Allgemeine Zeitung, Nr. 138, 24. März 1908.München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138. [Spaltenumbruch]
dankens wäre entfernt nicht so einfach wie der glückliche Vateres sich vorzustellen scheint. Die religiösen Unruhen in Deutsch-Adamaua bilden den Gegenstand sehr beachtenswerter Berichte, die, von Die zwei Residenten wollten sich Anfang Juli vorigen Die schnelle Niederwerfung des Aufstandes im Norden war Erwiesenermaßen rechneten die mahdistischen Aufwiegler Briands Justizreformen. Unser Pariser Korrespondent schreibt uns: Man muß dem neuen Justizminister, der erst zu Neu- Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt, Und damit das Urteil der Richter die Meinung der Wenn die politischen Freunde Briands diese durch- -- Die Referate für den Deutschen Städte- -- Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge- -- Zum Geburtstag Kaiser Wilhelms I. ist am 22. März -- Abgeordneter Dr. Paasche will für das preußische Letzte Nachrichten siehe Seite 5. Heer und Flotte. Aenderungen in der deutschen Heerordnung. * Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer- Wichtig ist ferner die Herabsetzung des für Mann- Eine andere Neuerung der Heeresordnung besteht darin, Der Reichstag und die Presse. *** München, 23. März.Die Zentrumspresse macht krampfhafte Ver- Man darf dabei nicht übersehen, daß die Zentrums- In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf- [Spaltenumbruch] Londoner Brief. Nationale Gewissensbisse. -- Shakespeare-Denkmal oder Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen Man kann mit Friedrich Theodor Vischer in William Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138. [Spaltenumbruch]
dankens wäre entfernt nicht ſo einfach wie der glückliche Vateres ſich vorzuſtellen ſcheint. Die religiöſen Unruhen in Deutſch-Adamaua bilden den Gegenſtand ſehr beachtenswerter Berichte, die, von Die zwei Reſidenten wollten ſich Anfang Juli vorigen Die ſchnelle Niederwerfung des Aufſtandes im Norden war Erwieſenermaßen rechneten die mahdiſtiſchen Aufwiegler Briands Juſtizreformen. Unſer Pariſer Korreſpondent ſchreibt uns: Man muß dem neuen Juſtizminiſter, der erſt zu Neu- Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt, Und damit das Urteil der Richter die Meinung der Wenn die politiſchen Freunde Briands dieſe durch- — Die Referate für den Deutſchen Städte- — Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge- — Zum Geburtstag Kaiſer Wilhelms I. iſt am 22. März — Abgeordneter Dr. Paaſche will für das preußiſche Letzte Nachrichten ſiehe Seite 5. Heer und Flotte. Aenderungen in der deutſchen Heerordnung. * Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer- Wichtig iſt ferner die Herabſetzung des für Mann- Eine andere Neuerung der Heeresordnung beſteht darin, Der Reichstag und die Preſſe. *** München, 23. März.Die Zentrumspreſſe macht krampfhafte Ver- Man darf dabei nicht überſehen, daß die Zentrums- In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf- [Spaltenumbruch] Londoner Brief. Nationale Gewiſſensbiſſe. — Shakeſpeare-Denkmal oder Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen Man kann mit Friedrich Theodor Viſcher in William Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0002" n="2"/><fw place="top" type="header">München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138.</fw><lb/><cb/> dankens wäre entfernt nicht ſo einfach wie der glückliche Vater<lb/> es ſich vorzuſtellen ſcheint.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die religiöſen Unruhen in Deutſch-Adamaua</hi> </head><lb/> <p>bilden den Gegenſtand ſehr beachtenswerter Berichte, die, von<lb/> den Reſidenten Hauptmann <hi rendition="#g">Zimmermann</hi> und Oberleutnant<lb/><hi rendition="#g">Strümpell</hi> erſtattet, im neueſten Kolonialblatte veröfent-<lb/> licht werden. Den ausführlichen Darſtellungen beider entnehmen<lb/> wir die nachſtehenden, kurz zuſammengefaßten Angaben.</p><lb/> <p>Die zwei Reſidenten wollten ſich Anfang Juli vorigen<lb/> Jahres zur Regelung von Grenzſtreitigkeiten zwiſchen Mandara<lb/> und Marua-Madagali in Dukba treffen. Hauptmann Zimmer-<lb/> mann hatte Malampetel erreicht, als er plötzlich die Nachricht er-<lb/> hielt, daß die <hi rendition="#g">Ngundum-Ngundum</hi> in kriegeriſcher Ab-<lb/> ſicht herangerückt ſeien. Sie waren knapp noch 300 Meter ent-<lb/> fernt und hatten eine ſchwarze, von weißen Koranſprüchen be-<lb/> deckte Flagge entfaltet. Zimmermanns Soldaten verloren<lb/> keinen Augenblick die Ruhe, töteten aus nächſter Nähe einige<lb/> 20 Angreifer und ſchlugen ſie nach 5 Minuten in die Flucht.<lb/> Der Urheber des Aufſtandsverſuches war der <hi rendition="#g">Mahdi Al-<lb/> hadji</hi>. Er ſtammt aus Mekka und will dort gleich ſeinem im<lb/> Kampf gegen die Chriſten verſchollenen Vater die göttliche Bot-<lb/> ſchaft erhalten haben. Nach langer Wanderung in Marua ange-<lb/> kommen, hatte er bei dem Liman (Vorbeter) Arabu Aufenthalt<lb/> genommen. Dort bereitete er ſich vor und begann ſeine öffent-<lb/> liche Tätigkeit in einem Vorort Maruas. Einem Haftbefehl des<lb/> Lamidos von Marua entzog er ſich durch die Flucht nach Ngun-<lb/> dum-Ngundum. Hier bezeichnete er ſich als Gottesgeſandten,<lb/> der die Herrſchaft der Weißen brechen ſolle, und fand die Unter-<lb/> ſtützung des dortigen Oberhauptes Bazir. Zunächſt ſcheint der<lb/> Mahdi die Abſicht gehabt zu haben, durch Verkündung des<lb/> Krieges gegen den Lamido von Marua die nötige Mannſchaft<lb/> zur Bekriegung der Weißen in die Hand zu bekommen. Als er<lb/> über die Nachricht von der Ankunft des Hauptmanns Zimmer-<lb/> mann erhielt, beſchloß er, von ſeiner göttlichen Sendung durch-<lb/> drungen, den Angriff auf den deutſchen Führer. Der Ausgang<lb/> des Kampfes war überaus kläglich. Sehr bald darauf wurde<lb/> der flüchtige Mahdi durch Marua-Reiter bei Logone <hi rendition="#g">feſt-<lb/> genommen</hi> und als Gefangener nach Marua gebracht. Der<lb/> dortige Lamido ließ ihn nach Binder führen, und hier iſt er auf<lb/> Grund rechtskräftiger Verurteilung durch den Alkali <hi rendition="#g">hin-<lb/> gerichtet</hi> worden.