Auf dieser einen Seite steht daß System des oben so benannten Humanismus, das bei aller Würde und Erhabenheit seiner Ansichten von dem Wesen und der Bestimmung des Menschen, bei aller Vortrefflich- keit seiner Forderungen an die Erziehung und Bildung desselben, gleichwohl von dem Vorwurfe der Einseitig- keit und Ueberspannung nicht freigesprochen werden kann, sofern es seiner Grundansicht consequent bleibt. Es ist wahr, das Unbedingte in dem Menschen ist die Vernunft, und seine geistige Natur begründet sein eigentliches Wesen; das Animale hingegen, was er mit der ganzen übrigen thierischen Welt gemein hat, wird nicht ohne Grund zu seinem Wesen so wenig ge- zählt, daß die Benennung der Menschheit, der Humanität, bloß seine geistige Natur, mit gänzlicher Abstraction von der animalen, bezeichnet. Es scheint daher auch vollkommen begründet, daß die Erziehung und Bildung des Menschen sich, mit Hintan- setzung seiner niedrigen Natur, ausschließend mit dem beschäftige, was nicht nur als das Höchste in ihm, sondern sogar als sein Wesen selbst gedacht wird. Al- lein der Mensch ist weder jene geistige noch jene ani- male Natur allein, weder das eine noch das andre Abstractum allein; und nicht nur der Mensch selbst wird unrichtig gedacht, wenn er als der eine oder als der andre unterschiedne Theil seines Wesens allein ge- dacht wird, sondern auch der eine wie der andre Theil seines Wesens wird unrichtig gedacht, wenn er außer der Verbindung mit dem andern gedacht wird. Was übrig bleibt, wenn ich in dem Wesen des Men-
Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Auf dieſer einen Seite ſteht daß Syſtem des oben ſo benannten Humaniſmus, das bei aller Wuͤrde und Erhabenheit ſeiner Anſichten von dem Weſen und der Beſtimmung des Menſchen, bei aller Vortrefflich- keit ſeiner Forderungen an die Erziehung und Bildung deſſelben, gleichwohl von dem Vorwurfe der Einſeitig- keit und Ueberſpannung nicht freigeſprochen werden kann, ſofern es ſeiner Grundanſicht conſequent bleibt. Es iſt wahr, das Unbedingte in dem Menſchen iſt die Vernunft, und ſeine geiſtige Natur begruͤndet ſein eigentliches Weſen; das Animale hingegen, was er mit der ganzen uͤbrigen thieriſchen Welt gemein hat, wird nicht ohne Grund zu ſeinem Weſen ſo wenig ge- zaͤhlt, daß die Benennung der Menſchheit, der Humanitaͤt, bloß ſeine geiſtige Natur, mit gaͤnzlicher Abſtraction von der animalen, bezeichnet. Es ſcheint daher auch vollkommen begruͤndet, daß die Erziehung und Bildung des Menſchen ſich, mit Hintan- ſetzung ſeiner niedrigen Natur, ausſchließend mit dem beſchaͤftige, was nicht nur als das Hoͤchſte in ihm, ſondern ſogar als ſein Weſen ſelbſt gedacht wird. Al- lein der Menſch iſt weder jene geiſtige noch jene ani- male Natur allein, weder das eine noch das andre Abſtractum allein; und nicht nur der Menſch ſelbſt wird unrichtig gedacht, wenn er als der eine oder als der andre unterſchiedne Theil ſeines Weſens allein ge- dacht wird, ſondern auch der eine wie der andre Theil ſeines Weſens wird unrichtig gedacht, wenn er außer der Verbindung mit dem andern gedacht wird. Was uͤbrig bleibt, wenn ich in dem Weſen des Men-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0051"n="39"/><fwplace="top"type="header">Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.</fw><lb/><p>Auf dieſer einen Seite ſteht daß Syſtem des oben<lb/>ſo benannten <hirendition="#g">Humaniſmus</hi>, das bei aller Wuͤrde<lb/>
und Erhabenheit ſeiner Anſichten von dem Weſen und<lb/>
