Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn Die Vergangnen zu erlösen und alles "Es war" Wille -- so heisst der Befreier und Freudebringer: Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den "Es war": also heisst des Willens Zähneknirschen Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn Die Vergangnen zu erlösen und alles „Es war“ Wille — so heisst der Befreier und Freudebringer: Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den „Es war“: also heisst des Willens Zähneknirschen Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0098" n="88"/> <p>Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein<lb/> Befreier? Oder ein Bändiger? Ein Guter? Oder ein<lb/> Böser?</p><lb/> <p>Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken<lb/> der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.</p><lb/> <p>Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass<lb/> ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruch¬<lb/> stück ist und Räthsel und grauser Zufall.</p><lb/> <p>Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn<lb/> der Mensch nicht auch Dichter und Räthselrather und<lb/> der Erlöser des Zufalls wäre!</p><lb/> <p>Die Vergangnen zu erlösen und alles „Es war“<lb/> umzuschaffen in ein „So wollte ich es!“ — das hiesse<lb/> mir erst Erlösung!</p><lb/> <p>Wille — so heisst der Befreier und Freudebringer:<lb/> also lehrte ich euch, meine Freunde! Aber nun lernt<lb/> diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener.</p><lb/> <p>Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den<lb/> Befreier noch in Ketten schlägt?</p><lb/> <p>„Es war“: also heisst des Willens Zähneknirschen<lb/> und einsamste Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was<lb/> gethan ist — ist er allem Vergangenen ein böser<lb/> Zuschauer.</p><lb/> <p>Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die<lb/> Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, —<lb/> das ist des Willens einsamste Trübsal.</p><lb/> <p>Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen<lb/> selber, dass es los seiner Trübsal werde und seines<lb/> Kerkers spotte?</p><lb/> <p>Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch<lb/> erlöst sich auch der gefangene Wille.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [88/0098]
Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein
Befreier? Oder ein Bändiger? Ein Guter? Oder ein
Böser?
Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken
der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.
Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass
ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruch¬
stück ist und Räthsel und grauser Zufall.
Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn
der Mensch nicht auch Dichter und Räthselrather und
der Erlöser des Zufalls wäre!
Die Vergangnen zu erlösen und alles „Es war“
umzuschaffen in ein „So wollte ich es!“ — das hiesse
mir erst Erlösung!
Wille — so heisst der Befreier und Freudebringer:
also lehrte ich euch, meine Freunde! Aber nun lernt
diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener.
Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den
Befreier noch in Ketten schlägt?
„Es war“: also heisst des Willens Zähneknirschen
und einsamste Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was
gethan ist — ist er allem Vergangenen ein böser
Zuschauer.
Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die
Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, —
das ist des Willens einsamste Trübsal.
Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen
selber, dass es los seiner Trübsal werde und seines
Kerkers spotte?
Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch
erlöst sich auch der gefangene Wille.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |