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Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] In der Zwischenzeit bis zur zweiten Berathung wurden daher von verschiedenen
Seiten Verbesserungsanträge vorbereitet. Mohl, welcher in dem vorgeschlagenen
Münzsystem "nichts anderes als das Thalersystem, mit einem durchscheinbaren
Mäntelchen umhängt," erblickte, machte Vorschläge wegen Einführung des von ihm
bereits in zwei fleißig gearbeiteten Schriften empfohlenen Frankensystems. Bei
der Abstimmung erklärten sich nur wenige Stimmen dafür. Dr. Buhl und Ge-
nossen machten den Versuch die im Süden willkommene Doppelmark unter dem
Namen Gulden zur Geltung zu bringen. Die Versammlung lehnte den Antrag
in namentlicher Abstimmung mit 196 gegen 93 (überwiegend Süddeutsche) Stim-
men ab, und sanctionirte die einfache Mark als Rechnungseinheit. Dr. Bamberger,
welcher bei den Verhandlungen unbedingt die bedeutendste und einflußreichste Rolle
spielte, Dr. Braun (Gera) und Dr. Schleiden bereiteten eine ganze Reihe von
Amendements vor, welche demnächst von einer nur aus Nationalliberalen bestehen-
den freien Commission noch in einigen Punkten modificirt und vervollständigt und
in dieser neuen Bearbeitung unter dem Namen Bamberger eingebracht wurden.
Alle diese Anträge -- mit der einzigen, bereits oben erwähnten, Ausnahme -- wurden
angenommen, und durch sie hat das Gesetz erst seinen jetzigen Charakter erhalten.
In Folge dieser Amendements trat, ungeachtet des entschiedenen Widerspruchs der
preußischen Mitglieder des Bundesrathes, die Eintheilung der Mark in 100 Pfennige
an die Stelle der beabsichtigten Eintheilung in 10 Groschen zu 10 Pfennigen, und
die vorgeschlagene Reichsgoldmünze von 30 Mark oder 10 Thalern wurde beseitigt.
Bei diesen mit großer Mehrheit gefaßten Beschlüssen beharrte das Haus auch in
der Schlußberathung, obgleich der Fürst Reichskanzler außerhalb wie innerhalb der
Versammlung seinen ganzen Einfluß für die Herstellung des 30 Mark-Stücks in
die Wage warf, und Graf Rittberg sich hatte bereit finden lassen bei der dritten
Lesung die Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung zu beantragen. Gleich-
falls auf Grund dieser Amendements wurde die Ausprägung von anderen als den durch
das Gesetz eingeführten Goldmünzen, so wie von groben Silbermünzen, mit Aus-
nahme von Denkmünzen -- Preußen beabsichtigt sogen. "Siegesthaler" zu prägen
-- sistirt, und beschlossen daß die zur Zeit umlaufenden Goldmünzen der deutschen
Bundesstaaten von Reichswegen und auf Kosten des Reichs, nach Maßgabe der
Ausprägung der neuen Reichsgoldmünzen, einzuziehen seien; auch der Reichskanzler
ermächtigt sein solle in gleicher Weise die Einziehung der bisherigen groben Silber-
münzen der Bundesstaaten anzuordnen. Das hier zur Geltung gebrachte Princip
der Einziehung der außer Curs tretenden Münzen auf Reichskosten, welches hoffent-
lich durch das definitive Münzgesetz auch auf die einzuziehenden Scheidemünzen
ausgedehnt werden wird, ist vorzugsweise im Interesse der Südstaaten, denen zwar
die Unbequemlichkeit ihr Mänzsystem in viel erheblicherem Maß als die Nord-
staaten ändern zu müssen nicht erspart werden konnte, aber die damit verbundenen
Kosten abgenommen werden. -- Die Vorlage des definitiven Münzgesetzes hat sich
der Reichstag für seine nächste Sitzungsperiode erbeten, und zugleich den Wunsch
ausgesprochen daß in demselben den Münzstätten des Bundesgebietes die Ver-
pflichtung aufgelegt werden möge auch für Privatrechnung Reichsgoldmünzen aus-
zuprägen, wie dieß bekanntlich in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten,
Belgien etc., der Fall ist. Durch zwei andere Resolutionen ist die baldige Vorlage
von Gesetzen über das Bankwesen und über die Ausgabe, beziehungsweise die Ein-
ziehung, von Staatscassenscheinen verlangt.

Von allen vorgelegten 23 Gesetzen welche der Reichstag in seiner letzten
Session votirt hat, ist keines so wesentlich verbessert wie das Münzgesetz aus dessen
Berathungen hervorgegangen, keines mit gleich allgemeinem Beifall wie dieses als
ein wirklicher Fortschritt begrüßt worden. Daß es demselben auch an Tadlern
nicht fehlt, kann schon wegen des in alle Verhältnisse und Privatinteressen tief
eingreifenden Gegenstandes nicht wundernehmen. Ebenso überraschend wie
erfreulich ist es daß die Regierung von Mecklenburg-Schwerin, welche sonst nicht
in dem Nufe steht der Reichsgesetzgebung voranzueilen, ihrem Landtage bereits am
16 d. M. eine Vorlage betr. die Rechnung nach Mark und Pfennigen und Aus-
prägung neuer Scheidemünzen auf Grund des am 4 d. publicirten neuen Reichs-
münzgesetzes gemacht hat. Ob das im nächsten Frühjahr festzustellende definitive
Reichsmünzgesetz auch, wie der §. 3 dieser (im "Deutschen Reichsanzeiger" vom 19 d.
vollständig abgedruckten*) mecklenburgischen Vorlage es vorschreibt, die gleichzeitige
Ausprägung von silbernen und von kupfernen Fünfpfennigstücken, so wie die Prä-
gung von Zweipfennigstücken anordnen wird, dürfte mindestens zweifelhaft sein.

Indem ich mir eine Besprechung der Novelle zum Strafgesetzbuch, welche
neben dem Militärgesetz und dem Münzgesetz das größte Interesse erregte, für einen
folgenden Schlußartikel vorbehalte, glaube ich hier noch einige kurze Bemerkungen-
über verschiedene andere Gesetze und Verträge, welche den letzten Neichstag beschäf
tigt haben, beifügen zu müssen.

