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Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] Grundsätze über Bord geworfen worden. So hat man sich nicht zur Abschaffung
des Ohmgeldes entschließen können, obschon dasselbe zum größten Theil auf dem
Arbeiterstand lastet und eine ungerechte Steuer gegen unten ist. Von der größten
Wichtigkeit für den Arbeiterstand wäre ferner die volle Durchführung des Schwei-
zerbürgerrechts, aber auch hier ist man in der reactionären Luft von Bern zu
einem kläglichen Ergebniß gelangt." Auf beide Artikel verlangt der Aufrnf zu-
rückzukommen und beantragt, um sich über gemeinsame Schritte gegenüber den
eidgenössischen Räthen zu einigen, Abhaltung eines allgemeinen Arbeitercongresses
im Laufe des Monats Januar. "Arbeiter aller Kantone! -- schließt der Auf-
ruf -- es ist Zeit daß wir über die Arbeiter einer Versammlung wachen welche
zu glauben scheint daß wir schlafen." -- In seiner letzten Sitzung genehmigte der
Bundesrath die Vorlagen der St. Galler Regierung für die Rheincorrectionsbau-
ten im Jahr 1872, deren Kosten auf 1,000,000 Fr. fixirt sind. -- Im Kanton
Graubünden ist die Abstimmung über die 9 Millionen-Subvention a fonds perdu
für die Splügen-Bahn flott im Gange. Die Stimmung ist selbst in den dem
Splügen-Trace fern liegenden Landestheilen eine günstige, so daß man eine fast
an Einstimmigkeit gränzende Mehrheit erwartet. -- Mazzini, welcher seit einiger
Zeit wieder in Lugano weilt und an seinen alten Leiden erkrankt ist, befindet sich
auf dem Wege der Besserung. -- Laut der "Suisse Radicale" wird der Graf
Chambord in Genf erwartet, wo die Villa Artichauds für ihn behufs längeren
Aufenthalts gemiethet sein soll. -- In schweizerischen Blättern wird bestritten
daß Oberst Rüstow Hrn. Thiers Plane für die Befestigung von Paris vorgelegt
habe. Allerdings sei er im Auftrag des eidgenössischen Militärdepar tements in
Paris gewesen, habe aber keine Rücksprache mit Hrn. Thiers, sondern mit dem
Kriegsminister genommen. Uebrigens sei er schon längst nach Zürich zu-
rückgekehrt, während die Blätter ihn noch immer als persona grata in Versailles
weilen ließen. -- Mina Puccinelli, die berüchtigte socialdemokrat ische spanische
Donna, welche kürzlich auch in Basel und Zürich als Sendlingin der "Internatio-
nalen" auftrat und Vorträge hielt, hat die Sache so toll getrieben, daß sie von
ihren eigenen Leuten verläugnet wurde. Bürger Gräulich, der Chef der Züricher
Internationalen, unter dessen Protectorat die Bürgerin Puccinelli ihr erstes Auftre-
ten in Zürich feierte, hat dieselbe bei ihrer zweiten Vorstellung geradezu als
"Landstreicherin" bezeichnet, mit der die Internationale nichts zu thun habe. --
Am 10 Jan. treten in Bern die Assisen zusammen zur Verhandlung der Processe
des ehemaligen eidgenössischen Staatscassiers Eggimann, des flüchtigen Berner
Handelsbankdirectors Muralt und des Schwindelgeschäfts "Felicitas." Beiläusig
sei bemerkt daß das der eidgenössischen Staatscasse durch die Veruntreuungen
Eggimanns zugefügte Deficit im Betrage von 560,000 Fr. in Folge Vergleichs
mit dessen Amtsbürgen vollständig gedeckt ist, was das Urtheil der Richter einiger-
maßen mildern wird.

Großbritannien.

* Die gesammte Wochenpresse beschäftigt sich nun auch mit der Depesche des
Fürsten Bismarck, und es läßt sich zusammenfassend von den drei namhaftesten
Blättern "Saturday Review," "Economist" und "Spectator" sagen daß sie in
der Entrüstung gegen die in Rede stehenden Verbrechen vollständig übereinstimmen.
Im übrigen aber gehen die Ansichten einigermaßen auseinander. Eigenthümlicher-
weise ist es dießmal der philosophisch-radicale "Spectator," der sonst eine gewisse
Schwachheit für Frankreich und die Republik hat, welcher in diesem Fall mit Rück-
sicht auf die ganze Lage in Deutschland und Frankreich einerseits, andrerseits auch
im Rückblick auf die Möglichkeiten der Zukunft in Frankreich, die Schärfe der De-
pesche erklärt und begründet. Der "Economist" räumt allerdings auch ein daß
den momentanen Verhältnissen gegenüber der Schritt der deutschen Regierung am
Ende geboten sei, hält aber auf der anderen Seite fest daß dergleichen Vorkomm-
nisse bei einer Occupation unvermeidlich seien, und führt aus daß Deutschland
sich derartige Folgen selbst zuzuschreiben habe, weil es eine Kriegsentschädigung
beanspruchte welche eine lange Besetzung französischen Bodens nothwendig machte.
Die "Saturday Review" betont diese Einwände noch bedeutend schärfer, und
wendet sich namentlich gegen die vom Fürsten Bismarck an die französische Nation
gerichteten Vorwürfe. Im einzelnen mag folgendes hervorgehoben werden: "Es
war -- sagt der "Spectator" -- wie wir glauben, nothwendig daß Fürst Bismarck
seine meisterhafte Depesche schrieb, allein diese Nothwendigkeit wurde augenschein-
lich von ihm mit einiger Befriedigung hingenommen. Wir sind alle ein wenig zu
sehr geneigt zu vergessen daß der große Kanzler nicht nur eine europäische Persön-
lichkeit, sondern auch ein deutscher Minister ist. Das ganze deutsche Volk rief in
diesem Fall in der Presse nach Genugthuung, die Armee war wüthend, der Kaiser
entschlossen, Frankreich hoffnungslos im Unrecht, und Fürst Bismarck mußte sich
vernehmen lassen, und da er einmal Fürst Bismarck ist, so ließ er sich mit lauter
Stimme stolz und im Tone des Herrn vernehmen." "Wir können nicht sehen,
schreibt der "Economist," wie Graf Bismarck in anderem Tone sprechen konnte,
wenn er überhaupt seinen Halt über die öffentliche Meinung bewahren wollte. Es
gibt Gelegenheiten wo die stärkste und stolzeste Ausdrucksweise die allerfriedlichste
ist, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch seine kräftige Sprache
gleichzeitig die deutsche Ungeduld zu zügeln und die französische Furcht vor einem
neuen Krieg zu mehren."

