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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 13. Januar 1924.

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Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12
[Spaltenumbruch]
Steffis Glück im Tunnel.

Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel-
nudeln auf dem Brett, als Steffi mit einem Papp-
karton, einem Teller-flachen Strohhut mit knallblauer
Riesenschleife und einem grellroten Sonnenschirm
durch die Tür tänzelte.

"Grüß Gott, Mutter!" rief sie ein wenig näselnd,
warf den Karton auf die Bank, faßte mit Vorsicht die
Alte am mehlfreien Arm und ließ sich auf dem ein-
zigen gepolsterten Stuhl der ärmlichen Stube nieder.

"Bist du's, Steffi?" Und Frau Kniebauer hielt
im Rollen inne, wischte sich unwillkürlich die Hände
an der Schürze und staunte abwechselnd Strohhut und
Sonnenschirm an. "Bist scho fortgeschickt?" fragte
sie schließlich.

"Bin selber gegangen!" erklärte Steffi stolz, holte
einen kleinen Spiegel aus der Tasche und ordnete sich
das Haar. "Der Bub vom Zahnarzt war mir zu frech,
da konnte ich nicht bleiben. Das hat uns doch schon
der Herr Kooperator gesagt: Geld, Ruhm und Ehre
sind nichts, wer aber Schaden nimmt an seiner
Seele ..."

Frau Kniebauer, die inzwischen das Brett mit
neuem Mehl bestreut hatte, rollte so beftig die Kar-
toffelnudeln, daß sie dünn wurden, wie Ratten-
schwänze.

"Wär besser gewesen, du hättest dem Buben eins
ausgewischt!" Und sie warf Schmalz auf die Pfanne,
daß es zischte.

"O, ich hab's ihm gegeben," näselte Steffi, "mein
Herr, hab ich gesagt, mein Herr, ich bin ein armes,
aber anständiges Mädchen, -- das laß ich mir nicht
gefallen!"

"Und was war's denn?" forschte die Alte sachlich,
indem sie jetzt die Kartoffelnudeln in die zischende
Pfanne schüttete.

"Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,"
und Steffi streifte den Aermel zurück und zeigte den
blauen Fleck. "Mein Fräulein, hat er gesagt, mein
Fräulein, das war nur ein Scherz! Und die Frau
Zahnarzt und der Herr Zahnarzt sind gekommen und
haben gesagt: Aber mein Fräulein, -- Sie wollen
uns schon verlassen? Gnädige Frau, hab ich gesagt,
Geld und Ruhm sind mir nichts, -- aber wenn ich
Schaden nehme an meiner Seele ... Und dann,
Mutter, heute Morgen in der Bahn, -- aber das
kann ich niemand sagen!" Und Steffi holte ein
Battisttüchlein aus der Tasche und preßte es an die
Augen.

Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm sich eine
gründliche Prise und ließ sich alles noch einmal
erzählen. Dann schneuzte er sich in sein rotes Tuch
und erklärte:

"Recht ist es, daß du heimgekommen bist! So
arm sind wir nicht, daß wir unsere Tochter verkaufen
müssen! Bleibst jetzt hier und hilfst der Mutter!"

Und Steffi mußte ihren Riesenhut aufhängen, sich
eine Schürze vorbinden, und in dem Stall die Ziegen
melken. Dann aber klagte sie, daß ihr der Rücken
weh täte, daß sie Brustschmerzen hätte, und den
Geruch nicht vertrüge. Schließlich bekam sie Nasen-
bluten, legte sich auf das wacklige Sofa am Fenster
und spannte den roten Schirm aus, weil die Sonne
sie blende.

"Ach, Mutter," seufzte sie uter dem Schirm, "wenn
du wüßtest, was ich erlebt habe, noch heute Morgen
in der Bahn dann würdest du verstehn, daß ich keine
Ziegen melken kann!"

Am Nachmittag fanden sich alle Freundinnen aus
dem Dorf ein, um von Steffis großen Abenteuern in
der Stadt zu hören. Man trank Kaffee, speiste Kuchen,
die Steffi im Karton mitgebracht hatte, bewunderte
den roten Schirm und den Riesenhut mit der knall-
blauen Schleife, während Steffi, noch immer auf
dem Sofa liegend, ausführlich erzählte:

"Und dann sagte er: mein Fräulein," und erläuternd
fügte er hinzu: "Man sagt nämlich in der Stadt
immer so: mein Fräulein, -- mein Herr!"

Und die Mädchen wiederholten leise: "Mein
Fräulein, mein Herr!" und sahen bewundernd auf
Steffi.

Aber ganz sprachlos wurden sie erst, als Steffi
ihnen vom Herrn Zahnarzt und seinen Möbeln
erzählte:

"Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man
in den Salon, kann man sich gleich fünf mal sehen,
[Spaltenumbruch] und weiß nicht wohin, vor lauter Spiegeln! Und
was für Plüschsofas und Stühle! So weich wie ein
Muff, und so rot und glitzernd wie die Fron-
leichnamsfahne! Und alles Holz gedreht und ge-
brannt, mit Kugeln und Säulchen, ganz wie in einem
richtigen Schloß! Und mitten auf dem Tisch ein
wirkliches Denkmal, ganz aus Gold, mit langem Spieß
und Trompete!"

Und der alte Kniebauer tunkte seinen Brotstummel
tief in den süßen Kaffee und sagte feierlich: "Geld
und Ruhm sind nichts, -- wer aber Schaden nimmt
an seiner Seele ..." und schlürfend nahm er einen
Schluck, während die Alte kochendes Wasser in die
Kaffeekanne nachgoß

"Ja, in der Stadt ist Alles so sein und gebildet,"
fuhr Steffi fort, and führte die Tasse mit weit ab-
stehendem kleinen Finger zum Munde, "überall
Teppiche und Parkett, und auch auf den Straßen
Alles glatt, wie in einem Saal, daß man immer
tanzen möchte. Und alle Häuser aus Glas, daß man
durchsehen kann, wie durch Luft, Hüte, Kleider,
Stiefel, -- jedes in einem besonderen Haus. Auch
dieser Hut hing in lauter Glas, man braucht nur
hineinzugehen, gleich fragt eine Dame, oder auch ein
Herr:

"Mein Fräulein, Sie wünschen?"

Und dann sagt man: "Mein Herr, ich wünsche ..."
Und das Geld legt man einfach bei einem silbernen
Kasten hin, der gedreht wird und klingelt, und dann
springt die Zahl heraus, daß man gleich sehen kann,
wie teuer der Hut war!"

"Und wie teuer war er denn?" fragte die alte
Kniebauer mit besorgtem Stolz

"Neunzehn Mark fünfzig. -- und das ist billig für
den Hut, sagen Alle!" erklärte Steffi.

"Neunzehn Mark fünfzig!" flüsterten die Mädchen,
und durften vorsichtig die blaue Schleife betasten.

"Ja, das ist Seide aus Paris, das muß man schon
in der Stadt tragen," fügte Steffi binzu, die den be-
sorgten Blick der Mutter aufgefangen hatte.

"Ja, Paris, Paris," brummte der alte Kniebauer
mißbilligend, "das ist auch so eine Stadt!" Und er
nahm eine Prise und schneuzte sich gewaltig ins
rote Tuch.

"Wer aber an seine Seele nicht denkt, der ist in
der Stadt verloren," versuchte Steffi die Mutter vom
Hut abzulenken. "Und was erlebt man nicht alles
in der Stadt, -- und erst recht auf der Reise!"

Die Mädchen drängten sich immer dichter um
Steffi, und starrten sie wie eine Märtyrerin in scheuer
Ehrfurcht an.

"Da saß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein
auf der Bank, und vor mir ein junger Herr, der ein
Buch las. Plötzlich kam der Tunnel, es wurde
finster, wie in der Nacht. Da fühlte ich irgendwas
stechen, und eine Hand, die mich hielt, daß ich nicht
aufstehen konnte, --

"Aber mein Herr." sagte ich. --

"Mein Fräulein!" sagte er. -- da wurde es mir
ganz schwach ... Aber ich hatte noch großes Glück:
garade wie ich dachte, jetzt, jetzt nimmt deine Seele
doch Schaden, -- da wurde es wieder hell, der Tunnel
war vorüber, und der Herr saß wieder vor mir und
las sein Buch! Ich brauchte mir nur die Haare
und den Hut ein wenig zu ordnen, -- meine Seele
war wieder gerettet!"

"Und wär auch der ganze Hut verdorben," meinte
der alte Kniebauer in gelassener Würde, "was sind
neunzehn Mark fünfzig, wenn's um das Seelenheil
der Ewigkeit geht!"

"Ja, das war mein Glück im Tunnel," nästelte
Steffi: "daß ich den Hut vorhielt, -- und daß er
so groß war!"

Zigaretten.

Zigaretten kosten nun -- ich weiß nicht, wieviel
Milliarden Mark das Stück; sie gehören schon zu
den unerschwinglichen Genüssen und werden,
scheint mir, bald ganz aussterben -- nicht nur
im armen Deutschland.

Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand
er dort Zigarren vor; vielleicht auch Pfeifen;
doch darüber bin ich nicht ausreichend unter-
richtet. Man hat denn auch Tabak auf die
ursprüngliche Art geraucht -- und nebenbei ge-
kaut, geschnupft -- bis in die Siebzigerjahre.

[Spaltenumbruch]

Da erst kam die Zigarette auf und siegte
allenthalben: als Cigarillo in Spanien; in Ruß-
land als Papyros; im Morgenland verdrängte sie
Nardschile und Tschibuk. Ein ganzer Stand, das
blühende Gewerbe der Pfeifenstopfer, Tschibuk-
dschi, mußte daran glauben. Was war er für ein
großer Herr gewesen, dieser Pfeifenstopfer des
Paschas -- da er den mächtigen Pascha stets als
Nächster im Gefolge begleitete, Mitwisser seiner
Ränke! Darum ließ man zu Stambul, wenn
der Diwan an der Hohen Pforte tagte, nur taub-
stumme Pfeifenstopfer zu.

Die beste Zigarette war die ägyptische -- so
genannt, weil Griechen sie aus makedonischem
Tabak in London und Hamburg erzeugten. Er-
lesener, alter Tabak; die Bulgaren haben ein
Sprichwort, das alte Freunde, alten Tabak und
Wein als vortrefflich rühmt.

Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi
und Kawalla am Aegäischen Meer. Ganz kleine
Blätter, sie deckten keine Kinderhand, doch hell-
gelb und von so feiner Würze, daß man sie für
sich allein gar nicht rauchte -- etwa wie man die
Vanille nicht mit Löffeln ißt, sondern man par-
fümiert nur mit Spuren von Vanille andre, sub-
stanzielle Speisen. Als die Deutschen in Bul-
garien standen -- o schöne Zeit! -- da sind Kisten
dieses Tabaks als "Geheimakten der Kaiserlichen
Feldtransportleitung" versiegelt zu uns ge-
wandert.

Türkische Bauern waren es, die mit viel-
hundertjähriger Erfahrung den Tabak von Xanthi
und Kawalla zogen -- nicht zum Broterwerb,
sondern aus Liebhaberei -- denn soviel Sorgfalt,
Arbeit, Sachverstand kann man einem gar nicht
bezahlen.

Da brach im Herbst 1912 der Balkankrieg aus;
die Bulgaren nahmen den Tabakbezirk. Sie sind
ausgezeichnete Gärtner, die Bulgaren; doch im
Lärm der Waffen konnten sie den erbgesessenen
Türken ihre Geheimnisse nicht ablauschen. Sie
bekehrten die Bauern nur zum Christentum.

Es gibt viele Methoden der Bekehrung -- das
milde Wort des Priesters -- Beschenkung mit
Kleidungsstücken und Bibeln: die Bulgaren
wählten, rasch wie sie sind, die hurtigste Methode
-- jene, wo der Feldwebel den Missionar und
ein Gewehrkolben den Weihwedel ersetzt. So
waren die türkischen Tabakbauern glücklich für
das Sofioter Erarchat gewonnen und teilhaftig
der ewigen Seligkeit.

Doch das Kriegsglück wandte sich -- die Bul-
garen zogen sich zurück. Griechen marschierten
ein -- und die armen Bauern von Xanthi hatten
einige kaum begriffene Glaubenssätze umzu-
lernen. Verwirrt durch die theologischen (und
liturgischen) Widersprüche räumten die türkischen
Bauern das Feld.

Es war ein sandiges Feld gewesen, für Tabak-
pflanzung besonders geeignet. Die Bauern haben
drüben in Anatolien kein passendes mehr
gefunden.

Und so kommt es, daß ich, daß du, daß wir
alle in diesem Leben, um der Gegensätze in den
orientalischen Kirchen willen, keine Zigaretten
mehr rauchen werden von jener Güte, die wir
von jung auf genießen durften.

Papst und König als Schriftsteller.

Aus Rom berichtet die "Voss. Ztg," von dem
seltenen, vielmehr einzigen Fall, daß Papst und
König fast gleichzeitig unter die Schriftsteller
gegangen und von beiden hochinteressante Werke
erschienen sind. Von König Viktor Emanuel,
dem hervorragenden Numismatiker, der neueste
Band seines gewaltigen "Corpus Nummorum
Italicorum
" von Papst Pius XI. eine Sammlung
seiner alpinistischen Schriften. Das Werk des
Königs, von dem nunmehr acht Bände mit schönen
Phototypien herausgekommen sind, behandelt klar
und übersichtlich die ganze numismatische Ge-
schichte Italiens vom Untergange des römischen
Reiches an. Der Verfasser gibt indessen in seiner
Bescheidenheit auf dem Titelblatt nicht einmal
seinen Namen an und bezeichnet das Werk das
einzige über die Münzen des italienischen Mittel-
alters und der Moderne" -- als "Versuch". Ist
der "Re" in seinem Buche Fachgelehrter und
[Spaltenumbruch] Historiker, so ist der Papst in dem seinigen Feuille-
tonist. Viele Päpste haben von theologischen Din-
gen geschrieben, und Pius' Vorgänger Leo XIII.
gab sogar von Horazischem Geist durchwehte Oden
heraus. Ueber Alpinismus aber hatte sich bisher
kein Nachfolger des heiligen Petrus verbreitet.
Pius tut dies mit so feinem Naturempfinden und
solcher Poesie, er schildert seine oft schwierigen und
gefährlichen Bergbesteigungen, z. B. der Monte-
Rosa-Gruppe, so anschaulich und lebendig, daß
vom ersten bis zum letzten Blatte die Spannung
anhält. Das prächtig illustrierte Buch ist bei
Bertieri und Vanzetti in Mailand erschienen.

Kunstgeschichtliche Tabellen.

Das Bedürfnis nach synchronistischen Kunst-
tabellen haben die allzeit praktischen Engländer
schon vor geraumer Zeit zu erfüllen gesucht.
Aber diese englischen Publikationen sind nicht
nur unvollständig, durch die Forschung besonders
des letzten Jahrzehntes überholt, sie sind den
wenigsten deutschen Kunstfreunden und For-
schern überhaupt zugänglich. In immer stär-
kerem Maße, aus verschiedenen Gründen, be-
steht das Interesse, eine Uebersicht über das
gleichzeitige Wirken der Künstler in den ver-
schiedenen Ländern zu gewinnen, um die Tätig-
keit von Malern, Bildhauern und Architekten
sowohl innerhalb dieses Künstlerkreises mit-
einander zu vergleichen, ganz besonders aber,
um aus ihren zeitlichen Zusammenhängen mit
geschichtlichen und literarischen Ereignissen,
kurz aus dem jeweils charakteristischen kultu-
rellen Bild heraus, innere Beziehungen noch
besser veranschaulichen zu können.

Die erste umfassende deutsche Arbeit ist
nun erschienen: Rudolf Brettschneider
hat in seinen "Synchronistischen Ta-
bellen zur Geschichte der Malerei
des
XIII. bis XIX. Jahrhunderts" (Ver-
lag Ed. Strache, Wien-Prag-Leipzig) den ersten
großangelegten Versuch gemacht. Praktisch ge-
gliedert und vorzüglich ausgestattet, wird die
Veröffentlichung vielen willkommen sein, dem
Studierenden, dem Sammler, auch dem Forscher
wertvolle, wenn auch weitmaschige Uebersicht
bieten.

Der erste Schritt ist getan. Der Ausbau der
Arbeit kann erst all die Ergänzungen bringen,
die die Tabellen zu einem wirklich praktischen
Behelfe machen. Denn in der vorliegenden Zu-
sammenstellung wird uns noch ziemlich viel
eigene Arbeit bei Benützung der Listen zuge-
mutet. Brettschneider hat sich (nach langem
Schwanken) dazu entschlossen, die Künstler nach
ihren Geburtsdaten einzusetzen. Dadurch ist
immer eine Art Umrechnung in die Jahre der
wesentlichen künstlerischen Betätigung nötig.
Will man nicht diese Daten der Meister ein-
setzen, so scheint ein paralleles Tabellenwerk
nicht nur notwendig, sondern fast noch wichtiger,
worin die inschriftlich oder dokumentarisch ge-
sicherten Hauptwerke der einzelnen Künstler ver-
zeichnet sind. Solche Tabellen werden nach viel
aufschlußreicher wirken, und sie werden für die
Hauptblütezeiten der Malerei natürlich aus-
führlicher sein müssen als für weniger wesent-
liche Perioden.

Das Künstleregister Brettschneiders ist sorg-
fältig gearbeitet. Sein verdienstvolles erstes
Wert läßt es wünschenswert erscheinen, daß der-
selbe Autor -- vielleicht in Form eines zweiten
Bandes -- eine Erweiterung, wie ich sie oben
anregte, erscheinen läßt.

Dürer wollte tanzen lernen ...

Als der 35-
jährige Albrecht Dürer in Venedig war, wollte er
auch tanzen lernen, machte aber dabei schlechte
Erfahrungen. "Wißt auch," schrieb er im Oktober
1506 an seinen Freund Pirkheimer. "daß ich
mir vorgenommen hatte, tanzen zu lernen, und
ging zweimal auf die Schule. Da mußte ich dem
Meister einen Dukaten geben, da konnte mich
kein Mensch mehr hinbringen. Ich würde wohl
alles das verloren haben, was ich gewonnen
hatte, und hätte dennoch zuletzt nichts gekonnt."



Konzerte.

Wo eigentlich die Grenze zwischen noch er-
laubten und nicht mehr erlaubten Freiheiten
im Vortrag läuft, ist objektiv nicht zu entschei-
den: sie müssen im einzelnen Fall im persön-
lichen Temperament und in der Ueberzeugungs-
kraft des Künstlers ihre Rechtfertigung finden.
Joseph Pembaur versöhnt durch die Inten-
sität seines Erlebens mit den ihm eigenen, mit-
unter fast bis zur Verzerrung gehenden Eigen-
mächtigkeiten. Bei Chopin, den Pembaur mit
seiner stark romantisch gerichteten Klang-
phantasie spielt, läßt man sich es immerhin ge-
fallen. Die Franziskus-Legenden werden ihm
zum persönlichen religiösen Bekenntnis.

Im Hausegger-Konzert spielte Edwin Fischer
das d-Moll-Konzert von Brahms. Hier mit
seinem blonden Naturburschentum glaubhafter,
als wenn er einen modernen Abend gibt. Wirk-
lich bedeutend in den mit immenser rhythmischer
Kraft vorgetragenen Steigerungen. Im übrigen
freilich, wie in letzter Zeit öfter, teilweise
pianistisch undißipliniert. Das Arpeggio auf
dem letzten Akkord des Mittelsatzes ist eine Ge-
schmacklosigkeit. Hausegger gab sein Stärkstes
mit der Leonoren-Ouvertüre. Die Sinphonie
war im Hinarbeiten auf Plastik überpointiert.

Frank Waller hat viel Temperament und
Draufgängertum, nichts von der Hausegger-
schen Askese. Durch zu starkes Dirigieren auf
Oberstimme hin geht ihm freilich die volle Aus-
wertung der Orchesterpolyphonie noch ab. Bloß
verschone er uns mit der Indianer-Liturgig der
Williamsschen Phantasie. Berta Morena sang
Isoldens Liebestod mit aller Tradition großen
Wagnerstils. 11.

Das Birkigt-Quartett.

Zwei Momente sind es, die gerade in München
dem Birkigt-Quartett ganz vorragende Wichtig-
keit verleihen, zwei Momente, in denen der be-
sondere Sinn, die Rolle der Vereinigung be-
ruht: große Unternehmungslust, Betätigungs-
drang im besten Sinne (wie er hier leider so
selten ist) -- und herrliche Instrumente. Wenn
[Spaltenumbruch] ein Quartett es übernimmt, in 15. Abenden die
gesamten Streichquartette Haydns aufzuführen,
wenn man zudem von diesem Quartett hört,
wie es sich unentwegt, außerhalb der Oeffent-
lichkeit für alte und moderne Werke einsetzt,
die man in Konzerten hier nicht zu hören be-
kommt, -- wenn man weiß, daß sich das Quartett
aus Orchestermitgliedern zusammensetzt, deren
strenger Dienst bekannt ist, dann muß man dop-
pelt die echte Musizierfreudigkeit, das Tempera-
ment zur Leistung bewundern. So was brauchen
wir hier.