Daß die beiden wichtigen, bereits in der Frühjahrssession beschlossenen, Post-
gesetze (vergl. Nr. 192) dem Reichstag in seiner letzten Sitzungsperiode noch einmal
unverändert vorgelegt wurden, ist mehr als eine bloße Form. Denn die Bundes-
regierung, welche sich erst unmittelbar vor dem Wiederbeginn der Sitzungen zur
Annahme der beliebten eingreifenden Amendements entschlossen hatte, erkannte da-
durch das richtige constitutionelle Princip an: daß die Publication eines vom Reichs-
tag angenommenen Gesetzes nicht ohne erneute Einholung seines Consenses erfol-
gen darf, wenn mittlerweile eine neue Sitzungsperiode begonnen hat. Grumbrecht
knüpfte an diese Vorlage den Wunsch daß der Bundesrath dem Parlament über-
haupt über die Beschlüsse die er in Veranlassung von Reichstagsbeschlüssen fasse
officielle Mittheilung machen möge. Es erfolgte aber keine Antwort. Wäre eine
solche Mittheilung üblich, so würde die Mehrzahl der im Laufe der Session gestell-
ten neun Interpellationen gegenstandslos gewesen und unterblieben sein.

Durch das in eingehenden Commissionsberathungen völlig umgearbeitete,
wenngleich noch immer sehr mangelhaft redigirte Festungs-Rayon-Gesetz, mit dessen
wesentlich verbesserten Bestimmungen die Bundesregierung sich, ungeachtet gewich-
tiger Bedenken gegen die Art und Größe der zu gewährenden Entschädigungen, ein-
verstanden erklärte, ist ein Gegenstand zur Erledigung gebracht der seit Jahren zu
immer erneuerten Beschwerden und Anträgen der Festungsstädte geführt und auch
den vormaligen Norddeutschen Reichstag wiederholt beschäftigt hatte.

[Spaltenumbruch]

Das an die Stelle des Bundesgesetzes vom 31 Mai v. J. getretene Gesetz
wegen Bewilligung einer Subvention von 20 Mill. Franken für die Herstellung
der Gotthardbahn, von denen übrigens nur 8,066,000 Frs. auf die Reichscasse zu
übernehmen sind, sichert das Zustandekommen einer Alpenbahn von europäischer
Bedeutung in der für Deutschland vortheilhaftesten Richtung. Die Annahme dieses
Gesetzes involvirte zugleich die vorbehaltene Genehmigung einer am 28 Oct. zwischen
dem Deutschen Reich, Italien und der Schweiz abgeschlossenen Convention, durch
welche das Reich dem Berner Vertrag vom 15 Oct. 1869 beitritt.

Die Berliner Zusatz-Convention zu dem Friedensvertrag mit Frankreich vom
12 Oct. d. J. wegen vorübergehender Erleichterungen der Verzollungspflicht für
den Handelsverkehr zwischen Elsaß-Lothringen und Frankreich, der Rückgewähr
einiger Gebietstheile an Frankreich und der Wiederherstellung des wechselseitigen
Schutzes der Fabrik- und Handelszeichen wurde ohne eigentliche Discussion und
ohne Widerspruch genehmigt. Die Bedeutung und Rechtfertigung dieser Convention
kann meines Erachtens nur darin gefunden werden daß die Thiers'sche Regierung von
der wir wohl allein die volle Ausführung des Friedensvertrags erwarten können, da-
durch wesentlich gestärkt wird. Erinnern doch ohnehin die augenblicklichen Zustände
in Frankreich oft genug an die Lehre Montesquieu's: "Lorsqu'on a pour voisin
un etat qui est dans sa decadence, on doit bien se garder de hater sa ruine."

Der für die neuen Reichslande ausbedungenen Zollbegünstigungen in Frankreich
und der langen darüber gepflogenen Verhandlungen vermag ich mich nicht zu freuen,
denn Elsaß-Lothringen ist dadurch von neuem auf Frankreich hingewiesen, und ich
halte dieß für kein gutes Mittel das Land an seine neuen Beziehungen zu Deutsch-
land zu gewöhnen.

Der auf der Grundlage des Vertrags zwischen dem norddeutschen Bund und
Belgien vom 9 Febr. v. J. abgeschlossene und in mehrfacher Beziehung noch besser
gefaßte Auslieferungsvertrag mit Italien vom 31 Oct. d. J. fand gleichfalls keinen
Widerspruch im Reichstage.

Durch die Annahme von nicht weniger als acht Gesetzentwürfen über die
Einführung zum Theil höchst wichtiger Gesetze des vormaligen Norddeutschen
Bundes in Bayern, Württemberg und resp. Baden wurde das Band zwischen Süd-
und Norddeutschland abermals in erfreulicher Weise verstärkt. Einzelne dieser
Gesetze riefen sehr ernste Debatten hervor. Die Gesetzentwürfe wegen Einführung
des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes in Württemberg und Baden und der Gewerbe-
ordnung in Württemberg führten -- Moriz Mohl an der Spitze -- zu einer wah-
ren Schlacht zwischen den Schwaben. Die mit großer Mehrheit erfolgte Annahme
einer zu dem ersten Gesetze von Hrn. v. Bonin beantragten Resolution, wegen Unter-
suchung und eventuell durchgreifender und gleichmäßiger Regelung des Personen-
standswesens im Wege der Reichsgesetzgebung, ist zugleich ein erster wohlberechneter
Schritt zur demnächstigen Einführung der obligatorischen Civilehe in ganz Deutsch-
land, und es verdient alle Anerkennung daß der Bundesrath, ungeachtet eines der
Sache ungünstigen Ausschußberichts, auf Andringen des Präsidenten des Reichs-
kanzleramts ein Enquete-Verfahren in dieser Beziehung beschlossen hat.

In dem Gesetze wegen Einführung der norddeutschen Maß- und Gewichts-
ordnung in Bayern sind die Art. 15--20 derselben durch die Art. 11 und 12 des
bayerischen Gesetzes vom 29 April 1829 ersetzt. Eine weitere Modification des
Art. 4 der jetzt Reichsgesetz gewordenen Maß- und Gewichtsordnung vom 17 August
1868 steht bevor, wenn die vom Reichstag in Veranlassung zweier Petitionen em-
pfohlene Einführung des Kilometers, statt der Meile, die Zustimmung des Bundes-
raths finden sollte.

