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Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1849.

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[Spaltenumbruch] Jahres mit nicht geringerer Anstrengung reorganisirt, in den Todeskampf
ging, stritten sie in Florenz und Rom über Zwangsanleihe-Projecte,
eines verderblicher als das andere, überschwemmten das Land mit Papier
und falscher Münze, debattirten über Union oder Nichtunion, über Weg-
räumung oder Nichträumung von Zolllinien, hatten collectiv mindestens
60,000 Mann auf dem Papier stehen und brachten sie so ernstlich in Rech-
nung daß aller Taschen täglich leerer wurden. Werden denn dem italieni-
schen Volke nie die Augen aufgehen über das selbstische verderbliche ver-
rätherische Treiben, über die positive Unfähigkeit und Ohnmacht, über
den Wahnsinn der Faction welche es hat ans Ruder kommen lassen?
Mich dünkt die Vergleichung dieses Frühlings mit dem vorigen müßte
selbst die dicksten Schuppen von den Augen abfallen machen. Damals,
wo der Krieg wirklich überraschte, indem die französische Revolution das
unerwartete Signal gab, ließen Florenz und unter ihren "retrograden,
österreichisch-papistischen" Gouvernements Rom ihre Contingente ins Feld
rücken; es mag seyn daß sie gering waren in Verhältniß zur Bevölkerung
und zum Bedarf, aber man that was man vermochte. Die radicale Par-
tei kam und stürzte die gemäßigten Ministerien; die Erkämpfung der
nationalen Unabhängigkeit war das Hauptproblem welches sie sich vorgesetzt
zu haben behauptete, und sie rollte immer wieder das dreifarbige Banner
auf -- sechs Monate hindurch hat sie nach Herzenslust geschaltet, sie hat
über bewegliches wie Grund-Eigenthum ungehindert rerfügt, sie hat
allen ihren Seiden zu Aemtern verholfen und alle die etwas von Geschäf-
ten verstanden entfernt, sie hat Florentiner Wundärzte und Bologneser
Advocaten zu Generalen gemacht, sie hat Universitäten, Gerichtshöfe,
Diplomatie umgeschaffen, hat in allen Zweigen organisirt, reorganisirt,
desorganissirt und ohne Rücksicht abgesetzt, hat jeden Rechtsbegriff zu ver-
nichten gesucht, hat mit Montagnards-Clubs gemeinsame Sache gemacht,
hat mit ihren Constituanten die Constitutionen zerschlagen und die Sou-
veräne vertrieben, das Volk demoralisirt und elend gemacht und ihm Habe
und Glauben genommen, hat den Meineid gepredigt und jedes Pflicht-
gefühl, jede Empfindung der Dankbarkeit, jede Regung der Ehre mit
Füßen getreten -- und nach diesen sechs Monaten, den traurigsten welche
Italien seit 1799 erlebt hat, steht sie da, genöthigt sich selber ein testi-
monium paupertatis
auszustellen, genöthigt im Moment des betrügeri-
schen Bankerotts nach der Dictatur zu greifen und Guerrazzi und Mazzini
zu ihren Napoleonen zu machen! Wenn es je für Ridolfi und die welche
mit ihm vor einem Jahre Toscana's Geschicke lenkten, eine glänzende,
wenngleich traurige Rechtfertigung, wenn es für die Anarchisten, die seit
dem October Mittelitalien zu einem Gegenstand, man weiß nicht ob mehr
des Mitleids oder der Mißachtung gemacht haben, eine unabweisliche
Verdammung gibt, so liegt eine wie die andere in der Haltung dieser bei-
den mittelitalischen Regierungen in dem gegenwärtigen Entscheidungs-
kampfe. Die Rettung aber, das beginnen alle einzusehen, muß von
anderer Seite kommen.



Aegypten.