Und dann die edeln Instrumentel Ein kom-
plettes Amati-Quartett
. Auch damit
sind wir nicht eben verwöhnt. Klangkultur ge-
hört heute zu den seltensten Eigenschaften un-
serer
Kammermusikvereinigungen. Nur zu oft
wird ein verwöhntes Ohr durch eine Bratsche
oder eine Geige gestört, die zur Klangfarbe der
übrigen Instrumente nicht abgestimmt ist. Dem
Birkigt-Quartett erwächst aus dem Besitze seiner
Instrumente also geradezu eine Aufgabe: uns
das Gefühl für geschlossene Klangkörper, für
Kolorit wieder anzuerziehen.

Beides aber, die starke Musizierfreudigkeit
und das köstliche Material, birgt Gefahren: das
viele Musizieren die Gefahr der Oberflächlichkeit,
die Instrumente aber die Gefahr alles edlen
Materiales: nur dem vollendeten Reiter ist der
Vollblut-Araber das ideale Reittier. Wehe der
harten Hand, dem rohen Schenkeldruck, der dem
Pferd den nicht ebenbürtigen Reiter verrät. Er
macht auf dem Vollblut kläglichere Figur, als auf
einem Reitschulgaul.

Das Birkigt-Quartett erliegt seinen edlen In-
strumenten. Das robuste Spiel des Primgeigers
und das unzulängliche seiner drei Begleiter läßt
zwar manchmal -- in der Kantilene oder bei
warmblütigen Stellen -- herrliche Töne erklin-
gen. Doch das sind Ausnahmen, im allgemeinen
bedauert man die Instrumente. Zudem das
Musikalische: das Quartett spielt "Orchester",
nicht Kammermusik. Auch beim Quartett-
spiel bleibt Birkigt Konzertmeister -- Flügel-
mann --, die geistige Führung des Primgeigers,
[Spaltenumbruch] der Sinn für das Ganze (und sich selbst als Teil),
architektonische wie agogische Einfühlung fehlt.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Birkigt im Ver-
band mit hochwertigen Musikern die Möglichkeit
fände, sich dem Werk und seiner Gestaltung ein-
zuleben. Das trockene, gewöhnliche Cello, vor
allem aber Hösls unmusikalisches und unintelli-
gentes Bratschenspiel, schließlich in dieser Zu-
sammenstellung auch die blasse kärgliche zweite
Geige, machen ein eigentliches Quartettspiel un-
möglich. Es wäre ernstlich zu wünschen, daß
Birkigt in der Zusammenstellung seines Quar-
tettes eingreifende Aenderungen vornimmt, vor
allem aber die Bratsche durch eine musikalischere
Persönlichkeit ersetzt. Ihr vor allem ist das
Malheur zuzuschreiben, das am 13. Dezember in
der Fuge des A-Dur-Quartettes (Nr. 36) pas-
sierte; an jedem der früheren Abende
gab es Stellen, bei denen man um das Zusam-
menspiel zitterte, bei denen alles ins Schwanken
und Schwimmen geriet. In dem A-Dur-Quar-
tett aber geschah, was nicht geschehen darf bei
einem öffentlichen Konzert: Birkigt mußte ab-
klopfen, der Satz neu begonnen werden -- und
auch die Wiederholung wäre ums Haar nochmals
entgleist. Mit einer Kritik wurde absichtlich bis-
her zurückgehalten, da zu erwarten war, daß
das Quartett an den folgenden Abenden sein
Bestes geben würde. Diese Abende haben inzwi-
schen zwar den schlimmsten Eindruck verwischt,
aber neuerdings bewiesen, daß das Birkigt-
Quartett auch der anderen Gefahr nicht gewach-
sen ist: eine wirklich durchgearbeitete, fertige
Leistung bietet es nie. Es bietet viel, es hat die
herrlichen Instrumente, aber es wird den Auf-
gaben, die es sich selbst stellt, nicht gerecht --
noch viel weniger der Qualität des Musizierens,
die sein edles Material erfordert. P.




Die Münchener Schriftstellerin Maria von Hof-
mann-Cortens
hat eben eine neue "Messe"
vollendet. -- Das Werk, welches mit Männer-Frauen-
Kinderchören sowie Gesang, Orgel und großem
Orchester verflochten ist, wird in München mit ersten
Kräften zur Uraufführung kommen.

[Spaltenumbruch]
Neue Bücher.
Paul Rosenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig,
Ernst Keils Nachf. (August Scherl) G. m. b. H.
130 S.
Gustav Koehler, Der Astralstrolch. Ein okkulter
Roman. Leipzig, Ernst Keils Nachf. (August Scherl)
G. m. b. H. 408 S.
Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried-
Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m.
b. H. 198 S.
Lisa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus.
Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgische Buch-
druckerei und Verlagsanstalt G. m. b. H. 165 S.
Horst Wolfram Geißler, Der liebe Augustin. Die
Geschichte eines leichten Lebens. München, Verlag
Parcus & Cie. 389 S.
Franziska Hager, Der Dorfschullehrer. Ein Buch
der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver-
lag. 74 S.
Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchsteiner
Elslein. Roman. 231 S. -- Hubertus-Kraft Graf
Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg.
Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. --
Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In-
golstadt. 3 Bände. -- Sämtlich: Donauwörth, Ludw.
Auer (Pädagogische Stiftung Cassianeum).
Gustav Büscher, Die Vergiftung des Geistes als
Ursache des Krieges und der Revolution. Walli-
sellen b. Zürich, Selbstverlag, 143 S.
Hans Breitensträter, Meine Kämpfe. Mit
30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S.
Wen soll man heiraten? Das Ergebnis eines
Preisausschreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold-
Verlag. 109 S.
Felix Krüger, Der Verkehr. Eine psychologisch-
moralische Betrachtung. Hamburg, Hanseatische Ver-
lagsanstalt. 36 S.
H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlstand. Ein neuer
Ausblick auf das praktische Leben. Berlin, Haude-
und Spenersche Buchhandlung Max Paschke. 189 S.
Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die
deutsche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin,
J. G. Cottasche Buchhandlung Nachf. 283 S.
Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12
[Spaltenumbruch]
Steffis Glück im Tunnel.

Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel-
nudeln auf dem Brett, als Steffi mit einem Papp-
karton, einem Teller-flachen Strohhut mit knallblauer
Rieſenſchleife und einem grellroten Sonnenſchirm
durch die Tür tänzelte.

„Grüß Gott, Mutter!“ rief ſie ein wenig näſelnd,
warf den Karton auf die Bank, faßte mit Vorſicht die
Alte am mehlfreien Arm und ließ ſich auf dem ein-
zigen gepolſterten Stuhl der ärmlichen Stube nieder.

„Biſt du’s, Steffi?“ Und Frau Kniebauer hielt
im Rollen inne, wiſchte ſich unwillkürlich die Hände
an der Schürze und ſtaunte abwechſelnd Strohhut und
Sonnenſchirm an. „Biſt ſcho fortgeſchickt?“ fragte
ſie ſchließlich.

„Bin ſelber gegangen!“ erklärte Steffi ſtolz, holte
einen kleinen Spiegel aus der Taſche und ordnete ſich
das Haar. „Der Bub vom Zahnarzt war mir zu frech,
da konnte ich nicht bleiben. Das hat uns doch ſchon
der Herr Kooperator geſagt: Geld, Ruhm und Ehre
ſind nichts, wer aber Schaden nimmt an ſeiner
Seele ...“

Frau Kniebauer, die inzwiſchen das Brett mit
neuem Mehl beſtreut hatte, rollte ſo beftig die Kar-
toffelnudeln, daß ſie dünn wurden, wie Ratten-
ſchwänze.

„Wär beſſer geweſen, du hätteſt dem Buben eins
ausgewiſcht!“ Und ſie warf Schmalz auf die Pfanne,
daß es ziſchte.

„O, ich hab’s ihm gegeben,“ näſelte Steffi, „mein
Herr, hab ich geſagt, mein Herr, ich bin ein armes,
aber anſtändiges Mädchen, — das laß ich mir nicht
gefallen!“

„Und was war’s denn?“ forſchte die Alte ſachlich,
indem ſie jetzt die Kartoffelnudeln in die ziſchende
Pfanne ſchüttete.

„Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,“
und Steffi ſtreifte den Aermel zurück und zeigte den
blauen Fleck. „Mein Fräulein, hat er geſagt, mein
Fräulein, das war nur ein Scherz! Und die Frau
Zahnarzt und der Herr Zahnarzt ſind gekommen und
haben geſagt: Aber mein Fräulein, — Sie wollen
uns ſchon verlaſſen? Gnädige Frau, hab ich geſagt,
Geld und Ruhm ſind mir nichts, — aber wenn ich
Schaden nehme an meiner Seele ... Und dann,
Mutter, heute Morgen in der Bahn, — aber das
kann ich niemand ſagen!“ Und Steffi holte ein
Battiſttüchlein aus der Taſche und preßte es an die
Augen.

Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm ſich eine
gründliche Priſe und ließ ſich alles noch einmal
erzählen. Dann ſchneuzte er ſich in ſein rotes Tuch
und erklärte:

„Recht iſt es, daß du heimgekommen biſt! So
arm ſind wir nicht, daß wir unſere Tochter verkaufen
müſſen! Bleibſt jetzt hier und hilfſt der Mutter!“

Und Steffi mußte ihren Rieſenhut aufhängen, ſich
eine Schürze vorbinden, und in dem Stall die Ziegen
melken. Dann aber klagte ſie, daß ihr der Rücken
weh täte, daß ſie Bruſtſchmerzen hätte, und den
Geruch nicht vertrüge. Schließlich bekam ſie Naſen-
bluten, legte ſich auf das wacklige Sofa am Fenſter
und ſpannte den roten Schirm aus, weil die Sonne
ſie blende.

„Ach, Mutter,“ ſeufzte ſie uter dem Schirm, „wenn
du wüßteſt, was ich erlebt habe, noch heute Morgen
in der Bahn dann würdeſt du verſtehn, daß ich keine
Ziegen melken kann!“

Am Nachmittag fanden ſich alle Freundinnen aus
dem Dorf ein, um von Steffis großen Abenteuern in
der Stadt zu hören. Man trank Kaffee, ſpeiſte Kuchen,
die Steffi im Karton mitgebracht hatte, bewunderte
den roten Schirm und den Rieſenhut mit der knall-
blauen Schleife, während Steffi, noch immer auf
dem Sofa liegend, ausführlich erzählte:

„Und dann ſagte er: mein Fräulein,“ und erläuternd
fügte er hinzu: „Man ſagt nämlich in der Stadt
immer ſo: mein Fräulein, — mein Herr!“

Und die Mädchen wiederholten leiſe: „Mein
Fräulein, mein Herr!“ und ſahen bewundernd auf
Steffi.