Zu den lebhaftesten und sehr interessanten Discussionen gab der Gesetzent-
wurf wegen Einführung des Bundesgesetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienst
in Bayern Anlaß, durch welches die so wünschenswerthe militärische Freizügigkeit
zwischen dem übrigen Reich und Bayern hergestellt werden soll; und diese Debatten
erhalten jetzt im bayerischen und im württembergischen Landtag ihr Nachspiel.
Der seitdem verstorbene Abgeordnete Greil legte bei dieser Gelegenheit den Vertrag
vom 23 November v. J. wegen des Beitritts Bayerns zum Deutschen Reich und
den Art 78 Alinea 2 der Reichsverfassung dahin aus: daß diejenigen Vorschriften
der Verfassung durch welche bestimmte Rechte der einzelnen Bundesstaaten im
Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, nur mit Zustimmung sämmtlicher ge-
setzlichen Factoren, des Landesherrn wie der Volksvertretung, abgeändert werden
könnten, und behauptete daß hier eine solche Verfassungsänderung vorliege, und ein
Bayern vorbehaltenes Separatrecht aufgegeben werden solle. Weder er noch Windt-
horst (Meppen), der ihn unterstützte, erinnerten sich der Aufklärungen über die Aus-
legung der November-Verträge, welche bei den betreffenden Verhandlungen im
Norddeutschen Reichstage, sowie im bayerischen und im württem bergischen Landtage,
vom Regierungstisch und von einzelnen Abgeordneten gegeben worden waren. Lasker,
v. Stauffenberg, Völk und andere wiesen darauf hin, und die Minister v. Lutz
und v. Mittnacht, welche bei den Versailler Verhandlungen persönlich betheiligt
gewesen waren, erklärten mit völliger Entschiedenheit: daß es zum Aufgeben von
Sonderrechten und zu Abänderungen der Verfassung nur der zustimmenden Erklä-
rung der Vertreter der betreffenden Staaten im Bundesrath bedürfe, welche dann
den heimischen Ständen für ihr Votum verantwortlich seien. Sie bestritten zugleich
mit Recht daß hier eine solche Verfassungsänderung vorliege. Das Haus trat dieser
Auffassung mit ganz überwiegender Mehrheit bei, und wird, wie auch die Beschlüsse
des bayerischen Landags über den Antrag Dr. Schüttinger und Dr. Karl Barth,
so wie des württembergischen Landtags über einen ähnlichen Antrag ausfallen mö-
gen, unzweifelhaft auch künftig in etwa vorkommenden Fällen nach den gleichen
Grundsätzen verfahren. Die in München und Stuttgart bevorstehenden Beschlüsse
mögen dort einen Ministerwechsel oder eine Kammerauflösung zur Folge haben,
für das Reich werden dieselben ebenso wie die zwar scharfsinnige, aber wenig über-
zeugende Ausführung in Nr. 350 dieser Blätter und die richtigere Darstellung in
Nr. 353 nur ein theoretisches Interesse beanspruchen können. Durch die bei Ge-
legenheit dieses Gesetzes auf Valentins Antrag in namentlicher Abstimmung mit
148 gegen 102 Stimmen beliebte Abschaffung der bisherigen 10 Gulden Taxe für
Militär- Entlaß- und Freischeine ist der bayerischen Staatscasse ein nicht unerheb-
licher Einnahme-Ausfall bereitet. Die Vertreter Bayerns im Bundesrath und
im Reichstag hatten es, offenbar aus Gründen der Delicatesse, unterlassen auf

*) S. auch "Allg. Ztg." Auß. Beil. zu Nr. 357.

[Spaltenumbruch] In der Zwiſchenzeit bis zur zweiten Berathung wurden daher von verſchiedenen
Seiten Verbeſſerungsanträge vorbereitet. Mohl, welcher in dem vorgeſchlagenen
Münzſyſtem „nichts anderes als das Thalerſyſtem, mit einem durchſcheinbaren
Mäntelchen umhängt,“ erblickte, machte Vorſchläge wegen Einführung des von ihm
bereits in zwei fleißig gearbeiteten Schriften empfohlenen Frankenſyſtems. Bei
der Abſtimmung erklärten ſich nur wenige Stimmen dafür. Dr. Buhl und Ge-
noſſen machten den Verſuch die im Süden willkommene Doppelmark unter dem
Namen Gulden zur Geltung zu bringen. Die Verſammlung lehnte den Antrag
in namentlicher Abſtimmung mit 196 gegen 93 (überwiegend Süddeutſche) Stim-
men ab, und ſanctionirte die einfache Mark als Rechnungseinheit. Dr. Bamberger,
welcher bei den Verhandlungen unbedingt die bedeutendſte und einflußreichſte Rolle
ſpielte, Dr. Braun (Gera) und Dr. Schleiden bereiteten eine ganze Reihe von
Amendements vor, welche demnächſt von einer nur aus Nationalliberalen beſtehen-
den freien Commiſſion noch in einigen Punkten modificirt und vervollſtändigt und
in dieſer neuen Bearbeitung unter dem Namen Bamberger eingebracht wurden.
Alle dieſe Anträge — mit der einzigen, bereits oben erwähnten, Ausnahme — wurden
angenommen, und durch ſie hat das Geſetz erſt ſeinen jetzigen Charakter erhalten.
In Folge dieſer Amendements trat, ungeachtet des entſchiedenen Widerſpruchs der
preußiſchen Mitglieder des Bundesrathes, die Eintheilung der Mark in 100 Pfennige
an die Stelle der beabſichtigten Eintheilung in 10 Groſchen zu 10 Pfennigen, und
die vorgeſchlagene Reichsgoldmünze von 30 Mark oder 10 Thalern wurde beſeitigt.
Bei dieſen mit großer Mehrheit gefaßten Beſchlüſſen beharrte das Haus auch in
der Schlußberathung, obgleich der Fürſt Reichskanzler außerhalb wie innerhalb der
Verſammlung ſeinen ganzen Einfluß für die Herſtellung des 30 Mark-Stücks in
die Wage warf, und Graf Rittberg ſich hatte bereit finden laſſen bei der dritten
Leſung die Wiederherſtellung der urſprünglichen Faſſung zu beantragen. Gleich-
falls auf Grund dieſer Amendements wurde die Ausprägung von anderen als den durch
das Geſetz eingeführten Goldmünzen, ſo wie von groben Silbermünzen, mit Aus-
nahme von Denkmünzen — Preußen beabſichtigt ſogen. „Siegesthaler“ zu prägen
— ſiſtirt, und beſchloſſen daß die zur Zeit umlaufenden Goldmünzen der deutſchen
Bundesſtaaten von Reichswegen und auf Koſten des Reichs, nach Maßgabe der
Ausprägung der neuen Reichsgoldmünzen, einzuziehen ſeien; auch der Reichskanzler
ermächtigt ſein ſolle in gleicher Weiſe die Einziehung der bisherigen groben Silber-
münzen der Bundesſtaaten anzuordnen. Das hier zur Geltung gebrachte Princip
der Einziehung der außer Curs tretenden Münzen auf Reichskoſten, welches hoffent-
lich durch das definitive Münzgeſetz auch auf die einzuziehenden Scheidemünzen
ausgedehnt werden wird, iſt vorzugsweiſe im Intereſſe der Südſtaaten, denen zwar
die Unbequemlichkeit ihr Mänzſyſtem in viel erheblicherem Maß als die Nord-
ſtaaten ändern zu müſſen nicht erſpart werden konnte, aber die damit verbundenen
Koſten abgenommen werden. — Die Vorlage des definitiven Münzgeſetzes hat ſich
der Reichstag für ſeine nächſte Sitzungsperiode erbeten, und zugleich den Wunſch
ausgeſprochen daß in demſelben den Münzſtätten des Bundesgebietes die Ver-
pflichtung aufgelegt werden möge auch für Privatrechnung Reichsgoldmünzen aus-
zuprägen, wie dieß bekanntlich in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten,
Belgien ꝛc., der Fall iſt. Durch zwei andere Reſolutionen iſt die baldige Vorlage
von Geſetzen über das Bankweſen und über die Ausgabe, beziehungsweiſe die Ein-
ziehung, von Staatscaſſenſcheinen verlangt.

