Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 11. Januar 1872.
Aus Rußland. xx St. Petersburg, 5 Jan. Der gestrige Regierungs-An- Von der Erklärung welche Hr. Katkow in Bezug auf die zwischen ihm und Mit dem letzten Tage des alten Jahres ist nach längerem Interimisticum *) Nach der Lesart der "Russ. Welt" sagte Katkow zu dem Prinzen: "Wir wün-
schen daß Rußland in seinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung dessen was ihm fromme ganz selbständig sei. Wir lassen uns in unseren Ansichten vom russischen Interesse leiten, sind aber keineswegs die wüthenden Deutschenfresser als welche uns die Deutschen Zeitungen darstellen." Darauf erwiederte der Prinz: "Ich verstehe Sie. In diesem Sinn würde ich an Ihrer Stelle der enragirteste Russe sein. Was Deutschland betrifft, so wissen Sie selbst -- Sie lebten ja in Deutschland -- daß die Deutschen ein friedliebendes Volk sind. Gott sei Dank, es ist uns gelungen große Siege zu erringen; wir wünschen aber nichts als den Frieden. Die deutsche Cultur hat, wie ich glaube, einige Vorzüge vor der französischen, der in Rußland der Vorrang eingeräumt wurde, und es wäre wünschenswerth daß die Russen sich mit der deutschen Bildung näher bekannt machten. Wir haben einen großen Erfolg gehabt, aber auch in Rußland ge- schehen Wunder. Sie vollbringen in einigen Jahren was andere Völker in Jahrhunderten erreichten. Es ist mir bekannt daß Sie die Reformen Ihres Kaisers unterstützen. Deutschland wünscht den Frieden und die Freundschaft mit Rußland. Unsere Interessen collidiren in keiner Weise mit Rußland. Wenn in Deutschland eine gewisse Unzufriedenheit mit Rußland herrscht, so hat diese einzig in der zu strengen Abschließung seiner Gränzen und in der übermäßigen Be- engung des Handels durch die Strenge des Tarifs ihren Grund; was aber ist dagegen zu thun? Sich darüber zu beklagen hat niemand ein Recht. Was den Tarif betrifft, so waren wir niemals Fürsprecher der hohen Schutzzölle, und sind im Gegentheil der Meinung daß sie uns selbst Nachtheil bringen, indem sie unsere Productivität lahm legen."
Aus Rußland. ×× St. Petersburg, 5 Jan. Der geſtrige Regierungs-An- Von der Erklärung welche Hr. Katkow in Bezug auf die zwiſchen ihm und Mit dem letzten Tage des alten Jahres iſt nach längerem Interimiſticum *) Nach der Lesart der „Ruſſ. Welt“ ſagte Katkow zu dem Prinzen: „Wir wün-
ſchen daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung deſſen was ihm fromme ganz ſelbſtändig ſei. Wir laſſen uns in unſeren Anſichten vom ruſſiſchen Intereſſe leiten, ſind aber keineswegs die wüthenden Deutſchenfreſſer als welche uns die Deutſchen Zeitungen darſtellen.“ Darauf erwiederte der Prinz: „Ich verſtehe Sie. In dieſem Sinn würde ich an Ihrer Stelle der enragirteſte Ruſſe ſein. Was Deutſchland betrifft, ſo wiſſen Sie ſelbſt — Sie lebten ja in Deutſchland — daß die Deutſchen ein friedliebendes Volk ſind. Gott ſei Dank, es iſt uns gelungen große Siege zu erringen; wir wünſchen aber nichts als den Frieden. Die deutſche Cultur hat, wie ich glaube, einige Vorzüge vor der franzöſiſchen, der in Rußland der Vorrang eingeräumt wurde, und es wäre wünſchenswerth daß die Ruſſen ſich mit der deutſchen Bildung näher bekannt machten. Wir haben einen großen Erfolg gehabt, aber auch in Rußland ge- ſchehen Wunder. Sie vollbringen in einigen Jahren was andere Völker in Jahrhunderten erreichten. Es iſt mir bekannt daß Sie die Reformen Ihres Kaiſers unterſtützen. Deutſchland wünſcht den Frieden und die Freundſchaft mit Rußland. Unſere Intereſſen collidiren in keiner Weiſe mit Rußland. Wenn in Deutſchland eine gewiſſe Unzufriedenheit mit Rußland herrſcht, ſo hat dieſe einzig in der zu ſtrengen Abſchließung ſeiner Gränzen und in der übermäßigen Be- engung des Handels durch die Strenge des Tarifs ihren Grund; was aber iſt dagegen zu thun? Sich darüber zu beklagen hat niemand ein Recht. Was den Tarif betrifft, ſo waren wir niemals Fürſprecher der hohen Schutzzölle, und ſind im Gegentheil der Meinung daß ſie uns ſelbſt Nachtheil bringen, indem ſie unſere Productivität lahm legen.