Aber ganz ſprachlos wurden ſie erſt, als Steffi
ihnen vom Herrn Zahnarzt und ſeinen Möbeln
erzählte:

„Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man
in den Salon, kann man ſich gleich fünf mal ſehen,
[Spaltenumbruch] und weiß nicht wohin, vor lauter Spiegeln! Und
was für Plüſchſofas und Stühle! So weich wie ein
Muff, und ſo rot und glitzernd wie die Fron-
leichnamsfahne! Und alles Holz gedreht und ge-
brannt, mit Kugeln und Säulchen, ganz wie in einem
richtigen Schloß! Und mitten auf dem Tiſch ein
wirkliches Denkmal, ganz aus Gold, mit langem Spieß
und Trompete!“

Und der alte Kniebauer tunkte ſeinen Brotſtummel
tief in den ſüßen Kaffee und ſagte feierlich: „Geld
und Ruhm ſind nichts, — wer aber Schaden nimmt
an ſeiner Seele ...“ und ſchlürfend nahm er einen
Schluck, während die Alte kochendes Waſſer in die
Kaffeekanne nachgoß

„Ja, in der Stadt iſt Alles ſo ſein und gebildet,“
fuhr Steffi fort, and führte die Taſſe mit weit ab-
ſtehendem kleinen Finger zum Munde, „überall
Teppiche und Parkett, und auch auf den Straßen
Alles glatt, wie in einem Saal, daß man immer
tanzen möchte. Und alle Häuſer aus Glas, daß man
durchſehen kann, wie durch Luft, Hüte, Kleider,
Stiefel, — jedes in einem beſonderen Haus. Auch
dieſer Hut hing in lauter Glas, man braucht nur
hineinzugehen, gleich fragt eine Dame, oder auch ein
Herr:

„Mein Fräulein, Sie wünſchen?“

Und dann ſagt man: „Mein Herr, ich wünſche ...“
Und das Geld legt man einfach bei einem ſilbernen
Kaſten hin, der gedreht wird und klingelt, und dann
ſpringt die Zahl heraus, daß man gleich ſehen kann,
wie teuer der Hut war!“

„Und wie teuer war er denn?“ fragte die alte
Kniebauer mit beſorgtem Stolz

„Neunzehn Mark fünfzig. — und das iſt billig für
den Hut, ſagen Alle!“ erklärte Steffi.

„Neunzehn Mark fünfzig!“ flüſterten die Mädchen,
und durften vorſichtig die blaue Schleife betaſten.

„Ja, das iſt Seide aus Paris, das muß man ſchon
in der Stadt tragen,“ fügte Steffi binzu, die den be-
ſorgten Blick der Mutter aufgefangen hatte.

„Ja, Paris, Paris,“ brummte der alte Kniebauer
mißbilligend, „das iſt auch ſo eine Stadt!“ Und er
nahm eine Priſe und ſchneuzte ſich gewaltig ins
rote Tuch.

„Wer aber an ſeine Seele nicht denkt, der iſt in
der Stadt verloren,“ verſuchte Steffi die Mutter vom
Hut abzulenken. „Und was erlebt man nicht alles
in der Stadt, — und erſt recht auf der Reiſe!“

Die Mädchen drängten ſich immer dichter um
Steffi, und ſtarrten ſie wie eine Märtyrerin in ſcheuer
Ehrfurcht an.

„Da ſaß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein
auf der Bank, und vor mir ein junger Herr, der ein
Buch las. Plötzlich kam der Tunnel, es wurde
finſter, wie in der Nacht. Da fühlte ich irgendwas
ſtechen, und eine Hand, die mich hielt, daß ich nicht
aufſtehen konnte, —

„Aber mein Herr.“ ſagte ich. —

„Mein Fräulein!“ ſagte er. — da wurde es mir
ganz ſchwach ... Aber ich hatte noch großes Glück:
garade wie ich dachte, jetzt, jetzt nimmt deine Seele
doch Schaden, — da wurde es wieder hell, der Tunnel
war vorüber, und der Herr ſaß wieder vor mir und
las ſein Buch! Ich brauchte mir nur die Haare
und den Hut ein wenig zu ordnen, — meine Seele
war wieder gerettet!“

„Und wär auch der ganze Hut verdorben,“ meinte
der alte Kniebauer in gelaſſener Würde, „was ſind
neunzehn Mark fünfzig, wenn’s um das Seelenheil
der Ewigkeit geht!“

„Ja, das war mein Glück im Tunnel,“ näſtelte
Steffi: „daß ich den Hut vorhielt, — und daß er
ſo groß war!“

Zigaretten.

Zigaretten koſten nun — ich weiß nicht, wieviel
Milliarden Mark das Stück; ſie gehören ſchon zu
den unerſchwinglichen Genüſſen und werden,
ſcheint mir, bald ganz ausſterben — nicht nur
im armen Deutſchland.

Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand
er dort Zigarren vor; vielleicht auch Pfeifen;
doch darüber bin ich nicht ausreichend unter-
richtet. Man hat denn auch Tabak auf die
urſprüngliche Art geraucht — und nebenbei ge-
kaut, geſchnupft — bis in die Siebzigerjahre.

[Spaltenumbruch]

Da erſt kam die Zigarette auf und ſiegte
allenthalben: als Cigarillo in Spanien; in Ruß-
land als Papyros; im Morgenland verdrängte ſie
Nardſchile und Tſchibuk. Ein ganzer Stand, das
blühende Gewerbe der Pfeifenſtopfer, Tſchibuk-
dſchi, mußte daran glauben. Was war er für ein
großer Herr geweſen, dieſer Pfeifenſtopfer des
Paſchas — da er den mächtigen Paſcha ſtets als
Nächſter im Gefolge begleitete, Mitwiſſer ſeiner
Ränke! Darum ließ man zu Stambul, wenn
der Diwan an der Hohen Pforte tagte, nur taub-
ſtumme Pfeifenſtopfer zu.

Die beſte Zigarette war die ägyptiſche — ſo
genannt, weil Griechen ſie aus makedoniſchem
Tabak in London und Hamburg erzeugten. Er-
leſener, alter Tabak; die Bulgaren haben ein
Sprichwort, das alte Freunde, alten Tabak und
Wein als vortrefflich rühmt.

Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi
und Kawalla am Aegäiſchen Meer. Ganz kleine
Blätter, ſie deckten keine Kinderhand, doch hell-
gelb und von ſo feiner Würze, daß man ſie für
ſich allein gar nicht rauchte — etwa wie man die
Vanille nicht mit Löffeln ißt, ſondern man par-
fümiert nur mit Spuren von Vanille andre, ſub-
ſtanzielle Speiſen. Als die Deutſchen in Bul-
garien ſtanden — o ſchöne Zeit! — da ſind Kiſten
dieſes Tabaks als „Geheimakten der Kaiſerlichen
Feldtransportleitung“ verſiegelt zu uns ge-
wandert.

Türkiſche Bauern waren es, die mit viel-
hundertjähriger Erfahrung den Tabak von Xanthi
und Kawalla zogen — nicht zum Broterwerb,
ſondern aus Liebhaberei — denn ſoviel Sorgfalt,
Arbeit, Sachverſtand kann man einem gar nicht
bezahlen.

Da brach im Herbſt 1912 der Balkankrieg aus;
die Bulgaren nahmen den Tabakbezirk. Sie ſind
ausgezeichnete Gärtner, die Bulgaren; doch im
Lärm der Waffen konnten ſie den erbgeſeſſenen
Türken ihre Geheimniſſe nicht ablauſchen. Sie
bekehrten die Bauern nur zum Chriſtentum.

Es gibt viele Methoden der Bekehrung — das
milde Wort des Prieſters — Beſchenkung mit
Kleidungsſtücken und Bibeln: die Bulgaren
wählten, raſch wie ſie ſind, die hurtigſte Methode
— jene, wo der Feldwebel den Miſſionar und
ein Gewehrkolben den Weihwedel erſetzt. So
waren die türkiſchen Tabakbauern glücklich für
das Sofioter Erarchat gewonnen und teilhaftig
der ewigen Seligkeit.

Doch das Kriegsglück wandte ſich — die Bul-
garen zogen ſich zurück. Griechen marſchierten
ein — und die armen Bauern von Xanthi hatten
einige kaum begriffene Glaubensſätze umzu-
lernen. Verwirrt durch die theologiſchen (und
liturgiſchen) Widerſprüche räumten die türkiſchen
Bauern das Feld.

Es war ein ſandiges Feld geweſen, für Tabak-
pflanzung beſonders geeignet. Die Bauern haben
drüben in Anatolien kein paſſendes mehr
gefunden.

Und ſo kommt es, daß ich, daß du, daß wir
alle in dieſem Leben, um der Gegenſätze in den
orientaliſchen Kirchen willen, keine Zigaretten
mehr rauchen werden von jener Güte, die wir
von jung auf genießen durften.

Papſt und König als Schriftſteller.

Aus Rom berichtet die „Voſſ. Ztg,“ von dem
ſeltenen, vielmehr einzigen Fall, daß Papſt und
König faſt gleichzeitig unter die Schriftſteller
gegangen und von beiden hochintereſſante Werke
erſchienen ſind. Von König Viktor Emanuel,
dem hervorragenden Numismatiker, der neueſte
Band ſeines gewaltigen „Corpus Nummorum
Italicorum
“ von Papſt Pius XI. eine Sammlung
ſeiner alpiniſtiſchen Schriften. Das Werk des
Königs, von dem nunmehr acht Bände mit ſchönen
Phototypien herausgekommen ſind, behandelt klar
und überſichtlich die ganze numismatiſche Ge-
ſchichte Italiens vom Untergange des römiſchen
Reiches an. Der Verfaſſer gibt indeſſen in ſeiner
Beſcheidenheit auf dem Titelblatt nicht einmal
ſeinen Namen an und bezeichnet das Werk das
einzige über die Münzen des italieniſchen Mittel-
alters und der Moderne“ — als „Verſuch“. Iſt
der „Re“ in ſeinem Buche Fachgelehrter und
[Spaltenumbruch] Hiſtoriker, ſo iſt der Papſt in dem ſeinigen Feuille-
toniſt. Viele Päpſte haben von theologiſchen Din-
gen geſchrieben, und Pius’ Vorgänger Leo XIII.
gab ſogar von Horaziſchem Geiſt durchwehte Oden
heraus. Ueber Alpinismus aber hatte ſich bisher
kein Nachfolger des heiligen Petrus verbreitet.
Pius tut dies mit ſo feinem Naturempfinden und
ſolcher Poeſie, er ſchildert ſeine oft ſchwierigen und
gefährlichen Bergbeſteigungen, z. B. der Monte-
Roſa-Gruppe, ſo anſchaulich und lebendig, daß
vom erſten bis zum letzten Blatte die Spannung
anhält. Das prächtig illuſtrierte Buch iſt bei
Bertieri und Vanzetti in Mailand erſchienen.

