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Allgemeine Zeitung, Nr. 138, 24. März 1908.

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Dienstag. 24. März 1908. München. Vorabendblatt. -- Nr. 138.
Allgemeine Zeitung.
Erscheint täglich 2mal. -- Einhundertelfter Jahrgang.

Bezugspreis: Ausgabe B mit Wissenschaftlicher Beilage und Internationaler Wochenschrift in
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Beilage) in München 1. -- Mark, durch die Post bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für
München: Expedition Bayerstraße 57, deren Filialen und sämtliche Zeitungs-Expeditionen; für
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in Paris; das übrige Europa: die Postämter; Orient: das k. k. Postamt in Wien oder in Triest; Nord-
amerika: F. W. Christern. E. Steiger & Co., Gust. E. Stechert. Westermann & Co., sämtlich in New York.

[Abbildung]

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40 Pfennig, im Abendblatt 30 Pfennig, Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Gesuche 10 Pfennig.
Inseraten-Annahme in München: Expedition Bayerstraße 57, die Filialen der Allgemeinen
Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. -- Generalvertretungen: für Oesterreich-Ungarn
in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co.,
31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co.,
1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau.
Mjasnitzkaja Haus Systow, St. Petersburg. Morskaja 11; Warschau: Kral-Vorstadt 53.

Chefredakteur: Dr. Hermann Diez.
Verantwortlich: für den politischen Teil mit Ausnahme der bayerischen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayerischen Teil Dr. Paul Busching; für das Feuilleton und den "Sonntag" Alfred Frhr. v. Mensi;
für die Wissenschaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, sämtlich in München.

Redaktion: Bayerstraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayerische Druckerei & Verlagsanstalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerstraße 57. Telephon 8430, 8431.



[Spaltenumbruch]
Das Neueste vom Tage.

Bei der Neuwahl im Landtagswahlkreise Erding wurde der offi-
zielle Kandidat des Zentrums, Herr Hupfer, mit sehr großer
Mehrheit gewählt.



Der Bureauvorstand der Kammer der Abgeordneten, Regierungs-
direktor v. Dobner, ist gestorben.



Der frühere preußische Landwirtschaftsminister v. Podbielski
hat eine Kandidatur für das preußische Ab-
geordnetenhaus
angenommen.

Zwischen dem Abgeordneten Gröber und der Dreier-
Kommission der Pressevertreter
des Reichstags
haben am Sonntag Verhandlungen stattgefunden, die erwarten
lassen, daß den beleidigten Journalisten volle Genug-
tuung
wird.



Der Wiener akademische Senat
zum Fall Wahrmund.

Der Kampf der Geister fordert Opfer wie jeder an-
dere, aber er entbindet auch wohltätige Kräfte. Das zeigt
sich auch in der Erklärung des Wiener akademischen Senats
anläßlich des Falles Wahrmund. Die Wiener Hochschule
hat niemals gefehlt, wenn es sich um die Verteidigung
geistiger Freiheit handelte; ihre letzte Kundgebung ist aber
durch ihre imponierende Ruhe und Festigkeit, mit der sie
den Angriff vornehmlich auf die Unabhängigkeit der Pro-
fessoren des Kirchenrechts abwehrt, besonders bemerkens-
wert. Sie läßt, was die Freiheit der Forschung und der
Lehre betrifft, auch für dieses Fach keine Ausnahme zu und
begründet dies mit unwiderleglichen Argumenten. Der
Bericht über die betreffende Sitzung des akademischen Se-
nats lautet:

In seiner letzten Sitzung des abgelaufenen Wintersemesters
hat sich auch der akademische Senat der Wiener Universität mit
der Frage beschäftigt, ob ein Professor des Kirchen-
rechtes
an einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät
seines Lehrauftrages für dieses Fach verlustig
erklärt
werden könne, wenn er mit den Lehren der
katholischen Kirche
in Widerspruch gerät, und ob
es zulässig sei, daß die Kontrolle über die Uebereinstimmung
seiner Lehren mit denen der Kirche dieser zustehe.
Der Senat hat es abgelehnt, sich mit der Frage in der
Richtung zu beschäftigen, als eine Einmengung in die Verwal-
tungstätigkeit des Staates von seiten eines auswärtigen Ver-
treters vorliegt und somit das Gebiet der auswärtigen Be-
ziehungen des Staates berührt wird. Um so mehr hatte er sich
jedoch mit der Frage zu befassen, ob die Anerkennung jener vom
päpstlichen Vertreter beanspruchten Rechte in Widerspruch stünde
mit den Grundlagen der Universitäten, welche
durch das Gesetz gesichert sind. Sowohl durch die Staats-
grundgesetze wie durch das Gesetz vom 7. Mai 1874 und vom
27. April 1873, in dessen ersten Artikel das Konkordat seinem
vollen Inhalt nach aufgehoben wurde, ferner durch die
allerhöchste Entschließung vom 11. April 1872 sind die welt-
lichen Fakultäten jedem kirchlichen oder
konfessionellen Einfluß entrückt
. Von diesen
die Freiheit der Wissenschaft und ihre Lehre garantierenden
Gesetzen gibt es keine Ausnahmen. Auch das Kirchen-
recht
, wie es an den juristischen Fakultäten gelehrt wird, ist
daher nicht eine katholische Wissenschaft, son-
dern eine Wissenschaft, welche die Geschichte und Dogmatik
des Rechtes der Kirchen überhaupt sowie ihre innere Verfassung
und die Stellung des Staates zu ihnen zu lehren hat. Je
nachdem die Kirche, deren Recht dargestellt wird, die katholische,
die orientalische oder eine protestantische ist, wird durch die
besondere Natur der einzelnen Kirchen zwar das Objekt,
nicht aber die wissenschaftliche Behandlung
modifiziert
. Um wissenschaftlich klarzustellen, wie
die Rechtssätze der Kirchen aus ihren Glaubenssätzen ent-
springen, ist es nicht notwendig, daß der Darstellende
diese Glaubenssätze selbst anerkennt, weshalb es auch
in einzelnen Staaten, wie in Deutschland, vorkommt, daß ein
und dieselbe Person katholisches und protestantisches Kirchen-
recht vorträgt. Es war daher niemals die Pflege des Kirchen-
rechtes auf Katholiken beschränkt und glänzende Darstellungen
des katholischen Kirchenrechtes sind auch von Protestanten
(Sohm, Hinschius, Stutz) ausgegangen.
Würden gegenteilige Ansprüche anerkannt werden, so würde
dies zugleich die Anerkennung jenes Gesichtspunktes be-
deuten, von dem die Normen des Konkordats ausgingen, daß
jede Lehre auf ihre Uebereinstimmung mit den religiösen Lehren
geprüft werden müßte, denn es gibt kein Gebiet des menschlichen
Wissens, in das nicht religiöse Lehren hineinspielen und Anlaß
geben können zu bestimmten Forderungen. Der Senat spricht
nur aus, was in den Grundgesetzen unseres Staates gewähr-
leistet ist, wenn er betont, daß nur dem Staate die
Aufsicht über die Universitäten innerhalb
der gesetzlichen Schranken zusteht
, und er zweifelt
nicht, daß die Leitung des Ministeriums diese Auffassung teilt.
Da aber der Versuch, die Staatsverwaltung von ihrem durch die
Gesetze vorgeschriebenen Wege abzudrängen, von so einfluß-
reicher Seite unternommen und von einer Minorität der öffent-
lichen Meinung beifällig begrüßt wurde, ist nicht ausgeschlossen,
daß auf besser gewähltem Wege die Bestrebungen sich wieder-
holen werden, kirchlichen Einflüssen in der Verwaltung des Uni-
versitätswesens Geltung zu verschaffen. Bestrebungen dieser Art,
[Spaltenumbruch] wie immer sie sich geltend machen mögen, unbeugsamen
Widerstand entgegen zustellen
, ist eine durch das
Lebensprinzip der Wissenschaft gebotene Not-
wendigkeit.

