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Nietzsche, Friedrich: Homer und die klassische Philologie. Basel, 1869.

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Zweifeln den Gesammtcharakter der jetzigen klassischen Philologie als etwas durchaus fragwürdiges bezeichnen, welchen Einfluss müssen dann die Ausbrüche des "Realisten" und die Phrasen der Tageshelden bekommen? Letzteren zu antworten und an dieser Stelle dürfte im Hinblick auf den hier versammelten Kreis von Männern durchaus unzutreffend sein; wenn es mir nicht ergehen soll, wie jenem Sophisten, der in Sparta den Heracles öffentlich zu loben und zu vertheidigen unternahm, aber von dem Rufe unterbrochen wurde: "Wer hat ihn denn getadelt?" Dagegen kann ich mich des Gedankens nicht entschlagen, dass auch in diesem Kreis hier und dort einige jener Bedenken nachklingen, wie sie gerade häufig aus dem Munde edler und künstlerisch befähigter Menschen zu hören sind, ja wie sie ein redlicher Philolog wahrhaftig nicht etwa in den dumpfen Momenten herabgedrückter Stimmung auf das quälendste zu empfinden hat. Für den Einzelnen giebt es auch gar keine Rettung vor dem vorher geschilderten Zwiespalt: was wir aber behaupten und bannerartig hoch halten, das ist die Thatsache, dass die klassische Philologie in ihrem grossen Ganzen nichts mit diesen Kämpfen und Betrübungen ihrer einzelnen Jünger zu thun hat. Die gesammte wissenschaftlich-künstlerische Bewegung dieses sonderbaren Centauren geht mit ungeheurer Wucht, aber cyklopischer Langsamkeit darauf aus, jene Kluft zwischen dem idealen Alterthum - das vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden ist - und dem realen zu überbrücken; und damit erstrebt die klassische Philologie nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, völliges Verwachsen und Einswerden der anfänglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundtriebe. Mag man auch von Unerreichbarkeit des Zieles reden, ja das Ziel selbst als eine unlogische Forderung bezeichnen - das Streben, die Bewegung auf jener Linie hin ist vorhanden, und ich möchte es versuchen, einmal an einem Beispiel deutlich zu machen, wie die bedeutendsten Schritte der klassischen Philologie niemals vom idealen Alterthum weg, sondern zu ihm hin führen, und wie gerade dort,

Zweifeln den Gesammtcharakter der jetzigen klassischen Philologie als etwas durchaus fragwürdiges bezeichnen, welchen Einfluss müssen dann die Ausbrüche des «Realisten» und die Phrasen der Tageshelden bekommen? Letzteren zu antworten und an dieser Stelle dürfte im Hinblick auf den hier versammelten Kreis von Männern durchaus unzutreffend sein; wenn es mir nicht ergehen soll, wie jenem Sophisten, der in Sparta den Heracles öffentlich zu loben und zu vertheidigen unternahm, aber von dem Rufe unterbrochen wurde: «Wer hat ihn denn getadelt?» Dagegen kann ich mich des Gedankens nicht entschlagen, dass auch in diesem Kreis hier und dort einige jener Bedenken nachklingen, wie sie gerade häufig aus dem Munde edler und künstlerisch befähigter Menschen zu hören sind, ja wie sie ein redlicher Philolog wahrhaftig nicht etwa in den dumpfen Momenten herabgedrückter Stimmung auf das quälendste zu empfinden hat. Für den Einzelnen giebt es auch gar keine Rettung vor dem vorher geschilderten Zwiespalt: was wir aber behaupten und bannerartig hoch halten, das ist die Thatsache, dass die klassische Philologie in ihrem grossen Ganzen nichts mit diesen Kämpfen und Betrübungen ihrer einzelnen Jünger zu thun hat. Die gesammte wissenschaftlich-künstlerische Bewegung dieses sonderbaren Centauren geht mit ungeheurer Wucht, aber cyklopischer Langsamkeit darauf aus, jene Kluft zwischen dem idealen Alterthum – das vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden ist – und dem realen zu überbrücken; und damit erstrebt die klassische Philologie nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, völliges Verwachsen und Einswerden der anfänglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundtriebe. Mag man auch von Unerreichbarkeit des Zieles reden, ja das Ziel selbst als eine unlogische Forderung bezeichnen – das Streben, die Bewegung auf jener Linie hin ist vorhanden, und ich möchte es versuchen, einmal an einem Beispiel deutlich zu machen, wie die bedeutendsten Schritte der klassischen Philologie niemals vom idealen Alterthum weg, sondern zu ihm hin führen, und wie gerade dort,