“ <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <cit> <quote> <p><pb facs="#f0002" n="146"/> als hinreichende Genugthuung in einer Streitangelegenheit angeſehen werden<lb/> müſſen die keine materiellen Nachtheile involvirte; auch iſt es nicht denkbar daß<lb/> eine Regierung welche ſich ſelbſt — und die Nation welche ſie vertritt — reſpectirt, im<lb/> voraus ihre Zuſtimmung dazu gibt daß ſie ſich einer Geldſtrafe als Schadenerſatz<lb/> für irgendein abſichtliches oder vorausbeſchloſſenes Vergehen im Falle der Ueber-<lb/> führung unterzöge. Nach der Anſicht der Agenten der Vereinigten Staaten ſind<lb/> einige von den Fragen die dem Genfer Tribunal unterbreitet werden müſſen, fol-<lb/> gende: ob England vor dem Kriege den Vereinigten Staaten irgendeine Pflicht der<lb/> Dankbarkeit ſchulde, ob das Benehmen der engliſchen Regierung zur Zeit des Ab-<lb/> falls unfreundlich war, ob die Sprache Lord Ruſſells und des Hrn. Gladſtone zu<lb/> tadeln war, und endlich ob die Pflichten der Neutralität durch England nicht ver-<lb/> letzt worden ſind, während alle andern civiliſirten Mächte es mit Erfolg vermieden<lb/> haben irgendwelchen Anlaß zur Beleidigung zu geben. Die feindliche Abſicht der<lb/> Urheber des Schriftſtückes kann ſich nicht offenbarer zeigen als in der Erwähnung<lb/> Frankreichs als eines der Staaten welche die Pflichten die England vernachläſſigte<lb/> beobachtet haben. Unter vielen ungerechten und maßloſen Ergüſſen im Laufe der<lb/> langathmigen Streitfrage macht die Anklageſchrift der amerikaniſchen Regierung<lb/> zuerſt den Verſuch das Verbrechen Englands durch gehäſſige Rückblicke auf ſeine<lb/> frühere Geſchichte zu ſteigern. Es ſcheint daß in mehreren Verhandlungen zwiſchen<lb/> 1812 und 1860 die Regierung der Vereinigten Staaten mit einem Theil ihrer<lb/> urſprünglichen Forderungen ſich begnügte, und es iſt kühl dabei bemerkt daß aus<lb/> jedem dieſer Fälle eine Obligation für England erwachſen ſei. Eine dieſer zahl-<lb/> loſen Wohlthaten, die anerkannt werden müſſen, war der Abſchluß des Reciprocitäts-<lb/> vertrags mit Canada, „aus dem den Vereinigten Staaten nicht der geringſte Vor-<lb/> theil erwuchs.“ Die Schiedsrichter ſind nachdrücklich erſucht den Schadenerſatz, der<lb/> ſich für das Entweichen der Alabama vorausſetzen läßt, noch zu ſteigern, weil man<lb/> annehmen kann daß jeder frühere Nachlaß in einer amerikaniſchen Forderung das<lb/> freiwillige Aufgeben eines zugeſtandenen Rechtes war. Keine ausführliche Rückſicht<lb/> hat man natürlich auf den Beginn der San Juan-Frage genommen oder auf die<lb/> unfreundliche Entlaſſung des engliſchen Geſandten während des Krimkriegs. Kein<lb/> engliſcher Student der politiſchen Geſchichte iſt unbekannt mit dem übermüthigen und<lb/> brüsken Tone in welchem die amerikaniſchen Verhandlungen mit England im all-<lb/> gemeinen geführt worden ſind. Die amerikaniſche Regierung gibt als engliſche<lb/> Kreuzer, die von engliſchen Häfen ausliefen, nicht allein die „Alabama“ an, die man,<lb/> wenn man die Sprache mißbrauchen will, allenfalls ſo nennen könnte, ſondern auch<lb/> den „Sumter,“ der gebaut und ausgerüſtet worden iſt auf Bundesgebiet, und<lb/> andere Schiffe für welche die engliſche Regierung in keiner Weiſe aufkommen kann.<lb/> Das Schiedsgericht wird aufgefordert die Eigenthümer der Schiffe und ihrer ver-<lb/> nichteten Frachten zu entſchädigen, die Schiffseigenthümer welche ihren Schiffen<lb/> engliſche Namen gaben, die Aſſecuraten welche höhere Prämien zahlten, und die<lb/> Aſſecuranzgeſellſchaften welche den wachſenden Verluſt deckten. 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Ein müßiger Verſuch iſt gemacht worden die amerikaniſche Regie-<lb/> rung zu entlaſten, indem man die beiſpielloſe Rohheit und Bosheit des Angriffs<lb/> den Advocaten zuſchrieb die mit der Abfaſſung betraut waren. Es mag wahr<lb/> ſein daß die amerikaniſchen Unterhändler ſich ſelbſt entehrt haben, ſie haben aber<lb/> auch den Charakter ihres Volkes entehrt. Bei einem Privatſtreite wird der Klä-<lb/> ger oder der Beklagte eigentlich verantwortlich gemacht für eine unvernünftige<lb/> Forderung, oder den Widerſtand dagegen, und für irgendwelche ungegründete Ver-<lb/> dächtigung des Charakters ſeines Gegners. Der Beklagte in einer Pasquillange-<lb/> legenheit der den ſtraffälligen Fall durch ſeinen Advocaten wiederholen läßt, trägt<lb/> ſelbſtverſtändlich im Fall eines unglücklichen Verdicts die Schuld des erwachſenen<lb/> Schadens. Die Annahme wäre abſurd daß die amerikaniſche Regierung es ge-<lb/> ſtattete durch die Gewaltſamkeit oder Maßloſigkeit ihres Geſchäftsträgers compro-<lb/> mittirt zu werden. Es iſt klar daß man die Unterzeichnung des Vertrags in<lb/> Waſhington nicht als eine Genugthuung für einen Anlaß zu Feindſeligkeiten aufge-<lb/> faßt hat, der England in die Schuhe geſchoben wird.