</p><lb/> <p>Die ſchnelle Niederwerfung des Aufſtandes im Norden war<lb/> wegen des Ausbruches religiöſer Unruhen im Süden doppelt<lb/> willkommen. In <hi rendition="#g">Uro Kohel</hi> nämlich, deſſen Fullah ſich ſehr<lb/> rein erhalten haben und durch Fanatismus ausgezeichnet ſind,<lb/> hatte der aus Wadai ſtammende <hi rendition="#g">Malum Wadai</hi> die Ein-<lb/> geborenen zum Kampfe wider die Europäer aufgeſtachelt. Leut-<lb/> nant Nitſchmann, dem der Anhang des aufrühreriſchen Prieſters<lb/> als gering geſchildert war, entſandte eine kleine farbige<lb/> Patrouille. Dieſe aber wurde von dem neuen Mahdi, der durch<lb/> allerhand Hokuspokus ſeine nach mehreren Hundert zählenden<lb/> Anhänger zu größter Begeiſterung angefeuert hatte, in die<lb/> Flucht geſchlagen. Nun glaubte der Mahdi, einen Hauptſchlag<lb/> wagen zu können, und trat den Marſch auf Garua an. Leutnant<lb/> Nitſchmann verfügte nur über 35 Mann und hatte deshalb die<lb/> Rückkehr des Reſidenten Strümpell abwarten wollen, ohne ſich<lb/> auf eine Entſcheidung einzulaſſen. Angeſichts des feindlichen<lb/> Vormarſches aber entſchloß er ſich zum ſofortigen Kampf. Erſt<lb/> nach einem heftigen zweiſtündigen Gefecht wurden die Mahdiſten<lb/><hi rendition="#g">zerſprengt</hi>. Durch dieſen Sieg iſt Adamaua vor dem Un-<lb/> glück eines umfaſſenden religiöſen Aufſtandes bewahrt geblieben.<lb/> Die <hi rendition="#g">ſchuldigen Häuptlinge</hi>, nach den Satzungen des<lb/> Korans abgeurteilt, wurden teils <hi rendition="#g">aufgehängt</hi>, teils <hi rendition="#g">ab-<lb/> geſetzt</hi>, teils <hi rendition="#g">mit Gefängnis beſtraft;</hi> das geſamte<lb/> Aufſtandsgebiet hat Strafarbeiter und Vieh zu ſtellen.</p><lb/> <p>Erwieſenermaßen rechneten die mahdiſtiſchen Aufwiegler<lb/> mit der geringen Beſetzung Adamauas durch Soldaten, die in<lb/> Britiſch-Nigeria und in Franzöſiſch-Kongo, den beiden Nachbar-<lb/> kolonien, weit zahlreicher ſind. Das ſollte wegen der kriegeriſchen,<lb/> religiöſer Aufreizung leicht zugänglichen Natur der Fullahs<lb/> künftig beachtet werden.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Briands Juſtizreformen.</hi> </head><lb/> <p>Unſer Pariſer Korreſpondent ſchreibt uns:</p><lb/> <p>Man muß dem neuen Juſtizminiſter, der erſt zu Neu-<lb/> jahr das Erbe des plötzlich aus dem Leben geſchiedenen<lb/> Guyot-Deſſaigne angetreten hat, zugeſtehen, daß er auf<lb/> ſeinem jetzigen Wirkungsfelde eine bemerkenswerte Ini-<lb/> tiative entfaltet; das einzige Mitglied des Kabinetts Cle-<lb/> menceau, das wirklich Ernſt mit den verheißenen Refor-<lb/> men zu machen ſucht. Nachdem er erſt kürzlich durch einen<lb/> Erlaß den gänzlich veralteten, aus Colberts Zeiten ſtam-<lb/> menden und heute völlig unverſtändlich gewordenen For-<lb/> melkram der gerichtlichen Zuſtellungsformulare zur allge-<lb/> meinen Genugtuung beſeitigt hat, legt er nunmehr der<lb/><cb/> Kammer einen Geſetzentwurf von außerordentlicher Trag-<lb/> weite vor, der eine völlige Reform der Schwurgerichte zum<lb/> Ziele hat. Die von den franzöſiſchen und namentlich den<lb/> Pariſer Geſchworenen geübte Rechtspflege iſt ſeit langem<lb/> mit gutem Grunde etwas in Mißtredit geraten, vor allem<lb/> wegen der oft ſkandalöſen Freiſprechungen, die allen Uebel-<lb/> tätern einen Freibrief auszuſtellen ſchienen, vorausgeſetzt,<lb/> daß die Verteidiger ſich auf die Pſychologie der Geſchwore-<lb/> nen hinreichend verſtanden.</p><lb/> <p>Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt,<lb/> die das ganze Inſtitut der Schwurgerichte als eine Ver-<lb/> höhnung des Rechts erklärten und ſeine Abſchaffung for-<lb/> derten. Selbſtverſtändlich konnte Briand ſeinem ganzen<lb/> politiſchen Glaubensbekenntnis nach ſich einer ſolchen Auf-<lb/> faſſung nicht anſchließen. Er erkannte die Reformbedürf-<lb/> tigkeit der Einrichtung, fand das Heilmittel aber auf ande-<lb/> rem Wege. Wie oft waren die Geſchworenen zu einem<lb/> Nichtſchuldig gelangt, einzig um den Angeklagten vor einer<lb/> Strafe zu bewahren, deren Höhe ihrer Ueberzeugung nach<lb/> nicht im Einklang mit der Schwere des Vergehens ſtand<lb/> und weil ſie keine geſetzliche Einwirkung auf das Straf-<lb/> maß hatten. Was Briands Reform bezweckt, iſt nun nicht<lb/> mehr und nicht weniger als die Mitwirkung der Geſchwore-<lb/> nen, die bisher nur über Schuldig oder Nichtſchuldig zu be-<lb/> finden hatten, an der Abmeſſung der Strafe.</p><lb/> <p>Und damit das Urteil der Richter die Meinung der<lb/> Geſchworenen nicht beeinfluſſe, will der Entwurf, daß die<lb/> Geſchworenen ihr Urteil über das Strafmaß zuerſt ab-<lb/> geben; im Falle einer Meinungsverſchiedenheit zwiſchen<lb/> beiden Inſtanzen ſoll ſtets die mildere Form des Urteils in<lb/> Kraft treten.</p><lb/> <p>Wenn die politiſchen Freunde Briands dieſe durch-<lb/> greifende Reform auch als Zeugnis unbegrenzten Ver-<lb/> trauens in den Rechtsſinn des Volkes mit Genugtuung be-<lb/> grüßen und als einen großen Schritt zur Demokratiſterung<lb/> der Juſtizpflege feiern, ſehen einſichtige Beurteiler die Kon-<lb/> ſequenzen einer derartigen Machterweiterung für das<lb/> Laienelement als verhängnisvoll für die Rechtſprechung<lb/> an, und wer gerade in jüngſter Zeit die Tätigkeit der<lb/> Pariſer Schwurgerichte etwas verfolgt hat, kann kaum<lb/> anders, als dieſen Schwarzſehern beizupflichten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— Die <hi rendition="#g">Referate für den Deutſchen Städte-<lb/> tag</hi>, der am 6. und 7. Juli d. J. in <hi rendition="#g">München</hi> ſtattfindet, ſind<lb/> nunmehr feſtgeſetzt. In erſter Linie wird die Frage der Kredit-<lb/> verhältniſſe der deutſchen Städte beraten werden. Als Refe-<lb/> renten ſind Oberbürgermeiſter Kutzer-Fürth, Stadtrat und Käm-<lb/> merer Mitzlaff-Danzig und Stadtrat Dr. Wöll-Frankfurt a. M.