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Allgemeine Zeitung, Nr. 1, 1. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] einwenden, leider aber wurden oft die trefflichsten Plane vereitelt, weil in der Regel
nur Gewinnsucht die Triebfeder auch für die Fremden gewesen ist. Ein trauriges
Beispiel bildet Aegypten, das unter den Händen der französischen und der ita-
lienischen Abenteurer sich noch schlechter befindet als wenn es ausschließlich von Ein-
heimischen verwaltet würde.

Auch die Lage Oesterreich-Ungarns wird im ganzen richtig beurtheilt: die
Hauptfrage sei nicht eine Rechtsfrage, sondern eine ethnographische oder Racenfrage;
auch was über die Verhältnisse der einzelnen Nationalitäten gesagt wird ist durch-
aus richtig, im übrigen aber sind die Dinge seitdem wesentlich verändert. Als der
Aufsatz geschrieben wurde (24 August), war das Ministerium Hohenwart noch am
Ruder und schien zum Ziele zu gelangen; seitdem sind mit diesem Cabinet seine
Ausgleichsplane verworfen, ist der Reichskanzler gestürzt worden; die Dinge sind
auch in diesem Augenblick noch im Fluß, und da in jedem Staate die äußere Poli-
tik sehr wesentlich von der Gesundheit seiner inneren Zustände abhängt, so kann
auch über die äußere Politik Oesterreichs nichts bestimmtes gesagt werden solange
seine inneren Verhältnisse nicht geordnet sind. Für jetzt sind seine Beziehungen
zu allen Mächten durchaus befriedigende.

Bei Besprechung Italiens wird die französische Regierung mit Recht getadelt
wegen des kleinlichen Schrittes den sie bei der Uebersiedelung der italienischen Re-
gierung nach Rom that, indem sie ihren Gesandten, Hrn. v. Choiseul, anwies in Ur-
laub zu gehen, und einem Secretär die Vertretung Frankreichs übertrug. Der Ver-
fasser empfiehlt den französischen Staatslenkern: die Allianz mit Italien mit allen
Mitteln zu pflegen und wieder aufzufrischen; die Verührungspunkte zwischen beiden
Staaten seien vorhanden, aber es seien zarte Hände erforderlich zur Pflege eines so
schwer zu behandelnden Gewächses. Es ist eine auffallende Erscheinung daß früher,
solange Italien unter eine Vielzahl von Herrschern, darunter mehrere deren Herr-
schaft niemals Wurzel im Volke geschlagen hatte, getheilt war, gerade die liberalen
Politiker Frankreichs die Einheit Italiens vertraten, und jetzt, nachdem dieselbe zur
Thatsache geworden ist, manche die Umwandlung Italiens in einen Bundesstaat
anstreben. Auch der Anonymus vertritt diese Idee, jedoch ohne tiefere Begründung,
uns scheint eine solche Entwicklung im höchsten Grad unwahrscheinlich. Italien
wird auf dem Wege der Decentralisation noch viel weiter fortschreiten müssen,
aber seine Zerlegung in verschiedene Staaten würden wir für ein nationales Un-
glück halten.

Die beiden letzten Briefe sind Deutschland gewidmet. Der Verfasser sucht
die Behauptung des Fürsten Bismarck, daß Frankreich von jeher Deutschland mit
Krieg überzogen habe zum Zweck der Eroberung, durch die Anführung zu wider-
legen daß beide Nationen alte Streitpunkte gehabt, und daß die häusige Ueber-
ziehung Deutschlands durch französische Heere die nothwendige Folge seiner
Schwäche und Getheiltheit gewesen. Aus diesem Grunde sei nichts berechtigter
gewesen als das Streben nach Einheit, und von hier aus könne einst wieder ein
aufrichtiges und dauerhaftes Einvernehmen zwischen bekden Nachbarländern ent-
stehen, wenn Frankreich erst an der Spitze seiner Regierung Männer habe welche
würdig sind seine Geschicke zu leiten. Wir verargen es dem Verfasser nicht wenn
er die Abtretung von Elsaß-Lothringen beklagt, und statt ihrer die Neutralisirung
dieser Provinzen und Schleifung der Festungen vorgezogen hätte; aber wir begreifen
nicht wie er in einer solchen Lösung eine Garantie eines dauerhaften Friedens er-
blicken kann. Gerade die jüngste Geschichte hat zur Evidenz gezeigt daß mächtige
Staaten derartige Servitutrechte nur so lange ertragen als sie zu schwach sind die-
selben zu brechen. Niemals hätte das selbstbewußte Frankreich eine solche Be-
schränkung sich länger als einige Jahre gefallen lassen; dann hätte es die betreffen-
den Bestimmungen des Friedensvertrags für unverbindlich erklärt, und Deutsch-
land hätte entweder diese Schmach sich gefallen lassen oder einen neuen Krieg, selbst-
verständlich unter weit ungünstigeren Bedingungen als nach Sedan, führen müssen.
Hierüber sollte doch kein Zweifel mehr bestehen. Die Naivetät auf die Spitze
treiben, heißt es aber wenn der Verfasser zu der Neutralisirung des Elsaßes, der
Symmetrie halber, auch die des Großherzogthums Vaden verlangt! Die Bespre-
chung des Verhältnisses von Elsaß-Lothringen zum Reiche wie der inneren Lage
Deutschlands ist im ganzen richtig, nur glaubt der Verfasser in letzterem überall den
Fortschritt der Unisicationsbestrebungen des Reichskanzlers zu erkennen. Am
Schlusse des Büchleins werden die Veziehungen Deutschlands zu Oesterreich be-
sprochen, die Gründe zu der Aunäherung an Oesterreich seien hienach in der Be-
sorgniß Bismarcks gelegen eines Tages die vereinigten Heere Frankreichs und
Oesterreichs bekämpfen zu müssen; Oesterreich habe dieses Entgegenkommen an-
nehmen müssen, da es aus demselben für die Entwirrung seiner inneren Verhält-
nisse großen Nutzen ziehen könne; Frankreich habe über diese Annäherung der Sie-
ger und der Besiegten von Sadowa sich nicht zu beunruhigen.

