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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Zweiter Abschnitt.
schen Geist und Vernunft wegdenke, erscheint frei-
lich, als bloße Thierheit, verächtlich; aber die Thier-
heit im Menschen ist von Geist und Vernunft nicht
abgesondert, durch die Verbindung mit diesen aber selbst
etwas Heiliges; und man dürfte wohl den Pädagogi-
kern, welche die animale Natur des Menschen mit Fü-
ßen treten zu müssen meinen, mit dem Apostel zurufen:
"wisset, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes
ist, der in euch ist!" Eben so erscheint das, was übrig
bleibt, wenn ich in dem Wesen des Menschen al-
les Animale wegdenke, als reine Geistigkeit,
als das allein Ehrwürdige in ihm: aber die Geistig-
keit im Menschen ist so wenig ein von Animalität ab-
gesondert für sich Bestehendes, als die Thierheit in
ihm ein von Geist und Vernunft isolirtes für sich Be-
stehendes ist; in der Verbindung mit dem Animalen
aber steht auch die geistige Natur des Menschen un-
ter ganz andern Bedingungen, als wir sie denken,
wenn wir sie durch Abstraction isolirt als reinen Geist
denken.

Die Weltleute lächeln, oder lachen auch wohl gar,
über die Schulphilosophen mit ihren Redensarten von
der rein geistigen Natur des Menschen; und sie sind
ihres Triumphes immer gewiß, indem sie nur auf die
unabweisbaren, zum Theil schreienden, Bedürfnisse hin-
deuten dürfen, die den Philosophen wie die übrigen
Menschen an seine thierische Natur und seine irdische
Abstammung mahnen. Eben dadurch ist es ihnen auch
so leicht, alle die Forderungen einer besondern Sorg-

Zweiter Abſchnitt.
ſchen Geiſt und Vernunft wegdenke, erſcheint frei-
lich, als bloße Thierheit, veraͤchtlich; aber die Thier-
heit im Menſchen iſt von Geiſt und Vernunft nicht
abgeſondert, durch die Verbindung mit dieſen aber ſelbſt
etwas Heiliges; und man duͤrfte wohl den Paͤdagogi-
kern, welche die animale Natur des Menſchen mit Fuͤ-
ßen treten zu muͤſſen meinen, mit dem Apoſtel zurufen:
„wiſſet, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geiſtes
iſt, der in euch iſt!“ Eben ſo erſcheint das, was uͤbrig
bleibt, wenn ich in dem Weſen des Menſchen al-
les Animale wegdenke, als reine Geiſtigkeit,
als das allein Ehrwuͤrdige in ihm: aber die Geiſtig-
keit im Menſchen iſt ſo wenig ein von Animalitaͤt ab-
geſondert fuͤr ſich Beſtehendes, als die Thierheit in
ihm ein von Geiſt und Vernunft iſolirtes fuͤr ſich Be-
ſtehendes iſt; in der Verbindung mit dem Animalen
aber ſteht auch die geiſtige Natur des Menſchen un-
ter ganz andern Bedingungen, als wir ſie denken,
wenn wir ſie durch Abſtraction iſolirt als reinen Geiſt
denken.

Die Weltleute laͤcheln, oder lachen auch wohl gar,
uͤber die Schulphiloſophen mit ihren Redensarten von
der rein geiſtigen Natur des Menſchen; und ſie ſind
ihres Triumphes immer gewiß, indem ſie nur auf die
unabweiſbaren, zum Theil ſchreienden, Beduͤrfniſſe hin-
deuten duͤrfen, die den Philoſophen wie die uͤbrigen
Menſchen an ſeine thieriſche Natur und ſeine irdiſche
Abſtammung mahnen. Eben dadurch iſt es ihnen auch
ſo leicht, alle die Forderungen einer beſondern Sorg-

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[40/0052] Zweiter Abſchnitt. ſchen Geiſt und Vernunft wegdenke, erſcheint frei- lich, als bloße Thierheit, veraͤchtlich; aber die Thier- heit im Menſchen iſt von Geiſt und Vernunft nicht abgeſondert, durch die Verbindung mit dieſen aber ſelbſt etwas Heiliges; und man duͤrfte wohl den Paͤdagogi- kern, welche die animale Natur des Menſchen mit Fuͤ- ßen treten zu muͤſſen meinen, mit dem Apoſtel zurufen: „wiſſet, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geiſtes iſt, der in euch iſt!“ Eben ſo erſcheint das, was uͤbrig bleibt, wenn ich in dem Weſen des Menſchen al- les Animale wegdenke, als reine Geiſtigkeit, als das allein Ehrwuͤrdige in ihm: aber die Geiſtig- keit im Menſchen iſt ſo wenig ein von Animalitaͤt ab- geſondert fuͤr ſich Beſtehendes, als die Thierheit in ihm ein von Geiſt und Vernunft iſolirtes fuͤr ſich Be- ſtehendes iſt; in der Verbindung mit dem Animalen aber ſteht auch die geiſtige Natur des Menſchen un- ter ganz andern Bedingungen, als wir ſie denken, wenn wir ſie durch Abſtraction iſolirt als reinen Geiſt denken. Die Weltleute laͤcheln, oder lachen auch wohl gar, uͤber die Schulphiloſophen mit ihren Redensarten von der rein geiſtigen Natur des Menſchen; und ſie ſind ihres Triumphes immer gewiß, indem ſie nur auf die unabweiſbaren, zum Theil ſchreienden, Beduͤrfniſſe hin- deuten duͤrfen, die den Philoſophen wie die uͤbrigen Menſchen an ſeine thieriſche Natur und ſeine irdiſche Abſtammung mahnen. Eben dadurch iſt es ihnen auch ſo leicht, alle die Forderungen einer beſondern Sorg-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/52>, abgerufen am 24.11.2024.