieren. Letzte Nachrichten ſiehe Seite 5. Heer und Flotte. Aenderungen in der deutſchen Heerordnung. * Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer- ordnung betreffen vor allem die Bildung des Beur- laubtenſtandes der Kraftfahrtruppen. Nach den neuen Beſtimmungen treten alle Unteroffiziere und Mannſchaften, die bei den Kraftfahrtruppen gedient haben, bei ihrer Entlaſſung zum Beurlaubtenſtand dieſer Truppen; ebenſo die Unteroffiziere und Mannſchaften anderer Waffen, die im Kraftfahrdienſt mili- täriſch ausgebildet ſind. Die Ausbildung bei den Kraftfahr- truppen erſtreckt ſich auf Kraftwagen- und Kraftbootführer. Wichtig iſt ferner die Herabſetzung des für Mann- ſchaften der Feldartillerie vorgeſchriebenen geringſten Größenmaßes — von 1.62 auf 1.60 Meter — und für Mann- ſchaften der Fußartillerie von 1.67 auf 1.64 Meter. Da kleinere Menſchen in der Regel leichter ſind als größere, ſo wird das Gewicht der bei der Artillerie einzuſtellenden Leute in Zukunft im Durchſchnitt geringer ſein als bisher. Dieſe Gewichtsvermin- derung kommt bei der Feldartillerie der Beweglichkeit des Geſchützes zugute. Eine andere Neuerung der Heeresordnung beſteht darin, daß Leute mit künſtlichen Gebiſſen nicht mehr all- gemein von der Dienſtpflicht auszuſchließen ſind, auch dann nicht wenn ihre Ernährung ohne ein ſolches Gebiß erſchwert iſt. Es iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle durch militärärztliche Beur- teilung je nach Art, Sitz und Beſchaffenheit des betreffenden Erſatzmittels, nach den örtlichen Veränderungen in der Mund- höhle, ſowie nach der dienſtlichen Verwendung des Einzelnen feſtzuſtellen, ob der betreffende Mann für dienſtfähig zu erachten iſt oder nicht. Bisher wurden Mannſchaften, bei denen Mängel oder Fehlen der Kauwerkzeuge eine weſentliche Störung des Kauens verurſachten, für dienſtunbrauchbar erklärt. Bei bereits ausgebildeten Leuten war das Verbleiben im Dienſt ſtatthaft wenn der vorhandene Mangel durch ein gut paſſendes Gebiß ausgeglichen wurde. Die jetzige Neuerung dürfte wohl durch die in den letzten Jahren gemachten Fortſchritte in der Zahn- heillunde und in der Zahntechnik bedingt ſein. Die beabſichtigte Einſtellung von Zahnärzten in die Armee wird die Durchführung dieſer Maßregel weſentlich erleichtern. Der Reichstag und die Preſſe. *** München, 23. März. Die Zentrumspreſſe macht krampfhafte Ver- ſuche, den Abgeordneten Gröber wegen ſeiner unerhörten Beleidigung der Preſſevertreter auf der Reichstagstribüne zu entſchuldigen und die Journaliſten ins Unrecht zu ſetzen, die ſich in dem „zu 99 Prozent chriſtlichen“ Reichstag über die unſterbliche Seele des Negers luſtig gemacht haben ſollen; ſelbſtverſtändlich werden die liberalen Jour- naliſten beſonders hervorgehoben, obwohl ſich dem Streit die Preſſevertreter aller Parteien, auch der konſervativen, angeſchloſſen haben — nur das Zentrumsbureau hat ſeine Arbeitskräfte „verſtärkt“, um einen ausreichenden Bericht liefern zu können. Zentrumsmitglieder haben auch den Direktor beim Reichstage angegangen, einen „offiziellen“ Bericht an die Preſſe herauszugeben, um den Streik der Parlamentstribüne zu paralyſieren. Vor der Verſtär- kung hat der Direktor des klerikalen parlamentariſchen Bureaus ſeinen Mitarbeitern, den eigentlichen Zentrums- journaliſten, mit ſofortiger Entlaſſung gedroht, falls ſie ſich ihren Kollegen anſchließen ſollten. Es ſcheint demnach, daß eine Palaſtrevolution zu befürchten ſtand. Man darf dabei nicht überſehen, daß die Zentrums- blätter, die ſich jetzt um die Verteidigung des Abgeordneten Gröber verdient machen, im erſten Augenblick den Vorfall ebenſo beurteilten und verurteilten, wie es die Preſſe der anderen Parteien noch jetzt tut (ſ. die Germania vom Abend des Sitzungstages). Als ſich dann freilich herausſtellte, daß der liebliche Ausdruck den Lippen eines Zentrumsführers entflohen war, und daß das höhniſche Gelächter, das die Journaliſten als