Wir können das trefflich geschriebene Büchlein nicht aus der Hand legen,
ohne es gerade jetzt, an der Jahreswende, als eine vorzügliche Rück- und Umschau
über die gegenwärtige politische Lage Europa's zu empfehlen.



Die jüngsten Alterthumsfünde in der Umgegend von Bologna.

Unter allen Entdeckungen und Ausgrabungen über welche im Laufe des
Jahres von Italien Kunde kam, dürften die in der Nähe und Umgegend von Bo-
logna gemachten mit zu den reichhaltigsten und interessantesten gehören. Sie wer-
fen ein neues Licht auf die alte Cultur der Etruria circumpadana, deren Fünde
bisher im Vergleich zu denen der Etruria media nur sehr gering waren. Während
z. B. in letzterem Lande besonders seit dem Jahre 1828 ein solcher Reichthum von
bemalten Vasen ans Licht kam (man erinnere sich nur der Städte Vulci und
Chiusi), daß es in dieser Beziehung mit Campanien und Unteritalien gleichgestellt
werden konnte, fanden sich nördlich vom Apennin nur wenige, einige in Bologna,
andere in Modena, etwas mehr in Adria. Diese Vasen aber mochte man ihrer
geringen Anzahl wegen ebenso wenig wie die im Norden von Italien vereinzelt
gefundenen Bronzen, so sehr auch die Einwirkung etruskischer Cultur an ihnen zu-
gegeben werden mußte, als Beweise für größere etruskische Ansiedelungen daselbst
gelten lassen. Aber gerade in diesem Punkte sind wir jetzt durch die jüngsten Ent-
[Spaltenumbruch] deckungen, besonders durch die Ausgrabungen auf dem Campo santo der Certosa
bei Bologna, eines bessern belehrt worden. Ein eben erst erschienener ausführlicher
Bericht des fleißigen und umsichtigen Architekten Zannoni, der diese Ausgrabungen
leitete, liegt darüber vor: Sugli Scavi della Certosa. Relazione letta all'
inaugurazione del museo civico di Bologna il 2 ottobre 1871 dall' Ingeguere-
Architetto Capo Antonio Zannoni. Bologna
1871.

Eine ganze Nekropole ist es die Zannoni hier auf dem Campo santo der
Certosa, eine halbe Stunde westlich von der Stadt, aufgefunden hat; und seine
Vermuthung daß daselbst ein Theil der Bevölkerung der alten Stadt Felsina seine
Ruhestätte hatte, scheint auch uns viel Wahrscheinlichkeit zu haben. Es ist dieß
jenes etruskische Felsina das mehrfach von römischen Autoren als princeps der
Etruria circumpadana bezeichnet wird, bis zu welchem im Jahre 196 v. Chr.
zwei römische Consuln, mit ihren H eeren gegen die Boier kämpfend, vordrangen,
und wo im Jahre 189 v. Chr. die römische Colonie Bononig (das heutige Bologna)
gegründet ward (cf. Livius, 33, 37 und 37, 57).

Eine Ciste aus Bronze, im Jahre 1869 gefunden, die Nachricht von mehreren
wieder verloren gegangenen bemalten Thonvasen und Bronzen, welche schon im
Jahre 1835 gefunden worden, endlich Erzählungen von noch anderen ähnlichen
Fünden an derselben Stelle in früherer Zeit, brachten Zannoni auf den Gedanken
größere Ausgrabungen daselbst zu versuchen. Es geschah, und zwar mit dem be-
deutendsten Erfolg. Bis jetzt sind nämlich nicht weniger als 365 alte Gräber ge-
öffnet worden, und es ist die gegründetste Hoffnung vorhanden daß auch noch auf
andern Theilen des Stadtgebietes derartige Fünde werden gemacht werden. Hier wie
überall. in den etruskischen Nekropolen zeigten sich zwei Bestattungsweisen neben
einander: Beerdigung der ganzen Leichen und Verbrennung derselben. Die erstere
Weise war 250ma l, die letztere 115mal angewandt. Die Skelette der unverbrann-
ten Leichen lagen entweder bloß in der Erde, oder in größeren und kleineren Holz-
särgen (casse di legno); die Aschenhaufen der verbrannten Leichen fanden sich
entweder gleichfalls bloß in der Erde, oder aber sie waren in bronzenen Cisten, in
bemalten und unbemalten großen Vasen, einmal auch in einer Marmorvase
beigesetzt.

Nach dem größeren oder geringeren Inhalt an Vasen, Bronzen und andern
Gegenständen theilt nun Zannoni alle diese Gräber in drei Classen, und zwar die
der verbrannten Leichen in:

1) Fosse con sittili cinericci e bruni,

2) Fosse con sittili bruni o rossi (e talun sittile e figurato),

3) Fosse con moltissimi sittili figurati e bronzi;

die der nicht verbrannten Leichen in:

1) Fosse con entro lo scheletro in nuda terra con nessuno od appena
qualche rozzo sittile bruno e rosso.

2) Fosse collo scheletro posto entro cassa di legno ed insieme a sittili
bruni, verniciati, e figurati; talora a pochi bronzi.

3) Fosse collo scheletro giacente entro grandi casse rettangolari di
legno e con esso in molta copia grandi sittili figurati, moltissimi
bronzi, poi unguentari di vetro smaltato etc.