Seitdem die Israeliten von Europa
ihre Sympathie für das Schicksal ihrer unterdrückten Glaubensgenossen in
der Levante thätlich bekundet haben, hat man in Syrien nicht mehr und
in Aegypten nur ein einzigesmal vom Abschlachten christlicher Kinder und
Anwendung des Blutes derselben zur Anfertigung der ungesäuerten Brode
gehört. Der Anfang des Monat März war beinahe jährlich durch eine
mehr oder minder bedeutende Verfolgung der Juden aus solchen Anlässen
bezeichnet. Wie ein Mann hatten sich die notablen Juden aller Haupt-
städte Europa's gegen das maßlose, schauderhafte Verfahren, welches im
Jahr 1839 gegen die reichen Juden von Damaskus eingeleitet wurde, er-
hoben*), und seitdem ist es mit diesen Christen-Ermordungen vorbei; ent-
steht jedoch irgendwo ein Lärm, so schreitet die Behörde augenblicklich ein,
und es ist ihr stets sehr leicht gelungen den Fanatismus oder den Betrug
zu entdecken. In Kairo sind seit einiger Zeit mehrere unangenehme Auf-
tritte zwischen Christen und Moslimen vorgefallen. Letztere bildeten sich ein
der neue Statthalter sehe Christen -- namentlich europäische -- nicht gern,
beschimpften und mißhandelten diese ungescheut, wie dieses seit dreißig
Jahren nicht mehr der Fall war. Allein sie scheinen sich geirrt zu haben,
denn Abas Pascha hat sofort geeignete Befehle ertheilt um die Schuldigen
zu ergreifen und abzustrafen, zugleich aber hat er dem Polizeidirector
einen rechtschaffenen und thätigen Europäer bei-, nicht unter geordnet,
[Spaltenumbruch] der die zwischen Arabern und Europäern sich ergebenden Streitigkeiten zu
schlichten haben wird. Diese Maßregel sowie die Absetzung des Polizei-
directors und dessen Ersetzung durch einen Mann von bekannter Freisinnig-
keit haben die christliche Bevölkerung sehr erfreut, ohne die gemäßigten
ruheliebenden Moslimen zu reizen.

Abas Pascha hat bedeutende Veränderungen im Organismus der
Staatsverwaltung getroffen. Das in der Türkei bestehende System leuch-
tet ihm vor, und dürfte entsprechend befunden werden. Er widmet sich
mit weit mehr Eifer dem öffentlichen Dienst als man zu erwarten berech-
tigt war. Das Circular über die definitive Freilassung des Handels im
Sudan erwartet man täglich, und die Handelssperre, welche Mehemed
Ali's Habsucht und Beschränktheit gegen Abyssinien verhängt hatte, ist
dadurch aufgehoben worden daß die zwei abyssinischen Ausgangspunkte
Suakin und Massawa von den ägyptischen Mauthstellen geräumt und
von wenigen fiskalischen Osmanen verwaltet sind.

Ubieh, der erleuchtetste und wohlwollendste abyssinische Häuptling, mit
dem Dr. Schimper, Statthalter von Antitscho, seit vielen Jahren innig
verbunden ist, liegt gefährlich krank darnieder, und sein Tod möchte für
dieses den Europäern neuaufgeschlossene große Reich ein schwer zu ersetzen-
der Verlust seyn. Ubieh bewies stets guten Willen und viele Thatkraft,
liebte dabei Frieden und Gerechtigkeit. Seine lange Verwaltung der
Provinz Adoa war dadurch ausgezeichnet daß von gar keiner Gewaltthat
irgendeine Meldung geschieht.



Die Stellung der Sikh und der Afghaneu zu Peschawer.

Durch den Sieg Lord Goughs über die Sikh bei Gudscherat am 21
Febr., dessen Einzelheiten aber zur Zeit noch unbekannt sind, glaubt die
Times, die Angelegenheit mit jenem kriegerisch fanatischen Volk in der
Hauptsache beendigt, wenigstens die von dieser Seite her drohende Gefahr
abgewendet; hingegen besorgt das englische Journal neue, mittelbare oder
unmittelbare, Verwicklungen des indobrittischen Reichs mit den Afghanen.
An ein eben erschienenes neues Werk über die Sikh*) auknüpfend, erör-
tert die Times die bezügliche Sachlage also: "Die Provinz und die Festung
Peschawer, welche den Hauptpaß zwischen dem Pendschab und Afghanistan
beherrscht, war der Punkt an welchem die Höfe von Lahor und Kabul
gewöhnlich in Berührung kamen. Nach geographischen und natürlichen
Verhältnissen gehörte Peschawer allerdings zu Afghanistan; auch geschah
es erst nach dem Zerfall des Durani-Reichs einerseits, und während andrer-
seits die Sikh-Conföderation sich zu einer mächtigen Monarchie gefestigt
hatte, daß die "Khalsa," d. h. die Soldateska des Pendschab, anfing über
den Indus nach Eroberungen auszuschauen. Das Durani- oder Abdalli-Reich,
von Ahmed Schah in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gegründet, erlosch
thatsächlich im Anfang des gegenwärtigen, und es blieb nichts davon übrig
als die bruchstücklichen Fürstenthümer Herat, Kandahar und Kabul, im
Besitz dreier Brüder die beständig mit einander Krieg führten. Kein Wun-
der daß unter so aufmunternden Umständen der Ehrgeiz Randschit Singhs
sich nach dieser Seite, auf einen so wichtigen Punkt wie Peschawer wandte.
Die Provinz beherrschte im J. 1818 Yar Mohammed Chan unter der Ober-
herrlichkeit des Hofs von Kabul, welche jedoch wenig mehr als nominell
war. Einen Vorwand zum Dazwischentreten in den Streitigkeiten der
afghanischen Brüder benützend, überschritt Randschit den Indus und rückte
auf Peschawer vor. Der Platz wurde bei seiner Annäherung geräumt,
aber noch wagte der Sikh-Monarch keine bleibende Besitznahme. Indem
er ihn einem afghanischen Rebellen überließ, der ihm bereits die Festung
Attock ausgeliefert hatte, begnügte er sich fürs erste damit in Kheyrabad,
einen Posten gegenüber von Attock auf dem westlichen Ufer des Stroms,
eine Besatzung zu legen, und sich so für die Zukunft einen Uebergang zu
sichern. Alsbald nach seinem Rückzug kehrte Yar Mohammed zurück, und
durfte ruhig von seiner Festung wieder Besitz ergreifen. Vier Jahre dar-
auf that Randschit einen neuen Schritt vorwärts, verlangte und empfing
von Yar Mohammed Tribut in der Form einer gewissen Anzahl werthvoller
Pferde. Dieses Zugeständniß mißfiel dem Hofe von Kabul, und im näch-
sten Jahr versuchte man die Frage mit den Waffen zu entscheiden. Der
Sieg blieb dem Randschit Singh, und Peschawer gerieth nun in offene
Abhängigkeit von Lahor. So wurde die Sikh-Macht auf afghanischem
Gebiete befestigt, wobei jedoch Randschit noch immer nicht positiv von der