Bei der Sitzung des akademischen Senats fehlten die
Vertreter der theologischen Fakultät, da sie dem Nuntius
nicht direkt entgegentreten wollten. So war ihre Absen-
tierung den Verhältnissen angemessen. Uebrigens
wehen betreffs des päpstlichen Gesandten wieder mil-
dere Lüfte. Seine Niederlage ist offensichtlich; man
möchte die Sache aber nicht auf die Spitze treiben
und die Regierungsorgane wollen, falls er seine
Polemik gegen das Ministerium nicht fortsetzt, die
Sache fallen lassen. Fast könnte man sagen, daß es um die
Sache der freien Forschung in Oesterreich besser bestellt ist,
wenn in Wien ein Nuntius residiert, der sich selbst die
eigene Autorität untergraben hat. Auch sonst ist die Re-
gierung bemüht, beschwichtigend zu wirken. Das soll in der
Weise geschehen, daß, wie Ihrem Berichterstatter mitge-
teilt wird, Professor Wahrmund zunächst einen
Urlaub nimmt, um dann wieder auf seinen
Posten in Innsbruck zurückzukehren
. Das
juristische Professorenkollegium in Innsbruck hat dieser
Lösung bereits den Weg gebahnt, indem es Dr. Wahrmund
nahe legte, angesichts der unmittelbar bevorstehenden Oster-
ferien seine Vorlesungen zu sistieren, damit nicht ein Zu-
sammenstoß der fortschrittlichen und der klerikalen Studen-
ten die Ruhe der Hochschule störe. Uebrigens hat Professor
Wahrmund selbst das Wort genommen, um die nicht zu-
treffende Meldung von seiner jüdischen Abstammung rich-
tigzustellen. Seine Mitteilung an das Tiroler Tagblatt
besagt:

Von väterlicher Seite aus stammt meine Familie aus Wies-
baden. Die Stellung meines Vaters, Professors Dr. Adolf Wahr-
mund, ist bekannt. Mein Großvater war Protestant,
Bürger und kleiner Grundbesitzer in Wiesbaden; mein Urgroß-
vater
, ebenfalls Protestant, soll Zimmermann, gleichfalls in
Wiesbaden, gewesen sein. Mütterlicherseits ist meine Familie
teils wienerischen, teils italienischen Ursprungs. Meine Mutter
ist Katholikin und die Tochter eines Oberkriegskommissars,
der seinerzeit in Peterwardein stationiert war. Meine Großmutter
war eine Reichsfreiin v. Albergotti und stammte aus einem ur-
alten italienischen Adelsgeschlecht.

Da es zudem feststeht, daß Professor Wahrmund nicht,
wie von klerikaler Seite behauptet worden ist, sein Lehr-
amt der Protektion der ultramontanen Partei verdankt,
sondern wegen seiner freisinnigen Auffassung seit zehn
Jahren häufig übergangen wurde, so ist der Fall auch nach
der persönlichen Seite aufgeklärt, und es ist einleuchtend,
daß der Innsbrucker Professor in seinem Kampfe gegen die
ultramontane Weltanschauung bloß von innerster Ueber-
zeugung und zugleich von religiösen Motiven getragen ist.

Zur Frage der Kirchenrechtsprofessuren

wird uns von katholischer Seite noch geschrieben: "Der
Nuntius behauptet, nur ein Katholik könne katholisches
Kirchenrecht lehren. Dieser Behauptung widerspricht zu-
nächst die Tatsache, daß das zweifellos beste, heute noch un-
übertroffene Werk über katholisches Kirchenrecht von dem
protestantischen Kirchenrechtslehrer Hinschius verfaßt ist.
An den deutschen Universitäten wird katholisches und pro-
testantisches Kirchenrecht nicht getrennt, sondern von dem
einen juristischen Vertreter für beide Fächer gelesen, der
verfassungsrechtlich weder Katholik noch Protestant zu sein
braucht. In München trägt Prof. Stengel, in Würzburg
Prof. Meurer, in Wien Prof. Scherer katholisches und pro-
testantisches Kirchenrecht vor, und doch mußte, nach dem
Grundsatze der Wiener Nuntiatur, für jede Konfession ein
gläubiger Jurist dieser Kirchengemeinschaft bestimmt wer-
den. Man braucht nur die Konsequenzen zu ziehen, um die
unheilvollen Folgen solcher Forderungen zu erkennen; sie
rütteln an den Grundfesten des paritätischen Staates.
Wie sollte dann auch einem protestantischen oder ungläubi-
gen Gelehrten eine rein systematische, objektive Darlegung
des geltenden Rechtes unmöglich sein? Freilich die Kirche
erkennt nur, der Notwendigkeit gehorchend, das staatskirch-
liche System an. Die alten Rechtsforderungen bestehen
fort, sie sind nur latent, d. h. können mißlicher Verhältnisse
wegen nicht ausgeübt werden, wie z. B. die Ketzerverbren-
nung. Doch selbst wenn ein Katholik auf dem Katheder
für kirchliches Recht säße, er dürfte nicht rütteln an den
Grundlagen der Verfassung, deren Hauptpfeiler Parität
und Gewissensfreiheit sind. So protestiert der Nuntius am
Wiener Hofe zugleich gegen die Staatsverfassung wie gegen
die Wissenschaft, der er die Fähigkeit, objektiv das Recht
festzustellen, abspricht. Ein Staat, der solchen Ansprüchen
Rechnung trägt, verleugnet sich selbst und arbeitet an
seinem Untergang.

Der Hochschulausschuß der
deutschfreiheitlichen Studentenschaft an der
hiesigen Universität hielt gestern abend eine Sitzung ab, bei
der folgende Resolution beschlossen wurde: Die deutschfrei-
heitliche Studentenschaft Innsbruck verwahrt sich auf das ent-
schiedenste gegen die Angriffe, welche von klerikaler Seite gegen
Professor Dr. Wahrmund erhoben wurden. Sie erblickt darin
[Spaltenumbruch] einen neuerlichen Versuch der Klerikalen, die Lehr- und Geistes-
freiheit zu unterdrücken, um die Hochschulen zu erobern. Sie
verwahrt sich ferner auf das schärfste gegen die anmaßende Ein-
mischung des päpstlichen Nuntius in Angelegenheiten des Staates.
Die deutschfreiheitliche Studentenschaft bedauert aber auch die
lässige Haltung der deutschfreiheitlichen Abgeordneten, welchen
der Neunerausschuß über alles zu gehen scheint. Sie vermag in
der ganzen Wahrmund-Angelegenheit nicht "nur eine simple,
tirolische Angelegenheit" zu erblicken, sondern eine für das ganze
Geistesleben Oesterreichs ausschlaggebende. Sie lehnt jede Ver-
antwortung für die auf Universitätsboden entstehenden Folgen
ab und muß sie denen zu tragen überlassen, welche diesen Streit
in voller Absicht heraufbeschworen haben." -- Heute abend findet
hier eine vom Deutschen Wählerverein für Tirol einberufene
öffentliche Versammlung statt, in welcher die Ange-
legenheit Wahrmund erörtert werden wird. Als Redner ist
Reichsratsabgeordneter Malik angemeldet. -- An Professor
Wahrmund
laufen täglich Hunderte von Zustimmungs-
telegrammen
und Schreiben ein. Natürlich ist auch die
Zahl der einlaufenden Schmäh- und Drohbriefe, die fast
sämtlich tirolischen Poststempel zeigen, nicht gering. -- Samstag
veranstaltet die hiesige Ortsgruppe des Vereins "Freie
Schule
" eine große Kundgebung gegen den Ultramontanismus.

Politische Rundschau.
Der Detailhandel und die neuesten sozialpolitischen
Vorschläge.