eine weitere Standes- beleidigung auffaſſen mußten, aus der Mitte des Hauſes ſtammte, wurde die Auffaſſung von der Standes- beleidigung bei den klerikalen Journa- liſten revidiert, ſo ſtark revidiert, daß der Bayeriſche Kurter ſich am Samstag Abend ſogar dafür bedankt, „dieſe Herren als Kollegen anzuſehen“. In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf- faſſung und Auslegung der Vorgänge hat der Berliner Vertreter eines führenden Zentrumsblattes in der Ver- ſammlung der Reichstagsjournaliſten die Behauptung auf- geſtellt, ſeit dem 13. Dezember 1906 begrüße die Tribüne überhaupt die Zentrumsredner mit Unruhe und Zwiſchen- rufen. Nur ſeltſam, daß ſich bis zum März 1908 kein Zen- trumsredner und kein Zentrumsblatt darüber beſchwert hat. Die Herren ſind doch ſonſt nicht ſo zurückhaltend. Auf der Journaliſtentribüne des Reichstags geht es aller- dings nicht wie in einem Konzertſaal zu: Schon die ſtändige Londoner Brief. Nationale Gewiſſensbiſſe. — Shakeſpeare-Denkmal oder Shakeſpeare-Theater? — Geben und Nehmen. London, 19. März. Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch nicht genau ermittelt iſt, wird eine größere Anzahl Lon- doner von Gewiſſensbiſſen darüber gepackt, daß die Haupt- ſtadt des britiſchen Weltreichs eines würdigen, ja, eines anſtändigen Denkmals für den größten Sohn des engliſchen Volkstums immer noch entbehrt. Dieſer Seelenzuſtand der Zerknirſchung iſt jetzt wieder einmal eingetreten und iſt durchaus in der Ordnung. Das einzige Schakeſpeare- Monument, zu dem London ſich bisher aufgeſchwungen hat, ſteht auf dem Leiceſter Square, zwiſchen den beiden ton- angebenden Tingeltangeln, dem Empire und der Alhambra. Die Stätte ſelbſt iſt für ein Poetendenkmal nicht einmal ſo übel. Der Platz gehörte ehedem zu dem vornehmſten Quartier der Stadt. Hier haben einſt Dryden, Hogarth, Newton und Reynolds gewohnt und an die unmittelbar benachbarten Häuſer knüpfen ſich Erinnerungen an Thad- däus Kosziusko und an Byrons Gräfin Giuccioli. Seither hat Leiceſter Square ſich freilich nicht nur zum Zentrum des Londoner Theaterviertels gemauſert, ſondern auch zum Mittelpunkt des öffentlichen Liebesmarktes. Selbſt das macht ihn zum Denkmalsplatz für einen Dichter nicht ohne weiteres ungeeignet. Hier, wo ſich des Abends im nebel- gedämpften Lichterglanz das Weltſtadtweben ſo eigentüm- lich eindrucksvoll entfaltet, könnte ich mir einen engliſchen Paul Verlaine, falls es einen gäbe, ſehr wohl verewigt denken. William Shakeſpeare aber, der Allumfaſſer, gehört nicht an dieſen Ort und zu ſeiner olympiſchen Höhe bildet die moderne Großſtadtromantik keine pikante Folie, ſondern nur einen niedrigen Kontraſt. Ueberdies iſt die Statue ſelbſt, eine Verlegenheitsarbeit des italieniſchen Bild- hauers Fontana, das Anſchauen nicht wert. Sie iſt denn auch die dreißig Jahre ihrer marmornen Exiſtenz über von den Londonern ſelbſt unausgeſetzt beſpöttelt worden. Augenblicklich wird wieder einmal ein Anlauf dazu ge- nommen, von dieſem billigen Spott zu der koſtſpieligen Verwirklichung des oft gehegten Traumgedankens eines angemeſſenen Shakeſpeare-Monuments für London fort- zuſchreiten, angemeſſen der Größe des Urbildes, wie dem Reichtum der Stadt. JIh möchte jedoch wetten, er wird nicht weiter führen als die früheren. Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen ſich nicht mit einem Nationaldenkmal für den „immortal bard“ begnügen, ſondern haben dieſem einen monumen- talen Welttribut zugedacht, der in acht Jahren, bei der dreihundertſten Wiederkehr des Shakeſpeareſchen Todes- tages, enthüllt werden ſoll. Es iſt deshalb von vornherein entſchieden mißlich, daß ſich unter ihnen kein einziger Träger eines Namens von Weltruf, ja, kaum einer eines ſolchen befindet, der außerhalb des Inſelreichs allgemein bekannt wäre. Am geläufigſten dürfte der außerengliſchen Menſchheit noch der des verſpäteten Präraffaeliten und angeblichen Erfinders des