Die Eröffnung des österreichischen Reichsraths wird von allen großen
Blättern mehr oder weniger eingehend erörtert. In der Hauptsache sind die sämmt-
lichen Leitartikel vielmehr erklärender als kritischer Natur, was seinen Grund in
der Thatsache findet daß die Bekanntschaft des englischen Lesers mit den einiger-
maßen verwickelten Verhältnissen der österreichisch-ungarischen Monarchie eine sehr
beschränkte ist. Darin stimmen übrigens alle überein daß die Leiter des öster-
reichischen Staatsverbandes, vorzugsweise der Kaiser, bei ihrer schwierigen Auf-
gabe alle mögliche Theilnahme verdienen, wie denn überhaupt die wenigen Worte
der Beurtheilung welche sich in die Darstellung der Lage mischen überall freund-
lich und wohlwollend lauten. Geht man zu einer Uebersicht der verschiedenen Be-
trachtungen im einzelnen über, so ist zuerst die "Times" zu erwähnen, welche, nach
Hindeutung auf das lange Programm der Thronrede, die Lage in der Bemerkung
kennzeichnet: daß die Hauptfrage darauf hinaus laufe ob ein Reichsrath zu Stande
komme, oder nicht. Im weiteren wird dann aus einem kurzen geschichtlichen Rück-
blick die heutige Constellation der Dinge entwickelt, und ausdrücklich hervorgehoben
daß das Uebergewicht der Deutschen über alle anderen Stämme des Reichs so un-
zweifelhaft und auf so viele geistige, moralische und gesellschaftliche Vorzüge be-
gründet sei, daß eine Opposition nie das Maß des Unbedeutenden überschreiten
[Spaltenumbruch] könne, solange die Deutschen nur fest zusammenhalten wollten. Gerade jenen
Deutschen welche sich von den Centralisten den Föderalisten zugewandt haben,
mißt die "Times" die Schuld an vielem Unheil bei, und sie zeigt daß es diese
Herren gewesen welche vor kurzem erst den Kaiser auf eine irrige Bahn geleitet,
von der ihn die zeitigen Warnungen der Grafen Beust und Andrassy zurück-
gebracht haben. Nicht minder reichlich spendet "Daily News" dem Kaiser den Zoll
der Anerkennung. Sie faßt ihr Urtheil dahin zusammen: "Wenn man die sehr
schwierigen Umstände betrachtet unter welchen der Kaiser seine Rede hielt, so muß
man dieselbe als eine kluge und verständliche Botschaft bezeichnen, allein wir
können aus derselben nicht den Schluß ableiten daß der Kaiser oder seine heutigen
Rathgeber hoffnungsvoll in die nächste Zukunft blicken."
Ganz ähnlich äußert sich der
"Daily Telegraph:" "Der würdige und feste, zugleich aber besorgte und versöhn-
liche Ton in welchem Kaiser Franz Joseph zu dem Reichsrath gesprochen, wird
weit über die Gränzen Oesterreichs hinaus den ernsten Wunsch wachrufen daß sein
Streben, das ihm, wie wir glauben, deutlich am Herzen liegt, mit Erfolg gekrönt
werden möge." Selbst die "Morning Post," die sonst nicht gerade dem Centralis-
mus hold ist, erklärt: "Wir können nicht umhin die herzlichsten Wünsche für den
Reichsrath zur Erfüllung seiner wirklich unzähligen Pflichten zu äußern. Wir
werden indessen nicht sehr überrascht sein wenn viele der Projecte in mehr als
einer künftigen Thronrede noch als unerfüllt figuriren werden."

Frankreich.

Hr. Thiers gab gestern in Versailles dem Kaiser von Brasilien ein Deiner, zu
welchem von Diplomaten Lord Lyons, Graf Arnim, Hr. Olozaga, Hr. v. Moltke-
Hvitfeld, von Gelehrten die HH. Nelaton, Leverrier, L. Dequesne, Sainte-Clair-
Deville und mehrere andere Mitglieder des Instituts, ferner Marschall Mac-Mahon,
General Appert und der Präfect Cochin geladen waren.


"Hr. Gambetta bereist in diesem Augenblick den Süden; er wurde in Marseille
mit Wärme und in dem radicalen Toulon mit wahrer Begeisterung empfangen.
Sein Einzug in die letztere Stadt gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste, er
wurde im Triumph nach seinem Hotel geführt, und dort durch die enthusiastischen
Rufe der Menge genöthigt mehrmals auf dem Balcon zu erscheinen. Des Abends
gab man ihm ein Bankett, welchem der Maire der Stadt und die meisten Gemeinde-
räthe beiwohnten. Der Hauptzweck dieser Rundreise ist allem Anschein nach die
Unterstützung mehrerer befreundeten Candidaturen, so des Hrn. Challemel-Lacour
für Marseille und des Hrn. Freycinet für Toulon; doch soll Hr. Gambetta, ehe er
nach Paris zurückkehrt, in Marseille noch eine große politische Rede halten."

In der Rue d'Arras kann man sich noch immer nicht darüber trösten daß
Victor Hugo sich weigert vor dem souveränen Volke zu erscheinen. Ein Herr
Duram machte noch in der letzten Versammlung dem Dichter nicht ohne Talent
und namentlich nicht ohne Erfolg den Proceß. Er führte zunächst aus daß es
durchaus nicht gleichgültig sei ob man das Mandat ein "imperatives" oder ein
"contractuelles" nenne. Hr. Victor Hugo definire die Sache als einen synallag-
matischen Vertrag, der also beiden Theilen gleiche Pflichten auferlege. Das sei
aber keineswegs die wahre demokratische Lehre. Das Volk, sagt der Redner,
contrahirt nicht, es verpflichtet sich nicht, es befiehlt, denn es ist der Herr, der
Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat ist seiner Natur nach ein impera-
tives, und es hieße sich gegen die Majestät des Volkes und die Unverletzlichkeit der
Principien vergehen wenn man daraus einen Contract machen wollte. (Bravs!)
Redner schließt, beständig von lebhaftem Beifall unterbrochen: "Das Volk hat
dermalen zwei Revanchen zu nehmen, die eine gegen Berlin, die zweite gegen eine
andere Hauptstadt, die ich nicht zu nennen brauche. Welcher Waffen soll das
Volk sich da bedienen? Man bietet ihm einen Degen (Cremer), ein Handwerkzeug
(Nadaud) und -- eine Lyra. Es möge nun selbst wählen! -- Ein anderer Redner,
der nicht minder gegen Victor Hugo eingenommen ist, wirft demselben seine Hab-
sucht vor. Welche Opfer, sagt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat
bewundernswerthe Bücher geschrieben; aber machte er dieselben dem Volke zu
gänglich? Nein, er verkaufte sie so theuer, daß das Volk sie nicht lesen konnte und
in der That nicht gelesen hat."
Worauf ein Verehrer des Dichters mit folgender
sinnreichen Entschuldigung replicirte: Die politischen Schriften Victor Hugo's seine
Reden z. B., sind stets zu billigen Preisen und sogar unentgeltlich verbreitet wor-
den; was aber seine Dichtungen und sonstigen literarischen Erzeugnisse betrifft, so
waren dieselben namentlich von den vermögenden Classen begehrt, von jener Bour-
geoisie in welcher Victor Hugo einen Feind erblickte; hatte er da nicht Recht die-
sem Feind einen möglichst hohen Preis aufzuerlegen? Er erhob eine Steuer von
den Reichen, um dann später billige Volksausgaben herstellen zu können. Diese
Rechtfertigung wurde selbst in der Rue d'Arras ausgelacht, und in diesen Wähler-
gruppen ist der Stern Victor Hugo's sichtlich im Erbleichen, was aber in Ermange-
lung eines ernstlichen Mitbewerbers von radicalem Programm auf die Wahlen
keinen besonderen Einfluß üben wird.