<lb/> auserſehen. Als zweiter Beratungsgegenſtand iſt das ſtädtiſche<lb/> Fortbildungsſchulweſen in Ausſicht genommen. Hierfür wurden<lb/> als Referenten aufgeſtellt Oberſtudienrat und Stadtſchulrat Dr.<lb/> G. Kerſchenſteiner-München, Profeſſor Dr. Lyon-Dresden und<lb/> Profeſſor Dr. Michaelis-Frankfurt a. M.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, <hi rendition="#g">Ge-<lb/> heimrat Paaſche</hi> und Dr. <hi rendition="#g">Semler</hi>, haben ſich entſchloſſen,<lb/> auf die weiteren ſachlichen Erörterungen beim Kolonialetat zu<lb/> verzichten, weil ſie alles vermeiden wollen, was geeignet ſein<lb/> könnte, die vorhandenen Gegenſätze zu verſchärfen. Sie wollen<lb/> jetzt erſt dem Kolonialſekretär Gelegenheit geben, ſeinen Worten<lb/> die Tat folgen zu laſſen, und wollen abwarten, wie weit er<lb/> gewillt iſt, den Intereſſenten, die in unſeren Kolonien Geld und<lb/> Arbeitskraft feſtgelegt haben, entgegenzukommen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— Zum Geburtstag Kaiſer Wilhelms <hi rendition="#aq">I.</hi> iſt am 22. März<lb/> eine <hi rendition="#g">Extra-Ausgabe des Militär-Wochenblattes</hi><lb/> erſchienen, die ein umfangreiches militäriſches Revirement mit-<lb/> teilt; ſo ſind u. a. 31 Oberſten zu Generalmajors befördert<lb/> worden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— <hi rendition="#g">Abgeordneter</hi> Dr. <hi rendition="#g">Paaſche</hi> will für das preußiſche<lb/> Abgeordnetenhaus nicht wieder kandidieren.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Letzte Nachrichten ſiehe Seite 5.</hi> </p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Heer und Flotte.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aenderungen in der deutſchen Heerordnung.</hi> </head><lb/> <p>* Die <hi rendition="#g">Nachträge und Berichtigungen zur Heer-<lb/> ordnung</hi> betreffen vor allem die Bildung des <hi rendition="#g">Beur-<lb/> laubtenſtandes der Kraftfahrtruppen</hi>. Nach den<lb/> neuen Beſtimmungen treten alle Unteroffiziere und Mannſchaften,<lb/> die bei den Kraftfahrtruppen gedient haben, bei ihrer Entlaſſung<lb/> zum Beurlaubtenſtand dieſer Truppen; ebenſo die Unteroffiziere<lb/><cb/> und Mannſchaften anderer Waffen, die im Kraftfahrdienſt mili-<lb/> täriſch ausgebildet ſind. Die Ausbildung bei den Kraftfahr-<lb/> truppen erſtreckt ſich auf Kraftwagen- und Kraftbootführer.</p><lb/> <p>Wichtig iſt ferner die <hi rendition="#g">Herabſetzung</hi> des für Mann-<lb/> ſchaften der <hi rendition="#g">Feldartillerie</hi> vorgeſchriebenen geringſten<lb/><hi rendition="#g">Größenmaßes</hi> — von 1.62 auf 1.60 Meter — und für Mann-<lb/> ſchaften der Fußartillerie von 1.67 auf 1.64 Meter. Da kleinere<lb/> Menſchen in der Regel leichter ſind als größere, ſo wird das<lb/> Gewicht der bei der Artillerie einzuſtellenden Leute in Zukunft<lb/> im Durchſchnitt geringer ſein als bisher. Dieſe Gewichtsvermin-<lb/> derung kommt bei der Feldartillerie der Beweglichkeit des<lb/> Geſchützes zugute.</p><lb/> <p>Eine andere Neuerung der Heeresordnung beſteht darin,<lb/> daß <hi rendition="#g">Leute mit künſtlichen Gebiſſen</hi> nicht mehr all-<lb/> gemein von der Dienſtpflicht auszuſchließen ſind, auch dann nicht<lb/> wenn ihre Ernährung ohne ein ſolches Gebiß erſchwert iſt. Es<lb/> iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle durch militärärztliche Beur-<lb/> teilung je nach Art, Sitz und Beſchaffenheit des betreffenden<lb/> Erſatzmittels, nach den örtlichen Veränderungen in der Mund-<lb/> höhle, ſowie nach der dienſtlichen Verwendung des Einzelnen<lb/> feſtzuſtellen, ob der betreffende Mann für dienſtfähig zu erachten<lb/> iſt oder nicht. Bisher wurden Mannſchaften, bei denen Mängel<lb/> oder Fehlen der Kauwerkzeuge eine weſentliche Störung des<lb/> Kauens verurſachten, für dienſtunbrauchbar erklärt. Bei bereits<lb/> ausgebildeten Leuten war das Verbleiben im Dienſt ſtatthaft<lb/> wenn der vorhandene Mangel durch ein gut paſſendes Gebiß<lb/> ausgeglichen wurde. Die jetzige Neuerung dürfte wohl durch<lb/> die in den letzten Jahren gemachten Fortſchritte in der Zahn-<lb/> heillunde und in der Zahntechnik bedingt ſein. Die beabſichtigte<lb/> Einſtellung von Zahnärzten in die Armee wird die Durchführung<lb/> dieſer Maßregel weſentlich erleichtern.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div xml:id="a1a" next="#a1b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Reichstag und die Preſſe.</hi> </head><lb/> <dateline>*** München, 23. März.</dateline><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Zentrumspreſſe</hi> macht krampfhafte Ver-<lb/> ſuche, den Abgeordneten Gröber wegen ſeiner unerhörten<lb/> Beleidigung der Preſſevertreter auf der Reichstagstribüne<lb/> zu entſchuldigen und die Journaliſten ins Unrecht zu<lb/> ſetzen, die ſich in dem „zu 99 Prozent chriſtlichen“ Reichstag<lb/> über die unſterbliche Seele des Negers luſtig gemacht haben<lb/> ſollen; ſelbſtverſtändlich werden die <hi rendition="#g">liberalen</hi> Jour-<lb/> naliſten beſonders hervorgehoben, obwohl ſich dem Streit<lb/> die Preſſevertreter aller Parteien, auch der konſervativen,<lb/> angeſchloſſen haben — nur das Zentrumsbureau hat ſeine<lb/> Arbeitskräfte „verſtärkt“, um einen ausreichenden Bericht<lb/> liefern zu können. Zentrumsmitglieder haben auch den<lb/> Direktor beim Reichstage angegangen, einen „offiziellen“<lb/> Bericht an die Preſſe herauszugeben, um den Streik der<lb/> Parlamentstribüne zu paralyſieren. Vor der Verſtär-<lb/> kung hat der Direktor des klerikalen parlamentariſchen<lb/> Bureaus ſeinen Mitarbeitern, den eigentlichen Zentrums-<lb/> journaliſten, mit ſofortiger Entlaſſung gedroht, falls ſie<lb/> ſich ihren Kollegen anſchließen ſollten. Es ſcheint demnach,<lb/> daß eine Palaſtrevolution zu befürchten ſtand.