</p><lb/> <p>Man hat mit einiger Wahrſcheinlichkeit vermuthet daß es den amerikani-<lb/> ſchen Advocaten gar nicht ernſt iſt, daß ſie ſich allein populär in der Heimath<lb/> machen und allmählich nur die Höhe des Schadenerſatzes ſteigern wollen,<lb/> welcher andernfalls von ihren Clienten erwartet werden dürfte. Es iſt nicht ab-<lb/> ſolut unmöglich daß ihr Zweck es mehr iſt einen Inſult als eine Injurie hervorzu-<lb/> rufen — eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Eine beleidigende Sprache würde ver-<lb/> hältnißmäßig erträglich ſein, wenn man ſich ihrer als eines Mittels bediente<lb/> mehrere hundert Millionen Geld zu erlangen. Unhöflichkeit ohne praktiſchen Zweck<lb/> würde weit unentſchuldbarer ſein. Wenn die verkehrte und feindſelige Darſtellung<lb/> nicht den Zweck hat den Schadenanſprüchen mehr Gewicht zu geben, ſo iſt ſie<lb/> eine rein impertinente Beſchimpfung. Es iſt in der That kaum möglich zu glauben<lb/> daß gerade die Fügſamkeit der engliſchen Regierung und ihrer Unterhändler den<lb/> Präſidenten und ſeine Berather zu der Annahme verleitet hat: man könne England<lb/> eine Geldſtrafe von fünfhundert Millionen auferlegen. Mit ſtrafbarer Laxheit<lb/> ward der Vertrag entworfen, aber er kann nicht in einer Weiſe interpretirt werden<lb/> die den amerikaniſchen Forderungen Recht gibt. Wenn das Schiedsgericht, wie<lb/> nicht zu erwarten iſt, den Anſpruch auf Anrechnung einer eingebildeten zweijährigen<lb/> Verlängerung des Krieges in Betracht ziehen ſollte, ſo bliebe den engliſchen Agen-<lb/> ten keine Wahl als auf das Schiedsgericht zu verzichten. Es iſt nicht glaublich<lb/> daß unparteiiſche Juriſten, ihre und ihres Landes Ehre im Auge, ſich Prätentionen<lb/> fügen worden welche die Neutralität koſtſpieliger machen würden als den offenen<lb/> Krieg; doch iſt es anzunehmen daß die geſchickten amerikaniſchen Sachwalter nicht<lb/> ohne allen Glauben an die Möglichkeit eines Erfolgs ihre Forderungen geſtellt<lb/> haben. Sollten die Schiedsrichter wider Erwarten der ſkandalöſen Ungerechtig-<lb/> keit der Forderer Vorſchub leiſten, ſo würde ein Aufgeben für deren Streites den<lb/> Sätzen des Vertrags gemäß ſein, die Sache aber würde zugleich ein lehrreicher<lb/> Commentar zu der geſegneten Neuerung ſein an Stelle der gewaltſamen Ent-<lb/> ſcheidung richterliche Schiedſprüche zu ſetzen. Selten aber ſind die Gründe zu einer<lb/> Kriegserklärung ſo bitter aufgetreten als bei der erſten That des großen interna-<lb/> tionalen Schiedsgerichts.</p> </quote> </cit> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Aus Rußland.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>×× <hi rendition="#b">St. Petersburg,</hi> 5 Jan.</dateline> <p>Der geſtrige Regierungs-An-<lb/> zeiger“ bringt uns endlich die Gewißheit daß der ruſſiſche Geſandte in<lb/> Waſhington, Hr. Katakaſi, auf ausdrücklichen Wunſch der Unionsregierung abbe-<lb/> rufen worden iſt — eine Thatſache die bekanntlich noch vor zwei Monaten, als der<lb/> Großfürſt Alexis in New-York angelangt war, von hier aus officiös beſtritten wurde,<lb/> indem das „Journ. de St. P<hi rendition="#aq">é</hi>tersbourg“ ſo weit in ſeinem Dementi gieng, daß<lb/> es überhaupt jeden verdrießlichen Zwiſchenfall läugnete. Jetzt ſtellt ſich heraus<lb/> daß das damals dem „Journ. de St. P<hi rendition="#aq">é</hi>tersbourg“ zugeſandte Communiqu<hi rendition="#aq">é</hi> eine<lb/> poſitive Unwahrheit enthielt, indem Fürſt Gortſchakoff in ſeiner jetzt veröffentlichten<lb/> Note vom 21 Dec. ſelbſt darauf hinweist daß ſein Vertreter im auswärtigen Amt,<lb/> während er ſelbſt im Auslande weilte, ſchon damals von der Regierung der Ver-<lb/> einigten Staaten den Antrag auf Abberufung Katakaſi’s empfangen und nur den<lb/> Wunſch ausgedrückt hatte: daß derſelbe aus Gründen der Convenienz und Oppor-<lb/> tunität während des Aufenthaltes des Großfürſten in den Vereinigten Staaten<lb/> noch weiter functioniren dürfe. Nach der Note des Fürſten Gortſchakoff hatte