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Zweifeln den Gesammtcharakter der jetzigen klassischen Philologie als etwas durchaus fragwürdiges bezeichnen, welchen Einfluss müssen dann die Ausbrüche des «Realisten» und die Phrasen der Tageshelden bekommen? Letzteren zu antworten und an dieser Stelle dürfte im Hinblick auf den hier versammelten Kreis von Männern durchaus unzutreffend sein; wenn es mir nicht ergehen soll, wie jenem Sophisten, der in Sparta den Heracles öffentlich zu loben und zu vertheidigen unternahm, aber von dem Rufe unterbrochen wurde: «Wer hat ihn denn getadelt?» Dagegen kann ich mich des Gedankens nicht entschlagen, dass auch in diesem Kreis hier und dort einige jener Bedenken nachklingen, wie sie gerade häufig aus dem Munde edler und künstlerisch befähigter Menschen zu hören sind, ja wie sie ein redlicher Philolog wahrhaftig nicht etwa in den dumpfen Momenten herabgedrückter Stimmung auf das quälendste zu empfinden hat. Für den Einzelnen giebt es auch gar keine Rettung vor dem vorher geschilderten Zwiespalt: was wir aber behaupten und bannerartig hoch halten, das ist die Thatsache, dass die klassische Philologie in ihrem grossen Ganzen nichts mit diesen Kämpfen und Betrübungen ihrer einzelnen Jünger zu thun hat. Die gesammte wissenschaftlich-künstlerische Bewegung dieses sonderbaren Centauren geht mit ungeheurer Wucht, aber cyklopischer Langsamkeit darauf aus, jene Kluft zwischen dem idealen Alterthum &#x2013; das vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden ist &#x2013; und dem realen zu überbrücken; und damit erstrebt die klassische Philologie nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, völliges Verwachsen und Einswerden der anfänglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundtriebe. Mag man auch von Unerreichbarkeit des Zieles reden, ja das Ziel selbst als eine unlogische Forderung bezeichnen &#x2013; das Streben, die Bewegung auf jener Linie hin ist vorhanden, und ich möchte es versuchen, einmal an einem Beispiel deutlich zu machen, wie die bedeutendsten Schritte der klassischen Philologie niemals vom idealen Alterthum weg, sondern zu ihm hin führen, und wie gerade dort,
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[9/0007] Zweifeln den Gesammtcharakter der jetzigen klassischen Philologie als etwas durchaus fragwürdiges bezeichnen, welchen Einfluss müssen dann die Ausbrüche des «Realisten» und die Phrasen der Tageshelden bekommen? Letzteren zu antworten und an dieser Stelle dürfte im Hinblick auf den hier versammelten Kreis von Männern durchaus unzutreffend sein; wenn es mir nicht ergehen soll, wie jenem Sophisten, der in Sparta den Heracles öffentlich zu loben und zu vertheidigen unternahm, aber von dem Rufe unterbrochen wurde: «Wer hat ihn denn getadelt?» Dagegen kann ich mich des Gedankens nicht entschlagen, dass auch in diesem Kreis hier und dort einige jener Bedenken nachklingen, wie sie gerade häufig aus dem Munde edler und künstlerisch befähigter Menschen zu hören sind, ja wie sie ein redlicher Philolog wahrhaftig nicht etwa in den dumpfen Momenten herabgedrückter Stimmung auf das quälendste zu empfinden hat. Für den Einzelnen giebt es auch gar keine Rettung vor dem vorher geschilderten Zwiespalt: was wir aber behaupten und bannerartig hoch halten, das ist die Thatsache, dass die klassische Philologie in ihrem grossen Ganzen nichts mit diesen Kämpfen und Betrübungen ihrer einzelnen Jünger zu thun hat. Die gesammte wissenschaftlich-künstlerische Bewegung dieses sonderbaren Centauren geht mit ungeheurer Wucht, aber cyklopischer Langsamkeit darauf aus, jene Kluft zwischen dem idealen Alterthum – das vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden ist – und dem realen zu überbrücken; und damit erstrebt die klassische Philologie nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, völliges Verwachsen und Einswerden der anfänglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundtriebe. Mag man auch von Unerreichbarkeit des Zieles reden, ja das Ziel selbst als eine unlogische Forderung bezeichnen – das Streben, die Bewegung auf jener Linie hin ist vorhanden, und ich möchte es versuchen, einmal an einem Beispiel deutlich zu machen, wie die bedeutendsten Schritte der klassischen Philologie niemals vom idealen Alterthum weg, sondern zu ihm hin führen, und wie gerade dort,

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Homer und die klassische Philologie. Basel, 1869, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_homer_1869/7>, abgerufen am 27.11.2024.