Die Commission zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat
gestern Hrn. Tolhausen, bei Beginn des Kriegs französischer Consul in Köln, und
den Herzog v. Gramont vernommen. Hr. Tolhausen beklagte sich bitter daß alle
seine Warnungsrufe, an denen er es jahrelang nicht fehlen ließ, erbarmungslos
in den Archiven des Ministeriums des Aeußern begraben worden seien. Die
ganze Aussage dieses Mannes, eines Elsäßers, war nur ein motivirter Anklage-Act
gegen den Herzog v. Gramont. Dieser letztere wiederum, welcher Hrn. Tolhausen
im Verhöre folgte, ergieng sich in heftigen Recriminationen gegen Hrn. Benedetti.
Scharfe Kreuzfragen brachten Hrn. v. Gramont aber bald aus der Fassung, und
namentlich auf die scharfen Vorwürfe des Hrn. Antonin Lefevre-Pontalis, welcher
nachwies daß Gramont durch sein leichtsinniges Auftreten im gesetzgebenden Kör-
per den Krieg erst eigentlich unvermeidlich gemacht habe, vermochte der Ex-Mini-
ster nichts mehr zu erwiedern. Er bat seine weitere Vernehmung auf ein nächstes-
mal zu vertagen, und in der That wurde er zu diesem Behuf auf nächsten Donners-
tag vorgeladen.


An den Straßenecken von Paris erschien gestern folgende Kundmachung:

Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsstand
übertragenen Gewalten, auf Grund des Art. 9 vom 9 -- 11 Aug. 1849, in Erwä-
gung daß man Zeichnungen und Embleme welche geeignet sind die öffentliche Ruhe zu
stören, in den Gewölben und auf offener Straße feilbietet: Art. 1. Die Ausstellung, Feil-
bietung und Colportage aller Zeichnungen, Photographien oder Embleme welche ge-
eignet sind die öffentliche Ruhe zu stören werden verboten. Insbesondere gilt dieses
Verbot von den Porträten der Individuen welche wegen Theilnahme an dem letzten Auf-
stande verfolgt oder verurtheilt worden sind. Art. 2. Die Uebertretungen dieses Ver-
botes sollen von den Organen der Polizei constatirt und an die competenten Gerichte
verwiesen werden.

[Spaltenumbruch] Grundſätze über Bord geworfen worden. So hat man ſich nicht zur Abſchaffung
des Ohmgeldes entſchließen können, obſchon dasſelbe zum größten Theil auf dem
Arbeiterſtand laſtet und eine ungerechte Steuer gegen unten iſt. Von der größten
Wichtigkeit für den Arbeiterſtand wäre ferner die volle Durchführung des Schwei-
zerbürgerrechts, aber auch hier iſt man in der reactionären Luft von Bern zu
einem kläglichen Ergebniß gelangt.“ Auf beide Artikel verlangt der Aufrnf zu-
rückzukommen und beantragt, um ſich über gemeinſame Schritte gegenüber den
eidgenöſſiſchen Räthen zu einigen, Abhaltung eines allgemeinen Arbeitercongreſſes
im Laufe des Monats Januar. „Arbeiter aller Kantone! — ſchließt der Auf-
ruf — es iſt Zeit daß wir über die Arbeiter einer Verſammlung wachen welche
zu glauben ſcheint daß wir ſchlafen.“ — In ſeiner letzten Sitzung genehmigte der
Bundesrath die Vorlagen der St. Galler Regierung für die Rheincorrectionsbau-
ten im Jahr 1872, deren Koſten auf 1,000,000 Fr. fixirt ſind. — Im Kanton
Graubünden iſt die Abſtimmung über die 9 Millionen-Subvention à fonds perdu
für die Splügen-Bahn flott im Gange. Die Stimmung iſt ſelbſt in den dem
Splügen-Tracé fern liegenden Landestheilen eine günſtige, ſo daß man eine faſt
an Einſtimmigkeit gränzende Mehrheit erwartet. — Mazzini, welcher ſeit einiger
Zeit wieder in Lugano weilt und an ſeinen alten Leiden erkrankt iſt, befindet ſich
auf dem Wege der Beſſerung. — Laut der „Suiſſe Radicale“ wird der Graf
Chambord in Genf erwartet, wo die Villa Artichauds für ihn behufs längeren
Aufenthalts gemiethet ſein ſoll. — In ſchweizeriſchen Blättern wird beſtritten
daß Oberſt Rüſtow Hrn. Thiers Plane für die Befeſtigung von Paris vorgelegt
habe. Allerdings ſei er im Auftrag des eidgenöſſiſchen Militärdepar tements in
Paris geweſen, habe aber keine Rückſprache mit Hrn. Thiers, ſondern mit dem
Kriegsminiſter genommen. Uebrigens ſei er ſchon längſt nach Zürich zu-
rückgekehrt, während die Blätter ihn noch immer als persona grata in Verſailles
weilen ließen. — Mina Puccinelli, die berüchtigte ſocialdemokrat iſche ſpaniſche
Doña, welche kürzlich auch in Baſel und Zürich als Sendlingin der „Internatio-
nalen“ auftrat und Vorträge hielt, hat die Sache ſo toll getrieben, daß ſie von
ihren eigenen Leuten verläugnet wurde. Bürger Gräulich, der Chef der Züricher
Internationalen, unter deſſen Protectorat die Bürgerin Puccinelli ihr erſtes Auftre-
ten in Zürich feierte, hat dieſelbe bei ihrer zweiten Vorſtellung geradezu als
„Landſtreicherin“ bezeichnet, mit der die Internationale nichts zu thun habe. —
Am 10 Jan. treten in Bern die Aſſiſen zuſammen zur Verhandlung der Proceſſe
des ehemaligen eidgenöſſiſchen Staatscaſſiers Eggimann, des flüchtigen Berner
Handelsbankdirectors Muralt und des Schwindelgeſchäfts „Felicitas.“ Beiläuſig
ſei bemerkt daß das der eidgenöſſiſchen Staatscaſſe durch die Veruntreuungen
Eggimanns zugefügte Deficit im Betrage von 560,000 Fr. in Folge Vergleichs
mit deſſen Amtsbürgen vollſtändig gedeckt iſt, was das Urtheil der Richter einiger-
maßen mildern wird.