Von allen vorgelegten 23 Geſetzen welche der Reichstag in ſeiner letzten
Seſſion votirt hat, iſt keines ſo weſentlich verbeſſert wie das Münzgeſetz aus deſſen
Berathungen hervorgegangen, keines mit gleich allgemeinem Beifall wie dieſes als
ein wirklicher Fortſchritt begrüßt worden. Daß es demſelben auch an Tadlern
nicht fehlt, kann ſchon wegen des in alle Verhältniſſe und Privatintereſſen tief
eingreifenden Gegenſtandes nicht wundernehmen. Ebenſo überraſchend wie
erfreulich iſt es daß die Regierung von Mecklenburg-Schwerin, welche ſonſt nicht
in dem Nufe ſteht der Reichsgeſetzgebung voranzueilen, ihrem Landtage bereits am
16 d. M. eine Vorlage betr. die Rechnung nach Mark und Pfennigen und Aus-
prägung neuer Scheidemünzen auf Grund des am 4 d. publicirten neuen Reichs-
münzgeſetzes gemacht hat. Ob das im nächſten Frühjahr feſtzuſtellende definitive
Reichsmünzgeſetz auch, wie der §. 3 dieſer (im „Deutſchen Reichsanzeiger“ vom 19 d.
vollſtändig abgedruckten*) mecklenburgiſchen Vorlage es vorſchreibt, die gleichzeitige
Ausprägung von ſilbernen und von kupfernen Fünfpfennigſtücken, ſo wie die Prä-
gung von Zweipfennigſtücken anordnen wird, dürfte mindeſtens zweifelhaft ſein.

Indem ich mir eine Beſprechung der Novelle zum Strafgeſetzbuch, welche
neben dem Militärgeſetz und dem Münzgeſetz das größte Intereſſe erregte, für einen
folgenden Schlußartikel vorbehalte, glaube ich hier noch einige kurze Bemerkungen-
über verſchiedene andere Geſetze und Verträge, welche den letzten Neichstag beſchäf
tigt haben, beifügen zu müſſen.

Daß die beiden wichtigen, bereits in der Frühjahrsſeſſion beſchloſſenen, Poſt-
geſetze (vergl. Nr. 192) dem Reichstag in ſeiner letzten Sitzungsperiode noch einmal
unverändert vorgelegt wurden, iſt mehr als eine bloße Form. Denn die Bundes-
regierung, welche ſich erſt unmittelbar vor dem Wiederbeginn der Sitzungen zur
Annahme der beliebten eingreifenden Amendements entſchloſſen hatte, erkannte da-
durch das richtige conſtitutionelle Princip an: daß die Publication eines vom Reichs-
tag angenommenen Geſetzes nicht ohne erneute Einholung ſeines Conſenſes erfol-
gen darf, wenn mittlerweile eine neue Sitzungsperiode begonnen hat. Grumbrecht
knüpfte an dieſe Vorlage den Wunſch daß der Bundesrath dem Parlament über-
haupt über die Beſchlüſſe die er in Veranlaſſung von Reichstagsbeſchlüſſen faſſe
officielle Mittheilung machen möge. Es erfolgte aber keine Antwort. Wäre eine
ſolche Mittheilung üblich, ſo würde die Mehrzahl der im Laufe der Seſſion geſtell-
ten neun Interpellationen gegenſtandslos geweſen und unterblieben ſein.

Durch das in eingehenden Commiſſionsberathungen völlig umgearbeitete,
wenngleich noch immer ſehr mangelhaft redigirte Feſtungs-Rayon-Geſetz, mit deſſen
weſentlich verbeſſerten Beſtimmungen die Bundesregierung ſich, ungeachtet gewich-
tiger Bedenken gegen die Art und Größe der zu gewährenden Entſchädigungen, ein-
verſtanden erklärte, iſt ein Gegenſtand zur Erledigung gebracht der ſeit Jahren zu
immer erneuerten Beſchwerden und Anträgen der Feſtungsſtädte geführt und auch
den vormaligen Norddeutſchen Reichstag wiederholt beſchäftigt hatte.

[Spaltenumbruch]

Das an die Stelle des Bundesgeſetzes vom 31 Mai v. J. getretene Geſetz
wegen Bewilligung einer Subvention von 20 Mill. Franken für die Herſtellung
der Gotthardbahn, von denen übrigens nur 8,066,000 Frs. auf die Reichscaſſe zu
übernehmen ſind, ſichert das Zuſtandekommen einer Alpenbahn von europäiſcher
Bedeutung in der für Deutſchland vortheilhafteſten Richtung. Die Annahme dieſes
Geſetzes involvirte zugleich die vorbehaltene Genehmigung einer am 28 Oct. zwiſchen
dem Deutſchen Reich, Italien und der Schweiz abgeſchloſſenen Convention, durch
welche das Reich dem Berner Vertrag vom 15 Oct. 1869 beitritt.