* Gegenüber den Beschlüssen der Reichstagskommission
zu § 63 des Handelsgesetzbuches macht sich im Handel und
insbesondere im Detailhandel eine starke Gereiztheit gel-
tend, man macht darauf aufmerksam, daß in ihrem sozial-
politischen Uebereifer die Kommission die Rücksicht auf die
Klein- und Mittelkaufleute durchaus vernachlässigt habe
und man ist recht unwillig darüber, daß die zahlreichen
Eingaben der Detaillistenverbände eine gründliche Prüfung
nicht gefunden haben. Nicht minderen Unwillen haben
aber die Vorschläge des Reichsamts des Innern über die
Erweiterung und Verschärfung der Sonntagsruhe hervor-
gerufen, deren Durchführung allerdings zahlreiche kauf-
männische Existenzen schwer treffen würden. Auch die er-
neut im Reichstage hervorgetretenen Bestrebungen nach
Beseitigung oder doch wesentlicher Beschränkung der Kon-
kurrenzklausel stoßen auf starken Widerstand auf seiten des
Handels. Man sollte seitens der politischen Parteien und
insbesondere seitens der verbündeten Regierungen diese
Stimmung der Kaufmannschaft nicht unterschätzen. Der
sozialpolitische Uebereifer, der heute herrscht, bedroht die
Interessen der Mittel- und Kleinkaufmannschaft allerdings
in empfindlicher Weise, und man kann es verstehen, wenn
sich dieselbe gegen die Bestrebungen der Gehilfenschaft zur
Wehr setzt. Uebrigens werden auch aus juristischen Kreisen
neuestens ernste Bedenken gegen den sozialpolitischen
Uebereifer geltend gemacht, der in den Beschlüssen der
Reichstagskommission zu § 63 des Handelsgesetzbuches und
in den Bestrebungen zur Beseitigung der Konkurrenzklausel
zum Ausdruck kommt, die Aufsätze, welche kürzlich in der
Deutschen Juristenzeitung und in dem Recht Oberlandes-
gerichtsrat Neukamp-Köln und Justizrat Dr. Fuld-Mainz
veröffentlicht, sind ein Beweis hierfür.

Einen originellen Steuergedanken

behandelt der konservative Reichstagsabgeordnete v. Gers-
dorff
in der Deutschen Tageszeitung: "Wenn man den von
Jahr zu Jahr steigenden Verkehr in den Restaurants beobachtet,
so kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, den Konsum
in den Restaurants
, der mit dem steigenden Verkehr
gleichmäßig gewachsen und in ganz Deutschland einen enormen
Wert repräsentieren muß, zu einer Steuer heranzuziehen. Die
Restaurationsinhaber brauchen bei diesem Vorschlag nicht in Ent-
rüstung zu geraten; ich will nicht sie mit der Steuer belasten.,
sondern die Konsumenten. Ich denke mir die Steuer als
eine Quittungssteuer. Jeder Inhaber einer Restauration
müßte gesetzlich gehalten sein, von der Steuerbehörde steueramt-
lich abgestempelte Quittungsformulare, am zweckmäßigsten in
Blockform, zu erwerben, und nur gegen solche Speisen, Getränke
usw. zu verabfolgen. Der Verbrauch bis zu 1.50 Mark
müßte von der Steuer frei bleiben, der von 1.50 bis 5.00 Mark
wäre mit 0.10 Mark, der von 5.00 bis 10.00 Mark mit 0.50 Mark,
über 10.00 Mark mit 1.00 Mark zu besteuern. Eine Einteilung
in eine größere Anzahl von Steuerklassen, die zwar auf den ersten
Blick gerecht erscheint, dürfte sich nicht empfehlen, um nicht die
Möglichkeit einer Steuerdefraudation zu erleichtern.
Letztere ist nicht in dem Maße zu befürchten, wie wohl angenom-
men werden könnte, da ihr einmal durch Strafbestimmung event.
Konzessionsentziehung entgegengetreten werden könnte,
andrerseits der Anreiz zu einer Umgehung der Steuer dadurch
sehr gering ist, daß die niedrigste Stufe nur mit 0.10 Mark vor-
geschlagen wird und sich wohl kaum jemand, wenn er für 3 Mark
verzehrt, sträuben wird, 10 Pfennig Steuer zu bezahlen, wenn
er sich noch obendrein einer Anklage wegen Betrugs aussetzt. Und
wenn jemand für 5 Mark und darüber konsumiert, dann ist er
auch in der Lage, 0.50 Mark an das Reich abzugeben, ganz zu
schweigen von dem, der über 10 Mark auf einmal vertilgt, ver-
trinkt und verraucht und der eine Mark auf dem Altar des
Reiches opfern soll."

Der Gedanke wird hier und dort mit Heiterkeit aufgenommen
werden, aber er scheint uns in seinem Kern immerhin beachtens-
wert. Freilich, eine wirklich gerechte Ausführung dieses Ge-

Dienstag. 24. März 1908. München. Vorabendblatt. — Nr. 138.
Allgemeine Zeitung.
Erſcheint täglich 2mal. — Einhundertelfter Jahrgang.

Bezugspreis: Ausgabe B mit Wiſſenſchaftlicher Beilage und Internationaler Wochenſchrift in
München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Poſt: 2. — Mark monatlich. Ausgabe A (ohne
Beilage) in München 1. — Mark, durch die Poſt bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für
München: Expedition Bayerſtraße 57, deren Filialen und ſämtliche Zeitungs-Expeditionen; für
das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publiſhing Syndicate,
Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich, Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Klienckſieck
in Paris; das übrige Europa: die Poſtämter; Orient: das k. k. Poſtamt in Wien oder in Trieſt; Nord-
amerika: F. W. Chriſtern. E. Steiger & Co., Guſt. E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York.

[Abbildung]

Inſertionspreis: für die 7 geſpaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt
40 Pfennig, im Abendblatt 30 Pfennig, Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Geſuche 10 Pfennig.
Inſeraten-Annahme in München: Expedition Bayerſtraße 57, die Filialen der Allgemeinen
Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. — Generalvertretungen: für Oeſterreich-Ungarn
in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co.,
31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co.,
1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau.
Mjasnitzkaja Haus Syſtow, St. Petersburg. Morskaja 11; Warſchau: Kral-Vorſtadt 53.

Chefredakteur: Dr. Hermann Diez.
Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi;
für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, ſämtlich in München.

Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431.



[Spaltenumbruch]
Das Neueſte vom Tage.

Bei der Neuwahl im Landtagswahlkreiſe Erding wurde der offi-
zielle Kandidat des Zentrums, Herr Hupfer, mit ſehr großer
Mehrheit gewählt.



Der Bureauvorſtand der Kammer der Abgeordneten, Regierungs-
direktor v. Dobner, iſt geſtorben.



Der frühere preußiſche Landwirtſchaftsminiſter v. Podbielski
hat eine Kandidatur für das preußiſche Ab-
geordnetenhaus
angenommen.

Zwiſchen dem Abgeordneten Gröber und der Dreier-
Kommiſſion der Preſſevertreter
des Reichstags
haben am Sonntag Verhandlungen ſtattgefunden, die erwarten
laſſen, daß den beleidigten Journaliſten volle Genug-
tuung
wird.



Der Wiener akademiſche Senat
zum Fall Wahrmund.

Der Kampf der Geiſter fordert Opfer wie jeder an-
dere, aber er entbindet auch wohltätige Kräfte. Das zeigt
ſich auch in der Erklärung des Wiener akademiſchen Senats
anläßlich des Falles Wahrmund. Die Wiener Hochſchule
hat niemals gefehlt, wenn es ſich um die Verteidigung
geiſtiger Freiheit handelte; ihre letzte Kundgebung iſt aber
durch ihre imponierende Ruhe und Feſtigkeit, mit der ſie
den Angriff vornehmlich auf die Unabhängigkeit der Pro-
feſſoren des Kirchenrechts abwehrt, beſonders bemerkens-
wert. Sie läßt, was die Freiheit der Forſchung und der
Lehre betrifft, auch für dieſes Fach keine Ausnahme zu und
begründet dies mit unwiderleglichen Argumenten. Der
Bericht über die betreffende Sitzung des akademiſchen Se-
nats lautet:

In ſeiner letzten Sitzung des abgelaufenen Winterſemeſters
hat ſich auch der akademiſche Senat der Wiener Univerſität mit
der Frage beſchäftigt, ob ein Profeſſor des Kirchen-
rechtes
an einer rechts- und ſtaatswiſſenſchaftlichen Fakultät
ſeines Lehrauftrages für dieſes Fach verluſtig
erklärt
werden könne, wenn er mit den Lehren der
katholiſchen Kirche
in Widerſpruch gerät, und ob
es zuläſſig ſei, daß die Kontrolle über die Uebereinſtimmung
ſeiner Lehren mit denen der Kirche dieſer zuſtehe.
Der Senat hat es abgelehnt, ſich mit der Frage in der
Richtung zu beſchäftigen, als eine Einmengung in die Verwal-
tungstätigkeit des Staates von ſeiten eines auswärtigen Ver-
treters vorliegt und ſomit das Gebiet der auswärtigen Be-
ziehungen des Staates berührt wird. Um ſo mehr hatte er ſich
jedoch mit der Frage zu befaſſen, ob die Anerkennung jener vom
päpſtlichen Vertreter beanſpruchten Rechte in Widerſpruch ſtünde
mit den Grundlagen der Univerſitäten, welche
durch das Geſetz geſichert ſind. Sowohl durch die Staats-
grundgeſetze wie durch das Geſetz vom 7. Mai 1874 und vom
27. April 1873, in deſſen erſten Artikel das Konkordat ſeinem
vollen Inhalt nach aufgehoben wurde, ferner durch die
allerhöchſte Entſchließung vom 11. April 1872 ſind die welt-
lichen Fakultäten jedem kirchlichen oder
konfeſſionellen Einfluß entrückt
. Von dieſen
die Freiheit der Wiſſenſchaft und ihre Lehre garantierenden
Geſetzen gibt es keine Ausnahmen. Auch das Kirchen-
recht
, wie es an den juriſtiſchen Fakultäten gelehrt wird, iſt
daher nicht eine katholiſche Wiſſenſchaft, ſon-
dern eine Wiſſenſchaft, welche die Geſchichte und Dogmatik
des Rechtes der Kirchen überhaupt ſowie ihre innere Verfaſſung
und die Stellung des Staates zu ihnen zu lehren hat. Je
nachdem die Kirche, deren Recht dargeſtellt wird, die katholiſche,
die orientaliſche oder eine proteſtantiſche iſt, wird durch die
beſondere Natur der einzelnen Kirchen zwar das Objekt,
nicht aber die wiſſenſchaftliche Behandlung
modifiziert
. Um wiſſenſchaftlich klarzuſtellen, wie
die Rechtsſätze der Kirchen aus ihren Glaubensſätzen ent-
ſpringen, iſt es nicht notwendig, daß der Darſtellende
dieſe Glaubensſätze ſelbſt anerkennt, weshalb es auch
in einzelnen Staaten, wie in Deutſchland, vorkommt, daß ein
und dieſelbe Perſon katholiſches und proteſtantiſches Kirchen-
recht vorträgt. Es war daher niemals die Pflege des Kirchen-
rechtes auf Katholiken beſchränkt und glänzende Darſtellungen
des katholiſchen Kirchenrechtes ſind auch von Proteſtanten
(Sohm, Hinſchius, Stutz) ausgegangen.
Würden gegenteilige Anſprüche anerkannt werden, ſo würde
dies zugleich die Anerkennung jenes Geſichtspunktes be-
deuten, von dem die Normen des Konkordats ausgingen, daß
jede Lehre auf ihre Uebereinſtimmung mit den religiöſen Lehren
geprüft werden müßte, denn es gibt kein Gebiet des menſchlichen
Wiſſens, in das nicht religiöſe Lehren hineinſpielen und Anlaß
geben können zu beſtimmten Forderungen. Der Senat ſpricht
nur aus, was in den Grundgeſetzen unſeres Staates gewähr-
leiſtet iſt, wenn er betont, daß nur dem Staate die
Aufſicht über die Univerſitäten innerhalb
der geſetzlichen Schranken zuſteht
, und er zweifelt
nicht, daß die Leitung des Miniſteriums dieſe Auffaſſung teilt.
Da aber der Verſuch, die Staatsverwaltung von ihrem durch die
Geſetze vorgeſchriebenen Wege abzudrängen, von ſo einfluß-
reicher Seite unternommen und von einer Minorität der öffent-
lichen Meinung beifällig begrüßt wurde, iſt nicht ausgeſchloſſen,
daß auf beſſer gewähltem Wege die Beſtrebungen ſich wieder-
holen werden, kirchlichen Einflüſſen in der Verwaltung des Uni-
verſitätsweſens Geltung zu verſchaffen. Beſtrebungen dieſer Art,
[Spaltenumbruch] wie immer ſie ſich geltend machen mögen, unbeugſamen
Widerſtand entgegen zuſtellen
, iſt eine durch das
Lebensprinzip der Wiſſenſchaft gebotene Not-
wendigkeit.

Bei der Sitzung des akademiſchen Senats fehlten die
Vertreter der theologiſchen Fakultät, da ſie dem Nuntius
nicht direkt entgegentreten wollten. So war ihre Abſen-
tierung den Verhältniſſen angemeſſen. Uebrigens
wehen betreffs des päpſtlichen Geſandten wieder mil-
dere Lüfte. Seine Niederlage iſt offenſichtlich; man
möchte die Sache aber nicht auf die Spitze treiben
und die Regierungsorgane wollen, falls er ſeine
Polemik gegen das Miniſterium nicht fortſetzt, die
Sache fallen laſſen. Faſt könnte man ſagen, daß es um die
Sache der freien Forſchung in Oeſterreich beſſer beſtellt iſt,
wenn in Wien ein Nuntius reſidiert, der ſich ſelbſt die
eigene Autorität untergraben hat. Auch ſonſt iſt die Re-
gierung bemüht, beſchwichtigend zu wirken. Das ſoll in der
Weiſe geſchehen, daß, wie Ihrem Berichterſtatter mitge-
teilt wird, Profeſſor Wahrmund zunächſt einen
Urlaub nimmt, um dann wieder auf ſeinen
Poſten in Innsbruck zurückzukehren
. Das
juriſtiſche Profeſſorenkollegium in Innsbruck hat dieſer
Löſung bereits den Weg gebahnt, indem es Dr. Wahrmund
nahe legte, angeſichts der unmittelbar bevorſtehenden Oſter-
ferien ſeine Vorleſungen zu ſiſtieren, damit nicht ein Zu-
ſammenſtoß der fortſchrittlichen und der klerikalen Studen-
ten die Ruhe der Hochſchule ſtöre. Uebrigens hat Profeſſor
Wahrmund ſelbſt das Wort genommen, um die nicht zu-
treffende Meldung von ſeiner jüdiſchen Abſtammung rich-
tigzuſtellen. Seine Mitteilung an das Tiroler Tagblatt
beſagt:

Von väterlicher Seite aus ſtammt meine Familie aus Wies-
baden. Die Stellung meines Vaters, Profeſſors Dr. Adolf Wahr-
mund, iſt bekannt. Mein Großvater war Proteſtant,
Bürger und kleiner Grundbeſitzer in Wiesbaden; mein Urgroß-
vater
, ebenfalls Proteſtant, ſoll Zimmermann, gleichfalls in
Wiesbaden, geweſen ſein. Mütterlicherſeits iſt meine Familie
teils wieneriſchen, teils italieniſchen Urſprungs. Meine Mutter
iſt Katholikin und die Tochter eines Oberkriegskommiſſars,
der ſeinerzeit in Peterwardein ſtationiert war. Meine Großmutter
war eine Reichsfreiin v. Albergotti und ſtammte aus einem ur-
alten italieniſchen Adelsgeſchlecht.

Da es zudem feſtſteht, daß Profeſſor Wahrmund nicht,
wie von klerikaler Seite behauptet worden iſt, ſein Lehr-
amt der Protektion der ultramontanen Partei verdankt,
ſondern wegen ſeiner freiſinnigen Auffaſſung ſeit zehn
Jahren häufig übergangen wurde, ſo iſt der Fall auch nach
der perſönlichen Seite aufgeklärt, und es iſt einleuchtend,
daß der Innsbrucker Profeſſor in ſeinem Kampfe gegen die
ultramontane Weltanſchauung bloß von innerſter Ueber-
zeugung und zugleich von religiöſen Motiven getragen iſt.