Großbritannien.

* Die geſammte Wochenpreſſe beſchäftigt ſich nun auch mit der Depeſche des
Fürſten Bismarck, und es läßt ſich zuſammenfaſſend von den drei namhafteſten
Blättern „Saturday Review,“ „Economiſt“ und „Spectator“ ſagen daß ſie in
der Entrüſtung gegen die in Rede ſtehenden Verbrechen vollſtändig übereinſtimmen.
Im übrigen aber gehen die Anſichten einigermaßen auseinander. Eigenthümlicher-
weiſe iſt es dießmal der philoſophiſch-radicale „Spectator,“ der ſonſt eine gewiſſe
Schwachheit für Frankreich und die Republik hat, welcher in dieſem Fall mit Rück-
ſicht auf die ganze Lage in Deutſchland und Frankreich einerſeits, andrerſeits auch
im Rückblick auf die Möglichkeiten der Zukunft in Frankreich, die Schärfe der De-
peſche erklärt und begründet. Der „Economiſt“ räumt allerdings auch ein daß
den momentanen Verhältniſſen gegenüber der Schritt der deutſchen Regierung am
Ende geboten ſei, hält aber auf der anderen Seite feſt daß dergleichen Vorkomm-
niſſe bei einer Occupation unvermeidlich ſeien, und führt aus daß Deutſchland
ſich derartige Folgen ſelbſt zuzuſchreiben habe, weil es eine Kriegsentſchädigung
beanſpruchte welche eine lange Beſetzung franzöſiſchen Bodens nothwendig machte.
Die „Saturday Review“ betont dieſe Einwände noch bedeutend ſchärfer, und
wendet ſich namentlich gegen die vom Fürſten Bismarck an die franzöſiſche Nation
gerichteten Vorwürfe. Im einzelnen mag folgendes hervorgehoben werden: „Es
war — ſagt der „Spectator“ — wie wir glauben, nothwendig daß Fürſt Bismarck
ſeine meiſterhafte Depeſche ſchrieb, allein dieſe Nothwendigkeit wurde augenſchein-
lich von ihm mit einiger Befriedigung hingenommen. Wir ſind alle ein wenig zu
ſehr geneigt zu vergeſſen daß der große Kanzler nicht nur eine europäiſche Perſön-
lichkeit, ſondern auch ein deutſcher Miniſter iſt. Das ganze deutſche Volk rief in
dieſem Fall in der Preſſe nach Genugthuung, die Armee war wüthend, der Kaiſer
entſchloſſen, Frankreich hoffnungslos im Unrecht, und Fürſt Bismarck mußte ſich
vernehmen laſſen, und da er einmal Fürſt Bismarck iſt, ſo ließ er ſich mit lauter
Stimme ſtolz und im Tone des Herrn vernehmen.“ „Wir können nicht ſehen,
ſchreibt der „Economiſt,“ wie Graf Bismarck in anderem Tone ſprechen konnte,
wenn er überhaupt ſeinen Halt über die öffentliche Meinung bewahren wollte. Es
gibt Gelegenheiten wo die ſtärkſte und ſtolzeſte Ausdrucksweiſe die allerfriedlichſte
iſt, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch ſeine kräftige Sprache
gleichzeitig die deutſche Ungeduld zu zügeln und die franzöſiſche Furcht vor einem
neuen Krieg zu mehren.“

Die Eröffnung des öſterreichiſchen Reichsraths wird von allen großen
Blättern mehr oder weniger eingehend erörtert. In der Hauptſache ſind die ſämmt-
lichen Leitartikel vielmehr erklärender als kritiſcher Natur, was ſeinen Grund in
der Thatſache findet daß die Bekanntſchaft des engliſchen Leſers mit den einiger-
maßen verwickelten Verhältniſſen der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie eine ſehr
beſchränkte iſt. Darin ſtimmen übrigens alle überein daß die Leiter des öſter-
reichiſchen Staatsverbandes, vorzugsweiſe der Kaiſer, bei ihrer ſchwierigen Auf-
gabe alle mögliche Theilnahme verdienen, wie denn überhaupt die wenigen Worte
der Beurtheilung welche ſich in die Darſtellung der Lage miſchen überall freund-
lich und wohlwollend lauten. Geht man zu einer Ueberſicht der verſchiedenen Be-
trachtungen im einzelnen über, ſo iſt zuerſt die „Times„ zu erwähnen, welche, nach
Hindeutung auf das lange Programm der Thronrede, die Lage in der Bemerkung
kennzeichnet: daß die Hauptfrage darauf hinaus laufe ob ein Reichsrath zu Stande
komme, oder nicht. Im weiteren wird dann aus einem kurzen geſchichtlichen Rück-
blick die heutige Conſtellation der Dinge entwickelt, und ausdrücklich hervorgehoben
daß das Uebergewicht der Deutſchen über alle anderen Stämme des Reichs ſo un-
zweifelhaft und auf ſo viele geiſtige, moraliſche und geſellſchaftliche Vorzüge be-
gründet ſei, daß eine Oppoſition nie das Maß des Unbedeutenden überſchreiten
[Spaltenumbruch] könne, ſolange die Deutſchen nur feſt zuſammenhalten wollten. Gerade jenen
Deutſchen welche ſich von den Centraliſten den Föderaliſten zugewandt haben,
mißt die „Times“ die Schuld an vielem Unheil bei, und ſie zeigt daß es dieſe
Herren geweſen welche vor kurzem erſt den Kaiſer auf eine irrige Bahn geleitet,
von der ihn die zeitigen Warnungen der Grafen Beuſt und Andraſſy zurück-
gebracht haben. Nicht minder reichlich ſpendet „Daily News“ dem Kaiſer den Zoll
der Anerkennung. Sie faßt ihr Urtheil dahin zuſammen: „Wenn man die ſehr
ſchwierigen Umſtände betrachtet unter welchen der Kaiſer ſeine Rede hielt, ſo muß
man dieſelbe als eine kluge und verſtändliche Botſchaft bezeichnen, allein wir
können aus derſelben nicht den Schluß ableiten daß der Kaiſer oder ſeine heutigen
Rathgeber hoffnungsvoll in die nächſte Zukunft blicken.“
Ganz ähnlich äußert ſich der
„Daily Telegraph:“ „Der würdige und feſte, zugleich aber beſorgte und verſöhn-
liche Ton in welchem Kaiſer Franz Joſeph zu dem Reichsrath geſprochen, wird
weit über die Gränzen Oeſterreichs hinaus den ernſten Wunſch wachrufen daß ſein
Streben, das ihm, wie wir glauben, deutlich am Herzen liegt, mit Erfolg gekrönt
werden möge.“ Selbſt die „Morning Poſt,“ die ſonſt nicht gerade dem Centralis-
mus hold iſt, erklärt: „Wir können nicht umhin die herzlichſten Wünſche für den
Reichsrath zur Erfüllung ſeiner wirklich unzähligen Pflichten zu äußern. Wir
werden indeſſen nicht ſehr überraſcht ſein wenn viele der Projecte in mehr als
einer künftigen Thronrede noch als unerfüllt figuriren werden.“

Frankreich.