Die Berliner Zuſatz-Convention zu dem Friedensvertrag mit Frankreich vom
12 Oct. d. J. wegen vorübergehender Erleichterungen der Verzollungspflicht für
den Handelsverkehr zwiſchen Elſaß-Lothringen und Frankreich, der Rückgewähr
einiger Gebietstheile an Frankreich und der Wiederherſtellung des wechſelſeitigen
Schutzes der Fabrik- und Handelszeichen wurde ohne eigentliche Discuſſion und
ohne Widerſpruch genehmigt. Die Bedeutung und Rechtfertigung dieſer Convention
kann meines Erachtens nur darin gefunden werden daß die Thiers’ſche Regierung von
der wir wohl allein die volle Ausführung des Friedensvertrags erwarten können, da-
durch weſentlich geſtärkt wird. Erinnern doch ohnehin die augenblicklichen Zuſtände
in Frankreich oft genug an die Lehre Montesquieu’s: „Lorsqu’on a pour voisin
un état qui est dans sa décadence, on doit bien se garder de hâter sa ruine.“

Der für die neuen Reichslande ausbedungenen Zollbegünſtigungen in Frankreich
und der langen darüber gepflogenen Verhandlungen vermag ich mich nicht zu freuen,
denn Elſaß-Lothringen iſt dadurch von neuem auf Frankreich hingewieſen, und ich
halte dieß für kein gutes Mittel das Land an ſeine neuen Beziehungen zu Deutſch-
land zu gewöhnen.

Der auf der Grundlage des Vertrags zwiſchen dem norddeutſchen Bund und
Belgien vom 9 Febr. v. J. abgeſchloſſene und in mehrfacher Beziehung noch beſſer
gefaßte Auslieferungsvertrag mit Italien vom 31 Oct. d. J. fand gleichfalls keinen
Widerſpruch im Reichstage.

Durch die Annahme von nicht weniger als acht Geſetzentwürfen über die
Einführung zum Theil höchſt wichtiger Geſetze des vormaligen Norddeutſchen
Bundes in Bayern, Württemberg und reſp. Baden wurde das Band zwiſchen Süd-
und Norddeutſchland abermals in erfreulicher Weiſe verſtärkt. Einzelne dieſer
Geſetze riefen ſehr ernſte Debatten hervor. Die Geſetzentwürfe wegen Einführung
des Unterſtützungswohnſitz-Geſetzes in Württemberg und Baden und der Gewerbe-
ordnung in Württemberg führten — Moriz Mohl an der Spitze — zu einer wah-
ren Schlacht zwiſchen den Schwaben. Die mit großer Mehrheit erfolgte Annahme
einer zu dem erſten Geſetze von Hrn. v. Bonin beantragten Reſolution, wegen Unter-
ſuchung und eventuell durchgreifender und gleichmäßiger Regelung des Perſonen-
ſtandsweſens im Wege der Reichsgeſetzgebung, iſt zugleich ein erſter wohlberechneter
Schritt zur demnächſtigen Einführung der obligatoriſchen Civilehe in ganz Deutſch-
land, und es verdient alle Anerkennung daß der Bundesrath, ungeachtet eines der
Sache ungünſtigen Ausſchußberichts, auf Andringen des Präſidenten des Reichs-
kanzleramts ein Enquête-Verfahren in dieſer Beziehung beſchloſſen hat.

In dem Geſetze wegen Einführung der norddeutſchen Maß- und Gewichts-
ordnung in Bayern ſind die Art. 15—20 derſelben durch die Art. 11 und 12 des
bayeriſchen Geſetzes vom 29 April 1829 erſetzt. Eine weitere Modification des
Art. 4 der jetzt Reichsgeſetz gewordenen Maß- und Gewichtsordnung vom 17 Auguſt
1868 ſteht bevor, wenn die vom Reichstag in Veranlaſſung zweier Petitionen em-
pfohlene Einführung des Kilometers, ſtatt der Meile, die Zuſtimmung des Bundes-
raths finden ſollte.

Zu den lebhafteſten und ſehr intereſſanten Discuſſionen gab der Geſetzent-
wurf wegen Einführung des Bundesgeſetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienſt
in Bayern Anlaß, durch welches die ſo wünſchenswerthe militäriſche Freizügigkeit
zwiſchen dem übrigen Reich und Bayern hergeſtellt werden ſoll; und dieſe Debatten
erhalten jetzt im bayeriſchen und im württembergiſchen Landtag ihr Nachſpiel.
Der ſeitdem verſtorbene Abgeordnete Greil legte bei dieſer Gelegenheit den Vertrag
vom 23 November v. J. wegen des Beitritts Bayerns zum Deutſchen Reich und
den Art 78 Alinea 2 der Reichsverfaſſung dahin aus: daß diejenigen Vorſchriften
der Verfaſſung durch welche beſtimmte Rechte der einzelnen Bundesſtaaten im
Verhältniß zur Geſammtheit feſtgeſtellt ſind, nur mit Zuſtimmung ſämmtlicher ge-
ſetzlichen Factoren, des Landesherrn wie der Volksvertretung, abgeändert werden
könnten, und behauptete daß hier eine ſolche Verfaſſungsänderung vorliege, und ein
Bayern vorbehaltenes Separatrecht aufgegeben werden ſolle. Weder er noch Windt-
horſt (Meppen), der ihn unterſtützte, erinnerten ſich der Aufklärungen über die Aus-
legung der November-Verträge, welche bei den betreffenden Verhandlungen im
Norddeutſchen Reichstage, ſowie im bayeriſchen und im württem bergiſchen Landtage,
vom Regierungstiſch und von einzelnen Abgeordneten gegeben worden waren. Lasker,
v. Stauffenberg, Völk und andere wieſen darauf hin, und die Miniſter v. Lutz
und v. Mittnacht, welche bei den Verſailler Verhandlungen perſönlich betheiligt
geweſen waren, erklärten mit völliger Entſchiedenheit: daß es zum Aufgeben von
Sonderrechten und zu Abänderungen der Verfaſſung nur der zuſtimmenden Erklä-
rung der Vertreter der betreffenden Staaten im Bundesrath bedürfe, welche dann
den heimiſchen Ständen für ihr Votum verantwortlich ſeien. Sie beſtritten zugleich
mit Recht daß hier eine ſolche Verfaſſungsänderung vorliege. Das Haus trat dieſer
Auffaſſung mit ganz überwiegender Mehrheit bei, und wird, wie auch die Beſchlüſſe
des bayeriſchen Landags über den Antrag Dr. Schüttinger und Dr. Karl Barth,
ſo wie des württembergiſchen Landtags über einen ähnlichen Antrag ausfallen mö-
gen, unzweifelhaft auch künftig in etwa vorkommenden Fällen nach den gleichen
Grundſätzen verfahren. Die in München und Stuttgart bevorſtehenden Beſchlüſſe
mögen dort einen Miniſterwechſel oder eine Kammerauflöſung zur Folge haben,
für das Reich werden dieſelben ebenſo wie die zwar ſcharfſinnige, aber wenig über-
zeugende Ausführung in Nr. 350 dieſer Blätter und die richtigere Darſtellung in
Nr. 353 nur ein theoretiſches Intereſſe beanſpruchen können. Durch die bei Ge-
legenheit dieſes Geſetzes auf Valentins Antrag in namentlicher Abſtimmung mit
148 gegen 102 Stimmen beliebte Abſchaffung der bisherigen 10 Gulden Taxe für
Militär- Entlaß- und Freiſcheine iſt der bayeriſchen Staatscaſſe ein nicht unerheb-
licher Einnahme-Ausfall bereitet. Die Vertreter Bayerns im Bundesrath und
im Reichstag hatten es, offenbar aus Gründen der Delicateſſe, unterlaſſen auf