aber<lb/> ſchon damals Hr. Katakaſi von dem Vertreter des Reichskanzlers, Geheimrath von<lb/> Weſtmann, den Befehl erhalten: ſobald der Großfürſt die Vereinigten Staaten<lb/> verlaſſen, nach Rußland zurückzukehren, um nicht wieder in ſeine dortigen Functionen<lb/> einzutreten. Fürſt Gortſchakoff ſpricht in ſeiner Note aus daß Hr. Katakaſi werde<lb/> zur Verantwortung gezogen werden, derſelbe habe indeß ſchon jetzt mehrere der<lb/> wichtigſten Anſchuldigungspunkte als unwahr abgelehnt. Zugleich beklagt ſich der<lb/> Reichskanzler über die Haltung der amerikaniſchen Preſſe in dieſer Angelegenheit,<lb/> und ſpricht ſchließlich die Ueberzeugung aus daß der Zwiſchenfall keine Störung<lb/> in den freundſchaftlichen Beziehungen beider Länder herbeiführen werde. Es iſt<lb/> immer nicht gut und ſchädigt das Anſehen der Behörden wenn ſie Dinge läugnen<lb/> wollen die nicht zu läugnen ſind, und Hr. v. Weſtmann hätte klüger gethan ſein<lb/> Communiqu<hi rendition="#aq">é</hi> damals nicht dem „Journ. de St. P<hi rendition="#aq">é</hi>tersb.“ zuzuſenden. Hr. Katakaſi<lb/> iſt übrigens, ſoweit ich ihn kenne, ein ziemlich träger und einigermaßen verdrehter<lb/> Menſch, er iſt ein Grieche von Geburt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Von der Erklärung welche Hr. Katkow in Bezug auf die zwiſchen ihm und<lb/> dem Prinzen Friedrich Karl geführte Unterredung hat veröffentlichen laſſen, haben<lb/> Sie wohl bereits Notiz genommen. Ich mache Sie aber auf die äußerſt pfiffige<lb/> Art aufmerkſam in welcher er gegen die Veröffentlichung des Inhalts jener Unter-<lb/> redung in der „Ruſſiſchen Welt“ proteſtirt. Er ſagt kein Wort darüber ob die<lb/> „Welt“ den Inhalt richtig oder falſch wiedergegeben hat, ſondern bemerkt nur daß<lb/> die Unterredung nach dem Beſuche des Prinzen im Lyceum, bei Gelegenheit des<lb/> Dankbeſuches den er dem Prinzen darauf gemacht, nur in Gegenwart weniger hoch-<lb/> geſtellten Perſonen ſtattgefunden habe. Man muß natürlich nach dieſem Proteſt<lb/> annehmen daß die „Welt“ den Inhalt des Geſpräches richtig mitgetheilt habe, und<lb/> in der That jubelt das Blatt daß es nach der Katkow’ſchen Erklärung Recht be-<lb/> halte.<note place="foot" n="*)">Nach der Lesart der „Ruſſ. Welt“ ſagte Katkow zu dem Prinzen: „Wir wün-<lb/> ſchen daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung deſſen<lb/> was ihm fromme ganz ſelbſtändig ſei. Wir laſſen uns in unſeren Anſichten<lb/> vom ruſſiſchen Intereſſe leiten, ſind aber keineswegs die wüthenden Deutſchenfreſſer<lb/> als welche uns die Deutſchen Zeitungen darſtellen.“ Darauf erwiederte der Prinz:<lb/> „Ich verſtehe Sie. In dieſem Sinn würde ich an Ihrer Stelle der enragirteſte<lb/> Ruſſe ſein. Was Deutſchland betrifft, ſo wiſſen Sie ſelbſt — Sie lebten ja in<lb/> Deutſchland — daß die Deutſchen ein friedliebendes Volk ſind. Gott ſei Dank,<lb/> es iſt uns gelungen große Siege zu erringen; wir wünſchen aber nichts als<lb/> den Frieden. Die deutſche Cultur hat, wie ich glaube, einige Vorzüge vor der<lb/> franzöſiſchen, der in Rußland der Vorrang eingeräumt wurde, und es wäre<lb/> wünſchenswerth daß die Ruſſen ſich mit der deutſchen Bildung näher bekannt<lb/> machten. Wir haben einen großen Erfolg gehabt, aber auch in Rußland ge-<lb/> ſchehen Wunder. Sie vollbringen in einigen Jahren was andere Völker in<lb/> Jahrhunderten erreichten. Es iſt mir bekannt daß Sie die Reformen Ihres<lb/> Kaiſers unterſtützen. Deutſchland wünſcht den Frieden und die Freundſchaft<lb/> mit Rußland. Unſere Intereſſen collidiren in keiner Weiſe mit Rußland. Wenn<lb/> in Deutſchland eine gewiſſe Unzufriedenheit mit Rußland herrſcht, ſo hat dieſe<lb/> einzig in der zu ſtrengen Abſchließung ſeiner Gränzen und in der übermäßigen Be-<lb/> engung des Handels durch die Strenge des Tarifs ihren Grund; was aber iſt<lb/> dagegen zu thun? Sich darüber zu beklagen hat niemand ein Recht. Was den<lb/> Tarif betrifft, ſo waren wir niemals Fürſprecher der hohen Schutzzölle, und ſind<lb/> im Gegentheil der Meinung daß ſie uns ſelbſt Nachtheil bringen, indem ſie<lb/> unſere Productivität lahm legen.