Zannoni schließt hieran eine eingehende Beschreibung von der Aufstellung
und Reihenfolge der einzelnen dem Todten mitgegebenen Gegenstände, und schil-
dert besonders zwölf Gräber in sehr anschaulicher Weise. Doch würde hier eine
speciellere Aufzählung zu weit führen. Es sei nur bemerkt daß Hr. Zannoni im
städtischen Museum zu Bologna den Inhalt mehrerer Gräber mit unverbrannten
Leichen in seiner ursprünglichen Aufstellung gelassen, und daß das Gemeinsame der-
selben vorzugsweise darin besteht daß die Skelette wie die Henkel der daneben
stehenden Gefäße fast alle die Richtung von Ost nach West haben, in ihren Händen
(meistentheils in der Rechten) das aes rude halten, die Gefäße zur Linken haben,
und außerdem mit allerlei bald einfacheren, bald kostbareren Schmucksachen aus
Bronze, Silber, Gold, Glas und Perlen u. dgl. m. versehen sind. Vielfach finden
sich auch zerbrochene Eierschalen auf daneben stehenden Schalen. Dabei ist es
nicht schwer an Ort und Stelle die ärmeren Classen der Bevölkerung von den wohl-
habenderen zu trennen. An den Schädeln will man freilich mehr die umbrische
als die etruskische Race erkennen, jedoch dürfte es schwer halten in dieser Beziehung
überall mit Sicherheit aufzutreten. So viel steht fest daß die Bevölkerung welche
in dieser Nekropole auf dem Campo santo der Certosa begraben liegt und lag, mit
der in Mitteletrurien eine und dieselbe Geschmacksstufe bezüglich ihres Gräber-
Cultus einnahm.

Unter den stelenförmigen (###) Grabdenkmälern sind natürlich die mit
Sculpturen geschmückten die interessantesten. Inschriften sind nicht auf ihnen ge-
sunden worden, dafür desto mehr Reliefarbeiten, welche bezüglich der Technik im Gegen-
satze zu den gräcisirenden Vasen eine nationale Kunst zeigen. Die Darstellungen auf
diesen Stelen, welche wir hier nicht alle aufzählen können, sind nach Zannoni's
Bericht denen sehr ähnlich die man in Mitteletrurien auf Sarkophagen und Urnen
und besonders auf den Wandgemälden von Tarquinii und Vulci fand. Sie gehen
somit auf griechische Bildwerke, Anschauungen und Ueberlieferungen zurück, und
beweisen an ihrem Theile daß die Etraria circumpadana, ebenso wie die Etruria
media
und wie auch Latium, in der Kunst eine Nachhinkerin Griechenlands ist.

Vesonders reich ist der Vasenfund. Außer zahlreichen Fragmenten sind
nämlich etwas mehr als achthundert bemalte und unbemalte Vasen aller Arten
und Formen zum Vorschein gekommen, und zwar erinnern auch diese wiederum an
die mannichfachen Fünde von Cäre, Vulci, Tarquinii und Nola. Es sind die ge-
wöhnlichen und bekannten griechischen Darstellungen, besonders viele aus den bac-
chischen Mythen. Die Frage welche Zannoni nach einer gedrängten Uebersicht
daran knüpft: "Si domanda: cotesto stile secco, questi duri contorni, queste
figure con estremita impersette, questi tipi piu serini e selvaggi che umani,
si domanda, cotesta e una maniera piu antica o di diversa nazione: e una
maniera imitativa dell' antico, e parallela a questa de' vasi a rosso su
campo nero che qui succedono?
" -- beweist daß es für den welcher bereits ein-
gehendere Studien über den Styl gemacht, von hohem Interesse sein muß an Ort
und Stelle das Nebeneinander dieser verschiedenen Vasen zu studieren. Ob Nach-
ahmung, ob Original, das ist jetzt seit der Veröffentlichung der Brunn'schen "Pro-

[Spaltenumbruch] einwenden, leider aber wurden oft die trefflichſten Plane vereitelt, weil in der Regel
nur Gewinnſucht die Triebfeder auch für die Fremden geweſen iſt. Ein trauriges
Beiſpiel bildet Aegypten, das unter den Händen der franzöſiſchen und der ita-
lieniſchen Abenteurer ſich noch ſchlechter befindet als wenn es ausſchließlich von Ein-
heimiſchen verwaltet würde.

Auch die Lage Oeſterreich-Ungarns wird im ganzen richtig beurtheilt: die
Hauptfrage ſei nicht eine Rechtsfrage, ſondern eine ethnographiſche oder Racenfrage;
auch was über die Verhältniſſe der einzelnen Nationalitäten geſagt wird iſt durch-
aus richtig, im übrigen aber ſind die Dinge ſeitdem weſentlich verändert. Als der
Aufſatz geſchrieben wurde (24 Auguſt), war das Miniſterium Hohenwart noch am
Ruder und ſchien zum Ziele zu gelangen; ſeitdem ſind mit dieſem Cabinet ſeine
Ausgleichsplane verworfen, iſt der Reichskanzler geſtürzt worden; die Dinge ſind
auch in dieſem Augenblick noch im Fluß, und da in jedem Staate die äußere Poli-
tik ſehr weſentlich von der Geſundheit ſeiner inneren Zuſtände abhängt, ſo kann
auch über die äußere Politik Oeſterreichs nichts beſtimmtes geſagt werden ſolange
ſeine inneren Verhältniſſe nicht geordnet ſind. Für jetzt ſind ſeine Beziehungen
zu allen Mächten durchaus befriedigende.

Bei Beſprechung Italiens wird die franzöſiſche Regierung mit Recht getadelt
wegen des kleinlichen Schrittes den ſie bei der Ueberſiedelung der italieniſchen Re-
gierung nach Rom that, indem ſie ihren Geſandten, Hrn. v. Choiſeul, anwies in Ur-
laub zu gehen, und einem Secretär die Vertretung Frankreichs übertrug. Der Ver-
faſſer empfiehlt den franzöſiſchen Staatslenkern: die Allianz mit Italien mit allen
Mitteln zu pflegen und wieder aufzufriſchen; die Verührungspunkte zwiſchen beiden
Staaten ſeien vorhanden, aber es ſeien zarte Hände erforderlich zur Pflege eines ſo
ſchwer zu behandelnden Gewächſes. Es iſt eine auffallende Erſcheinung daß früher,
ſolange Italien unter eine Vielzahl von Herrſchern, darunter mehrere deren Herr-
ſchaft niemals Wurzel im Volke geſchlagen hatte, getheilt war, gerade die liberalen
Politiker Frankreichs die Einheit Italiens vertraten, und jetzt, nachdem dieſelbe zur
Thatſache geworden iſt, manche die Umwandlung Italiens in einen Bundesſtaat
anſtreben. Auch der Anonymus vertritt dieſe Idee, jedoch ohne tiefere Begründung,
uns ſcheint eine ſolche Entwicklung im höchſten Grad unwahrſcheinlich. Italien
wird auf dem Wege der Decentraliſation noch viel weiter fortſchreiten müſſen,
aber ſeine Zerlegung in verſchiedene Staaten würden wir für ein nationales Un-
glück halten.