Zur Frage der Kirchenrechtsprofeſſuren

wird uns von katholiſcher Seite noch geſchrieben: „Der
Nuntius behauptet, nur ein Katholik könne katholiſches
Kirchenrecht lehren. Dieſer Behauptung widerſpricht zu-
nächſt die Tatſache, daß das zweifellos beſte, heute noch un-
übertroffene Werk über katholiſches Kirchenrecht von dem
proteſtantiſchen Kirchenrechtslehrer Hinſchius verfaßt iſt.
An den deutſchen Univerſitäten wird katholiſches und pro-
teſtantiſches Kirchenrecht nicht getrennt, ſondern von dem
einen juriſtiſchen Vertreter für beide Fächer geleſen, der
verfaſſungsrechtlich weder Katholik noch Proteſtant zu ſein
braucht. In München trägt Prof. Stengel, in Würzburg
Prof. Meurer, in Wien Prof. Scherer katholiſches und pro-
teſtantiſches Kirchenrecht vor, und doch mußte, nach dem
Grundſatze der Wiener Nuntiatur, für jede Konfeſſion ein
gläubiger Juriſt dieſer Kirchengemeinſchaft beſtimmt wer-
den. Man braucht nur die Konſequenzen zu ziehen, um die
unheilvollen Folgen ſolcher Forderungen zu erkennen; ſie
rütteln an den Grundfeſten des paritätiſchen Staates.
Wie ſollte dann auch einem proteſtantiſchen oder ungläubi-
gen Gelehrten eine rein ſyſtematiſche, objektive Darlegung
des geltenden Rechtes unmöglich ſein? Freilich die Kirche
erkennt nur, der Notwendigkeit gehorchend, das ſtaatskirch-
liche Syſtem an. Die alten Rechtsforderungen beſtehen
fort, ſie ſind nur latent, d. h. können mißlicher Verhältniſſe
wegen nicht ausgeübt werden, wie z. B. die Ketzerverbren-
nung. Doch ſelbſt wenn ein Katholik auf dem Katheder
für kirchliches Recht ſäße, er dürfte nicht rütteln an den
Grundlagen der Verfaſſung, deren Hauptpfeiler Parität
und Gewiſſensfreiheit ſind. So proteſtiert der Nuntius am
Wiener Hofe zugleich gegen die Staatsverfaſſung wie gegen
die Wiſſenſchaft, der er die Fähigkeit, objektiv das Recht
feſtzuſtellen, abſpricht. Ein Staat, der ſolchen Anſprüchen
Rechnung trägt, verleugnet ſich ſelbſt und arbeitet an
ſeinem Untergang.

Der Hochſchulausſchuß der
deutſchfreiheitlichen Studentenſchaft an der
hieſigen Univerſität hielt geſtern abend eine Sitzung ab, bei
der folgende Reſolution beſchloſſen wurde: Die deutſchfrei-
heitliche Studentenſchaft Innsbruck verwahrt ſich auf das ent-
ſchiedenſte gegen die Angriffe, welche von klerikaler Seite gegen
Profeſſor Dr. Wahrmund erhoben wurden. Sie erblickt darin
[Spaltenumbruch] einen neuerlichen Verſuch der Klerikalen, die Lehr- und Geiſtes-
freiheit zu unterdrücken, um die Hochſchulen zu erobern. Sie
verwahrt ſich ferner auf das ſchärfſte gegen die anmaßende Ein-
miſchung des päpſtlichen Nuntius in Angelegenheiten des Staates.
Die deutſchfreiheitliche Studentenſchaft bedauert aber auch die
läſſige Haltung der deutſchfreiheitlichen Abgeordneten, welchen
der Neunerausſchuß über alles zu gehen ſcheint. Sie vermag in
der ganzen Wahrmund-Angelegenheit nicht „nur eine ſimple,
tiroliſche Angelegenheit“ zu erblicken, ſondern eine für das ganze
Geiſtesleben Oeſterreichs ausſchlaggebende. Sie lehnt jede Ver-
antwortung für die auf Univerſitätsboden entſtehenden Folgen
ab und muß ſie denen zu tragen überlaſſen, welche dieſen Streit
in voller Abſicht heraufbeſchworen haben.“ — Heute abend findet
hier eine vom Deutſchen Wählerverein für Tirol einberufene
öffentliche Verſammlung ſtatt, in welcher die Ange-
legenheit Wahrmund erörtert werden wird. Als Redner iſt
Reichsratsabgeordneter Malik angemeldet. — An Profeſſor
Wahrmund
laufen täglich Hunderte von Zuſtimmungs-
telegrammen
und Schreiben ein. Natürlich iſt auch die
Zahl der einlaufenden Schmäh- und Drohbriefe, die faſt
ſämtlich tiroliſchen Poſtſtempel zeigen, nicht gering. — Samstag
veranſtaltet die hieſige Ortsgruppe des Vereins „Freie
Schule
“ eine große Kundgebung gegen den Ultramontanismus.

Politiſche Rundſchau.
Der Detailhandel und die neueſten ſozialpolitiſchen
Vorſchläge.

* Gegenüber den Beſchlüſſen der Reichstagskommiſſion
zu § 63 des Handelsgeſetzbuches macht ſich im Handel und
insbeſondere im Detailhandel eine ſtarke Gereiztheit gel-
tend, man macht darauf aufmerkſam, daß in ihrem ſozial-
politiſchen Uebereifer die Kommiſſion die Rückſicht auf die
Klein- und Mittelkaufleute durchaus vernachläſſigt habe
und man iſt recht unwillig darüber, daß die zahlreichen
Eingaben der Detailliſtenverbände eine gründliche Prüfung
nicht gefunden haben. Nicht minderen Unwillen haben
aber die Vorſchläge des Reichsamts des Innern über die
Erweiterung und Verſchärfung der Sonntagsruhe hervor-
gerufen, deren Durchführung allerdings zahlreiche kauf-
männiſche Exiſtenzen ſchwer treffen würden. Auch die er-
neut im Reichstage hervorgetretenen Beſtrebungen nach
Beſeitigung oder doch weſentlicher Beſchränkung der Kon-
kurrenzklauſel ſtoßen auf ſtarken Widerſtand auf ſeiten des
Handels. Man ſollte ſeitens der politiſchen Parteien und
insbeſondere ſeitens der verbündeten Regierungen dieſe
Stimmung der Kaufmannſchaft nicht unterſchätzen. Der
ſozialpolitiſche Uebereifer, der heute herrſcht, bedroht die
Intereſſen der Mittel- und Kleinkaufmannſchaft allerdings
in empfindlicher Weiſe, und man kann es verſtehen, wenn
ſich dieſelbe gegen die Beſtrebungen der Gehilfenſchaft zur
Wehr ſetzt. Uebrigens werden auch aus juriſtiſchen Kreiſen
neueſtens ernſte Bedenken gegen den ſozialpolitiſchen
Uebereifer geltend gemacht, der in den Beſchlüſſen der
Reichstagskommiſſion zu § 63 des Handelsgeſetzbuches und
in den Beſtrebungen zur Beſeitigung der Konkurrenzklauſel
zum Ausdruck kommt, die Aufſätze, welche kürzlich in der
Deutſchen Juriſtenzeitung und in dem Recht Oberlandes-
gerichtsrat Neukamp-Köln und Juſtizrat Dr. Fuld-Mainz
veröffentlicht, ſind ein Beweis hierfür.

Einen originellen Steuergedanken

behandelt der konſervative Reichstagsabgeordnete v. Gers-
dorff
in der Deutſchen Tageszeitung: „Wenn man den von
Jahr zu Jahr ſteigenden Verkehr in den Reſtaurants beobachtet,
ſo kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, den Konſum
in den Reſtaurants
, der mit dem ſteigenden Verkehr
gleichmäßig gewachſen und in ganz Deutſchland einen enormen
Wert repräſentieren muß, zu einer Steuer heranzuziehen. Die
Reſtaurationsinhaber brauchen bei dieſem Vorſchlag nicht in Ent-
rüſtung zu geraten; ich will nicht ſie mit der Steuer belaſten.,
ſondern die Konſumenten. Ich denke mir die Steuer als
eine Quittungsſteuer. Jeder Inhaber einer Reſtauration
müßte geſetzlich gehalten ſein, von der Steuerbehörde ſteueramt-
lich abgeſtempelte Quittungsformulare, am zweckmäßigſten in
Blockform, zu erwerben, und nur gegen ſolche Speiſen, Getränke
uſw. zu verabfolgen. Der Verbrauch bis zu 1.50 Mark
müßte von der Steuer frei bleiben, der von 1.50 bis 5.00 Mark
wäre mit 0.10 Mark, der von 5.00 bis 10.00 Mark mit 0.50 Mark,
über 10.00 Mark mit 1.00 Mark zu beſteuern. Eine Einteilung
in eine größere Anzahl von Steuerklaſſen, die zwar auf den erſten
Blick gerecht erſcheint, dürfte ſich nicht empfehlen, um nicht die
Möglichkeit einer Steuerdefraudation zu erleichtern.
Letztere iſt nicht in dem Maße zu befürchten, wie wohl angenom-
men werden könnte, da ihr einmal durch Strafbeſtimmung event.
Konzeſſionsentziehung entgegengetreten werden könnte,
andrerſeits der Anreiz zu einer Umgehung der Steuer dadurch
ſehr gering iſt, daß die niedrigſte Stufe nur mit 0.10 Mark vor-
geſchlagen wird und ſich wohl kaum jemand, wenn er für 3 Mark
verzehrt, ſträuben wird, 10 Pfennig Steuer zu bezahlen, wenn
er ſich noch obendrein einer Anklage wegen Betrugs ausſetzt. Und
wenn jemand für 5 Mark und darüber konſumiert, dann iſt er
auch in der Lage, 0.50 Mark an das Reich abzugeben, ganz zu
ſchweigen von dem, der über 10 Mark auf einmal vertilgt, ver-
trinkt und verraucht und der eine Mark auf dem Altar des
Reiches opfern ſoll.“