“</note> Ich habe Ihnen aber ſchon mitgetheilt daß die vom Prinzen geſprochenen<lb/> Worte ganz anders gelautet haben als die „Welt“ glauben machen will, und daß<lb/> dabei Hr. Katkow keineswegs ſo gut weggekommen iſt. Indem letzterer aber<lb/> darüber ſchweigt, erweckt er den Glauben daß der Prinz wirklich ſeine Anerkennung<lb/> für Katkow ausgeſprochen habe. Erfolgt dann von Berlin aus ein Dementi, nun<lb/> — ſo bleibt ihm ja immer übrig zu erklären daß er ja gar nicht die Richtigkeit der<lb/> Mittheilungen der „Welt“ anerkannt habe, und daß in ſeinem Proteſt auch ein<lb/> Proteſt gegen die Richtigkeit des Inhalts enthalten ſei.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Mit dem letzten Tage des alten Jahres iſt nach längerem Interimiſticum<lb/> der neue Chef der Oberpreßverwaltung, Longinow, in ſeine Functionen<lb/> eingetreten. Derſelbe war bisher Gouverneur im Gouvernement Orel,<lb/> und in jüngeren Jahren gehörte er der diplomatiſchen Laufbahn an. In<lb/> dieſer Beziehung erinnert man ſich vielleicht hier und da noch ſeiner Perſon<lb/> aus den Tagen der Vermählung der Königin Victoria von England, indem er<lb/> damals der diplomatiſchen Miſſion beigegeben war welche Rußland bei den Hoch-<lb/> zeitsfeierlichkeiten repräſentirte. Dem neuen Chef der Oberpreßverwaltung ſagt<lb/> man zwar nicht eine beſonders friſche und träftige Initiative nach; dagegen geht<lb/> ihm der Ruf eines Mannes von ehrlicher und wohlwollender Denkungsweiſe<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0002]
als hinreichende Genugthuung in einer Streitangelegenheit angeſehen werden
müſſen die keine materiellen Nachtheile involvirte; auch iſt es nicht denkbar daß
eine Regierung welche ſich ſelbſt — und die Nation welche ſie vertritt — reſpectirt, im
voraus ihre Zuſtimmung dazu gibt daß ſie ſich einer Geldſtrafe als Schadenerſatz
für irgendein abſichtliches oder vorausbeſchloſſenes Vergehen im Falle der Ueber-
führung unterzöge. Nach der Anſicht der Agenten der Vereinigten Staaten ſind
einige von den Fragen die dem Genfer Tribunal unterbreitet werden müſſen, fol-
gende: ob England vor dem Kriege den Vereinigten Staaten irgendeine Pflicht der
Dankbarkeit ſchulde, ob das Benehmen der engliſchen Regierung zur Zeit des Ab-
falls unfreundlich war, ob die Sprache Lord Ruſſells und des Hrn. Gladſtone zu
tadeln war, und endlich ob die Pflichten der Neutralität durch England nicht ver-
letzt worden ſind, während alle andern civiliſirten Mächte es mit Erfolg vermieden
haben irgendwelchen Anlaß zur Beleidigung zu geben. Die feindliche Abſicht der
Urheber des Schriftſtückes kann ſich nicht offenbarer zeigen als in der Erwähnung
Frankreichs als eines der Staaten welche die Pflichten die England vernachläſſigte
beobachtet haben. Unter vielen ungerechten und maßloſen Ergüſſen im Laufe der
langathmigen Streitfrage macht die Anklageſchrift der amerikaniſchen Regierung
zuerſt den Verſuch das Verbrechen Englands durch gehäſſige Rückblicke auf ſeine
frühere Geſchichte zu ſteigern. Es ſcheint daß in mehreren Verhandlungen zwiſchen
1812 und 1860 die Regierung der Vereinigten Staaten mit einem Theil ihrer
urſprünglichen Forderungen ſich begnügte, und es iſt kühl dabei bemerkt daß aus
jedem dieſer Fälle eine Obligation für England erwachſen ſei. Eine dieſer zahl-
loſen Wohlthaten, die anerkannt werden müſſen, war der Abſchluß des Reciprocitäts-
vertrags mit Canada, „aus dem den Vereinigten Staaten nicht der geringſte Vor-
theil erwuchs.“ Die Schiedsrichter ſind nachdrücklich erſucht den Schadenerſatz, der
ſich für das Entweichen der Alabama vorausſetzen läßt, noch zu ſteigern, weil man
annehmen kann daß jeder frühere Nachlaß in einer amerikaniſchen Forderung das
freiwillige Aufgeben eines zugeſtandenen Rechtes war. Keine ausführliche Rückſicht
hat man natürlich auf den Beginn der San Juan-Frage genommen oder auf die
unfreundliche Entlaſſung des engliſchen Geſandten während des Krimkriegs. Kein
engliſcher Student der politiſchen Geſchichte iſt unbekannt mit dem übermüthigen und
brüsken Tone in welchem die amerikaniſchen Verhandlungen mit England im all-
gemeinen geführt worden ſind. Die amerikaniſche Regierung gibt als engliſche
Kreuzer, die von engliſchen Häfen ausliefen, nicht allein die „Alabama“ an, die man,
wenn man die Sprache mißbrauchen will, allenfalls ſo nennen könnte, ſondern auch
den „Sumter,“ der gebaut und ausgerüſtet worden iſt auf Bundesgebiet, und
andere Schiffe für welche die engliſche Regierung in keiner Weiſe aufkommen kann.
