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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Vierter Abschnitt.
zum Opfer zu bringen haben, kann wenigstens eine Er-
ziehungslehre aus Principien nicht zugeben.

Man kann diese Ansicht von dem Berufe des Wei-
bes kleinlich und gemein finden, man kann behaupten,
daß das Weib durch die glänzenden Anlagen seines Gei-
stes zu viel Höherem berufen sey, man kann mir das
Muster einer Aspasia zum Beweis vorhalten, mich an
alles Herrliche erinnern, was der Frauen Geist geschaf-
fen hat, und dann fragen: ob ich gleichwohl noch des
Weibes Bildung auf jenen kleinlichen Kreis beschränken
wolle? -- Ich habe darauf zweierlei zu erwiedern.

Fürs erste ist schon oben wiederholt erklärt, daß die
Bildung nicht durch den Beruf, sondern der Beruf durch
die Bildung bestimmt werde. Dieser Grundsatz gilt für
die Bildung des weiblichen Geschlechts auf gleiche Weise,
wie für die des männlichen. Der Erziehungsunterricht für
die freie Bildung hat keinen anderen Richtpunkt als die
Geistesanlagen der Lehrlinge, und keine andre Rücksicht
als die der möglichst vollendeten Ausbildung derselben.
Wie der männliche Lehrling durch den Erziehungsunter-
richt keine andre Vorbereitung zu seinem künftigen Be-
rufe erhält, als die möglichst vollendete freie Bildung
und die möglichst vollkommne Entwickelung der ihm ei-
genthümlichen Geistesanlagen, so auch der weibliche
Lehrling. Wie bei dem Knaben die vollendetste Bildung
seiner Individualität auch die vollendetste Bildung des-
selben für seine Bestimmung auf Erden ist, so auch bei
dem Mädchen. Jene Ansicht von dem Berufe des weib-

Vierter Abſchnitt.
zum Opfer zu bringen haben, kann wenigſtens eine Er-
ziehungslehre aus Principien nicht zugeben.

Man kann dieſe Anſicht von dem Berufe des Wei-
bes kleinlich und gemein finden, man kann behaupten,
daß das Weib durch die glaͤnzenden Anlagen ſeines Gei-
ſtes zu viel Hoͤherem berufen ſey, man kann mir das
Muſter einer Aſpaſia zum Beweis vorhalten, mich an
alles Herrliche erinnern, was der Frauen Geiſt geſchaf-
fen hat, und dann fragen: ob ich gleichwohl noch des
Weibes Bildung auf jenen kleinlichen Kreis beſchraͤnken
wolle? — Ich habe darauf zweierlei zu erwiedern.

Fuͤrs erſte iſt ſchon oben wiederholt erklaͤrt, daß die
Bildung nicht durch den Beruf, ſondern der Beruf durch
die Bildung beſtimmt werde. Dieſer Grundſatz gilt fuͤr
die Bildung des weiblichen Geſchlechts auf gleiche Weiſe,
wie fuͤr die des maͤnnlichen. Der Erziehungsunterricht fuͤr
die freie Bildung hat keinen anderen Richtpunkt als die
Geiſtesanlagen der Lehrlinge, und keine andre Ruͤckſicht
als die der moͤglichſt vollendeten Ausbildung derſelben.
Wie der maͤnnliche Lehrling durch den Erziehungsunter-
richt keine andre Vorbereitung zu ſeinem kuͤnftigen Be-
rufe erhaͤlt, als die moͤglichſt vollendete freie Bildung
und die moͤglichſt vollkommne Entwickelung der ihm ei-
genthuͤmlichen Geiſtesanlagen, ſo auch der weibliche
Lehrling. Wie bei dem Knaben die vollendetſte Bildung
ſeiner Individualitaͤt auch die vollendetſte Bildung deſ-
ſelben fuͤr ſeine Beſtimmung auf Erden iſt, ſo auch bei
dem Maͤdchen. Jene Anſicht von dem Berufe des weib-

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[342/0354] Vierter Abſchnitt. zum Opfer zu bringen haben, kann wenigſtens eine Er- ziehungslehre aus Principien nicht zugeben. Man kann dieſe Anſicht von dem Berufe des Wei- bes kleinlich und gemein finden, man kann behaupten, daß das Weib durch die glaͤnzenden Anlagen ſeines Gei- ſtes zu viel Hoͤherem berufen ſey, man kann mir das Muſter einer Aſpaſia zum Beweis vorhalten, mich an alles Herrliche erinnern, was der Frauen Geiſt geſchaf- fen hat, und dann fragen: ob ich gleichwohl noch des Weibes Bildung auf jenen kleinlichen Kreis beſchraͤnken wolle? — Ich habe darauf zweierlei zu erwiedern. Fuͤrs erſte iſt ſchon oben wiederholt erklaͤrt, daß die Bildung nicht durch den Beruf, ſondern der Beruf durch die Bildung beſtimmt werde. Dieſer Grundſatz gilt fuͤr die Bildung des weiblichen Geſchlechts auf gleiche Weiſe, wie fuͤr die des maͤnnlichen. Der Erziehungsunterricht fuͤr die freie Bildung hat keinen anderen Richtpunkt als die Geiſtesanlagen der Lehrlinge, und keine andre Ruͤckſicht als die der moͤglichſt vollendeten Ausbildung derſelben. Wie der maͤnnliche Lehrling durch den Erziehungsunter- richt keine andre Vorbereitung zu ſeinem kuͤnftigen Be- rufe erhaͤlt, als die moͤglichſt vollendete freie Bildung und die moͤglichſt vollkommne Entwickelung der ihm ei- genthuͤmlichen Geiſtesanlagen, ſo auch der weibliche Lehrling. Wie bei dem Knaben die vollendetſte Bildung ſeiner Individualitaͤt auch die vollendetſte Bildung deſ- ſelben fuͤr ſeine Beſtimmung auf Erden iſt, ſo auch bei dem Maͤdchen. Jene Anſicht von dem Berufe des weib-

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/354>, abgerufen am 04.12.2024.