</p><lb/> <p>Man darf dabei nicht überſehen, daß die Zentrums-<lb/> blätter, die ſich jetzt um die Verteidigung des Abgeordneten<lb/> Gröber verdient machen, <hi rendition="#g">im erſten Augenblick</hi> den<lb/> Vorfall ebenſo beurteilten und verurteilten, wie es die<lb/> Preſſe der anderen Parteien noch jetzt tut (ſ. die Germania<lb/> vom Abend des Sitzungstages). Als ſich dann freilich<lb/> herausſtellte, daß der liebliche Ausdruck den Lippen eines<lb/> Zentrumsführers entflohen war, und daß das höhniſche<lb/> Gelächter, das die Journaliſten als eine weitere Standes-<lb/> beleidigung auffaſſen mußten, aus der Mitte des Hauſes<lb/> ſtammte, wurde die <hi rendition="#g">Auffaſſung von der Standes-<lb/> beleidigung bei den klerikalen Journa-<lb/> liſten revidiert</hi>, ſo ſtark revidiert, daß der Bayeriſche<lb/> Kurter ſich am Samstag Abend ſogar dafür bedankt, „dieſe<lb/> Herren als Kollegen anzuſehen“.</p><lb/> <p>In dem Gefühl der <hi rendition="#g">Unhaltbarkeit ihrer Auf-<lb/> faſſung</hi> und Auslegung der Vorgänge hat der Berliner<lb/> Vertreter eines führenden Zentrumsblattes in der Ver-<lb/> ſammlung der Reichstagsjournaliſten die Behauptung auf-<lb/> geſtellt, ſeit dem 13. Dezember 1906 begrüße die Tribüne<lb/> überhaupt die Zentrumsredner mit Unruhe und Zwiſchen-<lb/> rufen. Nur ſeltſam, daß ſich bis zum März 1908 kein Zen-<lb/> trumsredner und kein Zentrumsblatt darüber beſchwert<lb/> hat. Die Herren ſind doch ſonſt nicht ſo zurückhaltend. Auf<lb/> der Journaliſtentribüne des Reichstags geht es aller-<lb/> dings nicht wie in einem Konzertſaal zu: Schon die ſtändige</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="a2a" next="#a2b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Londoner Brief.</hi> </head><lb/> <argument> <p>Nationale Gewiſſensbiſſe. — Shakeſpeare-Denkmal oder<lb/> Shakeſpeare-Theater? — Geben und Nehmen.</p> </argument><lb/> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 19. März.</dateline><lb/> <p>Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch<lb/> nicht genau ermittelt iſt, wird eine größere Anzahl Lon-<lb/> doner von Gewiſſensbiſſen darüber gepackt, daß die Haupt-<lb/> ſtadt des britiſchen Weltreichs eines würdigen, ja, eines<lb/> anſtändigen Denkmals für den größten Sohn des engliſchen<lb/> Volkstums immer noch entbehrt. Dieſer Seelenzuſtand der<lb/> Zerknirſchung iſt jetzt wieder einmal eingetreten und iſt<lb/> durchaus in der Ordnung. Das einzige Schakeſpeare-<lb/> Monument, zu dem London ſich bisher aufgeſchwungen hat,<lb/> ſteht auf dem Leiceſter Square, zwiſchen den beiden ton-<lb/> angebenden Tingeltangeln, dem Empire und der Alhambra.<lb/> Die Stätte ſelbſt iſt für ein Poetendenkmal nicht einmal ſo<lb/> übel. Der Platz gehörte ehedem zu dem vornehmſten<lb/> Quartier der Stadt. Hier haben einſt Dryden, Hogarth,<lb/> Newton und Reynolds gewohnt und an die unmittelbar<lb/> benachbarten Häuſer knüpfen ſich Erinnerungen an Thad-<lb/> däus Kosziusko und an Byrons Gräfin Giuccioli. Seither<lb/> hat Leiceſter Square ſich freilich nicht nur zum Zentrum<lb/> des Londoner Theaterviertels gemauſert, ſondern auch zum<lb/> Mittelpunkt des öffentlichen Liebesmarktes. Selbſt das<lb/> macht ihn zum Denkmalsplatz für einen Dichter nicht ohne<lb/> weiteres ungeeignet. Hier, wo ſich des Abends im nebel-<lb/> gedämpften Lichterglanz das Weltſtadtweben ſo eigentüm-<lb/> lich eindrucksvoll entfaltet, könnte ich mir einen engliſchen<lb/> Paul Verlaine, falls es einen gäbe, ſehr wohl verewigt<lb/> denken. William Shakeſpeare aber, der Allumfaſſer, gehört<lb/> nicht an dieſen Ort und zu ſeiner olympiſchen Höhe bildet<lb/> die moderne Großſtadtromantik keine pikante Folie, ſondern<lb/> nur einen niedrigen Kontraſt. Ueberdies iſt die Statue<lb/> ſelbſt, eine Verlegenheitsarbeit des italieniſchen Bild-<lb/> hauers Fontana, das Anſchauen nicht wert. Sie iſt denn<lb/> auch die dreißig Jahre ihrer marmornen Exiſtenz über von<lb/> den Londonern ſelbſt unausgeſetzt beſpöttelt worden.<lb/> Augenblicklich wird wieder einmal ein Anlauf dazu ge-<lb/> nommen, von dieſem billigen Spott zu der koſtſpieligen<lb/> Verwirklichung des oft gehegten Traumgedankens eines<lb/><cb/> angemeſſenen Shakeſpeare-Monuments für London fort-<lb/> zuſchreiten, angemeſſen der Größe des Urbildes, wie dem<lb/> Reichtum der Stadt. JIh möchte jedoch wetten, er wird<lb/> nicht weiter führen als die früheren.</p><lb/> <p>Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen<lb/> ſich nicht mit einem Nationaldenkmal für den <hi rendition="#aq">„immortal<lb/> bard“</hi> begnügen, ſondern haben dieſem einen monumen-<lb/> talen Welttribut zugedacht, der in acht Jahren, bei der<lb/> dreihundertſten Wiederkehr des Shakeſpeareſchen Todes-<lb/> tages, enthüllt werden ſoll. Es iſt deshalb von vornherein<lb/> entſchieden mißlich, daß ſich unter ihnen kein einziger<lb/> Träger eines Namens von Weltruf, ja, kaum einer eines<lb/> ſolchen befindet, der außerhalb des Inſelreichs allgemein<lb/> bekannt wäre. Am geläufigſten dürfte der außerengliſchen<lb/> Menſchheit noch der des verſpäteten Präraffaeliten und<lb/> angeblichen Erfinders des Serpentinentanzes, Walter<lb/> Crane, ſein. Sonſt ſucht man darunter vergeblich<lb/> zum Beiſpiel nach einem Dichter, einem Maler,<lb/> einem Bildhauer, einem Schauſpieler oder auch nur nach<lb/> einem Shakeſpeare-Forſcher erſten Ranges. Der national-<lb/> repräſentative Charakter des Denkmalsausſchuſſes erſcheint<lb/> alſo ſehr fragwürdig, der Tribut, zu dem er die Shake-<lb/> ſpeare-Gemeinde der übrigen Welt einladet, um ſo an-<lb/> ſpruchsvoller. Er ſoll der Hauptſache nach in einer mäch-<lb/> tigen Denkmalsanlage beſtehen, die in einer Längsaus-<lb/> dehnung von annähernd vierzig Metern außer der Geſtalt<lb/> des Dichters ſelbſt Figurengruppen aus ſeinen Schöpfungen<lb/> enthalten und am ſüdlichen Zipfel des Regents Park, ober-<lb/> halb Oxford Circus, aufgeſtellt werden ſoll. Der Platz liegt<lb/> etwas abſeits vom Wege, bietet aber in der breiten Avenue<lb/> von Portland Place eine wirkungsvolle Perſpektive. Bisher<lb/> kam dieſe einer Statue des Herzogs von Kent zugute. König<lb/> Eduard, der dem ganzen Projekt wohlwollend gegenüber-<lb/> ſteht, hat jedoch bereits ſeine Einwilligung dazu erteilt, das<lb/> Standbild ſeines Großvaters anderswo unterzubringen.