Die beiden letzten Briefe ſind Deutſchland gewidmet. Der Verfaſſer ſucht
die Behauptung des Fürſten Bismarck, daß Frankreich von jeher Deutſchland mit
Krieg überzogen habe zum Zweck der Eroberung, durch die Anführung zu wider-
legen daß beide Nationen alte Streitpunkte gehabt, und daß die häuſige Ueber-
ziehung Deutſchlands durch franzöſiſche Heere die nothwendige Folge ſeiner
Schwäche und Getheiltheit geweſen. Aus dieſem Grunde ſei nichts berechtigter
geweſen als das Streben nach Einheit, und von hier aus könne einſt wieder ein
aufrichtiges und dauerhaftes Einvernehmen zwiſchen bekden Nachbarländern ent-
ſtehen, wenn Frankreich erſt an der Spitze ſeiner Regierung Männer habe welche
würdig ſind ſeine Geſchicke zu leiten. Wir verargen es dem Verfaſſer nicht wenn
er die Abtretung von Elſaß-Lothringen beklagt, und ſtatt ihrer die Neutraliſirung
dieſer Provinzen und Schleifung der Feſtungen vorgezogen hätte; aber wir begreifen
nicht wie er in einer ſolchen Löſung eine Garantie eines dauerhaften Friedens er-
blicken kann. Gerade die jüngſte Geſchichte hat zur Evidenz gezeigt daß mächtige
Staaten derartige Servitutrechte nur ſo lange ertragen als ſie zu ſchwach ſind die-
ſelben zu brechen. Niemals hätte das ſelbſtbewußte Frankreich eine ſolche Be-
ſchränkung ſich länger als einige Jahre gefallen laſſen; dann hätte es die betreffen-
den Beſtimmungen des Friedensvertrags für unverbindlich erklärt, und Deutſch-
land hätte entweder dieſe Schmach ſich gefallen laſſen oder einen neuen Krieg, ſelbſt-
verſtändlich unter weit ungünſtigeren Bedingungen als nach Sedan, führen müſſen.
Hierüber ſollte doch kein Zweifel mehr beſtehen. Die Naivetät auf die Spitze
treiben, heißt es aber wenn der Verfaſſer zu der Neutraliſirung des Elſaßes, der
Symmetrie halber, auch die des Großherzogthums Vaden verlangt! Die Beſpre-
chung des Verhältniſſes von Elſaß-Lothringen zum Reiche wie der inneren Lage
Deutſchlands iſt im ganzen richtig, nur glaubt der Verfaſſer in letzterem überall den
Fortſchritt der Uniſicationsbeſtrebungen des Reichskanzlers zu erkennen. Am
Schluſſe des Büchleins werden die Veziehungen Deutſchlands zu Oeſterreich be-
ſprochen, die Gründe zu der Aunäherung an Oeſterreich ſeien hienach in der Be-
ſorgniß Bismarcks gelegen eines Tages die vereinigten Heere Frankreichs und
Oeſterreichs bekämpfen zu müſſen; Oeſterreich habe dieſes Entgegenkommen an-
nehmen müſſen, da es aus demſelben für die Entwirrung ſeiner inneren Verhält-
niſſe großen Nutzen ziehen könne; Frankreich habe über dieſe Annäherung der Sie-
ger und der Beſiegten von Sadowa ſich nicht zu beunruhigen.

Wir können das trefflich geſchriebene Büchlein nicht aus der Hand legen,
ohne es gerade jetzt, an der Jahreswende, als eine vorzügliche Rück- und Umſchau
über die gegenwärtige politiſche Lage Europa’s zu empfehlen.



Die jüngſten Alterthumsfünde in der Umgegend von Bologna.

≡ Unter allen Entdeckungen und Ausgrabungen über welche im Laufe des
Jahres von Italien Kunde kam, dürften die in der Nähe und Umgegend von Bo-
logna gemachten mit zu den reichhaltigſten und intereſſanteſten gehören. Sie wer-
fen ein neues Licht auf die alte Cultur der Etruria circumpadana, deren Fünde
bisher im Vergleich zu denen der Etruria media nur ſehr gering waren. Während
z. B. in letzterem Lande beſonders ſeit dem Jahre 1828 ein ſolcher Reichthum von
bemalten Vaſen ans Licht kam (man erinnere ſich nur der Städte Vulci und
Chiuſi), daß es in dieſer Beziehung mit Campanien und Unteritalien gleichgeſtellt
werden konnte, fanden ſich nördlich vom Apennin nur wenige, einige in Bologna,
andere in Modena, etwas mehr in Adria. Dieſe Vaſen aber mochte man ihrer
geringen Anzahl wegen ebenſo wenig wie die im Norden von Italien vereinzelt
gefundenen Bronzen, ſo ſehr auch die Einwirkung etruskiſcher Cultur an ihnen zu-
gegeben werden mußte, als Beweiſe für größere etruskiſche Anſiedelungen daſelbſt
gelten laſſen. Aber gerade in dieſem Punkte ſind wir jetzt durch die jüngſten Ent-
[Spaltenumbruch] deckungen, beſonders durch die Ausgrabungen auf dem Campo santo der Certoſa
bei Bologna, eines beſſern belehrt worden. Ein eben erſt erſchienener ausführlicher
Bericht des fleißigen und umſichtigen Architekten Zannoni, der dieſe Ausgrabungen
leitete, liegt darüber vor: Sugli Scavi della Certosa. Relazione letta all’
inaugurazione del museo civico di Bologna il 2 ottobre 1871 dall’ Ingeguere-
Architetto Capo Antonio Zannoni. Bologna
1871.

