Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut
barg ich dich vor den Wölfen.

Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwi¬
schen Morgenröthe und Morgenröthe kam mir eine
neue Wahrheit.

Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht
reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum
letzten Male sprach ich zu einem Todten.

Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden
will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich
ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen.

Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und
den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat für Uner¬
hörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit
meinem Glücke.

Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang;
über die Zögernden und Saumseligen werde ich hin¬
wegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!


10.

Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen ge¬
sprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte
er fragend in die Höhe -- denn er hörte über sich
den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler
zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng
eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer
Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt.

"Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und
freute sich von Herzen.

Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut
barg ich dich vor den Wölfen.

Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwi¬
schen Morgenröthe und Morgenröthe kam mir eine
neue Wahrheit.

Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht
reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum
letzten Male sprach ich zu einem Todten.

Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden
will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich
ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen.

Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und
den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat für Uner¬
hörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit
meinem Glücke.

Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang;
über die Zögernden und Saumseligen werde ich hin¬
wegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!


10.

Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen ge¬
sprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte
er fragend in die Höhe — denn er hörte über sich
den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler
zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng
eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer
Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt.

„Es sind meine Thiere!“ sagte Zarathustra und
freute sich von Herzen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="25"/>
Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut<lb/>
barg ich dich vor den Wölfen.</p><lb/>
          <p>Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwi¬<lb/>
schen Morgenröthe und Morgenröthe kam mir eine<lb/>
neue Wahrheit.</p><lb/>
          <p>Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht<lb/>
reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum<lb/>
letzten Male sprach ich zu einem Todten.</p><lb/>
          <p>Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden<lb/>
will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich<lb/>
ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen.</p><lb/>
          <p>Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und<lb/>
den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat für Uner¬<lb/>
hörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit<lb/>
meinem Glücke.</p><lb/>
          <p>Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang;<lb/>
über die Zögernden und Saumseligen werde ich hin¬<lb/>
wegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>10.<lb/></head>
          <p>Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen ge¬<lb/>
sprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte<lb/>
er fragend in die Höhe &#x2014; denn er hörte über sich<lb/>
den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler<lb/>
zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng<lb/>
eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer<lb/>
Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es sind meine Thiere!&#x201C; sagte Zarathustra und<lb/>
freute sich von Herzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0031] Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wölfen. Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwi¬ schen Morgenröthe und Morgenröthe kam mir eine neue Wahrheit. Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengräber. Nicht reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen. Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat für Uner¬ hörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem Glücke. Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werde ich hin¬ wegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang! 10. Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen ge¬ sprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte er fragend in die Höhe — denn er hörte über sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt. „Es sind meine Thiere!“ sagte Zarathustra und freute sich von Herzen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/31
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/31>, abgerufen am 04.12.2024.