*) Ein englisches Blatt erzählte unlängst: als Sir Moses Montesiore in
obiger Angelegenheit bei Mehemed Ali Audienz hatte, habe der alte Pascha
geäußert: ehe er etwas für die syrischen Juden thun könne, müsse Sir
Moses erst Rückgabe der goldenen und silbernen Gefäße veranlassen die
seine Glaubensgenossen damals unter Pharao aus Aegypten mit fortge-
nommen.
*) A History of the Sikhs, from the Origin of the Nation to the Bat-
tles of the Sutlej. By Joseph Davey Cunningham, Lieutenant of
Engineers and Captain in the Army of India. London, Murray

1849. Die englische Litteratur über das Fünfstromland ist bereits eine
fehr bändereiche; dabei bemerkt die Times daß in Calcutta und Bombay
manche treffliche historische oder politische Schrift über Indien und dessen
Nachbarländer erscheine, von welcher man in England nur späte oder
gar keine Kunde erhalte.

[Spaltenumbruch] Jahres mit nicht geringerer Anſtrengung reorganiſirt, in den Todeskampf
ging, ſtritten ſie in Florenz und Rom über Zwangsanleihe-Projecte,
eines verderblicher als das andere, überſchwemmten das Land mit Papier
und falſcher Münze, debattirten über Union oder Nichtunion, über Weg-
räumung oder Nichträumung von Zolllinien, hatten collectiv mindeſtens
60,000 Mann auf dem Papier ſtehen und brachten ſie ſo ernſtlich in Rech-
nung daß aller Taſchen täglich leerer wurden. Werden denn dem italieni-
ſchen Volke nie die Augen aufgehen über das ſelbſtiſche verderbliche ver-
rätheriſche Treiben, über die poſitive Unfähigkeit und Ohnmacht, über
den Wahnſinn der Faction welche es hat ans Ruder kommen laſſen?
Mich dünkt die Vergleichung dieſes Frühlings mit dem vorigen müßte
ſelbſt die dickſten Schuppen von den Augen abfallen machen. Damals,
wo der Krieg wirklich überraſchte, indem die franzöſiſche Revolution das
unerwartete Signal gab, ließen Florenz und unter ihren „retrograden,
öſterreichiſch-papiſtiſchen“ Gouvernements Rom ihre Contingente ins Feld
rücken; es mag ſeyn daß ſie gering waren in Verhältniß zur Bevölkerung
und zum Bedarf, aber man that was man vermochte. Die radicale Par-
tei kam und ſtürzte die gemäßigten Miniſterien; die Erkämpfung der
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zu haben behauptete, und ſie rollte immer wieder das dreifarbige Banner
auf — ſechs Monate hindurch hat ſie nach Herzensluſt geſchaltet, ſie hat
über bewegliches wie Grund-Eigenthum ungehindert rerfügt, ſie hat
allen ihren Séiden zu Aemtern verholfen und alle die etwas von Geſchäf-
ten verſtanden entfernt, ſie hat Florentiner Wundärzte und Bologneſer
Advocaten zu Generalen gemacht, ſie hat Univerſitäten, Gerichtshöfe,
Diplomatie umgeſchaffen, hat in allen Zweigen organiſirt, reorganiſirt,
desorganiſſirt und ohne Rückſicht abgeſetzt, hat jeden Rechtsbegriff zu ver-
nichten geſucht, hat mit Montagnards-Clubs gemeinſame Sache gemacht,
hat mit ihren Conſtituanten die Conſtitutionen zerſchlagen und die Sou-
veräne vertrieben, das Volk demoraliſirt und elend gemacht und ihm Habe
und Glauben genommen, hat den Meineid gepredigt und jedes Pflicht-
gefühl, jede Empfindung der Dankbarkeit, jede Regung der Ehre mit
Füßen getreten — und nach dieſen ſechs Monaten, den traurigſten welche
Italien ſeit 1799 erlebt hat, ſteht ſie da, genöthigt ſich ſelber ein testi-
monium paupertatis
auszuſtellen, genöthigt im Moment des betrügeri-
ſchen Bankerotts nach der Dictatur zu greifen und Guerrazzi und Mazzini
zu ihren Napoleonen zu machen! Wenn es je für Ridolfi und die welche
mit ihm vor einem Jahre Toscana’s Geſchicke lenkten, eine glänzende,
wenngleich traurige Rechtfertigung, wenn es für die Anarchiſten, die ſeit
dem October Mittelitalien zu einem Gegenſtand, man weiß nicht ob mehr
des Mitleids oder der Mißachtung gemacht haben, eine unabweisliche
Verdammung gibt, ſo liegt eine wie die andere in der Haltung dieſer bei-
den mittelitaliſchen Regierungen in dem gegenwärtigen Entſcheidungs-
kampfe. Die Rettung aber, das beginnen alle einzuſehen, muß von
anderer Seite kommen.