Der Gedanke wird hier und dort mit Heiterkeit aufgenommen
werden, aber er ſcheint uns in ſeinem Kern immerhin beachtens-
wert. Freilich, eine wirklich gerechte Ausführung dieſes Ge-

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Wiesbaden, gewe&#x017F;en &#x017F;ein. Mütterlicher&#x017F;eits i&#x017F;t meine Familie<lb/>
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Nuntius behauptet, nur ein Katholik könne katholi&#x017F;ches<lb/>
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Grund&#x017F;atze der Wiener Nuntiatur, für jede Konfe&#x017F;&#x017F;ion ein<lb/>
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für kirchliches Recht &#x017F;äße, er dürfte nicht rütteln an den<lb/>
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Wiener Hofe zugleich gegen die Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung wie gegen<lb/>
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Die deut&#x017F;chfreiheitliche Studenten&#x017F;chaft bedauert aber auch die<lb/>&#x017F;&#x017F;ige Haltung der deut&#x017F;chfreiheitlichen Abgeordneten, welchen<lb/>
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Gei&#x017F;tesleben Oe&#x017F;terreichs aus&#x017F;chlaggebende. Sie lehnt jede Ver-<lb/>
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&#x017F;ämtlich tiroli&#x017F;chen Po&#x017F;t&#x017F;tempel zeigen, nicht gering. &#x2014; Samstag<lb/>
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[0001] Dienstag. 24. März 1908. München. Vorabendblatt. — Nr. 138. Allgemeine Zeitung. Erſcheint täglich 2mal. — Einhundertelfter Jahrgang. Bezugspreis: Ausgabe B mit Wiſſenſchaftlicher Beilage und Internationaler Wochenſchrift in München 1.50 Mark monatlich frei ins Haus; durch die Poſt: 2. — Mark monatlich. Ausgabe A (ohne Beilage) in München 1. — Mark, durch die Poſt bezogen 1.50 Mark monatlich. Abonnements für München: Expedition Bayerſtraße 57, deren Filialen und ſämtliche Zeitungs-Expeditionen; für das Ausland: England: A. Siegle, 30 Lime Str. und The Anglo-Foreign Publiſhing Syndicate, Ltd., 38 Coleman Str., in London; Frankreich, Portugal und Spanien: A. Ammel u. C. Klienckſieck in Paris; das übrige Europa: die Poſtämter; Orient: das k. k. Poſtamt in Wien oder in Trieſt; Nord- amerika: F. W. Chriſtern. E. Steiger & Co., Guſt. E. Stechert. Weſtermann & Co., ſämtlich in New York. [Abbildung] Inſertionspreis: für die 7 geſpaltene Kolonelzeile oder deren Raum im Morgenblatt 40 Pfennig, im Abendblatt 30 Pfennig, Lokale Anzeigen nach Tarif. Stellen-Geſuche 10 Pfennig. Inſeraten-Annahme in München: Expedition Bayerſtraße 57, die Filialen der Allgemeinen Zeitung und alle Annoncen-Expeditionen. — Generalvertretungen: für Oeſterreich-Ungarn in Wien V/I, Schönbrunner Str. 48 (Richard Jahn); Frankreich: John F. Jones & Co., 31 bis Rue du Faubourg Montmartre in Paris; England: John F. Jones & Co., 1 & 2 Snow Hill, Holborn-Viadukt, London; Rußland: L. & E. Metzl & Co., Moskau. Mjasnitzkaja Haus Syſtow, St. Petersburg. Morskaja 11; Warſchau: Kral-Vorſtadt 53. Chefredakteur: Dr. Hermann Diez. Verantwortlich: für den politiſchen Teil mit Ausnahme der bayeriſchen Politik Dr. Rudolf Dammert; für den bayeriſchen Teil Dr. Paul Buſching; für das Feuilleton und den „Sonntag“ Alfred Frhr. v. Menſi; für die Wiſſenſchaftliche Beilage Dr. Oskar Bulle; für den Handelsteil Leo Jolles, ſämtlich in München. Redaktion: Bayerſtraße 57 Telephon 8432, 8433. = Druck und Verlag: Bayeriſche Druckerei & Verlagsanſtalt, G. m. b. H., in München. = Expedition: Bayerſtraße 57. Telephon 8430, 8431. Das Neueſte vom Tage. Bei der Neuwahl im Landtagswahlkreiſe Erding wurde der offi- zielle Kandidat des Zentrums, Herr Hupfer, mit ſehr großer Mehrheit gewählt. Der Bureauvorſtand der Kammer der Abgeordneten, Regierungs- direktor v. Dobner, iſt geſtorben. Der frühere preußiſche Landwirtſchaftsminiſter v. Podbielski hat eine Kandidatur für das preußiſche Ab- geordnetenhaus angenommen. Zwiſchen dem Abgeordneten Gröber und der Dreier- Kommiſſion der Preſſevertreter des Reichstags haben am Sonntag Verhandlungen ſtattgefunden, die erwarten laſſen, daß den beleidigten Journaliſten volle Genug- tuung wird. Der Wiener akademiſche Senat zum Fall Wahrmund. F. Wien, 22. März. Der Kampf der Geiſter fordert Opfer wie jeder an- dere, aber er entbindet auch wohltätige Kräfte. Das zeigt ſich auch in der Erklärung des Wiener akademiſchen Senats anläßlich des Falles Wahrmund. Die Wiener Hochſchule hat niemals gefehlt, wenn es ſich um die Verteidigung geiſtiger Freiheit handelte; ihre letzte Kundgebung iſt aber durch ihre imponierende Ruhe und Feſtigkeit, mit der ſie den Angriff vornehmlich auf die Unabhängigkeit der Pro- feſſoren des Kirchenrechts abwehrt, beſonders bemerkens- wert. Sie läßt, was die Freiheit der Forſchung und der Lehre betrifft, auch für dieſes Fach keine Ausnahme zu und begründet dies mit unwiderleglichen Argumenten. Der Bericht über die betreffende Sitzung des akademiſchen Se- nats lautet: In ſeiner letzten Sitzung des abgelaufenen Winterſemeſters hat ſich auch der akademiſche Senat der Wiener Univerſität mit der Frage beſchäftigt, ob ein Profeſſor des Kirchen- rechtes an einer rechts- und ſtaatswiſſenſchaftlichen Fakultät ſeines Lehrauftrages für dieſes Fach verluſtig erklärt werden könne, wenn er mit den Lehren der katholiſchen Kirche in Widerſpruch gerät, und ob es zuläſſig ſei, daß die Kontrolle über die Uebereinſtimmung ſeiner Lehren mit denen der Kirche dieſer zuſtehe. Der Senat hat es abgelehnt, ſich mit der Frage in der Richtung zu beſchäftigen, als eine Einmengung in die Verwal- tungstätigkeit des Staates von ſeiten eines auswärtigen Ver- treters vorliegt und ſomit das Gebiet der auswärtigen Be- ziehungen des Staates berührt wird. Um ſo mehr hatte er ſich jedoch mit der Frage zu befaſſen, ob die Anerkennung jener vom päpſtlichen Vertreter beanſpruchten Rechte in Widerſpruch ſtünde mit den Grundlagen der Univerſitäten, welche durch das Geſetz geſichert ſind. Sowohl durch die Staats- grundgeſetze wie durch das Geſetz vom 7. Mai 1874 und vom 27. April 1873, in deſſen erſten Artikel das Konkordat ſeinem vollen Inhalt nach aufgehoben wurde, ferner durch die allerhöchſte Entſchließung vom 11. April 1872 ſind die welt- lichen Fakultäten jedem kirchlichen oder konfeſſionellen Einfluß entrückt. Von dieſen die Freiheit der Wiſſenſchaft und ihre Lehre garantierenden Geſetzen gibt es keine Ausnahmen. Auch das Kirchen- recht, wie es an den juriſtiſchen Fakultäten gelehrt wird, iſt daher nicht eine katholiſche Wiſſenſchaft, ſon- dern eine Wiſſenſchaft, welche die Geſchichte und Dogmatik des Rechtes der Kirchen überhaupt ſowie ihre innere Verfaſſung und die Stellung des Staates zu ihnen zu lehren hat. Je nachdem die Kirche, deren Recht dargeſtellt wird, die katholiſche, die orientaliſche oder eine proteſtantiſche iſt, wird durch die beſondere Natur der einzelnen Kirchen zwar das Objekt, nicht aber die wiſſenſchaftliche Behandlung modifiziert. Um wiſſenſchaftlich klarzuſtellen, wie die Rechtsſätze der Kirchen aus ihren Glaubensſätzen ent- ſpringen, iſt es nicht notwendig, daß der Darſtellende dieſe Glaubensſätze ſelbſt anerkennt, weshalb es auch in einzelnen Staaten, wie in Deutſchland, vorkommt, daß ein und dieſelbe Perſon katholiſches und proteſtantiſches Kirchen- recht vorträgt. Es war daher niemals die Pflege des Kirchen- rechtes auf Katholiken beſchränkt und glänzende Darſtellungen des katholiſchen Kirchenrechtes ſind auch von Proteſtanten (Sohm, Hinſchius, Stutz) ausgegangen. Würden gegenteilige Anſprüche anerkannt werden, ſo würde dies zugleich die Anerkennung jenes Geſichtspunktes be- deuten, von dem die Normen des Konkordats ausgingen, daß jede Lehre auf ihre Uebereinſtimmung mit den religiöſen Lehren geprüft werden müßte, denn es gibt kein Gebiet des menſchlichen Wiſſens, in das nicht religiöſe Lehren hineinſpielen und Anlaß geben können zu beſtimmten Forderungen. Der Senat ſpricht nur aus, was in den Grundgeſetzen unſeres Staates gewähr- leiſtet iſt, wenn er betont, daß nur dem Staate die Aufſicht über die Univerſitäten innerhalb der geſetzlichen Schranken zuſteht, und er zweifelt nicht, daß die Leitung des Miniſteriums dieſe Auffaſſung teilt. Da aber der Verſuch, die Staatsverwaltung von ihrem durch die Geſetze vorgeſchriebenen Wege abzudrängen, von ſo einfluß- reicher Seite unternommen und von einer Minorität der öffent- lichen Meinung beifällig begrüßt wurde, iſt nicht ausgeſchloſſen, daß auf beſſer gewähltem Wege die Beſtrebungen ſich wieder- holen werden, kirchlichen Einflüſſen in der Verwaltung des Uni- verſitätsweſens Geltung zu verſchaffen. Beſtrebungen dieſer Art, wie immer ſie ſich geltend machen mögen, unbeugſamen Widerſtand entgegen zuſtellen, iſt eine durch das Lebensprinzip der Wiſſenſchaft gebotene Not- wendigkeit. Bei der Sitzung des akademiſchen Senats fehlten die Vertreter der theologiſchen Fakultät, da ſie dem Nuntius nicht direkt entgegentreten wollten. So war ihre Abſen- tierung den Verhältniſſen angemeſſen. Uebrigens wehen betreffs des päpſtlichen Geſandten wieder mil- dere Lüfte. Seine Niederlage iſt offenſichtlich; man möchte die Sache aber nicht auf die Spitze treiben und die Regierungsorgane wollen, falls er ſeine Polemik gegen das Miniſterium nicht fortſetzt, die Sache fallen laſſen. Faſt könnte man ſagen, daß es um die Sache der freien Forſchung in Oeſterreich beſſer beſtellt iſt, wenn in Wien ein Nuntius reſidiert, der ſich ſelbſt die eigene Autorität untergraben hat. Auch ſonſt iſt die Re- gierung bemüht, beſchwichtigend zu wirken. Das ſoll in der Weiſe geſchehen, daß, wie Ihrem Berichterſtatter mitge- teilt wird, Profeſſor Wahrmund zunächſt einen Urlaub nimmt, um dann wieder auf ſeinen Poſten in Innsbruck zurückzukehren. Das juriſtiſche Profeſſorenkollegium in Innsbruck hat dieſer Löſung bereits den Weg gebahnt, indem es Dr. Wahrmund nahe legte, angeſichts der unmittelbar bevorſtehenden Oſter- ferien ſeine Vorleſungen zu ſiſtieren, damit nicht ein Zu- ſammenſtoß der fortſchrittlichen und der klerikalen Studen- ten die Ruhe der Hochſchule ſtöre. Uebrigens hat Profeſſor Wahrmund ſelbſt das Wort genommen, um die nicht zu- treffende Meldung von ſeiner jüdiſchen Abſtammung rich- tigzuſtellen. Seine Mitteilung an das Tiroler Tagblatt beſagt: Von väterlicher Seite aus ſtammt meine Familie aus Wies- baden. Die Stellung meines Vaters, Profeſſors Dr. Adolf Wahr- mund, iſt bekannt. Mein Großvater war Proteſtant, Bürger und kleiner Grundbeſitzer in Wiesbaden; mein Urgroß- vater, ebenfalls Proteſtant, ſoll Zimmermann, gleichfalls in Wiesbaden, geweſen ſein. Mütterlicherſeits iſt meine Familie teils wieneriſchen, teils italieniſchen Urſprungs. Meine Mutter iſt Katholikin und die Tochter eines Oberkriegskommiſſars, der ſeinerzeit in Peterwardein ſtationiert war. Meine Großmutter war eine Reichsfreiin v. Albergotti und ſtammte aus einem ur- alten italieniſchen Adelsgeſchlecht. Da es zudem feſtſteht, daß Profeſſor Wahrmund nicht, wie von klerikaler Seite behauptet worden iſt, ſein Lehr- amt der Protektion der ultramontanen Partei verdankt, ſondern wegen ſeiner freiſinnigen Auffaſſung ſeit zehn Jahren häufig übergangen wurde, ſo iſt der Fall auch nach der perſönlichen Seite aufgeklärt, und es iſt einleuchtend, daß der Innsbrucker Profeſſor in ſeinem Kampfe gegen die ultramontane Weltanſchauung bloß von innerſter Ueber- zeugung und zugleich von religiöſen Motiven getragen iſt. Zur Frage der Kirchenrechtsprofeſſuren wird uns von katholiſcher Seite noch geſchrieben: „Der Nuntius behauptet, nur ein Katholik könne katholiſches Kirchenrecht lehren. Dieſer Behauptung widerſpricht zu- nächſt die Tatſache, daß das zweifellos beſte, heute noch un- übertroffene Werk über katholiſches Kirchenrecht von dem proteſtantiſchen Kirchenrechtslehrer Hinſchius verfaßt iſt. An den deutſchen Univerſitäten wird katholiſches und pro- teſtantiſches Kirchenrecht nicht getrennt, ſondern von dem einen juriſtiſchen Vertreter für beide Fächer geleſen, der verfaſſungsrechtlich weder Katholik noch Proteſtant zu ſein braucht. In München trägt Prof. Stengel, in Würzburg Prof. Meurer, in Wien Prof. Scherer katholiſches und pro- teſtantiſches Kirchenrecht vor, und doch mußte, nach dem Grundſatze der Wiener Nuntiatur, für jede Konfeſſion ein gläubiger Juriſt dieſer Kirchengemeinſchaft beſtimmt wer- den. Man braucht nur die Konſequenzen zu ziehen, um die unheilvollen Folgen ſolcher Forderungen zu erkennen; ſie rütteln an den Grundfeſten des paritätiſchen Staates. Wie ſollte dann auch einem proteſtantiſchen oder ungläubi- gen Gelehrten eine rein ſyſtematiſche, objektive Darlegung des geltenden Rechtes unmöglich ſein? Freilich die Kirche erkennt nur, der Notwendigkeit gehorchend, das ſtaatskirch- liche Syſtem an. Die alten Rechtsforderungen beſtehen fort, ſie ſind nur latent, d. h. können mißlicher Verhältniſſe wegen nicht ausgeübt werden, wie z. B. die Ketzerverbren- nung. Doch ſelbſt wenn ein Katholik auf dem Katheder für kirchliches