Kunſtgeſchichtliche Tabellen.

Das Bedürfnis nach ſynchroniſtiſchen Kunſt-
tabellen haben die allzeit praktiſchen Engländer
ſchon vor geraumer Zeit zu erfüllen geſucht.
Aber dieſe engliſchen Publikationen ſind nicht
nur unvollſtändig, durch die Forſchung beſonders
des letzten Jahrzehntes überholt, ſie ſind den
wenigſten deutſchen Kunſtfreunden und For-
ſchern überhaupt zugänglich. In immer ſtär-
kerem Maße, aus verſchiedenen Gründen, be-
ſteht das Intereſſe, eine Ueberſicht über das
gleichzeitige Wirken der Künſtler in den ver-
ſchiedenen Ländern zu gewinnen, um die Tätig-
keit von Malern, Bildhauern und Architekten
ſowohl innerhalb dieſes Künſtlerkreiſes mit-
einander zu vergleichen, ganz beſonders aber,
um aus ihren zeitlichen Zuſammenhängen mit
geſchichtlichen und literariſchen Ereigniſſen,
kurz aus dem jeweils charakteriſtiſchen kultu-
rellen Bild heraus, innere Beziehungen noch
beſſer veranſchaulichen zu können.

Die erſte umfaſſende deutſche Arbeit iſt
nun erſchienen: Rudolf Brettſchneider
hat in ſeinen „Synchroniſtiſchen Ta-
bellen zur Geſchichte der Malerei
des
XIII. bis XIX. Jahrhunderts“ (Ver-
lag Ed. Strache, Wien-Prag-Leipzig) den erſten
großangelegten Verſuch gemacht. Praktiſch ge-
gliedert und vorzüglich ausgeſtattet, wird die
Veröffentlichung vielen willkommen ſein, dem
Studierenden, dem Sammler, auch dem Forſcher
wertvolle, wenn auch weitmaſchige Ueberſicht
bieten.

Der erſte Schritt iſt getan. Der Ausbau der
Arbeit kann erſt all die Ergänzungen bringen,
die die Tabellen zu einem wirklich praktiſchen
Behelfe machen. Denn in der vorliegenden Zu-
ſammenſtellung wird uns noch ziemlich viel
eigene Arbeit bei Benützung der Liſten zuge-
mutet. Brettſchneider hat ſich (nach langem
Schwanken) dazu entſchloſſen, die Künſtler nach
ihren Geburtsdaten einzuſetzen. Dadurch iſt
immer eine Art Umrechnung in die Jahre der
weſentlichen künſtleriſchen Betätigung nötig.
Will man nicht dieſe Daten der Meiſter ein-
ſetzen, ſo ſcheint ein paralleles Tabellenwerk
nicht nur notwendig, ſondern faſt noch wichtiger,
worin die inſchriftlich oder dokumentariſch ge-
ſicherten Hauptwerke der einzelnen Künſtler ver-
zeichnet ſind. Solche Tabellen werden nach viel
aufſchlußreicher wirken, und ſie werden für die
Hauptblütezeiten der Malerei natürlich aus-
führlicher ſein müſſen als für weniger weſent-
liche Perioden.

Das Künſtleregiſter Brettſchneiders iſt ſorg-
fältig gearbeitet. Sein verdienſtvolles erſtes
Wert läßt es wünſchenswert erſcheinen, daß der-
ſelbe Autor — vielleicht in Form eines zweiten
Bandes — eine Erweiterung, wie ich ſie oben
anregte, erſcheinen läßt.

Dürer wollte tanzen lernen ...

Als der 35-
jährige Albrecht Dürer in Venedig war, wollte er
auch tanzen lernen, machte aber dabei ſchlechte
Erfahrungen. „Wißt auch,“ ſchrieb er im Oktober
1506 an ſeinen Freund Pirkheimer. „daß ich
mir vorgenommen hatte, tanzen zu lernen, und
ging zweimal auf die Schule. Da mußte ich dem
Meiſter einen Dukaten geben, da konnte mich
kein Menſch mehr hinbringen. Ich würde wohl
alles das verloren haben, was ich gewonnen
hatte, und hätte dennoch zuletzt nichts gekonnt.“



Konzerte.

Wo eigentlich die Grenze zwiſchen noch er-
laubten und nicht mehr erlaubten Freiheiten
im Vortrag läuft, iſt objektiv nicht zu entſchei-
den: ſie müſſen im einzelnen Fall im perſön-
lichen Temperament und in der Ueberzeugungs-
kraft des Künſtlers ihre Rechtfertigung finden.
Joſeph Pembaur verſöhnt durch die Inten-
ſität ſeines Erlebens mit den ihm eigenen, mit-
unter faſt bis zur Verzerrung gehenden Eigen-
mächtigkeiten. Bei Chopin, den Pembaur mit
ſeiner ſtark romantiſch gerichteten Klang-
phantaſie ſpielt, läßt man ſich es immerhin ge-
fallen. Die Franziskus-Legenden werden ihm
zum perſönlichen religiöſen Bekenntnis.

Im Hauſegger-Konzert ſpielte Edwin Fiſcher
das d-Moll-Konzert von Brahms. Hier mit
ſeinem blonden Naturburſchentum glaubhafter,
als wenn er einen modernen Abend gibt. Wirk-
lich bedeutend in den mit immenſer rhythmiſcher
Kraft vorgetragenen Steigerungen. Im übrigen
freilich, wie in letzter Zeit öfter, teilweiſe
pianiſtiſch undiſzipliniert. Das Arpeggio auf
dem letzten Akkord des Mittelſatzes iſt eine Ge-
ſchmackloſigkeit. Hausegger gab ſein Stärkſtes
mit der Leonoren-Ouvertüre. Die Sinphonie
war im Hinarbeiten auf Plaſtik überpointiert.

Frank Waller hat viel Temperament und
Draufgängertum, nichts von der Hausegger-
ſchen Aſkeſe. Durch zu ſtarkes Dirigieren auf
Oberſtimme hin geht ihm freilich die volle Aus-
wertung der Orcheſterpolyphonie noch ab. Bloß
verſchone er uns mit der Indianer-Liturgig der
Williamsſchen Phantaſie. Berta Morena ſang
Iſoldens Liebestod mit aller Tradition großen
Wagnerſtils. 11.

Das Birkigt-Quartett.

Zwei Momente ſind es, die gerade in München
dem Birkigt-Quartett ganz vorragende Wichtig-
keit verleihen, zwei Momente, in denen der be-
ſondere Sinn, die Rolle der Vereinigung be-
ruht: große Unternehmungsluſt, Betätigungs-
drang im beſten Sinne (wie er hier leider ſo
ſelten iſt) — und herrliche Inſtrumente. Wenn
[Spaltenumbruch] ein Quartett es übernimmt, in 15. Abenden die
geſamten Streichquartette Haydns aufzuführen,
wenn man zudem von dieſem Quartett hört,
wie es ſich unentwegt, außerhalb der Oeffent-
lichkeit für alte und moderne Werke einſetzt,
die man in Konzerten hier nicht zu hören be-
kommt, — wenn man weiß, daß ſich das Quartett
aus Orcheſtermitgliedern zuſammenſetzt, deren
ſtrenger Dienſt bekannt iſt, dann muß man dop-
pelt die echte Muſizierfreudigkeit, das Tempera-
ment zur Leiſtung bewundern. So was brauchen
wir hier.

Und dann die edeln Inſtrumentel Ein kom-
plettes Amati-Quartett
. Auch damit
ſind wir nicht eben verwöhnt. Klangkultur ge-
hört heute zu den ſeltenſten Eigenſchaften un-
ſerer
Kammermuſikvereinigungen. Nur zu oft
wird ein verwöhntes Ohr durch eine Bratſche
oder eine Geige geſtört, die zur Klangfarbe der
übrigen Inſtrumente nicht abgeſtimmt iſt. Dem
Birkigt-Quartett erwächſt aus dem Beſitze ſeiner
Inſtrumente alſo geradezu eine Aufgabe: uns
das Gefühl für geſchloſſene Klangkörper, für
Kolorit wieder anzuerziehen.

Beides aber, die ſtarke Muſizierfreudigkeit
und das köſtliche Material, birgt Gefahren: das
viele Muſizieren die Gefahr der Oberflächlichkeit,
die Inſtrumente aber die Gefahr alles edlen
Materiales: nur dem vollendeten Reiter iſt der
Vollblut-Araber das ideale Reittier. Wehe der
harten Hand, dem rohen Schenkeldruck, der dem
Pferd den nicht ebenbürtigen Reiter verrät. Er
macht auf dem Vollblut kläglichere Figur, als auf
einem Reitſchulgaul.