Aegypten.

Seitdem die Iſraeliten von Europa
ihre Sympathie für das Schickſal ihrer unterdrückten Glaubensgenoſſen in
der Levante thätlich bekundet haben, hat man in Syrien nicht mehr und
in Aegypten nur ein einzigesmal vom Abſchlachten chriſtlicher Kinder und
Anwendung des Blutes derſelben zur Anfertigung der ungeſäuerten Brode
gehört. Der Anfang des Monat März war beinahe jährlich durch eine
mehr oder minder bedeutende Verfolgung der Juden aus ſolchen Anläſſen
bezeichnet. Wie ein Mann hatten ſich die notablen Juden aller Haupt-
ſtädte Europa’s gegen das maßloſe, ſchauderhafte Verfahren, welches im
Jahr 1839 gegen die reichen Juden von Damaskus eingeleitet wurde, er-
hoben*), und ſeitdem iſt es mit dieſen Chriſten-Ermordungen vorbei; ent-
ſteht jedoch irgendwo ein Lärm, ſo ſchreitet die Behörde augenblicklich ein,
und es iſt ihr ſtets ſehr leicht gelungen den Fanatismus oder den Betrug
zu entdecken. In Kairo ſind ſeit einiger Zeit mehrere unangenehme Auf-
tritte zwiſchen Chriſten und Moslimen vorgefallen. Letztere bildeten ſich ein
der neue Statthalter ſehe Chriſten — namentlich europäiſche — nicht gern,
beſchimpften und mißhandelten dieſe ungeſcheut, wie dieſes ſeit dreißig
Jahren nicht mehr der Fall war. Allein ſie ſcheinen ſich geirrt zu haben,
denn Abas Paſcha hat ſofort geeignete Befehle ertheilt um die Schuldigen
zu ergreifen und abzuſtrafen, zugleich aber hat er dem Polizeidirector
einen rechtſchaffenen und thätigen Europäer bei-, nicht unter geordnet,
[Spaltenumbruch] der die zwiſchen Arabern und Europäern ſich ergebenden Streitigkeiten zu
ſchlichten haben wird. Dieſe Maßregel ſowie die Abſetzung des Polizei-
directors und deſſen Erſetzung durch einen Mann von bekannter Freiſinnig-
keit haben die chriſtliche Bevölkerung ſehr erfreut, ohne die gemäßigten
ruheliebenden Moslimen zu reizen.

Abas Paſcha hat bedeutende Veränderungen im Organismus der
Staatsverwaltung getroffen. Das in der Türkei beſtehende Syſtem leuch-
tet ihm vor, und dürfte entſprechend befunden werden. Er widmet ſich
mit weit mehr Eifer dem öffentlichen Dienſt als man zu erwarten berech-
tigt war. Das Circular über die definitive Freilaſſung des Handels im
Sudan erwartet man täglich, und die Handelsſperre, welche Mehemed
Ali’s Habſucht und Beſchränktheit gegen Abyſſinien verhängt hatte, iſt
dadurch aufgehoben worden daß die zwei abyſſiniſchen Ausgangspunkte
Suakin und Maſſawa von den ägyptiſchen Mauthſtellen geräumt und
von wenigen fiskaliſchen Osmanen verwaltet ſind.