Hr. Thiers gab geſtern in Verſailles dem Kaiſer von Braſilien ein Dîner, zu
welchem von Diplomaten Lord Lyons, Graf Arnim, Hr. Olozaga, Hr. v. Moltke-
Hvitfeld, von Gelehrten die HH. Nélaton, Leverrier, L. Dequesne, Sainte-Clair-
Deville und mehrere andere Mitglieder des Inſtituts, ferner Marſchall Mac-Mahon,
General Appert und der Präfect Cochin geladen waren.


„Hr. Gambetta bereist in dieſem Augenblick den Süden; er wurde in Marſeille
mit Wärme und in dem radicalen Toulon mit wahrer Begeiſterung empfangen.
Sein Einzug in die letztere Stadt geſtaltete ſich zu einem wahren Volksfeſte, er
wurde im Triumph nach ſeinem Hôtel geführt, und dort durch die enthuſiaſtiſchen
Rufe der Menge genöthigt mehrmals auf dem Balcon zu erſcheinen. Des Abends
gab man ihm ein Bankett, welchem der Maire der Stadt und die meiſten Gemeinde-
räthe beiwohnten. Der Hauptzweck dieſer Rundreiſe iſt allem Anſchein nach die
Unterſtützung mehrerer befreundeten Candidaturen, ſo des Hrn. Challemel-Lacour
für Marſeille und des Hrn. Freycinet für Toulon; doch ſoll Hr. Gambetta, ehe er
nach Paris zurückkehrt, in Marſeille noch eine große politiſche Rede halten.“

In der Rue d’Arras kann man ſich noch immer nicht darüber tröſten daß
Victor Hugo ſich weigert vor dem ſouveränen Volke zu erſcheinen. Ein Herr
Duram machte noch in der letzten Verſammlung dem Dichter nicht ohne Talent
und namentlich nicht ohne Erfolg den Proceß. Er führte zunächſt aus daß es
durchaus nicht gleichgültig ſei ob man das Mandat ein „imperatives“ oder ein
„contractuelles“ nenne. Hr. Victor Hugo definire die Sache als einen ſynallag-
matiſchen Vertrag, der alſo beiden Theilen gleiche Pflichten auferlege. Das ſei
aber keineswegs die wahre demokratiſche Lehre. Das Volk, ſagt der Redner,
contrahirt nicht, es verpflichtet ſich nicht, es befiehlt, denn es iſt der Herr, der
Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat iſt ſeiner Natur nach ein impera-
tives, und es hieße ſich gegen die Majeſtät des Volkes und die Unverletzlichkeit der
Principien vergehen wenn man daraus einen Contract machen wollte. (Bravs!)
Redner ſchließt, beſtändig von lebhaftem Beifall unterbrochen: „Das Volk hat
dermalen zwei Revanchen zu nehmen, die eine gegen Berlin, die zweite gegen eine
andere Hauptſtadt, die ich nicht zu nennen brauche. Welcher Waffen ſoll das
Volk ſich da bedienen? Man bietet ihm einen Degen (Cremer), ein Handwerkzeug
(Nadaud) und — eine Lyra. Es möge nun ſelbſt wählen! — Ein anderer Redner,
der nicht minder gegen Victor Hugo eingenommen iſt, wirft demſelben ſeine Hab-
ſucht vor. Welche Opfer, ſagt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat
bewundernswerthe Bücher geſchrieben; aber machte er dieſelben dem Volke zu
gänglich? Nein, er verkaufte ſie ſo theuer, daß das Volk ſie nicht leſen konnte und
in der That nicht geleſen hat.“
Worauf ein Verehrer des Dichters mit folgender
ſinnreichen Entſchuldigung replicirte: Die politiſchen Schriften Victor Hugo’s ſeine
Reden z. B., ſind ſtets zu billigen Preiſen und ſogar unentgeltlich verbreitet wor-
den; was aber ſeine Dichtungen und ſonſtigen literariſchen Erzeugniſſe betrifft, ſo
waren dieſelben namentlich von den vermögenden Claſſen begehrt, von jener Bour-
geoiſie in welcher Victor Hugo einen Feind erblickte; hatte er da nicht Recht die-
ſem Feind einen möglichſt hohen Preis aufzuerlegen? Er erhob eine Steuer von
den Reichen, um dann ſpäter billige Volksausgaben herſtellen zu können. Dieſe
Rechtfertigung wurde ſelbſt in der Rue d’Arras ausgelacht, und in dieſen Wähler-
gruppen iſt der Stern Victor Hugo’s ſichtlich im Erbleichen, was aber in Ermange-
lung eines ernſtlichen Mitbewerbers von radicalem Programm auf die Wahlen
keinen beſonderen Einfluß üben wird.


Die Commiſſion zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat
geſtern Hrn. Tolhauſen, bei Beginn des Kriegs franzöſiſcher Conſul in Köln, und
den Herzog v. Gramont vernommen. Hr. Tolhauſen beklagte ſich bitter daß alle
ſeine Warnungsrufe, an denen er es jahrelang nicht fehlen ließ, erbarmungslos
in den Archiven des Miniſteriums des Aeußern begraben worden ſeien. Die
ganze Ausſage dieſes Mannes, eines Elſäßers, war nur ein motivirter Anklage-Act
gegen den Herzog v. Gramont. Dieſer letztere wiederum, welcher Hrn. Tolhauſen
im Verhöre folgte, ergieng ſich in heftigen Recriminationen gegen Hrn. Benedetti.
Scharfe Kreuzfragen brachten Hrn. v. Gramont aber bald aus der Faſſung, und
namentlich auf die ſcharfen Vorwürfe des Hrn. Antonin Lefevre-Pontalis, welcher
nachwies daß Gramont durch ſein leichtſinniges Auftreten im geſetzgebenden Kör-
per den Krieg erſt eigentlich unvermeidlich gemacht habe, vermochte der Ex-Mini-
ſter nichts mehr zu erwiedern. Er bat ſeine weitere Vernehmung auf ein nächſtes-
mal zu vertagen, und in der That wurde er zu dieſem Behuf auf nächſten Donners-
tag vorgeladen.