Das Schiedsgericht wird aufgefordert die Eigenthümer der Schiffe und ihrer ver-
nichteten Frachten zu entſchädigen, die Schiffseigenthümer welche ihren Schiffen
engliſche Namen gaben, die Aſſecuraten welche höhere Prämien zahlten, und die
Aſſecuranzgeſellſchaften welche den wachſenden Verluſt deckten. Die Koſten der
amerikaniſchen Marine in Verfolgung und Bewachung der Kreuzer der Süd-
ſtaaten ſollen alſo aufgebracht werden, endlich ſollen auch die ſämmtlichen Kriegs-
koſten von einem oder zwei Jahren bezahlt werden — eine Summe die vielleicht
die Höhe von ſechsmalhundert Millionen Pfund Sterl. erreicht. Der
Tribut den Deutſchland von Frankreich nach einem vollſtändigen Siege beitreibt,
iſt läppiſch im Vergleich zu dem Schadenerſatze welchen die amerikaniſche Regierung
kraft eines Vertrags fordert, welchen Enthuſiaſten als den Anfang einer neuen Aera
von Frieden und Freundſchaft ſchildern. Die feindſeligſten und hohnvollſten Er-
laſſe des Fürſten Bismarck an die franzöſiſche Regierung ſind höflich und freundlich
im Vergleich mit der Anklageſchrift, für die der Präſident und ſein Cabinet verant-
wortlich ſind. Ein müßiger Verſuch iſt gemacht worden die amerikaniſche Regie-
rung zu entlaſten, indem man die beiſpielloſe Rohheit und Bosheit des Angriffs
den Advocaten zuſchrieb die mit der Abfaſſung betraut waren. Es mag wahr
ſein daß die amerikaniſchen Unterhändler ſich ſelbſt entehrt haben, ſie haben aber
auch den Charakter ihres Volkes entehrt. Bei einem Privatſtreite wird der Klä-
ger oder der Beklagte eigentlich verantwortlich gemacht für eine unvernünftige
Forderung, oder den Widerſtand dagegen, und für irgendwelche ungegründete Ver-
dächtigung des Charakters ſeines Gegners. Der Beklagte in einer Pasquillange-
legenheit der den ſtraffälligen Fall durch ſeinen Advocaten wiederholen läßt, trägt
ſelbſtverſtändlich im Fall eines unglücklichen Verdicts die Schuld des erwachſenen
Schadens. Die Annahme wäre abſurd daß die amerikaniſche Regierung es ge-
ſtattete durch die Gewaltſamkeit oder Maßloſigkeit ihres Geſchäftsträgers compro-
mittirt zu werden. Es iſt klar daß man die Unterzeichnung des Vertrags in
Waſhington nicht als eine Genugthuung für einen Anlaß zu Feindſeligkeiten aufge-
faßt hat, der England in die Schuhe geſchoben wird.