*) S. auch „Allg. Ztg.“ Auß. Beil. zu Nr. 357.
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Bedeutung in der für Deut&#x017F;chland vortheilhafte&#x017F;ten Richtung. Die Annahme die&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;etzes involvirte zugleich die vorbehaltene Genehmigung einer am 28 Oct. zwi&#x017F;chen<lb/>
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Schutzes der Fabrik- und Handelszeichen wurde ohne eigentliche Discu&#x017F;&#x017F;ion und<lb/>
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Wider&#x017F;pruch im Reichstage.</p><lb/>
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[10/0002] In der Zwiſchenzeit bis zur zweiten Berathung wurden daher von verſchiedenen Seiten Verbeſſerungsanträge vorbereitet. Mohl, welcher in dem vorgeſchlagenen Münzſyſtem „nichts anderes als das Thalerſyſtem, mit einem durchſcheinbaren Mäntelchen umhängt,“ erblickte, machte Vorſchläge wegen Einführung des von ihm bereits in zwei fleißig gearbeiteten Schriften empfohlenen Frankenſyſtems. Bei der Abſtimmung erklärten ſich nur wenige Stimmen dafür. Dr. Buhl und Ge- noſſen machten den Verſuch die im Süden willkommene Doppelmark unter dem Namen Gulden zur Geltung zu bringen. Die Verſammlung lehnte den Antrag in namentlicher Abſtimmung mit 196 gegen 93 (überwiegend Süddeutſche) Stim- men ab, und ſanctionirte die einfache Mark als Rechnungseinheit. Dr. Bamberger, welcher bei den Verhandlungen unbedingt die bedeutendſte und einflußreichſte Rolle ſpielte, Dr. Braun (Gera) und Dr. Schleiden bereiteten eine ganze Reihe von Amendements vor, welche demnächſt von einer nur aus Nationalliberalen beſtehen- den freien Commiſſion noch in einigen Punkten modificirt und vervollſtändigt und in dieſer neuen Bearbeitung unter dem Namen Bamberger eingebracht wurden. Alle dieſe Anträge — mit der einzigen, bereits oben erwähnten, Ausnahme — wurden angenommen, und durch ſie hat das Geſetz erſt ſeinen jetzigen Charakter erhalten. In Folge dieſer Amendements trat, ungeachtet des entſchiedenen Widerſpruchs der preußiſchen Mitglieder des Bundesrathes, die Eintheilung der Mark in 100 Pfennige an die Stelle der beabſichtigten Eintheilung in 10 Groſchen zu 10 Pfennigen, und die vorgeſchlagene Reichsgoldmünze von 30 Mark oder 10 Thalern wurde beſeitigt. Bei dieſen mit großer Mehrheit gefaßten Beſchlüſſen beharrte das Haus auch in der Schlußberathung, obgleich der Fürſt Reichskanzler außerhalb wie innerhalb der Verſammlung ſeinen ganzen Einfluß für die Herſtellung des 30 Mark-Stücks in die Wage warf, und Graf Rittberg ſich hatte bereit finden laſſen bei der dritten Leſung die Wiederherſtellung der urſprünglichen Faſſung zu beantragen. Gleich- falls auf Grund dieſer Amendements wurde die Ausprägung von anderen als den durch das Geſetz eingeführten Goldmünzen, ſo wie von groben Silbermünzen, mit Aus- nahme von Denkmünzen — Preußen beabſichtigt ſogen. „Siegesthaler“ zu prägen — ſiſtirt, und beſchloſſen daß die zur Zeit umlaufenden Goldmünzen der deutſchen Bundesſtaaten von Reichswegen und auf Koſten des Reichs, nach Maßgabe der Ausprägung der neuen Reichsgoldmünzen, einzuziehen ſeien; auch der Reichskanzler ermächtigt ſein ſolle in gleicher Weiſe die Einziehung der bisherigen groben Silber- münzen der Bundesſtaaten anzuordnen. Das hier zur Geltung gebrachte Princip der Einziehung der außer Curs tretenden Münzen auf Reichskoſten, welches hoffent- lich durch das definitive Münzgeſetz auch auf die einzuziehenden Scheidemünzen ausgedehnt werden wird, iſt vorzugsweiſe im Intereſſe der Südſtaaten, denen zwar die Unbequemlichkeit ihr Mänzſyſtem in viel erheblicherem Maß als die Nord- ſtaaten ändern zu müſſen nicht erſpart werden konnte, aber die damit verbundenen Koſten abgenommen werden. — Die Vorlage des definitiven Münzgeſetzes hat ſich der Reichstag für ſeine nächſte Sitzungsperiode erbeten, und zugleich den Wunſch ausgeſprochen daß in demſelben den Münzſtätten des Bundesgebietes die Ver- pflichtung aufgelegt werden möge auch für Privatrechnung Reichsgoldmünzen aus- zuprägen, wie dieß bekanntlich in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Belgien ꝛc., der Fall iſt. Durch zwei andere Reſolutionen iſt die baldige Vorlage von Geſetzen über das Bankweſen und über die Ausgabe, beziehungsweiſe die Ein- ziehung, von Staatscaſſenſcheinen verlangt. Von allen vorgelegten 23 Geſetzen welche der Reichstag in ſeiner letzten Seſſion votirt hat, iſt keines ſo weſentlich verbeſſert wie das Münzgeſetz aus deſſen Berathungen hervorgegangen, keines mit gleich allgemeinem Beifall wie dieſes als ein wirklicher Fortſchritt begrüßt worden. Daß es demſelben auch an Tadlern nicht fehlt, kann ſchon wegen des in alle Verhältniſſe und Privatintereſſen tief eingreifenden Gegenſtandes nicht wundernehmen. Ebenſo überraſchend wie erfreulich iſt es daß die Regierung von Mecklenburg-Schwerin, welche ſonſt nicht in dem Nufe ſteht der Reichsgeſetzgebung voranzueilen, ihrem Landtage bereits am 16 d. M. eine Vorlage betr. die Rechnung nach Mark und Pfennigen und Aus- prägung neuer Scheidemünzen auf Grund des am 4 d. publicirten neuen Reichs- münzgeſetzes gemacht hat. Ob das im nächſten Frühjahr feſtzuſtellende definitive Reichsmünzgeſetz auch, wie der §. 