Serpentinentanzes, Walter Crane, ſein. Sonſt ſucht man darunter vergeblich zum Beiſpiel nach einem Dichter, einem Maler, einem Bildhauer, einem Schauſpieler oder auch nur nach einem Shakeſpeare-Forſcher erſten Ranges. Der national- repräſentative Charakter des Denkmalsausſchuſſes erſcheint alſo ſehr fragwürdig, der Tribut, zu dem er die Shake- ſpeare-Gemeinde der übrigen Welt einladet, um ſo an- ſpruchsvoller. Er ſoll der Hauptſache nach in einer mäch- tigen Denkmalsanlage beſtehen, die in einer Längsaus- dehnung von annähernd vierzig Metern außer der Geſtalt des Dichters ſelbſt Figurengruppen aus ſeinen Schöpfungen enthalten und am ſüdlichen Zipfel des Regents Park, ober- halb Oxford Circus, aufgeſtellt werden ſoll. Der Platz liegt etwas abſeits vom Wege, bietet aber in der breiten Avenue von Portland Place eine wirkungsvolle Perſpektive. Bisher kam dieſe einer Statue des Herzogs von Kent zugute. König Eduard, der dem ganzen Projekt wohlwollend gegenüber- ſteht, hat jedoch bereits ſeine Einwilligung dazu erteilt, das Standbild ſeines Großvaters anderswo unterzubringen. Die auf vier Millionen Mark veranſchlagten Koſten der Anlage ſollen durch internationale Sammlung aufgebracht werden. Der künſtleriſche Wettbewerb bleibt dagegen auf England und ſeine Tochterſtaaten, ſowie Amerika be- ſchränkt. An der Spitze des Ausſchuſſes, dem die Auswahl des beſten Entwurfes obliegt, ſteht höchſt befremdlicherweiſe ein Mann, der weder auf irgend einem künſtleriſchen Gebiet auch nur das Geringſte geleiſtet hat, noch eine beſonders hohe oder angeſehene geſellſchaftliche Stellung einnimmt, es dafür allerdings auf dem untergeordneten Poſten eines Vizeſchloßhauptmannes letzthin zu einer eigenartigen poli- tiſchen Berühmtheit gebracht hat: Lord Eſher. Man kann mit Friedrich Theodor Viſcher in William Shakeſpeare vor allem einen politiſchen Dichter bewundern, kann ferner anerkennen, daß es gänzlich Sache der Eng- länder iſt, ob ſie die Entſcheidung über die endgültige künſtleriſche Form der ſpäten monumentalen Ehrung ihres Weltdichters wirklich einem marinepolitiſierenden Vize- ſchloßhauptmann überlaſſen wollen, und wird es trotzdem den deutſchen Shakeſpeare-Verehrern nicht verdenken dürfen, wenn ſie ſich mit Beiträgen für ein unter ſolcher Aegide zu etablierendes Denkmal nicht gerade überſtürzen. Ueberhaupt muß es auf das Ausland ganz allgemein ent- mutigend wirken, daß die Großmut; die ihnen ſo zuvor- kommend eine unbegrenzte Teilnahme an dem finanziellen Zuſammenwirken einräumt, ſich nicht auf die Zulaſſung zum künſtleriſchen Wettbewerb erſtreckt. Die Briten tun ſich auf ihre überlegene Zahlungsfähigkeit nicht wenig zugute und ſtellen doch keinen ihrer einheimiſchen Bild- hauer einem Rodin ernſtlich an die Seite; ſie erkennen außer- dem rückhaltslos an, daß ihr größter Dichter auf deutſchen Bühnen ungleich heimiſcher iſt als auf ihren eigenen und wiſſen ſehr wohl, wie viel er ſtofflich den italienſchen Novelliſten verdankt. Folgerichtig hätten ſie ſagen ſollen: „Die Koſten tragen natürlich wir, kommt einem von euch da draußen aber eine geniale Denkmalsidee, ſo nehmen wir ſie an.“ Statt deſſen erklären ſie: „Ihr Habenichtſe dürft zwar für unſer Denkmal nach Belieben mitbezahlen, aber das Geld ſelbſt für den Entwurf bleibt ſozuſagen in der Familie.“ Wer lacht da nicht? Zwar wird bereits verkündet, die venezianiſche Stadtgemeinde habe ſich als- bald um die Ehre beworben, ihren Obolus auf dem Lon- doner Altar für den Schöpfer des Kaufmanns und des Mohren von Venedig opfern zu dürfen. Aber das ſieht verdächtig nach Köder aus und die Ausſichten auf das je- malige Zuſtandekommen dieſes Londoner Shakeſpeare- Denkmals auf Allerweltskoſten ſind auch ſonſt ungemein unſicher, trotz der mittelbaren königlichen Protektion. Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 138, 24. März 1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine138_1908/2>, abgerufen am 17.06.2024.