Ubieh, der erleuchtetſte und wohlwollendſte abyſſiniſche Häuptling, mit
dem Dr. Schimper, Statthalter von Antitscho, ſeit vielen Jahren innig
verbunden iſt, liegt gefährlich krank darnieder, und ſein Tod möchte für
dieſes den Europäern neuaufgeſchloſſene große Reich ein ſchwer zu erſetzen-
der Verluſt ſeyn. Ubieh bewies ſtets guten Willen und viele Thatkraft,
liebte dabei Frieden und Gerechtigkeit. Seine lange Verwaltung der
Provinz Adoa war dadurch ausgezeichnet daß von gar keiner Gewaltthat
irgendeine Meldung geſchieht.



Die Stellung der Sikh und der Afghaneu zu Peſchawer.

Durch den Sieg Lord Goughs über die Sikh bei Gudſcherat am 21
Febr., deſſen Einzelheiten aber zur Zeit noch unbekannt ſind, glaubt die
Times, die Angelegenheit mit jenem kriegeriſch fanatiſchen Volk in der
Hauptſache beendigt, wenigſtens die von dieſer Seite her drohende Gefahr
abgewendet; hingegen beſorgt das engliſche Journal neue, mittelbare oder
unmittelbare, Verwicklungen des indobrittiſchen Reichs mit den Afghanen.
An ein eben erſchienenes neues Werk über die Sikh*) auknüpfend, erör-
tert die Times die bezügliche Sachlage alſo: „Die Provinz und die Feſtung
Peſchawer, welche den Hauptpaß zwiſchen dem Pendſchâb und Afghaniſtan
beherrſcht, war der Punkt an welchem die Höfe von Lahor und Kabul
gewöhnlich in Berührung kamen. Nach geographiſchen und natürlichen
Verhältniſſen gehörte Peſchawer allerdings zu Afghaniſtan; auch geſchah
es erſt nach dem Zerfall des Durani-Reichs einerſeits, und während andrer-
ſeits die Sikh-Conföderation ſich zu einer mächtigen Monarchie gefeſtigt
hatte, daß die „Khalſa,“ d. h. die Soldateska des Pendſchâb, anfing über
den Indus nach Eroberungen auszuſchauen. Das Durani- oder Abdalli-Reich,
von Ahmed Schah in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gegründet, erloſch
thatſächlich im Anfang des gegenwärtigen, und es blieb nichts davon übrig
als die bruchſtücklichen Fürſtenthümer Herat, Kandahar und Kabul, im
Beſitz dreier Brüder die beſtändig mit einander Krieg führten. Kein Wun-
der daß unter ſo aufmunternden Umſtänden der Ehrgeiz Randſchit Singhs
ſich nach dieſer Seite, auf einen ſo wichtigen Punkt wie Peſchawer wandte.
Die Provinz beherrſchte im J. 1818 Yar Mohammed Chan unter der Ober-
herrlichkeit des Hofs von Kabul, welche jedoch wenig mehr als nominell
war. Einen Vorwand zum Dazwiſchentreten in den Streitigkeiten der
afghaniſchen Brüder benützend, überſchritt Randſchit den Indus und rückte
auf Peſchawer vor. Der Platz wurde bei ſeiner Annäherung geräumt,
aber noch wagte der Sikh-Monarch keine bleibende Beſitznahme. Indem
er ihn einem afghaniſchen Rebellen überließ, der ihm bereits die Feſtung
Attock ausgeliefert hatte, begnügte er ſich fürs erſte damit in Kheyrabad,
einen Poſten gegenüber von Attock auf dem weſtlichen Ufer des Stroms,
eine Beſatzung zu legen, und ſich ſo für die Zukunft einen Uebergang zu
ſichern. Alsbald nach ſeinem Rückzug kehrte Yar Mohammed zurück, und
durfte ruhig von ſeiner Feſtung wieder Beſitz ergreifen. Vier Jahre dar-
auf that Randſchit einen neuen Schritt vorwärts, verlangte und empfing
von Yar Mohammed Tribut in der Form einer gewiſſen Anzahl werthvoller
Pferde. Dieſes Zugeſtändniß mißfiel dem Hofe von Kabul, und im näch-
ſten Jahr verſuchte man die Frage mit den Waffen zu entſcheiden. Der
Sieg blieb dem Randſchit Singh, und Peſchawer gerieth nun in offene
Abhängigkeit von Lahor. So wurde die Sikh-Macht auf afghaniſchem
Gebiete befeſtigt, wobei jedoch Randſchit noch immer nicht poſitiv von der