der Beſtimmung des Menſchen, bei aller Vortrefflich-<lb/>
keit ſeiner Forderungen an die Erziehung und Bildung<lb/>
deſſelben, gleichwohl von dem Vorwurfe der Einſeitig-<lb/>
keit und Ueberſpannung nicht freigeſprochen werden<lb/>
kann, ſofern es ſeiner Grundanſicht conſequent bleibt.<lb/>
Es iſt wahr, das Unbedingte in dem Menſchen iſt die<lb/><hirendition="#g">Vernunft</hi>, und ſeine <hirendition="#g">geiſtige Natur</hi> begruͤndet<lb/>ſein eigentliches Weſen; das <hirendition="#g">Animale</hi> hingegen, was<lb/>
er mit der ganzen uͤbrigen thieriſchen Welt gemein hat,<lb/>
wird nicht ohne Grund zu ſeinem Weſen ſo wenig ge-<lb/>
zaͤhlt, daß die Benennung der <hirendition="#g">Menſchheit</hi>, der<lb/><hirendition="#g">Humanitaͤt</hi>, bloß ſeine <hirendition="#g">geiſtige Natur</hi>, mit<lb/>
gaͤnzlicher Abſtraction von der animalen, bezeichnet.<lb/>
Es ſcheint daher auch vollkommen begruͤndet, daß die<lb/>
Erziehung und Bildung des Menſchen ſich, mit Hintan-<lb/>ſetzung ſeiner niedrigen Natur, ausſchließend mit dem<lb/>
beſchaͤftige, was nicht nur als das Hoͤchſte in ihm,<lb/>ſondern ſogar als ſein Weſen ſelbſt gedacht wird. Al-<lb/>
lein der Menſch iſt weder jene geiſtige noch jene ani-<lb/>
male Natur allein, weder das eine noch das andre<lb/>
Abſtractum allein; und nicht nur <hirendition="#g">der Menſch ſelbſt</hi><lb/>
wird unrichtig gedacht, wenn er als der eine oder als<lb/>
der andre unterſchiedne Theil ſeines Weſens allein ge-<lb/>
dacht wird, ſondern auch der eine wie der andre <hirendition="#g">Theil<lb/>ſeines Weſens</hi> wird unrichtig gedacht, wenn er<lb/>
außer der Verbindung mit dem andern gedacht wird.<lb/>
Was uͤbrig bleibt, wenn ich in dem Weſen des Men-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[39/0051]
Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Auf dieſer einen Seite ſteht daß Syſtem des oben
ſo benannten Humaniſmus, das bei aller Wuͤrde
und Erhabenheit ſeiner Anſichten von dem Weſen und
der Beſtimmung des Menſchen, bei aller Vortrefflich-
keit ſeiner Forderungen an die Erziehung und Bildung
deſſelben, gleichwohl von dem Vorwurfe der Einſeitig-
keit und Ueberſpannung nicht freigeſprochen werden
kann, ſofern es ſeiner Grundanſicht conſequent bleibt.
Es iſt wahr, das Unbedingte in dem Menſchen iſt die
Vernunft, und ſeine geiſtige Natur begruͤndet
ſein eigentliches Weſen; das Animale hingegen, was
er mit der ganzen uͤbrigen thieriſchen Welt gemein hat,
wird nicht ohne Grund zu ſeinem Weſen ſo wenig ge-
zaͤhlt, daß die Benennung der Menſchheit, der
Humanitaͤt, bloß ſeine geiſtige Natur, mit
gaͤnzlicher Abſtraction von der animalen, bezeichnet.
Es ſcheint daher auch vollkommen begruͤndet, daß die
Erziehung und Bildung des Menſchen ſich, mit Hintan-
ſetzung ſeiner niedrigen Natur, ausſchließend mit dem
beſchaͤftige, was nicht nur als das Hoͤchſte in ihm,
ſondern ſogar als ſein Weſen ſelbſt gedacht wird. Al-
lein der Menſch iſt weder jene geiſtige noch jene ani-
male Natur allein, weder das eine noch das andre
Abſtractum allein; und nicht nur der Menſch ſelbſt
wird unrichtig gedacht, wenn er als der eine oder als
der andre unterſchiedne Theil ſeines Weſens allein ge-
dacht wird, ſondern auch der eine wie der andre Theil
ſeines Weſens wird unrichtig gedacht, wenn er
außer der Verbindung mit dem andern gedacht wird.
Was uͤbrig bleibt, wenn ich in dem Weſen des Men-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/51>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.