Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder¬ stürzte. "Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, -- ich will sehn, ob da zu helfen ist." Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass Jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebär¬ den um, wie ein von aller Welt Verlassener und Ver¬ einsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:
Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heisse Hände!
gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd, Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt --
Der Zauberer.
1.
Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder¬ stürzte. „Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, — ich will sehn, ob da zu helfen ist.“ Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass Jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebär¬ den um, wie ein von aller Welt Verlassener und Ver¬ einsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:
Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heisse Hände!
gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd, Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt —
<TEI><text><body><pbfacs="#f0033"n="26"/><divn="1"><head>Der Zauberer.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>1.<lb/></head><p>Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog,<lb/>
da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen<lb/>
Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein<lb/>
Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder¬<lb/>
stürzte. „Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen,<lb/>
Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm<lb/>
kam jener schlimme Nothschrei, — ich will sehn, ob da<lb/>
zu helfen ist.“ Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo<lb/>
der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden<lb/>
alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich<lb/>
Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder<lb/>
auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien<lb/>
der Unglückliche nicht zu merken, dass Jemand um ihn<lb/>
sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebär¬<lb/>
den um, wie ein von aller Welt Verlassener und Ver¬<lb/>
einsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken<lb/>
und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu<lb/>
jammern:</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?</l><lb/><lrendition="#et">Gebt heisse Hände!</l><lb/><lrendition="#et">gebt Herzens-Kohlenbecken!</l><lb/><l>Hingestreckt, schaudernd,</l><lb/><l>Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt —</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[26/0033]
Der Zauberer.
1.
Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog,
da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen
Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein
Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder¬
stürzte. „Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen,
Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm
kam jener schlimme Nothschrei, — ich will sehn, ob da
zu helfen ist.“ Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo
der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden
alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich
Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder
auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien
der Unglückliche nicht zu merken, dass Jemand um ihn
sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebär¬
den um, wie ein von aller Welt Verlassener und Ver¬
einsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken
und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu
jammern:
Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heisse Hände!
gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd,
Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/33>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.