Eine ganze Nekropole iſt es die Zannoni hier auf dem Campo ſanto der
Certoſa, eine halbe Stunde weſtlich von der Stadt, aufgefunden hat; und ſeine
Vermuthung daß daſelbſt ein Theil der Bevölkerung der alten Stadt Felſina ſeine
Ruheſtätte hatte, ſcheint auch uns viel Wahrſcheinlichkeit zu haben. Es iſt dieß
jenes etruskiſche Felſina das mehrfach von römiſchen Autoren als princeps der
Etruria circumpadana bezeichnet wird, bis zu welchem im Jahre 196 v. Chr.
zwei römiſche Conſuln, mit ihren H eeren gegen die Boier kämpfend, vordrangen,
und wo im Jahre 189 v. Chr. die römiſche Colonie Bononig (das heutige Bologna)
gegründet ward (cf. Livius, 33, 37 und 37, 57).

Eine Ciſte aus Bronze, im Jahre 1869 gefunden, die Nachricht von mehreren
wieder verloren gegangenen bemalten Thonvaſen und Bronzen, welche ſchon im
Jahre 1835 gefunden worden, endlich Erzählungen von noch anderen ähnlichen
Fünden an derſelben Stelle in früherer Zeit, brachten Zannoni auf den Gedanken
größere Ausgrabungen daſelbſt zu verſuchen. Es geſchah, und zwar mit dem be-
deutendſten Erfolg. Bis jetzt ſind nämlich nicht weniger als 365 alte Gräber ge-
öffnet worden, und es iſt die gegründetſte Hoffnung vorhanden daß auch noch auf
andern Theilen des Stadtgebietes derartige Fünde werden gemacht werden. Hier wie
überall. in den etruskiſchen Nekropolen zeigten ſich zwei Beſtattungsweiſen neben
einander: Beerdigung der ganzen Leichen und Verbrennung derſelben. Die erſtere
Weiſe war 250ma l, die letztere 115mal angewandt. Die Skelette der unverbrann-
ten Leichen lagen entweder bloß in der Erde, oder in größeren und kleineren Holz-
ſärgen (casse di legno); die Aſchenhaufen der verbrannten Leichen fanden ſich
entweder gleichfalls bloß in der Erde, oder aber ſie waren in bronzenen Ciſten, in
bemalten und unbemalten großen Vaſen, einmal auch in einer Marmorvaſe
beigeſetzt.

Nach dem größeren oder geringeren Inhalt an Vaſen, Bronzen und andern
Gegenſtänden theilt nun Zannoni alle dieſe Gräber in drei Claſſen, und zwar die
der verbrannten Leichen in:

1) Fosse con ſittili cinericci e bruni,

2) Fosse con ſittili bruni o rossi (e talun ſittile è figurato),

3) Fosse con moltissimi ſittili figurati e bronzi;

die der nicht verbrannten Leichen in:

1) Fosse con entro lo scheletro in nuda terra con nessuno od appena
qualche rozzo ſittile bruno e rosso.

2) Fosse collo scheletro posto entro cassa di legno ed insieme a ſittili
bruni, verniciati, e figurati; talora a pochi bronzi.

3) Fosse collo scheletro giacente entro grandi casse rettangolari di
legno e con esso in molta copia grandi ſittili figurati, moltissimi
bronzi, poi unguentari di vetro smaltato etc.

Zannoni ſchließt hieran eine eingehende Beſchreibung von der Aufſtellung
und Reihenfolge der einzelnen dem Todten mitgegebenen Gegenſtände, und ſchil-
dert beſonders zwölf Gräber in ſehr anſchaulicher Weiſe. Doch würde hier eine
ſpeciellere Aufzählung zu weit führen. Es ſei nur bemerkt daß Hr. Zannoni im
ſtädtiſchen Muſeum zu Bologna den Inhalt mehrerer Gräber mit unverbrannten
Leichen in ſeiner urſprünglichen Aufſtellung gelaſſen, und daß das Gemeinſame der-
ſelben vorzugsweiſe darin beſteht daß die Skelette wie die Henkel der daneben
ſtehenden Gefäße faſt alle die Richtung von Oſt nach Weſt haben, in ihren Händen
(meiſtentheils in der Rechten) das aes rude halten, die Gefäße zur Linken haben,
und außerdem mit allerlei bald einfacheren, bald koſtbareren Schmuckſachen aus
Bronze, Silber, Gold, Glas und Perlen u. dgl. m. verſehen ſind. Vielfach finden
ſich auch zerbrochene Eierſchalen auf daneben ſtehenden Schalen. Dabei iſt es
nicht ſchwer an Ort und Stelle die ärmeren Claſſen der Bevölkerung von den wohl-
habenderen zu trennen. An den Schädeln will man freilich mehr die umbriſche
als die etruskiſche Race erkennen, jedoch dürfte es ſchwer halten in dieſer Beziehung
überall mit Sicherheit aufzutreten. So viel ſteht feſt daß die Bevölkerung welche
in dieſer Nekropole auf dem Campo ſanto der Certoſa begraben liegt und lag, mit
der in Mitteletrurien eine und dieſelbe Geſchmacksſtufe bezüglich ihres Gräber-
Cultus einnahm.

