Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen
Hause stehn, in dem ein Licht brannte.

Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra,
wie ein Räuber. In Wäldern und Sümpfen überfällt
mich mein Hunger und in tiefer Nacht.

Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft
kommt er mir erst nach der Mahlzeit, und heute kam
er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch?

Und damit schlug Zarathustra an das Thor des
Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht
und fragte: "Wer kommt zu mir und zu meinem
schlimmen Schlafe?"

"Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra.

Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es
am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, er¬
quickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit."

Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und
bot Zarathustra Brod und Wein. "Eine böse Gegend
ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier.
Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler.
Aber heisse auch deinen Gefährten essen und trinken,
er ist müder als du." Zarathustra antwortete: "Todt
ist mein Gefährte, ich werde ihn schwerlich dazu über¬
reden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte
mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch
nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch
wohl!" --

Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und
vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn
er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte es, allem

kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen
Hause stehn, in dem ein Licht brannte.

Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra,
wie ein Räuber. In Wäldern und Sümpfen überfällt
mich mein Hunger und in tiefer Nacht.

Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft
kommt er mir erst nach der Mahlzeit, und heute kam
er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch?

Und damit schlug Zarathustra an das Thor des
Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht
und fragte: „Wer kommt zu mir und zu meinem
schlimmen Schlafe?“

„Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra.

Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es
am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, er¬
quickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.“

Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und
bot Zarathustra Brod und Wein. „Eine böse Gegend
ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier.
Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler.
Aber heisse auch deinen Gefährten essen und trinken,
er ist müder als du.“ Zarathustra antwortete: „Todt
ist mein Gefährte, ich werde ihn schwerlich dazu über¬
reden.“ „Das geht mich Nichts an, sagte der Alte
mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch
nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch
wohl!“ —

Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und
vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn
er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte es, allem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="22"/>
kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen<lb/>
Hause stehn, in dem ein Licht brannte.</p><lb/>
          <p>Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra,<lb/>
wie ein Räuber. In Wäldern und Sümpfen überfällt<lb/>
mich mein Hunger und in tiefer Nacht.</p><lb/>
          <p>Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft<lb/>
kommt er mir erst nach der Mahlzeit, und heute kam<lb/>
er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch?</p><lb/>
          <p>Und damit schlug Zarathustra an das Thor des<lb/>
Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht<lb/>
und fragte: &#x201E;Wer kommt zu mir und zu meinem<lb/>
schlimmen Schlafe?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra.</p><lb/>
          <p>Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es<lb/>
am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, er¬<lb/>
quickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und<lb/>
bot Zarathustra Brod und Wein. &#x201E;Eine böse Gegend<lb/>
ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier.<lb/>
Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler.<lb/>
Aber heisse auch deinen Gefährten essen und trinken,<lb/>
er ist müder als du.&#x201C; Zarathustra antwortete: &#x201E;Todt<lb/>
ist mein Gefährte, ich werde ihn schwerlich dazu über¬<lb/>
reden.&#x201C; &#x201E;Das geht mich Nichts an, sagte der Alte<lb/>
mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch<lb/>
nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch<lb/>
wohl!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und<lb/>
vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn<lb/>
er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte es, allem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0028] kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht brannte. Der Hunger überfällt mich, sagte Zarathustra, wie ein Räuber. In Wäldern und Sümpfen überfällt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht und fragte: „Wer kommt zu mir und zu meinem schlimmen Schlafe?“ „Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, er¬ quickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.“ Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurück und bot Zarathustra Brod und Wein. „Eine böse Gegend ist's für Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse auch deinen Gefährten essen und trinken, er ist müder als du.“ Zarathustra antwortete: „Todt ist mein Gefährte, ich werde ihn schwerlich dazu über¬ reden.“ „Das geht mich Nichts an, sagte der Alte mürrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch wohl!“ — Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgänger und liebte es, allem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/28
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/28>, abgerufen am 04.12.2024.