<lb/> Die auf vier Millionen Mark veranſchlagten Koſten der<lb/> Anlage ſollen durch internationale Sammlung aufgebracht<lb/> werden. Der künſtleriſche Wettbewerb bleibt dagegen auf<lb/> England und ſeine Tochterſtaaten, ſowie Amerika be-<lb/> ſchränkt. An der Spitze des Ausſchuſſes, dem die Auswahl<lb/> des beſten Entwurfes obliegt, ſteht höchſt befremdlicherweiſe<lb/> ein Mann, der weder auf irgend einem künſtleriſchen Gebiet<lb/><cb/> auch nur das Geringſte geleiſtet hat, noch eine beſonders<lb/> hohe oder angeſehene geſellſchaftliche Stellung einnimmt,<lb/> es dafür allerdings auf dem untergeordneten Poſten eines<lb/> Vizeſchloßhauptmannes letzthin zu einer eigenartigen poli-<lb/> tiſchen Berühmtheit gebracht hat: Lord Eſher.</p><lb/> <p>Man kann mit Friedrich Theodor Viſcher in William<lb/> Shakeſpeare vor allem einen politiſchen Dichter bewundern,<lb/> kann ferner anerkennen, daß es gänzlich Sache der Eng-<lb/> länder iſt, ob ſie die Entſcheidung über die endgültige<lb/> künſtleriſche Form der ſpäten monumentalen Ehrung ihres<lb/> Weltdichters wirklich einem marinepolitiſierenden Vize-<lb/> ſchloßhauptmann überlaſſen wollen, und wird es trotzdem<lb/> den deutſchen Shakeſpeare-Verehrern nicht verdenken<lb/> dürfen, wenn ſie ſich mit Beiträgen für ein unter ſolcher<lb/> Aegide zu etablierendes Denkmal nicht gerade überſtürzen.<lb/> Ueberhaupt muß es auf das Ausland ganz allgemein ent-<lb/> mutigend wirken, daß die Großmut; die ihnen ſo zuvor-<lb/> kommend eine unbegrenzte Teilnahme an dem finanziellen<lb/> Zuſammenwirken einräumt, ſich nicht auf die Zulaſſung<lb/> zum künſtleriſchen Wettbewerb erſtreckt. Die Briten tun<lb/> ſich auf ihre überlegene Zahlungsfähigkeit nicht wenig<lb/> zugute und ſtellen doch keinen ihrer einheimiſchen Bild-<lb/> hauer einem Rodin ernſtlich an die Seite; ſie erkennen außer-<lb/> dem rückhaltslos an, daß ihr größter Dichter auf deutſchen<lb/> Bühnen ungleich heimiſcher iſt als auf ihren eigenen und<lb/> wiſſen ſehr wohl, wie viel er ſtofflich den italienſchen<lb/> Novelliſten verdankt. Folgerichtig hätten ſie ſagen ſollen:<lb/> „Die Koſten tragen natürlich wir, kommt einem von euch<lb/> da draußen aber eine geniale Denkmalsidee, ſo nehmen<lb/> wir ſie an.“ Statt deſſen erklären ſie: „Ihr Habenichtſe<lb/> dürft zwar für unſer Denkmal nach Belieben mitbezahlen,<lb/> aber das Geld ſelbſt für den Entwurf bleibt ſozuſagen in<lb/> der Familie.“ Wer lacht da nicht? Zwar wird bereits<lb/> verkündet, die venezianiſche Stadtgemeinde habe ſich als-<lb/> bald um die Ehre beworben, ihren Obolus auf dem Lon-<lb/> doner Altar für den Schöpfer des Kaufmanns und des<lb/> Mohren von Venedig opfern zu dürfen. Aber das ſieht<lb/> verdächtig nach Köder aus und die Ausſichten auf das je-<lb/> malige Zuſtandekommen dieſes Londoner Shakeſpeare-<lb/> Denkmals auf Allerweltskoſten ſind auch ſonſt ungemein<lb/> unſicher, trotz der mittelbaren königlichen Protektion.</p><lb/> <p>Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
München, Dienstag Allgemeine Zeitung 24. März 1908. Nr. 138.
dankens wäre entfernt nicht ſo einfach wie der glückliche Vater
es ſich vorzuſtellen ſcheint.
Die religiöſen Unruhen in Deutſch-Adamaua
bilden den Gegenſtand ſehr beachtenswerter Berichte, die, von
den Reſidenten Hauptmann Zimmermann und Oberleutnant
Strümpell erſtattet, im neueſten Kolonialblatte veröfent-
licht werden. Den ausführlichen Darſtellungen beider entnehmen
wir die nachſtehenden, kurz zuſammengefaßten Angaben.
Die zwei Reſidenten wollten ſich Anfang Juli vorigen
Jahres zur Regelung von Grenzſtreitigkeiten zwiſchen Mandara
und Marua-Madagali in Dukba treffen. Hauptmann Zimmer-
mann hatte Malampetel erreicht, als er plötzlich die Nachricht er-
hielt, daß die Ngundum-Ngundum in kriegeriſcher Ab-
ſicht herangerückt ſeien. Sie waren knapp noch 300 Meter ent-
fernt und hatten eine ſchwarze, von weißen Koranſprüchen be-
deckte Flagge entfaltet. Zimmermanns Soldaten verloren
keinen Augenblick die Ruhe, töteten aus nächſter Nähe einige
20 Angreifer und ſchlugen ſie nach 5 Minuten in die Flucht.
Der Urheber des Aufſtandsverſuches war der Mahdi Al-
hadji. Er ſtammt aus Mekka und will dort gleich ſeinem im
Kampf gegen die Chriſten verſchollenen Vater die göttliche Bot-
ſchaft erhalten haben. Nach langer Wanderung in Marua ange-
kommen, hatte er bei dem Liman (Vorbeter) Arabu Aufenthalt
genommen. Dort bereitete er ſich vor und begann ſeine öffent-
liche Tätigkeit in einem Vorort Maruas. Einem Haftbefehl des
Lamidos von Marua entzog er ſich durch die Flucht nach Ngun-
dum-Ngundum. Hier bezeichnete er ſich als Gottesgeſandten,
der die Herrſchaft der Weißen brechen ſolle, und fand die Unter-
ſtützung des dortigen Oberhauptes Bazir. Zunächſt ſcheint der
Mahdi die Abſicht gehabt zu haben, durch Verkündung des
Krieges gegen den Lamido von Marua die nötige Mannſchaft
zur Bekriegung der Weißen in die Hand zu bekommen. Als er
über die Nachricht von der Ankunft des Hauptmanns Zimmer-
mann erhielt, beſchloß er, von ſeiner göttlichen Sendung durch-
drungen, den Angriff auf den deutſchen Führer. Der Ausgang
des Kampfes war überaus kläglich. Sehr bald darauf wurde
der flüchtige Mahdi durch Marua-Reiter bei Logone feſt-
genommen und als Gefangener nach Marua gebracht. Der
dortige Lamido ließ ihn nach Binder führen, und hier iſt er auf
Grund rechtskräftiger Verurteilung durch den Alkali hin-
gerichtet worden.