Unter den ſtelenförmigen (###) Grabdenkmälern ſind natürlich die mit
Sculpturen geſchmückten die intereſſanteſten. Inſchriften ſind nicht auf ihnen ge-
ſunden worden, dafür deſto mehr Reliefarbeiten, welche bezüglich der Technik im Gegen-
ſatze zu den gräciſirenden Vaſen eine nationale Kunſt zeigen. Die Darſtellungen auf
dieſen Stelen, welche wir hier nicht alle aufzählen können, ſind nach Zannoni’s
Bericht denen ſehr ähnlich die man in Mitteletrurien auf Sarkophagen und Urnen
und beſonders auf den Wandgemälden von Tarquinii und Vulci fand. Sie gehen
ſomit auf griechiſche Bildwerke, Anſchauungen und Ueberlieferungen zurück, und
beweiſen an ihrem Theile daß die Etraria circumpadana, ebenſo wie die Etruria
media
und wie auch Latium, in der Kunſt eine Nachhinkerin Griechenlands iſt.

Veſonders reich iſt der Vaſenfund. Außer zahlreichen Fragmenten ſind
nämlich etwas mehr als achthundert bemalte und unbemalte Vaſen aller Arten
und Formen zum Vorſchein gekommen, und zwar erinnern auch dieſe wiederum an
die mannichfachen Fünde von Cäre, Vulci, Tarquinii und Nola. Es ſind die ge-
wöhnlichen und bekannten griechiſchen Darſtellungen, beſonders viele aus den bac-
chiſchen Mythen. Die Frage welche Zannoni nach einer gedrängten Ueberſicht
daran knüpft: „Si domanda: cotesto stile secco, questi duri contorni, queste
figure con estremità imperſette, questi tipi più ſerini e selvaggi che umani,
si domanda, cotesta è una maniera più antica o di diversa nazione: è una
maniera imitativa dell’ antico, è parallela a questa de’ vasi a rosso su
campo nero che qui succedono?
“ — beweist daß es für den welcher bereits ein-
gehendere Studien über den Styl gemacht, von hohem Intereſſe ſein muß an Ort
und Stelle das Nebeneinander dieſer verſchiedenen Vaſen zu ſtudieren. Ob Nach-
ahmung, ob Original, das iſt jetzt ſeit der Veröffentlichung der Brunn’ſchen „Pro-