*) Ein engliſches Blatt erzählte unlängſt: als Sir Moſes Monteſiore in
obiger Angelegenheit bei Mehemed Ali Audienz hatte, habe der alte Paſcha
geäußert: ehe er etwas für die ſyriſchen Juden thun könne, müſſe Sir
Moſes erſt Rückgabe der goldenen und ſilbernen Gefäße veranlaſſen die
ſeine Glaubensgenoſſen damals unter Pharao aus Aegypten mit fortge-
nommen.
*) A History of the Sikhs, from the Origin of the Nation to the Bat-
tles of the Sutlej. By Joseph Davey Cunningham, Lieutenant of
Engineers and Captain in the Army of India. London, Murray

1849. Die engliſche Litteratur über das Fünfſtromland iſt bereits eine
fehr bändereiche; dabei bemerkt die Times daß in Calcutta und Bombay
manche treffliche hiſtoriſche oder politiſche Schrift über Indien und deſſen
Nachbarländer erſcheine, von welcher man in England nur ſpäte oder
gar keine Kunde erhalte.
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[1618/0014] Jahres mit nicht geringerer Anſtrengung reorganiſirt, in den Todeskampf ging, ſtritten ſie in Florenz und Rom über Zwangsanleihe-Projecte, eines verderblicher als das andere, überſchwemmten das Land mit Papier und falſcher Münze, debattirten über Union oder Nichtunion, über Weg- räumung oder Nichträumung von Zolllinien, hatten collectiv mindeſtens 60,000 Mann auf dem Papier ſtehen und brachten ſie ſo ernſtlich in Rech- nung daß aller Taſchen täglich leerer wurden. Werden denn dem italieni- ſchen Volke nie die Augen aufgehen über das ſelbſtiſche verderbliche ver- rätheriſche Treiben, über die poſitive Unfähigkeit und Ohnmacht, über den Wahnſinn der Faction welche es hat ans Ruder kommen laſſen? Mich dünkt die Vergleichung dieſes Frühlings mit dem vorigen müßte ſelbſt die dickſten Schuppen von den Augen abfallen machen. Damals, wo der Krieg wirklich überraſchte, indem die franzöſiſche Revolution das unerwartete Signal gab, ließen Florenz und unter ihren „retrograden, öſterreichiſch-papiſtiſchen“ Gouvernements Rom ihre Contingente ins Feld rücken; es mag ſeyn daß ſie gering waren in Verhältniß zur Bevölkerung und zum Bedarf, aber man that was man vermochte. Die radicale Par- tei kam und ſtürzte die gemäßigten Miniſterien; die Erkämpfung der nationalen Unabhängigkeit war das Hauptproblem welches ſie ſich vorgeſetzt zu haben behauptete, und ſie rollte immer wieder das dreifarbige Banner auf — ſechs Monate hindurch hat ſie nach Herzensluſt geſchaltet, ſie hat über bewegliches wie Grund-Eigenthum ungehindert rerfügt, ſie hat allen ihren Séiden zu Aemtern verholfen und alle die etwas von Geſchäf- ten verſtanden entfernt, ſie hat Florentiner Wundärzte und Bologneſer Advocaten zu Generalen gemacht, ſie hat Univerſitäten, Gerichtshöfe, Diplomatie umgeſchaffen, hat in allen Zweigen organiſirt, reorganiſirt, desorganiſſirt und ohne Rückſicht abgeſetzt, hat jeden Rechtsbegriff zu ver- nichten geſucht, hat mit Montagnards-Clubs gemeinſame Sache gemacht, hat mit ihren Conſtituanten die Conſtitutionen zerſchlagen und die Sou- veräne vertrieben, das Volk demoraliſirt und elend gemacht und ihm Habe und Glauben genommen, hat den Meineid gepredigt und jedes Pflicht- gefühl, jede Empfindung der Dankbarkeit, jede Regung der Ehre mit Füßen getreten — und nach dieſen ſechs Monaten, den traurigſten welche Italien ſeit 1799 erlebt hat, ſteht ſie da, genöthigt ſich ſelber ein testi- monium paupertatis auszuſtellen, genöthigt im Moment des betrügeri- ſchen Bankerotts nach der Dictatur zu greifen und Guerrazzi und Mazzini zu ihren Napoleonen zu machen! Wenn es je für Ridolfi und die welche mit ihm vor einem Jahre Toscana’s Geſchicke lenkten, eine glänzende, wenngleich traurige Rechtfertigung, wenn es für die Anarchiſten, die ſeit dem October