An den Straßenecken von Paris erſchien geſtern folgende Kundmachung:

Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsſtand
übertragenen Gewalten, auf Grund des Art. 9 vom 9 — 11 Aug. 1849, in Erwä-
gung daß man Zeichnungen und Embleme welche geeignet ſind die öffentliche Ruhe zu
ſtören, in den Gewölben und auf offener Straße feilbietet: Art. 1. Die Ausſtellung, Feil-
bietung und Colportage aller Zeichnungen, Photographien oder Embleme welche ge-
eignet ſind die öffentliche Ruhe zu ſtören werden verboten. Insbeſondere gilt dieſes
Verbot von den Porträten der Individuen welche wegen Theilnahme an dem letzten Auf-
ſtande verfolgt oder verurtheilt worden ſind. Art. 2. Die Uebertretungen dieſes Ver-
botes ſollen von den Organen der Polizei conſtatirt und an die competenten Gerichte
verwieſen werden.

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&#x017F;ich derartige Folgen &#x017F;elb&#x017F;t zuzu&#x017F;chreiben habe, weil es eine Kriegsent&#x017F;chädigung<lb/>
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i&#x017F;t, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch &#x017F;eine kräftige Sprache<lb/>
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Rathgeber hoffnungsvoll in die näch&#x017F;te Zukunft blicken.&#x201C;</quote></cit> Ganz ähnlich äußert &#x017F;ich der<lb/>
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General Appert und der Präfect Cochin geladen waren.</p>
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Victor Hugo &#x017F;ich weigert vor dem &#x017F;ouveränen Volke zu er&#x017F;cheinen. Ein Herr<lb/>
Duram machte noch in der letzten Ver&#x017F;ammlung dem Dichter nicht ohne Talent<lb/>
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Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat i&#x017F;t &#x017F;einer Natur nach ein impera-<lb/>
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Redner &#x017F;chließt, be&#x017F;tändig von lebhaftem Beifall unterbrochen: <cit><quote>&#x201E;Das Volk hat<lb/>
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(Nadaud) und &#x2014; eine Lyra. Es möge nun &#x017F;elb&#x017F;t wählen! &#x2014; Ein anderer Redner,<lb/>
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&#x017F;ucht vor. Welche Opfer, &#x017F;agt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat<lb/>
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[30/0006] Grundſätze über Bord geworfen worden. So hat man ſich nicht zur Abſchaffung des Ohmgeldes entſchließen können, obſchon dasſelbe zum größten Theil auf dem Arbeiterſtand laſtet und eine ungerechte Steuer gegen unten iſt. Von der größten Wichtigkeit für den Arbeiterſtand wäre ferner die volle Durchführung des Schwei- zerbürgerrechts, aber auch hier iſt man in der reactionären Luft von Bern zu einem kläglichen Ergebniß gelangt.“ Auf beide Artikel verlangt der Aufrnf zu- rückzukommen und beantragt, um ſich über gemeinſame Schritte gegenüber den eidgenöſſiſchen Räthen zu einigen, Abhaltung eines allgemeinen Arbeitercongreſſes im Laufe des Monats Januar. „Arbeiter aller Kantone! — ſchließt der Auf- ruf — es iſt Zeit daß wir über die Arbeiter einer Verſammlung wachen welche zu glauben ſcheint daß wir ſchlafen.“ — In ſeiner letzten Sitzung genehmigte der Bundesrath die Vorlagen der St. Galler Regierung für die Rheincorrectionsbau- ten im Jahr 1872, deren Koſten auf 1,000,000 Fr. fixirt ſind. — Im Kanton Graubünden iſt die Abſtimmung über die 9 Millionen-Subvention à fonds perdu für die Splügen-Bahn flott im Gange. Die Stimmung iſt ſelbſt in den dem Splügen-Tracé fern liegenden Landestheilen eine günſtige, ſo daß man eine faſt an Einſtimmigkeit gränzende Mehrheit erwartet. — Mazzini, welcher ſeit einiger Zeit wieder in Lugano weilt und an ſeinen alten Leiden erkrankt iſt, befindet ſich auf dem Wege der Beſſerung. — Laut der „Suiſſe Radicale“ wird der Graf Chambord in Genf erwartet, wo die Villa Artichauds für ihn behufs längeren Aufenthalts gemiethet ſein ſoll. — In ſchweizeriſchen Blättern wird beſtritten daß Oberſt Rüſtow Hrn. Thiers Plane für die Befeſtigung von Paris vorgelegt habe. Allerdings ſei er im Auftrag des eidgenöſſiſchen Militärdepar tements in Paris geweſen, habe aber keine Rückſprache mit Hrn. Thiers, ſondern mit dem Kriegsminiſter genommen. Uebrigens ſei er ſchon längſt nach Zürich zu- rückgekehrt, während die Blätter ihn noch immer als persona grata in Verſailles weilen ließen. — Mina Puccinelli, die berüchtigte ſocialdemokrat iſche ſpaniſche Doña, welche kürzlich auch in Baſel und Zürich als Sendlingin der „Internatio- nalen“ auftrat und Vorträge hielt, hat die Sache ſo toll getrieben, daß ſie von ihren eigenen Leuten verläugnet wurde. Bürger Gräulich, der Chef der Züricher Internationalen, unter deſſen Protectorat die Bürgerin Puccinelli ihr erſtes Auftre- ten in Zürich feierte, hat dieſelbe bei ihrer zweiten Vorſtellung geradezu als „Landſtreicherin“ bezeichnet, mit der die Internationale nichts zu thun habe. — Am 10 Jan. treten in Bern die Aſſiſen zuſammen zur Verhandlung der Proceſſe des ehemaligen eidgenöſſiſchen Staatscaſſiers Eggimann, des flüchtigen Berner Handelsbankdirectors Muralt und des Schwindelgeſchäfts „Felicitas.