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[2/0002] einwenden, leider aber wurden oft die trefflichſten Plane vereitelt, weil in der Regel nur Gewinnſucht die Triebfeder auch für die Fremden geweſen iſt. Ein trauriges Beiſpiel bildet Aegypten, das unter den Händen der franzöſiſchen und der ita- lieniſchen Abenteurer ſich noch ſchlechter befindet als wenn es ausſchließlich von Ein- heimiſchen verwaltet würde. Auch die Lage Oeſterreich-Ungarns wird im ganzen richtig beurtheilt: die Hauptfrage ſei nicht eine Rechtsfrage, ſondern eine ethnographiſche oder Racenfrage; auch was über die Verhältniſſe der einzelnen Nationalitäten geſagt wird iſt durch- aus richtig, im übrigen aber ſind die Dinge ſeitdem weſentlich verändert. Als der Aufſatz geſchrieben wurde (24 Auguſt), war das Miniſterium Hohenwart noch am Ruder und ſchien zum Ziele zu gelangen; ſeitdem ſind mit dieſem Cabinet ſeine Ausgleichsplane verworfen, iſt der Reichskanzler geſtürzt worden; die Dinge ſind auch in dieſem Augenblick noch im Fluß, und da in jedem Staate die äußere Poli- tik ſehr weſentlich von der Geſundheit ſeiner inneren Zuſtände abhängt, ſo kann auch über die äußere Politik Oeſterreichs nichts beſtimmtes geſagt werden ſolange ſeine inneren Verhältniſſe nicht geordnet ſind. Für jetzt ſind ſeine Beziehungen zu allen Mächten durchaus befriedigende. Bei Beſprechung Italiens wird die franzöſiſche Regierung mit Recht getadelt wegen des kleinlichen Schrittes den ſie bei der Ueberſiedelung der italieniſchen Re- gierung nach Rom that, indem ſie ihren Geſandten, Hrn. v. Choiſeul, anwies in Ur- laub zu gehen, und einem Secretär die Vertretung Frankreichs übertrug. Der Ver- faſſer empfiehlt den franzöſiſchen Staatslenkern: die Allianz mit Italien mit allen Mitteln zu pflegen und wieder aufzufriſchen; die Verührungspunkte zwiſchen beiden Staaten ſeien vorhanden, aber es ſeien zarte Hände erforderlich zur Pflege eines ſo ſchwer zu behandelnden Gewächſes. Es iſt eine auffallende Erſcheinung daß früher, ſolange Italien unter eine Vielzahl von Herrſchern, darunter mehrere deren Herr- ſchaft niemals Wurzel im Volke geſchlagen hatte, getheilt war, gerade die liberalen Politiker Frankreichs die Einheit Italiens vertraten, und jetzt, nachdem dieſelbe zur Thatſache geworden iſt, manche die Umwandlung Italiens in einen Bundesſtaat anſtreben. Auch der Anonymus vertritt dieſe Idee, jedoch ohne tiefere Begründung, uns ſcheint eine ſolche Entwicklung im höchſten Grad unwahrſcheinlich. Italien wird auf dem Wege der Decentraliſation noch viel weiter fortſchreiten müſſen, aber ſeine Zerlegung in verſchiedene Staaten würden wir für ein nationales Un- glück halten. Die beiden letzten Briefe ſind Deutſchland gewidmet. Der Verfaſſer ſucht die Behauptung des Fürſten Bismarck, daß Frankreich von jeher Deutſchland mit Krieg überzogen habe zum Zweck der Eroberung, durch die Anführung zu wider- legen daß beide Nationen alte Streitpunkte gehabt, und daß die häuſige Ueber- ziehung Deutſchlands durch franzöſiſche Heere die nothwendige Folge ſeiner Schwäche und Getheiltheit geweſen. Aus dieſem Grunde ſei nichts berechtigter geweſen als das Streben nach Einheit, und von hier aus könne einſt wieder ein aufrichtiges und dauerhaftes Einvernehmen zwiſchen bekden Nachbarländern ent- ſtehen, wenn Frankreich erſt an der Spitze ſeiner Regierung Männer habe welche würdig ſind ſeine Geſchicke zu leiten. Wir verargen es dem Verfaſſer nicht wenn er die Abtretung von Elſaß-Lothringen beklagt, und ſtatt ihrer die Neutraliſirung dieſer Provinzen und Schleifung der Feſtungen vorgezogen hätte; aber wir begreifen nicht wie er in einer ſolchen Löſung eine Garantie eines dauerhaften Friedens er- blicken kann. Gerade die jüngſte Geſchichte hat zur Evidenz gezeigt daß mächtige Staaten derartige Servitutrechte nur ſo lange ertragen als ſie zu ſchwach ſind die- ſelben zu brechen. Niemals hätte das ſelbſtbewußte Frankreich eine ſolche Be- ſchränkung ſich länger als einige Jahre gefallen laſſen; dann hätte es die betreffen- den Beſtimmungen des Friedensvertrags für unverbindlich erklärt, und Deutſch- land hätte entweder dieſe Schmach ſich gefallen laſſen oder einen neuen Krieg, ſelbſt- verſtändlich unter weit ungünſtigeren Bedingungen als nach Sedan, führen müſſen. Hierüber ſollte doch kein Zweifel mehr beſtehen. Die Naivetät auf die Spitze treiben, heißt es aber wenn der Verfaſſer zu der Neutraliſirung des Elſaßes, der Symmetrie halber, auch die des Großherzogthums Vaden verlangt! Die Beſpre- chung des Verhältniſſes von Elſaß-Lothringen zum Reiche wie der inneren Lage Deutſchlands iſt im ganzen richtig, nur glaubt der Verfaſſer in letzterem überall den Fortſchritt der Uniſicationsbeſtrebungen des Reichskanzlers zu erkennen. Am Schluſſe des Büchleins werden die Veziehungen Deutſchlands zu Oeſterreich be- ſprochen, die Gründe zu der Aunäherung an Oeſterreich ſeien hienach in der Be- ſorgniß Bismarcks gelegen eines Tages die vereinigten Heere Frankreichs und Oeſterreichs bekämpfen zu müſſen; Oeſterreich habe dieſes Entgegenkommen an- nehmen müſſen, da es aus demſelben für die Entwirrung ſeiner inneren Verhält- niſſe großen Nutzen ziehen könne; Frankreich habe über dieſe Annäherung der Sie- ger und der Beſiegten von Sadowa ſich nicht zu beunruhigen. Wir können das trefflich geſchriebene Büchlein nicht aus der Hand legen, ohne es gerade jetzt, an der Jahreswende, als eine vorzügliche Rück- und Umſchau über die gegenwärtige politiſche Lage Europa’s zu empfehlen. Die jüngſten Alterthumsfünde in der Umgegend von Bologna. ≡ Unter allen Entdeckungen und Ausgrabungen über welche im Laufe des Jahres von Italien Kunde kam, dürften die in der Nähe und Umgegend von Bo- logna gemachten mit zu den reichhaltigſten und intereſſanteſten gehören. Sie wer- fen ein neues Licht auf die alte Cultur der Etruria circumpadana, deren Fünde bisher im Vergleich zu denen der Etruria media nur ſehr gering waren. Während z. B. in letzterem Lande beſonders ſeit dem Jahre 1828 ein ſolcher Reichthum von bemalten Vaſen ans Licht kam (man erinnere ſich nur der Städte Vulci und Chiuſi), daß es in dieſer Beziehung mit Campanien und Unteritalien gleichgeſtellt werden konnte, fanden ſich nördlich vom Apennin nur wenige, einige in Bologna, andere in Modena, etwas mehr in Adria. Dieſe Vaſen aber mochte man ihrer geringen Anzahl wegen ebenſo wenig wie die im Norden von Italien vereinzelt gefundenen Bronzen, ſo ſehr auch die Einwirkung etruskiſcher Cultur an ihnen zu- gegeben werden mußte, als Beweiſe für größere etruskiſche Anſiedelungen daſelbſt gelten laſſen. Aber gerade in dieſem Punkte ſind