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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre
"Gerechtigkeit" munter und reibt sich die verschlafenen
Augen.

Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen:
ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um
so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde
nach ihrem Gotte.

Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren,
ihr Tugendhaften: "was ich nicht bin, das, das ist
mir Gott und Tugend!"

Und Andre giebt es, die kommen schwer und
knarrend daher, gleich Wägen, die Steine abwärts
fahren: die reden viel von Würde und Tugend, -- ihren
Hemmschuh heissen sie Tugend!

Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-
Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak
und wollen, dass man Tiktak -- Tugend heisse.

Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich
solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte
aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!

Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerech¬
tigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen
Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit
ertränkt wird.

Ach, wie übel ihnen das Wort "Tugend" aus dem
Munde läuft! Und wenn sie sagen: "ich bin gerecht,"
so klingt es immer gleich wie: "ich bin gerächt!"

Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die
Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre
zu erniedrigen.

2*

ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre
„Gerechtigkeit“ munter und reibt sich die verschlafenen
Augen.

Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen:
ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um
so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde
nach ihrem Gotte.

Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren,
ihr Tugendhaften: „was ich nicht bin, das, das ist
mir Gott und Tugend!“

Und Andre giebt es, die kommen schwer und
knarrend daher, gleich Wägen, die Steine abwärts
fahren: die reden viel von Würde und Tugend, — ihren
Hemmschuh heissen sie Tugend!

Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-
Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak
und wollen, dass man Tiktak — Tugend heisse.

Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich
solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte
aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!

Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerech¬
tigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen
Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit
ertränkt wird.

Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem
Munde läuft! Und wenn sie sagen: „ich bin gerecht,“
so klingt es immer gleich wie: „ich bin gerächt!“

Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die
Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre
zu erniedrigen.

2*
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[19/0029] ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre „Gerechtigkeit“ munter und reibt sich die verschlafenen Augen. Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte. Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: „was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tugend!“ Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend, — ihren Hemmschuh heissen sie Tugend! Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags- Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak — Tugend heisse. Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren! Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerech¬ tigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird. Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen: „ich bin gerecht,“ so klingt es immer gleich wie: „ich bin gerächt!“ Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen. 2*

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/29>, abgerufen am 18.04.2024.