Recht ſäße, er dürfte nicht rütteln an den Grundlagen der Verfaſſung, deren Hauptpfeiler Parität und Gewiſſensfreiheit ſind. So proteſtiert der Nuntius am Wiener Hofe zugleich gegen die Staatsverfaſſung wie gegen die Wiſſenſchaft, der er die Fähigkeit, objektiv das Recht feſtzuſtellen, abſpricht. Ein Staat, der ſolchen Anſprüchen Rechnung trägt, verleugnet ſich ſelbſt und arbeitet an ſeinem Untergang. p. Innsbruck, 21. März. Der Hochſchulausſchuß der deutſchfreiheitlichen Studentenſchaft an der hieſigen Univerſität hielt geſtern abend eine Sitzung ab, bei der folgende Reſolution beſchloſſen wurde: Die deutſchfrei- heitliche Studentenſchaft Innsbruck verwahrt ſich auf das ent- ſchiedenſte gegen die Angriffe, welche von klerikaler Seite gegen Profeſſor Dr. Wahrmund erhoben wurden. Sie erblickt darin einen neuerlichen Verſuch der Klerikalen, die Lehr- und Geiſtes- freiheit zu unterdrücken, um die Hochſchulen zu erobern. Sie verwahrt ſich ferner auf das ſchärfſte gegen die anmaßende Ein- miſchung des päpſtlichen Nuntius in Angelegenheiten des Staates. Die deutſchfreiheitliche Studentenſchaft bedauert aber auch die läſſige Haltung der deutſchfreiheitlichen Abgeordneten, welchen der Neunerausſchuß über alles zu gehen ſcheint. Sie vermag in der ganzen Wahrmund-Angelegenheit nicht „nur eine ſimple, tiroliſche Angelegenheit“ zu erblicken, ſondern eine für das ganze Geiſtesleben Oeſterreichs ausſchlaggebende. Sie lehnt jede Ver- antwortung für die auf Univerſitätsboden entſtehenden Folgen ab und muß ſie denen zu tragen überlaſſen, welche dieſen Streit in voller Abſicht heraufbeſchworen haben.“ — Heute abend findet hier eine vom Deutſchen Wählerverein für Tirol einberufene öffentliche Verſammlung ſtatt, in welcher die Ange- legenheit Wahrmund erörtert werden wird. Als Redner iſt Reichsratsabgeordneter Malik angemeldet. — An Profeſſor Wahrmund laufen täglich Hunderte von Zuſtimmungs- telegrammen und Schreiben ein. Natürlich iſt auch die Zahl der einlaufenden Schmäh- und Drohbriefe, die faſt ſämtlich tiroliſchen Poſtſtempel zeigen, nicht gering. — Samstag veranſtaltet die hieſige Ortsgruppe des Vereins „Freie Schule“ eine große Kundgebung gegen den Ultramontanismus. Politiſche Rundſchau. Der Detailhandel und die neueſten ſozialpolitiſchen Vorſchläge. * Gegenüber den Beſchlüſſen der Reichstagskommiſſion zu § 63 des Handelsgeſetzbuches macht ſich im Handel und insbeſondere im Detailhandel eine ſtarke Gereiztheit gel- tend, man macht darauf aufmerkſam, daß in ihrem ſozial- politiſchen Uebereifer die Kommiſſion die Rückſicht auf die Klein- und Mittelkaufleute durchaus vernachläſſigt habe und man iſt recht unwillig darüber, daß die zahlreichen Eingaben der Detailliſtenverbände eine gründliche Prüfung nicht gefunden haben. Nicht minderen Unwillen haben aber die Vorſchläge des Reichsamts des Innern über die Erweiterung und Verſchärfung der Sonntagsruhe hervor- gerufen, deren Durchführung allerdings zahlreiche kauf- männiſche Exiſtenzen ſchwer treffen würden. Auch die er- neut im Reichstage hervorgetretenen Beſtrebungen nach Beſeitigung oder doch weſentlicher Beſchränkung der Kon- kurrenzklauſel ſtoßen auf ſtarken Widerſtand auf ſeiten des Handels. Man ſollte ſeitens der politiſchen Parteien und insbeſondere ſeitens der verbündeten Regierungen dieſe Stimmung der Kaufmannſchaft nicht unterſchätzen. Der ſozialpolitiſche Uebereifer, der heute herrſcht, bedroht die Intereſſen der Mittel- und Kleinkaufmannſchaft allerdings in empfindlicher Weiſe, und man kann es verſtehen, wenn ſich dieſelbe gegen die Beſtrebungen der Gehilfenſchaft zur Wehr ſetzt. Uebrigens werden auch aus juriſtiſchen Kreiſen neueſtens ernſte Bedenken gegen den ſozialpolitiſchen Uebereifer geltend gemacht, der in den Beſchlüſſen der Reichstagskommiſſion zu § 63 des Handelsgeſetzbuches und in den Beſtrebungen zur Beſeitigung der Konkurrenzklauſel zum Ausdruck kommt, die Aufſätze, welche kürzlich in der Deutſchen Juriſtenzeitung und in dem Recht Oberlandes- gerichtsrat Neukamp-Köln und Juſtizrat Dr. Fuld-Mainz veröffentlicht, ſind ein Beweis hierfür. Einen originellen Steuergedanken behandelt der konſervative Reichstagsabgeordnete v. Gers- dorff in der Deutſchen Tageszeitung: „Wenn man den von Jahr zu Jahr ſteigenden Verkehr in den Reſtaurants beobachtet, ſo kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, den Konſum in den Reſtaurants, der mit dem ſteigenden Verkehr gleichmäßig gewachſen und in ganz Deutſchland einen enormen Wert repräſentieren muß, zu einer Steuer heranzuziehen. Die Reſtaurationsinhaber brauchen bei dieſem Vorſchlag nicht in Ent- rüſtung zu geraten; ich will nicht ſie mit der Steuer belaſten., ſondern die Konſumenten. Ich denke mir die Steuer als eine Quittungsſteuer. Jeder Inhaber einer Reſtauration müßte geſetzlich gehalten ſein, von der Steuerbehörde ſteueramt- lich abgeſtempelte Quittungsformulare, am zweckmäßigſten in Blockform, zu erwerben, und nur gegen ſolche Speiſen, Getränke uſw. zu verabfolgen. Der Verbrauch bis zu 1.50 Mark müßte von der Steuer frei bleiben, der von 1.50 bis 5.00 Mark wäre mit 0.10 Mark, der von 5.00 bis 10.00 Mark mit 0.50 Mark, über 10.00 Mark mit 1.00 Mark zu beſteuern. Eine Einteilung in eine größere Anzahl von Steuerklaſſen, die zwar auf den erſten Blick gerecht erſcheint, dürfte ſich nicht empfehlen, um nicht die Möglichkeit einer Steuerdefraudation zu erleichtern. Letztere iſt nicht in dem Maße zu befürchten, wie wohl angenom- men werden könnte, da ihr einmal durch Strafbeſtimmung event. Konzeſſionsentziehung entgegengetreten werden könnte, andrerſeits der Anreiz zu einer Umgehung der Steuer dadurch ſehr gering iſt, daß die niedrigſte Stufe nur mit 0.10 Mark vor- geſchlagen wird und ſich wohl kaum jemand, wenn er für 3 Mark verzehrt, ſträuben wird, 10 Pfennig Steuer zu bezahlen, wenn er ſich noch obendrein einer Anklage wegen Betrugs ausſetzt. Und wenn jemand für 5 Mark und darüber konſumiert, dann iſt er auch in der Lage, 0.50 Mark an das Reich abzugeben, ganz zu ſchweigen von dem, der über 10 Mark auf einmal vertilgt, ver- trinkt und verraucht und der eine Mark auf dem Altar des Reiches opfern ſoll.“ Der Gedanke wird hier und dort mit Heiterkeit aufgenommen werden, aber er ſcheint uns in ſeinem Kern immerhin beachtens- wert. Freilich, eine wirklich gerechte Ausführung dieſes Ge-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 138, 24. März 1908, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine138_1908/1>, abgerufen am 21.11.2024.