wir jetzt durch die jüngſten Ent- deckungen, beſonders durch die Ausgrabungen auf dem Campo santo der Certoſa bei Bologna, eines beſſern belehrt worden. Ein eben erſt erſchienener ausführlicher Bericht des fleißigen und umſichtigen Architekten Zannoni, der dieſe Ausgrabungen leitete, liegt darüber vor: Sugli Scavi della Certosa. Relazione letta all’ inaugurazione del museo civico di Bologna il 2 ottobre 1871 dall’ Ingeguere- Architetto Capo Antonio Zannoni. Bologna 1871. Eine ganze Nekropole iſt es die Zannoni hier auf dem Campo ſanto der Certoſa, eine halbe Stunde weſtlich von der Stadt, aufgefunden hat; und ſeine Vermuthung daß daſelbſt ein Theil der Bevölkerung der alten Stadt Felſina ſeine Ruheſtätte hatte, ſcheint auch uns viel Wahrſcheinlichkeit zu haben. Es iſt dieß jenes etruskiſche Felſina das mehrfach von römiſchen Autoren als princeps der Etruria circumpadana bezeichnet wird, bis zu welchem im Jahre 196 v. Chr. zwei römiſche Conſuln, mit ihren H eeren gegen die Boier kämpfend, vordrangen, und wo im Jahre 189 v. Chr. die römiſche Colonie Bononig (das heutige Bologna) gegründet ward (cf. Livius, 33, 37 und 37, 57). Eine Ciſte aus Bronze, im Jahre 1869 gefunden, die Nachricht von mehreren wieder verloren gegangenen bemalten Thonvaſen und Bronzen, welche ſchon im Jahre 1835 gefunden worden, endlich Erzählungen von noch anderen ähnlichen Fünden an derſelben Stelle in früherer Zeit, brachten Zannoni auf den Gedanken größere Ausgrabungen daſelbſt zu verſuchen. Es geſchah, und zwar mit dem be- deutendſten Erfolg. Bis jetzt ſind nämlich nicht weniger als 365 alte Gräber ge- öffnet worden, und es iſt die gegründetſte Hoffnung vorhanden daß auch noch auf andern Theilen des Stadtgebietes derartige Fünde werden gemacht werden. Hier wie überall. in den etruskiſchen Nekropolen zeigten ſich zwei Beſtattungsweiſen neben einander: Beerdigung der ganzen Leichen und Verbrennung derſelben. Die erſtere Weiſe war 250ma l, die letztere 115mal angewandt. Die Skelette der unverbrann- ten Leichen lagen entweder bloß in der Erde, oder in größeren und kleineren Holz- ſärgen (casse di legno); die Aſchenhaufen der verbrannten Leichen fanden ſich entweder gleichfalls bloß in der Erde, oder aber ſie waren in bronzenen Ciſten, in bemalten und unbemalten großen Vaſen, einmal auch in einer Marmorvaſe beigeſetzt. Nach dem größeren oder geringeren Inhalt an Vaſen, Bronzen und andern Gegenſtänden theilt nun Zannoni alle dieſe Gräber in drei Claſſen, und zwar die der verbrannten Leichen in: 1) Fosse con ſittili cinericci e bruni, 2) Fosse con ſittili bruni o rossi (e talun ſittile è figurato), 3) Fosse con moltissimi ſittili figurati e bronzi; die der nicht verbrannten Leichen in: 1) Fosse con entro lo scheletro in nuda terra con nessuno od appena qualche rozzo ſittile bruno e rosso. 2) Fosse collo scheletro posto entro cassa di legno ed insieme a ſittili bruni, verniciati, e figurati; talora a pochi bronzi. 3) Fosse collo scheletro giacente entro grandi casse rettangolari di legno e con esso in molta copia grandi ſittili figurati, moltissimi bronzi, poi unguentari di vetro smaltato etc. Zannoni ſchließt hieran eine eingehende Beſchreibung von der Aufſtellung und Reihenfolge der einzelnen dem Todten mitgegebenen Gegenſtände, und ſchil- dert beſonders zwölf Gräber in ſehr anſchaulicher Weiſe. Doch würde hier eine ſpeciellere Aufzählung zu weit führen. Es ſei nur bemerkt daß Hr. Zannoni im ſtädtiſchen Muſeum zu Bologna den Inhalt mehrerer Gräber mit unverbrannten Leichen in ſeiner urſprünglichen Aufſtellung gelaſſen, und daß das Gemeinſame der- ſelben vorzugsweiſe darin beſteht daß die Skelette wie die Henkel der daneben ſtehenden Gefäße faſt alle die Richtung von Oſt nach Weſt haben, in ihren Händen (meiſtentheils in der Rechten) das aes rude halten, die Gefäße zur Linken haben, und außerdem mit allerlei bald einfacheren, bald koſtbareren Schmuckſachen aus Bronze, Silber, Gold, Glas und Perlen u. dgl. m. verſehen ſind. Vielfach finden ſich auch zerbrochene Eierſchalen auf daneben ſtehenden Schalen. Dabei iſt es nicht ſchwer an Ort und Stelle die ärmeren Claſſen der Bevölkerung von den wohl- habenderen zu trennen. An den Schädeln will man freilich mehr die umbriſche als die etruskiſche Race erkennen, jedoch dürfte es ſchwer halten in dieſer Beziehung überall mit Sicherheit aufzutreten. So viel ſteht feſt daß die Bevölkerung welche in dieſer Nekropole auf dem Campo ſanto der Certoſa begraben liegt und lag, mit der in Mitteletrurien eine und dieſelbe Geſchmacksſtufe bezüglich ihres Gräber- Cultus einnahm. Unter den ſtelenförmigen (###) Grabdenkmälern ſind natürlich die mit Sculpturen geſchmückten die intereſſanteſten. Inſchriften ſind nicht auf ihnen ge- ſunden worden, dafür deſto mehr Reliefarbeiten, welche bezüglich der Technik im Gegen- ſatze zu den gräciſirenden Vaſen eine nationale Kunſt zeigen. Die Darſtellungen auf dieſen Stelen, welche wir hier nicht alle aufzählen können, ſind nach Zannoni’s Bericht denen ſehr ähnlich die man in Mitteletrurien auf Sarkophagen und Urnen und beſonders auf den Wandgemälden von Tarquinii und Vulci fand. Sie gehen ſomit auf griechiſche Bildwerke, Anſchauungen und Ueberlieferungen zurück, und beweiſen an ihrem Theile daß die Etraria circumpadana, ebenſo wie die Etruria media und wie auch Latium, in der Kunſt eine Nachhinkerin Griechenlands iſt. Veſonders reich iſt der Vaſenfund. Außer zahlreichen Fragmenten ſind nämlich etwas mehr als achthundert bemalte und unbemalte Vaſen aller Arten und Formen zum Vorſchein gekommen, und zwar erinnern auch dieſe wiederum an die mannichfachen Fünde von Cäre, Vulci, Tarquinii und Nola. Es ſind die ge- wöhnlichen und bekannten griechiſchen Darſtellungen, beſonders viele aus den bac- chiſchen Mythen. Die Frage welche Zannoni nach einer gedrängten Ueberſicht daran knüpft: „Si domanda: cotesto stile secco, questi duri contorni, queste figure con estremità imperſette, questi tipi più ſerini e selvaggi che umani, si domanda, cotesta è una maniera più antica o di diversa nazione: è una maniera imitativa dell’ antico, è parallela a questa de’ vasi a rosso su campo nero che qui succedono?“ — beweist daß es für den welcher bereits ein- gehendere Studien über den Styl gemacht, von hohem Intereſſe ſein muß an Ort und Stelle das Nebeneinander dieſer verſchiedenen Vaſen zu ſtudieren. Ob Nach- ahmung, ob Original, das iſt jetzt ſeit der Veröffentlichung der Brunn’ſchen „Pro-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 1, 1. Januar 1872, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine01_1872/2>, abgerufen am 04.12.2024.