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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Wissenschaftl. Gesichtspunkt d. Untersuchung.
einer höhern Welt leicht wieder zu beleben, oder zu er-
setzen: wenn ihr überhaupt versäumet, in dem Lehrling
früh den Sinn für Geist und Geistiges zu wecken, die
Innenwelt, die ihm noch näher liegt als selbst die
Außenwelt, ihm aufzuschließen; wenn ihr ihm die Welt
der Phantasie, das eigentliche Jugendland, verschließet,
und dagegen ihn in den Kreis der starren äußeren Um-
gebungen hinein methodisch bannet; wenn ihr nichts
eiliger und eifriger mit ihm betreibt, als die Materie
und ihre Formen von allen Seiten zu betrachten, und
zu messen und zu zählen; wenn ihr nichts angelegent-
lichers wißt, als mit Beschauen eurer Cabinete, bunter
Vögel, Schnecken, Muscheln, Steine und so weiter,
die ganze Unterrichtszeit auszufüllen; wenn ihr sogar
in euern Bilderbüchern euern Kindern nicht etwa schö-
ne Formen oder auch nur freie lustige Gestalten, son-
dern Messer, Scheere, Nadel, und dergleichen Dinge
zeichnet, die sie richtiger und wahrer täglich in natura
sehen, und die in aller Welt nichts weiter als ihre
eigne unbedeutende Gestalt vermögen zu bedeuten oder
anzudeuten; wenn ihr den Menschen, anstatt in seinen
großen Mustern ihn zu zeigen, in denen er in seiner
Herrlichkeit erkannt wird und das Herz zum Glauben
an der Menschheit Adel und zu Muth und That begei-
stert, dem Lehrling nur in einer anatomischen Tabelle
weiset, ihn die Ribben zählen lasset, und eine Weis-
heit darein setzet, daß er etwa einen Muskel euch mit
Namen nenne; wenn ihr Fausts Gesundheits-Katechis-
mus mit dem Christlichen vertauschet; wenn ihr zum
ernsten Gegenstand des Unterrichts sogar das Compli-

Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
einer hoͤhern Welt leicht wieder zu beleben, oder zu er-
ſetzen: wenn ihr uͤberhaupt verſaͤumet, in dem Lehrling
fruͤh den Sinn fuͤr Geiſt und Geiſtiges zu wecken, die
Innenwelt, die ihm noch naͤher liegt als ſelbſt die
Außenwelt, ihm aufzuſchließen; wenn ihr ihm die Welt
der Phantaſie, das eigentliche Jugendland, verſchließet,
und dagegen ihn in den Kreis der ſtarren aͤußeren Um-
gebungen hinein methodiſch bannet; wenn ihr nichts
eiliger und eifriger mit ihm betreibt, als die Materie
und ihre Formen von allen Seiten zu betrachten, und
zu meſſen und zu zaͤhlen; wenn ihr nichts angelegent-
lichers wißt, als mit Beſchauen eurer Cabinete, bunter
Voͤgel, Schnecken, Muſcheln, Steine und ſo weiter,
die ganze Unterrichtszeit auszufuͤllen; wenn ihr ſogar
in euern Bilderbuͤchern euern Kindern nicht etwa ſchoͤ-
ne Formen oder auch nur freie luſtige Geſtalten, ſon-
dern Meſſer, Scheere, Nadel, und dergleichen Dinge
zeichnet, die ſie richtiger und wahrer taͤglich in natura
ſehen, und die in aller Welt nichts weiter als ihre
eigne unbedeutende Geſtalt vermoͤgen zu bedeuten oder
anzudeuten; wenn ihr den Menſchen, anſtatt in ſeinen
großen Muſtern ihn zu zeigen, in denen er in ſeiner
Herrlichkeit erkannt wird und das Herz zum Glauben
an der Menſchheit Adel und zu Muth und That begei-
ſtert, dem Lehrling nur in einer anatomiſchen Tabelle
weiſet, ihn die Ribben zaͤhlen laſſet, und eine Weis-
heit darein ſetzet, daß er etwa einen Muſkel euch mit
Namen nenne; wenn ihr Fauſts Geſundheits-Katechis-
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[53/0065] Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung. einer hoͤhern Welt leicht wieder zu beleben, oder zu er- ſetzen: wenn ihr uͤberhaupt verſaͤumet, in dem Lehrling fruͤh den Sinn fuͤr Geiſt und Geiſtiges zu wecken, die Innenwelt, die ihm noch naͤher liegt als ſelbſt die Außenwelt, ihm aufzuſchließen; wenn ihr ihm die Welt der Phantaſie, das eigentliche Jugendland, verſchließet, und dagegen ihn in den Kreis der ſtarren aͤußeren Um- gebungen hinein methodiſch bannet; wenn ihr nichts eiliger und eifriger mit ihm betreibt, als die Materie und ihre Formen von allen Seiten zu betrachten, und zu meſſen und zu zaͤhlen; wenn ihr nichts angelegent- lichers wißt, als mit Beſchauen eurer Cabinete, bunter Voͤgel, Schnecken, Muſcheln, Steine und ſo weiter, die ganze Unterrichtszeit auszufuͤllen; wenn ihr ſogar in euern Bilderbuͤchern euern Kindern nicht etwa ſchoͤ- ne Formen oder auch nur freie luſtige Geſtalten, ſon- dern Meſſer, Scheere, Nadel, und dergleichen Dinge zeichnet, die ſie richtiger und wahrer taͤglich in natura ſehen, und die in aller Welt nichts weiter als ihre eigne unbedeutende Geſtalt vermoͤgen zu bedeuten oder anzudeuten; wenn ihr den Menſchen, anſtatt in ſeinen großen Muſtern ihn zu zeigen, in denen er in ſeiner Herrlichkeit erkannt wird und das Herz zum Glauben an der Menſchheit Adel und zu Muth und That begei- ſtert, dem Lehrling nur in einer anatomiſchen Tabelle weiſet, ihn die Ribben zaͤhlen laſſet, und eine Weis- heit darein ſetzet, daß er etwa einen Muſkel euch mit Namen nenne; wenn ihr Fauſts Geſundheits-Katechis- mus mit dem Chriſtlichen vertauſchet; wenn ihr zum ernſten Gegenſtand des Unterrichts ſogar das Compli-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/65>, abgerufen am 24.11.2024.