Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch Furcht nämlich -- das ist des Menschen Erb- und Die Furcht nämlich vor wildem Gethier -- die wurde Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der Furcht nämlich -- ist unsre Ausnahme. Muth aber Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich, Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch Furcht nämlich — das ist des Menschen Erb- und Die Furcht nämlich vor wildem Gethier — die wurde Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der Furcht nämlich — ist unsre Ausnahme. Muth aber Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0105" n="98"/> <p>Und nicht die Führer <hi rendition="#g">aus</hi> der Gefahr gefallen euch<lb/> am besten, sondern die euch von allen Wegen abführen,<lb/> die Verführer. Aber, wenn solch Gelüsten an euch<lb/><hi rendition="#g">wirklich</hi> ist, so dünkt es mich trotzdem <hi rendition="#g">unmöglich</hi>.</p><lb/> <p>Furcht nämlich — das ist des Menschen Erb- und<lb/> Grundgefühl; aus der Furcht erklärt sich Jegliches, Erb¬<lb/> sünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch<lb/><hi rendition="#g">meine</hi> Tugend, die heisst: Wissenschaft.</p><lb/> <p>Die Furcht nämlich vor wildem Gethier — die wurde<lb/> dem Menschen am längsten angezüchtet, einschliesslich<lb/> das Thier, das er in sich selber birgt und fürchtet: —<lb/> Zarathustra heisst es „das innere Vieh“.</p><lb/> <p>Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden,<lb/> geistlich, geistig — heute, dünkt mich, heisst sie:<lb/><hi rendition="#g">Wissenschaft</hi>.“ —</p><lb/> <p>Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der<lb/> eben in seine Höhle zurückkam und die letzte Rede ge¬<lb/> hört und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine<lb/> Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner „Wahrheiten“.<lb/> „Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich<lb/> dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine<lb/> „Wahrheit“ stelle ich rucks und flugs auf den Kopf.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Furcht</hi> nämlich — ist unsre Ausnahme. Muth aber<lb/> und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten,<lb/> — <hi rendition="#g">Muth</hi> dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.</p><lb/> <p>Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre<lb/> Tugenden abgeneidet und abgeraubt: so erst wurde er<lb/> — zum Menschen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Dieser</hi> Muth, endlich fein geworden, geistlich,<lb/> geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und<lb/> Schlangen-Klugheit: <hi rendition="#g">der</hi>, dünkt mich, heisst heute —“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0105]
Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch
am besten, sondern die euch von allen Wegen abführen,
die Verführer. Aber, wenn solch Gelüsten an euch
wirklich ist, so dünkt es mich trotzdem unmöglich.
Furcht nämlich — das ist des Menschen Erb- und
Grundgefühl; aus der Furcht erklärt sich Jegliches, Erb¬
sünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch
meine Tugend, die heisst: Wissenschaft.
Die Furcht nämlich vor wildem Gethier — die wurde
dem Menschen am längsten angezüchtet, einschliesslich
das Thier, das er in sich selber birgt und fürchtet: —
Zarathustra heisst es „das innere Vieh“.
Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden,
geistlich, geistig — heute, dünkt mich, heisst sie:
Wissenschaft.“ —
Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der
eben in seine Höhle zurückkam und die letzte Rede ge¬
hört und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine
Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner „Wahrheiten“.
„Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich
dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine
„Wahrheit“ stelle ich rucks und flugs auf den Kopf.
Furcht nämlich — ist unsre Ausnahme. Muth aber
und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten,
— Muth dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.
Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre
Tugenden abgeneidet und abgeraubt: so erst wurde er
— zum Menschen.
Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich,
geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und
Schlangen-Klugheit: der, dünkt mich, heisst heute —“
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/105>, abgerufen am 16.02.2025. |