Die ſchnelle Niederwerfung des Aufſtandes im Norden war
wegen des Ausbruches religiöſer Unruhen im Süden doppelt
willkommen. In Uro Kohel nämlich, deſſen Fullah ſich ſehr
rein erhalten haben und durch Fanatismus ausgezeichnet ſind,
hatte der aus Wadai ſtammende Malum Wadai die Ein-
geborenen zum Kampfe wider die Europäer aufgeſtachelt. Leut-
nant Nitſchmann, dem der Anhang des aufrühreriſchen Prieſters
als gering geſchildert war, entſandte eine kleine farbige
Patrouille. Dieſe aber wurde von dem neuen Mahdi, der durch
allerhand Hokuspokus ſeine nach mehreren Hundert zählenden
Anhänger zu größter Begeiſterung angefeuert hatte, in die
Flucht geſchlagen. Nun glaubte der Mahdi, einen Hauptſchlag
wagen zu können, und trat den Marſch auf Garua an. Leutnant
Nitſchmann verfügte nur über 35 Mann und hatte deshalb die
Rückkehr des Reſidenten Strümpell abwarten wollen, ohne ſich
auf eine Entſcheidung einzulaſſen. Angeſichts des feindlichen
Vormarſches aber entſchloß er ſich zum ſofortigen Kampf. Erſt
nach einem heftigen zweiſtündigen Gefecht wurden die Mahdiſten
zerſprengt. Durch dieſen Sieg iſt Adamaua vor dem Un-
glück eines umfaſſenden religiöſen Aufſtandes bewahrt geblieben.
Die ſchuldigen Häuptlinge, nach den Satzungen des
Korans abgeurteilt, wurden teils aufgehängt, teils ab-
geſetzt, teils mit Gefängnis beſtraft; das geſamte
Aufſtandsgebiet hat Strafarbeiter und Vieh zu ſtellen.
Erwieſenermaßen rechneten die mahdiſtiſchen Aufwiegler
mit der geringen Beſetzung Adamauas durch Soldaten, die in
Britiſch-Nigeria und in Franzöſiſch-Kongo, den beiden Nachbar-
kolonien, weit zahlreicher ſind. Das ſollte wegen der kriegeriſchen,
religiöſer Aufreizung leicht zugänglichen Natur der Fullahs
künftig beachtet werden.
Briands Juſtizreformen.
Unſer Pariſer Korreſpondent ſchreibt uns:
Man muß dem neuen Juſtizminiſter, der erſt zu Neu-
jahr das Erbe des plötzlich aus dem Leben geſchiedenen
Guyot-Deſſaigne angetreten hat, zugeſtehen, daß er auf
ſeinem jetzigen Wirkungsfelde eine bemerkenswerte Ini-
tiative entfaltet; das einzige Mitglied des Kabinetts Cle-
menceau, das wirklich Ernſt mit den verheißenen Refor-
men zu machen ſucht. Nachdem er erſt kürzlich durch einen
Erlaß den gänzlich veralteten, aus Colberts Zeiten ſtam-
menden und heute völlig unverſtändlich gewordenen For-
melkram der gerichtlichen Zuſtellungsformulare zur allge-
meinen Genugtuung beſeitigt hat, legt er nunmehr der
Kammer einen Geſetzentwurf von außerordentlicher Trag-
weite vor, der eine völlige Reform der Schwurgerichte zum
Ziele hat. Die von den franzöſiſchen und namentlich den
Pariſer Geſchworenen geübte Rechtspflege iſt ſeit langem
mit gutem Grunde etwas in Mißtredit geraten, vor allem
wegen der oft ſkandalöſen Freiſprechungen, die allen Uebel-
tätern einen Freibrief auszuſtellen ſchienen, vorausgeſetzt,
daß die Verteidiger ſich auf die Pſychologie der Geſchwore-
nen hinreichend verſtanden.
Es hat auch in Frankreich nicht an Stimmen gefehlt,
die das ganze Inſtitut der Schwurgerichte als eine Ver-
höhnung des Rechts erklärten und ſeine Abſchaffung for-
derten. Selbſtverſtändlich konnte Briand ſeinem ganzen
politiſchen Glaubensbekenntnis nach ſich einer ſolchen Auf-
faſſung nicht anſchließen. Er erkannte die Reformbedürf-
tigkeit der Einrichtung, fand das Heilmittel aber auf ande-
rem Wege. Wie oft waren die Geſchworenen zu einem
Nichtſchuldig gelangt, einzig um den Angeklagten vor einer
Strafe zu bewahren, deren Höhe ihrer Ueberzeugung nach
nicht im Einklang mit der Schwere des Vergehens ſtand
und weil ſie keine geſetzliche Einwirkung auf das Straf-
maß hatten. Was Briands Reform bezweckt, iſt nun nicht
mehr und nicht weniger als die Mitwirkung der Geſchwore-
nen, die bisher nur über Schuldig oder Nichtſchuldig zu be-
finden hatten, an der Abmeſſung der Strafe.
Und damit das Urteil der Richter die Meinung der
Geſchworenen nicht beeinfluſſe, will der Entwurf, daß die
Geſchworenen ihr Urteil über das Strafmaß zuerſt ab-
geben; im Falle einer Meinungsverſchiedenheit zwiſchen
beiden Inſtanzen ſoll ſtets die mildere Form des Urteils in
Kraft treten.
Wenn die politiſchen Freunde Briands dieſe durch-
greifende Reform auch als Zeugnis unbegrenzten Ver-
trauens in den Rechtsſinn des Volkes mit Genugtuung be-
grüßen und als einen großen Schritt zur Demokratiſterung
der Juſtizpflege feiern, ſehen einſichtige Beurteiler die Kon-
ſequenzen einer derartigen Machterweiterung für das
Laienelement als verhängnisvoll für die Rechtſprechung
an, und wer gerade in jüngſter Zeit die Tätigkeit der
Pariſer Schwurgerichte etwas verfolgt hat, kann kaum
anders, als dieſen Schwarzſehern beizupflichten.
— Die Referate für den Deutſchen Städte-
tag, der am 6. und 7. Juli d. J. in München ſtattfindet, ſind
nunmehr feſtgeſetzt. In erſter Linie wird die Frage der Kredit-
verhältniſſe der deutſchen Städte beraten werden. Als Refe-
renten ſind Oberbürgermeiſter Kutzer-Fürth, Stadtrat und Käm-
merer Mitzlaff-Danzig und Stadtrat Dr. Wöll-Frankfurt a. M.
auserſehen. Als zweiter Beratungsgegenſtand iſt das ſtädtiſche
Fortbildungsſchulweſen in Ausſicht genommen. Hierfür wurden
als Referenten aufgeſtellt Oberſtudienrat und Stadtſchulrat Dr.
G. Kerſchenſteiner-München, Profeſſor Dr. Lyon-Dresden und
Profeſſor Dr. Michaelis-Frankfurt a. M.
— Die nationalliberalen Redner zum Kolonialetat, Ge-
heimrat Paaſche und Dr. Semler, haben ſich entſchloſſen,
auf die weiteren ſachlichen Erörterungen beim Kolonialetat zu
verzichten, weil ſie alles vermeiden wollen, was geeignet ſein
könnte, die vorhandenen Gegenſätze zu verſchärfen. Sie wollen
jetzt erſt dem Kolonialſekretär Gelegenheit geben, ſeinen Worten
die Tat folgen zu laſſen, und wollen abwarten, wie weit er
gewillt iſt, den Intereſſenten, die in unſeren Kolonien Geld und
Arbeitskraft feſtgelegt haben, entgegenzukommen.
— Zum Geburtstag Kaiſer Wilhelms I. iſt am 22. März
eine Extra-Ausgabe des Militär-Wochenblattes
erſchienen, die ein umfangreiches militäriſches Revirement mit-
teilt; ſo ſind u. a. 31 Oberſten zu Generalmajors befördert
worden.