Das Birkigt-Quartett erliegt ſeinen edlen In-
ſtrumenten. Das robuſte Spiel des Primgeigers
und das unzulängliche ſeiner drei Begleiter läßt
zwar manchmal — in der Kantilene oder bei
warmblütigen Stellen — herrliche Töne erklin-
gen. Doch das ſind Ausnahmen, im allgemeinen
bedauert man die Inſtrumente. Zudem das
Muſikaliſche: das Quartett ſpielt „Orcheſter“,
nicht Kammermuſik. Auch beim Quartett-
ſpiel bleibt Birkigt Konzertmeiſter — Flügel-
mann —, die geiſtige Führung des Primgeigers,
[Spaltenumbruch] der Sinn für das Ganze (und ſich ſelbſt als Teil),
architektoniſche wie agogiſche Einfühlung fehlt.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Birkigt im Ver-
band mit hochwertigen Muſikern die Möglichkeit
fände, ſich dem Werk und ſeiner Geſtaltung ein-
zuleben. Das trockene, gewöhnliche Cello, vor
allem aber Höſls unmuſikaliſches und unintelli-
gentes Bratſchenſpiel, ſchließlich in dieſer Zu-
ſammenſtellung auch die blaſſe kärgliche zweite
Geige, machen ein eigentliches Quartettſpiel un-
möglich. Es wäre ernſtlich zu wünſchen, daß
Birkigt in der Zuſammenſtellung ſeines Quar-
tettes eingreifende Aenderungen vornimmt, vor
allem aber die Bratſche durch eine muſikaliſchere
Perſönlichkeit erſetzt. Ihr vor allem iſt das
Malheur zuzuſchreiben, das am 13. Dezember in
der Fuge des A-Dur-Quartettes (Nr. 36) paſ-
ſierte; an jedem der früheren Abende
gab es Stellen, bei denen man um das Zuſam-
menſpiel zitterte, bei denen alles ins Schwanken
und Schwimmen geriet. In dem A-Dur-Quar-
tett aber geſchah, was nicht geſchehen darf bei
einem öffentlichen Konzert: Birkigt mußte ab-
klopfen, der Satz neu begonnen werden — und
auch die Wiederholung wäre ums Haar nochmals
entgleiſt. Mit einer Kritik wurde abſichtlich bis-
her zurückgehalten, da zu erwarten war, daß
das Quartett an den folgenden Abenden ſein
Beſtes geben würde. Dieſe Abende haben inzwi-
ſchen zwar den ſchlimmſten Eindruck verwiſcht,
aber neuerdings bewieſen, daß das Birkigt-
Quartett auch der anderen Gefahr nicht gewach-
ſen iſt: eine wirklich durchgearbeitete, fertige
Leiſtung bietet es nie. Es bietet viel, es hat die
herrlichen Inſtrumente, aber es wird den Auf-
gaben, die es ſich ſelbſt ſtellt, nicht gerecht —
noch viel weniger der Qualität des Muſizierens,
die ſein edles Material erfordert. P.




Die Münchener Schriftſtellerin Maria von Hof-
mann-Cortens
hat eben eine neue „Meſſe“
vollendet. — Das Werk, welches mit Männer-Frauen-
Kinderchören ſowie Geſang, Orgel und großem
Orcheſter verflochten iſt, wird in München mit erſten
Kräften zur Uraufführung kommen.