Man hat mit einiger Wahrſcheinlichkeit vermuthet daß es den amerikani-
ſchen Advocaten gar nicht ernſt iſt, daß ſie ſich allein populär in der Heimath
machen und allmählich nur die Höhe des Schadenerſatzes ſteigern wollen,
welcher andernfalls von ihren Clienten erwartet werden dürfte. Es iſt nicht ab-
ſolut unmöglich daß ihr Zweck es mehr iſt einen Inſult als eine Injurie hervorzu-
rufen — eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Eine beleidigende Sprache würde ver-
hältnißmäßig erträglich ſein, wenn man ſich ihrer als eines Mittels bediente
mehrere hundert Millionen Geld zu erlangen. Unhöflichkeit ohne praktiſchen Zweck
würde weit unentſchuldbarer ſein. Wenn die verkehrte und feindſelige Darſtellung
nicht den Zweck hat den Schadenanſprüchen mehr Gewicht zu geben, ſo iſt ſie
eine rein impertinente Beſchimpfung. Es iſt in der That kaum möglich zu glauben
daß gerade die Fügſamkeit der engliſchen Regierung und ihrer Unterhändler den
Präſidenten und ſeine Berather zu der Annahme verleitet hat: man könne England
eine Geldſtrafe von fünfhundert Millionen auferlegen. Mit ſtrafbarer Laxheit
ward der Vertrag entworfen, aber er kann nicht in einer Weiſe interpretirt werden
die den amerikaniſchen Forderungen Recht gibt. Wenn das Schiedsgericht, wie
nicht zu erwarten iſt, den Anſpruch auf Anrechnung einer eingebildeten zweijährigen
Verlängerung des Krieges in Betracht ziehen ſollte, ſo bliebe den engliſchen Agen-
ten keine Wahl als auf das Schiedsgericht zu verzichten. Es iſt nicht glaublich
daß unparteiiſche Juriſten, ihre und ihres Landes Ehre im Auge, ſich Prätentionen
fügen worden welche die Neutralität koſtſpieliger machen würden als den offenen
Krieg; doch iſt es anzunehmen daß die geſchickten amerikaniſchen Sachwalter nicht
ohne allen Glauben an die Möglichkeit eines Erfolgs ihre Forderungen geſtellt
haben. Sollten die Schiedsrichter wider Erwarten der ſkandalöſen Ungerechtig-
keit der Forderer Vorſchub leiſten, ſo würde ein Aufgeben für deren Streites den
Sätzen des Vertrags gemäß ſein, die Sache aber würde zugleich ein lehrreicher
Commentar zu der geſegneten Neuerung ſein an Stelle der gewaltſamen Ent-
ſcheidung richterliche Schiedſprüche zu ſetzen. Selten aber ſind die Gründe zu einer
Kriegserklärung ſo bitter aufgetreten als bei der erſten That des großen interna-
tionalen Schiedsgerichts.
Aus Rußland.
×× St. Petersburg, 5 Jan. Der geſtrige Regierungs-An-
zeiger“ bringt uns endlich die Gewißheit daß der ruſſiſche Geſandte in
Waſhington, Hr. Katakaſi, auf ausdrücklichen Wunſch der Unionsregierung abbe-
rufen worden iſt — eine Thatſache die bekanntlich noch vor zwei Monaten, als der
Großfürſt Alexis in New-York angelangt war, von hier aus officiös beſtritten wurde,
indem das „Journ. de St. Pétersbourg“ ſo weit in ſeinem Dementi gieng, daß
es überhaupt jeden verdrießlichen Zwiſchenfall läugnete. Jetzt ſtellt ſich heraus
daß das damals dem „Journ. de St. Pétersbourg“ zugeſandte Communiqué eine
poſitive Unwahrheit enthielt, indem Fürſt Gortſchakoff in ſeiner jetzt veröffentlichten
Note vom 21 Dec. ſelbſt darauf hinweist daß ſein Vertreter im auswärtigen Amt,
während er ſelbſt im Auslande weilte, ſchon damals von der Regierung der Ver-
einigten Staaten den Antrag auf Abberufung Katakaſi’s empfangen und nur den
Wunſch ausgedrückt hatte: daß derſelbe aus Gründen der Convenienz und Oppor-
tunität während des Aufenthaltes des Großfürſten in den Vereinigten Staaten
noch weiter functioniren dürfe. Nach der Note des Fürſten Gortſchakoff hatte aber
ſchon damals Hr. Katakaſi von dem Vertreter des Reichskanzlers, Geheimrath von
Weſtmann, den Befehl erhalten: ſobald der Großfürſt die Vereinigten Staaten
verlaſſen, nach Rußland zurückzukehren, um nicht wieder in ſeine dortigen Functionen
einzutreten. Fürſt Gortſchakoff ſpricht in ſeiner Note aus daß Hr. Katakaſi werde
zur Verantwortung gezogen werden, derſelbe habe indeß ſchon jetzt mehrere der
wichtigſten Anſchuldigungspunkte als unwahr abgelehnt. Zugleich beklagt ſich der
Reichskanzler über die Haltung der amerikaniſchen Preſſe in dieſer Angelegenheit,
und ſpricht ſchließlich die Ueberzeugung aus daß der Zwiſchenfall keine Störung
in den freundſchaftlichen Beziehungen beider Länder herbeiführen werde. Es iſt
immer nicht gut und ſchädigt das Anſehen der Behörden wenn ſie Dinge läugnen
wollen die nicht zu läugnen ſind, und Hr. v. Weſtmann hätte klüger gethan ſein
Communiqué damals nicht dem „Journ. de St. Pétersb.“ zuzuſenden. Hr. Katakaſi
iſt übrigens, ſoweit ich ihn kenne, ein ziemlich träger und einigermaßen verdrehter
Menſch, er iſt ein Grieche von Geburt.