Mittelitalien zu einem Gegenſtand, man weiß nicht ob mehr des Mitleids oder der Mißachtung gemacht haben, eine unabweisliche Verdammung gibt, ſo liegt eine wie die andere in der Haltung dieſer bei- den mittelitaliſchen Regierungen in dem gegenwärtigen Entſcheidungs- kampfe. Die Rettung aber, das beginnen alle einzuſehen, muß von anderer Seite kommen. Aegypten. ᑝ Alexandria, 8 März. Seitdem die Iſraeliten von Europa ihre Sympathie für das Schickſal ihrer unterdrückten Glaubensgenoſſen in der Levante thätlich bekundet haben, hat man in Syrien nicht mehr und in Aegypten nur ein einzigesmal vom Abſchlachten chriſtlicher Kinder und Anwendung des Blutes derſelben zur Anfertigung der ungeſäuerten Brode gehört. Der Anfang des Monat März war beinahe jährlich durch eine mehr oder minder bedeutende Verfolgung der Juden aus ſolchen Anläſſen bezeichnet. Wie ein Mann hatten ſich die notablen Juden aller Haupt- ſtädte Europa’s gegen das maßloſe, ſchauderhafte Verfahren, welches im Jahr 1839 gegen die reichen Juden von Damaskus eingeleitet wurde, er- hoben *), und ſeitdem iſt es mit dieſen Chriſten-Ermordungen vorbei; ent- ſteht jedoch irgendwo ein Lärm, ſo ſchreitet die Behörde augenblicklich ein, und es iſt ihr ſtets ſehr leicht gelungen den Fanatismus oder den Betrug zu entdecken. In Kairo ſind ſeit einiger Zeit mehrere unangenehme Auf- tritte zwiſchen Chriſten und Moslimen vorgefallen. Letztere bildeten ſich ein der neue Statthalter ſehe Chriſten — namentlich europäiſche — nicht gern, beſchimpften und mißhandelten dieſe ungeſcheut, wie dieſes ſeit dreißig Jahren nicht mehr der Fall war. Allein ſie ſcheinen ſich geirrt zu haben, denn Abas Paſcha hat ſofort geeignete Befehle ertheilt um die Schuldigen zu ergreifen und abzuſtrafen, zugleich aber hat er dem Polizeidirector einen rechtſchaffenen und thätigen Europäer bei-, nicht unter geordnet, der die zwiſchen Arabern und Europäern ſich ergebenden Streitigkeiten zu ſchlichten haben wird. Dieſe Maßregel ſowie die Abſetzung des Polizei- directors und deſſen Erſetzung durch einen Mann von bekannter Freiſinnig- keit haben die chriſtliche Bevölkerung ſehr erfreut, ohne die gemäßigten ruheliebenden Moslimen zu reizen. Abas Paſcha hat bedeutende Veränderungen im Organismus der Staatsverwaltung getroffen. Das in der Türkei beſtehende Syſtem leuch- tet ihm vor, und dürfte entſprechend befunden werden. Er widmet ſich mit weit mehr Eifer dem öffentlichen Dienſt als man zu erwarten berech- tigt war. Das Circular über die definitive Freilaſſung des Handels im Sudan erwartet man täglich, und die Handelsſperre, welche Mehemed Ali’s Habſucht und Beſchränktheit gegen Abyſſinien verhängt hatte, iſt dadurch aufgehoben worden daß die zwei abyſſiniſchen Ausgangspunkte Suakin und Maſſawa von den ägyptiſchen Mauthſtellen geräumt und von wenigen fiskaliſchen Osmanen verwaltet ſind. Ubieh, der erleuchtetſte und wohlwollendſte abyſſiniſche Häuptling, mit dem Dr. Schimper, Statthalter von Antitscho, ſeit vielen Jahren innig verbunden iſt, liegt gefährlich krank darnieder, und ſein Tod möchte für dieſes den Europäern neuaufgeſchloſſene große Reich ein ſchwer zu erſetzen- der Verluſt ſeyn. Ubieh bewies ſtets guten Willen und viele Thatkraft, liebte dabei Frieden und Gerechtigkeit. Seine lange Verwaltung der Provinz Adoa war dadurch ausgezeichnet daß von gar keiner Gewaltthat irgendeine Meldung geſchieht. Die Stellung der Sikh und der Afghaneu zu Peſchawer. Durch den Sieg Lord Goughs über die Sikh bei Gudſcherat am 21 Febr., deſſen Einzelheiten aber zur Zeit noch unbekannt ſind, glaubt die Times, die Angelegenheit mit jenem kriegeriſch fanatiſchen Volk in der Hauptſache beendigt, wenigſtens die von dieſer Seite her