es hinreichend seyn, das Verhältniß derselben gegensei- tig zu einander und wechselseitig zu dem umfassende- ren Systeme in einigen Umrissen zu zeichnen.
In ihrer strengen Consequenz wissenschaftlich ge- faßt, sind beide nothwendig ganz falsch; wie überall, wo ein Theil für das Ganze genommen wird, alle auf die einseitige Ansicht gegründete Behauptungen durchaus falsch sind. Dies hindert aber nicht, einzuräumen, daß in beiden ein Theil des wahren Systems sey, und daß sie gegenseitig einander rectificiren und ergänzen. Der Philanthropinismus nimmt gegen den Huma- nismus die Nothwendigkeit in Schutz, in der Vil- dung des Lehrlings seine Beziehung zur objectiven Welt zu berücksichtigen; und hat darinn -- von dem wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus beurtheilt -- voll- kommen recht. Ist der Mensch nicht bloß Geist, und kann er als bloßer Geist nicht handeln, sondern muß sogar seine Aufgabe sich nach seiner Beziehung auf die objective Welt erst bestimmen, so muß er auch, wenn er nicht für diese Welt verbildet und in der Er- füllung seiner Bestimmung in derselben behindert wer- den soll, für diese Welt geübt werden. Allein eben diese Grundansicht des Philanthropinismus ist nur wahr als Gegensatz des Humanismus, der die Natur des Menschen, die er ganz vergeistiget, von jener Seite ver- kennt; an und für sich selbst aber ist sie unwahr, nicht nur inwiefern sie dieselbe Beziehung auf die objective Welt in einer niedrigen Rücksicht faßt, den Menschen als für die Erde allein bestimmt betrachtet, sondern
Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
es hinreichend ſeyn, das Verhaͤltniß derſelben gegenſei- tig zu einander und wechſelſeitig zu dem umfaſſende- ren Syſteme in einigen Umriſſen zu zeichnen.
In ihrer ſtrengen Conſequenz wiſſenſchaftlich ge- faßt, ſind beide nothwendig ganz falſch; wie uͤberall, wo ein Theil fuͤr das Ganze genommen wird, alle auf die einſeitige Anſicht gegruͤndete Behauptungen durchaus falſch ſind. Dies hindert aber nicht, einzuraͤumen, daß in beiden ein Theil des wahren Syſtems ſey, und daß ſie gegenſeitig einander rectificiren und ergaͤnzen. Der Philanthropiniſmus nimmt gegen den Huma- niſmus die Nothwendigkeit in Schutz, in der Vil- dung des Lehrlings ſeine Beziehung zur objectiven Welt zu beruͤckſichtigen; und hat darinn — von dem wiſſenſchaftlichen Geſichtspunkt aus beurtheilt — voll- kommen recht. Iſt der Menſch nicht bloß Geiſt, und kann er als bloßer Geiſt nicht handeln, ſondern muß ſogar ſeine Aufgabe ſich nach ſeiner Beziehung auf die objective Welt erſt beſtimmen, ſo muß er auch, wenn er nicht fuͤr dieſe Welt verbildet und in der Er- fuͤllung ſeiner Beſtimmung in derſelben behindert wer- den ſoll, fuͤr dieſe Welt geuͤbt werden. Allein eben dieſe Grundanſicht des Philanthropiniſmus iſt nur wahr als Gegenſatz des Humaniſmus, der die Natur des Menſchen, die er ganz vergeiſtiget, von jener Seite ver- kennt; an und fuͤr ſich ſelbſt aber iſt ſie unwahr, nicht nur inwiefern ſie dieſelbe Beziehung auf die objective Welt in einer niedrigen Ruͤckſicht faßt, den Menſchen als fuͤr die Erde allein beſtimmt betrachtet, ſondern
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Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
es hinreichend ſeyn, das Verhaͤltniß derſelben gegenſei-
tig zu einander und wechſelſeitig zu dem umfaſſende-
ren Syſteme in einigen Umriſſen zu zeichnen.
In ihrer ſtrengen Conſequenz wiſſenſchaftlich ge-
faßt, ſind beide nothwendig ganz falſch; wie uͤberall,
wo ein Theil fuͤr das Ganze genommen wird, alle auf
die einſeitige Anſicht gegruͤndete Behauptungen durchaus
falſch ſind. Dies hindert aber nicht, einzuraͤumen, daß
in beiden ein Theil des wahren Syſtems ſey, und daß
ſie gegenſeitig einander rectificiren und ergaͤnzen. Der
Philanthropiniſmus nimmt gegen den Huma-
niſmus die Nothwendigkeit in Schutz, in der Vil-
dung des Lehrlings ſeine Beziehung zur objectiven
Welt zu beruͤckſichtigen; und hat darinn — von dem
wiſſenſchaftlichen Geſichtspunkt aus beurtheilt — voll-
kommen recht. Iſt der Menſch nicht bloß Geiſt, und
kann er als bloßer Geiſt nicht handeln, ſondern muß
ſogar ſeine Aufgabe ſich nach ſeiner Beziehung auf die
objective Welt erſt beſtimmen, ſo muß er auch,
wenn er nicht fuͤr dieſe Welt verbildet und in der Er-
fuͤllung ſeiner Beſtimmung in derſelben behindert wer-
den ſoll, fuͤr dieſe Welt geuͤbt werden. Allein eben
dieſe Grundanſicht des Philanthropiniſmus iſt nur wahr
als Gegenſatz des Humaniſmus, der die Natur des
Menſchen, die er ganz vergeiſtiget, von jener Seite ver-
kennt; an und fuͤr ſich ſelbſt aber iſt ſie unwahr, nicht
nur inwiefern ſie dieſelbe Beziehung auf die objective
Welt in einer niedrigen Ruͤckſicht faßt, den Menſchen
als fuͤr die Erde allein beſtimmt betrachtet, ſondern
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/83>, abgerufen am 16.02.2025.
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