3 dieſer (im „Deutſchen Reichsanzeiger“ vom 19 d. vollſtändig abgedruckten *) mecklenburgiſchen Vorlage es vorſchreibt, die gleichzeitige Ausprägung von ſilbernen und von kupfernen Fünfpfennigſtücken, ſo wie die Prä- gung von Zweipfennigſtücken anordnen wird, dürfte mindeſtens zweifelhaft ſein. Indem ich mir eine Beſprechung der Novelle zum Strafgeſetzbuch, welche neben dem Militärgeſetz und dem Münzgeſetz das größte Intereſſe erregte, für einen folgenden Schlußartikel vorbehalte, glaube ich hier noch einige kurze Bemerkungen- über verſchiedene andere Geſetze und Verträge, welche den letzten Neichstag beſchäf tigt haben, beifügen zu müſſen. Daß die beiden wichtigen, bereits in der Frühjahrsſeſſion beſchloſſenen, Poſt- geſetze (vergl. Nr. 192) dem Reichstag in ſeiner letzten Sitzungsperiode noch einmal unverändert vorgelegt wurden, iſt mehr als eine bloße Form. Denn die Bundes- regierung, welche ſich erſt unmittelbar vor dem Wiederbeginn der Sitzungen zur Annahme der beliebten eingreifenden Amendements entſchloſſen hatte, erkannte da- durch das richtige conſtitutionelle Princip an: daß die Publication eines vom Reichs- tag angenommenen Geſetzes nicht ohne erneute Einholung ſeines Conſenſes erfol- gen darf, wenn mittlerweile eine neue Sitzungsperiode begonnen hat. Grumbrecht knüpfte an dieſe Vorlage den Wunſch daß der Bundesrath dem Parlament über- haupt über die Beſchlüſſe die er in Veranlaſſung von Reichstagsbeſchlüſſen faſſe officielle Mittheilung machen möge. Es erfolgte aber keine Antwort. Wäre eine ſolche Mittheilung üblich, ſo würde die Mehrzahl der im Laufe der Seſſion geſtell- ten neun Interpellationen gegenſtandslos geweſen und unterblieben ſein. Durch das in eingehenden Commiſſionsberathungen völlig umgearbeitete, wenngleich noch immer ſehr mangelhaft redigirte Feſtungs-Rayon-Geſetz, mit deſſen weſentlich verbeſſerten Beſtimmungen die Bundesregierung ſich, ungeachtet gewich- tiger Bedenken gegen die Art und Größe der zu gewährenden Entſchädigungen, ein- verſtanden erklärte, iſt ein Gegenſtand zur Erledigung gebracht der ſeit Jahren zu immer erneuerten Beſchwerden und Anträgen der Feſtungsſtädte geführt und auch den vormaligen Norddeutſchen Reichstag wiederholt beſchäftigt hatte. Das an die Stelle des Bundesgeſetzes vom 31 Mai v. J. getretene Geſetz wegen Bewilligung einer Subvention von 20 Mill. Franken für die Herſtellung der Gotthardbahn, von denen übrigens nur 8,066,000 Frs. auf die Reichscaſſe zu übernehmen ſind, ſichert das Zuſtandekommen einer Alpenbahn von europäiſcher Bedeutung in der für Deutſchland vortheilhafteſten Richtung. Die Annahme dieſes Geſetzes involvirte zugleich die vorbehaltene Genehmigung einer am 28 Oct. zwiſchen dem Deutſchen Reich, Italien und der Schweiz abgeſchloſſenen Convention, durch welche das Reich dem Berner Vertrag vom 15 Oct. 1869 beitritt. Die Berliner Zuſatz-Convention zu dem Friedensvertrag mit Frankreich vom 12 Oct. d. J. wegen vorübergehender Erleichterungen der Verzollungspflicht für den Handelsverkehr zwiſchen Elſaß-Lothringen und Frankreich, der Rückgewähr einiger Gebietstheile an Frankreich und der Wiederherſtellung des wechſelſeitigen Schutzes der Fabrik- und Handelszeichen wurde ohne eigentliche Discuſſion und ohne Widerſpruch genehmigt. Die Bedeutung und Rechtfertigung dieſer Convention kann meines Erachtens nur darin gefunden werden daß die Thiers’ſche Regierung von der wir wohl allein die volle Ausführung des Friedensvertrags erwarten können, da- durch weſentlich geſtärkt wird. Erinnern doch ohnehin die augenblicklichen Zuſtände in Frankreich oft genug an die Lehre Montesquieu’s: „Lorsqu’on a pour voisin un état qui est dans sa décadence, on doit bien se garder de hâter sa ruine.