drohende Gefahr abgewendet; hingegen beſorgt das engliſche Journal neue, mittelbare oder unmittelbare, Verwicklungen des indobrittiſchen Reichs mit den Afghanen. An ein eben erſchienenes neues Werk über die Sikh *) auknüpfend, erör- tert die Times die bezügliche Sachlage alſo: „Die Provinz und die Feſtung Peſchawer, welche den Hauptpaß zwiſchen dem Pendſchâb und Afghaniſtan beherrſcht, war der Punkt an welchem die Höfe von Lahor und Kabul gewöhnlich in Berührung kamen. Nach geographiſchen und natürlichen Verhältniſſen gehörte Peſchawer allerdings zu Afghaniſtan; auch geſchah es erſt nach dem Zerfall des Durani-Reichs einerſeits, und während andrer- ſeits die Sikh-Conföderation ſich zu einer mächtigen Monarchie gefeſtigt hatte, daß die „Khalſa,“ d. h. die Soldateska des Pendſchâb, anfing über den Indus nach Eroberungen auszuſchauen. Das Durani- oder Abdalli-Reich, von Ahmed Schah in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gegründet, erloſch thatſächlich im Anfang des gegenwärtigen, und es blieb nichts davon übrig als die bruchſtücklichen Fürſtenthümer Herat, Kandahar und Kabul, im Beſitz dreier Brüder die beſtändig mit einander Krieg führten. Kein Wun- der daß unter ſo aufmunternden Umſtänden der Ehrgeiz Randſchit Singhs ſich nach dieſer Seite, auf einen ſo wichtigen Punkt wie Peſchawer wandte. Die Provinz beherrſchte im J. 1818 Yar Mohammed Chan unter der Ober- herrlichkeit des Hofs von Kabul, welche jedoch wenig mehr als nominell war. Einen Vorwand zum Dazwiſchentreten in den Streitigkeiten der afghaniſchen Brüder benützend, überſchritt Randſchit den Indus und rückte auf Peſchawer vor. Der Platz wurde bei ſeiner Annäherung geräumt, aber noch wagte der Sikh-Monarch keine bleibende Beſitznahme. Indem er ihn einem afghaniſchen Rebellen überließ, der ihm bereits die Feſtung Attock ausgeliefert hatte, begnügte er ſich fürs erſte damit in Kheyrabad, einen Poſten gegenüber von Attock auf dem weſtlichen Ufer des Stroms, eine Beſatzung zu legen, und ſich ſo für die Zukunft einen Uebergang zu ſichern. Alsbald nach ſeinem Rückzug kehrte Yar Mohammed zurück, und durfte ruhig von ſeiner Feſtung wieder Beſitz ergreifen. Vier Jahre dar- auf that Randſchit einen neuen Schritt vorwärts, verlangte und empfing von Yar Mohammed Tribut in der Form einer gewiſſen Anzahl werthvoller Pferde. Dieſes Zugeſtändniß mißfiel dem Hofe von Kabul, und im näch- ſten Jahr verſuchte man die Frage mit den Waffen zu entſcheiden. Der Sieg blieb dem Randſchit Singh, und Peſchawer gerieth nun in offene Abhängigkeit von Lahor. So wurde die Sikh-Macht auf afghaniſchem Gebiete befeſtigt, wobei jedoch Randſchit noch immer nicht poſitiv von der *) Ein engliſches Blatt erzählte unlängſt: als Sir Moſes Monteſiore in obiger Angelegenheit bei Mehemed Ali Audienz hatte, habe der alte Paſcha geäußert: ehe er etwas für die ſyriſchen Juden thun könne, müſſe Sir Moſes erſt Rückgabe der goldenen und ſilbernen Gefäße veranlaſſen die ſeine Glaubensgenoſſen damals unter Pharao aus Aegypten mit fortge- nommen. *) A History of the Sikhs, from the Origin of the Nation to the Bat- tles of the Sutlej. By Joseph Davey Cunningham, Lieutenant of Engineers and Captain in the Army of India. London, Murray 1849. Die engliſche Litteratur über das Fünfſtromland iſt bereits eine fehr bändereiche; dabei bemerkt die Times daß in Calcutta und Bombay manche treffliche hiſtoriſche oder politiſche Schrift über Indien und deſſen Nachbarländer erſcheine, von welcher man in England nur ſpäte oder gar keine Kunde erhalte.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 105, 15. April 1849, S. 1618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine105_1849/14>, abgerufen am 23.11.2024.