— Abgeordneter Dr. Paaſche will für das preußiſche
Abgeordnetenhaus nicht wieder kandidieren.
Letzte Nachrichten ſiehe Seite 5.
Heer und Flotte.
Aenderungen in der deutſchen Heerordnung.
* Die Nachträge und Berichtigungen zur Heer-
ordnung betreffen vor allem die Bildung des Beur-
laubtenſtandes der Kraftfahrtruppen. Nach den
neuen Beſtimmungen treten alle Unteroffiziere und Mannſchaften,
die bei den Kraftfahrtruppen gedient haben, bei ihrer Entlaſſung
zum Beurlaubtenſtand dieſer Truppen; ebenſo die Unteroffiziere
und Mannſchaften anderer Waffen, die im Kraftfahrdienſt mili-
täriſch ausgebildet ſind. Die Ausbildung bei den Kraftfahr-
truppen erſtreckt ſich auf Kraftwagen- und Kraftbootführer.
Wichtig iſt ferner die Herabſetzung des für Mann-
ſchaften der Feldartillerie vorgeſchriebenen geringſten
Größenmaßes — von 1.62 auf 1.60 Meter — und für Mann-
ſchaften der Fußartillerie von 1.67 auf 1.64 Meter. Da kleinere
Menſchen in der Regel leichter ſind als größere, ſo wird das
Gewicht der bei der Artillerie einzuſtellenden Leute in Zukunft
im Durchſchnitt geringer ſein als bisher. Dieſe Gewichtsvermin-
derung kommt bei der Feldartillerie der Beweglichkeit des
Geſchützes zugute.
Eine andere Neuerung der Heeresordnung beſteht darin,
daß Leute mit künſtlichen Gebiſſen nicht mehr all-
gemein von der Dienſtpflicht auszuſchließen ſind, auch dann nicht
wenn ihre Ernährung ohne ein ſolches Gebiß erſchwert iſt. Es
iſt vielmehr in jedem einzelnen Falle durch militärärztliche Beur-
teilung je nach Art, Sitz und Beſchaffenheit des betreffenden
Erſatzmittels, nach den örtlichen Veränderungen in der Mund-
höhle, ſowie nach der dienſtlichen Verwendung des Einzelnen
feſtzuſtellen, ob der betreffende Mann für dienſtfähig zu erachten
iſt oder nicht. Bisher wurden Mannſchaften, bei denen Mängel
oder Fehlen der Kauwerkzeuge eine weſentliche Störung des
Kauens verurſachten, für dienſtunbrauchbar erklärt. Bei bereits
ausgebildeten Leuten war das Verbleiben im Dienſt ſtatthaft
wenn der vorhandene Mangel durch ein gut paſſendes Gebiß
ausgeglichen wurde. Die jetzige Neuerung dürfte wohl durch
die in den letzten Jahren gemachten Fortſchritte in der Zahn-
heillunde und in der Zahntechnik bedingt ſein. Die beabſichtigte
Einſtellung von Zahnärzten in die Armee wird die Durchführung
dieſer Maßregel weſentlich erleichtern.
Der Reichstag und die Preſſe.
*** München, 23. März.
Die Zentrumspreſſe macht krampfhafte Ver-
ſuche, den Abgeordneten Gröber wegen ſeiner unerhörten
Beleidigung der Preſſevertreter auf der Reichstagstribüne
zu entſchuldigen und die Journaliſten ins Unrecht zu
ſetzen, die ſich in dem „zu 99 Prozent chriſtlichen“ Reichstag
über die unſterbliche Seele des Negers luſtig gemacht haben
ſollen; ſelbſtverſtändlich werden die liberalen Jour-
naliſten beſonders hervorgehoben, obwohl ſich dem Streit
die Preſſevertreter aller Parteien, auch der konſervativen,
angeſchloſſen haben — nur das Zentrumsbureau hat ſeine
Arbeitskräfte „verſtärkt“, um einen ausreichenden Bericht
liefern zu können. Zentrumsmitglieder haben auch den
Direktor beim Reichstage angegangen, einen „offiziellen“
Bericht an die Preſſe herauszugeben, um den Streik der
Parlamentstribüne zu paralyſieren. Vor der Verſtär-
kung hat der Direktor des klerikalen parlamentariſchen
Bureaus ſeinen Mitarbeitern, den eigentlichen Zentrums-
journaliſten, mit ſofortiger Entlaſſung gedroht, falls ſie
ſich ihren Kollegen anſchließen ſollten. Es ſcheint demnach,
daß eine Palaſtrevolution zu befürchten ſtand.
Man darf dabei nicht überſehen, daß die Zentrums-
blätter, die ſich jetzt um die Verteidigung des Abgeordneten
Gröber verdient machen, im erſten Augenblick den
Vorfall ebenſo beurteilten und verurteilten, wie es die
Preſſe der anderen Parteien noch jetzt tut (ſ. die Germania
vom Abend des Sitzungstages). Als ſich dann freilich
herausſtellte, daß der liebliche Ausdruck den Lippen eines
Zentrumsführers entflohen war, und daß das höhniſche
Gelächter, das die Journaliſten als eine weitere Standes-
beleidigung auffaſſen mußten, aus der Mitte des Hauſes
ſtammte, wurde die Auffaſſung von der Standes-
beleidigung bei den klerikalen Journa-
liſten revidiert, ſo ſtark revidiert, daß der Bayeriſche
Kurter ſich am Samstag Abend ſogar dafür bedankt, „dieſe
Herren als Kollegen anzuſehen“.
In dem Gefühl der Unhaltbarkeit ihrer Auf-
faſſung und Auslegung der Vorgänge hat der Berliner
Vertreter eines führenden Zentrumsblattes in der Ver-
ſammlung der Reichstagsjournaliſten die Behauptung auf-
geſtellt, ſeit dem 13. Dezember 1906 begrüße die Tribüne
überhaupt die Zentrumsredner mit Unruhe und Zwiſchen-
rufen. Nur ſeltſam, daß ſich bis zum März 1908 kein Zen-
trumsredner und kein Zentrumsblatt darüber beſchwert
hat. Die Herren ſind doch ſonſt nicht ſo zurückhaltend. Auf
der Journaliſtentribüne des Reichstags geht es aller-
dings nicht wie in einem Konzertſaal zu: Schon die ſtändige
Londoner Brief.
Nationale Gewiſſensbiſſe. — Shakeſpeare-Denkmal oder
Shakeſpeare-Theater? — Geben und Nehmen.
London, 19. März.
Von Zeit zu Zeit, in Perioden, deren Rhythmus noch
nicht genau ermittelt iſt, wird eine größere Anzahl Lon-
doner von Gewiſſensbiſſen darüber gepackt, daß die Haupt-
ſtadt des britiſchen Weltreichs eines würdigen, ja, eines
anſtändigen Denkmals für den größten Sohn des engliſchen
Volkstums immer noch entbehrt. Dieſer Seelenzuſtand der
Zerknirſchung iſt jetzt wieder einmal eingetreten und iſt
durchaus in der Ordnung. Das einzige Schakeſpeare-
Monument, zu dem London ſich bisher aufgeſchwungen hat,
ſteht auf dem Leiceſter Square, zwiſchen den beiden ton-
angebenden Tingeltangeln, dem Empire und der Alhambra.