“ Beiläuſig ſei bemerkt daß das der eidgenöſſiſchen Staatscaſſe durch die Veruntreuungen Eggimanns zugefügte Deficit im Betrage von 560,000 Fr. in Folge Vergleichs mit deſſen Amtsbürgen vollſtändig gedeckt iſt, was das Urtheil der Richter einiger- maßen mildern wird. Großbritannien. London, 31 Dec. * Die geſammte Wochenpreſſe beſchäftigt ſich nun auch mit der Depeſche des Fürſten Bismarck, und es läßt ſich zuſammenfaſſend von den drei namhafteſten Blättern „Saturday Review,“ „Economiſt“ und „Spectator“ ſagen daß ſie in der Entrüſtung gegen die in Rede ſtehenden Verbrechen vollſtändig übereinſtimmen. Im übrigen aber gehen die Anſichten einigermaßen auseinander. Eigenthümlicher- weiſe iſt es dießmal der philoſophiſch-radicale „Spectator,“ der ſonſt eine gewiſſe Schwachheit für Frankreich und die Republik hat, welcher in dieſem Fall mit Rück- ſicht auf die ganze Lage in Deutſchland und Frankreich einerſeits, andrerſeits auch im Rückblick auf die Möglichkeiten der Zukunft in Frankreich, die Schärfe der De- peſche erklärt und begründet. Der „Economiſt“ räumt allerdings auch ein daß den momentanen Verhältniſſen gegenüber der Schritt der deutſchen Regierung am Ende geboten ſei, hält aber auf der anderen Seite feſt daß dergleichen Vorkomm- niſſe bei einer Occupation unvermeidlich ſeien, und führt aus daß Deutſchland ſich derartige Folgen ſelbſt zuzuſchreiben habe, weil es eine Kriegsentſchädigung beanſpruchte welche eine lange Beſetzung franzöſiſchen Bodens nothwendig machte. Die „Saturday Review“ betont dieſe Einwände noch bedeutend ſchärfer, und wendet ſich namentlich gegen die vom Fürſten Bismarck an die franzöſiſche Nation gerichteten Vorwürfe. Im einzelnen mag folgendes hervorgehoben werden: „Es war — ſagt der „Spectator“ — wie wir glauben, nothwendig daß Fürſt Bismarck ſeine meiſterhafte Depeſche ſchrieb, allein dieſe Nothwendigkeit wurde augenſchein- lich von ihm mit einiger Befriedigung hingenommen. Wir ſind alle ein wenig zu ſehr geneigt zu vergeſſen daß der große Kanzler nicht nur eine europäiſche Perſön- lichkeit, ſondern auch ein deutſcher Miniſter iſt. Das ganze deutſche Volk rief in dieſem Fall in der Preſſe nach Genugthuung, die Armee war wüthend, der Kaiſer entſchloſſen, Frankreich hoffnungslos im Unrecht, und Fürſt Bismarck mußte ſich vernehmen laſſen, und da er einmal Fürſt Bismarck iſt, ſo ließ er ſich mit lauter Stimme ſtolz und im Tone des Herrn vernehmen.“ „Wir können nicht ſehen, ſchreibt der „Economiſt,“ wie Graf Bismarck in anderem Tone ſprechen konnte, wenn er überhaupt ſeinen Halt über die öffentliche Meinung bewahren wollte. Es gibt Gelegenheiten wo die ſtärkſte und ſtolzeſte Ausdrucksweiſe die allerfriedlichſte iſt, und wir glauben der Reichskanzler rechnet darauf durch ſeine kräftige Sprache gleichzeitig die deutſche Ungeduld zu zügeln und die franzöſiſche Furcht vor einem neuen Krieg zu mehren.“ Die Eröffnung des öſterreichiſchen Reichsraths wird von allen großen Blättern mehr oder weniger eingehend erörtert. In der Hauptſache ſind die ſämmt- lichen Leitartikel vielmehr erklärender als kritiſcher Natur, was ſeinen Grund in der Thatſache findet daß die Bekanntſchaft des engliſchen Leſers mit den einiger- maßen verwickelten Verhältniſſen der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie eine ſehr beſchränkte iſt. Darin ſtimmen übrigens alle überein daß die Leiter des öſter- reichiſchen Staatsverbandes, vorzugsweiſe der Kaiſer, bei ihrer ſchwierigen Auf- gabe alle mögliche Theilnahme verdienen, wie denn überhaupt die wenigen Worte der Beurtheilung welche ſich in die Darſtellung der Lage miſchen überall freund- lich und wohlwollend lauten. Geht man zu einer Ueberſicht der verſchiedenen Be- trachtungen im einzelnen über, ſo iſt zuerſt die „Times„ zu erwähnen, welche, nach Hindeutung auf das lange Programm der Thronrede, die Lage in der Bemerkung kennzeichnet: daß die Hauptfrage darauf hinaus laufe ob ein Reichsrath zu Stande komme, oder nicht. Im weiteren wird dann aus einem kurzen geſchichtlichen Rück- blick die heutige Conſtellation der Dinge entwickelt, und ausdrücklich hervorgehoben daß das Uebergewicht der Deutſchen über alle anderen Stämme des Reichs ſo un- zweifelhaft und auf ſo viele geiſtige, moraliſche und geſellſchaftliche Vorzüge be- gründet ſei, daß eine Oppoſition nie das Maß des Unbedeutenden überſchreiten könne, ſolange die Deutſchen nur feſt zuſammenhalten wollten. Gerade jenen Deutſchen welche ſich von den Centraliſten den Föderaliſten zugewandt haben, mißt die „Times“ die Schuld an vielem Unheil bei, und ſie zeigt daß es dieſe Herren geweſen welche vor kurzem erſt den Kaiſer auf eine irrige Bahn geleitet, von der ihn die zeitigen Warnungen der Grafen Beuſt und Andraſſy zurück- gebracht haben. Nicht minder reichlich ſpendet „Daily News“ dem Kaiſer den Zoll der Anerkennung. Sie faßt ihr Urtheil dahin zuſammen: „Wenn man die ſehr ſchwierigen Umſtände betrachtet unter welchen der Kaiſer ſeine Rede hielt, ſo muß man dieſelbe als eine kluge und verſtändliche Botſchaft bezeichnen, allein wir können aus derſelben nicht den Schluß ableiten daß der Kaiſer oder ſeine heutigen Rathgeber hoffnungsvoll in die nächſte Zukunft blicken.“ Ganz ähnlich äußert ſich der „Daily Telegraph:“ „Der würdige und feſte, zugleich aber beſorgte und verſöhn- liche Ton in welchem Kaiſer Franz Joſeph zu dem Reichsrath geſprochen, wird weit über die Gränzen Oeſterreichs hinaus den ernſten Wunſch wachrufen daß ſein Streben, das ihm, wie wir glauben, deutlich am Herzen liegt, mit Erfolg gekrönt werden möge.“ Selbſt die „Morning Poſt,“ die ſonſt nicht gerade dem Centralis- mus hold iſt, erklärt: „Wir können nicht umhin die herzlichſten Wünſche für den Reichsrath zur Erfüllung ſeiner wirklich unzähligen Pflichten zu äußern. Wir werden indeſſen nicht ſehr überraſcht ſein wenn viele der Projecte in mehr als einer künftigen Thronrede noch als unerfüllt figuriren werden.