[Spaltenumbruch]
Neue Bücher.
Paul Roſenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig,
Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H.
130 S.
Guſtav Koehler, Der Aſtralſtrolch. Ein okkulter
Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl)
G. m. b. H. 408 S.
Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried-
Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m.
b. H. 198 S.
Liſa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus.
Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgiſche Buch-
druckerei und Verlagsanſtalt G. m. b. H. 165 S.
Horſt Wolfram Geißler, Der liebe Auguſtin. Die
Geſchichte eines leichten Lebens. München, Verlag
Parcus & Cie. 389 S.
Franziska Hager, Der Dorfſchullehrer. Ein Buch
der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver-
lag. 74 S.
Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchſteiner
Elslein. Roman. 231 S. — Hubertus-Kraft Graf
Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg.
Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. —
Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In-
golſtadt. 3 Bände. — Sämtlich: Donauwörth, Ludw.
Auer (Pädagogiſche Stiftung Caſſianeum).
Guſtav Büſcher, Die Vergiftung des Geiſtes als
Urſache des Krieges und der Revolution. Walli-
ſellen b. Zürich, Selbſtverlag, 143 S.
Hans Breitenſträter, Meine Kämpfe. Mit
30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S.
Wen ſoll man heiraten? Das Ergebnis eines
Preisausſchreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold-
Verlag. 109 S.
Felix Krüger, Der Verkehr. Eine pſychologiſch-
moraliſche Betrachtung. Hamburg, Hanſeatiſche Ver-
lagsanſtalt. 36 S.
H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlſtand. Ein neuer
Ausblick auf das praktiſche Leben. Berlin, Haude-
und Spenerſche Buchhandlung Max Paſchke. 189 S.
Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die
deutſche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin,
J. G. Cottaſche Buchhandlung Nachf. 283 S.
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[9/0009] Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12 Steffis Glück im Tunnel. Von Siegfried von Vegesack Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel- nudeln auf dem Brett, als Steffi mit einem Papp- karton, einem Teller-flachen Strohhut mit knallblauer Rieſenſchleife und einem grellroten Sonnenſchirm durch die Tür tänzelte. „Grüß Gott, Mutter!“ rief ſie ein wenig näſelnd, warf den Karton auf die Bank, faßte mit Vorſicht die Alte am mehlfreien Arm und ließ ſich auf dem ein- zigen gepolſterten Stuhl der ärmlichen Stube nieder. „Biſt du’s, Steffi?“ Und Frau Kniebauer hielt im Rollen inne, wiſchte ſich unwillkürlich die Hände an der Schürze und ſtaunte abwechſelnd Strohhut und Sonnenſchirm an. „Biſt ſcho fortgeſchickt?“ fragte ſie ſchließlich. „Bin ſelber gegangen!“ erklärte Steffi ſtolz, holte einen kleinen Spiegel aus der Taſche und ordnete ſich das Haar. „Der Bub vom Zahnarzt war mir zu frech, da konnte ich nicht bleiben. Das hat uns doch ſchon der Herr Kooperator geſagt: Geld, Ruhm und Ehre ſind nichts, wer aber Schaden nimmt an ſeiner Seele ...“ Frau Kniebauer, die inzwiſchen das Brett mit neuem Mehl beſtreut hatte, rollte ſo beftig die Kar- toffelnudeln, daß ſie dünn wurden, wie Ratten- ſchwänze. „Wär beſſer geweſen, du hätteſt dem Buben eins ausgewiſcht!“ Und ſie warf Schmalz auf die Pfanne, daß es ziſchte. „O, ich hab’s ihm gegeben,“ näſelte Steffi, „mein Herr, hab ich geſagt, mein Herr, ich bin ein armes, aber anſtändiges Mädchen, — das laß ich mir nicht gefallen!“ „Und was war’s denn?“ forſchte die Alte ſachlich, indem ſie jetzt die Kartoffelnudeln in die ziſchende Pfanne ſchüttete. „Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,“ und Steffi ſtreifte den Aermel zurück und zeigte den blauen Fleck. „Mein Fräulein, hat er geſagt, mein Fräulein, das war nur ein Scherz! Und die Frau Zahnarzt und der Herr Zahnarzt ſind gekommen und haben geſagt: Aber mein Fräulein, — Sie wollen uns ſchon verlaſſen? Gnädige Frau, hab ich geſagt, Geld und Ruhm ſind mir nichts, — aber wenn ich Schaden nehme an meiner Seele ... Und dann, Mutter, heute Morgen in der Bahn, — aber das kann ich niemand ſagen!“ Und Steffi holte ein Battiſttüchlein aus der Taſche und preßte es an die Augen. Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm ſich eine gründliche Priſe und ließ ſich alles noch einmal erzählen. Dann ſchneuzte er ſich in ſein rotes Tuch und erklärte: „Recht iſt es, daß du heimgekommen biſt! So arm ſind wir nicht, daß wir unſere Tochter verkaufen müſſen! Bleibſt jetzt hier und hilfſt der Mutter!“ Und Steffi mußte ihren Rieſenhut aufhängen, ſich eine Schürze vorbinden, und in dem Stall die Ziegen melken. Dann aber klagte ſie, daß ihr der Rücken weh täte, daß ſie Bruſtſchmerzen hätte, und den Geruch nicht vertrüge. Schließlich bekam ſie Naſen- bluten, legte ſich auf das wacklige Sofa am Fenſter und ſpannte den roten Schirm aus, weil die Sonne ſie blende. „Ach, Mutter,“ ſeufzte ſie uter dem Schirm, „wenn du wüßteſt, was ich erlebt habe, noch heute Morgen in der Bahn dann würdeſt du verſtehn, daß ich keine Ziegen melken kann!“ Am Nachmittag fanden ſich alle Freundinnen aus dem Dorf ein, um von Steffis großen Abenteuern in der Stadt zu hören. Man trank Kaffee, ſpeiſte Kuchen, die Steffi im Karton mitgebracht hatte, bewunderte den roten Schirm und den Rieſenhut mit der knall- blauen Schleife, während Steffi, noch immer auf dem Sofa liegend, ausführlich erzählte: „Und dann ſagte er: mein Fräulein,“ und erläuternd fügte er hinzu: „Man ſagt nämlich in der Stadt immer ſo: mein Fräulein, — mein Herr!“ Und die Mädchen wiederholten leiſe: „Mein Fräulein, mein Herr!“ und ſahen bewundernd auf Steffi. Aber ganz ſprachlos wurden ſie erſt, als Steffi ihnen vom Herrn Zahnarzt und ſeinen Möbeln erzählte: „Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man in den Salon, kann man ſich gleich fünf mal ſehen, und weiß nicht wohin, vor lauter Spiegeln! Und was für Plüſchſofas und Stühle! So weich wie ein Muff, und ſo rot und glitzernd wie die Fron- leichnamsfahne! Und alles Holz gedreht und ge- brannt, mit Kugeln und Säulchen, ganz wie in einem richtigen Schloß! Und mitten auf dem Tiſch ein wirkliches Denkmal, ganz aus Gold, mit langem Spieß und Trompete!“ Und der alte Kniebauer tunkte ſeinen Brotſtummel tief in den ſüßen Kaffee und ſagte feierlich: „Geld und Ruhm ſind nichts, — wer aber Schaden nimmt an ſeiner Seele ...“ und ſchlürfend nahm er einen Schluck, während die Alte kochendes Waſſer in die Kaffeekanne nachgoß „Ja, in der Stadt iſt Alles ſo ſein und gebildet,“ fuhr Steffi fort, and führte die Taſſe mit weit ab- ſtehendem kleinen Finger zum Munde, „überall Teppiche und Parkett, und auch auf den Straßen Alles glatt, wie in einem Saal, daß man immer tanzen möchte. Und alle Häuſer aus Glas, daß man durchſehen kann, wie durch Luft, Hüte, Kleider, Stiefel, — jedes in einem beſonderen Haus. Auch dieſer Hut hing in lauter Glas, man braucht nur hineinzugehen, gleich fragt eine Dame, oder auch ein Herr: „Mein Fräulein, Sie wünſchen?“ Und dann ſagt man: „Mein Herr, ich wünſche ...“ Und das Geld legt man einfach bei einem ſilbernen Kaſten hin, der gedreht wird und klingelt, und dann ſpringt die Zahl heraus, daß man gleich ſehen kann, wie teuer der Hut war!“ „Und wie teuer war er denn?“ fragte die alte Kniebauer mit beſorgtem Stolz „Neunzehn Mark fünfzig. — und das iſt billig für den Hut, ſagen Alle!“ erklärte Steffi. „Neunzehn Mark fünfzig!“ flüſterten die Mädchen, und durften vorſichtig die blaue Schleife betaſten. „Ja, das iſt Seide aus Paris, das muß man ſchon in der Stadt tragen,“ fügte Steffi binzu, die den be- ſorgten Blick der Mutter aufgefangen hatte. „Ja, Paris, Paris,“ brummte der alte Kniebauer mißbilligend, „das iſt auch ſo eine Stadt!“ Und er nahm eine Priſe und ſchneuzte ſich gewaltig ins rote Tuch. „Wer aber an ſeine Seele nicht denkt, der iſt in der Stadt verloren,“ verſuchte Steffi die Mutter vom Hut abzulenken. „Und was erlebt man nicht alles in der Stadt, — und erſt recht auf der Reiſe!“ Die Mädchen drängten ſich immer dichter um Steffi, und ſtarrten ſie wie eine Märtyrerin in ſcheuer Ehrfurcht an. „Da ſaß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein auf der Bank, und vor mir ein junger Herr, der ein Buch las. Plötzlich kam der Tunnel, es wurde finſter, wie in der Nacht. Da fühlte ich irgendwas ſtechen, und eine Hand, die mich hielt, daß ich nicht aufſtehen konnte, — „Aber mein Herr.“ ſagte ich. — „Mein Fräulein!“ ſagte er. — da wurde es mir ganz ſchwach ... Aber ich hatte noch großes Glück: garade wie ich dachte, jetzt, jetzt nimmt deine Seele doch Schaden, — da wurde es wieder hell, der Tunnel war vorüber, und der Herr ſaß wieder vor mir und las ſein Buch! Ich brauchte mir nur die Haare und den Hut ein wenig zu ordnen, — meine Seele war wieder gerettet!“ „Und wär auch der ganze Hut verdorben,“ meinte der alte Kniebauer in gelaſſener Würde, „was ſind neunzehn Mark fünfzig, wenn’s um das Seelenheil der Ewigkeit geht!“ „Ja, das war mein Glück im Tunnel,“ näſtelte Steffi: „daß ich den Hut vorhielt, — und daß er ſo groß war!“ Zigaretten. Von Roda Roda. Zigaretten koſten nun — ich weiß nicht, wieviel Milliarden Mark das Stück; ſie gehören ſchon zu den unerſchwinglichen Genüſſen und werden, ſcheint mir, bald ganz ausſterben — nicht nur im armen Deutſchland. Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand er dort Zigarren vor; vielleicht auch Pfeifen; doch darüber bin ich nicht ausreichend unter- richtet. Man hat denn auch Tabak auf die urſprüngliche Art geraucht — und nebenbei ge- kaut, geſchnupft — bis in die Siebzigerjahre. Da erſt kam die Zigarette auf und ſiegte allenthalben: als Cigarillo in Spanien; in Ruß- land als Papyros; im Morgenland verdrängte ſie Nardſchile und Tſchibuk. Ein ganzer Stand, das blühende Gewerbe der Pfeifenſtopfer, Tſchibuk- dſchi, mußte daran glauben. Was war er für ein großer Herr geweſen, dieſer Pfeifenſtopfer des Paſchas — da er den mächtigen Paſcha ſtets als Nächſter im Gefolge begleitete, Mitwiſſer ſeiner Ränke! Darum ließ man zu Stambul, wenn der Diwan an der Hohen Pforte tagte, nur taub- ſtumme Pfeifenſtopfer zu. Die beſte Zigarette war die ägyptiſche — ſo genannt, weil Griechen ſie aus makedoniſchem Tabak in London und Hamburg erzeugten. Er- leſener, alter Tabak; die Bulgaren haben ein Sprichwort, das alte Freunde, alten Tabak und Wein als vortrefflich rühmt. Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi und Kawalla am Aegäiſchen Meer. Ganz kleine Blätter, ſie deckten keine Kinderhand, doch hell- gelb und von ſo feiner Würze, daß man ſie für ſich allein gar nicht rauchte — etwa wie man die Vanille nicht mit Löffeln ißt, ſondern man par- fümiert nur mit Spuren von Vanille andre, ſub- ſtanzielle Speiſen. Als die Deutſchen in Bul- garien ſtanden — o ſchöne Zeit! — da ſind Kiſten dieſes Tabaks als „Geheimakten der Kaiſerlichen Feldtransportleitung“ verſiegelt zu uns ge- wandert. Türkiſche Bauern waren es, die mit viel- hundertjähriger Erfahrung den Tabak von Xanthi und Kawalla zogen — nicht zum Broterwerb, ſondern aus Liebhaberei — denn ſoviel Sorgfalt, Arbeit, Sachverſtand kann man einem gar nicht bezahlen. Da brach im Herbſt 1912 der Balkankrieg aus; die Bulgaren nahmen den Tabakbezirk. Sie ſind ausgezeichnete Gärtner, die Bulgaren; doch im Lärm der Waffen konnten ſie den erbgeſeſſenen Türken ihre Geheimniſſe nicht ablauſchen. Sie bekehrten die Bauern nur zum Chriſtentum. Es gibt viele Methoden der Bekehrung — das milde Wort des Prieſters — Beſchenkung mit Kleidungsſtücken und Bibeln: die Bulgaren wählten, raſch wie ſie ſind, die hurtigſte Methode — jene, wo der Feldwebel den Miſſionar und ein Gewehrkolben den Weihwedel erſetzt. So waren die türkiſchen Tabakbauern glücklich für das Sofioter Erarchat gewonnen und teilhaftig der ewigen Seligkeit. Doch das Kriegsglück wandte ſich — die Bul- garen zogen ſich zurück. Griechen marſchierten ein — und die armen Bauern von Xanthi hatten einige kaum begriffene Glaubensſätze umzu- lernen. Verwirrt durch die theologiſchen (und liturgiſchen) Widerſprüche räumten die türkiſchen Bauern das Feld. Es war ein ſandiges Feld geweſen, für Tabak- pflanzung beſonders geeignet. Die Bauern haben drüben in Anatolien kein paſſendes mehr gefunden. Und ſo kommt es, daß ich, daß du, daß wir alle in dieſem Leben, um der Gegenſätze in den orientaliſchen Kirchen willen, keine Zigaretten mehr rauchen werden von jener Güte, die wir von jung auf genießen durften. Papſt und König als Schriftſteller. Aus Rom berichtet die „Voſſ. Ztg,“ von dem ſeltenen, vielmehr