Von der Erklärung welche Hr. Katkow in Bezug auf die zwiſchen ihm und
dem Prinzen Friedrich Karl geführte Unterredung hat veröffentlichen laſſen, haben
Sie wohl bereits Notiz genommen. Ich mache Sie aber auf die äußerſt pfiffige
Art aufmerkſam in welcher er gegen die Veröffentlichung des Inhalts jener Unter-
redung in der „Ruſſiſchen Welt“ proteſtirt. Er ſagt kein Wort darüber ob die
„Welt“ den Inhalt richtig oder falſch wiedergegeben hat, ſondern bemerkt nur daß
die Unterredung nach dem Beſuche des Prinzen im Lyceum, bei Gelegenheit des
Dankbeſuches den er dem Prinzen darauf gemacht, nur in Gegenwart weniger hoch-
geſtellten Perſonen ſtattgefunden habe. Man muß natürlich nach dieſem Proteſt
annehmen daß die „Welt“ den Inhalt des Geſpräches richtig mitgetheilt habe, und
in der That jubelt das Blatt daß es nach der Katkow’ſchen Erklärung Recht be-
halte. *) Ich habe Ihnen aber ſchon mitgetheilt daß die vom Prinzen geſprochenen
Worte ganz anders gelautet haben als die „Welt“ glauben machen will, und daß
dabei Hr. Katkow keineswegs ſo gut weggekommen iſt. Indem letzterer aber
darüber ſchweigt, erweckt er den Glauben daß der Prinz wirklich ſeine Anerkennung
für Katkow ausgeſprochen habe. Erfolgt dann von Berlin aus ein Dementi, nun
— ſo bleibt ihm ja immer übrig zu erklären daß er ja gar nicht die Richtigkeit der
Mittheilungen der „Welt“ anerkannt habe, und daß in ſeinem Proteſt auch ein
Proteſt gegen die Richtigkeit des Inhalts enthalten ſei.
Mit dem letzten Tage des alten Jahres iſt nach längerem Interimiſticum
der neue Chef der Oberpreßverwaltung, Longinow, in ſeine Functionen
eingetreten. Derſelbe war bisher Gouverneur im Gouvernement Orel,
und in jüngeren Jahren gehörte er der diplomatiſchen Laufbahn an. In
dieſer Beziehung erinnert man ſich vielleicht hier und da noch ſeiner Perſon
aus den Tagen der Vermählung der Königin Victoria von England, indem er
damals der diplomatiſchen Miſſion beigegeben war welche Rußland bei den Hoch-
zeitsfeierlichkeiten repräſentirte. Dem neuen Chef der Oberpreßverwaltung ſagt
man zwar nicht eine beſonders friſche und träftige Initiative nach; dagegen geht
ihm der Ruf eines Mannes von ehrlicher und wohlwollender Denkungsweiſe
*) Nach der Lesart der „Ruſſ. Welt“ ſagte Katkow zu dem Prinzen: „Wir wün-
ſchen daß Rußland in ſeinen Angelegenheiten und in der Beurtheilung deſſen
was ihm fromme ganz ſelbſtändig ſei. Wir laſſen uns in unſeren Anſichten
vom ruſſiſchen Intereſſe leiten, ſind aber keineswegs die wüthenden Deutſchenfreſſer
als welche uns die Deutſchen Zeitungen darſtellen.“ Darauf erwiederte der Prinz:
„Ich verſtehe Sie. In dieſem Sinn würde ich an Ihrer Stelle der enragirteſte
Ruſſe ſein. Was Deutſchland betrifft, ſo wiſſen Sie ſelbſt — Sie lebten ja in
Deutſchland — daß die Deutſchen ein friedliebendes Volk ſind. Gott ſei Dank,
es iſt uns gelungen große Siege zu erringen; wir wünſchen aber nichts als
den Frieden. Die deutſche Cultur hat, wie ich glaube, einige Vorzüge vor der
franzöſiſchen, der in Rußland der Vorrang eingeräumt wurde, und es wäre
wünſchenswerth daß die Ruſſen ſich mit der deutſchen Bildung näher bekannt
machten. Wir haben einen großen Erfolg gehabt, aber auch in Rußland ge-
ſchehen Wunder. Sie vollbringen in einigen Jahren was andere Völker in
Jahrhunderten erreichten. Es iſt mir bekannt daß Sie die Reformen Ihres
Kaiſers unterſtützen. Deutſchland wünſcht den Frieden und die Freundſchaft
mit Rußland. Unſere Intereſſen collidiren in keiner Weiſe mit Rußland. Wenn
in Deutſchland eine gewiſſe Unzufriedenheit mit Rußland herrſcht, ſo hat dieſe
einzig in der zu ſtrengen Abſchließung ſeiner Gränzen und in der übermäßigen Be-
engung des Handels durch die Strenge des Tarifs ihren Grund; was aber iſt
dagegen zu thun? Sich darüber zu beklagen hat niemand ein Recht. Was den
Tarif betrifft, ſo waren wir niemals Fürſprecher der hohen Schutzzölle, und ſind
im Gegentheil der Meinung daß ſie uns ſelbſt Nachtheil bringen, indem ſie
unſere Productivität lahm legen.“
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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