“ Frankreich. Paris, 31 Des. Hr. Thiers gab geſtern in Verſailles dem Kaiſer von Braſilien ein Dîner, zu welchem von Diplomaten Lord Lyons, Graf Arnim, Hr. Olozaga, Hr. v. Moltke- Hvitfeld, von Gelehrten die HH. Nélaton, Leverrier, L. Dequesne, Sainte-Clair- Deville und mehrere andere Mitglieder des Inſtituts, ferner Marſchall Mac-Mahon, General Appert und der Präfect Cochin geladen waren. „Hr. Gambetta bereist in dieſem Augenblick den Süden; er wurde in Marſeille mit Wärme und in dem radicalen Toulon mit wahrer Begeiſterung empfangen. Sein Einzug in die letztere Stadt geſtaltete ſich zu einem wahren Volksfeſte, er wurde im Triumph nach ſeinem Hôtel geführt, und dort durch die enthuſiaſtiſchen Rufe der Menge genöthigt mehrmals auf dem Balcon zu erſcheinen. Des Abends gab man ihm ein Bankett, welchem der Maire der Stadt und die meiſten Gemeinde- räthe beiwohnten. Der Hauptzweck dieſer Rundreiſe iſt allem Anſchein nach die Unterſtützung mehrerer befreundeten Candidaturen, ſo des Hrn. Challemel-Lacour für Marſeille und des Hrn. Freycinet für Toulon; doch ſoll Hr. Gambetta, ehe er nach Paris zurückkehrt, in Marſeille noch eine große politiſche Rede halten.“ In der Rue d’Arras kann man ſich noch immer nicht darüber tröſten daß Victor Hugo ſich weigert vor dem ſouveränen Volke zu erſcheinen. Ein Herr Duram machte noch in der letzten Verſammlung dem Dichter nicht ohne Talent und namentlich nicht ohne Erfolg den Proceß. Er führte zunächſt aus daß es durchaus nicht gleichgültig ſei ob man das Mandat ein „imperatives“ oder ein „contractuelles“ nenne. Hr. Victor Hugo definire die Sache als einen ſynallag- matiſchen Vertrag, der alſo beiden Theilen gleiche Pflichten auferlege. Das ſei aber keineswegs die wahre demokratiſche Lehre. Das Volk, ſagt der Redner, contrahirt nicht, es verpflichtet ſich nicht, es befiehlt, denn es iſt der Herr, der Souverän. (Donnernder Beifall.) Das Mandat iſt ſeiner Natur nach ein impera- tives, und es hieße ſich gegen die Majeſtät des Volkes und die Unverletzlichkeit der Principien vergehen wenn man daraus einen Contract machen wollte. (Bravs!) Redner ſchließt, beſtändig von lebhaftem Beifall unterbrochen: „Das Volk hat dermalen zwei Revanchen zu nehmen, die eine gegen Berlin, die zweite gegen eine andere Hauptſtadt, die ich nicht zu nennen brauche. Welcher Waffen ſoll das Volk ſich da bedienen? Man bietet ihm einen Degen (Cremer), ein Handwerkzeug (Nadaud) und — eine Lyra. Es möge nun ſelbſt wählen! — Ein anderer Redner, der nicht minder gegen Victor Hugo eingenommen iſt, wirft demſelben ſeine Hab- ſucht vor. Welche Opfer, ſagt er, hat Victor Hugo dem Volke gebracht? Er hat bewundernswerthe Bücher geſchrieben; aber machte er dieſelben dem Volke zu gänglich? Nein, er verkaufte ſie ſo theuer, daß das Volk ſie nicht leſen konnte und in der That nicht geleſen hat.“ Worauf ein Verehrer des Dichters mit folgender ſinnreichen Entſchuldigung replicirte: Die politiſchen Schriften Victor Hugo’s ſeine Reden z. B., ſind ſtets zu billigen Preiſen und ſogar unentgeltlich verbreitet wor- den; was aber ſeine Dichtungen und ſonſtigen literariſchen Erzeugniſſe betrifft, ſo waren dieſelben namentlich von den vermögenden Claſſen begehrt, von jener Bour- geoiſie in welcher Victor Hugo einen Feind erblickte; hatte er da nicht Recht die- ſem Feind einen möglichſt hohen Preis aufzuerlegen? Er erhob eine Steuer von den Reichen, um dann ſpäter billige Volksausgaben herſtellen zu können. Dieſe Rechtfertigung wurde ſelbſt in der Rue d’Arras ausgelacht, und in dieſen Wähler- gruppen iſt der Stern Victor Hugo’s ſichtlich im Erbleichen, was aber in Ermange- lung eines ernſtlichen Mitbewerbers von radicalem Programm auf die Wahlen keinen beſonderen Einfluß üben wird. Die Commiſſion zur Prüfung der Acte der Regierung vom 4 September hat geſtern Hrn. Tolhauſen, bei Beginn des Kriegs franzöſiſcher Conſul in Köln, und den Herzog v. Gramont vernommen. Hr. Tolhauſen beklagte ſich bitter daß alle ſeine Warnungsrufe, an denen er es jahrelang nicht fehlen ließ, erbarmungslos in den Archiven des Miniſteriums des Aeußern begraben worden ſeien. Die ganze Ausſage dieſes Mannes, eines Elſäßers, war nur ein motivirter Anklage-Act gegen den Herzog v. Gramont. Dieſer letztere wiederum, welcher Hrn. Tolhauſen im Verhöre folgte, ergieng ſich in heftigen Recriminationen gegen Hrn. Benedetti. Scharfe Kreuzfragen brachten Hrn. v. Gramont aber bald aus der Faſſung, und namentlich auf die ſcharfen Vorwürfe des Hrn. Antonin Lefevre-Pontalis, welcher nachwies daß Gramont durch ſein leichtſinniges Auftreten im geſetzgebenden Kör- per den Krieg erſt eigentlich unvermeidlich gemacht habe, vermochte der Ex-Mini- ſter nichts mehr zu erwiedern. Er bat ſeine weitere Vernehmung auf ein nächſtes- mal zu vertagen, und in der That wurde er zu dieſem Behuf auf nächſten Donners- tag vorgeladen. An den Straßenecken von Paris erſchien geſtern folgende Kundmachung: Der Gouverneur von Paris verfügt kraft der ihm durch den Belagerungsſtand übertragenen Gewalten, auf Grund des Art. 9 vom 9 — 11 Aug. 1849, in Erwä- gung daß man Zeichnungen und Embleme welche geeignet ſind die öffentliche Ruhe zu ſtören, in den Gewölben und auf offener Straße feilbietet: Art. 1. Die Ausſtellung, Feil- bietung und Colportage aller Zeichnungen, Photographien oder Embleme welche ge- eignet ſind die öffentliche Ruhe zu ſtören werden verboten. Insbeſondere gilt dieſes Verbot von den Porträten der Individuen welche wegen Theilnahme an dem letzten Auf- ſtande verfolgt oder verurtheilt worden ſind. Art. 2. Die Uebertretungen dieſes Ver- botes ſollen von den Organen der Polizei conſtatirt und an die competenten Gerichte verwieſen werden. Paris, 28 Dec. 1871. Der Gouverneur von Paris, General v. Ladmirault.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine03_1872/6>, abgerufen am 03.07.2024.