einzigen Fall, daß Papſt und König faſt gleichzeitig unter die Schriftſteller gegangen und von beiden hochintereſſante Werke erſchienen ſind. Von König Viktor Emanuel, dem hervorragenden Numismatiker, der neueſte Band ſeines gewaltigen „Corpus Nummorum Italicorum“ von Papſt Pius XI. eine Sammlung ſeiner alpiniſtiſchen Schriften. Das Werk des Königs, von dem nunmehr acht Bände mit ſchönen Phototypien herausgekommen ſind, behandelt klar und überſichtlich die ganze numismatiſche Ge- ſchichte Italiens vom Untergange des römiſchen Reiches an. Der Verfaſſer gibt indeſſen in ſeiner Beſcheidenheit auf dem Titelblatt nicht einmal ſeinen Namen an und bezeichnet das Werk das einzige über die Münzen des italieniſchen Mittel- alters und der Moderne“ — als „Verſuch“. Iſt der „Re“ in ſeinem Buche Fachgelehrter und Hiſtoriker, ſo iſt der Papſt in dem ſeinigen Feuille- toniſt. Viele Päpſte haben von theologiſchen Din- gen geſchrieben, und Pius’ Vorgänger Leo XIII. gab ſogar von Horaziſchem Geiſt durchwehte Oden heraus. Ueber Alpinismus aber hatte ſich bisher kein Nachfolger des heiligen Petrus verbreitet. Pius tut dies mit ſo feinem Naturempfinden und ſolcher Poeſie, er ſchildert ſeine oft ſchwierigen und gefährlichen Bergbeſteigungen, z. B. der Monte- Roſa-Gruppe, ſo anſchaulich und lebendig, daß vom erſten bis zum letzten Blatte die Spannung anhält. Das prächtig illuſtrierte Buch iſt bei Bertieri und Vanzetti in Mailand erſchienen. Kunſtgeſchichtliche Tabellen. Das Bedürfnis nach ſynchroniſtiſchen Kunſt- tabellen haben die allzeit praktiſchen Engländer ſchon vor geraumer Zeit zu erfüllen geſucht. Aber dieſe engliſchen Publikationen ſind nicht nur unvollſtändig, durch die Forſchung beſonders des letzten Jahrzehntes überholt, ſie ſind den wenigſten deutſchen Kunſtfreunden und For- ſchern überhaupt zugänglich. In immer ſtär- kerem Maße, aus verſchiedenen Gründen, be- ſteht das Intereſſe, eine Ueberſicht über das gleichzeitige Wirken der Künſtler in den ver- ſchiedenen Ländern zu gewinnen, um die Tätig- keit von Malern, Bildhauern und Architekten ſowohl innerhalb dieſes Künſtlerkreiſes mit- einander zu vergleichen, ganz beſonders aber, um aus ihren zeitlichen Zuſammenhängen mit geſchichtlichen und literariſchen Ereigniſſen, kurz aus dem jeweils charakteriſtiſchen kultu- rellen Bild heraus, innere Beziehungen noch beſſer veranſchaulichen zu können. Die erſte umfaſſende deutſche Arbeit iſt nun erſchienen: Rudolf Brettſchneider hat in ſeinen „Synchroniſtiſchen Ta- bellen zur Geſchichte der Malerei des XIII. bis XIX. Jahrhunderts“ (Ver- lag Ed. Strache, Wien-Prag-Leipzig) den erſten großangelegten Verſuch gemacht. Praktiſch ge- gliedert und vorzüglich ausgeſtattet, wird die Veröffentlichung vielen willkommen ſein, dem Studierenden, dem Sammler, auch dem Forſcher wertvolle, wenn auch weitmaſchige Ueberſicht bieten. Der erſte Schritt iſt getan. Der Ausbau der Arbeit kann erſt all die Ergänzungen bringen, die die Tabellen zu einem wirklich praktiſchen Behelfe machen. Denn in der vorliegenden Zu- ſammenſtellung wird uns noch ziemlich viel eigene Arbeit bei Benützung der Liſten zuge- mutet. Brettſchneider hat ſich (nach langem Schwanken) dazu entſchloſſen, die Künſtler nach ihren Geburtsdaten einzuſetzen. Dadurch iſt immer eine Art Umrechnung in die Jahre der weſentlichen künſtleriſchen Betätigung nötig. Will man nicht dieſe Daten der Meiſter ein- ſetzen, ſo ſcheint ein paralleles Tabellenwerk nicht nur notwendig, ſondern faſt noch wichtiger, worin die inſchriftlich oder dokumentariſch ge- ſicherten Hauptwerke der einzelnen Künſtler ver- zeichnet ſind. Solche Tabellen werden nach viel aufſchlußreicher wirken, und ſie werden für die Hauptblütezeiten der Malerei natürlich aus- führlicher ſein müſſen als für weniger weſent- liche Perioden. Das Künſtleregiſter Brettſchneiders iſt ſorg- fältig gearbeitet. Sein verdienſtvolles erſtes Wert läßt es wünſchenswert erſcheinen, daß der- ſelbe Autor — vielleicht in Form eines zweiten Bandes — eine Erweiterung, wie ich ſie oben anregte, erſcheinen läßt. August L. Mayer. Dürer wollte tanzen lernen ... Als der 35- jährige Albrecht Dürer in Venedig war, wollte er auch tanzen lernen, machte aber dabei ſchlechte Erfahrungen. „Wißt auch,“ ſchrieb er im Oktober 1506 an ſeinen Freund Pirkheimer. „daß ich mir vorgenommen hatte, tanzen zu lernen, und ging zweimal auf die Schule. Da mußte ich dem Meiſter einen Dukaten geben, da konnte mich kein Menſch mehr hinbringen. Ich würde wohl alles das verloren haben, was ich gewonnen hatte, und hätte dennoch zuletzt nichts gekonnt.“ Konzerte. Wo eigentlich die Grenze zwiſchen noch er- laubten und nicht mehr erlaubten Freiheiten im Vortrag läuft, iſt objektiv nicht zu entſchei- den: ſie müſſen im einzelnen Fall im perſön- lichen Temperament und in der Ueberzeugungs- kraft des Künſtlers ihre Rechtfertigung finden. Joſeph Pembaur verſöhnt durch die Inten- ſität ſeines Erlebens mit den ihm eigenen, mit- unter faſt bis zur Verzerrung gehenden Eigen- mächtigkeiten. Bei Chopin, den Pembaur mit ſeiner ſtark romantiſch gerichteten Klang- phantaſie ſpielt, läßt man ſich es immerhin ge- fallen. Die Franziskus-Legenden werden ihm zum perſönlichen religiöſen Bekenntnis. Im Hauſegger-Konzert ſpielte Edwin Fiſcher das d-Moll-Konzert von Brahms. Hier mit ſeinem blonden Naturburſchentum glaubhafter, als wenn er einen modernen Abend gibt. Wirk- lich bedeutend in den mit immenſer rhythmiſcher Kraft vorgetragenen Steigerungen. Im übrigen freilich, wie in letzter Zeit öfter, teilweiſe pianiſtiſch undiſzipliniert. Das Arpeggio auf dem letzten Akkord des Mittelſatzes iſt eine Ge- ſchmackloſigkeit. Hausegger gab ſein Stärkſtes mit der Leonoren-Ouvertüre. Die Sinphonie war im Hinarbeiten auf Plaſtik überpointiert. Frank Waller hat viel Temperament und Draufgängertum, nichts von der Hausegger- ſchen Aſkeſe. Durch zu ſtarkes Dirigieren auf Oberſtimme hin geht ihm freilich die volle Aus- wertung der Orcheſterpolyphonie noch ab. Bloß verſchone er uns mit der Indianer-Liturgig der Williamsſchen Phantaſie. Berta Morena ſang Iſoldens Liebestod mit aller Tradition großen Wagnerſtils. 11. Das Birkigt-Quartett. Zwei Momente ſind es, die gerade in München dem Birkigt-Quartett ganz vorragende Wichtig- keit verleihen, zwei Momente, in denen der be- ſondere Sinn, die Rolle der Vereinigung be- ruht: große Unternehmungsluſt, Betätigungs- drang im beſten Sinne (wie er hier leider ſo ſelten iſt) — und herrliche Inſtrumente. Wenn ein Quartett es übernimmt, in 15. Abenden die geſamten Streichquartette Haydns aufzuführen, wenn man zudem von dieſem Quartett hört, wie es ſich unentwegt, außerhalb der Oeffent- lichkeit für alte und moderne Werke einſetzt, die man in Konzerten hier nicht zu hören be- kommt, — wenn man weiß, daß ſich das Quartett aus Orcheſtermitgliedern zuſammenſetzt, deren ſtrenger Dienſt bekannt iſt, dann muß man dop- pelt die echte Muſizierfreudigkeit, das Tempera- ment zur Leiſtung bewundern. So was brauchen wir hier. Und dann die edeln Inſtrumentel Ein kom- plettes Amati-Quartett. Auch damit ſind wir nicht eben verwöhnt. Klangkultur ge- hört heute zu den ſeltenſten Eigenſchaften un- ſerer Kammermuſikvereinigungen. Nur zu oft wird ein verwöhntes Ohr durch eine Bratſche oder eine Geige geſtört, die zur Klangfarbe der übrigen Inſtrumente nicht abgeſtimmt iſt. Dem Birkigt-Quartett erwächſt aus dem Beſitze ſeiner Inſtrumente alſo geradezu eine Aufgabe: uns das Gefühl für geſchloſſene Klangkörper, für Kolorit wieder anzuerziehen. Beides aber, die ſtarke Muſizierfreudigkeit und das köſtliche Material, birgt Gefahren: das viele Muſizieren die Gefahr der Oberflächlichkeit, die Inſtrumente aber die Gefahr alles edlen Materiales: nur dem vollendeten Reiter iſt der Vollblut-Araber das ideale Reittier. Wehe der harten Hand, dem rohen Schenkeldruck, der dem Pferd den nicht ebenbürtigen Reiter verrät. Er macht auf dem Vollblut kläglichere Figur, als auf einem Reitſchulgaul. Das Birkigt-Quartett erliegt ſeinen edlen In- ſtrumenten. Das robuſte Spiel des Primgeigers und das unzulängliche ſeiner drei Begleiter läßt zwar manchmal — in der Kantilene oder bei warmblütigen Stellen — herrliche Töne erklin- gen. Doch das ſind Ausnahmen, im allgemeinen bedauert man die Inſtrumente. Zudem das Muſikaliſche: das Quartett ſpielt „Orcheſter“, nicht Kammermuſik. Auch beim Quartett- ſpiel bleibt Birkigt Konzertmeiſter — Flügel- mann —, die geiſtige Führung des Primgeigers, der Sinn für das Ganze (und ſich ſelbſt als Teil), architektoniſche wie agogiſche Einfühlung fehlt. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Birkigt im Ver- band mit hochwertigen Muſikern die Möglichkeit fände, ſich dem Werk und ſeiner Geſtaltung ein- zuleben. Das trockene, gewöhnliche Cello, vor allem aber Höſls unmuſikaliſches und unintelli- gentes Bratſchenſpiel, ſchließlich in dieſer Zu- ſammenſtellung auch die blaſſe kärgliche zweite Geige, machen ein eigentliches Quartettſpiel un- möglich. Es wäre ernſtlich zu wünſchen, daß Birkigt in der Zuſammenſtellung ſeines Quar- tettes eingreifende Aenderungen vornimmt, vor allem aber die Bratſche durch eine muſikaliſchere Perſönlichkeit erſetzt. Ihr vor allem iſt das Malheur zuzuſchreiben, das am 13. Dezember in der Fuge des A-Dur-Quartettes (Nr. 36) paſ- ſierte; an jedem der früheren Abende gab es Stellen, bei denen man um das Zuſam- menſpiel zitterte, bei denen alles ins Schwanken und Schwimmen geriet. In dem A-Dur-Quar- tett aber geſchah, was nicht geſchehen darf bei einem öffentlichen Konzert: Birkigt mußte ab- klopfen, der Satz neu begonnen werden — und auch die Wiederholung wäre ums Haar nochmals entgleiſt. Mit einer Kritik wurde abſichtlich bis- her zurückgehalten, da zu erwarten war, daß das Quartett an den folgenden Abenden ſein Beſtes geben würde. Dieſe Abende haben inzwi- ſchen zwar den ſchlimmſten Eindruck verwiſcht, aber neuerdings bewieſen, daß das Birkigt- Quartett auch der anderen Gefahr nicht gewach- ſen iſt: eine wirklich durchgearbeitete, fertige Leiſtung bietet es nie. Es bietet viel, es hat die herrlichen Inſtrumente, aber es wird den Auf- gaben, die es ſich ſelbſt ſtellt, nicht gerecht — noch viel weniger der Qualität des Muſizierens, die ſein edles Material erfordert. P. Die Münchener Schriftſtellerin Maria von Hof- mann-Cortens hat eben eine neue „Meſſe“ vollendet. — Das Werk, welches mit Männer-Frauen- Kinderchören ſowie Geſang, Orgel und großem Orcheſter verflochten iſt, wird in München mit erſten Kräften zur Uraufführung kommen. Neue Bücher. Paul Roſenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H. 130 S. Guſtav Koehler, Der Aſtralſtrolch. Ein okkulter Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H. 408 S. Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried- Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m. b. H. 198 S. Liſa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus. Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgiſche Buch- druckerei und Verlagsanſtalt G. m. b. H. 165 S. Horſt Wolfram Geißler, Der liebe Auguſtin. Die Geſchichte eines leichten Lebens. München, Verlag Parcus & Cie. 389 S. Franziska Hager, Der Dorfſchullehrer. Ein Buch der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver- lag. 74 S. Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchſteiner Elslein. Roman. 231 S. — Hubertus-Kraft Graf Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg. Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. — Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In- golſtadt. 3 Bände. — Sämtlich: Donauwörth, Ludw. Auer (Pädagogiſche Stiftung Caſſianeum). Guſtav Büſcher, Die Vergiftung des Geiſtes als Urſache des Krieges und der Revolution. Walli- ſellen b. Zürich, Selbſtverlag, 143 S. Hans Breitenſträter, Meine Kämpfe. Mit 30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S. Wen ſoll man heiraten? Das Ergebnis eines Preisausſchreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold- Verlag. 109 S. Felix Krüger, Der Verkehr. Eine pſychologiſch- moraliſche Betrachtung. Hamburg, Hanſeatiſche Ver- lagsanſtalt. 36 S. H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlſtand. Ein neuer Ausblick auf das praktiſche Leben. Berlin, Haude- und Spenerſche Buchhandlung Max Paſchke. 189 S. Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die deutſche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin, J. G. Cottaſche Buchhandlung Nachf. 283 S.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-12-19T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 13. Januar 1924, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1924/9>, abgerufen am 02.06.2024.