Die Stätte ſelbſt iſt für ein Poetendenkmal nicht einmal ſo
übel. Der Platz gehörte ehedem zu dem vornehmſten
Quartier der Stadt. Hier haben einſt Dryden, Hogarth,
Newton und Reynolds gewohnt und an die unmittelbar
benachbarten Häuſer knüpfen ſich Erinnerungen an Thad-
däus Kosziusko und an Byrons Gräfin Giuccioli. Seither
hat Leiceſter Square ſich freilich nicht nur zum Zentrum
des Londoner Theaterviertels gemauſert, ſondern auch zum
Mittelpunkt des öffentlichen Liebesmarktes. Selbſt das
macht ihn zum Denkmalsplatz für einen Dichter nicht ohne
weiteres ungeeignet. Hier, wo ſich des Abends im nebel-
gedämpften Lichterglanz das Weltſtadtweben ſo eigentüm-
lich eindrucksvoll entfaltet, könnte ich mir einen engliſchen
Paul Verlaine, falls es einen gäbe, ſehr wohl verewigt
denken. William Shakeſpeare aber, der Allumfaſſer, gehört
nicht an dieſen Ort und zu ſeiner olympiſchen Höhe bildet
die moderne Großſtadtromantik keine pikante Folie, ſondern
nur einen niedrigen Kontraſt. Ueberdies iſt die Statue
ſelbſt, eine Verlegenheitsarbeit des italieniſchen Bild-
hauers Fontana, das Anſchauen nicht wert. Sie iſt denn
auch die dreißig Jahre ihrer marmornen Exiſtenz über von
den Londonern ſelbſt unausgeſetzt beſpöttelt worden.
Augenblicklich wird wieder einmal ein Anlauf dazu ge-
nommen, von dieſem billigen Spott zu der koſtſpieligen
Verwirklichung des oft gehegten Traumgedankens eines
angemeſſenen Shakeſpeare-Monuments für London fort-
zuſchreiten, angemeſſen der Größe des Urbildes, wie dem
Reichtum der Stadt. JIh möchte jedoch wetten, er wird
nicht weiter führen als die früheren.
Die neuen Adoptivväter des alten Gedankens wollen
ſich nicht mit einem Nationaldenkmal für den „immortal
bard“ begnügen, ſondern haben dieſem einen monumen-
talen Welttribut zugedacht, der in acht Jahren, bei der
dreihundertſten Wiederkehr des Shakeſpeareſchen Todes-
tages, enthüllt werden ſoll. Es iſt deshalb von vornherein
entſchieden mißlich, daß ſich unter ihnen kein einziger
Träger eines Namens von Weltruf, ja, kaum einer eines
ſolchen befindet, der außerhalb des Inſelreichs allgemein
bekannt wäre. Am geläufigſten dürfte der außerengliſchen
Menſchheit noch der des verſpäteten Präraffaeliten und
angeblichen Erfinders des Serpentinentanzes, Walter
Crane, ſein. Sonſt ſucht man darunter vergeblich
zum Beiſpiel nach einem Dichter, einem Maler,
einem Bildhauer, einem Schauſpieler oder auch nur nach
einem Shakeſpeare-Forſcher erſten Ranges. Der national-
repräſentative Charakter des Denkmalsausſchuſſes erſcheint
alſo ſehr fragwürdig, der Tribut, zu dem er die Shake-
ſpeare-Gemeinde der übrigen Welt einladet, um ſo an-
ſpruchsvoller. Er ſoll der Hauptſache nach in einer mäch-
tigen Denkmalsanlage beſtehen, die in einer Längsaus-
dehnung von annähernd vierzig Metern außer der Geſtalt
des Dichters ſelbſt Figurengruppen aus ſeinen Schöpfungen
enthalten und am ſüdlichen Zipfel des Regents Park, ober-
halb Oxford Circus, aufgeſtellt werden ſoll. Der Platz liegt
etwas abſeits vom Wege, bietet aber in der breiten Avenue
von Portland Place eine wirkungsvolle Perſpektive. Bisher
kam dieſe einer Statue des Herzogs von Kent zugute. König
Eduard, der dem ganzen Projekt wohlwollend gegenüber-
ſteht, hat jedoch bereits ſeine Einwilligung dazu erteilt, das
Standbild ſeines Großvaters anderswo unterzubringen.
Die auf vier Millionen Mark veranſchlagten Koſten der
Anlage ſollen durch internationale Sammlung aufgebracht
werden. Der künſtleriſche Wettbewerb bleibt dagegen auf
England und ſeine Tochterſtaaten, ſowie Amerika be-
ſchränkt. An der Spitze des Ausſchuſſes, dem die Auswahl
des beſten Entwurfes obliegt, ſteht höchſt befremdlicherweiſe
ein Mann, der weder auf irgend einem künſtleriſchen Gebiet
auch nur das Geringſte geleiſtet hat, noch eine beſonders
hohe oder angeſehene geſellſchaftliche Stellung einnimmt,
es dafür allerdings auf dem untergeordneten Poſten eines
Vizeſchloßhauptmannes letzthin zu einer eigenartigen poli-
tiſchen Berühmtheit gebracht hat: Lord Eſher.
Man kann mit Friedrich Theodor Viſcher in William
Shakeſpeare vor allem einen politiſchen Dichter bewundern,
kann ferner anerkennen, daß es gänzlich Sache der Eng-
länder iſt, ob ſie die Entſcheidung über die endgültige
künſtleriſche Form der ſpäten monumentalen Ehrung ihres
Weltdichters wirklich einem marinepolitiſierenden Vize-
ſchloßhauptmann überlaſſen wollen, und wird es trotzdem
den deutſchen Shakeſpeare-Verehrern nicht verdenken
dürfen, wenn ſie ſich mit Beiträgen für ein unter ſolcher
Aegide zu etablierendes Denkmal nicht gerade überſtürzen.
Ueberhaupt muß es auf das Ausland ganz allgemein ent-
mutigend wirken, daß die Großmut; die ihnen ſo zuvor-
kommend eine unbegrenzte Teilnahme an dem finanziellen
Zuſammenwirken einräumt, ſich nicht auf die Zulaſſung
zum künſtleriſchen Wettbewerb erſtreckt. Die Briten tun
ſich auf ihre überlegene Zahlungsfähigkeit nicht wenig
zugute und ſtellen doch keinen ihrer einheimiſchen Bild-
hauer einem Rodin ernſtlich an die Seite; ſie erkennen außer-
dem rückhaltslos an, daß ihr größter Dichter auf deutſchen
Bühnen ungleich heimiſcher iſt als auf ihren eigenen und
wiſſen ſehr wohl, wie viel er ſtofflich den italienſchen
Novelliſten verdankt. Folgerichtig hätten ſie ſagen ſollen:
„Die Koſten tragen natürlich wir, kommt einem von euch
da draußen aber eine geniale Denkmalsidee, ſo nehmen
wir ſie an.“ Statt deſſen erklären ſie: „Ihr Habenichtſe
dürft zwar für unſer Denkmal nach Belieben mitbezahlen,
aber das Geld ſelbſt für den Entwurf bleibt ſozuſagen in
der Familie.“ Wer lacht da nicht? Zwar wird bereits
verkündet, die venezianiſche Stadtgemeinde habe ſich als-
bald um die Ehre beworben, ihren Obolus auf dem Lon-
doner Altar für den Schöpfer des Kaufmanns und des
Mohren von Venedig opfern zu dürfen. Aber das ſieht
verdächtig nach Köder aus und die Ausſichten auf das je-
malige Zuſtandekommen dieſes Londoner Shakeſpeare-
Denkmals auf Allerweltskoſten ſind auch ſonſt ungemein
unſicher, trotz der mittelbaren königlichen Protektion.
Schon vor etwas mehr als achtzig Jahren hat ein
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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