“ Der für die neuen Reichslande ausbedungenen Zollbegünſtigungen in Frankreich und der langen darüber gepflogenen Verhandlungen vermag ich mich nicht zu freuen, denn Elſaß-Lothringen iſt dadurch von neuem auf Frankreich hingewieſen, und ich halte dieß für kein gutes Mittel das Land an ſeine neuen Beziehungen zu Deutſch- land zu gewöhnen. Der auf der Grundlage des Vertrags zwiſchen dem norddeutſchen Bund und Belgien vom 9 Febr. v. J. abgeſchloſſene und in mehrfacher Beziehung noch beſſer gefaßte Auslieferungsvertrag mit Italien vom 31 Oct. d. J. fand gleichfalls keinen Widerſpruch im Reichstage. Durch die Annahme von nicht weniger als acht Geſetzentwürfen über die Einführung zum Theil höchſt wichtiger Geſetze des vormaligen Norddeutſchen Bundes in Bayern, Württemberg und reſp. Baden wurde das Band zwiſchen Süd- und Norddeutſchland abermals in erfreulicher Weiſe verſtärkt. Einzelne dieſer Geſetze riefen ſehr ernſte Debatten hervor. Die Geſetzentwürfe wegen Einführung des Unterſtützungswohnſitz-Geſetzes in Württemberg und Baden und der Gewerbe- ordnung in Württemberg führten — Moriz Mohl an der Spitze — zu einer wah- ren Schlacht zwiſchen den Schwaben. Die mit großer Mehrheit erfolgte Annahme einer zu dem erſten Geſetze von Hrn. v. Bonin beantragten Reſolution, wegen Unter- ſuchung und eventuell durchgreifender und gleichmäßiger Regelung des Perſonen- ſtandsweſens im Wege der Reichsgeſetzgebung, iſt zugleich ein erſter wohlberechneter Schritt zur demnächſtigen Einführung der obligatoriſchen Civilehe in ganz Deutſch- land, und es verdient alle Anerkennung daß der Bundesrath, ungeachtet eines der Sache ungünſtigen Ausſchußberichts, auf Andringen des Präſidenten des Reichs- kanzleramts ein Enquête-Verfahren in dieſer Beziehung beſchloſſen hat. In dem Geſetze wegen Einführung der norddeutſchen Maß- und Gewichts- ordnung in Bayern ſind die Art. 15—20 derſelben durch die Art. 11 und 12 des bayeriſchen Geſetzes vom 29 April 1829 erſetzt. Eine weitere Modification des Art. 4 der jetzt Reichsgeſetz gewordenen Maß- und Gewichtsordnung vom 17 Auguſt 1868 ſteht bevor, wenn die vom Reichstag in Veranlaſſung zweier Petitionen em- pfohlene Einführung des Kilometers, ſtatt der Meile, die Zuſtimmung des Bundes- raths finden ſollte. Zu den lebhafteſten und ſehr intereſſanten Discuſſionen gab der Geſetzent- wurf wegen Einführung des Bundesgeſetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienſt in Bayern Anlaß, durch welches die ſo wünſchenswerthe militäriſche Freizügigkeit zwiſchen dem übrigen Reich und Bayern hergeſtellt werden ſoll; und dieſe Debatten erhalten jetzt im bayeriſchen und im württembergiſchen Landtag ihr Nachſpiel. Der ſeitdem verſtorbene Abgeordnete Greil legte bei dieſer Gelegenheit den Vertrag vom 23 November v. J. wegen des Beitritts Bayerns zum Deutſchen Reich und den Art 78 Alinea 2 der Reichsverfaſſung dahin aus: daß diejenigen Vorſchriften der Verfaſſung durch welche beſtimmte Rechte der einzelnen Bundesſtaaten im Verhältniß zur Geſammtheit feſtgeſtellt ſind, nur mit Zuſtimmung ſämmtlicher ge- ſetzlichen Factoren, des Landesherrn wie der Volksvertretung, abgeändert werden könnten, und behauptete daß hier eine ſolche Verfaſſungsänderung vorliege, und ein Bayern vorbehaltenes Separatrecht aufgegeben werden ſolle. Weder er noch Windt- horſt (Meppen), der ihn unterſtützte, erinnerten ſich der Aufklärungen über die Aus- legung der November-Verträge, welche bei den betreffenden Verhandlungen im Norddeutſchen Reichstage, ſowie im bayeriſchen und im württem bergiſchen Landtage, vom Regierungstiſch und von einzelnen Abgeordneten gegeben worden waren. Lasker, v. Stauffenberg, Völk und andere wieſen darauf hin, und die Miniſter v. Lutz und v. Mittnacht, welche bei den Verſailler Verhandlungen perſönlich betheiligt geweſen waren, erklärten mit völliger Entſchiedenheit: daß es zum Aufgeben von Sonderrechten und zu Abänderungen der Verfaſſung nur der zuſtimmenden Erklä- rung der Vertreter der betreffenden Staaten im Bundesrath bedürfe, welche dann den heimiſchen Ständen für ihr Votum verantwortlich ſeien. Sie beſtritten zugleich mit Recht daß hier eine ſolche Verfaſſungsänderung vorliege. Das Haus trat dieſer Auffaſſung mit ganz überwiegender Mehrheit bei, und wird, wie auch die Beſchlüſſe des bayeriſchen Landags über den Antrag Dr. Schüttinger und Dr. Karl Barth, ſo wie des württembergiſchen Landtags über einen ähnlichen Antrag ausfallen mö- gen, unzweifelhaft auch künftig in etwa vorkommenden Fällen nach den gleichen Grundſätzen verfahren. Die in München und Stuttgart bevorſtehenden Beſchlüſſe mögen dort einen Miniſterwechſel oder eine Kammerauflöſung zur Folge haben, für das Reich werden dieſelben ebenſo wie die zwar ſcharfſinnige, aber wenig über- zeugende Ausführung in Nr. 350 dieſer Blätter und die richtigere Darſtellung in Nr. 353 nur ein theoretiſches Intereſſe beanſpruchen können. Durch die bei Ge- legenheit dieſes Geſetzes auf Valentins Antrag in namentlicher Abſtimmung mit 148 gegen 102 Stimmen beliebte Abſchaffung der bisherigen 10 Gulden Taxe für Militär- Entlaß- und Freiſcheine iſt der bayeriſchen Staatscaſſe ein nicht unerheb- licher Einnahme-Ausfall bereitet. Die Vertreter Bayerns im Bundesrath und im Reichstag hatten es, offenbar aus Gründen der Delicateſſe, unterlaſſen auf *) S. auch „Allg. Ztg.“ Auß. Beil. zu Nr. 357.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine02_1872/2>, abgerufen am 15.10.2024.